7 Wie man Freundschaften aufbaut und Vertrauen schafft
Ich hätte schwören können, dass ich die ganze Nacht nicht geschlafen hatte. Aber anstelle der üblichen Erkenntnis, dass nun endlich der Morgen gekommen war, holte mich das Geräusch von fließendem Wasser aus dem Schlafmodus. Dass ich tatsächlich geschlafen hatte, verwirrte mich dermaßen, dass ich einen Moment brauchte, bis mir wieder einfiel, wo ich war. Aber ich war sofort hellwach, munter, nicht im Geringsten groggy. Als ich entdeckte, dass die Couch, auf der Adam gelegen hatte, leer war, sprang ich auf, rannte ins Schlafzimmer, stieß mir das Knie am Couchtisch und den Ellbogen am Türrahmen und stürmte, ohne richtig nachzudenken, ins Bad, wo mich ein frecher nackter und sehr muskulöser Hintern empfing, der schon länger keine Sonne mehr gesehen hatte. Adam drehte den Oberkörper in meine Richtung, seine blonden Locken klebten platt und dunkel am Kopf und sandten kleine Rinnsale über sein Gesicht. Ich konnte die Augen nicht abwenden.
»Keine Sorge, ich lebe noch«, sagte er, und seine Stimme klang wieder amüsiert.
Hastig zog ich mich zurück, schloss die Tür hinter mir und musste ein Kichern unterdrücken, während ich in die Gästetoilette eilte, um mich nach einer Nacht in Doppel-Denim wieder einigermaßen präsentabel zu machen. Als ich durchs Wohnzimmer ging, plätscherte das Wasser im Bad immer noch, und auch nach weiteren zehn Minuten änderte sich nichts daran. Nervös wanderte ich im Schlafzimmer auf und ab und fragte mich, was ich jetzt tun sollte. Einmal bei Adam reinzuplatzen war schon ein Fehler gewesen, ein zweites Mal war schlicht peinlich, aber ich war nicht sicher, ob ich es mir leisten konnte, mir Sorgen um meine Seriosität zu machen, wo er vorletzte Nacht einen Selbstmordversuch unternommen hatte. Obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, was er sich da drin antun sollte, mal abgesehen davon, zu Tode zu verschrumpeln. Ich hatte die Gläser vom Waschbecken entfernt, damit er sich nicht schneiden konnte, und ich hatte auch keinen Spiegel zersplittern hören. Gerade als ich die Badezimmertür aufstoßen wollte, hörte ich plötzlich das Geräusch. Zuerst war es ganz leise, halb erstickt, aber so voller Schmerz, abgrundtief und sehnsüchtig, dass ich die Klinke schnell wieder losließ und den Kopf an die Tür lehnte. Ich hätte ihn so gern getröstet, aber ich lauschte hilflos seinem Schluchzen.
Dann fiel mir der Abschiedsbrief ein. Ich musste ihn in die Finger kriegen, ehe Adam aus der Dusche kam, sonst würde ich ihn nie zu Gesicht bekommen. Als ich mich umschaute, sah ich, dass Adam seine Klamotten achtlos in die Ecke geworfen hatte; die Jeans lag auf der Reisetasche. Kurz entschlossen durchsuchte ich sämtliche Hosentaschen und fand schließlich auch den zusammengefalteten Zettel. In der Hoffnung, endlich einen besseren Einblick in die Gründe seines Selbstmordversuchs zu erhalten, klappte ich ihn auf, fand aber nur eine Reihe hingekritzelter Wörter, einige ausgeixt, andere unterstrichen, und merkte schnell, dass es sich keineswegs um einen Abschiedsbrief, sondern um einen Heiratsantrag für Maria handelte, den Adam bis zur Perfektion umgeschrieben und einstudiert hatte.
Ein Handy-Vibrieren lenkte meine Aufmerksamkeit ab. Das Telefon lag neben Adams frischen Sachen, die er sich bereitgelegt hatte. Nach einer Weile hörte das Vibrieren wieder auf, und auf dem Display erschien die Meldung Siebzehn verpasste Anrufe. Kurz darauf klingelte es erneut. Maria. Ohne weiter darüber nachzudenken, fasste ich einen Entschluss und nahm den Anruf an.
Ich war mitten im Gespräch, als ich merkte, dass die Dusche nicht mehr lief, dass ich sie genau genommen schon eine ganze Weile nicht mehr gehört hatte. Als ich mich, das Handy immer noch am Ohr, umwandte, sah ich Adam an der Badezimmertür stehen, ein Handtuch um die Hüfte geschlungen, vollkommen trocken, mit wütendem Gesicht. Vermutlich beobachtete er mich schon eine ganze Weile. Ich entschuldigte mich hastig und beendete das Gespräch.
Ehe er die Chance hatte, über mich herzufallen, sagte ich: »Du hattest siebzehn verpasste Anrufe auf deinem Handy, da dachte ich, es wäre vielleicht ganz gut, wenn ich drangehe. Außerdem brauche ich, wenn das mit uns funktionieren soll, uneingeschränkten Zugang zu deinem Leben. Ohne Kompromisse. Keine Geheimnisse.«
Ich hielt inne, um mich zu vergewissern, dass er mich verstanden hatte. Zumindest widersprach er nicht.
»Das war Maria. Sie war beunruhigt und hatte Angst, du könntest noch mal versucht haben, dir etwas anzutun. Immerhin macht sie sich schon seit über einem Jahr Sorgen um dich, und sie hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass sie nicht zu dir durchdringt. Sie sagt, deshalb habe sie dann irgendwann Sean um Hilfe gebeten und wollte mit ihm überlegen, was sie zusammen für dich tun können. Erst hat sie sich gegen ihre Gefühle gewehrt, aber dann hat sie sich doch in Sean verliebt. Seit sechs Wochen sind sie zusammen, aber sie wollten dir wirklich nicht weh tun. Maria sagt, sie wusste einfach nicht, wie sie es dir sagen soll, sie dachte, du bist sowieso schon deprimiert, und jedes Mal, wenn sie mit dir reden wollte, war gerade irgendwas Schlimmes passiert – erst ist deine Schwester aus Irland weg, dann kam die Nachricht mit deinem Vater. Letzte Woche wollte sie sich mit dir treffen, aber da hattest du gerade deinen Job verloren. Es tut ihr leid, dass du die Sache mit ihr und Sean auf diese Weise erfahren hast.«
Ich beobachtete, wie Adam das alles verdaute. Er war wütend, man konnte fast sehen, wie es unter der Oberfläche brodelte. Aber ich sah auch seine Verletzlichkeit, er wirkte zerbrechlich, zart, ich sah, dass sein Herz gebrochen war und er sich nur mit Mühe aufrechthielt.
Ich fuhr fort. »Sie war ziemlich pikiert, dass ich an dein Handy gegangen bin, beinahe wütend, weil sie nicht wusste, wer ich bin. Sie meinte, nach den sechs Jahren, die sie mit dir zusammen war, würde sie alle deine Freunde kennen. Sie war eifersüchtig.«
Allmählich schien Adams Zorn nachzulassen, als kühle ihn der Gedanke ab, dass Maria eifersüchtig war.
Ich zögerte ein wenig, den Rest noch hinzuzufügen, ging das Risiko aber ein und hoffte, dass es sich auszahlen würde. »Sie hat gesagt, sie kennt dich gar nicht mehr richtig. Dass ihr früher so viel Spaß zusammen hattet, dass du lustig und spontan warst. Aber dann ist irgendwie der Funke in dir erloschen.«
Die Tränen traten ihm in die Augen, aber er hustete, schüttelte den Kopf, und schon war der toughe Kerl wieder da.
»Wir werden dich wieder hinkriegen, Adam, das verspreche ich dir. Wer weiß, vielleicht erkennt Maria dann den Mann wieder, in den sie verliebt war, und verliebt sich von neuem in ihn. Wir finden diesen Funken wieder, ganz bestimmt.«
Weil ich ihm Zeit zum Nachdenken geben wollte, zog ich mich zurück, kaute auf meinen Nägeln herum und wartete. Ungefähr zwanzig Minuten später erschien Adam an der Tür, vollständig angezogen, mit klaren Augen, in denen keine Spur von Verzweiflung zu erkennen war.
»Wollen wir frühstücken gehen?«
Am Buffet im Speisesaal gab es eine Riesenauswahl, und die meisten Gäste gingen mehrmals hin und her, um möglichst viele Dinge zu probieren. Wir dagegen setzten uns mit dem Rücken zu der ganzen Pracht und begnügten uns mit einer Tasse schwarzem Kaffee und ansonsten leeren Tischsets.
»Du isst also nichts, schläfst kaum, und es macht dir Freude, andere Menschen zu retten. Was haben wir sonst noch gemeinsam?«, fragte Adam.
Vor drei Monaten, zur gleichen Zeit, als ich gemerkt hatte, dass ich in meiner Ehe nicht glücklich war, hatte ich den Appetit verloren. Dadurch hatte ich ziemlich abgenommen, obwohl ich mit Hilfe des Ratgebers »Wie man häppchenweise wieder Appetit bekommt« daran arbeitete.
»Eine gescheiterte Beziehung«, schlug ich vor.
»Aber du hast deinen Mann verlassen, und ich bin verlassen worden, also zählt das nicht.«
»Nimm es nicht so persönlich, dass ich meinen Mann verlassen habe.«
»O doch, das kann ich, wenn ich will.«
Ich seufzte. »Erzähl mir doch was über dich. Maria hat es so ausgedrückt, dass vor über einem Jahr der Funke in dir erloschen sei. Diese Bemerkung geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.«
»Ja, mir auch nicht«, fiel er mir mit künstlicher Munterkeit ins Wort. »Ich frage mich, ob sie das gemerkt hat, bevor sie meinen Freund gevögelt hat oder erst danach – vielleicht ja auch dabei, wär das nicht nett?«
Ich ging nicht darauf ein, sondern ließ die Bemerkung kommentarlos stehen. »Wie ging es dir eigentlich, als damals deine Mutter gestorben ist? Wie hat sich das auf dein Verhalten ausgewirkt?«
Maria hatte den frühen Tod von Adams Mutter am Telefon erwähnt. Sie hatte so offen über Adams Leben und seine Probleme gesprochen, als wäre ich eine langjährige gute Freundin, die ohnehin über alles Bescheid wusste. Ich bin sicher, dass sie zurückhaltender gewesen wäre, wenn sie gewusst hätte, wie die Situation wirklich war, aber das ging sie nichts an, und ich hatte sie reden lassen. Wahrscheinlich wollte sie sich auch rechtfertigen, und nebenbei bekam ich Einblicke in Adams Leben, die er mir selbst vielleicht nicht gegeben hätte.
»Warum willst du das wissen?«
»Weil das hilfreich für mich ist.«
»Und für mich?«
»Deine Mutter ist gestorben, deine Schwester ist weggezogen, dein Vater ist krank, deine Freundin hat einen anderen. Ich vermute, dass Maria dich verlassen hat, war der Auslöser. Vielleicht hast du Schwierigkeiten, damit umzugehen, wenn Menschen nicht mehr da sind. Vielleicht fühlst du dich dann im Stich gelassen. Weißt du, wenn man solche Auslöser kennt, kann einem das in der Zukunft helfen, die negativen Gedanken zu erkennen, ehe sich eine Abwärtsspirale in Bewegung setzt. Vielleicht fühlst du dich wieder so, wie du dich als Fünfjähriger gefühlt hast, wenn jemand dich verlässt.«
Ich war ziemlich beeindruckt von mir selbst, aber leider war ich damit die Einzige.
»Ich finde, du solltest aufhören, die Therapeutin zu spielen.«
»Und ich finde, du solltest es mal mit einer richtigen Therapie versuchen, aber aus irgendeinem Grund bist du dazu nicht bereit, und ich bin das Beste, was du hast.«
Das brachte ihn erst mal zum Schweigen. Was auch immer seine Gründe sein mochten, schien eine Therapie für ihn nicht in Frage zu kommen. Aber ich hoffte, ihn irgendwann dazu überreden zu können.
Adam seufzte und lehnte sich zurück, schaute zum Kronleuchter empor, als hätte der ihm meine Frage gestellt. »Ich war fünf Jahre alt, Lavinia zehn. Mum hatte Krebs. Das war für alle sehr traurig, obwohl ich es nicht wirklich verstand. Ich habe mich nicht traurig gefühlt, obwohl ich wusste, dass es traurig war. Ich wusste nicht, dass sie Krebs hatte, oder wenn, dann wusste ich nicht, was das war. Ich wusste nur, dass meine Mum krank war. Sie lag in einem Zimmer unten im Haus, und wir durften nicht zu ihr rein, das ging ein paar Wochen so, oder vielleicht auch ein paar Monate, ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls kam es mir vor wie eine Ewigkeit. Im Flur mussten wir immer ganz leise sein, und es gingen Männer mit Arzttaschen aus und ein und haben mir den Kopf getätschelt. Mein Vater betrat das Zimmer nur ganz selten. Eines Tages stand die Tür plötzlich offen, und ich hab mich reingeschlichen. Da war ein Bett, das früher nicht dort gestanden hatte, und es war leer, aber ansonsten sah das Zimmer genauso aus wie immer. Ein Arzt, der mir immer den Kopf getätschelt hatte, erklärte mir, dass meine Mutter nicht mehr da war. Ich fragte ihn, wo sie hingegangen war, und er antwortete, in den Himmel. Daher wusste ich, dass sie nicht wiederkommen würde, denn mein Großvater war auch in den Himmel gegangen und nie zurückgekommen. Ich dachte, im Himmel muss es bestimmt ganz toll sein, wenn man hingeht und nie mehr zurückkommen möchte. Wir gingen zur Beerdigung. Alle waren sehr traurig. Ich blieb ein paar Tage bei meiner Tante, dann wurde ich aufs Internat geschickt.« Adam erzählte das alles ohne jede gefühlsmäßige Beteiligung, völlig distanziert. Vermutlich hatte er alle verfügbaren Abwehrmechanismen hochgefahren, damit er den unerträglichen Schmerz nicht fühlen musste. Er schien isoliert, weit weg – und ich glaubte ihm jedes Wort.
»Dein Vater hat nicht mit dir über das gesprochen, was mit deiner Mutter passiert ist?«
»Mit Gefühlen hat mein Vater nichts am Hut. Als man ihm gesagt hat, dass er nur noch ein paar Wochen zu leben hat, hat er darum gebeten, dass man ihm ein Fax ins Krankenhauszimmer stellt.«
»Hat deine Schwester wenigstens mit dir geredet? Konntet ihr miteinander sprechen, um den Tod deiner Mutter besser zu verstehen?«
»Lavinia war auf einem Internat in Kildare, und wir haben uns nur in den Ferien ein paar Tage gesehen. In einem der Sommer zu Hause hat sie in der Stadt einen Stand aufgemacht und die Sachen meiner Mutter verkauft – Schuhe, Handtaschen, Pelzmäntel, Schmuck, alles, was irgendeinen Wert hatte – und ein kleines Vermögen damit verdient. Die Leute haben ihr alles abgekauft, und als ein paar Wochen später rauskam, was sie getan hatte, war es zu spät, um das Zeug zurückzukaufen. Lavinia hatte den größten Teil des Gelds schon ausgegeben. Sie war praktisch eine Fremde für mich, und nach diesem Vorfall noch mehr. Sie ist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie mein Vater, viel intelligenter als ich. Nur schade, dass sie ihr Hirn nicht für einen besseren Zweck benutzt. Sie sollte die Stelle meines Vaters übernehmen, nicht ich.«
»Hattest du im Internat wenigstens ein paar gute Freunde?« Insgeheim hoffte ich auf einen Freundeskreis, der dem kleinen Adam Liebe und Wärme schenkte, ich wünschte mir so sehr eine positive Wendung.
»Da habe ich Sean kennengelernt.«
Das war nun nicht das, was ich mir gewünscht hatte. Ausgerechnet der Mensch, dem Adam vertraut und der ihn nun so hintergangen hatte. Ich streckte die Hand aus und legte sie auf seine, aber als ich merkte, dass er unter meiner Berührung erstarrte, zog ich sie schnell wieder weg.
Er verschränkte die Arme. »Wie wäre es, wenn wir mit diesem ganzen Hokuspokus Schluss machen und zum Kern der Sache kommen?«
»Das ist kein Hokuspokus. Dass deine Mutter gestorben ist, als du noch so jung warst, ist ein bedeutsames Erlebnis, das dein Verhalten, deine Gefühle, deine Lebenseinstellung bis heute beeinflusst.« So stand es in meinen Büchern, und ich wusste auch aus eigener Erfahrung, dass es so war.
»Wenn deine Mutter nicht auch gestorben ist, als du fünf warst, glaube ich nicht, dass du das wissen kannst. So was lernt man nicht aus Büchern. Aber mir geht es gut, also machen wir weiter.«
»Das ist sie aber.«
»Was?«
»Meine Mum ist gestorben, als ich vier war.«
Überrascht sah er mich an. »Oh. Das tut mir sehr leid.«
»Danke.«
»Und wie hat dich das beeinflusst?«, fragte er leise.
»Ich bin nicht diejenige, die sich an ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag umbringen will, also lassen wir das«, blaffte ich, weil ich nicht über mich reden wollte. An seinem überraschten Gesicht sah ich, dass es viel erboster herausgekommen war als beabsichtigt. »Entschuldigung«, sagte ich und fasste mich wieder. »Ich hab gemeint, wenn du nicht reden möchtest, was willst du dann von mir, Adam? Wie soll ich dir helfen?«
Er beugte sich vor, und bei jedem einzelnen Punkt seiner Antwort pochte er zur Bekräftigung mit dem Finger auf den Tisch: »Samstag in einer Woche ist mein fünfunddreißigster Geburtstag. Ich möchte eigentlich keine Party, aber aus irgendeinem Grund hat meine Familie eine für mich arrangiert. Mit Familie meine ich in diesem Fall nicht meine Schwester Lavinia – die einzige Möglichkeit, wie sie momentan ohne Handschellen in Irland erscheinen kann, ist auf Skype –, sondern die Firmenfamilie. Die Party findet in der Dubliner City Hall statt, ziemlich aufwendig, und ich würde lieber nicht hingehen, aber ich muss wohl erscheinen, weil der Vorstand beschlossen hat, an diesem Tag bekanntzugeben, dass ich die Firma übernehme. Also solange mein Vater noch am Leben ist, was mir sozusagen das Gütesiegel verleiht. Das ist in zwölf Tagen. Weil mein Vater so krank ist, gab es letzte Woche ein Meeting zum Thema Partyvorbereitungen. Ich habe mehrmals versucht, die Sache zu stoppen. Erstens möchte ich den Job nicht, und zwar weiß ich noch nicht, wie ich es mache, aber ich werde an dem Abend ankündigen, dass jemand anderes die Firmenleitung übernimmt. Irgendwie muss ich das schaffen. Zweitens will ich Maria zurückhaben, denn wenn ich schon in diesen verfluchten Saal marschieren muss, dann will ich, dass sie neben mir hergeht und meine Hand hält, so, wie es sein soll.« Seine Stimme versagte, und er brauchte einen Moment, um sich zu fassen. »Ich habe über das nachgedacht, was sie über mich gesagt hat, und ich verstehe inzwischen, was sie meint. Ich habe mich wirklich verändert. Ich war nicht für sie da, als sie mich gebraucht hätte, sie hat sich Sorgen gemacht, ist zu Sean gegangen, und der hat ihre Lage ausgenutzt. Ich war mit ihm nach unserem Schulabschluss zum Feiern in Benidorm, überhaupt war ich so gut wie jedes Wochenende mit ihm unterwegs, seit ich dreizehn bin. Glaub mir, ich kenne die Tricks, mit denen er die Frauen rumkriegt. Aber Maria kennt sie nicht.«
Ich machte den Mund auf, um zu protestieren, aber Adam hob warnend den Finger und fuhr fort.
»Außerdem will ich meinen Job bei der Küstenwache wiederhaben, und ich möchte, dass die ganzen Leute in der Firma meines Vaters, die da seit hundert Jahren arbeiten, mich endlich in Ruhe lassen. Ich kann nichts dafür, dass ich den Chefposten kriegen soll und nicht einer von ihnen. Wenn es nach mir ginge, könnte ich gern auf den blöden Job verzichten. Momentan sieht es nicht danach aus, als könnte ich mich davor drücken, aber du wirst mir dabei helfen. Wir müssen die Anordnungen meines Großvaters rückgängig machen. Lavinia und ich können die Firma nicht übernehmen, aber sie soll auch nicht an meinen Cousin Nigel gehen. Das wäre nämlich das Ende des Unternehmens. Irgendwas muss ich mir einfallen lassen. Und wenn alle Stricke reißen, dann spring ich eben in irgendeinen verdammten Fluss, denn ich werde damit nicht mehr leben, basta.« Bei den letzten drei Worten pochte er nicht mehr mit dem Finger, sondern stieß das Buttermesser auf die Tischplatte und sah mich dabei mit großen Augen an, aufgebracht, drohend, als wolle er mich herausfordern, vor ihm wegzulaufen und ihn und unsere Abmachung aufzugeben.
Der Gedanke war durchaus verlockend. Vorsichtig ausgedrückt. Ich stand auf.
Er blickte mich zufrieden an, wahrscheinlich weil er dachte, er hätte es mal wieder geschafft, einen Menschen von sich wegzustoßen, und hätte damit endlich freie Bahn, mit seinem Selbstzerstörungsprojekt fortzufahren.
»Okay.« Ich klatschte energisch in die Hände. »Wir haben viel zu tun, also packen wir’s an. Dein Apartment ist ja vermutlich tabu, aber du kannst gern bei mir wohnen. Jetzt will ich erst mal heim und mich umziehen, dann muss ich ins Büro, um ein paar Sachen zu holen, und einkaufen. Was und wofür, erkläre ich dir später, aber zuerst mal müssen wir mein Auto holen. Kommst du?«
Adam sah mich an, offensichtlich überrascht, dass ich ihn nicht wie erwartet im Stich ließ. Aber dann griff er sich seine Jacke und folgte mir.
Als wir im Taxi saßen, piepte mein Handy.
»Das ist jetzt schon das dritte Mal hintereinander. Du schaust nie nach deinen SMS, und das ist nicht gerade ermutigend für mich, wenn ich mir vorstelle, dass ich vielleicht irgendwann an einer Brücke baumle und ein paar aufmunternde Worte gebrauchen könnte.«
»Das sind keine SMS, das ist bloß die Mailbox.«
»Woher weißt du das?«
Ich wusste es, weil es acht Uhr früh war. Da gab es nur eine einzige Möglichkeit.
»Ich weiß es eben.«
Er musterte mich. »Keine Geheimnisse, lautet die Abmachung, erinnerst du dich?«
Ich dachte kurz nach, und aus schlechtem Gewissen, weil ich seinen Antrag gelesen hatte – der sich momentan in meiner Tasche befand –, reichte ich ihm mein Telefon.
Er wählte und hörte die Mailboxansagen ab. Zehn Minuten später gab er mir das Handy zurück. Gespannt sah ich ihn an.
»Das war dein Mann. Aber das weißt du vermutlich schon. Er hat gesagt, er behält den Goldfisch, und er lässt von seinen Anwälten ein Schreiben aufsetzen, das dafür sorgt, dass du nie mehr einen Fisch besitzen kannst, ohne dich strafbar zu machen. Er meint, wahrscheinlich kann er sogar erreichen, dass du nie wieder eine Zoohandlung betreten darfst. Ob er per Erlass verhindern kann, dass du auf der Kirmes etwas gewinnst, war noch nicht sicher, aber er sagt, zur Not geht er persönlich hin, um es zu unterbinden.«
»War das alles?«
»In der zweiten Ansage hat er dich fünfundzwanzigmal als fieses Miststück bezeichnet. Ich hab das nicht nachgezählt. Aber er. Er hat fünfundzwanzigmal Miststück gesagt, weil du seiner Meinung nach ein fünfundzwanzigfaches Miststück bist.«
Seufzend nahm ich das Handy an mich. Barry schien sich einfach nicht beruhigen zu können, im Gegenteil, er geriet immer mehr in Wallung. Jetzt war es der Goldfisch, den er doch immer gehasst hatte. Seine Nichte hatte ihn ihm zum Geburtstag geschenkt, und der einzige Grund dafür war gewesen, dass Barrys Bruder Fische ebenfalls hasste. Im Grund war es also ein Geschenk für sie selbst – der Fisch war sicher in unserer Wohnung untergebracht, und sie konnte ihn anschauen und füttern, sooft sie zu Besuch kam. Meinetwegen konnte Barry den verdammten Goldfisch gern behalten.
»Eigentlich«, meinte Adam und schnappte mir das Handy mit einem schelmischen Augenfunkeln wieder weg, »eigentlich möchte ich gern mal selbst nachzählen – wäre es nicht lustig, wenn er sich verzählt hätte?«
Also hörte er sich die Mailboxnachricht noch einmal über Lautsprecher an, und jedes Mal, wenn Barry das Schimpfwort hervorstieß – wütend, giftig, bitter und traurig –, zählte Adam breit grinsend an den Fingern mit. Ein bisschen enttäuscht legte er dann auf.
»Fünfundzwanzig Miststücke«, stellte er fest und schaute aus dem Fenster.
Ein paar Minuten schwiegen wir beide, dann piepte mein Handy erneut.
»Und ich dachte, ich habe Probleme«, sagte Adam.