Fishing for compliments

Ruben Lennart traf schon am frühen Nachmittag, deutlich vor seinem Termin mit Berit, in Grauenfels ein. In den Tagen zuvor hatte er seine Hausaufgaben gemacht und das Thema Marienerscheinung im Internet gründlich recherchiert. Das Interessanteste dabei erschien ihm eine Liste der Bedingungen, die eine Marienerscheinung vor Anerkennung durch die Kirche zu erfüllen hatte. Schwester Felicitas waren die Sprachregelungen offensichtlich nicht bekannt gewesen, sonst hätten die Äußerungen der Maria, die das Mädchen wiedergegeben hatte, sie weniger verwundert. Dem Reporter dagegen machte die kirchliche Zensur jede bekannte Marienerscheinung gründlich suspekt. Wenn man wirklich auf jungfräuliche Meinungsäußerungen hoffte, musste man sich vermutlich eher auf die nicht anerkannten Erscheinungsfälle konzentrieren.

Zu Rubens Verwunderung war der Pilgerverkehr in Grauenfels an diesem Tag kaum geringer als am Tag der Erscheinung. Die Parkplätze waren fast voll. Ruben bemerkte, dass der Junge, der die Autos einwies, ein sauberes Polohemd trug und sich um ein Lächeln bemühte. »Fahren Sie doch dort drüben hin, bitte, wenn es Ihnen keine Mühe macht. Diese Parkplätze hier reservieren wir für ältere Pilger. Macht fünf Mark« – und einige hundert Gläubige strebten zum Erscheinungsplatz. Ruben selbst war eigentlich eher auf der Suche nach der Redaktion der Lokalzeitung. Nach der himmlischen Recherche im Netz hatte er nun vor, das Archiv des Blättchens nach Informationen über die irdischen Protagonisten der Geschichte zu durchforschen. Auf dem Weg passierte er den inzwischen fest installierten Stand des Paderborner Devotionalienhändlers – dessen Angebot sich inzwischen um spezielleren Kitsch erweitert hatte. Ruben bemerkte Madonnen in Schneekugeln, Plastikmadonnen im Wald und sogar ein erstes Gemälde der Grauenfelser Madonna an der frisch verrohrten Quelle. Unter künstlerischen Gesichtspunkten war das Machwerk zwar größter Kitsch, aber der Maler würde damit unzweifelhaft ein Heidengeld verdienen.

»Ein ortsansässiger Künstler …«, erklärte der Händler vage, als Ruben nach dem Produzenten des Ölschinkens fragte. Wahrscheinlich blieb der- oder diejenige aus guten Gründen anonym.

Auch die Mädchengruppe war wieder vertreten – wobei die kleine Punkerin eine noch verblüffendere Verwandlung durchgemacht hatte als beim letzten Mal. Diesmal war ihr rotes Haar frisch gewaschen und zu einem braven Pagenkopf frisiert. Sie trug ein buntes Sommerkleid mit halblangen Ärmeln und hatte die Spuren des Nasenpiercings sorgfältig überschminkt.

»Mit dem Kauf einer unserer handgearbeiteten Wasserkaraffen unterstützen Sie die Regenbogenmädchen!«, erklärte sie mit süßem Lächeln. »Wir organisieren Bibel- und Gesprächskreise, führen, äh, Kochkurse durch und wollen uns jetzt auch um den Blumenschmuck an der Quelle kümmern. Und das Geld sammeln wir für einen Computer.«

»Wozu braucht ihr den denn?«, fragte Ruben mit mühsam unterdrücktem Grinsen.

»Na ja, äh … Zum Speichern von Rezepten.«

Ruben prustete los. »Also jetzt übertreibst du’s!«, erklärte er dem etwas verschämt blickenden Mädchen. »Letzten Sonntag fand ich dich irgendwie glaubwürdiger. Was ist aus der Selbstverteidigung geworden?«

Die Kleine – Ruben schätzte sie auf vierzehn bis fünfzehn Jahre – wurde fast so rot wie ihr Haar.

»Ich finde das hier ja auch Quatsch und fürchterlich unehrlich«, gab sie zu. »Aber je alberner wir uns aufführen, desto mehr von diesen Kübeln gehen über die Theke. Ich meine, ich würde die Dinger ja auch nicht kaufen, die meisten sind obendrein undicht – aber mit der richtigen Werbestrategie gehen sie weg wie warme Semmeln. Und den Computer brauchen wir wirklich. Die Geräte im Jugendclub sind immer von irgendwelchen männlichen Dumpfbacken besetzt, und wenn man nicht nachweist, dass man etwas wirklich Wichtiges tut – sprich, wenn es nicht knallt und zischt, weil man gerade online Monster erledigt –, steht gleich einer hinter einem und drängelt.«

»Also ist es nicht die religiöse Inbrunst, die euch zum Töpfern drängt, sondern schlichtes Geschäftsinteresse?«, neckte Ruben sie.

»Die Bibel sagt, wir alle sind Ton in des Schöpfers Hand – oder so ähnlich, hab ich extra nachgeschlagen, das erzähle ich immer, wenn einer die Pötte reklamiert. Von ›inbrünstigem Töpfern‹ steht da nix.« Das Mädchen fasste an seine Nase und vermisste dort offensichtlich den Ring, stattdessen zupfte sie nun nervös an ihrem Ohrläppchen. Ruben fand sie erfrischend natürlich. Besonders verglichen mit dem Auftritt der Seherkinder im Wäldchen am letzten Sonntag.

»Na, immerhin bist du bibelfest. Hast du auch einen Namen?«

»Mandy«, stellte sich das Mädchen vor. »Das war noch DDR, als ich geboren wurde. Hinterher hießen dann ja alle Anna oder Sophie. Wollen Sie jetzt eigentlich was kaufen?«

Ruben hob entsetzt die Arme und schlug die Augen gen Himmel. »Herr, lass diese Kelche an mir vorübergehen! Kann ich stattdessen nicht einfach was spenden? Zweckgebunden für die Selbstverteidigungsgruppe?«

Mandy grinste, »Sie sind ein komischer Pilger. Was machen Sie hier in Grauenfels?«

»Ich bin Jesuit. Vertreter der heiligen Inquisition, mein richtiger Name lautet Tomás de Torquemada. Aber das erzähle ich jetzt nur dir, ich bin sozusagen inkognito hier, um die Erscheinungen zu untersuchen. Was hältst du zum Beispiel von der Sache?«

Mandy runzelte die Stirn. »Das meinen Sie jetzt nicht im Ernst! Ich tippe da mehr auf Reporter.«

Ruhen lachte. »Ertappt. Dann nimm das hier mal als Aufwandsentschädigung für ein Interview.« Er zückte einen Fünfzigmarkschein.

»Ich denke, das ist eine Spende?«, bemerkte Mandy mit einem intensiven Blick auf die Geldbörse.

Ruben griff seufzend noch mal in die Tasche. »Für den Computer. Und nun mal ehrlich. Glaubst du an diese Erscheinungen?«

Mandy zuckte die Schultern. »Also ich halt da nichts von. Aber ich bin auch nicht so christlich angehaucht. Ich tendier mehr in Richtung Wicca.«

Ruben durchforstete kurz sein Gehirn. »Das ist dieser Hexenkult, nicht?«

Mandy schnaubte. »Das ist der Glaube an das Prinzip der Göttin als Personifizierung des natürlichen Kreislaufs von Werden und Vergehen«, dozierte sie. »Eingeweihte Frauen verfügten von jeher über Kenntnisse im Bereich der Naturmedizin, die ihnen leider oft den Ruf einer ›Hexe‹ eintrugen. Purer Unsinn natürlich.«

»Aber in diese Frauengeschichte müsste euch die Jungfrau doch ganz gut reinpassen«, provozierte Ruhen sie weiter. »Sagt ihr nicht so was wie ›Alle Göttinnen sind eine Göttin‹ … und diese Quelle – ich dachte, ihr benutzt so was zum Wahrsagen?«

»Nebel von Avalon gelesen, was?« Mandy grinste. »Also erst mal wäre diese Maria nicht die Jungfrau, sondern die Mutter. Wo Kind, da Defloration. Spätestens bei der Geburt, kann Ihnen jeder Arzt bestätigen. Und wenn Sie aus der Pampe, die Claudia und Sophie da aus dem Boden gekratzt haben, irgendwas anderes ablesen als die Namen der beteiligten Bakterienarten, sind Sie wirklich übersinnlich begabt. Jetzt ist es ja verrohrt, aber den Siff hätten Sie mal sehen sollen! Die Voraussagen waren ja auch entsprechend. Fishing for compliments und Fischen im Trüben …«

»Fishing for compliments?«, fragte Ruben.

»Na, die ständige Aufforderung zum Beten! Meine Güte, die Frau hat ja ’ne Profilneurose! Also wenn ich die Göttin wäre und die Leute würden nicht freiwillig beten, dann würd ich mich mal fragen, was ich falsch mache und nicht rumfliegen und Drohungen verbreiten!«

Ruben lachte schallend.

»Und die angeblichen Voraussagen!« Mandy war jetzt in Fahrt. »›Eine Zeit voller Verbrechen und Gewalt liegt vor euch‹ – und daraus schließen nun alle, Claudia hätte diese Geiselnahme in Frankfurt vorausgesagt und diese Entführung in München, mal abgesehen von dem Mist im Nahen Osten. Als wenn so was nicht jede Woche vorkäme! – Traurig, aber wahr. Soll ich Ihnen mal sagen, was ’ne richtige Vorhersage wäre? Das ginge: Liebe Claudia, ruf schnell das FBI in Texas an, unter folgender Nummer, in Dallas wird nämlich gerade ein Mädchen namens Suzy Miller entführt. Die Kerle bringen sie in ein Lagerhaus Ecke 63ste und 48ste Straße, und wenn die Bullen da vor dreiundzwanzig Uhr ankommen, dann können sie verhindern, dass sie vergewaltigt und erdrosselt wird. Wenn sie so was rausließe, das wär ein Knüller. Aber so? Vergessen Sie’s; Möchten Sie wirklich keinen dieser formschönen Pötte?« Mandy erinnerte sich an ihre wahre Aufgabe.

»Höchstens, wenn du mir einen netten Wicca-Liebestrank einfüllst«, lächelte Ruhen. »Ich habe nachher nämlich noch eine Verabredung mit einer sehr attraktiven Dame.«

»Für die Rezepte fehlt mir ja leider noch der Computer«, frotzelte Mandy hinterhältig. »Ansonsten will ich aber auch eher Chemie studieren, nach der Schule. Das erscheint mir sicherer als die ganze Hexenkunst. Und was Ihre Freundin angeht: Kaufen Sie ihr eine Rose, da fahren wir alle drauf ab!«

Ruben bedankte sich amüsiert für Gespräch und Ratschlag. Grauenfels hatte wirklich nichts Spirituelles, dachte er, als er weiterschlenderte. Hier sind sogar die Hexen pragmatisch.

In der Redaktion des Grauenfelser Stadtanzeigers zeigte ihm eine gelangweilte Angestellte das Archiv. Leider lag es erst seit einem Jahr auf Diskette vor, ansonsten hatte man Stöße von Zeitungen gesammelt. Außerdem erschien das Blatt erst seit der Wende, die frühere Parteizeitung war nicht zugänglich. Nach kurzem Schmökern gab Ruben entnervt auf und machte sich auf die Suche nach einem Redakteur, der möglicherweise persönlich Auskunft geben konnte. Zu seiner Überraschung fand sich schnell ein Ansprechpartner. Rudolf Bergstätter, Chefredakteur des Käseblattes, kam persönlich vorbei. Er brannte darauf, den ›ersten Vertreter der Weltpresse kennen zu lernen, der sich je für das Archiv des Stadtanzeigers interessierte‹. Bergstätter war ein kleiner, untersetzter Mann, wusste sich allerdings wieselflink zu bewegen und war offenbar auch von rascher Auffassungsgabe.

»Die ›Hintergründe der Marienerscheinung‹? – Also wir haben die Dame nicht bestellt. Obwohl sie das Journalistenleben spannender macht, man kann’s nicht leugnen. Vorher sagten sich hier ja die Füchse Gute Nacht und eine Nachricht war deprimierender als die andere. Jetzt dagegen: alle fünf Minuten ein Autounfall, weil die meisten Pilger längst in einem Alter sind, wo keiner mehr den Sehtest bestünde. Ständig neue Restauranteröffnungen – und dann natürlich auch die Verlautbarungen der Jungfrau. Vor allem diese Voraussagen! Alles Erfolgsmeldungen! Wir schalten nur das Fernsehen ein, nächste Horrormeldung, wieder ein Punkt für unsere Seherkinder!«

In Bergstätters kleinen braunen Augen stand ein ironisches Funkeln.

»Die Kinder sind immerhin beeindruckend«, meinte Ruben. »Ich habe sie Sonntag gesehen. Ist mit ein Grund dafür, dass ich hier bin. Mich interessiert ihr Umfeld. Warum haben die plötzlich Visionen? Waren sie vorher schon irgendwie auffällig?«

»Die Mädels? Nö, nicht dass ich wüsste. Die Sophie haben wir ein- oder zweimal erwähnt, wenn’s um Tanzaufführungen in Tatenbeck ging. Und die Claudia – na ja, wenn Sie ein paar Auftritte im Theaterclub des Jugendzentrums als Indiz dafür werten, dass die Erscheinungen getürkt sind … Sie hat gerade die Hauptrolle in so einem Musical gespielt. Soll sehr nett gewesen sein, unsere Kulturredakteurin war ganz begeistert. Die ist allerdings auch von den Produkten der örtlichen Töpferwerkstatt hin und weg …«

Ruben grinste.

»Und was ist mit den Familien?«, fragte er dann weiter. »Religiöser Hintergrund?«

Bergstätter zuckte mit den Schultern. »Katholisch sind sie jedenfalls beide nicht, so viel steht fest. Die Eltern der kleinen Ballettratte sind auch sonst unauffällig, der Vater ist Handwerker, hat sich selbstständig gemacht, nachdem er seinen Job verlor. Zurzeit verzeichnet er wohl ein Auftragsplus – aber ob er seine Kinder deshalb in Sachen Marienerscheinung beeinflusst? Höchst unwahrscheinlich.«

»Und diese Martens?«, erkundigte sich Ruben.

Bergstätter verzog die Lippen zu einem Ausdruck zwischen Belustigung und Verachtung. »Rektor Wendehals und Gattin? Tja, über die fände sich einiges im Archiv, wenn’s denn ein bisschen geordneter wäre. Und noch mehr in dem des Parteiblattes vor dem Mauerfall. Martens waren damals streng auf Linie – ich hätte auch gedacht, ihre Akten hätten ausgereicht, um sie für immer aus dem Lehramt rauszuhalten. Aber vermutlich haben sie damals schon mehr heiße Luft entwickelt, als sich wirklich die Finger verbrannt. Jedenfalls wurden sie ziemlich problemlos übernommen, obwohl sie zu DDR-Zeiten in jeden Hintern gekrochen sind, der vorn ein Parteiabzeichen trug. Und weil die Strategie so schön klappte, haben sie das dann gleich weiter betrieben – er ist jetzt, glaub ich, SPD-Mitglied, und sie engagiert sich bei Bündnis 90/Grüne. Daher auch die Rektorenstelle.« Bergstätter erteilte bereitwillig Auskunft. Es schien ihn zu freuen, dass ein Kollege aus Hamburg sich für sein Blatt und vor allem für seine Meinung interessierte. »Ich kann solche Leute ja nicht ausstehen – aber dass sie in eine getürkte Marienerscheinung verwickelt sein sollen, kann ich mir kaum vorstellen. Das ist nicht deren Stil. Dafür sind sie – mit Verlaub gesagt – auch zu dämlich, da gehört ja eine gewisse Kreativität zu. Und was hätten sie auch davon?«

»Wer hätte überhaupt was davon?«, überlegte Ruben. »Den Mädchen selbst kann das doch eigentlich auch nichts geben.«

»Ach, das würd ich nicht sagen«, bemerkte Bergstätter. »Ich hab ’ne Tochter in dem Alter – und die findet das schon ›geil‹, was da abgeht um die Seherkinder. Vielleicht sind die beiden einfach krankhaft geltungssüchtig und ziehen diese Show ab, um auf sich aufmerksam zu machen.«

Ruben bedachte diese Möglichkeit, verwarf sie aber sofort. Für den Streich zweier Schulmädchen war das Ganze zu professionell aufgezogen. Wozu ihm die Einstellung der beiden Medienreferentinnen einfiel, deren Funktion ihm nach wie vor schleierhaft war.

»Frau Mohn und Frau Landruh?«, fragte Bergstätter. »Tja, zuerst waren wir da auch etwas verwundert. Gut, Barhaupt brauchte Hilfe. Der Mann hat ja auch noch einen normalen Beruf, neben dem Bürgermeisteramt, und das Erscheinungshandling wurde langsam zum Vollzeitjob. Ist nur komisch, dass er sich Leute aus dem Westen kommen ließ. Das sieht ihm nicht ähnlich. Er kämpft gegen die Arbeitslosigkeit in Grauenfels wie ein Löwe. Aber andererseits: Wer hätte den Job hier machen können? Und die beiden sind wirklich gut, haben sich in null Komma nichts eingearbeitet, und seitdem läuft’s wie am Schnürchen. Die Presseinfos sind erste Sahne, der Service eins a – die zwei scheinen sich fast zu schämen, dass sie mit der Erscheinung selbst keine Fototermine organisieren können. Frau Landruh ist heute mit einem Fernsehteam von RTL oben im Wald, demnächst haben die sicher an die zwanzig Talkshow-Termine. Es war schon richtig von Barhaupt, das zu delegieren.«

»Aber warum gleich zwei volle Stellen? Und wie steht’s mit deren Hintergrund? Haben Sie da mal recherchiert?«

»Sicher.« Bergstätter sah seinen Kollegen fast tadelnd an. »Hätten Sie auch selbst machen können, dazu brauchten Sie nicht nach Grauenfels. Ein Mausklick im Internet hätte genügt. Die Landruh und die Mohn kommen beide aus der Werbung, ziemliches Spitzenteam, waren mehrmals im Rennen um die Preise des Art Directors Club. Den großen Wurf haben sie da zwar nie gelandet, waren aber konstant in den Jahrbüchern vertreten. Bis vor ein paar Monaten haben sie für Carsten & Company in Berlin gearbeitet und sich dann selbstständig gemacht. Die Agentur heißt BeGin – ganz witzig, aber ist wohl nicht so toll gelaufen.«

»Carsten & Company – sind das nicht die mit ›Atomkraft ist Liebe‹?«, erinnerte sich Ruben.

Bergstätter nickte. »Ich tipp mal drauf, dass das auch der Grund für die Kündigung war. Auf der Homepage von BeGin schreiben sie zu ihrer Firmenphilosophie, Werbung bedeute für sie nicht den totalen Verzicht auf ethische Grundsätze. Sie hätten sich unter anderem deshalb selbstständig gemacht, um die Freiheit zu haben, zu bestimmten Produkten auch mal nein zu sagen.«

»Hm«, meinte Ruben. »Also Atomkraft ist bäh, aber ’ne Marienerscheinung können sie verantworten?«

»Die ist zumindest umweltverträglich«, feixte Bergstätter. »Bisher wurde keine radioaktive Strahlung gemessen, und man kann ihr auch nicht vorwerfen, ihren Müll überall rumliegen zu lassen. Höchstens die Gesänge der Fans verstoßen manchmal gegen die Lärmschutzverordnung.«

Ruben lachte und sah auf die Uhr.

»Ich muss los, ich habe gleich einen Termin mit Frau Mohn. Vielleicht kann ich auch ein paar Worte mit der Psychologin wechseln, die die Mädchen heute in der Mangel hat. Das dürfte interessant werden. Wollen Sie mitkommen?« Ruben hoffte auf ein Nein, wollte dem entgegenkommenden Kollegen aber immerhin die Chance einräumen, die Informationen ebenfalls aus erster Hand zu erhalten.

Bergstätter winkte tatsächlich gelangweilt ab. »Krieg ich garantiert spätestens morgen früh per Fax«, meinte er. »Wie gesagt, die Presseinfos lassen keine Wünsche offen. Ich glaub auch nicht, dass die Psychotante da irgendwas rausfindet. Die Seelenklempner haben noch nicht mal bei den Blagen in Medjugorge was gefunden, und die sind nun wirklich von der Rolle. Na ja, wer weiß, wen sie da hingeschickt haben. Viel Spaß jedenfalls!«

Während Bergstätter sich wieder den ungemein wichtigen Aufgaben des Chefredakteurs eines Provinzblättchens zuwandte, machte Ruben sich auf zum Bürgermeisteramt. Berits und Ginas Büro war leicht zu finden. Tatsächlich stand eine Bürotür weit offen, und Ruben hörte Berits dunkle, beschwichtigende Stimme in der Auseinandersetzung mit einem eher schrillen Organ.

»Und ob ich meine, dass meine Tochter jetzt eine Pause braucht! Claudia ist im Moment in einer sehr sensiblen Phase, sie braucht viel Ruhe für die Meditation. Um diese Zeit pflegt sie zu beten, meistens ist sie im Wäldchen … und …«

»Frau Wahl ist in einer halben Stunde fertig mit den Tests, dann kann Claudia immer noch beten«, erklärte Berit bestimmt. »Sie haben der Untersuchung doch zugestimmt, Frau Martens. Warum wollen Sie das denn jetzt torpedieren?«

»Das hat doch nichts mit Torpedieren zu tun! Im Gegenteil, ich habe das größte Interesse daran, dass Claudia geistige Gesundheit bescheinigt wird. Schon damit man das Kind endlich ernst nimmt! Aber trotzdem muss ich mich um sie kümmern – Sie ahnen ja nicht, unter welcher Spannung sie steht! Und wie tief sie dann wieder in diese fast tranceartigen Zustände versinken kann! Das macht mir manchmal fast Angst! Schauen Sie, ich muss sogar aufpassen, dass sie regelmäßig isst! Und nun sorgen Sie endlich für eine Unterbrechung, sonst lasse ich das alles abblasen!«

Ruben beschloss, sich bemerkbar zu machen. Er klopfte gegen die offene Tür und vermerkte befriedigt, dass Berits blaue Augen bei seinem Eintreten aufleuchteten. Die junge Frau wirkte heute deutlich zerzauster als am letzten Sonntag. Ihr hellblaues Businesskostüm saß zwar tadellos, aber ihr Make-up war etwas verschmiert und ihr Pony stand hoch, als hätte sie ihn mehrmals fahrig aus dem Gesicht gestrichen. Das tat sie auch jetzt wieder, bevor sie aufstand, ihn begrüßte und Frau Martens vorstellte.

»Die Mutter eines der Seherkinder, ja?«, fragte Ruben scheinheilig. »Sie müssen sehr stolz auf Ihre Tochter sein!«

Berit sah ihn an, als wäre er nicht recht bei Trost, aber bei Frau Martens hatte er genau den richtigen Schalter betätigt. Die schlanke, wasserstoffblonde Frau mit praktischer Föhnfrisur, in blendend sitzenden Designerjeans und schlichtem, schwarzem Pulli strahlte ihn an.

»Nun, ›stolz‹ ist sicher nicht der richtige Ausdruck …«, murmelte sie. »Wir sind eher … betroffen, von dem, was Claudia da widerfährt. Zuerst haben wir uns auch sehr heftig gewehrt, das alles für bare Münze zu nehmen – Teenager sind ja oft etwas exaltiert und bilden sich alles Mögliche ein. Aber nun … Es ist schon irgendwie etwas Großes, das uns da berührt, ich spüre das auch. Claudia hat sich verändert, ihre ganze Aura … da wächst so viel Kraft in dem Kind …«

Berit hinter ihrem Rücken verdrehte die Augen.

»Erzählen Sie mir doch einfach ein bisschen von Claudia«, forderte Ruben Frau Martens auf und zwinkerte Berit zu, als Claudias Mutter kurz wegsah. »Von ihrer Kindheit, der Vorgeschichte – sicherlich haben Sie sie tiefreligiös erzogen …«

»Aber nein! Bis das jetzt passierte, da war Religion für uns – na ja, Sie wissen schon, man glaubt natürlich an Gott, aber wir waren nie große Kirchgänger. Claudia wurde da auch gar nicht von uns beeinflusst, sie sollte das irgendwann mal selbst entscheiden … Aber wer konnte denn ahnen, dass …«

Frau Martens plapperte wie aufgezogen. Während Berit Kaffee kochte und sich zwischendurch immer wieder den Pony aus der Stirn strich, schilderte die frisch gebackene Gläubige ihre Tochter als ein so engelhaftes Kind, dass Bernadette Soubirous dagegen wie der Klassenclown wirkte. Als sie eben eine herzzerreißende Story über Claudia und ein ausgesetztes Kätzchen zum Besten gab, öffnete sich die Tür vom Nebenzimmer und eine mütterlich wirkende, rundliche Frau mit freundlichen Zügen und kurzen dunkelbraunen Locken schob Sophie und Claudia aus dem BeGin-Büro ins Büro von Frau Clarsen.

»Ihr habt das sehr gut gemacht, vielen Dank!« Die Psychologin lächelte. »Jetzt werde ich die Tests mal auswerten, das dauert so ein bis zwei Stunden. Wollt ihr dann mit euren Eltern wiederkommen? Ich kann natürlich auch einfach ein Gutachten schreiben, aber eigentlich erkläre ich meine Ergebnisse lieber persönlich. Dann könnt ihr auch Fragen stellen, wenn noch was unklar ist.«

»Waren wir denn sehr daneben?«, fragte Sophie ängstlich.

Frau Wahl lachte schallend. »Ich glaub nicht«, meinte sie. »Aber sieh’s mal so: Wer möchte denn voll auf Linie sein?«

Claudia verzog den Mund zu einem Grinsen. Ihre Mutter hatte den Witz dagegen nicht ganz verstanden.

»Soll das heißen, Sie haben irgendeine … Abweichung festgestellt? Bitte, Sie müssen mir das sagen! Bevor womöglich die Presse Wind bekommt und die Mädchen als verrückt hinstellt.« Frau Martens warf einen nervösen Blick auf Ruben.

»Ich hab gar nichts festgestellt. Die Mädchen haben brav ihre Tests ausgefüllt, und ich werde sie gleich auswerten, wie ich schon sagte. Also kein Grund zur Aufregung – mal abgesehen davon, dass auch Psychologen der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen. Was von meinen Ergebnissen bekannt wird, bestimmen nur Sie.« Frau Wahl sprach beruhigend auf Frau Martens ein.

Claudia war weniger geduldig.

»Nun komm, Mama, mach nicht solchen Wind – wenn ich nicht ganz dicht wäre, hättest du das doch wohl als Erste bemerkt. Jetzt gehen wir erst mal rauf ins Wäldchen, und du meditierst ein bisschen, ja? Noch besser meditierst du zu Hause, und ich geh allein ins Wäldchen – deine, äh, Schwingungen irritieren mich immer ein bisschen, ich brauche jetzt eher etwas Abstand.«

»Kind – ich –«

»Wir gehen dann jedenfalls mal. Bis nachher!« Claudia winkte Berit und Ruben zu und spedierte ihre lamentierende Mutter aus dem Büro.

Berit atmete hörbar auf.

»Ich hab noch Hausaufgaben zu machen«, sagte Sophie, verabschiedete sich und huschte ins Freie. Ihr schien Frau Martens’ Auftritt fast so peinlich zu sein wie Claudia.

»Ich dachte, die Eltern der Kinder würden diese Erscheinungssache nicht unterstützen«, sagte Frau Wahl irritiert, als die Mädchen gegangen waren.

»Bis gestern dachte ich das auch.« Berit seufzte. Die drei gingen ins BeGin-Büro. »Aber dann ist Frau Martens wohl irgendwie erleuchtet worden. Und was sie macht, macht sie richtig, das muss man ihr lassen. Jedenfalls hat sie mich die ganze Zeit genervt, während Sie mit den Mädchen gearbeitet haben. Vielen Dank übrigens, Herr Lennart, für die Unterstützung in der letzten halben Stunde.«

Ruben grinste. »Dafür hab ich jetzt was gut bei Ihnen. Erzählen Sie mir etwas über die Jungfrau!«

Berit plierte ihn unter dem notdürftig geglätteten Pony an. »Oh, da gibt’s nicht viel zu erzählen. Vorname Maria, oder wohl eher Miriam, aber das kann ja keiner aussprechen. Eltern Joachim und Anna, Letztere Spätgebärende, das Kind dürfte entsprechend verwöhnt gewesen sein. Wurde dann einem jungen Mann namens Josef anverlobt, Letzterer aus sehr gutem Hause, dem so genannten Stamm Davids. Hatte dann aber eine sehr, äh, befruchtende Begegnung mit einem gewissen Gabriel, der anschließend auch Josef überzeugend klar machte, das zu erwartende Kind sei göttlichen Ursprungs.«

»Sind wir das nicht alle?«, fragte Frau Wahl. Sie hatte sich an Ginas Schreibtisch gesetzt und den ersten Testbogen, den die Mädchen ausgefüllt hatten, zur Hand genommen.

»Eben. Das Baby war jedenfalls ein Junge, und –«

»Ich dachte eher an Hintergrundinformationen«, unterbrach Ruben sie belustigt. »Was führt die Dame nach Grauenfels, noch dazu zweitausend Jahre nach ihrem Tod?«

Berit zuckte die Achseln. »Vielleicht war’s ihr in Lourdes zu laut?«

Frau Wahl kicherte.

»Nein, im Ernst, Frau Mohn! Wer hat sich die Story ausgedacht?« Ruben ließ nicht locker.

»Jemand namens Lukas, wenn ich mich nicht irre. Und ein gewisser Jakobus hat da wohl auch mitgemischt.« Unschuldig rührte Berit in ihrer Tasse. Der Kaffee war aber längst nicht mehr heiß.

Frau Wahl lachte. »Sagen Sie – Ihre Unterhaltung ist ja ganz kurzweilig, aber können Sie nicht trotzdem woanders weiterflirten? Sonst werde ich nie fertig mit dieser Auswertung, und dabei steht diese Frau Martens garantiert in einer halben Stunde wieder auf der Matte.«

»Das ist ein Argument! Kommen Sie, gehen wir zu Lohmeiers und trinken einen Prosecco. Mache ich zwar gewöhnlich nicht während der Arbeitszeit, aber diese Martens hat mich geschafft!« Berit griff nach ihrer Handtasche. Ruben folgte ihr hinaus.

In dem gut besuchten Gartencafé trafen sie Annika, Rubens Bekanntschaft vom letzten Sonntag. Das Dickerchen saß wieder mal vor einem gut gefüllten Kuchenteller, in angeregter Unterhaltung mit Peter Lohmeier. Erfreut stand sie auf, als sie Rubens ansichtig wurde.

»Herr Lennart! Sie sind auch wieder da! Gehen Sie gleich zur Quelle? Also ich muss da unbedingt noch hin, ’ne Kerze anzünden. Hat Elfi drauf bestanden. Sie ahnen ja nicht, wie dankbar sie ist! Sie kommt übrigens nächste Woche nach Hause, Montag wollen sie die Verbände abnehmen, dann müsste man schon einen Eindruck davon kriegen, wie sie aussehen wird, wenn alles ganz verheilt ist.«

Berit schaute irritiert von einem zum anderen.

»Miriam hat Annikas Freundin Elfi gerade eine neue Nase verehrt«, erklärte Ruben todernst. »Und Ihren eigenen Fürbitten scheint sie doch auch brav nachzukommen, oder Annika?« Ruben warf einen vielsagenden Seitenblick auf Peter.

»Wer? Oh, Sie meinen die Jungfrau! Ja, äh …« Annika wurde ein bisschen rot, ihr Mondgesicht schien von innen heraus zu strahlen. »Ich weiß natürlich noch nicht, ob … aber es ist schon – es ist schon irre, ich hätte nie gedacht, dass so eine Wallfahrt … Wissen Sie, wenn es jetzt doch nicht klappen sollte – dann versuch ich glatt noch Fátima!«

Berit und Ruben verbrachten ein paar unterhaltsame Stunden, wobei er zwar wenig über die Hintergründe der Grauenfelser Marienerscheinung erfuhr, aber sehr viel darüber, wie hintergründig Berit lächeln konnte und wie sich plötzliche Geistesblitze in ihren irritierend blauen Augen spiegelten. Nach zwei Prosecco war Ruben schwer verliebt, und Berit tänzelte nicht minder beschwingt an seiner Seite Richtung Bürgermeisteramt.

Gina saß im Büro von Sybille Clarsen und blätterte in einem Terminkalender. Berit stellte Ruben vor.

Gina begrüßte ihn ohne großes Interesse. Sie wirkte ziemlich geschafft.

»Puh, ich glaube, diese Leute haben jeden Baum im Wäldchen gefilmt und jeden zweiten Pilger interviewt. Sie möchten gerne bei der nächsten Erscheinung filmen, aber das geht natürlich nicht. Allerdings haben sie ein Amateurvideo von der letzten. Was meinst du, Anwalt einschalten oder lassen wir sie senden?«

»Sollen sie doch senden. Wahrscheinlich ist sowieso nichts drauf zu erkennen. Ich hab nicht gesehen, dass jemand gefilmt hat, kann also kaum in der ersten Reihe gewesen sein. Und was ist mit der Talkshow?«

»Mit der Talkshow? Machst du Witze? Ich hab Einladungen für drei. Eigentlich wollten sie natürlich die Mädchen, aber das hab ich abgebogen. Bleibt zu hoffen, dass sie nicht auch noch an die Eltern direkt herantreten. Diese Martens vor der Kamera wäre eine Katastrophe. Sonst geht jedenfalls jeweils eine von uns. Wo willst du hin? Ich hab Hamburg, Köln und München zu vergeben.«

»Hamburg«, sagten Berit und Ruben wie aus einem Mund. In ihr Gekicher darüber platzten Claudia und Frau Martens ins Zimmer der Sekretärin. »Wie sieht es aus, haben Sie die Tests?«, fragte Claudias Mutter.

Berit seufzte. »Natürlich nicht. Sie haben doch gehört, dass Frau Wahl das nur den direkten Angehörigen der Mädchen offenbart.«

»Jetzt sind allerdings gerade Sophie und ihre Eltern bei ihr.« Gina wies auf die geschlossene Tür zum BeGin-Büro. »Wenn Sie also ein paar Minuten warten würden …«

Wie auf Stichwort ging in dem Moment die Tür auf. Herr und Frau Becker bedankten sich etwas linkisch bei Frau Wahl und reichten Berit dann einen Zettel.

»Hier, das ist das vorläufige Gutachten. Wir können noch ein ausführlicheres kriegen, wenn wir wollen, aber im Grund ist das nicht nötig. Sieht aus, als wäre unsere Sophie ziemlich durchschnittlich.« Frau Becker lächelte verschämt.

»Also als durchschnittlich würde ich Ihre Sophie nun keineswegs beschreiben«, mischte sich Ruben ein und warf einen Blick auf den bildhübschen Teenager.

Sophie hatte ihr Haar heute zu einem dicken Knoten im Nacken gewunden – wahrscheinlich wollte sie gleich noch zur Tanzstunde. Ihr schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen wirkte dadurch ausdrucksvoller, besonders die lang bewimperten Schneewittchenaugen. Ansonsten trug sie Jeans und ein T-Shirt mit der Aufschrift Murphy Family. Es war schon recht verwaschen, anscheinend gehörte es zu Sophies Lieblingsstücken.

Berit wartete, bis Frau Martens und Claudia im Büro nebenan verschwunden waren, und warf dann einen Blick auf das Gutachten.

»Sophie ist intelligent und aufgeschlossen, geistig ihrem Alter entsprechend entwickelt, eher introvertiert, aber nicht übermäßig schüchtern, sehr stark bewegungsorientiert, durchschnittlich fantasievoll, keine Anzeichen für Halluzinationen. Überhaupt sind keine psychischen Auffälligkeiten erkennbar; soweit ohne klinische Untersuchungen festzustellen, auch keine Anzeichen für Epilepsie oder andere Absenzen oder Anfälle auslösende Krankheiten. Der Gesamteindruck von Sophie entspricht dem einer normal entwickelten, gesellschaftlich angepassten Dreizehnjährigen. Fleiß, Ehrgeiz und Disziplin sind deutlich stärker ausgeprägt als üblich, was notwendig ist, wenn Sophie tatsächlich eine Ausbildung zur Balletttänzerin anstrebt. Die Prognosen dafür sind vom psychologischen Standpunkt aus sehr günstig.«

Sophie strahlte vor Stolz.

»Glauben Sie, dass ihr das helfen könnte, bei einer Ballettschule anzukommen?«, fragte Herr Becker.

Berit zuckte die Schultern. »Schaden wird’s jedenfalls nicht, aber ich denke, die wollen vor allem sehen, wie sie tanzt …«

»Da haben wir’s!« Frau Martens schwebte, einen ebenso flüchtig beschrifteten Zettel wie Beckers in der Hand, aus dem BeGin-Büro. »Claudia ist geistig völlig normal – hochintelligent, hochsensibel, fantasievoll, aber keine Spinnerin!«

Berit spielte mit ihrem Pony, und Gina biss sich auf die Lippen. Hoffentlich hatte sich Frau Wahl nicht auch über Claudias Schauspielambitionen ausgelassen.

»›Claudia erweckt den Eindruck einer sehr intelligenten, selbstkritischen und selbstbewussten Persönlichkeit, äußerst realistisch, extrovertiert und hochintelligent. Keine Anzeichen psychischer Auffälligkeiten oder gar geistiger Erkrankungen.‹ Ich hab’s gewusst! Von jetzt an wird man diesen Erscheinungen einen ganz anderen Stellenwert zumessen! Komm Claudia. Wollten wir nicht noch mal zum Wäldchen?« Frau Martens legte ihrer Tochter den Arm um die Schultern.

Claudia warf Berit und Gina einen ergebenen Blick zu.

»Ich müsste jetzt eigentlich noch Mathe machen …«

»Hätte ich nie gedacht, dass sie da noch mal freiwillig rangeht«, kommentierte Sophie, als Frau Martens und ihre genervte Tochter sich endlich entfernt hatten. »Sie hätte es auch morgen schnell bei mir abschreiben können …«

»Manche Leute sind einfach gestraft mit ihren Eltern …«, murmelte Frau Wahl. »Hat sich eigentlich mal jemand Gedanken gemacht, was aus Jesus von Nazareth geworden wäre, wenn er eine weniger exaltierte Mutter gehabt hätte?«