London – Buenos Aires – Glasgow
Es war Klatsches Idee. Er sagt, er hätte das früher immer gemacht, mit seinen Kumpels, als sie so vierzehn, fünfzehn waren. Ein paar Dosen Bier für jeden, eine Schachtel Zigaretten für alle, und dann ab zum Flughafen und rumspinnen.
Wir sitzen auf der Besucherterrasse. Die machen ein bisschen auf Bistro hier, mit ihren runden weißen Tischen und den verschnörkelten Stühlen. Wir sind nicht gern gesehen mit unseren Blechdosen, aber das juckt uns nicht. Wir trinken Bier und rauchen Zigaretten und verabschieden Flugzeuge in den grauen Hamburger Himmel. Die Wolken hängen in Schichten, und sie ziehen schnell. Es ist noch nicht mal August, aber man kann den Herbst schon riechen.
»Das war’s mit dem Sommer«, sage ich.
»Macht nichts«, sagt Klatsche und verschränkt die Hände hinterm Kopf. »Das muss so in Hamburg. Kurz, aber heftig.«
*
Der Calabretta ist mit dem Schulle und dem Brückner und vier Einsatzwagen gekommen.
Als ich ihn angerufen und von meiner Vermutung erzählt habe, war ihm sofort klar gewesen, dass ich recht hatte.
Er hat das Restaurant im großen Stil auseinandergenommen. Alle Gäste rausgeschmissen, alle Angestellten im Gastraum zusammengetrieben. Dann die Küche gefilzt und den Müll durchsuchen lassen. Im Kühlraum haben sie die Leiche eines jungen Mannes gefunden, hinter ein paar Schweinehälften. Die Leiche hing an einem Haken, sie war ausgeblutet und fertig für die Verarbeitung. Kopf, Hände und Füße waren sauber abgetrennt. Die wurden von einem Beamten im Container gefunden, in einem schwarzen Müllsack, fest mit Paketband verklebt. Die KTU hat am nächsten Tag DNA-Spuren gefunden, in der Küche und im Kühlraum. Die Spuren gehörten zu Dejan Pantelic und Jürgen Rost. Der Mord an Hendrik von Lell ist offiziell weiter ungeklärt. Da konnte nichts bewiesen werden.
Es war ein ziemliches Tohuwabohu, als der Calabretta angerauscht kam. Die Fahndung nach der Köchin Jules Thomsen und der Kellnerin Suzanna Petersen ist dann auch relativ spät rausgegangen. Weil einer von den Beamten gepennt hat. Er war ein bisschen abgelenkt von einem alten Kollegen, den er lange nicht mehr gesehen hatte, und er war so überrascht, dass der da plötzlich neben ihm stand, mit seinem Hut und seinen Roth-Händle-Zigaretten, und ihn vollsabbelte.
Dumm gelaufen. Die Fahndung hätte einfach schneller rausgemusst.
*
»Wie war das noch mit dem Flieger nach Buenos Aires?«, fragt Klatsche und nimmt einen Schluck Bier.
»Jeden Tag«, sage ich, »ab London.«
Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und schaue in den Himmel. London ist nur eine Flugstunde, aber harte Passagierkontrollen entfernt.
»Nach London kann man’s von Hamburg aus gut schaffen«, sagt Klatsche.
»Ich weiß nicht«, sage ich. »Wie denn?«
»Mit dem Schiff«, sagt er, »als blinder Passagier.«
»Das glaub ich nicht«, sage ich.
»Machen so viele«, sagt Klatsche. »Hab ich auch schon gemacht. Kriegt keine Sau mit. Ist nicht schwierig und ’ne gute Sache, wenn man nicht fliegen will. Man muss nur ein bisschen clever sein.«
Klatsche zerdrückt seine Bierdose und macht sich noch eine auf.
»Wollen wir nicht übers Wochenende abhauen?«, fragt er.
»Warum das denn?«, frage ich.
»Weil wir das noch nie gemacht haben«, sagt er. »Wir waren noch nie zusammen weg.«
Ich zünde mir eine Zigarette an. Ich wüsste jetzt gar nicht, wohin.
»Wohin denn?«, frage ich.
»In zwei Stunden geht eine Maschine nach Glasgow«, sagt er. »Hab ich vorhin gesehen. Glasgow ist ein bisschen wie Hamburg. Wär nicht so ’n Schock für dich.«
»Mein Urgroßvater kam aus Glasgow«, sage ich.
Schottland. Könnte man machen.
Wir trinken aus, kaufen zwei Tickets und zwei Zahnbürsten, und dann checken wir ein.