Der Winter ist hart, der Sommer ’n Witz.

Der schöne Tag am See endet mit Donner und Blitz.

Der Wind peitscht, Kragen hoch, Kopf runter, Tunnelblick,

die Pullis und Jacken machen Magersüchtige pummelig.

Wir müssen mit allem rechnen, weil man hier sonst erfriert,

Deswegen wirken wir so komisch und so kompliziert.

So viele Strapazen und dennoch kein Grund, umzusiedeln.

Das Herz am rechten Fleck, die Füße in Gummistiefeln.

Der Grund, warum die Leute hier gern leben,

weil die Leute erst fühlen, dann denken, dann reden.

Und egal, wie es nervt, das ständige Grau, das Sonnenlose,

Wir zeigen stets Flagge, rot-weiß wie Pommessoße.

Ich sage, Hamburg ist die Hälfte von zwei.

Die Schönste, die Nummer eins, das Gelbe vom Ei.

Und statt unsympathisch, jung-dynamisch wie Friedrich Merz.

ist hier alles laid back, relaxed und friesisch herb.

Hamburg – nicht verwechseln mit Hans Wurst,

denn selbst der kleinste Pimmel hier ist nicht ganz kurz.

Also scheiß auf Tief Anna, Tief Berta, Tief Cora.

Dafür ham wir Musik, ham den Kiez, ham die Flora.

Oh ja, scheiß drauf, wir sind’s gewöhnt.

Wir finden’s schön, und außerdem, bei euch im Süden von der Elbe,

da ist das Leben nicht dasselbe.

Denn dort im Süden von der Elbe,

da sind die Leute nicht dasselbe.

Es ist arschkalt, scheiß Sturm, und es regnet wieder.

Apotheker fahr’n Porsche dank der Antidepressiva.

Das ist kein Winter, nee, wir haben das jeden zweiten Tag.

Das ist Hamburg, Mann, willkommen in meiner Heimatstadt.

Moin, ist doch klar, dass so ein rauhes kühles Klima prägt,

sich über Jahrhunderte auf die Gemüter niederschlägt.

Heißt, nicht mit jedem reden und nicht jeder Sau trau’n

Wir brauchen halt ’ne kleine Weile, bis wir auftau’n.

Tja, man glaubt’s kaum, aber dann sind wir echt kuschelig.

Hamburg ist ein derber Beat und schön und schmuddelig.

Und der Hafen, der ist das Herz, die Bassline

Fuck Internet, wir war’n schon immer mit der Welt eins.

 

Absolute Beginner, City Blues

Liebe in Zeiten der drückenden Hitze

Das ist ja das Besondere am Hamburger Sommer: Die Nacht fällt so gut wie aus. Bis auf ein paar Stunden zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens wird es gar nicht richtig dunkel, das ist von Mai bis August einfach Standard, da kann man sich drauf verlassen.

Und dann gibt es auch noch Abende wie diesen. Die sind so schön und so warm, dass man echt auf der Hut sein muss. Man könnte Sankt Pauli sonst nämlich mit einer Stadt im Süden verwechseln, vielleicht sogar mit einer Stadt am Meer, und dann ist die Heulerei groß, wenn es vielleicht schon morgen Abend wieder regnet und die Stadt wieder zurück im Norden ist. Ein Abend wie dieser legt sich einem wie warme Milch um den Körper, lauschig und weich, immer noch aufgeheizt, und ohne jeden Anflug von Wind oder Nieselregen, ohne das, was das Wetter hier sonst manchmal so anstrengend macht. Dafür gibt es eine gewaltige Kelle Leuchtfarbe am Horizont. Orangerotrosa auf taubigem Blau. Eine Spektakelfarbe.

Es ist so gegen halb zehn. Nachdem ich beim Faller war, bin ich noch mal zurück in die Staatsanwaltschaft, mir die Opferaussagen für meinen Prozess ins Hirn prügeln. Ich will sie bis Montag auswendig können, sie jederzeit abrufbar in meinem Inneren tragen. Ich will, dass sie mehr werden als nur Sätze. Ich brauche sie als ein Gefühl. So halte ich die Wut am Kochen, das ist gut. Wegen der Leichenteile lasse ich die beiden Jungs erst mal machen. Die flöhen jetzt ihre Vermisstendateien. Wir treffen uns dann morgen früh im Präsidium. Man muss ja auch delegieren können.

Auf Sankt Pauli riecht es nach Seeluft und Grillkohle, nach kühlem Bier, warmer Elbe und dunklen Ecken. Es ist ja so, dass es hier im Viertel nicht besonders viele Gärten gibt, also wird die Straße zum Garten, und da sitzen sie dann an Abenden wie heute, die Sankt-Paulianer, und schwitzen und feiern den Sommer und die Tatsache, dass sie auf der Welt sind, und zwar genau hier. Manche sitzen offiziell vor den Kneipen auf ordentlichen Sitzmöbeln und mit Konzession. Die meisten sitzen aber inoffiziell vor den Kneipen, auf ein paar rausgetragenen Sesseln ohne Konzession. Oder einfach so auf dem Asphalt, vor den Bars und den Häusern, und da wird dann eben gegrillt und getrunken und gesabbelt. Dazu passt auch irgendwie, dass die Elbe bei solchen Temperaturen immer kurz vorm Umkippen ist. Der süßliche Geruch macht alles noch einen Tick schwüler und südländischer. Und dann die Ecken und die Torbögen. Da bin ich dann immer kurz vorm Umkippen, so schlimm stinkt das. Ich glaube, an diesem Geruch würde sich nicht mal dann was ändern, wenn man auf dem Kiez alle fünf Meter Toiletten aufstellen würde, in denen Gold verschenkt wird, falls sie benutzt werden. Wobei sich natürlich keiner, der hier wohnt, einfach an eine Ecke oder in einen Hauseingang stellt und da hinpisst. Das machen nur die Leute aus den anderen Vierteln und die Touristen. Irgendwann fahre ich mal mit einer besoffenen Fußballmannschaft nach Eppendorf und Eimsbüttel und Winterhude und auch noch in die ganzen Vorstädte, und dann pinkeln wir da so viele Türen an, wie wir schaffen.

Aber was soll’s. Vergessen wir’s. Der Kiez riecht nun mal so. Riecht vielleicht nicht fein, aber immerhin nach zu Hause.

Ich kaufe mir im Kiosk noch ein paar Zigaretten und ein Bier. Vom Kiosk aus kann ich meinen Balkon sehen, das vermüllte Ding daneben ist der Balkon von Klatsche. Meiner macht jetzt auch nicht wahnsinnig viel her mit seiner verschlissenen Piratenflagge, einem vernachlässigten Weinstock und einem wackeligen alten Stuhl. Aber Klatsches Balkon ist eine echte Katastrophe. Der sieht fast noch trauriger aus als sein armer alter Volvo, und der hat das schon nicht leicht. Allerdings muss der Volvo nur einfachen Hausmüll transportieren. Der Balkon bleibt auf dem Sperrmüll sitzen. Zweieinhalb Fahrräder, eine Schaufensterpuppe ohne Kopf, fünf Bierkisten, ein fettiger Grill vom Sommer 2003, ein Fernseher ohne Bildröhre. Vor zwei Monaten, an einem der ersten schönen Abende im Mai, wollte Klatsche mich auf seinen Balkon einladen. Ich hab mich sofort gefragt, wie das gehen soll. Ihm ist dann im letzten Moment plötzlich auch aufgefallen, dass das vielleicht ein bisschen schwierig werden könnte. Als er mit einer Flasche Wein in der Hand die Balkontür aufmachen wollte, sie aber leider nicht aufgekriegt hat wegen dem ganzen Gerümpel.

»Oh«, hat er gesagt, »da hab ich jetzt gar nicht mehr drangedacht.«

Ich hab nichts gesagt und ihn auf meinen Balkon bugsiert, und da saßen wir dann, bis der Morgen um die Ecke geschlichen kam. Wir machen das ja selten, solche Pärchengeschichten wie irgendwo rumsitzen und in die Nacht starren. Aber wir sind ja auch kein Pärchen. Wir sind zwei Leute, die immer wieder aneinander kleben bleiben. Freunde, Nachteulen, Verbündete. Und ab und zu kriegt uns die Romantik zu fassen. Aber dann wächst sie uns auch schnell wieder über den Kopf, und wir wissen gar nicht mehr, was wir damit anfangen sollen, und dann kippt das fast zwangsläufig um und schmeckt schal, und wir stehen dumm in der Gegend rum, wenn wir uns treffen. Meistens machen wir dann eine Kneipentour und besiegeln unsere Freundschaft neu und stolpern für ein paar Wochen nicht beim anderen ins Bett. Klatsche stolpert in solchen Zeiten gern auch mal in andere Betten, er sagt, das sei ein Versehen und nicht so gemeint. Dass er es nicht so meint, glaube ich ihm sogar, dass es sich um ein Versehen handelt, nicht. Aber ich denke mir oft, dass der Junge eben auch ein Junge ist, mit gerade mal Mitte zwanzig und Testosteron bis zum Hals, und deshalb versuche ich, es nicht zu persönlich zu nehmen.


Ich schließe die Haustür auf, gehe die Treppen hoch in den dritten Stock, und statt gleich meine Tür aufzuschließen, klopfe ich erst mal an die von Klatsche. Es dauert ein bisschen, dann höre ich ein Schlurfen, dann ein Gähnen, dann geht die Tür auf. Klatsche trägt eine zu große hellblaue Boxershorts und ein zu kleines dunkelgrünes T-Shirt, das um den Kragen herum ziemlich abgewohnt aussieht. Seine Haare stehen in alle Richtungen ab, die Kippe in seiner Hand muss schon vor einer Weile ausgegangen sein. Er sieht aus wie ein Räuber.

»Hey, Frau Staatsanwältin«, sagt er.

»Hey«, sage ich. »Was machst du?«

»Ich liege vorm offenen Kühlschrank«, sagt er.

»Kann ich mitmachen?«, frage ich.

»Klar«, sagt er, »ich werde doch mein Mädchen nicht in dieser Hitze krepieren lassen.«

Er zieht mich durch die Tür und gibt mir einen Kuss auf den Scheitel.

»Ich bin nicht dein Mädchen«, sage ich.

»Ich weiß, Baby, ich weiß.«