Sex im Gehirn

 
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»Hmm … hier steht: ›Jetzt Dorn A in Schlitz B einführen.‹«

 

Leidenschaft, Verblendung, Vernarrtheit, romantische Liebe, Anziehung, Begehren, Lust – mit solchen Wörtern umschreiben wir Gefühle der Ekstase und Euphorie, der Glückseligkeit und Verzückung, die fast jeden irgendwann einmal erfassen. Damit einher gehen aber auch Empfindungen von Angst, Qual, Schmerz, Trübsal und Trauer.

Seit Jahrtausenden versuchen Fachleute mit mäßigem Erfolg, Liebe zu definieren. Bisher sind sie dabei meist zu dem Schluss gekommen, dass diese Liebe irgendwie von Kräften außerhalb unserer selbst gesteuert sein müsse, von einer mystischen, übernatürlichen oder spirituellen Macht. Andere menschliche Emotionen wie Depressionen, Ängste, Zwangsvorstellungen und Sorgen werden dagegen problemlos kategorisiert und eingeordnet.

Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts verspüren die Menschen eine tiefe spirituelle Sehnsucht nach Liebe. Denn die engen Bindungen an Freunde, Familie und Partner, die mehrere Jahrtausende lang die Norm waren, hatten sich aufgelöst, die alten gesellschaftlichen Strukturen brachen zusammen. Wir sind ursprünglich als Art entstanden, die ihre Kinder umsorgt, in der einer den anderen schützt, liebt und von ihm abhängig ist, in der man in gesellschaftlichen und familiären Einheiten zusammenlebt. Die Älteren kümmerten sich um die Kinder, während die mittlere Generation arbeitete und Nahrung sammelte. Abends erzählten die Alten den Kindern Geschichten und vermittelten ihnen ihr kulturelles Erbe und ihre Lebenserfahrungen.

Diese Familienstruktur besteht heute nur noch in Teilen des Nahen Ostens, Asiens, des Mittelmeerraums und in den meisten Gesellschaften der Dritten Welt. Da in unserer Gesellschaft immer mehr Menschen Singles bleiben oder allein leben, wächst diese kulturelle Kluft weiter. Eine Million Jahre, vielleicht noch länger, waren Gesellschaften so strukturiert, dass sie Männer und Frauen zusammenbrachten; die modernen Gesellschaften dagegen treiben sie auseinander. Die Erosion der grundlegenden Familienstruktur hat zu einem Werteverlust geführt, zu vaterlosen Kindern und einem emotionalen Chaos.

 

Gleiche Ziele, unterschiedliche Prioritäten

 

In Bezug auf Sex und Liebe haben Männer und Frauen sehr unterschiedliche Prioritäten, die jeweils tief in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit wurzeln.

 
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Allgemein gesagt interessieren sich Männer heute wie schon in der Steinzeit vor allem für visuelle Reize und Zeichen weiblicher Gesundheit, Fruchtbarkeit und Jugend, während Frauen sich vor allem von Macht, Status, Engagement und materiellen Ressourcen eines Mannes angesprochen fühlen – genau wie ihre Vorfahrinnen. Eigentlich hat sich also in Hinblick auf unsere sexuellen Antriebe und Wünsche in den letzten Jahrtausenden kaum etwas geändert. Mit dieser Feststellung erregt man in einer politisch korrekten Welt, in der es »in« ist, zu behaupten, Männer und Frauen wollten im Leben das Gleiche und hätten dieselben Motivationen, Vorlieben und Bedürfnisse, leicht Anstoß. Wenn Sie freilich weiterlesen, werden Sie erkennen, dass solche gesellschaftlich erwünschten Behauptungen einfach nicht stimmen.

Eigentlich wissen auch Sie das tief in Ihrem Inneren schon lange. Einflussreiche Meinungsmacher wie Politiker, Kirchenfunktionäre, feministische Gruppen und andere politisch motivierte Menschen erhalten diese Mythen aufrecht. Doch wenn man auch nur ein wenig Erfahrung im Umgang mit Männern und Frauen hat, mit ihnen zusammenarbeitet oder sie führt, weiß man, dass sie ganz und gar nicht dasselbe wollen.

 

Die Macht der Liebe

 

David Buss, Psychologieprofessor an der University of Texas in Austin, ist für seine Forschungen zur evolutionären Entwicklung menschlicher Geschlechterdifferenzen bei der Partnerwahl international anerkannt. Mit seinem Team suchte er in 147 Kulturen nach Zeugnissen für Liebe und fand sie in Höhlenmalereien ebenso wie in Handschriften, Gedichten, Liedern und Büchern. Die meisten Menschen sehen nur die positiven Seiten der Liebe – sie denken an tiefe Blicke unter Liebenden, Händchenhalten, Liebeslieder, Sex und warme, kaum fassbare Gefühle – das ganze »Und lebten glücklich bis an ihr seliges Ende«-Zeug.

Doch Liebe hat auch eine dunkle Seite. Buss und andere Forscher fanden in der gesamten Menschheitsgeschichte Belege für Liebestränke, Liebeszauber, Selbstmord und Mord nach gescheiterten Beziehungen. Ein Viertel aller Morde ist auf unerwiderte, verletzte und verlorene Liebe zurückzuführen. Ehepartner, Rivalen, Stalker und verlassene Geliebte müssen immer wieder ihr Leben lassen. Und fast jede Kultur kennt Geschichten wie die von Romeo und Julia. Das dramatische Bedürfnis nach Liebe erfüllt uns sowohl mit freudiger Erregung als auch mit Verzweiflung, Ängsten und Rachegelüsten, und das alles oft gleichzeitig.

Eben weil die Liebe zwischen Mann und Frau universell und in jeder menschlichen Kultur weltweit zu Hause ist, muss es eine biologische Basis für dieses Gefühl geben. Sie kann, mit anderen Worten, nicht einfach eine kulturelle Tradition sein wie Götzenanbetung oder Religion. Vielmehr ist Liebe etwas sehr Mächtiges und in jedem von uns angelegt.

 

Die Biologie der Liebe

 

Wissenschaftler haben sich mit den Vorgängen im Gehirn von Liebenden beschäftigt und dabei drei unterschiedliche Phasen mit jeweils charakteristischen Abläufen gefunden: Begehren, Liebe und langfristige Bindung.

Jede dieser Phasen ist mit einer anderen Hormonaktivität verbunden, die bestimmte Gefühle und Verhaltensänderungen bei Liebenden hervorruft. Wenn man Liebe nach diesen drei Phasen mit den dazugehörigen neuronalen Vorgängen beurteilt, kann man leichter nachvollziehen, in welcher Phase sich jemand gerade befindet, und dessen Handeln besser verstehen.

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Ziel dieses Kapitels ist es, die grundlegenden Gehirnfunktionen, die das Begehren, die Liebe und die langfristige Bindung steuern, kennenzulernen. Wenn wir von einzelnen Gehirnregionen sprechen, muss man noch hinzufügen, dass diese Regionen immer Teil eines umfassenden neuronalen Netzes sind (wir danken Professor Graeme Jackson vom Brain Research Institute in Melbourne für seine Anmerkungen zu diesem Thema). Wir haben die Zusammenhänge und Erklärungen leicht vereinfacht, um sie für unsere Leser verständlicher zu machen. Gleichzeitig haben wir aber darauf geachtet, die dahinterstehenden Ideen und Konzepte nicht durch eine allzu simple Darstellung zu verfälschen.

Die Ergebnisse der Gehirnforschung sind von entscheidender Bedeutung für das Verständnis dieses Buches. Für Leser mit Vorkenntnissen greifen wir auf die medizinische Terminologie zurück, aber eigentlich müssen Sie nur verstehen, wie sich das, was sich im Kopf abspielt, auf Ihr Liebesleben auswirkt. Wir werden Prinzipien besprechen, die sich auf gängige Situationen beziehen und bei den meisten Menschen funktionieren, nicht jedoch das Verhalten von Minderheiten und Ausnahmen.

Liebe ist das Ergebnis einer Aktivität von chemischen Stoffen und Schaltungen in bestimmten Gehirnregionen. In einfachen wissenschaftlichen Begriffen ausgedrückt: Liebe wird durch eine Kombination von Hormonen – darunter Dopamin, Oxytocin, Testosteron, Östrogen und Noradrenalin – aus gelöst. Auf ähnliche Weise bringen diese chemischen Stoffe auch andere Säugetiere dazu, passende Partner zu finden. Sobald unser Gehirn, ausgehend von bestimmten Kriterien (die wir noch ansprechen werden) einen passenden Partner aus ge macht hat, produziert es diese Hormone, die eine anziehende Umgebung für den Auserwählten schaffen sollen, im Überfluss.

In der Geschichte der Menschheit wurden Ehen auf der Grundlage von Geld, Status, Familienrivalitäten, Stammeszugehörigkeiten und politischen Erwägungen arrangiert. Heute ist dieser Ansatz in der westlichen Welt weitgehend verschwunden, und die meisten Menschen heiraten aus Liebe.

Bei der Partnerwahl konzentrieren sich die Menschen auf eine Person. Dies unterscheidet sie von den meisten Tieren. Ein balzender Täuberich zum Beispiel spreizt seine Federn und nähert sich so vielen potentiellen Partnerinnen, wie es seine Kraft erlaubt. Menschen dagegen haben üblicherweise eine kleine Auswahlliste möglicher Kandidaten, fokussiert sind sie aber meist auf einen einzigen.

 

Liebe auf den ersten Blick

 

Das Phänomen »Liebe auf den ersten Blick« ist wissenschaftlich belegt und findet sich auch bei den meisten Säugetier arten.

 

Beim Einkaufen im Supermarkt warf Ray zwischen den Cornflakes-Packungen einen zufälligen Blick in den Gang mit den Süßigkeiten. Was er dort sah, überwältigte ihn. Er spürte eine Euphorie, fast so, als hätte er Drogen genommen. Dort stand eine Frau, die ihm einfach den Atem raubte. Sie war nicht schön im üblichen Sinn, aber sie hatte etwas Einzigartiges an sich, und er fühlte sich magnetisch von ihr angezogen. Schon bei ihrem bloßen Anblick hatte er feuchte Hände vor Aufregung und Schmetterlinge im Bauch.

Doch während er noch in diesem Hochgefühl, sie gefunden zu haben, schwelgte, spürte er auch schon Verzweiflung, denn er würde sie nie bekommen.

 

Bei Liebe auf den ersten Blick schüttet das Gehirn Unmengen der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin aus – man hat das Gefühl, unter Drogen zu stehen. Tieren geht es da ähnlich. Nehmen wir zum Beispiel die Präriewühlmaus, die den Rennmäusen ähnelt. Wenn man eine weibliche Maus auch nur am Urin einer männlichen Maus schnuppern lässt, erlebt sie die gleiche chemische Reaktion wie der Mensch: eine Woge von Dopamin und Noradrenalin. Eine Studie zeigt, dass bei Schafen, die gerade brünstig sind, allein schon Bilder von Böcken einen Anstieg des Noradrenalinspiegels auslösen. Dieser Effekt wirkt bei den meisten Tieren sekunden- oder minutenlang – bei Menschen kann er Monate oder Jahre andauern.

Heute sind sich die Forscher darüber einig, dass es Liebe auf den ersten Blick wirklich gibt. In einer stabilen Gesellschaft, deren Mitglieder nicht von Tod oder Krieg bedroht sind, bietet die Abfolge von Begehren, Liebe und langfristiger Bindung wohl auch die beste und effizienteste Möglichkeit, das Überleben der Art zu sichern.

 

Alles Darwins Schuld

 

Sexuelles Begehren entsteht durch einen Anstieg der Sexualhormone, vor allem von Testosteron und Östrogen. Diese Hormone verursachen ein starkes Bedürfnis nach körperlicher Befriedigung. Hierbei sind zwei wichtige Gehirnteile aktiv: der Hypothalamus, der unsere Urtriebe wie Hunger und Durst kontrolliert, und der Mandelkern, das Zentrum der emotionalen Erregung. Sie schütten enorm viel Dopamin aus und regen damit die Produktion von Testosteron an, das wiederum die sexuelle Anziehung steuert. Dies alles geschieht, wenn man den ersten Blick auf jemanden wirft und gleich das überwältigende Bedürfnis verspürt, diese Person zu »bekommen«.

Eine Studie, die 2006 an der University of Chicago durchgeführt wurde, hat gezeigt, dass bei Männern selbst während einer zufälligen Unterhaltung mit einer unbekannten Frau der Testosteronspiegel um etwa ein Drittel steigt und sich das Verhalten eines Mannes umso stärker ändert, je stärker diese hormonelle Reaktion ist. Die Testosteronwerte bei verheirateten Männern und Vätern sind dabei deutlich niedriger als bei alleinstehenden Männern, die »noch auf dem Markt« sind, weil die Väter in ihrer nährenden Elternrolle höhere Oxytocinspiegel haben als Singles, die noch nach jemandem suchen, dem sie ihre Gene weitergeben können.

Sexuelle Lust hat sich in der Evolution entwickelt, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Sie war in extrem schwierigen Lebensumständen notwendig, in denen keine Zeit für Romantik blieb. Außerdem können Frauen nur einen Nachkommen pro Jahr zur Welt bringen, was bedeutet, dass die Menschheit ohne sexuelle Begierde vom Aussterben bedroht wäre. Weil wir uns so langsam fortpflanzen, hat Mutter Natur uns zu leidenschaftlichen Zeugern gemacht. Deshalb empfinden Menschen in gefährlichen und bedrohlichen Situationen, etwa im Krieg, manchmal plötzlich selbst bei völlig fremden Menschen sexuelle Lust. Wenn ihr Leben in Gefahr ist, verspüren sie den unmittelbaren Drang, ihre Gene weiterzugeben.

Kurz gesagt: Lust oder Begehren, Liebe auf den ersten Blick und die obsessiven, zielgerichteten Aspekte noch junger Liebe sind Verhaltensformen, die sich in der Evolution entwickelt haben, um die Partnersuche zu beschleunigen und die menschliche Reproduktion zu sichern.

 

Bindung durch Hormone

 

Vor allem das Hormon Testosteron ist für den Geschlechtstrieb verantwortlich. Männer haben davon zehn- bis zwanzig-mal mehr als Frauen. Es macht sie haariger, größer, stärker, aggressiver und auch geiler als die Frauen. Oxytocin dagegen ist bei Männern Mangelware. Dieses sogenannte »Kuschelhormon« wird von Männern wie Frauen beim Orgasmus in großen Mengen ausgeschüttet, verschwindet bei Männern jedoch genauso schnell, wie es gekommen ist. Deshalb wollen Frauen nach dem Sex kuscheln, während Männer – nun ja …

Im Jahr 2006 identifizierte Rebecca Turner, Professorin für Organisationspsychologie an der Alliant In ternational University in San Francisco, Oxytocin als den Klebstoff emotionaler Bindungen. Wenn Menschen zum Paar werden – oder »sich verlieben«, wie wir es nennen –, sind die Oxytocinspiegel beiderseits hoch. Das Hormon schenkt uns dieses wohlig warme Gefühl für den Menschen unseres Herzens.

Wegen ihrer höheren Oxytocinwerte verlieben sich Frauen zu Beginn einer neuen Beziehung intensiver als Männer. Je mehr Oxytocin sie produzieren, desto fürsorglicher werden sie und desto intensiver lassen sie sich auf jemanden ein. Allein schon der Name ihres Geliebten, ein Tagtraum über ihn, ein bestimmter Geruch oder ein Lied, das sie mit ihm verbinden, lässt ihren Oxytocinspiegel steigen. Teure Kleidung und perfektes Make-up, selbst Unmengen von Schmuck oder ein neuer Sportwagen können kaum über die Gefühlslage einer Frau hinwegtäuschen: Ein Blick genügt, um zu sehen, wie es ihr wirklich geht. Wenn sie sich geliebt und bewundert fühlt, drücken die Hormone Blut in ihre Wangen, lassen sie »strahlen«, und sie verströmt Wärme. Wenn sie sich ungeliebt und vernachlässigt fühlt, sieht man das ebenfalls sofort.

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Die Untersuchungen von David Buss haben gezeigt, dass bei Paaren in der Phase der ersten Verliebtheit die Testosteron-werte der Männer sinken und ihre Oxytocinwerte steigen, um den Bindungsprozess zu beschleunigen. Dadurch werden Männer weicher, sanfter und lockerer. Gleichzeitig steigt der Testosteronspiegel der Frauen mit der Erregung und dem Selbstvertrauen, das sie zu Beginn einer neuen Beziehung spüren. Auch die sexuelle Lust der Frauen wächst, und das Paar gibt sich der Illusion hin, der männliche und der weibliche Sextrieb seien gleich stark ausgeprägt.

Nach drei bis neun Monaten geht diese »Marathonsex«Phase allerdings dem Ende entgegen, und die sexuellen Bedürfnisse beider Geschlechter nähern sich wieder der »Ausgangsposition«. Der Mann kommt zu dem Schluss, dass sie den Spaß am Sex verloren hat, und sie hält ihn für eindeutig erotoman. Viele Beziehungen enden an diesem Punkt.

 

Warum Liebende so verrückt aufeinander sind

 

Josephine, eine 33-jährige alleinstehende Mutter, hatte sich lange ganz der Erziehung ihrer Kinder gewidmet. Seit einem halben Jahr war sie wieder berufstätig und nahm jetzt erstmals an der Weihnachtsfeier ihres Unternehmens teil, die auf einem Kreuzfahrtschiff im Hafen von Sydney stattfand.

Sie sah groß artig aus und bekam viele Komplimente und bewundernde Blicke von ihren männlichen Kollegen. Dadurch stieg ihr Selbstbewusstsein, sie fühlte sich schön. Als das Schiff im Mondschein kreuzte, stellte man ihr Rick vor, einen gut aussehenden neuen Manager aus der Firmenniederlassung in Melbourne. Schon beim Händeschütteln begann ihr Herz zu rasen. Er war groß, dunkelhaarig, attraktiv, brachte sie zum Lachen, und offenbar fühlte er sich von ihr genauso angezogen wie sie sich von ihm. Nach einem wunderbaren Abend mit Tanz und gutem Essen unterhielten sie sich bis in den frühen Morgen hinein und verbrachten den ganzen nächsten Tag und Abend zusammen. Josephine hatte das Gefühl, jemand hätte sie verzaubert. Sie kehrte gern zu ihren Kindern nach Hause zurück, aber in Gedanken war sie bei Rick. Immer wieder fragte sie sich, ob er sie auch so sehr vermisste wie sie ihn. In den nächsten Tagen konnte sie kaum etwas essen – sie konnte nur an ihn und die schöne gemeinsame Zeit denken. Sie rief ihn jede Stunde an, nur um ihm zu sagen, dass sie an ihn dachte, und schickte ihm wiederholt tief in der Nacht eine SMS. Sie kaufte Geschenke für ihn, um ihm zu zeigen, wie wichtig er für sie war. Ihre Kinder fühlten sich allmählich vernachlässigt und verhielten sich entsprechend, aber das schien ihr egal zu sein. Sie sagte den Zahnarzttermin ihres Sohnes ab und kaufte mit dem eingesparten Geld ein Flugticket, um Rick zu treffen. Sollte sie denn nicht auch einmal an ihre eigenen Bedürfnisse denken und ein eigenes Leben haben?

 

In vielerlei Hinsicht ähnelt das veränderte Verhalten von Menschen, die verliebt sind, dem von Psychotikern, und leidenschaftliche Liebe kommt aus biochemischer Sicht dem Drogenmissbrauch ziemlich nahe. Dr. John Marsden, Leiter des British National Addiction Centre, hat festgestellt, dass Verliebtheit ähnlich süchtig macht wie Kokain und Speed. Er kommt zu dem Schluss, dass sie die Partner so lange zusammenhalten soll, bis sie eine Beziehung aufgebaut haben. Die Anthropologin Dr. Helen Fisher, Autorin von Anatomie der Liebe, beschrieb das Sich-Verlieben als einen bestimmten Ablauf chemischer Reaktionen im Gehirn, der dem bei einer Geisteskrankheit ähnelt. Laut Dr. Fisher werden beim Kokainkonsum genau dieselben Gehirnwindungen aktiv wie bei Verliebtheit, und man spürt in beiden Fällen ein intensives Hochgefühl. Wissenschaftler sehen bei der Liebe außerdem die gleichen Signalübertragungswege beteiligt wie beim Botenstoff Dopamin, der eng mit Euphorie, Verlangen und Abhängigkeit verbunden ist.

 

Mir läuft ein Schauer über den Rücken

 

Die chemischen Stoffe, die bei einer neuen Liebe im Gehirn freigesetzt werden, führen zu bestimmten Gefühlen und Reaktionen, die etwa 90 Prozent der Frischverliebten an sich beobachten. Dazu zählen Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Hitze wallungen, Hochstimmung, Unbeholfenheit, Euphorie, Schmetterlinge im Bauch, schnelles Atmen, Benommenheit, weiche Knie, Herzklopfen, schwitzige Hände und Stottern. Viele dieser Reaktionen sind mit der Angst verbunden, von der bzw. dem Geliebten zurückgewiesen zu werden. Und so ist der Körper einem evolutionären Doppelangriff von Erregung und gleichzeitiger Angst ausgesetzt. Frischverliebte erleben diese Emotionen nicht nur selbst, sondern suchen auch ständig im Gesicht des Partners nach Zeichen dafür, dass es ihm genauso geht.

Carole King hat diese chemischen Reaktionen 1970 in ihrem Lied »I Feel the Earth Move Under my Feet« wunderbar zusammengefasst. Darin beschreibt sie, wie es ihr heiß und kalt über den Rücken läuft, ihre Gefühle Achterbahn fahren, ihr Herz bebt und sie den Boden unter den Füßen verliert, sobald ihr Geliebter in der Nähe ist. Diese Reaktionen sind auch bei Drogenabhängigkeit üblich.

Liebe kann eine wunderbare Achterbahnfahrt sein, und für die meisten Menschen kommt sie ganz unerwartet. Ohne Vorwarnung schießen die Gefühle aus dem primitiven Teil des Gehirns, der Großhirnrinde, überwältigen den rationalen, denkenden Teil und führen dazu, dass sich Liebende irrational verhalten – ähnlich wie die Fluchtreaktion dafür sorgt, dass man wegrennt, wenn plötzlich ein Löwe vor einem steht, statt ruhig über einen Ausweg nachzudenken.

Die Euphorie der Liebe hat Künstler zu eindringlichen Liebesliedern und Melodien wie auch zu starker, anrührender Dichtung inspiriert. Sie kann Menschen aber auch zu Eifersucht und Paranoia treiben. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Liebe unsere Gesundheit entscheidend verbessern, ja selbst Krebs und andere Krankheiten heilen kann. Liebe bringt uns sogar dazu, weiter mit Menschen zusammenzuleben, die uns eigentlich nicht guttun, etwa mit prügelnden Partnern.

 

Ich kann nicht schlafen und nichts essen

 

Menschen, die die Verliebtheitsphase durchlaufen, werden oft als »liebeskrank« bezeichnet. Sie bekommen keinen Bissen hinunter, schlafen schlecht und zeigen zwanghafte Verhaltensmuster, etwa, wenn sie ihren Partner 20- bis 30-mal am Tag anrufen. Diese Verhaltensweisen werden inzwischen auf eine Kombination aus niedrigem Serotonin- und hohem Oxytocinspiegel zurückgeführt. Serotonin ist der Botenstoff, der uns gesteigerte Wahrnehmungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen für unsere Umgebung und allgemeines Wohlgefühl vermittelt.

Depressionen und Essstörungen sind ebenfalls mit niedrigen Serotoninwerten verbunden, Antidepressiva zielen daher auf eine Erhöhung dieser Werte. Frauen haben von Natur aus etwa 30 Prozent mehr Oxytocin im Körper als Männer, und dies kann, verbunden mit einem niedrigeren Serotoninspiegel, erklären, warum sie eher »verrückt nach jemandem« sind und manchmal sogar zwanghaft lieben.

 
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2007 führten Serge Brand und seine Kollegen von den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel Gespräche mit 113 Teenagern im Alter von etwa 17 Jahren. 65 von ihnen sagten, sie hätten sich vor kurzem verliebt. Brand stellte fest, dass die verliebten Jugendlichen weniger schliefen, häufiger zwanghaft handelten und »Unmengen verrückter Ideen und kreative Energie« hatten. Sie waren auch zugänglicher für riskante Verhaltensweisen, wie waghalsige Fahrmanöver oder Bungee-Jumping. Brand zeigte, dass sich Teenager in den Anfangs phasen intensiver Liebe nicht von Patienten in einer hypomanischen Phase (also einer leichten Manie) unterschieden. Mit anderen Worten: Es ist manchmal schwierig, verliebte Jugendliche von Menschen zu unterscheiden, die nach landläufiger Meinung verrückt sind.

 

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Was Gehirn-Scans enthüllen

 

Bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und die Magnetoenzephalographie (MEG) erlauben es Neurowissenschaftlern, das arbeitende menschliche Gehirn zu erforschen, ohne dem Patienten Schaden zuzufügen, und eröffnen dadurch ganz neue Möglichkeiten, den Menschen zu durchschauen.

Das Thema Liebe und Sex im Gehirn schaffte es 2002 bis in die Schlagzeilen der Zeitungen, als die Neurobiologen Andreas Bartels und Semir Zeki vom University College London eine Studie mit jungen Männern und Frauen veröffentlichten, die eine neue Beziehung eingegangen waren und von sich selbst sagten, sie seien »wahnsinnig verliebt«. Wenn man ihnen ein Bild ihres oder ihrer Geliebten zeigte, arbeitete ihr Gehirn ganz anders als beim Bild eines nahen Freundes. Die Scans zeigten, dass zärtliche Anziehung Regionen des Gehirns aktiviert, die besonders viele Rezeptoren für Dopamin aufweisen – eben jenen Botenstoff, der angenehme Gefühle und Motivation vermittelt und oft als »Glückshormon« bezeichnet wird. Hohe Dopamin- und Noradrenalinspiegel sind mit erhöhter Aufmerksamkeit, besserem Kurzzeitgedächtnis, Hyperaktivität, Schlaflosigkeit und zielorientiertem Verhalten verbunden. Wenn Paare sich ineinander verlieben, zeigen sie oft Anzeichen erhöhter Dopaminwerte und damit gesteigerte Energie, niedriges Nahrungs- und Schlafbedürfnis, konzentrierte Aufmerksamkeit und überschäumende Freude an den kleinsten Einzelheiten ihrer neuen Beziehung. Bartels und Zeki ver glichen die MRT-Bilder von Menschen in den drei verschiedenen emotionalen Zuständen der sexuellen Erregung, des Glücks und der durch Kokain hervorgerufenen Euphorie miteinander und stellten fest, dass sie einander beinahe glichen.

 

Liebessüchtig

 

Die folgenden Scans zeigen, dass »wahnsinnige Verliebtheit« dieselben Gehirnregionen aktiviert wie Kokainabhängigkeit.

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Der MRT-Scan links zeigt die Gehirnregion, die bei Verliebten aktiviert ist. Der Scan rechts zeigt die aktivierten Regionen bei Kokainmissbrauch.

 

Ob verliebt oder high, man fühlt also in etwa das Gleiche. Auch bei Müttern, die ihre Babys anschauten, waren die gleichen Gehirnregionen genauso aktiv wie bei Menschen, die ihren oder ihre Geliebte betrachteten. Bartels und Zeki schlossen daraus, dass Liebe zwischen Mann und Frau ebenso wie Mutterliebe mit dem Erhalt der menschlichen Spezies verbunden ist, denn Liebende und Babys tragen das Versprechen in sich, dass die eigene DNA weitergetragen wird.

 

Die Geographie von Sex und Liebe im Gehirn

 

2005 führte Dr. Lucy Brown, Professorin für Neurowissenschaften am Albert Einstein College of Medicine in New York, zusammen mit der weltbekannten Anthropologin Helen Fisher von der Rutgers University Untersuchungen mit MRT-Scans an 17 jungen Männern und Frauen durch. Alle hatten gerade eine neue Beziehung auf genommen und beschrieben sich als »frisch und wahnsinnig verliebt« – sie waren also in der Phase des Begehrens oder der frühen Liebe. Die MRT-Untersuchungen sollten aus physiologischer Sicht klären, warum Liebe ein so starkes Gefühl ist und eine Zurückweisung als so schmerzhaft und deprimierend empfunden wird.

Brown und Fisher untersuchten eine Gehirnregion, die mit Verlangen, Erinnerung, Emotion und Aufmerksamkeit in Verbindung steht: den Nucleus caudatus und das ventrale Tegmentum, also jenen Teil, von dem aus Dopaminzellen in andere Gehirnbereiche gepumpt werden. Diese Regionen leuchteten auf den Scans auf, als die Testpersonen Bilder ihrer Geliebten betrachteten. Fisher und Brown verglichen die MRT-Daten mit Studien zur Peniserektion bei Männern in Reaktion auf Frauenfotos und analysierten außerdem Daten

 
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Querschnitt durch das menschliche Gehirn

 

von Paaren, die schon lange zusammenlebten. Sie stellten fest, dass bei großer Verliebtheit das ventrale Tegmentum den Nucleus caudatus mit Dopamin überflutet. Der sendet dann Signale für noch mehr Dopamin, und je mehr Dopamin ausgeschüttet wird, desto euphorischer und glücklicher fühlt man sich – ein sich selbst verstärkender Prozess.

 
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Der Nucleus caudatus ist also mit dem Zustand der Verliebtheit zwischen Mann und Frau verbunden. Emotionen im Zusammenhang mit einer langfristigen Bindung konzentrieren sich vorn und an der Basis des Gehirns im ventralen Putamen und im Pallidum. Und mit Begehren und sexueller Erregung verbundene Gefühle besetzen verschiedene Bereiche vor allem in der linken Gehirnhälfte. Wichtig ist dabei, dass diese Studie das Mysterium der Liebe im Gehirn beseitigt und uns objektiver sehen lässt, was Liebe wirklich ist.

 

Warum Männer und Frauen Liebe unterschiedlich erleben

 

Fisher und Brown analysierten teils gemeinsam, teils getrennt die Tomographien von über 3000 »wahnsinnig verliebten« Collegestudenten, die sich während der Untersuchung ein Bild ihrer jeweiligen Geliebten anschauten. Bei den Frauen fanden sie eine erhöhte Aktivität im Nucleus caudatus (der, wie schon erwähnt, mit Erinnerung, Emotion und Aufmerksamkeit in Verbindung steht), im Septum pellucidum (auch als »Lust zentrum« bekannt) und im hinteren Parietallappen der Großhirnrinde, der an der Produktion von mentalen Bildern und dem Abrufen von Erinnerungen beteiligt ist. Die Männer dagegen zeigten eine erhöhte Aktivität in der Sehrinde und in Bereichen, die die visuelle Wahrnehmung ermöglichen, sowie in einer Hirnregion, die für sexuelle Erregung zuständig ist. Bartels und Zeki kamen bei ihren Forschungen auch zu demselben Ergebnis.

Die folgenden Aufnahmen illustrieren die Forschungen von Dr. Brown und zeigen, wo die Liebe im Gehirn verortet ist und warum Männer und Frauen sich in dieser Hinsicht so unterscheiden. Es sind Tomographien von Männern und Frauen, die Bilder jener Person betrachteten, in die sie wahnsinnig verliebt waren.

 
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Bilder der Liebe: Männer und Frauen, die Fotos ihrer Geliebten betrachteten. Weiße Flecken sind aktive Zonen.

 

Wie Sie sehen, leuchten bei den Männern weniger Areale auf als bei den Frauen. Wenn man diese Bereiche jedoch farbig darstellt, zeigt sich, dass die Aktivität bei den Männern intensiver ist als in den größeren Arealen der Frauen. Auffällig ist auch, dass völlig unterschiedliche Bereiche aktiv sind – die Geschlechter haben offensichtlich ganz verschiedene Vorstellungen, wenn es um Liebesbeziehungen geht.

Bei einer weiteren Untersuchung wurden den Probanden während der Computertomographie erotische Fotos gezeigt – die »Verliebtheitsareale« sprangen darauf nicht an. Brown und Fisher fanden, wie schon erwähnt, statt dessen Aktivitäten im Hypothalamus, der Triebe wie Hunger und Durst steuert, und im Mandelkern, der die Erregung kontrolliert.

Die moderne Wissenschaft zeigt also, dass in den ersten Phasen einer Liebesbeziehung völlig unterschiedliche Prozesse ablaufen, um das Gegenüber zu bewerten: Männer benutzen vor allem ihre Augen, um das sexuelle Potential der Frauen abzuschätzen, während Frauen sich auf das Gedächtnis verlassen, um die Charakterzüge eines Mannes in Hinblick auf sein Potential als langfristiger Lebenspartner zu bewerten. Auch Begehren und Liebe sind im Gehirn in verschiedenen Regionen verortet und dürfen deshalb nicht in einen Topf geworfen werden.

 

Wie Männergehirne die Attraktivität von Frauen bewerten

 

Als Bartels und Zeki Männern Bilder attraktiver Frauen zeigten, stellten sie fest, dass vor allem zwei Gehirnregionen der Probanden angeregt wurden: eine, die auf visuelle Reize reagiert, und eine, die für die Erektion zuständig ist (wer hätte das gedacht …). Männer sind in ihrer Mehrheit stark visuell aus gerichtet; sie beobachten ständig Frauen, geben sich Tagträumen über sie hin und schauen sich gerne Pornofilme an. Sobald diese Bereiche in den Männergehirnen aufleuchten, verringert sich, wie Forscher herausfanden, auch die Aktivität in Arealen, die mit moralischen Urteilen verbunden sind.

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Das visuelle System der Männer entwickelte sich im Laufe von Jahrmillionen, weil sie nur mit seiner Hilfe einschätzen konnten, ob die zur Wahl stehenden Frauen gesunde Kinder hervorbringen und damit das Überleben der Art sichern würden. Wenn eine Frau jung und gesund aussah, wuchs die Erregung des Mannes, und er begann, sie zu umwerben. Deshalb verlieben sich Männer schneller als Frauen – visuelle Reize sind sehr unmittelbar und senden ein Signal an das Gehirn, das sofort einen Hormonschub hervorruft.

Wenn Männer erregt sind, bekommen sie eine Erektion und werden von Hormonen durchflutet, die das rationale Denken aus der Bahn werfen. So treffen sie manchmal Entscheidungen, die vielleicht nicht zu ihrem eigenen Besten sind. Frauen, die ein bisschen Erfahrung mit Männern haben, können ein Lied davon singen.

Die Gehirn-Scans erhärten übrigens auch die Erkenntnisse von David Buss: dass nämlich diese Verhaltensweisen ein universelles, in allen Kulturkreisen bekanntes Phänomen sind.

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Wie Frauengehirne die Attraktivität von Männern bewerten

 

Aufnahmen weiblicher Gehirne offenbaren einen ganz anderen Ablauf. Wenn Frauen Männer im Hinblick auf ihre Attraktivität einschätzen, werden bei ihnen Gehirnareale aktiv, die mit dem Abrufen von Erinnerungen verbunden sind. Evolutionsbiologisch gesprochen ist dies eine Anpassungsstrategie, bei der es darum geht, alle Einzelheiten im Verhalten eines Mannes zu speichern.

Seit Hunderttausenden von Jahren haben Frauen die Aufgabe, Kinder aufzuziehen, bis diese auf eigenen Beinen stehen. Die Mutterschaft ist eine umfassende Angelegenheit – und für Menschenfrauen ist sie noch schwieriger als für jedes andere Säugetier. Menschliche Mütter brauchen Unterstützung und Schutz, während sie ihren Nachwuchs ernähren und versorgen. In vorgeschichtlichen Zeiten musste eine Mutter zudem enorme Energien aufbringen, um Ersatz zu finden, wenn ihr Partner starb. Anders als ein Mann, dem ein Blick genügt, um das andere Geschlecht zu beurteilen, kann eine Frau nicht auf den ersten Blick sagen, ob ein Mann ehrlich und vertrauenswürdig ist, ob er ein fliehendes Zebra auf 50 Meter Entfernung mit einem Stein treffen kann oder ob er das erjagte Fleisch mit ihr teilen wird.

Damals wie heute nutzen Frauen einen komplexen Bewertungsprozess, um sich ins Gedächtnis zu rufen, was ein Mann gestern, vor drei Wochen oder drei Monaten gesagt hat, wie er mit Kindern umgeht, ob er freundlich und großzügig ist, wie er seine Mutter behandelt, als was er arbeitet und was er verdient – und sie wird all dies benutzen, um sein Potential als Partner einzuschätzen. Wenn eine Frau Fotos eines Mannes betrachtet, erinnert sie sich an andere Männer, die ähnlich aussehen, und ruft sich deren Persönlichkeit ins Gedächtnis. Dann decodiert ihr Gehirn die Charakterzüge, die mit dem Gesicht des Mannes, den sie gerade betrachtet, korrespondieren. Sie setzt quasi im Geist ein Puzzle vom Charakter des Mannes zusammen, indem sie auf eine Datenbank mit Charakterdetails vieler anderer Männer zurückgreift. Das heißt nicht unbedingt, dass sie mit ihrer Einschätzung richtig liegt; sie setzt einfach ein Bild zusammen, das auf Eigenschaften der Männer basiert, die sie kennt.

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Frauen greifen also auf die Daten vieler Männer zurück, um das Potential eines Mannes als Partner zu bewerten. Männer dagegen verwenden dazu lange, intensive und ziemlich auffällige Blicke. Jetzt wissen Sie auch, warum Frauen nichts vergessen und Männer immer beim Gaffen ertappt werden.

 

Warum Begehren nicht anhält

 

Donatella Marazziti, Psychiaterin an der Universität Pisa, untersuchte die hormonellen Veränderungen, die mit einer Zwangsstörung einhergehen, und achtete dabei besonders auf das Serotonin, das einen beruhigenden Effekt auf das Gehirn hat. Serotoninmangel ist dementsprechend mit Aggression, Obsession, Depression und innerer Unruhe in Verbindung gebracht worden. Medikamente aus der Prozac-Familie bekämpfen diese Zustände, indem sie die Produktion von Serotonin ankurbeln.

Marazziti stellte verblüfft fest, dass Verliebte genau wie Menschen mit Zwangsstörungen Stunden mit den Gedanken an ein bestimmtes Thema bzw. an eine bestimmte Person verbringen können. In beiden Fällen wissen die Betroffenen meist, dass ihre Obsession irrational ist, können sie aber offenbar nicht kontrollieren.

Marazziti bestimmte den Serotoninspiegel von 20 Zwangsgestörten und 20 Menschen, die bis über beide Ohren verliebt waren. Bei beiden Gruppen lagen die Werte etwa 40 Prozent unter dem normalen Niveau. Dieses Experiment erklärt, warum frühe romantische Liebe oft in eine Obsession umschlägt.

Zwölf bis 18 Monate nach dieser Untersuchung nahm Marazziti ihre vormals liebeskranken Versuchspersonen noch einmal unter die Lupe. Die auf die sexuelle Lust zurückzuführenden hormonellen Unterschiede hatten sich völlig gelegt, die Serotoninwerte waren wieder normal, selbst wenn die Paare noch zusammen waren. Liebende schwören einander zwar, dass sich »an ihren Gefühlen nie etwas ändern wird«, aber die Hormone sprechen ganz deutlich eine andere Sprache. Mutter Natur ist sehr trickreich: Sie manipuliert unseren Hormonhaushalt gerade lange genug, um ihr evolutionäres Ziel zu erreichen: Nachwuchs zu produzieren.

Enzo Emanuele und seine Kollegen an der Universität Pavia untersuchten im Jahr 2005 bei Probanden, die teilweise frisch verliebt waren, ob die Neurotrophine – chemische Signalstoffe – etwas mit der Liebe zu tun haben. Sie stellten fest, dass die Konzentration eines Nervenwachstumsfaktors im Blut bei liebeskranken Probanden über dem Normalwert lag und mit der Intensität der romantischen Gefühle stieg. Wie Marazziti konnten auch Emanuele und seine Kollegen zeigen, dass nach ein bis zwei Jahren alle diese »Liebesstoffe« verschwunden waren, selbst wenn sich die Paare nicht getrennt hatten. Weder die anfängliche Intensität der Liebesgefühle noch die Konzentration des Nervenwachstumsfaktors schien dabei ein Hinweis darauf zu sein, ob eine Beziehung halten würde oder nicht.

Interessant ist auch eine Studie der Stony Brook University in New York, die ein Team unter der Führung von Dr. Arthur Aron im Jahr 2008 veröffentlichte. Dabei wurden die Gehirne von Paaren untersucht, die 20 Jahre zusammen waren, und mit denen von Frischverliebten verglichen. Etwa 10 Prozent der langjährigen Paare zeigten, wenn man ihnen Fotos ihrer Partner vorlegte, dieselben Gehirnaktivitäten und chemischen Reaktionen wie die »neuen« Liebespaare. Es gibt also Hoffnung für einige wenige von uns.

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Inzwischen hat der Biochemiker Abdulla Badawy vom Whitchurch Hospital in Cardiff gezeigt, dass Alkohol das Serotonin im Gehirn abbaut. Ein niedriger Serotoninspiegel löst Hemmungen und schafft die Illusion, die durchschnittlich aussehende Person am anderen Ende des Bartresens wäre unglaublich attraktiv.

Alle diese Forschungsergebnisse vermitteln Menschen, die nach einer langfristigen Liebesbeziehung suchen, eine klare Botschaft: Warten Sie etwa zwei Jahre, bevor Sie sich emotional oder finanziell längerfristig auf jemanden einlassen. Und wählen Sie Ihre Bars sorgfältig aus.

Wenn aber alle chemischen Botenstoffe für intensive romantische Gefühle innerhalb von zwei Jahren verschwinden, was hält dann viele Paare länger zusammen? Dieser Frage werden wir uns in späteren Kapiteln eingehender widmen.

 

Was passiert, wenn man verlassen wird

 

Neue Liebe ist auch deshalb so spannend, weil sie vom anderen vielleicht nicht genauso intensiv erwidert wird. Sie geht deshalb einher mit der Furcht, dass der Traum abrupt platzen könnte.

In einem Experiment scannten Fisher, Brown und Aron die Gehirne von 40 jungen Männern und Frauen, die gerade von ihren Geliebten verlassen worden waren. Wie bei der »Frischverliebten«-Untersuchung aus dem Jahr 2007 von Brown und Fisher verglichen die Wissenschaftler auch hier zwei Bildreihen: Eine Serie wurde aufgenommen, während die Teilnehmer das Foto eines Freundes betrachteten, die andere, während sie ein Foto ihres oder ihrer Verflossenen anschauten.

Es zeigte sich, dass beim Betrachten des Expartners die Gehirnregionen aktiv werden, die mit körperlichem Schmerz, Zwangshandlungen und der Kontrolle des eigenen Zorns verbunden sind. Je schmerzhafter die Trennung gewesen ist, desto heller leuchten diese Areale, und man fühlt sich noch stärker zu dem Partner, der nichts mehr von einem wissen will, hingezogen. In einer Art Bewältigungsstrategie schaltet das Gehirn also in einen höheren Gang, um wenigstens noch einmal zu versuchen, die Aufmerksamkeit des geliebten Menschen zurückzugewinnen und so den Verletzungsschmerz zu vermeiden. Wenn man schließlich akzeptiert, dass man sitzengelassen wurde, und sich dieser Erkenntnis nicht mehr verschließt, leuchten die Gehirnbereiche auf, die Verzweiflung signalisieren.

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Während die Probanden die Fotos ihrer Verflossenen betrachteten, wurde auch das Dopaminsystem im Gehirn angesteuert – das eigentlich mit angenehmen Gefühlen, allerdings auch mit Drogenkonsum in Verbindung steht. Wenn sie Bilder von Freunden betrachteten, geschah dies nicht.

Die Gehirn-Scans von verlassenen Liebenden erklären auch, warum das Ende einer Beziehung zu ernsten gesundheitlichen Problemen führen kann. Sobald sich der oder die Verlassene nicht mehr selbst belügt und die Glückshormone wie Dopamin verschwinden, werden sie von chemischen Stoffen ersetzt, die zu Depression führen und das Immunsystem schwächen können, also Krankheiten den Boden bereiten. Es dauert aller Erfahrung nach etwa einen Monat pro Beziehungsjahr, bis man sich emotional von der Beziehung gelöst hat und die Hormone wieder normale, stressfreie und gesunde Werte erreichen. Wenn eine Beziehung also etwa zwei Jahre dauerte, brauchen Sie rund zwei Monate, um darüber hinwegzukommen. Das erklärt, warum sich ältere Menschen, die ihren Partner nach 50 Jahren Ehe verlieren, nie mehr von ihrem »gebrochenen Herzen« erholen.

 

Zusammenfassung

 

Kurz gesagt ist der Geschlechtstrieb das Ergebnis eines Chemikaliencocktails, den das Gehirn ausschüttet und ins Blut entlässt. Er stimuliert die Produktion von Hormonen, vor allem von Testosteron und Östrogen. Auch die jeweilige Situation kann die Freisetzung dieser chemischen Stoffe auslösen – etwa ein bestimmtes Lied, ein Geruch oder eine Person mit vertrauten Gesichtszügen. Wenn wir älter werden, sinken diese Hormonspiegel, vor allem beim Testosteron. Testosteronspritzen sind bei älteren Männern und Frauen mit sinkendem Geschlechtstrieb daher nichts Ungewöhnliches. (Wir werden noch ausführlicher darüber sprechen.) Festzuhalten bleibt, dass alle romantischen Ideale, Liebesgefühle und auch die emotionalen Höhen und Tiefen, die Frischverliebte durchschreiten müssen, chemisch erklärbar sind und es keineswegs um eine rätselhafte, mystische Seelenverwandtschaft geht, wie so viele Menschen gern glauben wollen.

Die Wissenschaft ist gerade dabei, die Grundlagen von Liebe, Begehren, Sex und langfristiger Bindung zu enthüllen, die über Jahrtausende von Geheimnissen und Hirngespinsten umgeben waren. Sie schenkt uns damit eine Art Navigationssystem für die Liebe im Kopf. Manche Menschen reagieren alarmiert und sagen, dass solche Forschungen der jungen Liebe und Romantik das Wunderbare und Aufregende rauben. Doch man kann seine Auswahl besser steuern und seine Chancen bei der Partnerwahl steigern, wenn man versteht, warum man sich für jemanden entscheidet, und weiß, dass Liebe eine wissenschaftliche und biologische Basis hat und keine mystische Kraft ist. Natürlich kann man an den neuronalen Schaltungen im Gehirn selbst nichts ändern. Doch statt zu behaupten: »Meine Hormone haben mich dazu gebracht«, können Sie das Steuer übernehmen und entscheiden, in welche Richtung Sie fahren möchten. Außer der Biologie spielen nämlich auch andere Faktoren eine Rolle, und die kann man kontrollieren, wie Sie in diesem Buch lernen werden.

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Als BMW erstmals serienmäßig Navigationssysteme für sein Autos anbot, waren Proteste zu hören: Dies mindere den Spaß am Fahren und am Entdecken neuer Orte. Dabei sorgte das GPS vor allem dafür, dass die Leute nicht mehr frustriert und wütend in Sackgassen oder falschen Stadtvierteln landeten. Manchmal kann es ja Spaß machen, auf Abwege zu geraten, doch mit der neuen Technik hat man immer eine Sicherheitsleine, die einem notfalls aus der Klemme hilft – und so etwas wollen auch wir Ihnen in den nächsten Kapiteln bieten.

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Warum Maenner Immer Sex Wollen Und Frauen Von Der Liebe Traeumen
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