
Mike und Kathrin saßen wieder in der kleinen, ungemütlichen Cafeteria im Central Park. Sie tranken jeder einen Kaffee und zerbröselten ein Stück trockenen Kuchen zwischen ihren Fingern.
»Du müsstest jetzt eigentlich ins Hotel zurück«, sagte Mike. »Wenn dein Flugzeug in vier Stunden geht, wird es Zeit.«
»Ich komme schon noch rechtzeitig. Im Moment würde ich sowieso nur meiner Mutter beim Kofferpacken im Weg stehen. Seit Ted wieder frei ist und sie keine Angst mehr haben muss, redet sie wieder ohne Unterbrechung und flattert wie ein Huhn hin und her.«
»So ist sie nun mal.«
»Ja ... Mike, willst du wirklich fortgehen?«
»Auf jeden Fall. Ich weiß nur noch nicht genau, wohin.«
»Aber was willst du dann machen? Wovon willst du leben?«
»Da findet sich schon etwas. Vielleicht gehe ich nach Kentucky, weißt du, wo sie Rennpferde züchten. Ich könnte mich auf so einer Ranch anstellen lassen. Der Job würde mir gefallen.«
»Aber überleg es dir doch noch mal. Du verlierst ja auch deine Pension, wenn du jetzt deinen Dienst quittierst. Was wirst du machen, wenn du alt bist?«
Mike lachte. »Dass du das sagst! So ein junges Küken! Nicht einmal ich mache mir Gedanken über das Alter, dabei bin ich wirklich näher dran als du!«
Kathrin schaute in sein lachendes Gesicht und sah die Traurigkeit darin. Auf einmal fühlte sie sich sehr müde und erschöpft. Warum hatte das mit Peggy passieren müssen? Die Geschichte mit den Gangstern hatte einen glücklichen Ausgang genommen, und sie könnten alle zufrieden sein, aber da saß dieser einsame Mann, und Kathrin wusste, dass sie immer darüber nachdenken würde, was aus ihm wohl geworden sein könnte.
»Hier«, sagte sie und zog einen Zettel aus ihrer Handtasche. »Ich habe dir meine Adresse in Deutschland und meine Telefonnummer aufgeschrieben. Kannst du mir ab und zu mal eine Karte schreiben? Damit ich weiß, wo du steckst und ob es dir gut geht?«
»Mach ich«, sagte Mike. Er verstaute den Zettel sorgfältig in seiner Brieftasche.
»Es war wirklich schön, dass wir uns kennengelernt haben, Kathrin. Du bist ein nettes Mädchen. Ich hoffe nur, du bist klüger geworden und rennst in Zukunft nicht mehr nachts durch dunkle Parks.«
»Nie wieder. Mir hat dieses Abenteuer gereicht. Ich brauche so etwas nicht noch mal.«
»Beruhigend zu wissen. Dann hast du doch etwas dazugelernt.«
Wie oberflächlich wir hier plaudern, dachte Kathrin. So, als wären wir einfach zwei Bekannte, die zusammen einen Kaffee trinken und sich eigentlich nichts zu sagen haben. Und das nur, weil wir über das, was uns bedrückt, nicht reden wollen. Er kann nicht über Peggy sprechen. Und ich nicht darüber, dass ich auf einmal gar nicht mehr unbedingt nach Deutschland zurückwill. Die ganze Zeit habe ich gedacht: Wie schrecklich, hoffentlich kommen nur bald meine Eltern und holen mich ab. Jetzt erst ist mir klar, dass ich etwas Wunderbares erlebt habe. Ich habe zwar viel Mist gemacht, aber ich habe mir auch zum ersten Mal in meinem Leben einen Freund gemacht: Mike.
»Mike«, sagte sie schnell, »weißt du, früher, als ich noch klein war, musste immer meine Mutter die anderen Kinder ins Haus locken, damit ich jemanden hatte, der mit mir spielte. Es kamen ohnehin nur sehr wenige ... aber auch die nur durch Mutters Vermittlung. Eigentlich habe ich es nie geschafft, selber Freunde zu finden. Bis vor Kurzem nicht. Und jetzt denke ich, dass wir beide irgendwie Freunde geworden sind, und ich ... nun, was ich sagen will, ist einfach: Es war wichtig für mich, dich zu treffen.« Sie lachte verlegen und daher etwas zu laut. »Du musst mich für völlig bescheuert halten. Wahrscheinlich kommt dir mein Gerede als der größte Quatsch vor. Mike, ich würde mich freuen, wenn wir in Kontakt blieben. Es war nicht nur so ein Getue, dass ich dir meine Adresse gegeben habe. Ich hoffe wirklich, dass du mir schreibst.«
Sicher denkt er, ich spinne, das interessiert ihn doch überhaupt nicht, dachte sie. Doch dann blickte sie hoch und erkannte im selben Moment in seinen Augen, dass er sie verstanden hatte. Er hatte sie hundertprozentig verstanden. Über den Tisch hinweg nahm er ihre Hand.
»Klar schreibe ich dir, Kathrin. Und das ist jetzt auch kein Getue. Du kannst dich darauf verlassen. Schließlich sind wir tatsächlich Freunde. Und Freunde verlieren sich nicht einfach aus den Augen, nur weil ein Ozean sie trennt.«
»Okay«, sagte Kathrin völlig verwirrt. Sie stand auf. »Ich muss mich jetzt wirklich beeilen, fürchte ich. Mach's gut, Mike!«
Er nickte, blieb aber noch vor seinem Kaffee sitzen, denn er hatte keine Eile. Kathrin drehte sich in der Tür noch einmal um und winkte ihm zu.
Ted und seine Eltern waren zum Flughafen gekommen, um die Familie Roland zu verabschieden. Ted hinkte und wirkte noch immer ziemlich erschöpft. Seine Mutter sah zwar noch mitgenommen aus, strahlte aber über das ganze Gesicht. Bob tat völlig gelassen, aber auch ihm war die Erleichterung über den glücklichen Ausgang der Geschichte anzusehen.
»Jetzt können wir doch noch ein richtig schönes Silvester feiern«, sagte er. »Wir werden eine rauschende Party geben, zu der Teds Freunde kommen. Wie ist es, können wir euch nicht doch überreden zu bleiben?«
»Vielen Dank«, sagte Kathrins Mutter, »aber von New York habe ich erst mal die Nase voll, das werdet ihr verstehen. Nein, ich will zurück nach Deutschland. Da passieren nicht solche schrecklichen Sachen!«
»Die können da ganz genauso passieren«, sagte ihr Mann.
»Ist uns so etwas schon jemals passiert? Nein! Ich finde, dass ...«
Ted und Kathrin standen ein wenig abseits. Kathrin wies auf Teds rechtes Bein.
»Tut es noch sehr weh?«
»Geht schon. Nicht so schlimm.«
»Ich habe dir da ganz schön was eingebrockt, nicht? Sicher bist du noch wütender auf mich als vorher.«
»Quatsch«, sagte Ted großzügig, »du konntest das alles ja nicht ahnen. Und was die Geschichte vorher betrifft: Da habe ich mich auch etwas blöd benommen. Um dir das zu sagen, war ich ja ins Hotel gekommen. Leider traf ich aber nur diese Einbrecher, und ... den Rest der Geschichte kennst du ja.«
»Ja ... ich habe ganz schön gezittert um dich.«
»Na toll. Um mich hat noch nie eine Frau gezittert, also kann ich doch froh sein, dass mir das alles passiert ist.«
»Eine Frau! Ich denke, du hältst mich für ein dummes, kleines Mädchen!«
»Ich habe das vielleicht ein bisschen zu drastisch gesehen. Du bist nicht so dumm und so klein, wie ich dachte.«
»Vielen Dank«, sagte Kathrin.
Sie grinsten einander an. Die Feindseligkeit zwischen ihnen war verflogen.
»Melde dich, wenn du mal wieder in New York bist«, sagte Ted. »Wir könnten dann ja wieder in eine Disko gehen. Allerdings nur, wenn du vorher versprichst, mir nachher nicht wegzulaufen.«
»Bestimmt nicht. Im Nachhinein ist das ja alles ganz aufregend, aber zwischendurch fühlte ich mich ziemlich schrecklich. Das hätte ja auch alles ganz schlimm ausgehen können.«
»Stimmt«, sagte Ted. Er dachte an das dunkle Kellerverlies, an seine Verzweiflung, als er allein da zurückgelassen worden war.
Der Flug nach Frankfurt wurde aufgerufen. Die Familien verabschiedeten sich voneinander. Als Kathrin an ihrem Platz saß und sich festschnallte, atmete sie tief durch. Sie sah hinaus, wo bereits die frühe Dezemberdunkelheit hereingebrochen war. Sie konnte die Lichter sehen, die die Rollbahnen markierten, die Lichter im Tower und in den Abfertigungshallen.
»Auf Wiedersehen, New York«, sagte sie leise.
Draußen dämmerte der Morgen. Erstes fahles Licht kroch durch die staubigen Stallfenster. Nichts war zu hören als der Atem der Pferde, als ein leises Schnauben dann und wann. Ein paar Tiere fraßen das Heu von der Abendfütterung; ihr gleichmäßiges Kauen klang anheimelnd und beruhigend.
»Das war wirklich toll«, sagte Pat schließlich.
Die ganze Nacht hatten sie nun im Stall gesessen und gewacht, aber keiner war müde. Im Gegenteil. Sie fühlten sich ganz kribbelig, wie elektrisiert. Gegen Ende waren sie alle völlig in den Bann der Geschichte gezogen worden, hatten überhaupt nicht mehr gemerkt, wie die Minuten und Stunden verstrichen.
Auch Kathrin wirkte so, als sei sie noch überhaupt nicht ganz da. Tom stieß sie leicht in die Seite. »He, Kathrin, aufwachen! Du bist wieder in der Eulenburg! Nicht mehr in den Straßen von Manhattan. Du kannst aufwachen!«
Kathrin sah ihn ganz vorwurfsvoll an. »Komisch«, sagte sie, »als ich das eben erzählte, habe ich alles noch einmal erlebt. Ich habe wieder gefühlt wie damals.«
»Das ist doch klar!«, rief Angie. »Wenn man so etwas Aufregendes erlebt, wird man sich immer daran erinnern, was man dabei gefühlt hat. Wirklich, Kathrin, ich beneide dich. Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen.«
»Ich auch«, stimmte Chris zu.
Pat grinste. »Ich glaube, als Einzige ist unsere liebe Diane nicht richtig zufrieden. Du hättest dir bestimmt ein Happy End zwischen Kathrin und dem schönen Ted gewünscht, nicht wahr?«
Diane sah sie verletzt an.
»Das stimmt überhaupt nicht. Ich habe gar nicht mehr daran gedacht. Ich hatte nur Angst, dass Ted eine Ewigkeit da unten in dem schrecklichen Keller sitzen muss.«
»Ich wette, du hättest geschrien wie am Spieß«, zog Angie ihre Schwester auf, »und dir auch noch eingebildet, überall wären Ratten und Mäuse.«
»Und Spinnen«, setzte Chris hinzu. »Jetzt lasst Diane in Ruhe«, nahm Tom sie in Schutz. »Schaut lieber mal, wie gut es Lucia wieder geht. Ich finde, sie sieht richtig gesund aus.«
Tatsächlich stand Lucia wieder ganz munter in ihrer Box und wieherte freudig, als sich die gesamte Aufmerksamkeit ihr zuwandte und alle an sie herantraten und ihren Hals streichelten.
»Wie spät ist es eigentlich?«, fragte Chris.
Angie schaute auf die Uhr. »Halb sieben. Zeit zum Aufstehen.«
»Heute ist ja Fuchsjagd!«, rief Pat. »Das hätte ich jetzt über Kathrins Abenteuer fast vergessen! Wir müssen uns umziehen und die Pferde zurechtmachen und frühstücken!«
Sie liefen ins Haus, wo die ersten Mitbewohner schon verschlafen aus ihren Zimmern auftauchten.
»Wie ist denn das Wetter?«, fragte ein blondes Mädchen, das einen rosafarbenen Schlafanzug trug und wie ein Bonbon aussah.
»Kühl, windig und trocken«, sagte Tom. »Also geradezu ideal für eine Fuchsjagd!«
Tom sollte den Fuchs spielen. Das bedeutete, er würde ein buntes Band locker um seinen Arm schlingen - den Fuchsschwanz, den es zu erbeuten galt. Dann würde er eine Stunde vor den anderen losreiten und seinen Weg mit weißen Papierschnipseln markieren, wobei er natürlich auch falsche Fährten legen und seine Verfolger in die Irre führen durfte. Die anderen würden als geschlossene Gruppe folgen, konnten sich aber auch trennen, wenn sich die Spur plötzlich teilte. Wer dann tatsächlich als Erster beim Fuchs war und ihm das Band vom Arm riss, hatte gewonnen.
Während des Frühstücks ereignete sich noch ein kleines Drama. Klaus, der leichtsinnige junge Pferdepfleger, der durch das falsche Füttern Lucias Krankheit verursacht hatte, war aufgetaucht und wurde von Frau Andresen sofort zur Rede gestellt.
»Wie oft habe ich Ihnen gesagt, Sie sollen den Pferden nicht so viel Gras geben? Und schon gar nicht Lucia. Und überhaupt am allerwenigsten darf es nasses Gras sein! Wissen Sie, was Sie beinahe angerichtet hätten? Sie hätten Lucia umbringen können!«
Klaus stand da wie ein begossener Pudel.
»Tut mir leid, Frau Andresen, ehrlich, tut mir wirklich richtig leid. Ich hab's nur gut gemeint, ich mag die Pferde doch. Ich wollte nicht, dass Lucia krank wird. Ich ...«
Der ganze Disput spielte sich im Frühstückssaal ab, und alle hörten gebannt zu.
»Was Sie wollten oder nicht wollten, ist in diesem Fall völlig uninteressant«, schnitt Frau Andresen dem jungen Mann das Wort ab. »Sie sind doch wohl nicht so dumm, dass Sie sich nicht ein paar einfache Zusammenhänge merken könnten, oder? Ich habe Ihnen hundertmal erklärt, wie Sie füttern sollen, da Sie sich aber weigern, diese Vorschriften zu befolgen, müssen wir uns leider trennen.«
Klaus stieß einen Laut des Entsetzens aus und verlegte sich aufs Bitten.
»Das können Sie nicht tun, Frau Andresen! Ich finde doch nichts anderes mehr. Außerdem macht mir der Job echt Spaß. Ich mag die Pferde, und sie mögen mich auch.«
»Natürlich mögen die Pferde Sie, weil sie ja von Ihnen mehr als genug zu fressen bekommen. Nein, Klaus, ich kann nicht riskieren, dass so etwas wie letzte Nacht noch einmal vorkommt. Bitte sehen Sie sich nach einer neuen Arbeit um.«
Die jungen Leute vor ihren Frühstückstellern senkten betreten die Augen. Klaus versuchte es noch einmal, aber Frau Andresen ließ sich nicht erweichen. Schließlich drehte er sich um und verließ langsam den Raum.
Nach dem Frühstück drängten alle gleich hinaus. Über den blauen Himmel segelten vereinzelt ein paar weiße Wölkchen, ein frischer Wind blies vom Meer her ins Land.
»Zieht euch warme Anoraks an«, sagte Frau Andresen. »Es ist ziemlich kühl. Und ihr wisst, was vereinbart ist: Wenn bis drei Uhr niemand den Fuchs gefangen hat, kehren alle hierher zurück.«
Während die anderen noch ihre Pferde putzten und aufsattelten, ritt Tom bereits los. Ein aus gelben, roten und grünen Wollfäden geflochtenes Band wehte an seinem Arm. Am Sattel hingen große Tüten mit Papierschnipseln. Er hatte sich für Arpad entschieden, ein sehr schnelles, wendiges Pferd.
»Typisch«, sagte Angie, »mit diesem Pferd allein hat er schon einen Vorteil!«
»Nicht gegenüber Fairytale«, widersprach Pat, die es nicht duldete, dass irgendein anderes Pferd als besser oder schneller angesehen wurde. »Mit Fairytale hole ich ihn leicht ein!«
Ungeduldig warteten alle auf das Zeichen zum Start. Frau Andresen hielt sich streng an die Regeln: Nicht eine Minute vor Ablauf der vereinbarten Stunde ließ sie die anderen losreiten.
Dann aber galoppierten die Pferde nur so über den Hof. Die Unruhe ihrer Reiter hatte sie angesteckt, zum Schluss waren sie auch schon ganz nervös hin und her getrippelt. Jetzt durften sie sich erst einmal richtig austoben. Denn vorläufig führte die Spur einfach nur schnurgerade über die Wiesen. Als Einzige blieben Kathrin und Diane etwas zurück. Beide waren keine besonders guten Reiter: Kathrin, weil sie einfach unsportlich war, und Diane, weil sie sich eigentlich vor Pferden fürchtete und nur ihrer Schwester zuliebe mit dem Reiten angefangen hatte. Jedes Mal, wenn das Tier unter ihr etwas schneller wurde, fürchtete sie, in hohem Bogen hinunterzustürzen, und es hing wohl mit dieser Angst zusammen, dass sie tatsächlich schon ein paarmal recht schmerzhaft gefallen war.
Nach einer Weile teilte sich die Spur, rasch wurde in der Gruppe verhandelt, wer in welcher Richtung reiten sollte, dann teilten sich auch die Reiter und setzten die Jagd fort. Wie sich herausstellte, hatte Tom tatsächlich alles getan, um seine Verfolger zu verwirren, denn die Spuren teilten sich immer häufiger, sodass immer kleinere Gruppen entstanden. Schließlich konnten sogar immer nur noch zwei Leute miteinander reiten, das Mindeste, was Frau Andresen ihren Gästen für Ritte im Freien vorschrieb.
Kathrin hielt sich dicht an Diane. Sie hatte große Angst, am Ende zusammen mit Pat übrig zu bleiben oder mit Angie, von denen keine Rücksicht auf sie genommen hätte, und als sich schließlich wieder zwei verschiedene Schnipselspuren ergaben, sagte sie sofort: »Komm, Diane. Wir nehmen diese Richtung!«
Diane, dankbar für diese Chance, den mutigeren Reitern zu entgehen, stimmte sofort zu. Die beiden Mädchen trabten langsam in Richtung Deich.
Die Schnipsel lagen jetzt bereits in viel größeren Abständen, offenbar waren Toms Vorräte knapp geworden.
»Wäre es nicht lustig, wenn ausgerechnet wir den Fuchs fangen würden?«, fragte Kathrin. »Ich wette, das traut uns keiner zu.«
»Pat würde das ziemlich treffen«, sagte Diane. »Ich glaube, sie ist absolut wild darauf zu siegen. Erstens muss sie beweisen, dass sie das beste Pferd hat, und zweitens ist ihr Tom der Fuchs. Sie kann ihn einfach keiner anderen überlassen.«
»Pat hat bestimmt noch nie etwas jemand anderem überlassen müssen. Ich bin sicher, sie hat immer bekommen, was sie wollte.«
Diane sah Kathrin von der Seite an. »Bestimmt nicht immer, Kathrin. Niemand kriegt alles, was er will. Aber sie hat sicher nicht oft verzichten müssen - so wie du auf Ted. Daran hast du doch eben gedacht, oder?«
Kathrin nickte. »Ja. Ich denke schon noch manchmal an ihn. Er sah so gut aus. Und er mochte mich ... ich weiß, dass er mich mochte, bis er herausbekam, dass ich ihn mit meinem Alter angeschwindelt habe. Damit habe ich alles kaputtgemacht.«
»Vielleicht wäre er gar nicht mit dir ausgegangen, wenn er gewusst hätte, dass du erst fünfzehn bist. Weißt du, ich glaube ja, dass er nett ist. Aber nach allem, was du erzählt hast, ist er auch ein bisschen leichtsinnig, und er legt sich bestimmt noch nicht auf ein Mädchen fest. Ich meine, selbst wenn es irgendetwas geworden wäre zwischen euch, dann wärst du nicht sonderlich glücklich mit ihm geworden. Vielleicht ist es besser so. Immerhin verdankst du der Begegnung mit ihm eine ungeheuer aufregende Geschichte, mit der du noch jahrelang alle Leute unterhalten kannst.«
»Tja«, machte Kathrin unbestimmt.
Sie schlug sich mit ihrem Liebeskummer herum, und es halfen keine besänftigenden Worte. Es war untertrieben, was sie Diane erzählt hatte: Sie dachte nicht manchmal an Ted, sie dachte ziemlich häufig an ihn. Daran, wie er sie in der Diskothek geküsst hatte. Es hätte alles so schön werden können.
Später wusste keiner mehr, warum Kathrins Pferd plötzlich gescheut hatte. Vielleicht hatte es die Unaufmerksamkeit seiner Reiterin gespürt, jedenfalls machte es auf einmal einen Sprung zur Seite, und Kathrin, ungeübt wie sie war, landete sofort auf dem Boden. Das Pferd, der dicke, ältere Wallach Abdullah, erlebte eine ungeahnte Anwandlung von Temperament: Er bäumte sich auf, drehte sich um und galoppierte in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren. Ziemlich verdattert schauten die beiden Mädchen hinter ihm her.
Diane stieg vom Pferd und beugte sich besorgt zu Kathrin herab. »Ist etwas passiert? Hast du dir wehgetan?«
Kathrin rappelte sich auf. »Nein. Aber Abdullah ist weg, Mist! Was machen wir jetzt?«
»Wir können nicht zusammen auf mein Pferd, das wäre zu schwer. Ich glaube, wir müssen zurücklaufen.«
»Und wenn das hier nun die richtige Spur ist? Dann findet niemand Tom!«
»Ja, aber es hat keinen Sinn. Wir müssen zurück. Schon um herauszufinden, ob das Pferd gut daheim angekommen ist.«
Das sah Kathrin ein. Niedergeschlagen machten sich die beiden Mädchen auf den Weg. Was für ein dummes und beschämendes Ende der schönen Schnitzeljagd!
Klaus war traurig und wütend. Er hatte sich wirklich wohlgefühlt auf der Eulenburg. Er mochte die vielen jungen Leute, die immer hierherkamen, das Jahr über einfach nur jeden Tag zum Reiten, in den Ferien, um hier zu wohnen. Und er liebte Tiere und bewegte sich gern an der frischen Luft. Natürlich, er war ein Langschläfer, und anstatt wie vereinbart morgens um sechs Uhr zum Stalldienst anzutreten, war er manchmal erst um neun Uhr erschienen. Frau Andresen hatte sich wahnsinnig aufgeregt, aber Klaus war sicher gewesen, dass sie ihn im Grunde zu gern hatte, um ihn an die Luft zu setzen. Aber offenbar hatte er sich getäuscht. Die Geschichte mit dem kranken Pferd hatte den Ausschlag gegeben. Lieber Himmel, er hätte nie gedacht, dass diese Frau so wütend werden konnte!
Was sollte er jetzt tun? Nach Hause fahren? Da setzte er sich nur wieder neuen Vorwürfen aus. Seine Mutter würde ein Riesentheater machen.
Schließlich schwang er sich auf sein Motorrad und drückte richtig aufs Gas, die schwere Maschine schoss davon. Gleich fühlte er sich freier.
Er war schon ein ganzes Stück gefahren und wurde gerade langsamer, weil der Feldweg unter ihm sehr schlecht und steinig war, da bot sich seinen Augen ein eigenartiges Bild: Links vom Weg verlief ein Graben, und jenseits dieses Grabens stand ein Pferd. Es war gesattelt und aufgezäumt, jedoch von einem Reiter fehlte jede Spur. Der Zügel des Tieres hatte sich in den Zweigen eines Busches verfangen, es kam nicht mehr vor und nicht mehr zurück und war offenbar dicht davor, in Panik zu geraten. Er hörte schon das typische schrille Wiehern.
»Das ist ja Abdullah!«, sagte Klaus erstaunt.
Abdullah tänzelte hin und her, dann versuchte er, sich auf die Hinterbeine zu stellen, was ihm kaum gelang, da der verhakte Zügel seinen Kopf nach unten zwang. Klaus erkannte sofort, dass die Lage gefährlich war: Jeden Moment konnte Abdullah nach hinten in den Graben abrutschen und sich dabei ernsthaft verletzen.
Der junge Mann stellte sein Motorrad ab und bewegte sich ganz langsam auf das verstörte Tier zu.
»Keine Angst. Ich bin es. Abdullah, du kennst mich doch. Keine Angst!«
Abdullah wandte den Kopf und starrte ihn aus schreckgeweiteten Augen an. Seine Nüstern bebten heftig, am Hals war er bereits völlig nass geschwitzt. Er wieherte jetzt wirklich verzweifelt.
Klaus redete mit gleichmäßig leiser und beruhigender Stimme auf ihn ein.
»Alles in Ordnung! Keine Angst. Bleib nur ganz ruhig, Abdullah!«
Er hatte das Pferd schon fast erreicht, musste nur noch den Graben überqueren und bemühte sich, jede hastige Bewegung zu vermeiden. Doch dann rutschte er aus. Sofort stieg Abdullah auf die Hinterbeine und schlug mit den Vorderhufen einen wilden Wirbel. Klaus hielt die Luft an.
Lieber Gott, lass ihn jetzt nicht stolpern! Wenn er plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen hat, dreht er vollkommen durch!
Tatsächlich ging alles gut. Abdullah stand wieder still, mit bebenden Flanken und heftig schnaubend. Klaus war inzwischen auf die Füße gekommen und hatte den Hang erklommen.
Vorsichtig legte er seine Hand auf die Nase des Pferdes. »Alles okay. Ich mache dich jetzt los, und dann gehen wir nach Hause.«
Abdullah erkannte Stimme und Geruch des jungen Mannes und wurde ruhiger. Klaus wickelte den Zügel von den Ästen des Strauches. Das Pferd wäre nie von allein hier losgekommen.
»Kein Problem mehr. Wir gehen jetzt nach Hause, und alles ist in Ordnung!«
Abdullah schnaubte zustimmend und rieb seinen Kopf an Klaus' Arm.
Klaus überlegte einen Moment; er würde das Motorrad stehen lassen und es später holen müssen, und er konnte nur hoffen, dass niemand vorbeikäme und es mitnähme. Aber das Pferd war jetzt wichtiger. Er musste es riskieren.
Er schwang sich in den Sattel und ritt am Rande des Grabens entlang. Es war an dieser Stelle nicht günstig, ihn zu überqueren, aber er würde an einen geeigneten Überweg kommen.
Vielleicht, dachte er hoffnungsvoll, habe ich ja damit wieder ein bisschen was gutgemacht.
