Neukölln heute

Nachdem ich Ihnen im vorigen Kapitel als Werbeblock die schönen Seiten Neuköllns nähergebracht habe und Ihnen vielleicht sogar etwas Appetit machen konnte, folgt nun das Neukölln von heute. Bösartig formuliert könnte man auch fragen: Was ist aus dem kaiserlichem Rixdorf 100 Jahre, zwei Weltkriege und drei Gesellschaftsordnungen später als Neukölln des 21. Jahrhunderts geworden? Zunächst einmal sind wir keine eigene Stadt mehr, sondern eingemeindeter Teil der deutschen Hauptstadt. Das muss zwar nicht so bleiben, aber bis auf Weiteres ist es so. Wir sind größer geworden als damals. Schon durch den Lauf der Zeit bedingt, sind wir auch moderner geworden und reicher. Wir definieren Armut nicht mehr an Hunger und Schwindsucht hinter den Wohnungstüren. Armut ist heute Konsumrückstand, nicht mehr Existenznot. Die Maßstäbe haben sich verändert: Mir geht es nicht schlecht, weil ich arm und krank bin, sondern weil es meinem Nachbarn besser geht.

Meine Mutter war das elfte von zwölf Kindern. Im biblischen Alter von 99 Jahren verstarb sie 2010. Sie ist in Armut aufgewachsen und hat mir oft davon erzählt. Ich will jetzt niemanden mit den Geschichten davon, »wie’s damals war«, langweilen. Fest steht aber, dass sie mir aus einer Welt berichtete, die heute in Talkshows zu Ohnmachtsanfällen oder dem Ruf nach dem Gerichtshof für Menschenrechte führen würde. Mein Vater wiederum erzählte mir mehr aus der Zeit der nationalsozialistischen Tyrannei, vom Krieg und der Gefangenschaft.

Mit diesen beiden Erzählwelten wuchs ich auf. Inwieweit sie meine Entwicklung geprägt haben, kann ich nicht beurteilen. Geboren im Jahr 1948, kann ich mich selbst erst an die Zeit des Wiederaufbaus etwa ab Mitte der 1950er Jahre erinnern. Unsere Wohn- und Lebensverhältnisse waren so, dass wir heute mit Leichtigkeit viel Raum in einer Reality-Doku erhalten würden. Damals allerdings waren sie nicht besonders ungewöhnlich. Vier Personen in Stube und Küche im Keller neben der Waschküche des Hauseigentümers. Auch wenn der Aufstieg zum konsumorientierten Wohlstandsstaat sich unaufhaltsam vollzog, so kann ich mich doch daran erinnern, dass ein Leben ohne Auto, ohne Flachbildschirm, ohne Handy und ohne PC möglich war. In Kinderzimmern, wenn es sie überhaupt gab, war Elektronik noch nicht bekannt. Ich bin unsicher, ob das heute nicht bereits gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstoßen würde.

Zwei Sätze durchzogen meine Kindheit und Jugend wie ein roter Faden: »Junge, du musst lernen, damit du es einmal besser hast als wir!« und: »Wenn du etwas haben willst, musst du dafür arbeiten.« Als junger Mensch fand ich beide Leitmotive meiner Eltern nicht ganz so prickelnd. Ich ahnte damals noch nicht, wie präsent sie mir in meinem späteren Leben noch werden sollten.

Mit dem Prinzip »Willste was, machste was, dann haste was« machte ich schon sehr früh Bekanntschaft. Immer dann, wenn sich Wünsche meldeten, die nach Auffassung meiner Eltern nicht zu den Lebensnotwendigkeiten gehörten, war die Eigeninitiative gefordert. Der Plattenspieler, das Fahrrad, das Kofferradio, die Lederjacke oder das Trampen durch Skandinavien waren Auftraggeber, die keine Rückstellung duldeten. So begann ich schon als kleiner Steppke beim Bauern auf dem Feld Kartoffeln zu stoppeln (Handnachlese hinter der Maschine), das heute Gropiusstadt heißt. Das war mein erstes selbstverdientes Geld.

Die nächste Stufe der Karriereleiter hieß Zeitungsjunge. Dieser Job bescherte mir mein erstes regelmäßiges Einkommen. Nach meiner Erinnerung machte ich das so von 10 bis 13 Jahren. Mit 14 ging ich dann in den Ferien regelmäßig in die Fabrik als Hilfskraft. Immer in der ersten Hälfte, denn in der zweiten war ich mit einem Nato-2-Mann-Zelt auf dem Rücken und einem Freund an der Seite auf Achse. 4,95 DM betrug mein Stundenlohn. Viel mehr bekommt eine Bäckereiverkäuferin heute auch nicht. So doll hat sich unsere Gesellschaft in den letzten 50 Jahren wohl doch nicht verändert. Mit 17 fing ich meinen Führerschein an, und mit 18 hatte ich meinen »Kugelporsche«. Während meiner Ausbildung verdiente ich mir als Stadtführer für westdeutsche Gruppen in der Frontstadt recht ordentliches Geld dazu. Ich gebe es zu, wir Jugendlichen waren damals genauso konsumorientiert wie die jungen Leute heute. Allerdings wäre niemand von uns auch nur im Traum auf die Idee gekommen, im Rathaus dafür die Kohle anzufordern. Wenn man etwas erreichen will, muss man reich geboren werden oder etwas tun.

Aus meiner Sicht sind viele Dinge der Gegenwart nur unter dem eingetretenen Paradigmenwechsel zu verstehen: weg von der Eigenverantwortung hin zu der Erwartung, der Staat trage die Verantwortung für das Wohl jedes Einzelnen und habe für seine Bedürfnisbefriedigung zu sorgen.

Am 30. Juni 2012 zählte Neukölln 315 652 Einwohner. Davon hatten 128 359 oder 41 % einen Migrationshintergrund, waren »nicht-deutscher Herkunftssprache« (ndH), wie das im Amtsdeutsch heißt. Migranten oder Einwanderer oder Ausländer also. Die Begriffe sind vielfältig, aber keiner ist ganz treffend. Der Lebensrealität am nächsten kommt wohl die Bezeichnung »Einwanderer«. Sie ist aber auch die unbeliebteste. Denn ein Großteil der Politik hat heute immer noch ein Problem damit, zu akzeptieren, dass die Bundesrepublik Deutschland nach den USA und vor Russland die zweitstärkste Einwandererpopulation der Erde aufweist. Der südlichste aller Ministerpräsidenten behauptete noch im vorigen Jahr immer wieder: »Deutschland ist kein Einwanderungsland«. Eine beliebte Lebenslüge der letzten 50 Jahre. Angesichts von 16 Millionen Spätaussiedlern, Asylbewerbern, Flüchtlingen und Scheinflüchtlingen, Anwerbearbeitnehmern (sprich: Gastarbeitern), nachgezogenen Familienmitgliedern, hier geborenen Kindern und Enkelkindern ist das schon ein schneidiger, wenn auch wenig geistreicher Spruch. Rund 20 % beträgt der Bevölkerungsanteil der Migranten in Deutschland insgesamt. Das ist mehr als eine qualifizierte Minderheit.

Während vielleicht viele von Ihnen an dieser Stelle ausrufen, das ist ja furchtbar, sage ich: »Und das ist auch gut so.« Aber davon später mehr im Text zur demographischen Entwicklung.

Die statistischen Zahlen bilden allerdings nicht die Realität ab: Es ist davon auszugehen, dass es eine unbekannte Zahl von aus Versehen nicht angemeldeten Bewohnern oder Besuchern gibt. Da das Bürgeramt kein statistisches Merkmal für »illegal« kennt, wissen wir nicht genau, um wie viele Menschen es sich dabei handelt. Wir rechnen in Neukölln mit etwa 10 000 bis 15 000. Hierdurch entsteht ein Anteil von nicht bio-deutscher oder auch ethno-deutscher (sorry, diese Wortungetüme entspringen dem hilflosen Versuch, klare Begriffe zu finden) Bevölkerung von knapp unter 50 %. Ich werde im Folgenden jedoch nur die offiziellen Bevölkerungszahlen zugrundelegen. Der Aspekt der Illegalen bleibt unberücksichtigt.

Geographisch wie bevölkerungsmäßig ist Neukölln durch die Trennlinie des Teltowkanals in Nord und Süd geteilt. Der heutige Norden entspricht grob dem alten Rixdorf, und der bis an die Landesgrenze nach Schönefeld reichende Süden mit seinen Ortsteilen Britz, Buckow, Gropiusstadt und Rudow setzt sich zusammen aus den 1920 eingemeindeten Dörfern bzw. der in den 1960er Jahren errichteten Neubausiedlung. Die Bevölkerungszahl teilt sich an der Kanalgrenze etwa zur Hälfte. Aufgrund der Althausbebauung mit Substandard, aber dafür billigen Wohnungen war der Nordteil des Bezirks die von den sich niederlassenden Gastarbeitern bevorzugte Region. Hieraus ist in den folgenden Jahrzehnten die Verteilung entstanden, dass 65 % der Einwanderer (82 000) im Norden und 35 % (44 000) im Süden leben. Daraus ergibt sich ein Bevölkerungsanteil von 52 % im Norden und von 28 % im Süden.

Die Einwanderer selbst stammen aus rund 150 Herkunftsländern. (Spätaussiedler werden in diesem Zusammenhang zu den Einwanderern gerechnet, obwohl dies formal nach dem Staatsangehörigkeitsrecht nicht korrekt ist. Entscheidend ist für uns die Lebenswirklichkeit und nicht die historische Abstammung.) Aus der EU stammen 31 500 Bürgerinnen und Bürger, 14 000 davon mit Polen als Herkunftsland. Aus dem ehemaligen Jugoslawien kommen 13 000 Einwohner und aus der früheren Sowjetunion 5300. Aus islamischen Ländern stammen 56 600 Einwohner mit den Hauptherkunftsländern Türkei (37 000), arabische Länder (15 000) und speziell Libanon (6600). Aus den USA kommen 1300 Bewohner, aus Vietnam 1000, und bei 11 700 lassen sich die Herkunftsländer nicht eindeutig zuordnen.

Innerhalb der Muslime, die mit 45 % fast die Hälfte aller Einwanderer stellen, belegen die Türkischstämmigen zahlenmäßig eindeutig den ersten Rang. Immerhin beträgt auch ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in Neukölln beachtliche 12 %. Der Anteil aller Muslime kann mit 18 % ebenfalls nicht als minimal eingestuft werden.

Der Kanal teilt die Stadt nicht nur geographisch und bevölkerungsmäßig, sondern er markiert auch eine soziale Trennungslinie. Der Süden ist mit Einfamilienhausgebieten, höherem Durchschnittseinkommen und höherem Bildungsstand bürgerlicher geprägt als der Norden. Dies gilt selbstverständlich auch für die dort lebenden Einwanderer. Ein erheblicher Teil von ihnen, der es im Laufe der Zeit zu mehr oder weniger Wohlstand gebracht hat, hat inzwischen den Norden verlassen und sich im Süden angesiedelt. Nicht immer zur Freude der dort ansässigen ethno-deutschen Bevölkerung. Im Süden ist also nicht nur der Einwandereranteil erheblich niedriger als im Norden, sondern auch die sozioökonomische Situation der Bewohner deutlich besser. Das sind die beiden wesentlichen Gründe dafür, dass der südliche Teil Neuköllns eigentlich nie als sozialer Brennpunkt oder Problemgebiet der Integration empfunden und bezeichnet wird. Er ist es auch nicht.

Mit der Abwanderung bestimmter Teile der Bevölkerung des Nordens vollzog sich in den letzten 20 Jahren eine ethnische und eine soziale Segregation. Die deutschen Bewohner flohen vor dem immer stärkeren Anteil der Einwanderer, und unter den Einwanderern vollzog sich die Flucht aus dem »Ausländerghetto«. Die Menschen stimmten mit dem Möbelwagen ab. Aber mit jedem Lastwagen verließen nicht nur Möbel das Quartier, sondern auch und vor allem soziale und wirtschaftliche Kompetenz. Gerade unter den Einwanderern war dieser Aderlass schmerzlich. Es gingen die Besten. Die mit Vorbildfunktion. Die, die als soziale Kontrolle insbesondere in ihrer eigenen Ethnie wirkten. Die, die als Eltern- und Mietervertreter Verantwortung übernommen hatten oder hätten übernehmen können. Sie waren es, die die Schulen im Süden abtelefonierten, um sich zu erkundigen, wie hoch der Ausländeranteil dort sei, und um danach zu entscheiden, wo die eigenen Kinder angemeldet wurden.

Die freien Räume im Norden wurden natürlich sofort wieder gefüllt. Entweder durch zuziehende deutsche Multiproblemfamilien, seit Generationen Arbeitsplatzsicherer im Sozial- und im Jugendamt, oder die frische Einwandererfamilie. Frisch, weil gerade eingereiste Asylbewerber oder die junge Familie mit dem eingeflogenen Importbräutigam oder der Importbraut. Nicht nur, dass wir mit der neuen jungen Migrantenfamilie wieder bei Punkt Null der Integration anfangen mussten und müssen, nein, auch der integrationsfähige und integrierende Bevölkerungsanteil wurde immer schwächer. Einer schwindenden bildungsorientierten Bevölkerungsschicht standen immer stärker werdende gesellschaftlich marginalisierte Gruppen gegenüber, denen dazu auch noch die schwersten der gesellschaftlichen Aufgaben aufgebürdet wurden: die Integration neuer kultureller Einflüsse und die Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebenswelten. Das konnte nicht gutgehen. Und so veränderte sich fast unmerklich, aber im Alltag dann doch deutlich sichtbar auch der öffentliche Raum in Nord-Neukölln.

Wenn ich heute Menschen frage, von welchem Zeitpunkt an sie diese Entwicklung bewusst wahrgenommen und für sich als negativ und belastend empfunden haben, wird mir übereinstimmend der Zeitraum Anfang bis Mitte der 1990er Jahre genannt. Für die Mehrheitsbevölkerung unübliche Verhaltensweisen wurden evident. Und wenn es nur die war, dass migrantische Familien in unseren Fußballplätzen einen idealen Ort zum Picknicken erkannten und nur sehr unwirsch dem Trainings- und Spielbetrieb ab 16.00 Uhr wichen.

Durch den Zuzug steigerte sich auch der Anteil der migrantischen Schüler in unseren Schulen explosionsartig. Ebenso ging diese Entwicklung nicht spurlos an unseren Jugendclubs vorbei. Ich kann das aus meiner beruflichen Tätigkeit als damaliger Jugenddezernent bestätigen. Zu jener Zeit begannen wir kleine Stadtteilläden verstreut im gesamten Norden einzurichten, die sich an die jungen Leute des direkten Wohnumfelds richteten. Die durchaus auch ethnisch ausgerichtet waren, weil sich bereits damals die Jugendlichen nur äußerst ungern mischten.

All dies ging einher mit Veränderungen der lebensweltlichen Rahmenbedingungen. Nach dem Mauerfall 1989 drehte der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel kurzerhand den Hahn der Berlin-Förderung zu. Berlin sei jetzt eine normale Stadt und müsse sich selbst ernähren, sagte er. Die Zeit des Pamperns als Bollwerk gegen den Kommunismus sei vorbei. Dies hatte als erstes nach dem Flashlight-Effekt der alles konsumierenden DDR-Bürger zur Folge, dass die Arbeitsplätze der verlängerten Werkbank Berlin (West) wegbrachen. Sobald die Subventionen nicht mehr flossen, verloren die Firmen schlagartig das Interesse an ihren Zweigniederlassungen in West-Berlin. Allein im verarbeitenden Gewerbe fielen in den 1990er Jahren fast 60 % der Industriearbeitsplätze weg. Neukölln als starker Standort der Nahrungs- und Genussmittelindustrie bekam eine volle Breitseite ab. Etwa 20 000 Arbeitsplätze verschwanden von heute auf morgen. Viele entstanden wieder neu, nur nicht bei uns. Sondern dort, wo die Arbeitskraft der Menschen billiger zu haben war.

Die spektakulärsten Fälle waren wohl Alcatel und Milka Lila Pause. Das eine, ein gesundes Werk der Metallindustrie mit vollen Auftragsbüchern, wurde vom französischen Mutterkonzern zur Jahrtausendwende gekillt und ein paar Kilometer weiter in Poznan wiederaufgebaut. Ein Arbeiter kostete dort nur ein Drittel des Lohns seines Neuköllner Kollegen. Mit Lila Pause überschwemmten wir halb bis ganz Europa. Als das riesige, mit hohem Investitionsaufwand errichtete modernste Schokoladenwerk Europas 1994 geschlossen wurde, war es gerade einmal vier Jahre in Betrieb. Ich hatte mit den Grundstein gelegt, das Richtfest gefeiert und die Inbetriebnahme. Von der Licht-aus-Aktion erfuhr ich aus der Presse. So »nachhaltig« sind staatliche Subventionen.

Die Entwicklung zum sozialen Brennpunkt von Nord-Neukölln hatte also verschiedene Ursachen. Bildungsaffine Familien mit beruflichen Kompetenzen und gesunder wirtschaftlicher Grundlage verließen das Gebiet, Arbeitsplätze wurden abgebaut, Menschen verloren ihre wirtschaftliche Basis und damit ihre Liquidität. Bildungsferne Familien zogen zu, destabilisierten das soziale Gefüge und dominierten nach und nach das Quartier. Das entsprechend gewandelte Konsumverhalten der Anwohner sowie die beginnende Verwahrlosung des öffentlichen Raums machten den Einzelhandelsstandort unattraktiv und führten zu starkem Kunden- und Umsatzrückgang. Ein Geschäftesterben setzte ein.

Die Karl-Marx-Straße war trotz ihres Namens einmal einer der attraktivsten Handelsorte im Westen der Stadt. Sie konkurrierte stets mit der Steglitzer Schloßstraße darum, wer hinter dem Kurfürstendamm und der Wilmersdorfer Straße Platz 3 im Ranking einnimmt. Bei Schuhen und Unterhaltungselektronik war die Karl-Marx-Straße das Maß aller Dinge. Hier präsentierten sich ganze Branchen. Heute ist der einstige Einkaufsboulevard nur noch ein Schatten seiner selbst. Der frühere Glanz musste der Tristesse weichen. Handyläden, Billiganbieter, Tag-und-Nacht-Geschäfte, Spielhallen und Wettbüros prägen das Stadtbild, und nur wenige Fachgeschäfte von früher haben überlebt. Auf der drei Kilometer langen Straße sind es von einst 400 nicht mehr als ein gutes Dutzend. Meist steht hier das gesamte Haus im Eigentum, so dass nur eine steuerliche Miete anfällt, oder die Besitzer sind zu alt, um sich noch einmal zu verändern. Mitunter wird das Geschäft allein aus Tradition aufrechterhalten und durch Erträge aus anderen Unternehmungen quersubventioniert.

In der Hermannstraße und der Sonnenallee, den beiden anderen Hauptverkehrsstraßen, ist die Entwicklung identisch. Die Hermannstraße fällt vor allem durch reißerische Leuchtreklame an fast 40 Geschäften auf, die die Möglichkeit zum Wetten und Spielen bieten. Obwohl es zu 90 % nur Pseudo-Spielhallen sind, so ist das aggressive Erscheinungsbild doch prägend für den gesamten Straßenzug. Sie müssen schon über eine solide Pfadfinderausbildung verfügen, um auf der mehrere Kilometer langen Geschäftsstraße einen Imbiss mit Schweinefleischprodukten zu finden. Viel Glück, berichten Sie mir von Ihren Jagdergebnissen.

In der Sonnenallee können Sie häufig nur dann die Dinge des Lebens erwerben, wenn Sie zweisprachig deutsch-arabisch oder noch besser arabisch-deutsch beschlagen sind. Das ist natürlich eine ebenso spaßhafte wie traurige Übertreibung. Aber es ist schon so, dass die arabischen Schriftzeichen an den Geschäften dominieren. Und wer seinen Hunger mit einer ganz normalen Currywurst oder einer Bulette stillen will, kann auch hier nicht gerade auf ein überbordendes Angebot zurückgreifen. Imbisse mit bei den Ur-Berlinern beliebten Produkten gibt es in weiten Teilen der Neuköllner Innenstadt so gut wie kaum noch. Auch das verändert den Charakter einer Straße und eines Wohngebiets und führt zu Überfremdungsgefühlen und Segregation. Wenn Menschen, die die Stadt mit aufgebaut haben, nicht mehr lesen können, was feilgeboten wird, und erst ins Schaufenster blicken müssen, um das herauszufinden, dann verlieren sie ihre Identität und auch die Hinwendung zu ihrem Wohnumfeld. Das »Hier-bin-ich-zu-Hause«-Gefühl schwindet.

Die beiden Stadtteile Nord und Süd entfremdeten sich immer mehr voneinander, ohne dass jemand einen Zaun gezogen hatte. Im Norden veränderten sich der öffentliche Raum und das Straßenbild. Neue unattraktive Branchen beeinflussten das Erscheinungsbild negativ. Das Warenspektrum orientierte sich immer stärker an der unmittelbaren, kaufkraftarmen Anwohnerschaft. Extra hinfahren musste man hierher nicht mehr. All diese Dinge zusammen machten den Niedergang der Geschäftsstraßen unausweichlich.

Der Neuköllner Norden profitierte aber bis zu diesem Umbruch traditionell von den Impulsen und der Stimulanz aus dem Süden. Die immer stärker werdende Abstinenz der Südneuköllner führte folglich auch optisch zu einer starken Dominanz der Einwanderer. Was soll ich denn da? Zu kaufen gibt es nichts für mich, und da sind doch nur Ausländer. So entwickelte sich auch innerhalb des Bezirks eine Rangordnung. Die Namen von Straßen und Plätzen, die zu meiner Jugendzeit geachtete und völlig unspektakuläre Aufenthaltsorte waren, wurden plötzlich nur noch beklagend oder geringschätzig in den Mund genommen. Menschen, die erzählten, dass sie in der Soundso-Straße geboren und aufgewachsen seien, schlossen den Satz mit: »… da kann man heute aber nicht mehr wohnen«, oder wurden mit den Worten bemitleidet: »Na, da sind Sie wohl gerade noch rechtzeitig weggekommen.«

Der Bau eines großen Einkaufszentrums im Süden machte dann der Geschäftswelt im Norden wohl endgültig den Garaus. Auch wenn der größte Teil der Kundschaft bereits vorher weggeblieben war, so hatte der verbliebene Rest jetzt ebenfalls eine Alternative, die er gerne annahm. Ja, man fuhr sogar aus dem Norden in den Süden, um im neuen Einkaufszentrum die Dinge zu erwerben, die es im Wohngebiet nicht mehr gab. Namen wie Quelle, Leffers, Leiser, Hertie und viele andere hatten sich hier längst verabschiedet.

Heute muss man eingestehen, dass sich zwei unterschiedliche Lebenswelten im Bezirk etabliert haben. Alles nicht in Reinkultur, aber das Gesamtergebnis lässt sich nicht beschönigen. Überall gibt es Einsprengsel, im Norden Wohnblöcke mit völlig unauffälliger bürgerlicher Bewohnerschaft oder im Süden Neonazi-Cliquen und punktuelle Einwanderermilieus der Bildungsferne.

Nachdem sich die Entwicklung im Neuköllner Norden so dramatisch zugespitzt hatte, konnte es nicht überraschen, dass immer mehr Teilgebiete in die Förderkulisse des Programms »Soziale Stadt« aufgenommen werden mussten (QM-Gebiete – Quartiersmanagement-Gebiete). 1999 waren es drei Quartiere, drei Jahre später vier, im Jahr 2005 bereits neun, und seit 2009 sind es zehn QM-Gebiete sowie ein zusätzliches Förderprogramm »Aktionsraum Plus«. Im Grunde genommen ist der gesamte Neuköllner Norden inzwischen ein einziges Fördergebiet. Dieser Erkenntnis ist eine jahrelange Auseinandersetzung zwischen Prof. Dr. Häussermann und mir auf der einen und dem Land Berlin auf der anderen Seite vorausgegangen. Im Ergebnis ein Erfolg für Neukölln, wenn auch mühsam erkämpft.

Das Programm »Soziale Stadt« hat bisher rund 1500 Projekte mit den Schwerpunkten Bildung, Integration und Partizipation finanziert. Das Fördervolumen beläuft sich auf insgesamt knapp 46 Millionen Euro. Neben den professionellen Stadtteilmanagern beteiligen sich 220 Bürgerinnen und Bürger in den Quartiersräten an den Strategien gegen den sozialen Verfall ihrer Wohngebiete. Das Förderprogramm »Soziale Stadt« ist insofern das einzige Instrument, das politik- und verwaltungsfern vor Ort versucht, das noch vorhandene Engagement mit allen sozialen und kreativen Kräften zu sammeln und als innovative Speerspitze gegen die Interesselosigkeit der Masse zu nutzen. Allein schon aus diesem Grund halte ich den Rückzug der Bundesregierung aus der sozialen Aufgabenstellung des Programms für fatal. Es war eine überaus richtige Entscheidung des Berliner Senats, die Kürzungsraten des Bundes durch Landesmittel auszugleichen. Zumal neben den sozialen Interventionen durchaus auch »handfeste« Projekte auf den Weg gebracht wurden. So entstanden allein zehn neue Jugendeinrichtungen, und viele Spielplätze und Pausenhöfe konnten saniert werden.

Natürlich hinterließen die Veränderungen auch in der Bevölkerungsstruktur deutliche Spuren. Kindertagesstätten und Schulen sind hierbei die einzig verlässlichen Seismographen. Hier kann man zählen, beobachten, reden, Erfahrungen sammeln, Konflikte erleben und lösen. Kinder und ihre Elternhäuser sind das Original. Aus diesem Grund sind die Berichte und Hinweise von Erziehern und Lehrern aus unseren Einrichtungen für mich authentisch. Wichtiger und wegweisender als viele wissenschaftliche Untersuchungen, Abhandlungen und Ergüsse von tatsächlichen oder selbsternannten Experten, Sozialromantikern und Elfenbeinturmpolitikern. Deshalb wird den Stimmen aus der Praxis in diesem Buch auch breiter Raum eingeräumt.

In unseren Grundschulen unterrichten wir rund 14 100 Schüler, von denen 9300 einen Migrationshintergrund haben; das sind 66 %. Im Norden – zur Erinnerung: 150 000 Einwohner – sind es 87 %; 6300 von 7200 Schülern. Klassen mit gar keinen oder nur einigen wenigen Schulkindern deutscher Herkunft sind hier keine Seltenheit. Die Frage, wer hier wen wohin integriert, stellt sich da schon lange nicht mehr. Die einzigen Repräsentanten der deutschen Gesellschaft sind häufig nur noch die Lehrerinnen und Lehrer oder in den Kindergärten die Erzieherinnen und Erzieher. Ein interkultureller Transfer zwischen Kindern deutscher und nicht-deutscher Herkunft ist eher die Ausnahme.

Der Anteil der Schüler nicht-deutscher Herkunftssprache sagt für sich genommen kaum etwas über das soziale Gefüge in den Schulen aus. Erst in Kombination mit der Freistellung von der Zuzahlung bei den Lernmitteln entsteht ein Bild. Nichts zu den Lernmitteln beisteuern müssen alle Erziehungsberechtigten, die öffentliche Leistungen wie Hartz IV, Sozialhilfe, Wohngeld oder Bafög beziehen. Der Anteil betrug im Schuljahr 2011/2012 in ganz Neukölln 55 % und im Norden 79 %. Hier weisen nicht wenige Schulen sogar Befreiungen von über 90 % aus.

Wenn Sie sich von diesen Fakten wieder erholt haben, bedarf der letzte Aspekt noch der Vertiefung. Die Befreiungen bedeuten, dass in einer Schule 80 %, 90 % oder fast alle Eltern keiner geregelten, offiziellen Arbeit nachgehen. Den nicht fassbaren Teil der Aufstocker, also der Erwerbstätigen, die wegen ihres niedrigen Einkommens ergänzende öffentliche Leistungen erhalten, lasse ich an dieser Stelle einmal bewusst außen vor. Hieraus folgt, dass die Kinder in diesen Familien ohne den Einfluss der natürlichsten und entscheidendsten Triebfedern unseres menschlichen Seins sozialisiert werden: einen Lebensentwurf fertigen, ein Ziel haben, Leistung erbringen, Pläne verwirklichen, über Erreichtes Genugtuung empfinden, Misserfolge und Rückschläge verkraften, den Nachkommen ein Vorbild sein, um irgendwann mit ein bisschen Stolz auf sein Leben zurückblicken zu können. Die Kinder erleben nie, dass Vater und Mutter regelmäßig früh aufstehen und dann abends strahlend nach Hause kommen, weil sie Erfolg hatten, oder betrübt sind, weil es einen Misserfolg bei der Arbeit gab.

Die Wechselfälle des Lebens gehen nicht in die Erlebniswelt dieser Kinder ein und bereiten sie nicht auf eigene Lebenserfahrungen vor. Wenn die Lehrerin sie anfeuert: »Ihr müsst tüchtig lernen, damit ihr einen guten Schulabschluss macht, einen tollen Beruf erlernen könnt und viel Geld verdient, damit ihr eine schöne Frau heiraten und einen schwarzen BMW fahren könnt«, dann sagen unsere Kinder: »Aber Frau Lehrerin, das Geld kommt doch vom Amt.« Das sagen sie nicht, weil sie die Lehrerin ärgern wollen, sondern weil sie es nicht anders kennen. Kinder sind immer nur unser Spiegel.

In einer Grundschule haben wir bei der Feststellung der Befreiung von der Zuzahlungspflicht einmal die elterlichen Bewilligungsbescheide des Jobcenters aufgerechnet. Wir kamen auf rund 500 000 Euro pro Monat. Die gesamte Lebenswelt der Kinder dieser Schule alimentiert die Gesellschaft jährlich mit einem Betrag von sechs Millionen Euro. Ohne das Netz der Gemeinschaft wäre eine ganze Schule mit ihren Kindern nicht lebensfähig. Warum in drei Teufels Namen soll dann diese Gesellschaft nicht auch das Recht, ja die Pflicht haben, Forderungen zu stellen, wie sich diese Welt zum Wohle der Kinder und zum Wohle der Gesellschaft weiterzuentwickeln hat?

Wie dynamisch die beschriebenen Entwicklungen sind, sieht man an der Steigerung der Befreiungen von 33,5 % im Jahr 2004 auf 55 % im Jahr 2012. Die Theorie, dass sich soziale Verwerfungen mit der Zeit »verwachsen«, wird auch an dieser Stelle widerlegt.

Zur Geschwindigkeit der sich vollziehenden Entwicklung kann auch der Hinweis gelten, dass im Jahr 2000 der Anteil der nicht-deutschen Schüler an allen Schulabgängern in Neukölln 25 % betrug. Im Jahr 2011 waren es bereits 57 %. Wenn wir also über Notwendigkeiten von Veränderungen in Bildungssystemen sprechen, so tun wir das nicht über die Bedürfnisse einer kleinen Minderheit. In vielen Städten stellen die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund bereits mehr als die Hälfte der Gesamtschülerschaft. Auch die Wirtschaft muss zur Kenntnis nehmen, dass neben der sinkenden Gesamtzahl durch rückläufige Geburtenziffern mit den Einwandererkindern eine zweite Komponente bei der Gewinnung von Nachwuchskräften hinzukommt.

Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Schülerzusammensetzung kann auch ein Blick auf den Verlauf der Schulkarrieren nicht ausbleiben. Ich konzentriere mich an dieser Stelle auf die Abiturquoten. Im Jahre 2000 haben 10 % der migrantischen Schüler in Neukölln die Schule mit dem Abitur abgeschlossen. 2011 waren es 22 %. Wer hieraus eine exorbitante Steigerung der Schulerfolge von Einwandererkindern schlussfolgert, springt zu kurz. Denn ein solcher Anschein relativiert sich schnell, wenn man die Zahlen mit der Abiturquote deutschstämmiger Schüler vergleicht. Sie ist im selben Zeitraum von 25 % auf 42 % angestiegen. Die Bildungskluft zwischen den Schülern deutscher und nicht-deutscher Herkunft aus dem Jahr 2000 hat sich also mitnichten verringert. Die migrantischen Schüler haben noch immer nicht im gleichen Umfang Teilhabe am Bildungserfolg wie ihre deutschen Mitstreiter. Im Gegenteil, die Schere ist sogar weiter auseinandergegangen. In Zahlen ausgedrückt: Beim letzten Jahrgang haben 42 % der deutschen Schüler mit der allgemeinen Hochschulreife abgeschlossen, bei den ndH-Schülern hingegen nur 22 %. Die Differenz hat sich von 15 % auf 20 % erhöht.

Dies ist ein gutes Exempel, wie in der politischen Darstellung Sachverhalte schöngeredet und problematische Entwicklungen verschwiegen werden. Die Erfolgsmeldung in unserem Beispiel, dass sich die Abiturabschlüsse in Neukölln in den letzten elf Jahren mehr als verdoppelt haben, ist faktisch vollkommen richtig. Dass dieser Erfolg eingebettet in eine allgemeine Zunahme höherwertiger Schulabschlüsse und bei den nicht migrantischen Schülern die Erfolgsquote deutlich stärker angestiegen ist, wird aber nicht kommuniziert. Ohne die Leistung des einzelnen Schülers schmälern zu wollen, bleibt für mich die Feststellung, dass wir auf dem Bildungssektor bei der Frage der Chancengerechtigkeit nicht wesentlich vorangekommen sind.

Natürlich möchte ich auch den Vergleich der Berliner Zahlen nicht schuldig bleiben. Während in Berlin durchschnittlich 48 % aller deutschstämmigen Schüler ihre Schullaufbahn mit dem Abitur beendeten, waren es bei den Schülern mit Migrationshintergrund lediglich 24 %. Also ein identisches Bild. Die Anzahl der ndH-Schüler nimmt stark zu, auch die Bildungserfolge zeigen eine leichte Tendenz nach oben auf, ohne allerdings auch nur im Entferntesten an den Standard der deutschstämmigen Schüler heranzukommen. Schönreden ist hier auch völlig fehl am Platz. Unser Bildungssystem schafft es über ein halbes Jahrhundert nach Beginn der Einwanderung immer noch nicht, Schüler unabhängig von ihrer Herkunft zu integrieren.

Das Unwohlsein über die gefeierten Erfolgsmeldungen der Schulabschlüsse verstärkt sich noch bei einer weiteren Differenzierung. Zumindest unter Insidern ist es kein Geheimnis, dass die einzelnen Ethnien sehr ungleich, gemessen an ihrem Schüleranteil, an den höheren Schulabschlüssen beteiligt sind. Nach einer Erhebung des Senats im Jahr 2006 betrug zum Beispiel der Anteil der türkischstämmigen Schüler an allen ndH-Schülern 42 %. An den Abituren aller ndH-Schüler waren sie jedoch nur zu 23 % beteiligt. Polnische Schüler mit einem Mengenanteil von 4,2 % waren es hingegen zu 10 % und vietnamesische Schüler bei einem Anteil von 4,1 % zu 6 %.

Die Negativskala zeigt im Vergleich der deutschen mit den ndH-Schülern zwar eine inzwischen etwas abgeflachte Kurve, die aber immer noch deutliche Unterschiede ausweist. In Neukölln verlassen 14 % der Schüler die Schule ohne Abschluss (berlinweit 9 %). Bei den Schülern mit Migrationshintergrund sind es 18 % (berlinweit 14 %). Ohne Schulabschluss oder mit dem Hauptschulabschluss verlassen 42 % der Schüler in Neukölln die Schule (in Berlin 29 %). Bei den Schülern nicht-deutscher Herkunft sind es 50 % (in Berlin 43 %). Dass der Hauptschulabschluss nicht selten ein Akt pädagogischer Gnade der Lehrerin oder des Lehrers ist, sei mit dem Mantel des Schweigens bedeckt.

Die Schwierigkeit unseres Bildungssystems, gerade die Schüler mit Migrationshintergrund zu erreichen und zu motivieren, lässt sich auch an den Neuköllner Ergebnissen der Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss 2012 ablesen. Von den teilnehmenden Realschülern waren 69 % nicht-deutscher Herkunft. Wir sehen hier bereits ein deutliches Übergewicht der Einwandererkinder in den Realschulen. Von diesen Prüflingen haben lediglich 64 % im Fach Deutsch bestanden und nur 17 % (!) in Mathematik (die Durchfallquote aller Mädchen betrug in Mathematik 91 %). Noch Fragen? Insgesamt haben zwei Drittel der Schüler den Mittleren Schulabschluss geschafft. In Bezirken mit weniger starken Migrantenanteilen liegt diese Quote bei über 80 %.

Zur Bestehensquote allgemein muss man allerdings noch wissen, dass in Berlin seit dem Prüfungsjahrgang 2011 durch ein mündliches Nachprüfen das Manko bei der schriftlichen Prüfung ausgeglichen werden kann. Man kann das Desaster also wegquatschen. Damit relativieren sich natürlich Prüfungsergebnisse. Ich entstamme noch einer Generation, bei der es mit einer Fünf in Deutsch oder Mathematik in der heutigen Sprache hieße »no way, once again, please«. Ich persönlich stehe dem Mittel von Leistungsabsenkungen zur Erhöhung der Bestehensquote außerordentlich distanziert gegenüber. Man trainiert einen Hochspringer auch nicht damit, dass man die Latte niedriger hängt. Die Leistung muss dem Standard angepasst werden und nicht umgekehrt. Der Aufprall der jungen Menschen wird in der realen Welt des Berufslebens immer furchtbarer, je mehr wir sie mit einer Scheinwelt ihrer Kompetenzen in Watte packen.

Der Anteil der Bevölkerung mit fehlenden allgemeinen oder beruflichen Abschlüssen, also ohne zumindest Hauptschulabschluss oder Anlernausbildung, betrug 2010 in Neukölln 30,3 %. Im Jahr 2005 waren es 32,5 %. Demnach ist in sechs Jahren nur eine marginale Verbesserung eingetreten. Diese Werte übersteigen diejenigen für den Bezirk Pankow um das Vierfache und die für den Bezirk Treptow-Köpenick um das Dreifache. Deutlich auffällig ist auch der Bezirk Mitte, der ebenfalls einen starken Anteil von Einwanderern an der Gesamtbevölkerung aufweist. Interessant ist in diesem Zusammenhang noch eine Auswertung des Anteils der Bevölkerung unter 60 Jahren, der in einem Haushalt ohne Erwerbstätige lebt. In Neukölln ist das jeder Vierte mit 25,8 % gegenüber 27,2 % im Jahr 2005. Auch in diesem Feld ist der Bezirk Mitte der einzige Bezirk, der mit 27,2 % im Jahr 2010 sogar noch schlechter abschnitt.

Die Arbeitslosenquote betrug im Frühjahr 2012 in Neukölln 22 %. Regionalisiertes statistisches Material über die Arbeitslosigkeit bei Einwanderern liegt mir nicht vor. Wir schätzen die entsprechende Quote allerdings auf mindestens 35 %. Dies ist wahrscheinlich noch eine sehr konservative Betrachtungsweise.

Nur jeder siebte Arbeitslose in Neukölln erhält das originäre Arbeitslosengeld I. Das Gros hat keinen Anspruch auf diese Versicherungsleistung, weil entweder die Anwartschaft nicht erfüllt wird oder die Arbeitslosigkeit schon länger besteht. Die Masse bezieht also steuerfinanziertes Hartz IV. Das »Arbeitslosengeld II«, wie es korrekt heißt, hat die frühere Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfe abgelöst.

Mit der Einführung von Hartz IV hat sich die Zahl der Menschen mit Transfereinkommen – im Jargon auch Stütze oder Sozialknatter genannt – erheblich ausgeweitet. Betreute das Neuköllner Sozialamt früher rund 50 000 Kunden, so sind es im Jobcenter konstant rund 80 000. Interessant ist, dass konjunkturelle Schwankungen nur einen geringen Einfluss auf den Kundenstamm des Jobcenters haben. Nach meinen Beobachtungen beträgt die Bandbreite der Zu- und Abgänge maximal 5 %. Jeweils im Juni von 2007 bis 2012 belief sich die Gesamtzahl zwischen 77 400 als unterstem Wert und 80 950 im oberen Bereich. Die Zahl der unter 25-Jährigen beträgt nach gleichem Schema 31 730 bis 33 200. Die Zahl der erwerbsfähigen Hilfeempfänger variiert von 56 200 bis 58 200. Dennoch handelt es sich nicht um statische Akten. Innerhalb eines Jahres integriert das Jobcenter 11 000 Kunden in den Arbeitsmarkt oder in Maßnahmen. Der sogenannte Drehtüreffekt muss also eine enorme Bedeutung haben. Nach Angaben des Neuköllner Jobcenters befinden sich fast 60 % aller in den Arbeitsmarkt Vermittelten schon nach sechs Monaten wieder im Leistungsbezug. Diese sehr kurzfristigen Beschäftigungsepisoden hängen mit der Niedrigqualifikation der Hilfeempfänger zusammen. 28 % verfügen über keinen Schulabschluss und 67 % über keine Berufsausbildung. Sie sind natürlich die ersten, die bei betrieblichen Maßnahmen zur Disposition stehen, aber auch mangelndes Durchhaltevermögen und Unstetigkeit spielen eine Rolle.

Es ist davon auszugehen, dass insgesamt 92 000 aller Einwohnerinnen und Einwohner Neuköllns Transferleistungen beziehen. Das ist fast jeder Dritte. Betrachtet man speziell die Empfänger von Hartz IV, beeindruckt der Wert von 130 Bedarfsgemeinschaften auf 1000 Einwohner. Das ist Rang 1 in Deutschland. Zum Vergleich: Die Stadt Essen liegt mit 72 Bedarfsgemeinschaften auf Platz 4. Bei den unter 25-Jährigen beträgt der Anteil der Leistungsempfänger von Hartz IV in Neukölln 41 % (Berlin 28 %). In Nord-Neukölln schätzen wir den Anteil auf ca. 70 %. Im Klartext bedeutet das, dass der Hartz-IV-Bezug unter den jungen Leuten eine völlige Normalität darstellt. Auf die Frage, was sie denn mal werden wollen, antworten manche Kinder schon: »Ich werde Hartzer«, oder: »Warum Ausbildung, es gibt doch Hartz IV?« Da aber niemand vom Regelsatz protzige Autos mieten, in Hinterzimmern das Geld verzocken oder im Quartier sonst wie auf dicke Hose machen kann, muss es weitere Einkommensmöglichkeiten für die jungen Leute geben. Bezeichnenderweise erklären die Vermittler des Jobcenters, dass etwa 90 % der Kunden unter 25 Jahren ohne Qualifizierungs- und Lebenshilfemaßnahmen objektiv nicht in den Arbeitsmarkt vermittelbar sind.

Insgesamt setzen sich die Leistungsempfänger des Jobcenters sehr heterogen zusammen. Zum einen sind es Menschen mit Handicaps jedweder Art (von Behinderung bis hin zu fehlenden Kompetenzen bei Überschuldung) oder im Lebensalter ab 50 Jahren, die als angeblich nicht mehr voll leistungsfähig vom Arbeitsmarkt aussortiert worden sind. Wie ich finde, eine grauenvolle Fehleinschätzung, denn Lebenserfahrung und langjährige Berufsroutine sind zwei Werte, die man nicht unterschätzen sollte. Ich jedenfalls fühle mich, so betrachtet, altersdiskriminiert. Wer kennt sie nicht, die schneidigen jungen Leute, die einem im Alltag begegnen, manchmal von nichts eine Ahnung haben und völlig hilflos sind, wenn der Computer keine vorgefertigten Antworten auf eine Frage auswirft.

Eine zweite Gruppe sind die Alleinerziehenden. War der Verlust eines Lebenspartners früher ein Schicksalsschlag, so ist »alleinerziehend« inzwischen fast zu einer Lebensphilosophie oder zu einem Label geworden, das man mit einem gefühlten Ausrufezeichen in den Lebenslauf schreibt. In Berlin sind rund ein Drittel aller Mütter oder Väter alleinerziehend. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 20 %. Zu diesem Thema möchte ich mich nicht ausbreiten und mich nur auf die Tatsache beschränken, dass 45 % aller Alleinerziehenden vom Sozialsystem komplett oder ergänzend getragen werden. In Gesprächen bin ich immer wieder überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit Menschen davon ausgehen, dass es die natürliche Aufgabe der Gemeinschaft sei, sie zu alimentieren, und ihre Lebens- wie Familienplanung darauf ausrichten. Insbesondere bei Alleinerziehenden ist diese Auffassung recht stark verbreitet. Der Umstand, durch Zeugung und Erziehung der Gemeinschaft ausreichend gedient zu haben, fungiert dabei als unerschütterliche Rechtfertigung, die jeden Zweifel als unmoralisch entrüstet zurückweist.

Eine weitere Gruppe sind die, die den Anforderungen des heutigen Arbeitsmarktes nicht mehr gewachsen sind. Die auch in Neukölln durchaus vorhandene Nachfrage nach Arbeitskräften passt häufig nicht mit dem Qualifikationsniveau der angebotenen Arbeitskräfte zusammen. In großer Zahl sind das angeworbene Arbeitnehmer, die betriebsintern angelernt wurden. Die Betriebe und die Bänder sind fort. Die zurückgebliebenen Arbeitskräfte finden nur selten wieder Anschluss bei anderen Unternehmen oder haben auch inzwischen die Leistungen des Sozialsystems mit Gewöhnungscharakter akzeptiert.

Einen nicht unbeträchtlichen Anteil der Kundschaft bilden ferner diejenigen, die aus sich selbst heraus nicht arbeitsmarktnah sind, wie es in der Sprache der Arbeitsagentur so schön heißt. Früher nannte man sie »Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen«. Da diese Bezeichnung zu diskriminierend erschien, benutzt man heute den Begriff der »komplexen Profillage«. Auf Deutsch meint das nichts anderes als Überschuldung, Suchtprobleme, asoziales Verhalten.

Die verbleibende Gruppe sind die Menschen, die das Sozialsystem bewusst als Eier legende Wollmilchsau betrachten oder, vornehmer formuliert, es als allgemeine Lebensgrundlage für sich angenommen haben. Die Sozialleistungen dienen der Absicherung der Grundlasten des Lebens wie Miete, Essen und Trinken, Energie und Krankheitskosten. Für den Spaßfaktor im Leben findet sich dann schon eine Gelegenheit des Zubrotes. Nun hat es das, was im Amtsdeutsch »Erschleichen von Sozialleistungen« heißt, immer gegeben, auch ohne Einwanderung. In Verbindung mit der Einwanderung aber übt ein System, das pekuniäre Leistungen austeilt, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, auf Menschen eine hohe Versuchung aus, wenn sie aus Kulturkreisen stammen, in denen man ein staatliches Solidarsystem und den gesellschaftlichen Schutz vor existenzieller Not überhaupt nicht kennt.

Der Fairness halber darf man die nicht unterschlagen, denen wir es verboten hatten, für sich selbst durch Arbeit zu sorgen: Asylbewerbern war es untersagt, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Dahinter stand der politische Wille, eine Sogwirkung nach dem Motto »Kommt alle her, hier kann man richtig Geld machen« zu vermeiden. Die jahrelange Dauer der Asylverfahren, Staatenlosigkeit und weggeworfene Pässe mit einhergehender Amnesie des Wegwerfers, all diese Dinge führten zu Dauerduldungen teils über Jahrzehnte. Wenn man Menschen über einen so langen Zeitraum an das Sozialsystem gewöhnt, darf man sich nicht beklagen, wenn sie eine perfektionierte Professionalität erreichen und die Rechtsmaterie sicherer beherrschen als mancher Sachbearbeiter im Jobcenter.

An dieser Stelle will ich die verallgemeinernde, umgangssprachliche Kategorisierung aller Hartz-IV-Empfänger als Unterschicht aufgreifen. Immer wieder werden alle Menschen im Transfersystem als Unterschicht kategorisiert. Allein schon durch die vorstehende Differenzierung wird deutlich, dass die Empfänger von Hartz IV keine homogene Gruppe sind. Die Unterschicht hingegen ist es schon. Von Unterschicht spricht man immer dort, wo soziale, kulturelle, ökonomische und Bildungskompetenzen nicht vorhanden sind. Warum aber soll ein arbeitsloser Akademiker keine Bildungskompetenzen, eine alleinerziehende Mutter keine sozialen und ein Einwanderer keine kulturellen Kompetenzen haben? Also wird eine pauschalierende Betrachtungsweise der Vielschichtigkeit der Lebensläufe von Transferleistungsempfängern in keiner Weise gerecht.

Im Übrigen stammt der Begriff »Unterschicht« aus den Anfängen der Soziologie. Die heute gelegentlich verwendeten Begriffe wie »Prekariat« oder gar »abgehängtes Prekariat« haben eigentlich nur den Sinn, ein als stigmatisierend gebrandmarktes Wort schönredend zu umgehen. Manchmal dienen sie im Diskurs auch nur der Verschleierung gesellschaftlicher Realitäten.

Ein Viertel der Berlinerinnen und Berliner hat ein Einkommen unterhalb oder in der Nähe der Armutsgefährdungsschwelle. Auch hier liegt Neukölln mit 38 % weit über dem Durchschnitt. Der Grenzwert liegt in Berlin für einen Erwachsenen bei 766 Euro Nettoeinkommen pro Monat. Für alle weiteren Haushaltsmitglieder über 13 Jahre wird die Hälfte dieses Betrages hinzugerechnet und für die Jüngeren 30 %. Bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund gehen wir in Nord-Neukölln von etwa 60 % aus, die – wenn man ihre offiziellen Einkünfte zugrunde legt – dieses Kriterium erfüllen. Schnell liest sich über diesen Satz hinweg. Er spricht eine deutlichere Sprache, wenn man sich vor Augen hält, dass in Nord-Neukölln der Anteil der Kinder unter 15 Jahren, die im Hartz-IV-Bezug stehen, entgegen dem Berliner Trend kontinuierlich steigt und mit 67 % fast doppelt so hoch wie im Berliner Durchschnitt ist. In einzelnen Wohngebieten im Norden hat dieser Wert bereits 75 % erreicht. Das heißt, für drei von vier Kindern ist es völlig normal, dass die eigenen Lebensverhältnisse und die Geldleistungen des Staates in einer unmittelbaren Wechselbeziehung stehen. Dies muss Auswirkungen auf ihre spätere Einstellung zur Eigenverantwortlichkeit und zu ihren Lebensperspektiven haben.

Wie bereits erwähnt, muss die Sozialisation der Kinder in einer permanenten Empfängersituation staatlicher Alimentation eine Erwartungshaltung prägen, die jeglichen Willen zur eigenen Leistungsbereitschaft überlagert. Da das Sozialsystem natürlich nicht die gesamte Palette der Konsumwünsche abdeckt und auch nicht abdecken kann, entsteht im Vergleich zu anderen Menschen in komfortableren Lebensverhältnissen ein permanentes Gefühl der Benachteiligung. In wessen Lebenskompass der Wunsch, auf eigenen Füßen zu stehen und unabhängig zu sein, durch den gesellschaftlichen Schnuller ersetzt ist, dem wird vermutlich auch auf Dauer ein Selbstwertgefühl mit Zufriedenheit und Stolz vorenthalten bleiben.

Allerdings ist der Armutsbegriff mit großer Vorsicht zu betrachten. Auf meine Frage: »Wie vielen Ihrer Hartz-IV-Eltern, denken Sie, steht das Wasser bis Oberkante Unterlippe, wie viele sind also wirklich arm?«, habe ich mehrfach die Antwort von Schul- und Kindertagesstättenleitungen erhalten: »Etwa ein Drittel.« Ohne dass es dafür offizielle Erhebungen oder Statistiken geben kann, ist es trotzdem völlig unstreitig, dass es eigene Beziehungsgeflechte und auch einen eigenen Arbeitsmarkt in der informellen ethnischen Wirtschaft gibt. Die offiziellen Einkünfte können niemals die einzigen Erwerbsquellen vieler Familien sein. Dies müsste zu einer Vielzahl an freien Parkplätzen in Neukölln führen, die allerdings so noch nicht geortet wurden, und steht ferner im krassen Widerspruch zur Unterhaltungselektronik der Kinder oder den Kraftfahrzeugen, mit denen die Kinder zur Schule gebracht werden. Die Erfahrungswelt wird immer dann bereichert, wenn man persönlich in einen Fall involviert wird. Auch Erzieher und Lehrer können über beeindruckende Einblicke in den Lebensstandard nomineller Hartz-IV-Familien zum Thema Fahrzeugpark oder Gewerbebetriebe berichten. Immer wieder wird die Frage diskutiert, wie die Eltern es trotz Sozialtransfer zu mehreren Geschäften bringen können oder wie junge, arbeitslose Männer zu Autos der 100 000-Euro-Klasse kommen. Der Fall eines Imams in Köln im Frühjahr 2012 zeigte beeindruckend, dass ein starkes Netzwerk auch einem Hartz-IV-Bezieher ein Leben mit Häuschen, Garten und Mercedes ermöglichen kann.

Doch das Eis ist manchmal dünn. Wenn zum Beispiel das Krankengeld nicht so fließt, wie man es sich nach einem Schicksalsschlag vorstellt, weil nur die offiziellen Verdienste zur Grundlage genommen werden; wenn es Streitereien um versprochenen, aber nicht gezahlten Lohn gibt; oder wenn kleine Freundschaftsdienste nicht die erwartete pekuniäre Auslösung finden. Das System Entlohnung nach BAT (Bar auf Tatze) ist hier weit verbreitet. Es sind auch nicht der übliche Schmu und die Kleinbetrügerei, mit denen Menschen in prekären Lebenssituationen versuchen, ein paar Scheinchen an den Behörden vorbei zu generieren. Nein, es ist ein System.

Abgaben an den Staat werden als absolut entbehrlich eingestuft (menschlich nachvollziehbar), aber dann auch planmäßig professionell unterlaufen. Es fehlt in diesen Kreisen jedwede Einsicht in das Solidarsystem der Gemeinschaft oder in den Grundsatz »Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist«. Einen Krankenschein bekommt man doch auch vom Jobcenter. Warum soll man dann noch Krankenversicherungsbeiträge vom Nebenverdienst abführen? Ein offizieller Mini-Jobber und Hartz-IV-Bezieher muss sich auch nicht mit der Lohnsteuer und der Rentenversicherung herumplagen. Arbeitgeber profitieren ebenfalls von den Machenschaften der informellen (ethnischen) Wirtschaft. In diesen Systemen existieren ganze Netze von Namen, Scheinidentitäten und Scheinfunktionen. Das Dickicht ist undurchdringlich. Zum einen verfügt unser Jobcenter bei 80 000 Kunden mit vier (!) Außendienstmitarbeitern über eine nahezu lächerliche Armada und vermittelt so eine recht unterhaltende Drohkulisse. Zum anderen machen die familiären Beziehungsgeflechte Einblicke von außen fast unmöglich.

Es geht hier nicht um individuelles Fehlverhalten, Eierdiebe und Sozialschmarotzer. Die gibt es überall, und das ist auch keine Frage der Ethnie. Der Mensch an sich und Geld sind antagonistisch. Schummelei und Betrug, Abzocke bis zur organisierten Kriminalität findet man in jedem Volk und auf jeder gesellschaftlichen Ebene. Je weißer das Hemd und je staatstragender die Sprüche, desto größer die Anzahl der Nullen vor dem Komma als Ziel der Begierde. Wo der Hartz-IV-Empfänger sich mit der Schwarzvermietung seiner Wohnung 300 Euro monatlich in die Tasche steckt, sahnen die feinen Leut’ zum Beispiel drei Millionen Euro mit Schrottimmobilien ab.

Nein, darum geht es nicht, das ist Arbeit für die dafür zuständigen Behörden. Wir können gerne darüber streiten, ob diese effektiv arbeiten und ob es von der Gesellschaft überhaupt gewünscht wird, dass sie effektiv arbeiten. Hier geht es vielmehr um Parallelgesellschaften. Hier geht es um Einflussgebiete jenseits unserer Rechtsordnung. Hier geht es um Gemeinschaften, die sich durchaus an Werte und Normen halten – nur nicht an die unsrigen. Und die eine eigene Auffassung davon haben, mit wem man solidarisch zu sein hat. Das ist nicht die staatliche Gemeinschaft, sondern das ist die Familie. Einzig und allein ihre Belange zählen.

Parallelgesellschaften haben bei uns längst einen derartigen Ausbaugrad und eine Verbindlichkeit erreicht, dass ich sie für irreversibel halte. Hegemonialansprüche begleiten diese Entwicklung. Nach dem Motto »Das ist Unseres, hier haben wir das Sagen« werden der Sozialraum und die Lebensgewohnheiten in ihm dominiert. Ein wunderbares Beispiel dafür ist die Eröffnung einer arabischen Boutique in der Neuköllner Innenstadt. An die Hauswand wird in deutscher Sprache der Text einer Sure angebracht, der die Züchtigkeit und die Unterordnung der Frauen fordert. Erst nach starkem öffentlichem Protest, auch in den Medien, wird die Aufschrift wieder entfernt.

Das gesamte kulturelle Leben und die üblichen Lebensabläufe sind plötzlich in Frage gestellt, wenn sich die Bevölkerung zu einem erheblichen Maß austauscht. Ein Beispiel aus dem Alltag ist der Sport. Der Sport ist der beste Motor der Integration, so heißt es immer. Na ja, wenn man es auf den Fußball reduziert und die weniger freundlichen Geschehnisse auf so manchem Fußballplatz am Sonntag außen vor lässt. Die Realität ist einfach so, dass bestimmte Sportarten von Muslimen nicht betrieben werden, und Mädchensport gibt es bei ihnen schon gar nicht. So kann es nicht verwundern, dass über die Jahre deutsche Vereine mit traditionellen Sportarten wie Turnen, Handball oder auch Volleyball von der Bildfläche verschwunden sind. Ein Stück Kultur, aber auch der Sportverein als Schmiede von Regelakzeptanz, Kameradschaftsgeist und Solidarität ist natürlich seiner Wirkung beraubt. Ich leite aus dieser Darstellung keine konkreten Schlussfolgerungen ab, aber ich möchte schon verdeutlichen, dass Einwandererviertel die herrschenden Rollen und Riten der einheimischen Bevölkerung nicht automatisch für sich übernehmen und insofern ein Kulturverlust eintritt.

Die deutschen Normen gelten nur so lange, wie sie nützen und/oder einträglich sind. Danach verlieren sie schnell an Bedeutung. An ihre Stellen treten rituelle Gebräuche und tradierte Verhaltensweisen, die eine enorm verbindliche Wirkung entfalten. Davon abweichende Lebensarten werden schnell als schlecht, schlampig oder ungläubig abqualifiziert. »Die leben wie die Deutschen« ist nicht als Kompliment gemeint. Bei den Betroffenen führt das zu Verunsicherung und Anpassung. Die Deutschen wollen uns nicht und benachteiligen uns, weil wir Ausländer sind. Dann möchte ich auf keinen Fall, dass auch die eigenen Leute uns verstoßen.

Parallelgesellschaften erreichen mitunter die Bedeutung der Familie. Ihrem Wohl ist alles unterzuordnen. Jeder hat die Pflicht, alles zu tun, was sie schützt und stärkt, und alles zu unterlassen, was ihr oder ihrer Ehre schadet. So fragte ein muslimischer Schlüsseldienst beim Imam per E-Mail an, ob er der Polizei helfen darf, die Wohnung eines Glaubensbruders zu öffnen, oder ob ihn das sündig macht.

Die Botschaften, die wir zu diesem Thema aussenden, sind zu schwach bis nahezu absurd. Wenn die Bundeskanzlerin an die Einwanderer appelliert, die deutschen Gesetze zu respektieren, ist das fast schon eine Unterwerfungsgeste. Nicht anders empfinde ich die kürzlich erfolgte Reform des Eherechts: Seit 2009 ist das Verbot rein kirchlicher Ehen aufgehoben. »Damit werden der muslimischen Vielehe« – vier Ehefrauen sind erlaubt – »und der Zwangsverheiratung in Deutschland Tor und Tür geöffnet«, kritisierte die türkische Frauenrechtlerin und Rechtsanwältin Seyran Ateş völlig zu Recht. Solche »Ehen light« allein vor Allah, die selbst in der Türkei nicht zulässig sind, führen dazu, dass die Frauen völlig rechtlos sind und keinerlei Unterhalts- oder Erbansprüche geltend machen können. Gleichstellungspolitisch ein riesiger Schritt zurück zu Fred Feuerstein. Die Begründung hierfür müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen: »Die Erfahrungen haben gezeigt, dass andere (als die katholische und evangelische Kirche) in Deutschland vertretene Religionsgemeinschaften trotz wiederholten Hinweises durch verschiedene deutsche Stellen nicht dazu bewegt werden konnten, ihre Eheschließungspraxis nach den §§ 67, 67a Personenstandsgesetz (= kirchliche Trauung erst nach standesamtlicher Eheschließung zulässig) auszurichten. Es sollte daher bei dem Wegfall der im Verhältnis zu den beiden großen Kirchen nicht erforderlichen und sonst offenbar wirkungslosen Vorschrift verbleiben.« Also auf Deutsch: Die Evangelen und Katholiken halten sich dran, andere wie die Muslime scheren sich eh einen Dreck um die Vorschrift, also kann sie auch gleich weg. Ich finde, größer kann ein Offenbarungseid nicht ausfallen. Wenn das Beispiel Schule macht, könnten wir so manchem Früchtchen das Leben in Deutschland leichter und bequemer machen: Vorschriften, die ohnehin keiner beachtet, schaffen wir einfach ab.

Wie schnell und devot sich unsere Gesellschaft zurückzieht, zeigt auch ein anderes bemerkenswertes Beispiel: In der Jugendarrestanstalt in Berlin erhalten die Insassen grundsätzlich kein Essen mehr, das Schweinefleisch enthält. Die Begründung für den Erlass: »70 % der dortigen Arrestanten haben einen Migrations-Hintergrund. Sie dürfen aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch essen. Extrawürste lohnen sich nicht.« Alles klar, ist doch logisch. Wer die meisten Straftäter stellt, diktiert auch den Speiseplan. Allerdings stelle ich mir vor, was bei umgekehrten Verhältnissen wäre. Würden dann bei den 30 % Muslimen auch Leberwurst und Wiener auf den Tisch kommen? Ich glaube kaum. Wäre auch nicht in Ordnung.

Da ist der Rotterdamer Oberbürgermeister Ahmed Aboutaleb klarer und bestimmter: »Ich diskutiere mit niemandem über die Gesetze dieses Landes. Wem sie nicht gefallen, der kann sich gerne ein Land suchen, wo er mit ihnen besser zurechtkommt.« Wir jedoch stellen die Unabdingbarkeit unseres Rechtsstaates und seiner Normen immer wieder selbst in Frage. Was ist es anderes als Kulturrelativismus, wenn der Kreuzberger Bezirksbürgermeister seine politische Linie wie folgt beschreibt: »Warum sollen Bürger mit bestimmtem Background nicht in einer Parallelgesellschaft leben, wenn wir in einer Gesellschaft mit nur Parallelgesellschaften leben? Im Sportverein herrschen eigene Regeln. Wenn ich in der Karnickelzucht engagiert bin, bin ich dort auch in einer Parallelgesellschaft (…). Man sollte also auch Arabern ihre Parallelgesellschaft gönnen.« Das Auseinanderdriften der Gesellschaft so zu verharmlosen ist einfach nur verantwortungslos.

Wie immer darf man natürlich nicht alle und alles über einen Kamm scheren. Auch muss man nach meinem Dafürhalten eine grundsätzliche Trennung vornehmen. Und zwar zwischen denen, die im Rahmen der Anwerbeabkommen als Gastarbeiter nach Deutschland kamen – sie hatten den Spirit, mit ihrer Hände Arbeit Wohlstand für ihre Familie in der Heimat zu schaffen –, und denen, die in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts mit völlig anderen Beweggründen eingewandert sind. Sie kamen als Asylbewerber, Bürgerkriegs- oder Wirtschaftsflüchtlinge oder als Teil einer ganzen Armutswanderung. Ihre Triebfeder war, den heimatlichen Zuständen zu entkommen.

Ich will an zwei Beispielen festmachen, zu welchen unterschiedlichen Auswirkungen diese mentale Divergenz führte. Es handelt sich um zwei Familien, die mir in den letzten Jahren begegnet sind. Die eine Familie war eine klassische Gastarbeiterfamilie. Sie hatte nur ein Ziel: Geld verdienen, es zusammenhalten, um den Kindern den Start in ein besseres Leben zu ermöglichen. Sie wohnte in der Sonnenallee. Am Tage arbeiteten die Eltern in der Fabrik. Daneben versahen sie die Hauswartsstelle, und vor der Arbeit wurden Zeitungen ausgetragen. Bei den Hauswartstätigkeiten, also zum Beispiel beim Treppenputzen, mussten die Kinder mit ran.

Heute wohnen die beiden Alten wieder in ihrem Häuschen in der Nähe von Istanbul. Sie haben die deutsche Kleingärtnermentalität mit in die Türkei zurückgenommen. Die Nachbarn bewundern die bunten Blumen, die immergrünen Gewächse, die völlig unüblich in ihrem Garten blühen, und – nicht zu vergessen – die liederlich herumstehenden Gartenzwerge. Die Tochter ist in der Berliner Verwaltung tätig. Ich glaube, sie bereitet sich gerade auf eine neue Aufgabe als Oberamtsrätin vor. Der Sohn hat seinen Weg in einem großen Metallbetrieb gefunden. Beide haben hier Familien gegründet. Mit Flatrates kann man wunderbar in Verbindung bleiben und dank Billigfliegern sich auch mehrfach im Jahr sehen. Bei ihrem letzten Besuch traf ich die Eltern. Ihre Worte habe ich nicht vergessen: »Herr Bürgermeister, das ist hier nicht mehr unsere Sonnenallee. Hier würden wir heute nicht mehr wohnen wollen.« Man sollte solche spontanen Emotionen nicht überbewerten. Aber ein Zeichen sind sie schon.

Die zweite Familie entstand im Jahre 1990, als eine junge Frau und ein junger Mann als Asylbewerber aus dem Libanon nach Berlin kamen. Sie gründeten hier eine Familie und haben inzwischen zehn Kinder, von denen einige die Schulausbildung bereits beendet haben. Niemand von dieser Familie hat, solange er in Deutschland lebt, auch nur einen einzigen Tag selbst zu seinem Lebensunterhalt etwas beigesteuert. Ich höre förmlich die empörten Rufe, dass das genau die Familien sind, die Unmut erzeugen. Allerdings haben wir zu diesem Werdegang unser gehöriges Maß beigetragen. Über viele Jahre war unsere Gesellschaft nicht in der Lage, den Asylantrag endgültig zu bescheiden. Eine lange Zeit der Duldung war die Folge, in der die Eltern nicht arbeiten durften. Und so hat sich die Familie über zwei Jahrzehnte daran gewöhnt, dass Deutschland ein Land ist, in dem man Geld erhält, ohne dass man dafür eine Gegenleistung erbringen muss.

Ein Staat und eine Gesellschaft müssen klare Konturen haben. Es kann zu den Lebensnormen nur eine Verbindlichkeit geben, nämlich die der geltenden Rechtsordnung. Die Chinesen sagen nicht umsonst: »Du kannst nicht Diener zweier Herren sein.« Unser Gesellschaftssystem ist völlig anders aufgebaut als das der Herkunftsländer vieler Einwanderer. Ein Mischmasch geht nicht. Deshalb funktionieren Parallelgesellschaften nur, solange sie ihre Abschottung aufrechterhalten können: nämlich solange »die Deutschen« ein Schreckgespenst bleiben und man innerhalb der Community den Druck aufrechterhalten kann, sich von den Deutschen, den Ungläubigen, fernzuhalten. Das gelingt nicht immer. Es ziehen Einwandererfamilien aus Neukölln fort, die mir offen sagen: »Herr Bürgermeister, wir halten es hier nicht mehr aus. Wir wollen in Ruhe und Frieden leben. Meine Frau und ich sind es leid, uns im Supermarkt oder auf dem Spielplatz beschimpfen zu lassen, dass wir aus dem und dem Grund schlechte Moslems, schlechte Türken, schlechte Araber oder sonst was sind. Wir wollen auch nicht immer wieder erklären müssen, warum unsere Tochter kein Kopftuch trägt.«

Die vorstehenden Passagen werden dem einen oder anderen nach dem Motto »Der hat ja eine Einwandererphobie« stark übertrieben vorkommen. Nun ja, zu dieser Auffassung kann man gelangen. Insbesondere dann, wenn man fernab ist, keine Verantwortung spürt oder trägt. Wem es egal ist, wie sich die Gemeinschaft und damit der Lebensraum jedes Einzelnen entwickelt, der trifft damit den aktuellen Mainstream. Die Gesellschaft liebt Placebos und Sedierung: Alles wird gut.

Wer wie ich in den beschriebenen Verhältnissen tagtäglich umgehen muss, sieht sie fast schon wieder als Normalität. Dabei gehen selbst mir manchmal die Maßstäbe verloren. Als ich das Untersuchungsergebnis für die Einschulung vom letzten Herbst erhielt, habe ich kein bisschen gezuckt. Und dennoch ist es bei einigem Nachdenken unglaublich, dass wir insgesamt 39 % aller Einwandererkinder eingeschult haben mit gar keinen oder nur sehr fehlerhaften Deutschkenntnissen. Dass dies nach 48 % in 2009 und 49 % in 2010 schon ein erheblich niedrigerer Wert ist, wirkt dabei auf mich kein bisschen beruhigend (zumal zwischen 2009 und 2011 die Sprachauffälligkeiten bei den deutschstämmigen Abc-Schützen von 10 % auf 17 % gestiegen sind). Wir schulen Kinder der dritten oder vierten Einwanderergeneration ein, die der Landessprache nicht mächtig sind. Von denen fast 10 % sogar ohne jeden Bezug zur Sprache sind. Obwohl zumeist einer der Elternteile in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Wo haben sie bisher gelebt? Wie wird in der Familie gesprochen? Welcher Fernsehsender ist eingeschaltet?

Ich glaube, wir alle können diese Fragen beantworten: Man spricht die Sprache aus dem Dorf von Opa. Wir sind und bleiben Türken, Araber, Somalier oder was auch immer. Das ist eben der Unterschied zu Einwanderern in den USA. Diese wollen Amerikaner werden. Die Menschen aber, über die ich spreche, wollen keine Deutschen werden. Deswegen leben und bleiben sie in ihrer Welt, und deswegen bemühen sie sich nicht, aktiv das deutsche oder mitteleuropäische Wertesystem zu erfassen. Es ist auch leicht für sie, diesen Weg zu wählen. Man muss in Stadtlagen wie Neukölln nicht die deutsche Sprache beherrschen. Das Alltags- und Dienstleistungsangebot der eigenen Ethnie ist inzwischen perfektioniert und vollkommen. Benötigt man einen Behördenkontakt, regelt das ein Bekannter als Sprachmittler, oder man besteht auf einem Dolmetscher. Wird diesem Willen nicht nachgegeben, gerät die Behörde in die Kritik, weil sie nicht kultursensibel ist.

Ob es sich einfach um menschliche Bequemlichkeit oder eine aktive Verweigerungshaltung handelt, ist naturgemäß im Einzelfall schwer zu entscheiden. Bei meinen vielfältigen Gesprächen über einen langen Zeitraum mit unmittelbar vor Ort tätigen Menschen in Kindergärten, Schulen, Migrantenorganisationen oder auch direkt mit Einwanderern wird immer wieder ein Wert von 30 % der Einwanderer genannt, die – entweder bewusst oder aus Gleichgültigkeit – an der deutschen Gesellschaft vorbeileben. Ich kann nicht belegen, ob diese Einschätzungen zutreffen. Aus der Erfahrung heraus halte ich es für nicht unwahrscheinlich.

Die Auffassung, das ist eben so und basta, ist bequem. Dann lassen wir die ethnischen Kolonien oder »asymmetrischen Gesellschaften«, wie sie der verstorbene Stadtsoziologe Professor Dr. Hartmut Häussermann oder der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad genannt haben, doch einfach in Ruhe. In Kanada, in den USA, in Australien, überall gibt es »ethnische Stadtviertel«. Was stört uns an Deutsch-Izmir in Berlin? Das ist in der Tat kein Spaß, sondern von erheblicher Relevanz. Bereits heute liegt der Anteil der Einwandererkinder bis 18 Jahren bei 67 %. In Nord-Neukölln sind es schon 80 %. Spätestens in zehn Jahren wird Neukölln, zumindest aber Nord-Neukölln eine Einwandererstadt sein.

Wir entscheiden heute mit unserer Politik, ob Neukölln dann nur noch auf dem Atlas in Mitteleuropa liegt oder auch in den Köpfen und in den Herzen der Menschen, die dort leben. Deswegen ist es eben nicht egal, ob die Eltern ihre Kinder erziehen, wie sie sie erziehen, und welche Werte sie ihnen vermitteln. Aus meiner Sicht steht mehr auf dem Spiel als in der witzigen Bemerkung einer bedeutenden Person, die sich beim Amtsantrittsgespräch bei mir einführte mit der Bemerkung: »Eines habe ich als allererstes gelernt: In Neukölln herrscht eine andere Straßenverkehrsordnung.«