KAPITEL 11

 

Colonel McCandless war nahe bei seinem Freund Colonel Wallace geblieben. Wallace war der Kommandeur der Brigade, die die rechte Seite von Wellesleys Linie bildete.

Wallace hatte die Vorhut und sein eigenes Regiment, das 74., irgendwo im Norden verschwinden sehen, doch er war zu beschäftigt gewesen, seine beiden Sepoy-Bataillone in die Angriffslinie zu Orrock oder Swinton zu bringen, um sich zu ärgern. Er beauftragte einen Adjutanten damit, Orrocks Männer zu beobachten, rechnete damit, dass sie jeden Augenblick zu ihm einschwenken würden.

Dann vergaß er die fehlgeleitete Vorhut, als seine Männer aus der Senke in das Feuer der Marathen-Geschützlinie stiegen. Kartätschen zerfetzten Wallaces Reihen, es peitschte wie Hagel aus den Musketen seiner Männer, und es peitschte Laub von den verstreuten Bäumen, zwischen denen die Madras-Bataillone marschierten, aber genau wie das 78. Regiment machten die Sepoys nicht kehrt. Sie marschierten stur wie Männer, die sich gegen einen Sturm stemmten, und nach sechzig Schritten ließ Wallace sie halten, um sie eine Salve zu den Kanonieren schicken zu lassen.

McCandless konnte hören, wie die Musketenkugeln von den bemalten Rohren der Geschütze abprallten. Sevajee war bei ihm und starrte ehrfürchtig, als die Sepoys neu luden und weitermarschierten, mit aufgepflanzten Bajonetten für die Kanoniere.

Für einen Augenblick gab es ein chaotisches Abschlachten, als Madras-Sepoys Kanoniere aus Goa um die Geschütze herumjagten, doch Wallace sah bereits voraus und erkannte, dass die berühmte feindliche Infanterie wankte, offenbar schockiert von dem leichten Sieg des 78., und so rief der Colonel seinen Sepoys zu, die Kanoniere zu ignorieren, sich neu zu formieren und den Angriff auf die Infanterie fortzuführen.

Es dauerte einen Moment, die Linie zu formieren, und dann rückte sie von den Geschützen weg auf die Infanterie zu. Wallace ließ eine Salve schießen, dann griff er an, und die ganze Linie der berühmten Marathen-Fußsoldaten flüchtete vor dem Sepoy-Angriff.

McCandless war in den nächsten Augenblicken beschäftigt. Er wusste, dass der Angriff nicht in der Nähe von Dodds Regiment geführt worden war, aber das hatte er auch nicht erwartet. Er hoffte, mit Wallace nordwärts reiten zu können, um das 74. zu finden, das Regiment, das seiner Beute am nächsten war, doch als die Sepoys ihre Selbstkontrolle verloren hatten und aus ihren Reihen ausgebrochen waren, um die geschlagene feindliche Infanterie zu verfolgen, half McCandless den anderen Offizieren, sie zu sammeln und zurückzutreiben. Sevajee und seine Reiter blieben zurück, denn es bestand die Möglichkeit, dass man sie irrtümlich für feindliche Kavallerie hielt.

Für einen Moment bestand die Gefahr, dass die verstreuten Sepoys angegriffen und von der Masse der feindlichen Kavallerie im Westen abgeschlachtet wurden, doch ihre eigene flüchtende Infanterie war der Kavallerie im Weg, und das 78. stand wie eine Festung auf der linken Flanke. Die Bataillonsgeschütze schickten der Kavallerie Feuer entgegen und die Marathen-Reiter hielten es nach einem halbherzigen Vorstoß für besser, nicht anzugreifen.

Die Sepoys formierten ihre Reihen wieder und grinsten wegen ihres Siegs. McCandless gesellte sich nach der Erledigung seiner kleinen Aufgabe wieder zu Sevajee.

»So kämpfen also die Marathen«, bemerkte der Colonel abfällig.

»Söldner, Colonel, Söldner«, sagte Sevajee, »keine Marathen.«

Fünf siegreiche Rotrock-Regimenter standen jetzt in den Reihen auf der südlichen Hälfte des Schlachtfelds. Im Westen war die feindliche Infanterie immer noch ungeordnet, obwohl Offiziere sie neu zu formieren versuchten, während sich im Osten ein entsetzlicher Anblick von blutigen Leichen bot, über die die Rotröcke vorgerückt waren.

Die fünf Regimenter hatten die Geschützlinie durchbrochen und die Infanterie verjagt und formierten sich jetzt etwa zweihundert Schritte westlich der Stelle, an der die Marathen-Infanterie ihre Linie gebildet hatte, von wo aus sie auf die Spur des Gemetzels zurückblicken konnte, das sie verursacht hatte.

Reiterlose Pferde galoppierten durch die lichter werdenden Pulverrauchwolken, wo Hunde bereits an den Toten fraßen und Vögel mit schwarzen Schwingen auf Leichen herabschwebten.

Jenseits der Gefallenen, auf dem fernen Terrain, auf dem die Schotten und Sepoys ihr Vorrücken begonnen hatten, war jetzt Marathen-Kavallerie, und McCandless, der durch sein Fernrohr spähte, sah einige der Kavalleristen aufgegebene britische Geschütze anschirren, deren Ochsengespanne von dem Bombardement getötet worden waren, mit dem die Marathen die Schlacht eröffnet hatten.

»Wo ist Wellesley?«, fragte Colonel Wallace McCandless.

»Er ist nordwärts geritten.« McCandless starrte jetzt zum Dorf, wo furchtbar gekämpft wurde, doch er konnte keine Einzelheiten erkennen, denn dort verhinderten dichte Baumreihen eine freie Sicht auf den Kampf. Aber der Pulverrauch, der über den Kronen der Bäume aufstieg, war ebenso beredt wie das unaufhörliche Musketenfeuer.

McCandless wusste, dass er dort, wo der Kampf tobte, seine Mission erfüllen musste, denn Dodd war sicherlich in der Nähe des Kampfes oder daran beteiligt, doch der Weg dorthin war McCandless’ durch den Stumpf der Marathen-Verteidigungslinie versperrt, den Abschnitt der Linie, der weder von den Schotten noch den Sepoys angegriffen worden war. Um den Kampfplatz zu erreichen, hätte McCandless einen weiten Bogen nach Osten schlagen müssen, aber dieser Landstrich war voll von marodierenden Trupps feindlicher Kavallerie.

»Ich hätte mit Swinton vorrücken sollen«, sagte er reumütig.

»Wir holen ihn schon bald ein«, sagte Wallace, jedoch ohne Überzeugung. Es war für beide Männer klar, dass Wallaces Regiment, das 74., zu weit nach Norden marschiert war und sich im Dickicht der Marathen-Verteidigungslinien um Assaye herum verheddert hatte.

»Zeit, nach Norden zu schwenken, finde ich«, sagte Wallace, und er rief seinen beiden Sepoy-Bataillonen den Befehl zu. Er hatte keine Machtbefugnis über die verbliebenen beiden Sepoy-Bataillone, doch er war bereit, sie auf das entfernte Dorf zumarschieren zu lassen, in der Hoffnung, sein eigenes Regiment zu retten.

McCandless beobachtete, wie Wallace die beiden Bataillone vorbereitete. Dieser Teil des Schlachtfelds, vor Minuten ohrenbetäubend erfüllt vom Krachen der Kartätschen und dem Hämmern von Salven, war jetzt unheimlich ruhig. Wellesleys Angriff war erstaunlich erfolgreich gewesen, und der Feind gruppierte sich um, während die Angreifer, siegreich auf dem Nordufer des Kaitna, Atem holten und nach dem nächsten Ziel Ausschau hielten.

McCandless dachte, dass Sevajees Hand voll Reiter eine Eskorte war, die ihn sicher zum Dorf eskortieren konnte, doch ein weiterer Trupp von Marathen-Kavallerie galoppierte aus einer Bodensenke herauf. Wellesley und seine Adjutanten waren nordwärts geritten und hatten anscheinend die feindlichen Reiter überlebt, doch das Passieren des Generals hatte weitere Reiter auf das Gebiet aufmerksam gemacht, und McCandless hatte nicht vor, Spießruten zu laufen, und so gab er die Idee eines Gewaltrittes nach Norden auf.

Gerade in diesem Augenblick bemerkte er Sergeant Hakeswill, der bei einem toten Feind kauerte, mit den Zügeln eines reiterlosen Pferdes in einer Hand. Eine Gruppe Rotröcke war bei ihm, alle von seinem eigenen 33. Regiment. Und als McCandless den Sergeant sah, schaute Hakeswill auf und bedachte den Schotten mit einem so feindseligen Blick, dass McCandless sich fast entsetzt abgewandt hätte.

Stattdessen trieb er jedoch sein Pferd an und ritt die paar Yards zu Hakeswill hin.

»Was machen Sie hier, Sergeant?«, fragte er scharf.

»Meine Pflicht, Sir, wie sie mir obliegt«, sagte Hakeswill. Wie immer, wenn er von einem Offizier angesprochen wurde, hatte er sich aufgerichtet und stand still.

»Und was sind Ihre Pflichten?«, fragte McCandless.

»Puckalees, Sir. Ich habe die Aufsicht über die puckalees, stelle sicher, dass die kleinen Irren ihre Pflicht tun, Sir, nichts sonst. Was sie tun, weil ich mich wie ein Vater um sie kümmere.« Er entspannte sich gerade genug, um schnell in Richtung des 78. Regiments zu blicken, wo eine Gruppe von puckalees ihre Wasserschläuche verteilte, die sie im Fluss gefüllt hatte.

»Haben Sie schon an Colonel Gore geschrieben?«, fragte McCandless.

»Habe ich schon an Colonel Gore geschrieben, Sir?«, wiederholte Hakeswill die Frage, und in seinem Gesicht zuckte es schrecklich. Er hatte vergessen gehabt, dass er den Haftbefehl neu ausstellen lassen sollte, denn er hatte sich darauf verlassen, dass McCandless tot sein würde, damit Sharpes Festnahme nichts mehr im Weg stand. Nicht, dass dies der Ort war, um McCandless zu ermorden, denn hier waren Tausende Zeugen in Sicht. »Ich habe alles Menschenmögliche getan, Sir, wie es ein Soldat tun sollte«, antwortete Hakeswill ausweichend.

»Ich werde selbst an Colonel Gore schreiben«, sagte McCandless, »denn ich habe über diesen Haftbefehl nachgedacht. Haben Sie ihn bei sich?«

»Jawohl, Sir.«

»Dann lassen Sie ihn mich noch einmal sehen«, verlangte der Colonel.

Unwillig zog Hakeswill das schmuddelige Papier aus seiner Tasche und hielt es dem Colonel hin.

McCandless entfaltete den Haftbefehl, überflog ihn und erkannte plötzlich die Verlogenheit der Worte. »Hier steht, dass Captain Morris in der Nacht vom 5. August angegriffen worden ist.«

»So war es, Sir. Übel angegriffen, Sir.«

»Dann kann es nicht Sharpe gewesen sein, der den Angriff begangen hat, Sergeant, denn in der Nacht zum 5. war er mit mir zusammen. Das war der Tag, an dem ich Sergeant Sharpe von Seringapatams Waffenkammer abgeholt habe.« McCandless’ Gesicht verzog sich angewidert, als er auf den Sergeant hinabblickte. »Sie sagen, Sie waren Zeuge des Angriffs?«

Hakeswill wusste, dass er verloren hatte. »Es war eine dunkle Nacht, Sir«, sagte er hölzern.

»Sie lügen, Sergeant.« McCandless’ Stimme klang eisig, »und mein Brief an Colonel Gore wird Ihre Lüge beweisen. Sie haben hier nichts zu suchen, und darüber werde ich Major General Wellesley informieren. Wenn es nach mir ginge, würde Ihre Bestrafung hier stattfinden, aber es liegt am General, das zu entscheiden. Sie werden mir jetzt dieses Pferd geben.«

»Dieses Pferd, Sir? Ich habe es gefunden, Sir. Es wanderte herum, Sir.«

»Geben Sie es her!«, blaffte McCandless. Sergeants durften keine Pferde ohne Erlaubnis haben. Er entriss Hakeswill die Zügel. »Und wenn Sie dienstliche Pflichten mit den puckalees haben, dann schlage ich vor, dass Sie sich um sie kümmern, anstatt die Toten zu plündern. Was diesen Haftbefehl betrifft ...« Der Colonel zerriss das Papier vor Hakeswill, der ihn entsetzt anstarrte. »Guten Tag, Sergeant«, sagte McCandless. Sein kleiner Sieg war komplett, und er zog sein Pferd herum und galoppierte davon.

Hakeswill schaute dem Colonel nach. Dann bückte er sich, hob die beiden Hälften des Haftbefehls auf und verstaute sie behutsam in seiner Tasche. »Schotte!« Er stieß es wie einen Fluch hervor und spuckte aus.

Private Lowry trat mit sichtlichem Unbehagen von einem Bein aufs andere. »Wenn er recht hat, Sergeant, und Sharpe nicht da war, dann sollten wir nicht hier sein.«

Hakeswill wandte sich dem Private wütend zu. »Und seit wann geben Sie beim Militär Anweisungen? Hat der Duke of York Sie zum Offizier ernannt, oder was? Hat Seine Hoheit Ihren Rock mit einer Tresse versehen, ohne es mir zu erzählen? Was Sharpie getan hat, geht Sie nichts an, Lowry.« Der Sergeant hatte Probleme, das wusste er, aber er war noch nicht erledigt. Er wandte sich um und starrte zu McCandless, der das Pferd einem Offizier übergeben hatte, abgesessen war und sich jetzt mit Colonel Wallace unterhielt. Die beiden Männer blickten zu Hakeswill, und der Sergeant nahm an, dass sie über ihn sprachen.

»Wir folgen diesem Schotten«, sagte Hakeswill, »und dies ist für den Mann, der ihn unter die Erde bringt.« Er fischte eine Goldmünze aus seiner Tasche und zeigte sie seinen sechs Privates.

Die Privates starren mit ernster Miene auf die Münze, und dann duckten sich alle auf einmal, als eine Kanonenkugel dicht über ihre Köpfe fauchte. Hakeswill stieß eine Verwünschung aus und warf sich hin. Ein weiteres Geschütz donnerte, und diesmal sprenkelten Kartätschen das Gras dicht hinter Hakeswill.

Colonel Wallace hatte McCandless zugehört und wandte sich jetzt ostwärts. Nicht alle Kanoniere in der Marathen-Linie waren getötet worden, und die Überlebenden, zusammen mit der Kavallerie, die auf ihren Einsatz gewartet hatte, bemannten jetzt wieder ihre Geschütze. Sie hatten sie statt nach Osten nach Westen gerichtet und feuerten jetzt auf die fünf Regimenter, die darauf warteten, dass die Schlacht von Neuem begann. Die erbeuteten britischen Geschütze, aus dem Osten geholt, schlossen sich jetzt der Batterie an, um ihre Geschosse, Granaten und Kartätschen, in die rot berockte Infanterie zu schießen. Sie feuerten auf dreihundert Schritte, aus kürzester Entfernung, und ihre Geschosse rissen blutige Lücken in die Reihen.

Die Marathen waren anscheinend noch nicht geschlagen.

 

William Dodd konnte den Sieg riechen. Er glaubte fast, die erbeuteten Seidenfahnen in seinen Händen zu spüren. Nur noch zweimal Kartätschenfeuer, ein skrupelloses Abschlachten mit Bajonetten, dann würde das 74. Regiment vernichtet sein. Das Kriegsministerium in London konnte das erste Bataillon des Regiments von der Armeeliste streichen und verzeichnen, dass es William Dodds Talent geopfert worden war.

Er bellte seine Kanoniere an, ihre improvisierten Kartätschen zu laden, beobachtete, wie die Ladeschützen die Geschosse stopften, und dann erklang die Trompete.

Die Kavallerie der Briten und der Company war auf der nördlichen Hälfte des Schlachtfelds postiert gewesen, um die Infanterie gegen feindliche Reiter zu schützen, die ihr in den Rücken fallen wollten, aber jetzt kamen sie zur Rettung des 74.

Die 19. Dragoner tauchten aus der Senke hinter den Highlandern auf, und ihr Befehl führte sie im Bogen nordwärts aus dem tiefen Terrain auf das 74. und das Dorf jenseits davon zu. Die Soldaten waren hauptsächlich Rekruten aus den englischen Grafschaften, junge Männer, die mit Pferden und harter Bauernarbeit groß geworden waren, und sie alle trugen den neuen, leichten Kavalleriesäbel, der garantiert niemals versagen sollte. Und so war es auch.

Sie schlugen die Marathen-Reiter. Die englischen Reiter waren in der Unterzahl, ritten jedoch größere Pferde und verfügten über bessere Klingen, und sie schlugen sich mit wahnsinniger Wildheit durch die Kavallerie. Es war hackende, grausame und schnelle Arbeit, und die Marathen zogen ihre leichteren Pferde von den blutigen Säbeln fort und flüchteten nordwärts, und als die Reiter erst getötet oder in die Flucht geschlagen waren, griff die britische Kavallerie die Marathen-Infanterie an.

Als Erstes attackierten sie das Bataillon von Duponts compoo, und weil diese Männer nicht auf Kavallerie vorbereitet waren, sondern noch in Linie standen, war es mehr eine Exekution als ein Kampf. Die Kavalleristen saßen auf großen Pferden, und jeder Mann hatte Stunden mit Säbeldrill verbracht, um das Schneiden, Zustoßen und Parieren zu trainieren, und alles, was sie jetzt tun mussten, war mit ihre schweren, breiten Klingen zuzuschlagen, die für genau diese Schlachterei entwickelt worden waren. Zuschlagen und hacken, schreien und die Sporen geben und weiterreiten durch in Panik geratene Männer, die nur noch an Flucht dachten. Die Säbel fügten den Infanteristen fürchterliche Verletzungen zu, das Gewicht der Klinge verlieh der Waffe einen tiefen Schnitt, und die Krümmung des Stahls und die frisch geschärften Schneiden zogen durch Fleisch und Muskeln und Knochen und vergrößerten die Wunde.

Einige Marathen-Kavalleristen versuchten, sich tapfer dem Angriff entgegenzustemmen, doch ihre leichten tulwars konnten mit dem Sheffield-Stahl nicht mithalten.

Das 74. Regiment beobachtete die englischen Reiter und stieß Hochrufe aus, als sie sich durch den Feind hackten, der so schrecklich nahe gekommen war, und hinter den Engländern ritt die Kavallerie der Company, Inder auf kleineren Pferden, einige mit Lanzen bewaffnet, und diese Reiter breiteten sich bei ihrer Attacke weiter aus, um die geschlagenen Marathen-Reiter nordwärts zu treiben.

Dodd geriet nicht in Panik. Er wusste, dass er dieses Geplänkel verloren hatte, doch die hilflose Masse von Duponts Bataillon schützte seine rechte Flanke, und diese dem Untergang geweihten Männer verschafften Dodd die paar Sekunden, die er brauchte.

»Zurück!«, brüllte er, und er brauchte jetzt keinen Übersetzer. »Zurück!«

Die Kobras eilten zurück zur Kakteenhecke. Sie rannten nicht, und sie brachen nicht aus den Reihen aus, sondern zogen sich schnell und geordnet zurück und ließen den feindlichen Reitern Platz, an ihnen vorbeizupreschen, und als die Reiter sie passierten, feuerten diejenigen von Dodds Männern, die noch geladene Musketen hatten.

Pferde stürzten, warfen ihre Reiter ab und fielen, während sich die Kobras weiter zurückzogen. Das Regiment war immer noch in Linie, und Duponts in Panik geratene Infanterie schob sich in Dodds Kompanien zur Rechten.

Die zweite Reihe von Dragonern ritt in dieses Chaos und stieß ihre Säbel in die weiß berockten Männer. Dodd schrie seinen Männern zu, ein Karree zu bilden, und sie gehorchten, doch die beiden Kompanien zur Rechten waren stark reduziert worden, und ihre Überlebenden schlossen sich nicht dem Karree an, das so hastig formiert wurde, dass es mehr einem wirren Haufen als einer geordneten Formation gleich.

Einige der Flüchtigen von den beiden zum Untergang geweihten Kompanien versuchten, sich zu ihren Kameraden im Karree zu gesellen, doch die Reiter waren zwischen ihnen, und Dodd gab dem Karree den Feuerbefehl. Die Salve mähte seine eigenen Männer mit dem Feind nieder, doch sie vertrieb die Reiter, und so hatte Dodd Zeit, seine Männer zurück durch die Hecke und noch weiter dorthin zurückzuschicken, wo sie zuerst auf den britischen Angriff gewartet hatten.

Die Infanterie des Radschas von Berar, die zu Dodds Linker gewesen war, war leichter entkommen und keiner war geblieben, um zu kämpfen. Stattdessen rannten sie zurück zu Assayes Mauern aus getrocknetem Schlamm.

Die Kanoniere vor dem Dorf sahen die Kavallerie kommen und feuerten Kartätschen. Sie töteten mehr eigene Leute als feindliche Kavallerie, doch die kurze Kanonade signalisierte den Dragonern, dass das Dorf verteidigt wurde und gefährlich war.

Der Sturm der Kavallerie schwenkte nordwärts und ließ Elend zurück. Die beiden Vierpfünder-­Kanonen, die Joubert vorwärts geholt hatte, waren jetzt verlassen, ihre Mannschaften von den Reitern getötet, und wo das 74. Regiment gewesen war, befand sich jetzt nur noch leeres Terrain von Gefallenen und Pferdekadavern, aus denen die Barrikade gebildet worden war.

Die Überlebenden des belagerten Karrees hatten sich nach Osten zurückgezogen und ihre Verwundeten mitgenommen, und Dodd hatte das Gefühl, dass die plötzliche Stille die Kobras eingehüllt hatte. Es war keine wirkliche Stille, denn die Geschütze hatten wieder begonnen, auf die südliche Hälfte des Schlachtfelds zu feuern, der ferne Hufschlag schien nie aufzuhören, und das Stöhnen der Verwundeten in der Nähe war laut, doch es kam ihm wie eine sonderbare Stille vor.

Dodd trieb sein Pferd südwärts und versuchte, einen Sinn in diese Schlacht zu bringen. Duponts compoo neben ihm hatte ein Regiment durch die Dragoner verloren, doch die nächsten drei Regimenter waren intakt, und der Holländer richtete sie jetzt nach Süden aus.

Dodd konnte Pohlmann hinter den abschwenkenden Regimentern reiten sehen und nahm an, dass der Hannoveraner jetzt seine gesamte Linie nach Süden ausrichtete. Die Briten hatten den rechten Flügel der Linie besiegt, jedoch noch nicht die Armee erledigt.

Doch die Möglichkeit der Vernichtung existierte. Dodd spielte nervös mit dem Elefantengriff seines Säbels und dachte über das nach, was er vor weniger als einer Stunde noch für unmöglich gehalten hatte: die Niederlage.

Gottverdammter Wellesley, dachte er, doch dies war nicht der richtige Zeitpunkt für Wut, nur für Kalkulation. Dodd konnte es sich nicht erlauben, gefangen genommen zu werden, und er hatte nicht vor, für Sindhia zu sterben, und so musste er sich eine Rückzugslinie sichern. Er würde bis zum Ende kämpfen, entschied er sich, und dann wie der Wind flüchten.

»Captain Joubert?«

Der leidend aussehende Joubert trabte an Dodds Seite. »Monsieur?«

Dodd sprach nicht sofort, denn er sah Pohlmann näher kommen. Es war jetzt klar, dass der Hannoveraner eine neue Schlachtlinie bildete, die westlich von Assaye und mit dem Rücken gegen den Fluss Juah liegen würde. Die Regimenter zu Dodds Rechter, die noch angegriffen wurden, zogen sich jetzt zurück und nahmen die Geschütze mit. Die gesamte Linie wurde verlegt, und Dodd nahm an, dass die Kobras von der Ostseite der Wälle nach Westen verlegt würden, doch das war gleichgültig. Die beste Furt durch den Juah verlief vom Dorf aus, und es war diese Furt, die Dodd hinter sich wünschte.

»Nehmen Sie zwei Kompanien, Joubert«, befahl er, »und lassen Sie sie in das Dorf marschieren, um diese Seite der Furt zu sichern.«

Joubert runzelte die Stirn. »Die Soldaten des Radschas können gewiss ...«, begann er seinen Protest.

»Die Soldaten des Radschas von Berar sind nutzlos!«, unterbrach ihn Dodd. »Wenn wir die Furt benutzen müssen, will ich sie von unseren Männern gesichert haben.« Er stieß mit einem Finger in die Richtung des Franzosen. »Ist Ihre Frau in dem Dorf?«

»Oui, Monsieur.«

»Dann haben Sie jetzt die Chance, sie zu beeindrucken, Monsieur. Reiten Sie hin, und beschützen Sie sie. Und stellen Sie verdammt noch mal sicher, dass die verdammte Furt nicht besetzt oder von Flüchtlingen verstopft ist.«

Joubert war nicht unglücklich darüber, vom Kampf fortgeschickt zu werden, doch er war bestürzt über Dodds Defätismus. Trotzdem nahm er zwei Kompanien, marschierte in das Dorf und postierte seine Männer, um die Furt zu sichern, damit es immer noch einen Ausweg geben würde, wenn alles verloren war.

 

Wellesley war nach Norden geritten, um den furchtbaren Kampf zu erkunden, der bei dem Dorf Assaye ausgebrochen war. Er ritt mit einem halben Dutzend Adjutanten und mit Sharpe, der sich auf dem letzten der Pferde des Generals, der rotbraunen Stute, hielt. Es war ein wilder Ritt, denn das Gebiet östlich der Infanterie wurde von Marathen-Reitern unsicher gemacht, doch der General hatte Vertrauen in die Größe und Schnelligkeit seiner englischen und irischen Pferde, mit denen er dem Feind leicht entkommen konnte.

Wellesley kam in Sichtweite des eingeschlossenen 74. Regiments, gerade als sich die Dragoner von Süden auf die Angreifer stürzten.

»Gut gemacht, Maxwell!«, rief Wellesley laut, obwohl er weit außer Hörweite des Anführers des Kavallerietrupps war, und dann zügelte er sein Pferd, um die Dragoner bei der Arbeit zu beobachten.

Die Masse der Marathen-Reiter, die auf den Zusammenbruch des 74. Regiments gewartet hatte, floh jetzt nordwärts, und die britische Kavallerie, die den größten Teil des feindlichen Infanterieregiments zersprengt und zerhackt hatte, verfolgte sie. Die Kavallerie war jetzt nicht mehr so gut geordnet, denn die blau berockten Soldaten gaben ihren Pferden die Sporen, um ihren besiegten Feind über das Land zu jagen. Männer schrien wie auf der Fuchsjagd, holten ihre Jagdbeute ein, stießen mit dem Säbel zu und gaben ihren Pferden die Sporen, um zum nächsten Opfer zu jagen.

Die Marathen-Reiter konnten nicht einmal vom Fluss Juah aufgehalten werden. Sie tauchten hinein und trieben ihre Pferde durchs Wasser und auf das nördliche Ufer. Die britische und indische Kavallerie folgte, sodass die Verfolgungsjagd im Norden verschwand.

Das 74. Regiment, das so hart ums Überleben gekämpft hatte, marschierte jetzt aus der Reichweite der Kanonen beim Dorf, und Wellesley, der noch vor ein paar Minuten eine Katastrophe befürchtet hatte, atmete erleichtert auf.

»Ich habe ihnen doch klar und deutlich gesagt, dass sie vom Dorf wegbleiben sollen, nicht wahr?«, fragte er seine Adjutanten, doch bevor jemand antworten konnte, donnerte neuer Kanonendonner vom Süden. »Was, zum Teufel, ist das?«, murmelte Wellesley und drehte sich um, um herauszufinden, was das Geschützfeuer zu bedeuten hatte.

Die verbliebene Infanterie der Marathen-Linie zog sich zurück, nahm ihre Geschütze mit, doch die Artillerie, die vor dem besiegten rechten Flügel des Feindes in Stellung gewesen war, die Geschütze, die von der rot berockten Infanterie überrannt worden waren, erwachten jetzt wieder zum Leben. Die Waffen waren gedreht worden und krachten jetzt auf ihren Lafetten zurück, während vor ihren Rohren Rauch kräuselte. Und hinter den Geschützen war eine Masse Kavallerie bereit, die Kanoniere zu schützen, die die feindliche Infanterie besiegt hatten.

»Barclay?«, rief Wellesley.

»Sir?« Der Adjutant ritt heran.

»Können Sie Colonel Harness erreichen?«

Der Adjutant schaute zum südlichen Teil des Schlachtfelds. Einen Moment zuvor war er voller Marathen-Reiter gewesen, doch diese Männer hatten sich jetzt hinter die wieder zum Leben erwachten Geschütze zurückgezogen, und davor war freier Platz, nur eine enge Lücke, doch das einzige Gebiet des Schlachtfelds, das jetzt von feindlicher Kavallerie frei war. Wenn Barclay Harness erreichen wollte, dann musste er es riskieren, durch diese schmale Passage zu reiten, und wenn er sehr viel Glück hatte, konnte er sogar das Kartätschenfeuer überleben.

Ob tot oder lebend, dachte Barclay, ich werde die Lotterie der Kugellöcher im Uniformrock gewinnen. Der Adjutant atmete tief durch. »Jawohl, Sir.«

»Meine Grüße an Colonel Harness, und bitten Sie ihn, mit seinen Highlandern die Geschütze zurückzuholen. Der Rest der Brigade wird bleiben, wo er ist, um die Kavallerie in Schach zu halten.« Der General bezog sich auf die Masse der Kavallerie, die immer noch vom Westen drohte, aber noch nicht in die Schlacht eingegriffen hatte. »Und meine Grüße an Colonel Wallace«, fuhr der General fort. »Er soll seine Sepoy-Bataillone nordwärts verlegen, aber den Feind erst angreifen, wenn ich bei ihm bin. Reiten Sie!« Er nickte Barclay zu, und dann drehte er sich im Sattel. »Campbell?«

»Sir?«

»Wer ist das?« Der General wies ostwärts zu einer einzelnen Kavallerieeinheit, die nicht an dem Angriff teilgenommen hatte, der das 74. Regiment gerettet hatte, vermutlich für den Fall, dass die Dragoner in eine Katastrophe galoppierten und gerettet werden mussten.

Campbell spähte zu der fernen Einheit. »Die 7. Eingeborenen-Kavallerie, Sir.«

»Holen Sie sie. Schnell jetzt!« Der General zog sein Schwert, als Campbell davongaloppierte. »Nun, Gentlemen«, sagte er zu seinen verbliebenen Adjutanten, »Zeit, unseren Lebensunterhalt zu verdienen, nehme ich an. Harness kann die Teufel von den südlichsten Geschützen vertreiben, doch wir sollten uns um die näheren kümmern.«

Für einen Moment dachte Sharpe, der General wolle die Geschütze mit nur der Hand voll Männer angreifen, die ihm geblieben waren, doch dann wurde ihm klar, dass Wellesley auf das Eintreffen der 7. Eingeborenen-Kavallerie wartete.

Für ein paar Sekunden hatte Wellesley mit dem Gedanken gespielt, die Überlebenden des 74. Regiments kommen zu lassen, die sich zu der Senke zurückgezogen hatten, doch diese Männer erholten sich noch von ihrem Martyrium. Sie sammelten ihre Verwundeten ein, machten einen Anwesenheitsappell und gruppierten zehn angeschlagene Kompanien in sechs intakte um.

Campbell brachte die 7. Eingeborenen-Kavallerie über das Schlachtfeld heran, dann führte er ihren befehlshabenden Offizier, einen rotgesichtigen Major mit buschigem Schnauzbart, zu Wellesley.

»Ich muss zu unserer Infanterie gelangen, Major«, erklärte der General, »und Sie werden mich zu ihr eskortieren. Der schnellste Weg ist durch ihre Geschützlinie.«

Der Major starrte zu den Geschützen mit ihrer Masse von Kavallerie. »Jawohl, Sir«, sagte er nervös.

»Zwei Reihen, wenn ich bitten darf«, befahl der General brüsk. »Sie haben das Kommando über die erste Reihe und vertreiben die Kavallerie. Ich reite in der zweiten, und wir töten die Kanoniere.«

»Sie wollen die Kanoniere töten, Sir?«, fragte der Major, als finde er die Idee ungewöhnlich, dann erkannte er, dass seine Frage gefährlich nahe an Befehlsverweigerung grenzte. »Jawohl, Sir«, sagte er hastig, »selbstverständlich, Sir.«

Der Major starrte wieder zu der Geschützlinie. Er würde die linke Flanke angreifen. So würde wenigstens kein Geschütz auf seine Männer gerichtet sein. Die größere Gefahr war die Masse von Marathen-Kavallerie, die sich hinter den Geschützen versammelt hatte und zahlenmäßig seinen Soldaten weit überlegen war. Aber dann spürte er Wellesleys Ungeduld und trieb sein Pferd zurück zu seinen Männern und rief ihnen zu: »Zwei Reihen rechts!«

Der Major befehligte hundertachtzig Mann, und Sharpe sah sie grinsen, als sie ihre Säbel zogen und ihre Pferde antrieben, um sich zu formieren.

»Sind Sie schon einmal bei einem Kavallerieangriff dabei gewesen, Sergeant?«, fragte Campbell.

»Nein, Sir. Wollte nie daran teilnehmen, Sir.«

»Ich auch nicht. Soll aber interessant sein.« Campbell hatte seine Breitschwert gezogen und peitschte jetzt damit die Luft. Fast hätte er seinem Pferd ein Ohr abgeschlagen. »Sie könnten mehr Spaß dabei haben, Sergeant, wenn Sie Ihren Säbel ziehen«, sagte er hilfreich.

»Selbstverständlich, Sir«, sagte Sharpe und kam sich reichlich dumm vor. Irgendwie hatte er sich vorgestellt, dass er bei seiner ersten Schlacht in einem Infanteriebataillon sein und feuern und laden würde, wie er es als Rekrut gelernt hatte, doch anscheinend sollte er als Kavallerist kämpfen.

Er zog die schwere Waffe, die sich unnatürlich in seiner Hand anfühlte, aber diese ganze Schlacht schien ja unnatürlich zu sein. Seine Gefühle schwankten von Übelkeit erregendem Entsetzen zu plötzlicher Ruhe und Gelassenheit, dann wieder zu Entsetzen. Es stieg an und ließ nach, loderte in einem Teil des Schlachtfeldes auf und brannte auf kleiner Flamme, als das Töten auf ein anderes Stück bräunlichen Ackerlandes überging.

»Unser Job ist es, die Kanoniere zu killen«, erklärte Camp bell, »um sicherzustellen, dass sie nicht wieder auf uns feuern. Unsere Experten kümmern sich um ihre Kavallerie, und wir schlachten nur ab, was sie uns übrig lassen. So einfach ist das.«

Einfach? Sharpe konnte nur eine Masse feindlicher Reiter hinter den riesigen Geschützen sehen, die sich aufbäumten und vom Rückstoß aus Rauch, Flammen und Tod zurückflogen, und Campbell hielt das für einfach? Dann erkannte er, dass der junge schottische Offizier nur versuchte, ihm Zuversicht zu geben, und er empfand Dankbarkeit.

Campbell beobachtete, wie Captain Barclay durch das Sperrfeuer der Artillerie ritt. Es hatte den Anschein, dass der Captain tödlich getroffen war, denn er ritt so dicht an den Marathen-Geschützen vorbei, dass einmal sein Pferd in einer Wolke von Pulverrauch verschwand, doch einen Moment später tauchte er wieder auf, tief gebückt im Sattel, sein Pferd in vollem Galopp, und Campbell stieß einen Hurraschrei aus, als er Barclay abbiegen und auf Harness’ Brigade zupreschen sah.

»Eine Feldflasche, Sergeant, wenn ich bitten darf«, sagte Wellesley, und Sharpe, der Barclay beobachtet hatte, löste eine der Feldflaschen vom Gurt. Er gab die Wasserflasche dem General, öffnete dann seine eigene Feldflasche und trank daraus. Schweiß tropfte von seinem Gesicht und tränkte sein Hemd.

Wellesley trank die Hälfte des Wassers, verschloss die Feldflasche und gab sie zurück. Dann trabte er in die Lücke an der rechten Seite der zweiten Reihe der Kavallerie. Der General zog seinen Säbel. Die Adjutanten fanden ebenfalls Platz in der Reihe, doch es schien kein Platz mehr für Sharpe zu sein, und so hielt er sich ein paar Yards hinter dem General.

»Los!«, rief Wellesley dem Major zu.

»Linie zur Mitte!«, rief der Major. »Im Schritt, Marsch!«

Sharpe hatte erwartet, dass beide Reihen losgaloppieren würden, doch stattdessen begann die erste Reihe der Reiter zu traben, und die zweite Reihe wartete nur. Dass eine weite Lücke gelassen wurde, ergab Sinn für Sharpe, denn wenn die zweite Reihe zu nahe an der ersten blieb, konnte sie in die Kämpfe der ersten verwickelt werden. Wenn hingegen ein Zwischenraum zwischen den beiden Reihen war, dann konnte die zweite Reihe Hindernissen ausweichen. Dennoch kam es Sharpe idiotisch vor, im Trab in eine Schlacht zu reiten. Er leckte sich über die bereits wieder trockenen Lippen und wischte sich seine schweißnasse Hand an der Hose ab, bevor er seinen Säbel nahm.

»Jetzt, Gentlemen!«, sagte Wellesley, und die zweite Reihe setzte sich mit dem gleichen mäßigen Tempo in Bewegung. Gebissketten klirrten, und leere Sattelfutterale flappten.

Nach ein paar Sekunden rief der Major in der ersten Reihe einen Befehl, und die beiden Reihen verfielen in Trab. Staub wirbelte unter den Hufen auf. Die schwarzen Feldhüte der Soldaten hatten einen hohen scharlachroten Federbusch, der wippte, während ihre Säbel vom reflektierenden Sonnenschein blitzten.

Wellesley sprach mit Blackiston an seiner Seite, und Sharpe sah den Major lachen, dann blies der Trompeter neben dem Major ein Signal, und die beiden Reihen verfielen in kurzen Galopp. Sharpe versuchte mitzuhalten, doch er war ein schlechter Reiter, und die Stute scheute zur Seite und warf den Kopf auf.

»Nun lauf schon«, knurrte Sharpe sie an.

Die Marathen sahen jetzt die Attacke kommen, und die Kanoniere versuchten verzweifelt, das nördliche Geschütz der Bedrohung entgegenzurichten, während eine Masse von feindlichen Kavalleristen vorwärts preschte, um den Angriff abzufangen.

»Angriff!«, rief der Major, und sein Trompeter blies zur Attacke.

Sharpe sah die Säbel der führenden Reihe vorwärts stoßen wie Speere. Dies ist mehr, wie ich’s mir vorgestellt habe, dachte er, denn die Pferde galoppierten jetzt, und der Boden erzitterte unter den Hufen der Reiter, die dem Feind entgegenjagten.

Die führende Reihe stieß in die nahe feindliche Kavallerie. Sharpe erwartete, dass sie anhalten würde, doch sie schien kaum langsamer zu werden. Stattdessen blitzten Klingen. Er sah einen Mann und sein Pferd stürzen, und dann war die Reihe des Majors durch die Kavallerie hindurch und erreichte das erste Geschütz. Säbel wurden gehoben und senkten sich. Die zweite Reihe schwenkte ab, um den gefallenen Pferden auszuweichen, und dann war sie ebenfalls zwischen dem Feind und schloss zu der ersten Reihe auf, die schließlich vom Widerstand des Feindes langsamer geworden war.

»Weiter!«, schrie Wellesley den vordersten Reitern zu. »Reitet weiter! Bringt mich zur Infanterie!«

Die rechte Flanke der Kavallerie hatte die Geschütze überrollt, während sich die linke Flanke östlich der Geschützlinie hielt. Diese Männer, die am weitesten östlich waren, kamen gut voran, doch die Soldaten an der rechten Flanke wurden durch die großen Munitionsprotzen aufgehalten, die hinter den Geschützen parkten.

Die indischen Soldaten droschen auf die Kanoniere aus Goa ein, die unter ihrer Kanone Schutz suchten. Musketen krachten, ein Pferd wieherte schrill und fiel in ein Gewirr von auskeilenden Pferdehufen. Ein Pfeil zischte auf Sharpe zu und verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Säbel schnitten und stießen zu.

Sharpe sah einen großen Soldaten in seinen Steigbügeln stehen, um mehr Platz für seinen Schlag zu haben. Der Mann schrie, als er hinabhackte, dann seine Klinge aus seinem Opfer riss und sein Pferd weitertrieb, um das nächste Opfer zu suchen.

Sharpe klammerte sich verzweifelt an den Hals seines Pferdes, als die Stute einem verletzten Pferd auswich, dann war er selbst zwischen den Geschützen. Die beiden Reihen Kavallerie hatten diese Geschütze überrollt, doch immer noch lebten einige der Kanoniere.

Sharpe schwang seinen Säbel gegen einen der Feinde, doch im letzten Moment brachte ihn das Ausweichmanöver seiner Stute aus dem Gleichgewicht, und die Klinge zischte weit über den Kopf des Gegners hinweg.

Es war jetzt alles ein blutiges Chaos. Die Kavallerie kämpfte sich ihren Weg an der Linie hinauf, doch einige feindliche Reiter umgingen die Flanke der ersten Reihe, um die zweite anzugreifen, und Gruppen von Kanonieren kämpften wie Infanteristen.

Die Kanoniere waren mit Musketen und Spießen bewaffnet, und Sharpe, der seine Stute hinter Wellesley trieb, sah eine Gruppe davon aus der Deckung eines bemalten Achtzehnpfünder-Geschützes auftauchen und auf den General zulaufen. Er versuchte, Wellesley mit einem Ruf zu warnen, doch der Laut, den er hervorbrachte, klang mehr wie ein Hilfeschrei.

Wellesley war isoliert. Major Blackiston war nach links abgeschwenkt, um einen großen Araber niederzuschlagen, der eine massive Klinge schwang, während Campbell auf der rechten Seite einen flüchtenden Reiter verfolgte. Die Eingeborenen-Reiter waren allesamt vor dem General und säbelten Kanoniere nieder, während sie vorwärts drängten, und Sharpe war ein paar Pferdelängen hinter ihnen.

Sechs Männer griffen den General an, und einer davon holte mit einem langen Spieß mit schmaler Klinge aus und wollte ihn auf Wellesleys Pferd schleudern. Der General fuchtelte mit Diomeds Zügeln herum, um ihn aus dem Weg des Mannes zu lenken, doch das große Pferd war zu schnell und lief genau in den erhobenen Spieß hinein.

Sharpe sah, dass der Mann, der den Spieß hielt, zur Seite ruckte, als das Gewicht des Pferdes ihm den Spieß aus den Händen riss. Er sah den weißen Hengst fallen und über den Boden rutschen, und er sah Wellesley über den Pferdehals gebeugt.

Ein halbes Dutzend Feinde näherte sich, um den General zu töten, und plötzlich waren das Chaos und das Grauen des Tages nebensächlich. Sharpe wusste, was er tun musste, und es war ihm so deutlich klar, als hätte er sein ganzes Leben lang nur auf diesen Moment gewartet.

Er trieb die Stute geradewegs auf den Feind zu. Den General konnte er nicht erreichen, denn Wellesley war immer noch im Sattel, und der verletzte Diomed rutschte über den Boden, den Spieß in seiner blutenden Brust. Die Bedrohung durch das Gewicht des Pferdes hatte den Feind zur Seite getrieben, drei Mann nach links und drei nach rechts. Einer feuerte seine Muskete auf Wellesley ab, doch die Kugel ging weit daneben, und dann, als Diomed langsamer wurde, waren die Marathen heran.

In diesem Augenblick kam Sharpe über sie. Er ritt zu der Stelle, wo der General aus dem Sattel gefallen war, benutzte die Stute als Rammbock und trieb sie in die drei Kanoniere zur Rechten, riss seine Füße aus den Steigbügeln, sprang von der Stute und landete neben dem benommenen Wellesley. Schwankend sprang Sharpe auf und schwang den Säbel in Richtung der drei Männer, die er angegriffen hatte, doch sie waren vom Aufprall der Stute zurückgetrieben worden, und sein Hieb ging ins Leere.

Sharpe fuhr herum und sah einen Kanonier mit erhobenem Bajonett über dem General stehen, bereit zum Zustoßen, und er sprang den Mann mit einem Aufschrei an und stieß ihm den Säbel in den Bauch. Der Kanonier fiel zurück auf Diomeds blutbefleckte Flanke.

Der Säbel steckte in der Wunde. Der Kanonier warf sich hin und her. Die Muskete war ihm entfallen, und einer seiner Kameraden stieg mit einem tulwar in der Hand über Diomed hinweg.

Sharpe wollte den Säbel aus dem sterbenden Verwundeten reißen, doch die Klinge ließ sich nicht herausziehen, und so stieg er hinüber zu Wellesley, der immer noch benommen auf dem Rücken lag, stellte seinen linken Stiefel auf die Leistengegend des Kanoniers und versuchte von Neuem, den Säbel aus ihm herauszuziehen.

Der Mann mit dem tulwar stieß zu, und Sharpe spürte, dass er an der linken Schulter getroffen wurde, doch dann war sein Säbel endlich frei, und er schwang ihn seinem neuen Angreifer entgegen. Der Mann zuckte zurück, um der Klinge zu entgehen, und stolperte über eines von Diomeds Beinen. Er fiel.

Sharpe fuhr herum, und sein Säbel schwang mit. Blut tropfte von der Spitze der Klinge. Sharpe hatte mit Gegnern zu seiner Rechten gerechnet, doch da war niemand. Der General sagte etwas, doch er war immer noch nicht ganz bei Bewusstsein und erkannte nicht, was ringsum geschah. Sharpe wusste, dass er und der General hier sterben würden, wenn sie nicht schnell Deckung finden würden.

Das große, bemalte Achtzehnpfünder-Geschütz bot ein kleines Maß an Sicherheit, und so bückte sich Sharpe, packte Wellesley am Kragen und zerrte den General zu der Kanone. Der General war nicht bewusstlos, denn er klammerte sich an seinen Säbel, doch er war benommen und hilflos. Zwei Männer wollten Sharpe den Weg zum schützenden Geschütz abschnei den, und er ließ den steifen Kragen des Generals los und griff das Paar an.

»Bastarde!«, schrie er ihnen entgegen und dachte: Scheiß auf geraden Arm und die Kunst des Parierens, dies ist die Zeit des Tötens in purer Wut, und er griff die beiden Kanoniere mit der Wildheit eines Berserkers an. Der Säbel war nicht leicht zu handhaben, aber er war scharf und schwer.

Sharpe trennte dem ersten Mann fast den Kopf ab, und sein folgender Rückhandschlag schnitt dem zweiten Mann den Arm bis zum Knochen auf. Sharpe wandte sich zu Wellesley, der sich immer noch nicht von seinem Sturz vom Pferd erholt hatte, und er sah einen arabischen Lanzenträger sein Pferd auf den am Boden liegenden General zutreiben.

Sharpe schrie dem Mann einen Fluch entgegen, sprang auf ihn zu und schlug die schwere Säbelklinge dem Pferd des Lanzenreiters auf den Kopf. Das Tier scheute zur Seite. Die Lanzenklinge ruckte in die Luft, als der Araber sein vom Schmerz verrückt gewordenes Pferd unter Kontrolle zu bringen versuchte.

Sharpe bückte sich, packte Wellesley wieder am Kragen und zerrte den General unter die Kanone, in den Zwischenraum zwischen Rohr und einem der großen Räder.

»Bleiben Sie hier!«, schrie Sharpe Wellesley an, dann fuhr er herum und sah, dass der Araber, zuvor von seinem Pferd abgeworfen, jetzt einen Angriff mit einigen Kanonieren führte.

Sharpe stellte sich ihnen entgegen. Er fegte die Lanze mit der Säbelklinge zur Seite, dann rammte er dem Araber den Griff ins Gesicht. Er spürte, dass die Nase des Mannes brach, trat ihm in den Unterleib und hackte mit dem Säbel hinab, dann drehte er sich nach links und zerschnitt mit der Klinge das Gesicht eines Kanoniers.

Ein paar Angreifer wandten sich ab, flüchteten und ließen Sharpe keuchend zurück.

Wellesley war endlich auf den Beinen und hatte eine Hand auf das Geschützrad gestemmt.

»Sergeant Sharpe?«, fragte Wellesley verwirrt.

»Bleiben Sie da, Sir«, sagte Sharpe, ohne sich umzuwenden. Er hatte jetzt vier Männer vor sich, vier Männer mit gebleckten Zähnen und erhobenen Waffen. Ihre Blicke zuckten zu Wellesley und zu Sharpe zurück. Die Marathen wussten nicht, dass sie den britischen General in der Falle hatten, doch sie wussten, dass der Mann neben dem Geschütz ein ranghoher Offizier sein musste, denn sein roter Uniformrock war mit Tressen besetzt, und sie waren gekommen, um ihn gefangen zu nehmen, aber um ihn zu erreichen, mussten sie erst an Sharpe vorbei.

Zwei Männer kamen von der anderen Seite des Geschützes, und Wellesley parierte eine Lanzenspitze mit seinem Säbel. Dann trat er vom Geschütz fort, um sich an Sharpes Seite zu stellen, und sofort begann ein Ansturm des Feindes, um ihn zu packen.

»Gehen Sie zurück!«, rief Sharpe Wellesley zu, dann trat er dem Feind entgegen.

Er packte einen Spieß, der auf den Bauch des Generals zielte, zog ihn auf sich zu und empfing den folgenden Kanonier mit der Säbelspitze, stieß sie dem Mann in den Hals. Er riss die Klinge frei und schwang sie nach rechts, spürte, wie der Stahl über den Schädel eines Mannes kratzte.

Es blieb ihm keine Zeit, den Schaden einzuschätzen, sondern er machte nur einen Schritt nach links, um einen dritten Mann zu erstechen. Seine Schulter blutete, doch er verspürte keinen Schmerz.

In diesem Augenblick, als er kämpfte, hatte es für ihn den Anschein, als könne er nichts Falsches tun. Es war, als habe der Feind wie durch Zauberei nur noch das halbe Tempo, und er, Sharpe, sei schneller geworden. Er war viel größer als die meisten von ihnen, er war viel stärker und plötzlich viel schneller. Er hätte den Kampf sogar genossen, wenn er genau gewusst hätte, was er empfand, doch er spürte nur den Wahnsinn der Schlacht, die völlige Verrücktheit, die Ängste und Schmerzen auslöschte und einen Mann nahe an die Ekstase trieb. Er schrie dem Feind Obszönitäten zu, forderte ihn auf, ihn anzugreifen, um von ihm getötet zu werden.

Als der Feind zurückgewichen war, kam Wellesley wieder an Sharpes Seite und lud so die Angreifer ein, sich abermals zu nähern. Sharpe schob den General grob zurück zwischen das große Rad und das lange, bemalte Rohr der Achtzehnpfünder-Kanone.

»Bleiben Sie dort«, fuhr er ihn an, »und beobachten Sie unter dem Rohr.« Er wandte sich ab, um zu den Angreifern zu blicken. »Kommt schon, ihr Bastarde! Kommt! Ich will euch!«

Zwei Männer kamen, und Sharpe trat auf sie zu, den schweren Säbel mit beiden Händen zum Schlag erhoben. Er holte zu einem wilden Schlag aus und hackte durch den Turban auf den Schädel des nächsten Feindes hinab. Sharpe schrie einen Fluch zu dem sterbenden Mann, denn sein Säbel verfing sich im Schädel, doch er riss ihn heraus, schwang ihn zu dem zweiten Mann und trieb ihn zurück. Dieser Mann hob die Hände, als er zurückwich, als ob er sagen wolle, dass er überhaupt nicht kämpfen wollte, und Sharpe verfluchte ihn, als er ihm die Kehle durchschnitt. Er spuckte auf den taumelnden Mann und zu den Feinden, die ihn beobachteten.

»Kommt schon, kommt!«, verspottete er sie. »Ihr feigen Bastarde! Na los, kommt!«

Schließlich kehrten Reiter zurück, um zu helfen, doch immer mehr Marathen näherten sich dem Kampf. Zwei Mann versuchten, Wellesley über das Kanonenrohr zu erreichen, und der General stieß einem den Säbel ins Gesicht und schlug mit der Klinge auf den Arm des anderen, der unter das Geschützrohr griff.

Hinter ihm schrie Sharpe dem Feind Beleidigungen zu, und ein Mann nahm die Herausforderung an und rannte mit vorgehaltenem Bajonett auf Sharpe zu.

Sharpe stieß einen Laut aus, der wie ein Freudenschrei klang, als er den Ausfall parierte und dann dem Mann seinen Griff des Säbels ins Gesicht hieb. Ein anderer Mann kam von rechts, und so trat Sharpe erst dem ersten Angreifer die Beine weg und schlitzte dann den Neuankömmling auf.

Der Himmel wusste, wie groß die Zahl der Angreifer war, aber Sharpe war das auch gleichgültig. Er war hergekommen, um zu kämpfen, und Gott hatte ihm eine höllisch gute Schlacht geschenkt.

Ein Mann parierte Sharpes Hieb, sprang vor. Sharpe wich dem Ausfallschritt aus und hämmerte den Griff des Säbels ins Auge des Angreifers. Der Mann schrie auf und klammerte sich an Sharpe, der versuchte, ihn mit dem Säbelgriff von sich zu stoßen. Die anderen Angreifer verschwanden jetzt, flohen vor den Reitern, die zurück zu Wellesley kamen.

Ein Marathen-Offizier hatte sich an Sharpe angeschlichen, und jetzt, als Sharpe von dem halbblinden Mann umklammert wurde, sah er seine Chance. Der Offizier schwang seinen tulwar auf den Nacken des Rotrocks.

Der Schlag war gut gezielt und traf Sharpe im Genick. Er hätte durch seine Wirbelsäule schneiden können und ihn tot auf das blutige Schlachtfeld sinken lassen, doch da gab es den Rubin eines toten Königs, in einem Lederbeutel versteckt, um den Sharpes Haar gewunden war, und der große Rubin stoppte die Klinge. Die Wucht des Schlages stieß Sharpe nach vorn, doch er blieb auf den Beinen, und der Mann, der ihn umklammert hatte, lockerte seinen Griff, sodass Sharpe sich umdrehen konnte.

Der Offizier schwang wieder den tulwar, und Sharpe parierte den Schlag so hart, dass der Sheffield-­Stahl geradewegs durch die leichte Klinge des tulwars hackte. Sharpes nächster Schlag traf den Besitzer des tulwar tödlich.

»Bastard!«, schrie Sharpe, als er die Klinge aus der Leiche riss, und er wirbelte herum, um den nächsten Mann zu töten, der näher kam, doch stattdessen war dort Captain Campbell, und hinter ihm war ein Dutzend Soldaten, die ihre Pferde in den Feind trieben und ihn mit ihren Säbeln niederhackten.

Einen Augenblick konnte Sharpe kaum glauben, dass er noch am Leben und der Kampf vorüber war. Er wollte weitertöten. Sein Blut war aufgepeitscht, der Zorn kochte in ihm, aber da war kein Feind mehr, und so gab er sich damit zufrieden, seinen Säbel auf den Kopf des Marathen-Offiziers zu schlagen.

»Bastard!«, rief er. Dann begann er plötzlich zu zittern. Er drehte sich um und sah, dass Wellesley ihn entgeistert anstarrte. Plötzlich hatte Sharpe das Gefühl, dass er etwas Falsches getan haben musste. Dann erinnerte er sich, was es gewesen war.

»Verzeihung, Sir«, sagte er.

»Verzeihung? Warum?«, fragte Wellesley, obwohl er kaum sprechen konnte. Das Gesicht des Generals war bleich.

»Dass ich Sie weggeschoben habe, Sir«, sagte Sharpe. »Tut mir leid. Es war nicht böse gemeint, Sir.«

»Ich hoffe, dass Sie es verdammt gut gemeint haben«, sagte Wellesley, und Sharpe sah, dass der General, für gewöhnlich so ruhig, ebenfalls zitterte.

Sharpe hatte das Gefühl, dass er etwas mehr sagen sollte, doch er wusste nicht, was.

»Sie haben Ihr letztes Pferd verloren, Sir«, sagte er stattdessen. »Das tut mir leid, Sir.«

Wellesley starrte ihn an. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie jemanden wie Sergeant Sharpe kämpfen gesehen. In Wahrheit konnte sich der General nicht an alles erinnern, was in den letzten Minuten geschehen war. Er erinnerte sich an Diomeds Sturz und daran, wie er versucht hatte, die Füße aus den Steigbügeln zu ziehen, und dann an einen Schlag auf den Kopf, der ihm vielleicht von einem von Diomeds auskeilenden Hufen versetzt worden war, und er glaubte, sich daran zu erinnern, ein Bajonett über sich am Himmel gesehen und gewusst zu haben, dass er in diesem Moment getötet wurde, und von da an war alles Schwindel erregende Verwirrung. Er erinnerte sich, dass er Sharpes Stimme gehört hatte, mit der er Dinge gesagt hatte, die sogar ihn schockiert hatten, obwohl er nicht leicht zu schockieren war, und er entsann sich, dass er zu dem Geschütz gestoßen worden war, damit sich der Sergeant allein dem Feind entgegenstellen konnte. Wellesley hatte diese Entscheidung gebilligt, nicht nur, weil es ihm den Kampf ersparte, sondern auch, weil er erkannte, dass Sharpe durch die Anwesenheit seines Generals gehemmt war.

Dann hatte er Sharpe beim Töten beobachtet, und er war erstaunt von der Wildheit, dem Enthusiasmus und dem Geschick des Sergeants gewesen. Wellesley hatte gewusst, dass Sharpe ihm das Leben gerettet hatte, und er wusste, dass er ihm danken musste, doch aus irgendeinem Grund konnte er keine Worte finden, und so starrte er nur auf den verlegenen Sergeant, dessen Gesicht mit Blut bespritzt war und dessen langes Haar sich gelockert hatte, sodass er wie ein Teufel aus der Hölle aussah.

Wellesley versuchte, die Worte zu finden, die seine Dankbarkeit ausdrücken würden, doch er glaubte, einen Kloß in der Kehle zu haben, und brachte die Worte nicht heraus. Dann kam ein Soldat zu dem Geschütz getrabt, der die Zügel einer rotbraunen Stute hielt. Die Stute hatte unverletzt überlebt, und der Soldat hielt Wellesley die Zügel hin.

Der General ging wie in Trance vom Geschütz fort, stieg über die Leichen der Männer hinweg, die von Sharpe niedergekämpft worden waren. Dann bückte sich Wellesley plötzlich und hob einen Edelstein auf.

»Der gehört Ihnen, Sergeant«, sagte er und hielt ihm den Rubin hin. »Ich sah ihn fallen.«

»Danke, Sir. Danke.« Sharpe nahm den Rubin.

Der General blickte stirnrunzelnd auf den Rubin. Es schien falsch zu sein, dass ein Sergeant einen Edelstein dieser Größe besaß, doch als Sharpe den Stein in der Hand hielt, sagte sich der General, dass es ein blutbefleckter normaler Stein sein musste. War es bestimmt kein Rubin?

»Alles in Ordnung, Sir?«, fragte Major Blackiston besorgt.

»Ja, ja, danke, Blackiston.« Der General schien seine Betäubung abzuschütteln und ging zu Campbell, der von seinem Pferd gestiegen war und neben Diomed kniete. Das Pferd zitterte und wieherte leise.

»Kann er gerettet werden?«, fragte Wellesley.

»Das weiß ich nicht, Sir«, sagte Blackiston. »Der Spieß steckt tief in seiner Lunge. Armes Tier.«

»Ziehen Sie ihn heraus, Campbell. Behutsam. Vielleicht überlebt er es.« Wellesley schaute sich um und sah, dass die 7. Eingeborenen-Kavallerie die Kanoniere und die verbliebenen Marathen-Reiter vertrieben hatte, während Harness’ 78. Regiment in das Kartätschenfeuer und den Beschuss mit Kanonenkugeln marschierte, um den südlichen Teil der Marathen-Artillerie einzunehmen.

Harness’ Adjutant galoppierte jetzt zwischen den Leichen um die Geschütze herum zu Wellesley.

»Wir haben Nägel und Holzhämmer, wenn Sie die Geschütze vernageln wollen, Sir«, sagte er.

»Nein, nein, ich glaube, die Kanoniere haben ihre Lektion gelernt, und wir könnten einige der Kanonen in unseren eigenen Dienst nehmen«, sagte Wellesley. Dann bemerkte er, dass er immer noch seinen Säbel hielt. Er stieß ihn in die Scheide. »Ein Jammer, die guten Geschütze zu vernageln«, fügte er hinzu. Es konnte Stunden harter Arbeit bedeuten, einen eingetriebenen Nagel aus einem Zündloch zu entfernen, und solange die feindlichen Kanoniere besiegt waren, stellten die Geschütze keine Gefahr mehr dar.

Der General wandte sich einem der indischen Soldaten zu, der sich zu Campbell neben Diomed gesellt hatte. »Können Sie ihn retten?«, fragte er besorgt.

Der Inder zog sehr vorsichtig an dem Spieß, doch er rührte sich nicht von der Stelle. »Härter, Mann, härter!«, drängte Campbell und legte die Hände um den blutigen Schaft des Spießes.

Die beiden Männer zogen an dem Spieß, und das verletzte Pferd wieherte schmerzerfüllt.

»Vorsichtig!«, blaffte Wellesley.

»Wollen Sie den Spieß heraushaben oder nicht, Sir?«, fragte Campbell.

»Versuchen Sie es, und retten Sie ihn«, sagte der General, und Campbell zuckte mit den Schultern, packte von Neuem den Schaft, stellte seinen Stiefel auf die schweißnasse Brust des Pferdes, packte den Schaft fester und zog schnell und hart daran. Das Pferd wieherte wieder schrill, als die Klinge aus seiner Haut glitt und ein neuer Schwall von Blut auf sein graues Fell sprudelte.

»Jetzt können wir nichts mehr tun, Sir«, sagte Campbell.

»Kümmern Sie sich um ihn«, befahl Wellesley dem indischen Soldaten. Dann runzelte er die Stirn, als er sah, dass sein letztes Pferd, die rotbraune Stute, immer noch ihren Militärsattel trug und dass keiner daran gedacht hatte, ihr den Sattel von Diomed aufzulegen. Das war die Aufgabe der Ordonnanz, und Wellesley hielt nach Sharpe Ausschau. Dann fiel ihm ein, dass er sich bei dem Sergeant noch bedanken musste, doch abermals fand er keine Worte, und so bat er Campbell, die Sättel zu wechseln. Als das erledigt war, stieg er auf den Rücken der Stute.

Captain Barclay, der seinen Ritt über das Schlachtfeld überlebt hatte, zügelte sein Pferd neben dem General. »Wallaces Brigade ist bereit anzugreifen, Sir.«

»Wir müssen Harness’ Männer zur Linie formieren«, sagte Wellesley. »Irgendwelche Neuigkeiten von Maxwell?«

»Noch nicht, Sir«, sagte Barclay. Colonel Maxwell hatte die Kavallerie bei ihrer Verfolgungsjagd durch den Fluss Juah geführt.

»Major!«, rief Wellesley zum Kommandeur der 7. Eingeborenen-Kavallerie. »Lassen Sie Ihre Männer die Kanoniere hier jagen und zur Strecke bringen. Dann sichern Sie die Geschütze, sodass sie von uns übernommen werden können. Gentlemen?« Er wandte sich an seine Adjutanten. »Reiten wir weiter.«

Sharpe beobachtete, wie der General in den lichter werdenden Rauchschleiern des Kanonenfeuers davonritt. Dann blickte er auf den Rubin in seiner Hand. Er war rot und glänzte wie das Blut, das von seiner Säbelspitze tropfte. Er fragte sich, ob der Rubin wie der Helm Tippus in die Quelle von Zum-Zum getaucht worden war. Hatte er ihm deshalb das Leben gerettet? Er hatte Tippu kein Glück gebracht, aber Sharpe hatte überlebt, obwohl er tot sein sollte, und so war es auch Major General Sir Arthur Wellesley ergangen.

Der General hatte Sharpe bei dem Geschütz allein gelassen, mit den toten und sterbenden Männern und dem Soldaten, der versuchte, das Blut aus der Wunde mit einem Tuch zu stillen. Sharpe lachte plötzlich auf und erschreckte den Soldaten.

»Er hat sich nicht einmal bei mir bedankt«, sagte Sharpe laut.

»Was, Sahib?«, fragte der Soldat.

»Nennen Sie mich nicht Sahib«, sagte Sharpe. »Ich bin nur ein verdammter Soldat wie Sie. Gut für verdammt nichts, außer in den Schlachten anderer Leute zu kämpfen. Und zehn zu eins, dass die Scheißkerle einem nicht danken.« Er war so durstig, dass er eine der Feldflaschen des Generals öffnete und gierig daraus trank. »Wird dieses Pferd überleben?«

Der Inder schien nicht alles zu verstehen, was Sharpe sagte, doch die Frage musste einen Sinn für ihn ergeben haben, denn es wies auf Diomeds Maul. Die Lippen des Hengstes waren zurückgezogen und entblößten gelbe Zähne, zwischen denen rosafarbenes Blut hervorsickerte. Der Inder schüttelte traurig den Kopf.

»Ich habe dieses Pferd zur Ader gelassen«, sagte Sharpe, »und der General sagte, dass er mir sehr zu Dank verpflichtet sei. Das waren genau seine Worte. Er schenkte mir sogar eine verdammte Münze. Aber ich habe sein Leben gerettet, und er hat sich nicht einmal bedankt. Ich hätte ihn zur Ader lassen sollen, nicht sein verdammtes Pferd.« Er trank noch mehr Wasser und wünschte, es wäre Arrak oder Rum. »Wissen Sie, was das Lustige ist?«, fragte er den Inder. »Ich habe es nicht mal getan, weil er der General ist. Ich habe es getan, weil ich ihn mag. Für Sie hätte ich’s nicht getan. Ich hätte es für Tom Garrard getan, aber er war ein Freund, verstehen Sie? Und ich hätte es für Colonel McCandless getan, denn er ist ein richtiger Gentleman, aber ich hätte es für viele andere nicht getan.«

Sharpe klang betrunken, selbst für seine eigenen Ohren, doch in Wirklichkeit war er stocknüchtern auf einem Schlachtfeld, das plötzlich totenstill unter der westlichen Sonne lag. Es war fast Abend, doch es gab noch genügend Tageslicht, um die Schlacht zu beenden, obwohl es fraglich war, ob Sharpe noch etwas mit dem Finale zu tun haben würde. Er hatte seinen Job als Ordonnanz des Generals genauso verloren wie sein Pferd und seine Muskete und war mit nichts zurückgeblieben außer seinem verbogenen Säbel.

»Es stimmt nicht wirklich, was ich gesagt habe«, bekannte er dem verständnislosen Inder. »Dass ich ihn mag. Ich wünsche mir, dass er mich mag, und das ist was anderes, nicht wahr? Ich hatte gedacht, der elende Scheißkerl könnte mich zu einem Offizier machen. Begraben wir diese Hoffnung. Keine Schärpe für mich, Junge, ich bin wieder ein verdammter Infanterist.« Er benutzte den Säbel, um einen Streifen vom Gewand eines toten Arabers zu schneiden. Dann faltete er den Streifen zu einem Bausch, den er unter seinen Rock schob, um das Blut aus der tulwar-Wunde an seiner linken Schulter zu stillen. Es war keine ernsthafte Verwundung, denn er konnte keinen gebrochenen Knochen spüren, und sein linker Arm war unbehindert. Er warf den verbogenen Säbel weg, fand eine weggeworfene Marathen-Muskete, zog das Bajonett aus dem Gurt des gefallenen Besitzers, hängte sich dessen Patronentasche um und machte sich auf die Suche, um jemanden zu töten.

 

Es dauerte eine halbe Stunde, um die neue Linie aus den fünf Bataillonen, die durch das Geschützfeuer der Marathen marschiert waren, zu formieren und Pohlmanns Rechte zur Flucht zu zwingen, aber jetzt waren die fünf Bataillone nach Norden gegen Pohlmanns neue Position gerichtet, deren linke Flanke bis an Assayes Mauern reichte und sich dann längs des südlichen Ufers des Flusses Juah erstreckte.

Die Marathen hatten noch vierzig Geschütze, und Pohlmann befehligte immer noch achttausend Infanteristen und zahllose Kavallerie, und die zwanzigtausend Infanteristen des Radschas von Berar warteten immer noch hinter den behelfsmäßigen Schutzwällen des Dorfes. Wellesleys Infanterie zählte weniger als viertausend Mann, und er hatte nur zwei leichte Geschütze, die einsetzbar waren, und kaum sechshundert Kavalleristen auf erschöpften und fast verdursteten Pferden.

»Wir können sie aufhalten!«, brüllte Pohlmann vor seinen Männern. »Aufhalten und besiegen!« Er war immer noch zu Pferde und trug seinen farbenprächtigen seidenen Uniformrock. Er hatte davon geträumt, auf seinem Elefant über ein Schlachtfeld zu reiten, auf dem es von Toten wimmelte und die erbeuteten Waffen des Feindes angehäuft waren. Stattdessen ermunterte er seine Männer zu einem letzten Kampf am Fluss. »Haltet!«, rief er. »Haltet sie auf, und besiegt sie.« Hinter seinen Männer floss der Juah, während vor ihnen die Schatten auf dem Ackerland vor Assaye länger wurden.

Dann hörte er wieder das Spiel der Dudelsäcke, und Pohlmann zog sein Pferd herum, um zum rechten Ende der Linie zu blicken. Er sah, dass die hohen Federmützen und die schwingenden Kilts des verdammten schottischen Regiments wieder vorwärts marschierten. Ihre gekreuzten Gurte leuchteten weiß im Sonnenschein, und ihre Bajonette glänzten.

Jenseits von ihnen, halb verborgen von den Bäumen, drohte die britische Kavallerie, schien jedoch von einer Batterie Kanonen auf der rechten Seite von Pohlmanns Linie in Schach gehalten zu werden.

Der Hannoveraner wusste, dass die Kavallerie keine Gefahr war. Es war die Infanterie, die nicht zu stoppende Infanterie mit den roten Uniformröcken, die ihn besiegen würde. Er sah, dass an der Flanke der Highlander die Sepoy-Bataillone vorzurücken begannen, und er spielte mit dem Gedanken, dorthin zu reiten, wo das schottische Regiment auf seine Linie stoßen würde. Es würde Saleurs compoo treffen, und plötzlich war das Pohlmann gleichgültig. Sollte Saleur seine Schlacht schlagen, denn Pohlmann wusste, dass sie verloren war. Er starrte zum 78. Regiment und war überzeugt, das keine Macht auf Erden solche Männer stoppen konnte.

»Die verdammt beste Infanterie auf Erden«, sagte er zu einem seiner Adjutanten.

»Sahib?«

»Beobachten Sie sie. Sie werden in Ihrem Leben keine besser kämpfenden Männer sehen«, sagte Pohlmann bitter, schob seinen Säbel in die Scheide und schaute zu den Schotten, die noch einmal unter Kanonenbeschuss lagen, deren beide Reihen jedoch weiter vorwärts marschierten.

Pohlmann wusste, dass er nach Westen reiten und Saleurs Männer ermutigen sollte, doch stattdessen dachte er an das Gold, das er in Assaye zurückgelassen hatte. Diese letzten zehn Jahre waren ein feines Abenteuer gewesen, doch die Marathen-Konföderation starb vor seinen Augen, und Anton Pohlmann wollte nicht mit ihr sterben. Der Rest des Marathen-Fürstentums mochte weiterkämpfen, doch Pohlmann sagte sich, dass es an der Zeit war, sein Gold zu nehmen und sich auf die Flucht zu begeben.

Saleurs compoo begann bereits zurückzuweichen. Einige der Männer aus den hinteren Reihen warteten nicht einmal auf das Eintreffen der Schotten, sondern rannten zurück in den Fluss Juah und wateten durch das schmutzige Wasser, das ihnen bis zur Brust reichte. Der Rest des Regiments begann zu wanken.

Pohlmann hatte gedacht, dass diese drei compoos so gut wie jede Infanterie auf der Welt waren, doch sie hatten sich als zerbrechlich erwiesen. Die Briten feuerten eine Salve, und Pohlmann hörte die Kugeln in seine Infanterie einschlagen, und dann hörte er das Hurrageschrei, als die Rotröcke mit aufgepflanztem Bajonett vorwärts stürmten, und plötzlich war keine Armee mehr vor ihnen, nur eine Masse von Männern, die zum Fluss flüchteten.

Pohlmann nahm seinen farbenprächtig gefiederten Hut ab, der ihn als besondere Beute kennzeichnete, und warf ihn fort, dann nahm er seine Offiziersschärpe ab und warf sie dem Hut hinterher, als er seinem Pferd die Sporen gab und nach Assaye galoppierte.

Er nahm an, dass ihm noch ein paar Minuten blieben, und diese Zeit sollte reichen, um sein Gold zu sichern und zu entkommen. Die Schlacht war verloren und – für Pohlmann – auch der Krieg. Es war an der Zeit, sich zur Ruhe zu setzen.

Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2011