Arthur zuckte die Achseln. »Ohne Cerdics Männer?

Vielleicht dreihundert.«

»Das ist gar nichts!« brüllte Culhwch. »Die haben wir vor dem Frühstück niedergemacht!«

»Und ein Haufen fanatischer Christen«, warnte ihn Arthur. Culhwch äußerte eine Meinung über die Christen, bei welcher der Christ Meurig empört hochfuhr. Arthur beruhigte den jungen König von Gwent. »Ihr alle scheint etwas zu vergessen«, wandte er ruhig ein. »Ich habe nie König werden wollen, und ich will es auch jetzt nicht.«

Einen Moment herrschte Stille am Tisch. Nur einige der Krieger an den Wänden der Halle ließen gemurmelte Proteste gegen Arthurs Worte vernehmen. »Was Ihr wollt«, brach Cuneglas schließlich das Schweigen, »spielt jetzt keine Rolle mehr. Denn offenbar haben die Götter Euch die Entscheidung abgenommen.«

»Wenn die Götter wollten, daß ich König werde«, entgegnete Arthur, »hätten sie dafür gesorgt, daß meine Mutter Uthers Gemahlin wurde.«

»Und was wollt Ihr?« fragte ihn Culhwch verzweifelt.

»Ich will Guinevere und Gwydre zurückhaben«, sagte Arthur leise. »Und ich will den Sieg über Cerdic«, ergänzte er und starrte einen Moment auf die zerkratzte Tischplatte hinab. »Ich möchte«, fuhr er fort, »leben können wie ein ganz normaler Mann. Mit einer Gemahlin, einem Sohn, einem Haus und einem Hof. Ich wünsche mir Frieden.« Dieser Wunsch galt ausnahmsweise nicht Britannien, sondern nur seiner eigenen Person. »Ich möchte mich nicht in Eiden verstricken, ich möchte nicht ständig mit dem Ehrgeiz anderer Männer konfrontiert werden, und ich möchte nicht mehr über das Glück der Menschen bestimmen müssen. Ich möchte einfach das tun, was König Tewdric getan hat: Ich möchte mir ein grünes Fleckchen Erde suchen und dort leben.«

»Und langsam versauern?« Damit gab Merlin es auf, Schlaf vorzutäuschen.

Arthur lächelte. »Es gibt noch so viel zu lernen, Merlin. Warum schmiedet ein Mann zwei Schwerter aus demselben Metall im selben Feuer, aber die eine Klinge hält stand, während die andere sich bei der ersten Schlacht verbiegt? Es gibt so vieles, was ich gern noch ergründen möchte.«

»Sieh an, er möchte Waffenschmied werden«, sagte Merlin zu Culhwch.

»Ich möchte Guinevere und Gwydre zurückhaben«, erklärte Arthur energisch.

»Dann müßt Ihr Lancelot den Treueid leisten«, sagte Meurig.

»Wenn er nach Caer Cadarn geht, um Lancelot den Treueid zu leisten«, sagte ich verbittert, »werden ihn dort hundert Bewaffnete erwarten und ihn wie einen Hund niedermachen.«

»Nicht, wenn Könige mich begleiten«, widersprach Arthur sanft.

Wir starrten ihn an, und er schien überrascht zu sein, daß

seine Worte uns sprachlos machten. »Könige?« stieß Culhwch schließlich hervor.

Arthur lächelte. »Wenn König Cuneglas und König Meurig mit mir zum Caer Cadarn reiten würden, bezweifle ich, daß

Lancelot es wagen wird, mich zu töten. Wenn er den Königen von Britannien gegenübersteht, wird er reden müssen, und wenn er redet, werden wir zu einer Einigung gelangen. Er fürchtet mich, doch wenn er merkt, daß es nichts zu fürchten gibt, wird er mich am Leben lassen. Und meine Familie am Leben lassen.«

Abermals herrschte Schweigen, während wir dies

verarbeiteten, dann brach Culhwch in dröhnenden Protest aus.

»Ihr würdet dulden, daß dieser Bastard Lancelot König wird?«

Einige der Speerkämpfer an den Wänden der Halle stimmten grollend in seinen Protest ein.

»Cousin, Cousin!« suchte Arthur ihn zu beschwichtigen.

»Lancelot ist kein böser Mensch. Er ist schwach, glaube ich, aber nicht böse. Er schmiedet keine Pläne, er hat keine Träume, sondern nur ein gieriges Auge und flinke Hände. Er greift sich die Dinge, wenn sie auftauchen, dann bewahrt er sie auf und wartet auf das nächste, was ihm vor die Augen kommt. Jetzt wünscht er sich meinen Tod, weil er mich fürchtet – doch wenn er merkt, daß der Preis für meinen Tod zu hoch ist, wird er das akzeptieren, was er kriegen kann.«

»Euren Tod wird er akzeptieren, Ihr Narr!« Culhwch hämmerte mit der Faust auf den Tisch. »Tausend Lügen wird er Euch erzählen, seine Freundschaft wird er Euch beteuern und Euch im selben Moment, da Eure Könige heimgekehrt sind, ein Schwert zwischen die Rippen stoßen.«

»Er wird mich belügen«, bestätigte Arthur gelassen. »Alle Könige lügen. Kein Königreich kann ohne Lügen regiert werden, denn auf Lügen gründen wir unseren Ruf. Wir bezahlen die Barden, damit sie unsere erbärmlichen Siege in große Triumphe verwandeln, und manchmal glauben wir sogar die Lügen, die sie uns vorsingen. Lancelot würde all diesen Liedern nur allzugern glauben, in Wirklichkeit aber ist er schwach und sehnt sich verzweifelt nach starken Freunden. Jetzt fürchtet er mich, weil er mich für seinen Feind hält; doch wenn er merkt, daß ich nicht sein Feind bin, wird er entdecken, daß er mich braucht. Wenn er Dumnonia von Cerdic befreien will, wird er jeden Mann brauchen, den er finden kann.«

»Und wer hat Cerdic nach Dumnonia geholt?« protestierte Culhwch. »Das war Lancelot!«

»Das wird er schon bald bereuen«, entgegnete Arthur gelassen. »Er hat Cerdic benutzt, um sich seine Trophäe zu holen, und nun wird er entdecken, daß Cerdic ein gefährlicher Verbündeter ist.«

»Ihr würdet für Lancelot kämpfen?« fragte ich ihn voller Entsetzen.

»Ich werde für Britannien kämpfen«, gab Arthur

entschlossen zurück. »Ich kann nicht verlangen, daß Männer sterben, damit ich werde, was ich nicht sein will – aber ich kann sie bitten, für ihr Heim, für ihre Frauen und Kinder zu kämpfen. Und das ist es, wofür ich kämpfe. Für Guinevere. Und um Cerdic zu besiegen, und wenn der besiegt ist – was spielt es dann für eine Rolle, daß Lancelot Dumnonia regiert?

Irgend jemand muß regieren, und wahrscheinlich wird er ein besserer König sein, als Mordred es je gewesen ist.« Wieder herrschte Schweigen. Am Rand der Halle winselte ein Jagdhund, ein Speerkämpfer nieste. Arthur musterte uns und sah, daß wir noch immer völlig verwirrt waren. »Wenn ich gegen Lancelot kämpfe«, erklärte er uns, »kehren wir zu dem Britannien zurück, das wir vor Lugg Vale hatten. Zu einem Britannien, in dem wir gegeneinander statt gegen die Sachsen kämpfen. Hier darf es nur einen Grundsatz geben, und zwar Uthers alten Grundsatz, daß die Sachsen vom Severn-Meer ferngehalten werden müssen. Und nun«, fuhr er nachdrücklich fort, »stehen die Sachsen näher am Severn als jemals zuvor. Wenn ich für einen Thron kämpfe, will ich Cerdic nicht die Chance geben, zuerst Corinium und anschließend diese Stadt einzunehmen, denn wenn er Glevum tatsächlich erobert, hat er uns in zwei Teile geteilt. Wenn ich gegen Lancelot kämpfe, werden die Sachsen alles gewinnen. Sie werden Dumnonia erobern, und Gwent, und dann werden sie nach Norden marschieren und in Powys eindringen.«

»Genau!« Meurig applaudierte Arthur.

»Ich werde nicht für Lancelot kämpfen«, verkündete ich zornig, und Culhwch applaudierte mir.

Arthur sah mich lächelnd an. »Mein lieber Freund Derfel, ich würde nicht von Euch erwarten, daß Ihr für Lancelot kämpft, obwohl ich wünsche, daß Eure Männer gegen Cerdic kämpfen. Und der Preis dafür, daß ich Lancelot helfe, Cerdic zu besiegen, besteht darin, daß er Euch Dinas und Lavaine ausliefert.«

Ich starrte ihn an. Bis zu diesem Moment hatte ich nicht begriffen, wie weit er vorausdachte. Wir übrigen hatten nichts anderes gesehen als Lancelots Verrat; Arthur dagegen dachte nur an Britannien und daran, wie dringend notwendig es war, die Sachsen vom Severn fernzuhalten. Er würde Lancelots Feindseligkeit übergehen, ihm meine Rache aufzwingen und dann fortfahren, gegen die Sachsen zu kämpfen.

»Und die Christen?« fragte Culhwch höhnisch. »Glaubt Ihr, die werden Euch nach Dumnonia zurückkehren lassen? Glaubt Ihr, diese Bastarde würden nicht sofort ein Totenfeuer für Euch errichten?«

Meurig erhob piepsend Einspruch, doch Arthur brachte ihn zum Schweigen. »Die Raserei der Christen wird sich erschöpfen«, sagte Arthur. »Es ist wie ein Wahn, und sobald er sich erschöpft hat, werden sie nach Hause zurückkehren, um die Scherben ihres Lebens aufzusammeln. Sobald Cerdic besiegt ist, kann Lancelot Dumnonia den Frieden bringen. Ich werde dann nur noch für meine Familie leben, mehr wünsche ich mir nicht.«

Cuneglas hatte sich im Sessel zurückgelehnt und starrte zu den Resten der römischen Deckengemälde empor. Jetzt richtete er sich wieder auf und blickte Arthur an. »Sagt mir noch einmal, was Ihr Euch wünscht«, verlangte er leise.

»Ich wünsche mir Frieden für Britannien«, antwortete Arthur geduldig. »Ich will, daß Cerdic zurückgeschlagen wird, und ich wünsche mir meine Familie.«

Cuneglas sah Merlin an. »Nun, Lord?« forderte er den Alten heraus.

Merlin hatte zwei seiner Bartzöpfe miteinander verknotet. Jetzt hob er leicht erstaunt den Kopf und beeilte sich, die Zöpfe voneinander zu lösen. »Ich möchte bezweifeln, daß die Götter das wollen, was Arthur will«, sagte er. »Ihr alle habt den Kessel vergessen.«

»Dies hat nichts mit dem Kessel zu tun«, erklärte Arthur energisch.

»Alles hat mit ihm zu tun«, sagte Merlin mit plötzlicher, überraschender Härte, »und der Kessel bringt das Chaos. Ihr wünscht Euch Ordnung, Arthur, Ihr glaubt, daß Lancelot auf Eure Vernunftgründe hört und daß Cerdic Euch sein Schwert überreicht. Doch Eure vernünftige Ordnung wird in Zukunft ebensowenig funktionieren, wie sie in der Vergangenheit funktioniert hat. Glaubt Ihr wirklich, daß Männer und Frauen es Euch gedankt haben, daß Ihr ihnen Frieden gebracht habt?

Euer Friede hat sie gelangweilt, deswegen haben sie ihr eigenes Unruhesüppchen gekocht, um sich die Langeweile zu vertreiben. Die Menschen wollen keinen Frieden, Arthur, sie wollen Ablenkung von ihrer Langeweile, während Ihr die Langeweile sucht wie ein Dürstender seinen Met. Eure Vernunft wird die Götter nicht besiegen, dafür werden die Götter schon sorgen. Ihr glaubt, Ihr könnt Euch auf einem Hof verkriechen und den Waffenschmied spielen? Nein.« Merlin zeigte uns ein bösartiges Lächeln und griff nach seinem langen, schwarzen Stab. »Schon in diesem Augenblick«, erklärte Merlin, »bereiten die Götter Ärger für Euch.« Mit dem Stab zeigte er auf die Eingangstür der Halle. »Seht Euren Ärger, Arthur ap Uther.«

Als wir uns alle umdrehten, sahen wir Galahad in der Türöffnung stehen. Er trug ein Kettenhemd, hatte ein Schwert an seiner Seite und war bis zur Taille mit Schlamm bespritzt. Und neben ihm stand ein elendiglicher, klumpfüßiger, breitnasiger, rundgesichtiger, dünnbärtiger Bürstenkopf. Denn Mordred war doch noch am Leben.

Ringsum herrschte verblüfftes Schweigen. Als Mordred in die Halle gehinkt kam, verrieten seine kleinen Augen den Ärger über diese wenig herzliche Begrüßung. Arthur starrte seinen König sprachlos an, und ich wußte, daß er in Gedanken all seine sorgfältig zurechtgelegten Pläne revidierte, die er uns eben erst geschildert hatte. Es konnte keinen vernünftigen Frieden mit Lancelot geben, denn Arthurs Eidlord lebte noch. Dumnonia hatte noch einen König, und der hieß nicht Lancelot, sondern Mordred, und Arthur hatte Mordred den Eid geleistet.

Dann wurde das Schweigen gebrochen, als Männer sich um den König drängten, um zu hören, was er zu berichten hatte. Galahad trat beiseite, um mich zu umarmen. »Gott sei’s gedankt, du lebst!« sagte er mit einer Erleichterung, die tief aus dem Herzen kam.

Ich sah meinen Freund lächelnd an. »Erwartest du, daß ich mich bei dir bedanke, weil du das Leben meines Königs gerettet hast?« fragte ich ihn.

»Irgend jemand sollte es tun, denn er selber hat es nicht getan. Er ist ein undankbares kleines Biest«, sagte Galahad.

»Gott weiß, warum er noch lebt, während so viele gute Männer sterben mußten. Llywarch, Bedwyr, Dagonet, Blaise. Alle dahin.« Er nannte jene von Arthurs Kriegern, die in Durnovaria gefallen waren. Von einigen dieser Toten hatte ich bereits gewußt, andere waren mir neu, aber Galahad wußte Näheres über die Art, wie sie gestorben waren. Er war in Durnovaria gewesen, als das Gerücht von Mordreds Tod die Christen zum Aufruhr aufgestachelt hatte, doch Galahad schwor, es seien auch Speerkämpfer unter den Aufrührern gewesen. Er glaubte, Lancelots Männer hätten sich, verkleidet als Pilger, auf dem Weg nach Ynys Wydryn, in die Stadt eingeschlichen und das Massaker ausgelöst. »Die meisten von Arthurs Männern waren in den Tavernen«, erzählte er, »und hatten so gut wie keine Chance. Ein paar überlebten, aber Gott weiß, wo die jetzt sind.« Er schlug das Kreuz. »Dies ist nicht das Werk Christi, Derfel, das weißt du, nicht wahr? Dies ist das Werk des Teufels.« Er warf mir einen schmerzerfüllten, fast angstvollen Blick zu. »Stimmt das mit Dian?«

»Es stimmt«, antwortete ich. Galahad umarmte mich wortlos. Er war nicht verheiratet und hatte auch keine Kinder, aber er liebte meine Töchter. Er liebte alle Kinder. »Dinas und Lavaine haben sie getötet«, erklärte ich ihm, »und die beiden leben noch.«

»Mein Schwert gehört dir«, sagte er.

»Ich weiß«, antwortete ich.

»Und wenn dies das Werk Christi wäre«, fuhr Galahad tiefernst fort, »würden Dinas und Lavaine nicht Lancelot dienen.«

»Ich will deinen Gott nicht beschuldigen«, versicherte ich ihm, »ich will überhaupt keinen Gott beschuldigen.« Damit wandte ich mich um und beobachtete den Aufruhr um Mordred. Arthur bat laut rufend um Ruhe und Ordnung. Diener waren ausgeschickt worden, um Speisen und Kleidung zu holen, die eines Königs würdig waren, während andere zu hören versuchten, was er zu berichten hatte. »Hat Lancelot nicht deinen Eid verlangt?« fragte ich Galahad.

»Er wußte nicht, daß ich in Durnovaria war. Ich war bei Bischof Emrys abgestiegen, und der Bischof versorgte mich mit einer Mönchskutte, die ich über dem hier tragen konnte.«

Er tätschelte sein Kettenhemd. »Dann ging ich nach Norden. Der arme Emrys ist völlig verstört. Er glaubt, seine Christen seien wahnsinnig geworden, und das ist durchaus auch meine Meinung. Ich hätte vermutlich bleiben und kämpfen können, aber das habe ich nicht getan. Ich bin davongelaufen. Ich hatte gehört, daß ihr tot wärt, Ihr und Arthur, aber ich hab’s nicht geglaubt. Ich dachte, ich würde Euch vielleicht finden, statt dessen habe ich unseren König gefunden.« Nun erzählte er mir, daß Mordred nördlich von Durnovaria auf Sauhatz gegangen sei und daß Lancelot, wie Galahad vermutete, Männer ausgeschickt habe, um den König abzufangen, sobald er nach Durnovaria zurückkehrte. Irgendein kleines Dorfmädchen schien jedoch Mordreds Aufmerksamkeit erregt zu haben, und als er und seine Kumpane mit der Kleinen fertig waren, war es nahezu dunkel geworden. Also hatte er das größte Haus des Dorfes beschlagnahmt und sich erst einmal Speisen bestellt. Seine Mörder hatten am Nordtor der Stadt gewartet, während Mordred ein Dutzend Meilen weit entfernt tafelte, und irgendwann im Laufe des Abends mußten Lancelots Männer beschlossen haben, mit dem Töten zu beginnen, obwohl der dumnonische König ihrem Hinterhalt entgangen war. Also hatten sie das Gerücht von seinem Tod verbreitet und dieses Gerücht benutzt, um Lancelots Machtergreifung zu rechtfertigen.

Mordred hörte von den Unruhen, als die ersten Flüchtlinge aus Durnovaria eintrafen. Die meisten seiner Kumpane hatten sich verdrückt, die Dörfler versuchten all ihren Mut zusammenzunehmen und den König zu töten, der eins ihrer Mädchen vergewaltigt und so große Mengen von ihren Vorräten gestohlen hatte – und Mordred war in Panik geraten. Mit seinen verbleibenden Freunden ergriff er in den Kleidern der Dörfler die Flucht. »Sie haben versucht, sich zum Caer Cadarn durchzuschlagen«, berichtete mir Galahad. »Weil sie glaubten, dort treue Speerkämpfer vorzufinden. Statt dessen fanden sie dort mich. Ich hatte mit ihm zu Eurer Halle marschieren wollen, doch da wir hörten, daß Eure Leute geflohen waren, brachte ich ihn eben nach Norden.«

»Habt Ihr irgendwo Sachsen gesehen?«

Er schüttelte den Kopf. »Die sind im Themsetal. Das wir umgangen haben.« Er starrte auf das Gedränge um Mordred.

»Und was geschieht jetzt?« fragte er mich.

Mordred hatte ganz bestimmte Vorstellungen. Er war mit einem geliehenen Mantel bekleidet und saß am Tisch, wo er sich Brot und Pökelfleisch in den Mund stopfte. Er verlangte, daß Arthur sofort nach Süden marschierte, und jedesmal, wenn Arthur ihn unterbrechen wollte, schlug der König auf den Tisch und wiederholte seine Forderung. »Wollt Ihr Euren Eid verleugnen?« schrie er Arthur schließlich an und besprühte dabei alle am Tisch mit Brot-und Fleischbröckchen aus seinem Mund.

»Lord Arthur«, entgegnete Cuneglas bissig, »versucht seine Gemahlin und seine Kinder zu schützen.«

Mordred starrte den König von Powys ausdruckslos an. »Ist das wichtiger als mein Königreich?« fragte er schließlich.

»Wenn Arthur in den Krieg zieht«, versuchte Cuneglas Mordred zu erklären, »werden Guinevere und Gwydre sterben.«

»Also tun wir lieber nichts?« kreischte Mordred. Er war hysterisch.

»Wir werden die Angelegenheit in Erwägung ziehen«, sagte Arthur verbittert.

»In Erwägung?« schrie Mordred. Dann stand er auf. »Ihr wollt erwägen, während dieser Bastard mein Land regiert?

Habt Ihr einen Eid geleistet oder nicht?« wandte er sich an Arthur. »Und wozu sind diese Männer gut, wenn sie nicht kämpfen wollen?« Er zeigte auf die Speerkämpfer, die inzwischen einen Kreis um die Tafel gebildet hatten. »Ihr werdet alle für mich kämpfen! Das verlangt Euer Eid. Ihr werdet kämpfen!« Wieder schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Ihr sollt nicht erwägen! Ihr sollt kämpfen!«

Ich hatte genug. Vielleicht stand mir in diesem Moment die tote Seele meiner Tochter zur Seite, denn fast ohne nachzudenken trat ich vor und löste meinen Schwertgurt. Ich streifte das Wehrgehenk mit Hywelbane vom Gurt, warf das Schwert zu Boden und legte den Ledergurt zusammen. Mordred, der mich beobachtete, stotterte einen schwächlichen Protest, als ich auf ihn zutrat, aber niemand rührte einen Finger, um mich aufzuhalten.

Als ich den König erreichte, blieb ich stehen und zog ihm den zusammengelegten Gurt mit aller Kraft übers Gesicht.

»Das«, sagte ich, »ist nicht die Rache für die Backenstreiche, die Ihr mir gegeben habt, sondern für meine Tochter. Und dies« – ich schlug ihn abermals, nur noch viel härter – »ist dafür, daß Ihr den Eid, Euer Königreich zu beschützen, nicht gehalten habt.«

Die Speerkämpfer brüllten zustimmend. Mordreds Unterlippe zitterte wie damals, wenn er als Kind Prügel hatte einstecken müssen. Seine Wangen waren von den Backenstreichen gerötet, und aus einem winzigen Schnitt unter seinem Auge rann ein Tropfen Blut. Mit dem Finger tupfte er sich das Blut ab, dann spie er mir einen Batzen halbzerkautes Rindfleisch und Brot ins Gesicht. »Dafür werdet Ihr sterben«, kreischte er und versuchte mich in aufwallender Wut zu ohrfeigen. »Wie sollte ich denn das Königreich verteidigen?« schrie er. »Ihr wart nicht da! Arthur war nicht da!« Wieder versuchte er mich zu schlagen, aber ich parierte seinen Schlag mit dem Arm. Dann hob ich den Gurt, um ihm noch ein paar Schläge zu verpassen.

Arthur, über mein Verhalten entsetzt, drückte meinen Arm hinunter und zog mich fort. Mordred folgte, mit beiden Fäusten auf mich einhämmernd; doch dann traf ein schwarzer Stab schmerzhaft seinen Arm, und er fuhr wütend herum, um sich auf diesen neuen Angreifer zu stürzen.

Aber es war Merlin, dessen Gestalt hoch über dem tobenden König aufragte. »Schlagt mich, Mordred«, sagte der Druide leise, »und ich werde Euch in eine Kröte verwandeln und an die Schlangen von Annwn verfüttern.«

Mordred starrte den Druiden an, brachte aber kein Wort heraus. Er versuchte den Stab wegzuschieben, aber Merlin hielt ihn fest und benutzte ihn, um den jungen König zu seinem Sessel zurückzudrängen. »Sagt mir, Mordred«, verlangte Merlin, während er den König auf seinen Platz drückte,

»warum habt Ihr Arthur und Derfel so weit fortgeschickt?«

Mordred schüttelte den Kopf. Er hatte Angst vor diesem neuen, kerzengerade aufragenden Merlin. Er hatte den Druiden immer nur als gebrechlichen Alten gekannt, der sich im Garten von Lindinis sonnte, daher jagte ihm der wiedererstarkte Merlin mit seinem geflochtenen Bart eine Heidenangst ein. Merlin hob den Stab und ließ ihn krachend auf die Tischplatte herabsausen. »Warum?« fragte er leise, nachdem der Lärm des Schlages verklungen war.

»Um Ligessac gefangenzunehmen«, flüsterte Mordred.

»Mieser kleiner Wurm«, sagte Merlin. »Ein Kind hätte Ligessac gefangennehmen können. Warum habt Ihr Arthur und Derfel geschickt?«

Mordred schüttelte stumm den Kopf.

Merlin seufzte. »Es ist lange her, junger Mordred, daß ich den großen Zauber angewendet habe. Ich bin leider aus der Übung, aber ich glaube, mit Nimues Hilfe kann ich Euren Urin in jenen schwarzen Eiter verwandeln, der jedesmal, wenn Ihr pissen wollt, so schmerzhaft sticht wie eine Wespe. Ich kann Euer Hirn aufweichen – soweit Ihr überhaupt eins habt – und Eure Männlichkeit« – unvermittelt zeigte der Stab auf Mordreds Geschlechtsteile – »zur Größe einer vertrockneten Bohne schrumpfen lassen. Das alles vermag ich zu tun, Mordred, und das alles werde ich tun, es sei denn, Ihr sagt mir auf der Stelle die Wahrheit!« Er lächelte, doch dieses Lächeln wirkte bedrohlicher als der gezückte Stab. »Sagt mir also, mein guter Junge: Warum habt Ihr Arthur und Derfel zu Cadocs Lager geschickt?«

Mordreds Unterlippe zitterte. »Weil Sansum es mir befohlen hat.«

»Der Mäuselord!« rief Merlin aus, als überraschte ihn die Antwort. Abermals lächelte er, das heißt, er bleckte die Zähne.

»Ich habe noch eine andere Frage, Mordred«, fuhr er dann fort,

»und wenn Ihr mir nicht die Wahrheit sagt, werden Eure Eingeweide schleimige Kröten absondern, wird Euer Bauch ein Nest von Würmern sein und Eure Kehle von ihrer Galle überlaufen. Ich werde bewirken, daß Ihr unaufhörlich zittert, so daß Ihr Euer Leben lang, Euer ganzes Leben lang, nur noch ein krötenscheißender, wurmzerfressener, gallespeiender Zitterer sein werdet. Ich werde Euch« – er hielt inne, um seine Stimme drohend zu senken – »noch abstoßender machen, als Eure Mutter es schon gemacht hat. Also, Mordred, sagt mir, was euch der Mäuselord versprochen hat, wenn Ihr Arthur und Derfel wegschickt!«

Starr vor Entsetzen sah Mordred Merlin ins Gesicht. Merlin wartete. Da keine Antwort kam, hob er den Stab gegen das hohe Dach der Halle. »Im Namen Bels«, skandierte er dröhnend, »und seines Krötenlords Callyc, und im Namen Sucellos’ und seines Wurmmeisters Horfael, im Namen …«

»Daß sie getötet werden!« kreischte Mordred verzweifelt. Ganz langsam senkte sich der Stab, bis er wieder auf Mordreds Gesicht zeigte. »Was hat er Euch versprochen, mein guter Junge?« fragte Merlin.

Mordred wand sich in seinem Sessel, doch es gab kein Entrinnen vor dem Stab. Er schluckte, schielte nach links und nach rechts, vermochte aber nirgendwo in der Halle Hilfe zu finden. »Daß sie getötet werden«, gestand Mordred. »Von den Christen.«

»Und warum sollte das Euer Wunsch sein?« erkundigte sich Merlin.

Mordred zögerte, aber Merlin hob wieder den Stab, und der Knabe haspelte sein Geständnis heraus. »Weil ich kein König sein kann, solange er lebt!«

»Ihr dachtet, nach seinem Tod wärt Ihr frei zu tun, was Euch beliebt?«

»Ja!«

»Und Ihr habt geglaubt, daß Sansum Euer Freund sei?«

»Ja.«

»Und Ihr habt nie daran gedacht, daß Sansum auch Euren Tod wollte?« Merlin schüttelte den Kopf. »Was für ein törichter Knabe Ihr doch seid! Wißt Ihr denn nicht, daß die Christen niemals etwas richtig machen? Sogar ihr erster hat sich an ein Kreuz nageln lassen. So verhalten sich tüchtige Götter nicht, ganz und gar nicht. Ich danke Euch, Mordred, für dieses Gespräch.« Damit lächelte er, zuckte die Achseln und ging davon. »Ich habe nur helfen wollen«, sagte er, als er an Arthur vorüberging.

Mordred wirkte, als hätte ihn schon das große Zittern erfaßt, das Merlin ihm angedroht hatte. Schaudernd umklammerte er die Armlehnen seines Sessels, und seine Augen füllten sich mit Tränen wegen der soeben erlittenen Demütigung. Dann versuchte er ein wenig von seinem Stolz zurückzugewinnen, indem er auf mich zeigte und verlangte, daß Arthur mich gefangennehme.

»Seid nicht so töricht!« fuhr Arthur ihn zornig an. »Glaubt Ihr, wir könnten Euren Thron ohne Derfel und seine Männer zurückgewinnen?« Mordred schwieg, und dieses schmollende Schweigen löste bei Arthur einen ebenso heftigen Wutanfall aus wie jenen, der mich veranlaßt hatte, meinen König zu verprügeln. »Euch hingegen brauchen wir nicht!« fauchte er Mordred an. »Und was immer geschieht, Ihr werdet hierbleiben, unter Bewachung!« Mordred starrte offenen Mundes zu ihm empor, aus einem Auge quoll eine Träne und verwässerte den winzigen Blutstropfen. »Nicht als Gefangener, Lord König«, erklärte Arthur müde, »sondern um Euer Leben vor den Hunderten von Männern zu schützen, denen es ein Vergnügen wäre, es Euch zu nehmen.«

»Und was werdet Ihr tun?« fragte Mordred, inzwischen ganz klein und armselig geworden.

»Wie ich Euch sagte«, antwortete Arthur verächtlich. »Ich werde die Angelegenheit in Erwägung ziehen.« Mehr sagte er nicht.

Endlich lag Lancelots Komplott in seinem vollen Umfang deutlich vor uns. Sansum hatte Arthurs Tod geplant, Lancelot hatte Männer ausgeschickt, um Mordred zu töten, und war dann mit seinem Heer gefolgt, weil er glaubte, daß jedes Hindernis auf seinem Weg auf Dumnonias Thron beseitigt worden sei, und daß die Christen, aufgepeitscht von Sansums eifrigen Missionaren, alle übrigen Feinde töten würden, während Cerdic Sagramors Männer in Schach hielt. Aber Arthur lebte, und Mordred lebte ebenfalls, und solange Mordred lebte, mußte Arthur seinen Eid erfüllen. Dieser Eid bedeutete, daß wir in den Krieg ziehen mußten. Es spielte keine Rolle, daß der Krieg den Sachsen möglicherweise das SevernTal öffnete: Wir mußten gegen Lancelot kämpfen. Dazu verpflichtete uns unser Eid.

Meurig wollte keine Speerkämpfer für den Kampf gegen Lancelot abstellen. Er brauche alle seine Männer, um die eigenen Grenzen gegen einen eventuellen Angriff Cerdics oder Aelles zu verteidigen, behauptete er, und nichts, was wir sagten, konnte ihn von dieser Meinung abbringen. Er versprach, seine Garnison in Glevum zu lassen und damit die dumnonische Garnison freizusetzen, die sich Arthurs Truppen anschließen sollte, wollte aber keinen Schritt weitergehen.

»Dieser miese, kleine Feigling!« grollte Culhwch.

»Er ist ein vernünftiger junger Mann«, widersprach Arthur,

»dessen Ziel es ist, sein Königreich zu schützen.« Er sprach mit uns, seinen Kriegsherren, in einer Halle der römischen Bäder von Glevum. Der Raum hatte einen gefliesten Boden und eine gewölbte Decke, an der die aufgemalten Reste nackter Nymphen von einem Faun durch ein Gewirr von Blüten und Blättern gejagt wurden.

Cuneglas war großzügiger. Die Speerkämpfer, die er von Caer Sws mitgebracht hatte, sollten unter Culhwchs Befehl zu Sagramors Männern stoßen. Culhwch schwor, er werde keinen Finger rühren, um Mordreds Wiedereinsetzung zu fördern, war dagegen aber durchaus bereit, gegen Cerdics Krieger zu Felde zu ziehen, und das war immer noch Sagramors Auftrag. Sobald der Numidier Verstärkung durch die Männer aus Powys bekam, sollte er gen Süden marschieren, den Sachsen, die Corinium belagerten, den Weg abschneiden und Cerdics Männer in einen Feldzug verwickeln, der sie daran hinderte, Lancelot im Kernland von Dumnonia zu Hilfe zu eilen. Cuneglas versprach uns jede Unterstützung, die er uns geben konnte, sagte aber, es werde mindestens zwei Wochen dauern, bis er seine gesamte Streitmacht versammelt habe und sie südwärts nach Glevum bringen könne.

Arthur hatte nur sehr wenige Männer in Glevum. Er hatte die dreißig Mann, die nordwärts gezogen waren, um Ligessac gefangenzunehmen, der nun in Glevum in Ketten lag, und er hatte meine Männer, zu denen er noch jene siebzig Speerkämpfer zählen konnte, die Glevums kleine Garnison gebildet hatten. Zu ihnen gesellten sich tagtäglich neue Flüchtlinge, denen es gelungen war, den marodierenden Christenbanden zu entkommen, welche noch immer hinter allen Heiden Dumnonias her waren. Wie wir hörten, hielten sich viele dieser Flüchtlinge noch in Dumnonia auf, manche von ihnen in uralten Erdfestungen oder tief in den Wäldern; andere aber kamen nach Glevum, und zu ihnen gehörte Morfans, der Häßliche, der dem Massaker in Durnovarias Tavernen entkommen war. Arthur gab ihm den Befehl über die Streitkräfte von Glevum und wies ihn an, mit ihnen südwärts nach Aquae Sulis zu marschieren. Galahad würde ihn begleiten. »Laßt Euch nicht in eine Schlacht verwickeln«, warnte Arthur beide Männer, »provoziert die Feinde nur, belästigt sie, macht sie nervös. Haltet Euch in den Hügeln, bleibt beweglich und seht zu, daß sie hierher blicken. Sobald mein Lord König kommt« – er meinte Cuneglas – »könnt Ihr Euch seinem Heer anschließen und nach Süden auf Caer Cadarn marschieren.«

Er selbst werde weder mit Sagramor noch mit Morfans kämpfen, erklärte Arthur, sondern sich aufmachen, um Aelles Hilfe zu erbitten. Arthur wußte besser als jeder andere, daß die Nachricht von seinen Plänen sofort nach Süden getragen werden würde. Es gab genügend Christen in Glevum, die Arthur für den Feind Gottes hielten und in Lancelot den vom Himmel gesandten Vorboten von Christi Wiederkehr auf Erden sahen. Arthur wollte, daß diese Christen ihre Nachrichten südwärts nach Dumnonia trugen und daß Lancelot aus diesen Nachrichten schloß, Arthur werde es nicht wagen, Guineveres Leben aufs Spiel zu setzen, indem er gegen ihn zu Felde zog. Statt dessen wollte Arthur Aelle bitten, mit seinen Äxten und Speeren gegen Cerdics Männer vorzugehen. »Derfel wird mich begleiten«, erklärte er uns jetzt.

Ich wollte Arthur nicht begleiten. Es gebe andere Dolmetscher, protestierte ich, und mein einziger Wunsch sei es, mich Morfans anzuschließen und südwärts nach Dumnonia hineinzumarschieren. Ich wollte meinem Vater Aelle nicht gegenübertreten. Ich wollte kämpfen, ich wollte Mordred nicht auf den Thron zurückhelfen, sondern Lancelot stürzen sowie Dinas und Lavaine aufstöbern.

Arthur schlug mir die Bitte ab. »Ihr werdet mit mir kommen, Derfel«, befahl er. »Wir werden vierzig Mann mitnehmen.«

»Vierzig?« protestierte Morfans. Vierzig war eine Zahl, auf die seine kleine Kriegshorde, mit der er Lancelot ablenken sollte, nicht leicht verzichten konnte.

Arthur zuckte die Achseln. »Ich würde es nicht wagen, Aelle gegenüber schwach zu erscheinen«, sagte er. »Im Gegenteil, ich sollte mehr mitnehmen, aber vierzig Mann könnten genügen, um ihn zu überzeugen, daß ich nicht verzweifelt bin.«

Er hielt inne. »Und noch etwas«, sagte er so nachdrücklich, daß

er auch die Aufmerksamkeit jener Männer erregte, die sich schon bereit machten, das Badehaus zu verlassen. »Einige von euch sind nicht gewillt, für Mordred zu kämpfen«, räumte Arthur ein. »Culhwch hat Dumnonia schon verlassen. Derfel wird es zweifellos tun, sobald dieser Krieg beendet ist, und wer weiß, wie viele andere von euch ebenfalls gehen werden. Dumnonia kann es sich nicht leisten, solche Männer zu verlieren.« Abermals hielt er inne. Es hatte zu regnen begonnen, so daß Wasser von den Ziegeln herabtropfte, die zwischen den Resten des Deckengemäldes durchschauten. »Ich habe mit Cuneglas gesprochen«, sagte Arthur mit einer leichten Verneigung vor dem König von Powys, »und ich habe mit Merlin gesprochen. Wir haben über die uralten Gesetze und Bräuche unseres Volkes diskutiert. Alles, was ich tue, geschieht innerhalb dieser Gesetze. Ich kann euch nicht von Mordred befreien, denn das verbietet mir mein Eid, und die uralten Gesetze unseres Volkes lassen es nicht zu.« Er machte eine weitere Pause, und seine Rechte wanderte unwillkürlich an Excaliburs Heft. »Aber eins gestattet das Gesetz. Wenn ein König unfähig ist zu regieren, darf sein Kronrat an seiner Statt herrschen, solange der König alle Ehren und Privilegien seines Standes innehat. Merlin versichert mir, daß es so ist, und König Cuneglas bestätigt, daß dies während der Regierungszeit seines Urgroßvaters Brychan geschehen ist.«

»Total plemplem!« warf Cuneglas fröhlich ein.

Arthur lächelte ein wenig, dann krauste er die Stirn, während er seine Gedanken sammelte. »Ich habe nie gewollt, daß es so kommt«, erklärte er ruhig, und seine ernste Stimme hallte in dem tropfenden Raum wider, »aber ich werde dem Kronrat von Dumnonia vorschlagen, daß er an Mordreds Stelle die Regierung übernimmt.«

»Jawohl!« rief Culhwch.

Arthur brachte ihn zum Schweigen. »Ich hatte gehofft«, fuhr er dann fort, »daß Mordred lernen würde, Verantwortung zu tragen, aber das hat er nicht getan. Es kümmert mich nicht, daß

er mich töten lassen wollte, aber es kümmert mich, daß er sein Königreich verloren hat. Er hat den Eid gebrochen, den er bei seiner Ernennung geschworen hat, und inzwischen bezweifle ich, daß er jemals in der Lage sein wird, ihn zu halten.« Er hielt inne, und viele von uns müssen sich gefragt haben, warum es so lange gedauert hatte, bis Arthur begriff, was für uns andere längst auf der Hand lag. Jahrelang hatte er sich hartnäckig gegen die Erkenntnis gesträubt, daß Mordred nicht zum König taugte, doch jetzt, nachdem Mordred sein Königreich verloren und es – in Arthurs Augen noch weit schlimmer – versäumt hatte, seine Untertanen zu beschützen, war Arthur endlich bereit, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Regenwasser tropfte auf seinen unbedeckten Kopf, aber er schien es nicht zu merken. »Wie Merlin mir sagt«, fuhr er bedrückt fort, »ist Mordred von einem bösen Geist besessen. Ich bin nicht bewandert in diesen Dingen, aber mir scheint diese Erklärung nicht unwahrscheinlich zu sein. Daher werde ich, falls der Kronrat zustimmt, den Vorschlag machen, Mordred, nachdem wir ihn wiedereingesetzt haben, alle Ehren zu erweisen, die unserem König zustehen. Er darf im Winterpalast wohnen, er darf auf die Jagd gehen, er darf wie ein König essen und all seinen Vergnügungen nachgehen, solange sie innerhalb der Gesetze liegen, aber er wird nicht regieren.

Ich schlage vor, daß wir ihm alle Privilegien, jedoch keine der Pflichten seines Throns gewähren.«

Wir jubelten. Und wie wir jubelten! Denn nun hatten wir etwas, für das es sich zu kämpfen lohnte. Nicht für Mordred, diese elende Kröte, aber für Arthur, denn trotz all seines schönen Geredes darüber, daß der Kronrat an Mordreds Stelle in Dumnonia herrschen sollte, wußten wir genau, was seine Worte bedeuteten. Sie bedeuteten, daß Arthur in allem, nur nicht im Namen, König von Dumnonia sein würde, und dafür würden wir freudig mit unseren Speeren in den Krieg ziehen. Wir jubelten, denn nun hatten wir einen Grund, zu kämpfen und zu sterben. Wir hatten Arthur.

Arthur wählte zwanzig seiner besten Reiter aus und bestand darauf, daß ich zwanzig meiner besten Speerkämpfer für unsere diplomatische Mission bei Aelle bestimmte. »Wir müssen Eindruck auf Euren Vater machen«, erklärte er mir,

»und mit schwachen und alten Speerkämpfern kann man einen solchen Mann nicht beeindrucken. Wir werden unsere besten Männer mitnehmen.« Außerdem bestand er darauf, daß Nimue uns begleitete. Er hätte zwar Merlins Begleitung vorgezogen, aber der Druide behauptete, er sei zu alt für den langen Marsch, und schlug statt dessen Nimue vor.

Mordred ließen wir unter Bewachung von Meurigs

Speerkämpfern zurück. Mordred wußte von Arthurs Plänen für ihn, hatte aber keine Verbündeten in Glevum und keinen Widerstand in seiner niederträchtigen Seele, obwohl ihm die Genugtuung zuteil wurde, mit anzusehen, wie Ligessac auf dem Forum erwürgt wurde. Nach diesem langsamen Tod trat Mordred auf die Terrasse der großen Halle und hielt eine genuschelte Ansprache, in der er allen anderen Verrätern in Dumnonia das gleiche Schicksal androhte; dann kehrte er mürrisch in sein Quartier zurück, während wir Culhwch nach Osten folgten. Culhwch war ausgezogen, um sich Sagramor anzuschließen und ihm bei dem Angriff zu helfen, von dem wir alle hofften, daß er Corinium rette.

Arthur und ich marschierten ostwärts ins schöne Hügelland, Gwents reiche Ostprovinz. Dort fand man luxuriöse Villen, mächtige Gehöfte und großen Reichtum, zum größten Teil auf dem Rücken der Schafe gewachsen, die friedlich in der Hügellandschaft grasten. Wir marschierten unter zwei Feldzeichen, Arthurs Bären und meinem Stern, und hielten uns nördlich der dumnonischen Grenze, damit aus sämtlichen Nachrichten, die Lancelot erhielt, zu ersehen war, daß Arthur für seinen usurpierten Thron keine Bedrohung darstellte. Nimue begleitete uns. Merlin hatte sie irgendwie dazu gebracht, sich zu waschen und sich saubere Kleidung zu besorgen, ihr dann – in der Erkenntnis, daß es ihm nie gelingen würde, ihren verfilzten Schopf zu entwirren – die Haare radikal kurz geschnitten und die dreckverkrusteten Strähnen verbrannt. Die kurzen Haare standen ihr gut. Sie trug wieder eine Augenklappe und einen Stab, doch kein Gepäck. Sie ging barfuß, und sie ging widerwillig, denn sie hatte nicht mitkommen wollen; aber Merlin hatte sie überredet, obwohl Nimue immer noch behauptete, ihre Anwesenheit sei Zeitverschwendung. »Jeder Narr kann einen sächsischen Zauberer besiegen«, erklärte sie Arthur, als wir uns dem Ende unseres ersten Tagesmarsches näherten. »Man spuckt sie einfach an, verdreht die Augen und wedelt mit einem Hühnerknochen. Das genügt.«

»Wir werden keinen sächsischen Zauberern begegnen«, antwortete Arthur ihr gelassen. Wir befanden uns jetzt in offenem Gelände, weit entfernt von den Luxusvillen. Er zügelte sein Pferd, hob die Hand und wartete, bis sich die Männer um ihn versammelt hatten. »Wir werden keinen Zauberern begegnen«, erklärte er uns, »weil wir auch Aelle nicht begegnen werden. Wir werden nach Süden in unser eigenes Land marschieren. Weit nach Süden.«

»Bis zum Meer?« versuchte ich zu raten.

Er lächelte. »Bis zum Meer.« Er faltete die Hände auf der Tracht seines Sattels. »Wir sind nur wenige«, fuhr er dann fort,

»und Lancelot hat viele, aber Nimue kann uns mit einem Tarnzauber helfen. Wir werden bei Nacht marschieren, und wir werden schnell marschieren.« Lächelnd zuckte er die Achseln.

»Solange meine Frau und mein Sohn gefangen sind, kann ich nichts unternehmen, wenn wir sie aber befreien können, werde ich ebenfalls frei sein. Und wenn ich frei bin, kann ich gegen Lancelot kämpfen. Aber Ihr sollt wissen, daß wir weit von jeder Hilfe entfernt sein werden und dazu tief in einem Dumnonia, das von unseren Feinden besetzt ist. Wenn ich Guinevere und Gwydre habe, weiß ich zwar nicht genau, wie wir entkommen sollen, aber Nimue wird uns schon helfen. Die Götter werden uns helfen, aber falls einige von euch sich vor dieser Aufgabe fürchten, sollten sie jetzt gleich umkehren.«

Niemand regte sich, aber er muß wohl gewußt haben, daß

sich keiner melden würde. Diese vierzig Mann waren unsere Besten, sie wären Arthur in die Schlangengrube gefolgt. Arthur hatte natürlich nur Merlin mitgeteilt, was er plante, damit kein Wort davon an Lancelots Ohren gelangte. Jetzt zuckte er mit einem Blick auf mich bedauernd die Achseln, als wollte er sich dafür entschuldigen, daß er mich getäuscht hatte; aber er muß

gewußt haben, wie erfreut ich war, denn wir marschierten ja nicht nur dorthin, wo Guinevere und Gwydre als Geiseln gehalten wurden, sondern auch dorthin, wo Dians Mörder glaubten, vor meiner Rache sicher zu sein.

»Heute abend brechen wir auf«, sagte Arthur, »und wir werden bis zum Tagesanbruch nicht rasten. Wir marschieren nach Süden, denn bis zum Morgen möchte ich in den Hügeln hinter der Themse sein.«

Wir verbargen unsere Rüstungen unter Mänteln,

umwickelten die Hufe der Pferde mit dicken Stofflagen und zogen durch die zunehmende Dunkelheit gen Süden. Die Reiter führten ihre Pferde am Zügel, und Nimue führte uns allesamt, indem sie Gebrauch von ihrer seltsamen Fähigkeit machte, selbst in unbekanntem Gelände und in der Finsternis den richtigen Weg zu finden.

Irgendwann in jener dunklen Nacht gelangten wir nach Dumnonia hinein, und als wir von den Hügeln ins Tal der Themse hinabstiegen, sahen wir zu unserer Rechten in der Ferne einen Schein am Himmel, der uns zeigte, wo Cerdics Männer vor Corinium kampierten. Sobald wir aus den Hügeln heraus waren, führte uns unser Weg unvermeidlicherweise durch kleine, dunkle Dörfer, in denen zwar Hunde bellten, als wir vorüberzogen, uns aber von keinem Menschen Fragen gestellt wurden. Die Bewohner waren entweder tot, oder sie fürchteten, wir seien Sachsen, und so zogen wir wie eine Geisterschar an ihnen vorüber. Einer von Arthurs Reitern stammte aus dieser Flußlandschaft und führte uns zu einer Furt, die uns bis an die Brust reichte. Wir hielten Waffen und Brotbeutel hoch, kämpften uns durch die starke Strömung und erreichten so das andere Ufer, wo Nimue uns vor einem nahen Dorf mit einem Tarnzauber schützte. Gegen Morgen waren wir in einer der Erdfestungen der Alten in den südlichen Hügeln in Sicherheit.

Wir schliefen im Sonnenschein und machten uns bei Einbruch der Dunkelheit wieder auf den Weg nach Süden. Unsere Route führte uns durch schönes, fruchtbares Land, das noch kein Sachse betreten hatte; und dennoch wurden wir von keinem Dorfbewohner angerufen, denn nur ein Narr richtet Fragen an Bewaffnete, die in unruhigen Zeiten bei Nacht marschieren. Bei Tagesanbruch hatten wir die große Ebene erreicht, wo die aufgehende Sonne die Schatten der Hügelgräber lang über das bleiche Gras legte. Einige dieser Grabhügel bargen immer noch Schätze, die von Grabdämonen bewacht wurden; aber die mieden wir vorsichtshalber und suchten uns lieber eine grasbewachsene Senke, in der die Pferde grasen und wir selber uns ausruhen konnten. Beim nächsten Mondenschein kamen wir an den Steinen vorbei, jenem großen, geheimnisvollen Kreis, in dem Merlin Arthur sein Schwert gegeben hatte und in dem wir vor so vielen Jahren Aelle das Gold ausgehändigt hatten, bevor wir nach Lugg Vale weitermarschierten. Nimue glitt zwischen den riesigen, überdeckten Steinpfeilern umher, berührte sie mit ihrem Stab und stellte sich dann genau in die Mitte, wo sie zu den Sternen emporblickte. Der Mond war fast voll, und sein Schein verlieh den Steinen einen bleichen Glanz. »Besitzen sie noch immer Zauberkraft?« fragte ich sie, als sie uns einholte.

»Ein wenig«, antwortete sie, »aber sie nimmt langsam ab, Derfel. All unsere Zauberkraft nimmt ab. Wir brauchen den Kessel.« Sie lächelte im Dunkeln. »Er ist jetzt nicht mehr weit entfernt«, behauptete sie. »Ich kann ihn spüren. Er ist noch lebendig, Derfel. Wir werden ihn finden und Merlin zurückgeben.« Sie sprach voll Leidenschaft, derselben Leidenschaft, die sie erfüllt hatte, als wir uns dem Ende der Dunklen Straße näherten. Arthur marschierte für seine Guinevere durch die Dunkelheit, ich für meine Rache und Nimue, um die Götter mit Hilfe des Kessels anzurufen; und doch waren wir immer noch wenige, während der Feinde viele waren.

Wir waren jetzt tief in Lancelots neuem Reich, aber nirgends sahen wir etwas von seinen Kriegern oder von den rasenden Christenbanden, die die Bauern angeblich noch immer terrorisieren sollten. Lancelots Speerkämpfer hatten in diesem Teil Dumnonias nichts zu suchen, denn sie bewachten die Straßen nach Glevum – während die Christen offenbar losgezogen waren, sein Heer zu unterstützen, weil sie glaubten, Christi Werk zu verrichten. Also wurden wir von niemandem belästigt, während wir von der großen Ebene zur Flußlandschaft an Dumnonias südlicher Küste

hinabmarschierten. Als wir die Festungsstadt Sorviodunum umgingen, rochen wir den Rauch der Häuser, die dort niedergebrannt worden waren. Und immer noch wurden wir von niemandem gestellt, weil wir unter dem nahezu vollen Mond marschierten und von Nimues Zaubersprüchen beschützt wurden.

In der fünften Nacht erreichten wir das Meer. Wir waren an der römischen Festung Vindocladia vorbeigeschlichen, wo Arthur eine Garnison von Lancelots Truppen vermutete, und lagen bei Morgengrauen versteckt in den tiefen Wäldern oberhalb des Bachlaufs, der sich beim Seepalast zu einer kleinen Bucht verbreiterte. Der Palast lag höchstens eine Meile entfernt, und wir erreichten ihn unentdeckt, weil wir uns im eigenen Land lautlos wie Nachtgeister bewegten. Auch unseren Angriff würden wir bei Nacht ausführen. Da Lancelot Guinevere als Schutzschild benutzte, würden wir ihm diesen Schild nehmen und dann unsere Speere bis in sein Verräterherz tragen. Aber nicht um Mordreds willen, nein, jetzt kämpften wir für Arthur und für das glückliche Königreich, das wir jenseits dieses Krieges erahnten.

Wie die Barden es heutzutage formulieren: Wir kämpften für Camelot.

Die meisten Speerkämpfer schliefen an jenem Tag, nur Arthur, Issa und ich krochen bis an den Waldrand und spähten über das enge Tal zum Seepalast hinüber.

Er sah so schön aus mit seinen schneeweißen Mauern, die in der aufgehenden Sonne glänzten! Von einer kleinen Anhöhe aus, die ein wenig tiefer lag als der Palast, blickten wir auf seinen Ostflügel. Da die Ostmauer nur von drei kleinen Fenstern durchbrochen war, wirkte sie auf uns wie eine große weiße Festung auf einem grünen Hügel, obwohl diese Illusion ein wenig durch das riesige Zeichen des Fisches beeinträchtigt wurde, das ungeschickt mit Pech auf die weißgetünchte Mauer gepinselt worden war: vermutlich um den Palast vor dem Zorn wandernder Christen zu schützen. Es war die langgestreckte Südfassade mit Blick auf die Bucht und das Meer, das hinter einer Sandbank im Süden der Bucht lag, wo die römischen Baumeister die Fenster eingebaut hatten. Die Küchen, Sklavenquartiere und Kornspeicher hatten sie auf das nördliche Gelände hinter der Villa verbannt, wo auch Gwenhwyvachs Blockhaus stand. Inzwischen gab es dort – vermutlich für die Speerkämpfer und ihre Familien – außerdem noch ein kleines Dorf aus strohgedeckten Hütten, aus denen von Kochfeuern Rauchsäulen aufstiegen. Hinter den Hütten lagen Obstgärten und Gemüsebeete, und dahinter lagen, umgeben von tiefen Wäldern, die in diesem Teil des Landes besonders dicht waren, unvollständig gemähte Wiesen.

Vor dem Palast und genau so, wie ich es von jenem fernen Tag, da ich Arthurs kostbaren Eid auf die Tafelrunde leistete, in Erinnerung hatte, erstreckten sich die beiden mit Arkaden bebauten Wälle zur Bucht hinab. Der Palast lag im vollen Sonnenschein – weiß, grandios und wunderschön. »Wenn die Römer heute zurückkämen«, sagte Arthur stolz, »würden sie nicht erkennen, daß er wiederaufgebaut wurde.«

»Wenn die Römer heute zurückkämen«, erwiderte Issa,

»hätten sie einen heißen Kampf zu bestehen.« Ich hatte darauf bestanden, daß er an den Waldrand mitkam, denn ich kannte niemanden, der einen schärferen Blick besaß, und wir mußten den Tag nutzen, um auszuforschen, wie viele Wachen Lancelot im Seepalast zurückgelassen hatte.

An jenem Morgen zählten wir nicht mehr als ein Dutzend Wachen. Kurz nach Tagesanbruch stiegen zwei Mann zu einer hölzernen Plattform hinauf, die auf den Dachfirst gesetzt worden war, und beobachteten von dort aus die Straße, die nach Norden führte. Vier Speerkämpfer patrouillierten an der uns zugewandten Arkade, und ich hielt es für logisch, daraus zu schließen, daß vier weitere an der westlichen Arkade postiert waren, die wir von unserem Platz aus nicht sehen konnten. Die übrigen Wachen befanden sich auf dem Gelände zwischen einer Terrasse mit Steinbalustrade an der unteren Grenze der Gärten und der Bucht, wo sie augenscheinlich alle Pfade bewachten, die an der Küste entlangführten. Issa unternahm es, das Terrain in jener Richtung zu erkunden, indem er ohne Rüstung und Helm durch den Wald kroch, um einen Blick auf die Fassade der Villa zwischen den beiden Arkaden zu werfen.

Arthur starrte unentwegt auf den Palast. Er befand sich in stiller Hochstimmung, weil er wußte, daß er kurz davor war, eine Rettungsaktion zu wagen, die Lancelots neues Königreich in seinen Grundfesten erschüttern würde. Tatsächlich hatte ich Arthur kaum jemals so glücklich gesehen wie an jenem Tag. Indem er tief nach Dumnonia hinein vordrang, hatte er sich der Regierungsverantwortung entledigt, und nun hing seine Zukunft, genau wie in der fernen Vergangenheit, ausschließlich von seinem Können als Schwertkämpfer ab. »Habt Ihr je an Vermählung gedacht, Derfel?« fragte er mich plötzlich.

»Nein, Lord«, antwortete ich. »Ceinwyn hat geschworen, sich niemals zu vermählen, und ich sehe keinen Grund, ihren Entschluß nicht zu respektieren.« Lächelnd berührte ich meinen Liebesring mit dem kleinen Goldsplitter aus dem Kessel. »Aber ich glaube, wir sind enger miteinander vermählt als die meisten Paare, die jemals vor einem Druiden oder Priester gestanden haben.«

»Das habe ich nicht gemeint«, sagte er. »Habt Ihr jemals über die Ehe nachgedacht?« Er betonte das Wort »nachgedacht«.

»Nein, Lord«, gestand ich ihm. »Eigentlich nicht.«

»Sturköpfiger Derfel«, neckte er mich. »Wenn ich sterbe«, sagte er verträumt, »wünsche ich mir, glaube ich, ein christliches Begräbnis.«

»Warum?« fragte ich ihn entsetzt und berührte mein Kettenhemd, damit das Eisen das Böse abwehre.

»Weil ich dann auf ewig mit meiner Guinevere

zusammenliegen werde«, sagte er. »Sie und ich, in einem Grabmal.«

Ich dachte an Norwennas Fleisch, das ihr von den gelben Knochen hing, und verzog das Gesicht. »Ihr werdet in der Anderwelt mit ihr Zusammensein, Lord.«

»Unsere Seelen, ja«, räumte er ein, »und unsere Schattenkörper werden dort sein. Aber warum sollten diese Körper nicht ebenfalls Hand in Hand liegen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Wenn Ihr nicht wollt, daß Eure Seele ruhelos durch Britannien wandert, laßt Euch verbrennen.«

»Vielleicht habt Ihr recht«, gab er leichthin zurück. Er lag vor der Villa auf dem Bauch, durch einen luftigen Schutzwall aus Kreuzkraut und Kornblumen verborgen. Keiner von uns trug seine Rüstung. Die Kampfwehr würden wir erst bei der Abenddämmerung anlegen, kurz bevor wir aus der Dunkelheit hervorbrachen, um Lancelots Wachen niederzumachen. »Wie kommt es, daß Ihr und Ceinwyn so glücklich seid?« fragte mich Arthur. Er hatte sich nicht mehr rasiert, seit wir Glevum verlassen hatten, und die Bartstoppeln, die ihm gewachsen waren, schimmerten grau.

»Freundschaft«, antwortete ich.

Er krauste die Stirn. »Nur das?«

Ich dachte darüber nach. In der Ferne gingen die ersten Sklaven zum Heumachen auf die Wiesen; ihre Sicheln funkelten hell im Schein der Morgensonne. Kleine Knaben liefen in den Gemüsegärten auf und ab, um die Eichelhäher aus den Erbsen und den Stachelbeeren, Johannisbeeren und Himbeeren zu verjagen, während etwas näher, wo sich rosa Winden um Brombeeren rankten, lärmend eine Schar von Grünfinken zankte. Anscheinend hatte noch kein christlicher Mob die Stille dieses Ortes gestört, ja, es schien mir fast unmöglich, daß sich Dumnonia im Krieg befand. »Ich spüre immer noch ein Kribbeln, wenn ich sie ansehe«, gab ich zu.

»Das ist es, nicht wahr?« stimmte er mir begeistert zu.

»Dieses Kribbeln! Und das Herzklopfen.«

»Liebe«, gab ich trocken zurück.

»Wir haben Glück, Ihr und ich«, sagte er lächelnd. »Es ist Freundschaft, es ist Liebe, und es ist noch etwas mehr. Es ist das, was die Iren anmchara nennen, eine verwandte Seele. Mit wem sollte man sich sonst am Ende des Tages unterhalten wollen? Ich liebe diese Abende, an denen wir einfach dasitzen und reden, und die Sonne geht unter, und die Nachtfalter kommen in den Kerzenschein geflattert.«

»Und wir reden über die Kinder«, sagte ich und wünschte, ich hätte nicht davon angefangen, »von den Streitereien der Dienstboten und ob die schielende Küchensklavin schon wieder schwanger ist; und wir überlegen, wer den Kesselhaken zerbrochen haben mag, ob das Dachstroh geflickt werden muß

oder ob es noch ein weiteres Jahr halten wird, und wir versuchen zu entscheiden, was wir mit dem alten Hund anfangen, der nicht mehr laufen kann, und welche Ausrede Cadeil sich dieses Mal ausdenken wird, um seine Pacht nicht zu bezahlen – und wir diskutieren darüber, ob der Flachs lange genug eingeweicht ist und ob die Euter der Kühe mit Fettkraut bestrichen werden sollten, damit sie mehr Milch geben. Über all diese Dinge unterhalten wir uns.«

Er lachte. »Guinevere und ich, wir sprechen über Dumnonia, über Britannien. Und natürlich auch über Isis.« Als er diesen Namen erwähnte, schien sich seine Begeisterung ein wenig zu legen, dann zuckte er jedoch die Achseln. »Aber wir sind bei weitem nicht oft genug zusammen. Deswegen hatte ich immer gehofft, Mordred würde mir die Last abnehmen, damit ich all meine Tage hier verbringen könnte.«

»Und statt über Isis über zerbrochene Topfhaken reden?«

neckte ich ihn.

»Darüber und über alles andere«, sagte er herzlich. »Eines Tages werde ich diese Felder bestellen, und Guinevere wird ihr Werk fortsetzen.«

»Ihr Werk?«

Er lächelte ironisch. »Das Studium der Isis. Wenn sie Kontakt mit der Göttin aufnehmen kann, sagt sie, wird die Macht wieder auf die Welt zurückfließen.« Skeptisch wie immer angesichts derart ausgefallener religiöser Behauptungen, zuckte er die Achseln. Nur Arthur hätte es gewagt, Excalibur in den Boden zu stoßen und Gofannon herauszufordern und um Hilfe zu bitten – denn er hatte von Anfang an nicht recht daran geglaubt, daß Gofannon wirklich kommen würde. Wir, erklärte er mir einmal, sind für die Götter wie Mäuse im Dachstroh, und wir überleben nur so lange, wie wir unbemerkt bleiben. Nur die Liebe konnte ihn dazu bewegen, Guineveres leidenschaftlichem Glauben gegenüber eine ironische Toleranz zu beweisen. »Ich wünschte, ich wäre ein bißchen mehr überzeugt von Isis«, gestand er mir jetzt ein. »Aber Männer gehören natürlich nicht zu ihren Mysterien.« Er lächelte.

»Guinevere nennt Gwydre sogar Horus.« »Horus?«

»Isis’ Sohn«, erklärte er mir. »Ein häßlicher Name.« »Nicht so häßlich wie Wygga«, gab ich zurück. »Wer?« fragte er mich. Dann erstarrte er unvermittelt. »Seht!« sagte er aufgeregt. »Seht!«

Als ich den Kopf hob, um über die Pflanzen

hinwegzuspähen, entdeckte ich Guinevere. Sogar aus einer Viertelmeile Entfernung war sie unverkennbar, denn das rote Haar fiel ihr als widerspenstige Mähne über das lange blaue Gewand, das sie trug. Sie schritt unter der Arkade auf unserer Seite auf den kleinen, offenen Pavillon zu, der an ihrem dem Meer zugewandten Ende lag. Gefolgt wurde sie von drei Dienerinnen und zwei von ihren Jagdhunden. Die Wachen traten beiseite und verneigten sich, als sie vorüberkam. Im Pavillon nahm Guinevere an einem Steintisch Platz, und die drei Dienerinnen servierten ihr das Frühstück. »Sie wird Obst essen«, erklärte Arthur liebevoll. »Im Sommer will sie morgens nichts anderes zu sich nehmen.« Er lächelte. »Wenn sie nur wüßte, wie nahe ich ihr bin!«

»Heute abend, Lord«, tröstete ich ihn, »werdet Ihr bei ihr sein.« Er nickte. »Wenigstens wird sie gut behandelt.«

»Lancelot fürchtet Euch viel zu sehr, um sie schlecht zu behandeln, Lord.«

Kurz darauf erschienen Dinas und Lavaine in der Arkade. Sie trugen ihre weißen Druidengewänder. Unwillkürlich berührte ich Hywelbanes Heft, als ich sie sah, und schwor der Seele meiner Tochter, daß die gesamte Anderwelt sich bei den Schreien ihrer Mörder vor Entsetzen winden werde. Die beiden Druiden erreichten den Pavillon, verneigten sich vor Guinevere und setzten sich zu ihr an den Tisch. Wenig später kam Gwydre angelaufen, und wir sahen, wie Guinevere ihm das Haar zerzauste und ihn anschließend der Obhut einer Dienerin übergab. »Er ist ein guter Junge«, sagte Arthur liebevoll. »Kein Funken Falschheit steckt in ihm. Nicht wie bei Amhar und Loholt. Die habe ich im Stich gelassen, nicht wahr?«

»Sie sind noch jung, Lord«, wandte ich ein.

»Aber jetzt dienen sie meinem Feind«, stellte er ausdruckslos fest. »Was soll ich nur mit ihnen machen?«

Culhwch hätte ihm zweifellos geraten, sie zu töten, ich aber zuckte nur die Achseln. »Schickt sie ins Exil«, schlug ich vor. Die Zwillinge konnten sich jenen unglückseligen Männern anschließen, die keinen Lord hatten. Sie konnten ihre Schwerter vermieten, bis sie schließlich bei irgendeiner vergessenen Schlacht gegen die Sachsen, die Iren oder die Schotten starben.

Weitere Frauen erschienen in der Arkade. Manche waren Mägde, andere waren Hofdamen. Unter diesen zwölf Frauen, die Guineveres Vertraute und zugleich Priesterinnen ihres Glaubens waren, befand sich vermutlich auch Lunete, meine ehemalige Gefährtin.

Irgendwann am Vormittag schlief ich mit dem Kopf auf den Armen ein, eingelullt von der Wärme der Sommersonne, die meinen Körper umfing. Als ich erwachte, war Arthur verschwunden, während Issa wieder da war. »Lord Arthur ist zu den Speerkämpfern zurückgekehrt, Lord«, berichtete er mir. Ich gähnte. »Was hast du gesehen?«

»Weitere sechs Mann. Alles Sachsengardisten.«

»Lancelots Sachsen?«

Er nickte. »Alle im großen Garten, Lord. Aber nur diese sechs. Insgesamt haben wir achtzehn Mann gesehen, und ein paar weitere werden bei Nacht Wache stehen, aber selbst mit denen können es im ganzen nicht mehr als dreißig sein.«

Ich vermutete, daß er recht hatte. Dreißig Mann würden genügen, um den Palast zu bewachen; mehr wären überflüssig, vor allem, da Lancelot jeden Speer brauchte, um sein gestohlenes Königreich zu sichern. Ich hob den Kopf und sah, daß die Arkade bis auf die vier Wachen, die unendlich gelangweilt wirkten, inzwischen leer war. Zwei von ihnen lehnten mit dem Rücken an den Säulen, während die anderen beiden auf der Steinbank, auf der Guinevere ihr Frühstück eingenommen hatte, miteinander plauderten. Ihre Speere hatten sie an den Tisch gelehnt. Die beiden Wachen auf der kleinen Dachplattform wirkten auf mich nicht weniger träge. Der Seepalast wärmte sich in der Sommersonne, und niemand dort glaubte, daß sich im Umkreis von einhundert Meilen ein Feind aufhalten könnte. »Hast du Arthur von den Sachsen berichtet?«

fragte ich Issa.

»Ja, Lord. Er sagte, das sei nur zu erwarten gewesen. Lancelot will, daß sie gut bewacht wird.«

»Geh schlafen«, riet ich ihm. »Jetzt werde ich Wache halten.«

Er ging, während ich trotz meines Versprechens wieder einschlief. Ich war die ganze Nacht marschiert und tief erschöpft, und außerdem schien hier, am Rand des sommerlichen Waldes, keine Gefahr zu drohen. Also schlief ich ein, nur um plötzlich von Hundegebell und dem Gescharre dicker Pfoten hochgeschreckt zu werden.

Entsetzt stellte ich fest, daß eine Koppel geifernder Jagdhunde vor mir stand, von denen einer bellte, während der andere knurrte. Ich griff nach meinem Dolch, doch dann ertönte eine weibliche Stimme. »Platz!« befahl sie scharf.

»Drudwyn, Gwen, Platz! Ruhe!« Widerwillig legten sich die Hunde hin, und als ich mich umwandte, sah ich, daß

Gwenhwyvach mich beobachtete. Sie war in ein altes braunes Gewand gekleidet, trug einen Schal um den Kopf und am Arm einen Korb, in dem sie Wildkräuter gesammelt hatte. Ihr Gesicht war runder denn je, ihre Haare waren dort, wo sie unter dem Tuch hervorkamen, unordentlich und zerzaust. »Der schlafende Lord Derfel«, sagte sie fröhlich.

Ich legte einen Finger auf die Lippen und warf einen Blick zum Palast hinüber.

»Die beachten mich gar nicht«, erklärte sie. »Ich bin ihnen gleichgültig. Außerdem führe ich oft Selbstgespräche. Das tun alle Verrückten, wißt Ihr.«

»Ihr seid nicht verrückt, Lady.«

»Ich war’s aber gern«, sagte sie. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend jemand auf der Welt etwas anderes sein möchte.« Sie lachte, raffte ihr Gewand und ließ sich schwerfällig neben mir nieder. Als die Hunde bei einem Geräusch hinter mir zu knurren begannen, wandte sie sich um und beobachtete belustigt, wie Arthur über den Boden gekrochen kam, um sich zu mir zu gesellen. Er mußte das Gebell gehört haben. »Auf dem Bauch wie eine Schlange, Arthur?« fragte sie ihn.

Genau wie ich legte Arthur den Finger auf die Lippen. »Die kümmern sich nicht um mich«, beteuerte Gwenhwyvach abermals. »Seht doch!« Sie winkte den Wachen heftig mit beiden Armen zu, aber die Männer schüttelten nur den Kopf und wandten sich ab. »Ich existiere nicht«, sagte sie.

»Jedenfalls nicht, soweit es sie betrifft. Ich bin nur die verrückte Dicke, die Guineveres Hunde spazierenführt.« Sie wedelte abermals mit den Armen und wurde abermals von den Wachen ignoriert. »Selbst Lancelot nimmt keine Notiz von mir«, setzte sie traurig hinzu.

»Ist er hier?« erkundigte sich Arthur.

»Natürlich nicht! Er ist weit weg. Genau wie Ihr, wie man mir sagte. Solltet Ihr jetzt nicht mit den Sachsen verhandeln?«

»Ich bin hier, um Guinevere zu holen«, sagte Arthur. »Und Euch auch«, ergänzte er höflich.

»Ich will aber nicht geholt werden«, protestierte Gwenhwyvach. »Und Guinevere weiß nicht, daß Ihr hier seid.«

»Das darf auch niemand wissen«, warnte Arthur.

»Aber sie schon! Guinevere schon! Sie starrt in den Öltopf. Sie kann darin die Zukunft sehen, behauptet sie! Aber Euch hat sie nicht gesehen, was?« Sie kicherte, wandte sich um und starrte Arthur an, als fände sie seine Gegenwart belustigend.

»Seid Ihr gekommen, um sie zu retten?«

»Ja.«

»Heute nacht?« rief Gwenhwyvach.

»Ja.«

»Dann wird sie es Euch nicht danken«, behauptete Gwenhwyvach. »Nicht heute nacht. Keine Wolken, seht Ihr?«

Sie zeigte zum nahezu wolkenlosen Himmel empor. »Wenn’s Wolken gibt, kann man Isis nicht anbeten, wißt Ihr, weil dann der Mond nicht in den Tempel scheint, und heute nacht erwartet sie Vollmond. Einen großen Vollmond, dick wie ein frischer, runder Käse.« Sie kraulte einem der Hunde das langhaarige Fell. »Das hier ist Drudwyn«, erklärte sie uns, »ein ganz böser Junge. Und das da ist Gwen. Plopp!« machte sie unvermittelt. »Genauso kommt der Mond. Plopp! Direkt in ihren Tempel hinein.« Wieder lachte sie. »Direkt durch den Schacht herunter und plopp auf die Grube.«

»Wird Gwydre auch im Tempel sein?« fragte Arthur.

»Gwydre nicht. Männer dürfen da nicht rein. Hat man mir jedenfalls gesagt.« Gwenhwyvachs ironischer Ton schien etwas anderes andeuten zu wollen, dann aber zuckte sie nur die Achseln. »Gwydre wird zu Bett gebracht werden«, sagte sie statt dessen. Sie starrte zum Palast hinüber, und langsam breitete sich ein Lächeln auf ihrem Mondgesicht aus. »Wie wollt Ihr da hineinkommen, Arthur?« erkundigte sie sich. »Es gibt eine Menge Riegel an den Türen, und die Fenster sind alle mit Läden gesichert.«

»Wir werden’s schon schaffen«, versicherte er ihr, »solange Ihr niemandem sagt, daß Ihr uns gesehen habt.«

»Solange Ihr mich hier zurücklaßt«, erwiderte

Gwenhwyvach, »werde ich’s nicht mal den Bienen erzählen. Und denen sage ich immer alles. Das muß man tun, sonst wird der Honig sauer. Stimmt’s, Gwen?« fragte sie die Hündin und streichelte ihr die Schlappohren.

»Wenn das Euer Wille ist, werde ich Euch hier

zurücklassen«, versprach ihr Arthur.

»Nur ich«, sagte sie. »Nur ich und die Hunde und die Bienen. Mehr will ich gar nicht. Ich und die Hunde und die Bienen und der Palast. Guinevere kann von mir aus den Mond haben.«

Wieder lächelte sie. Dann stieß sie mich mit ihrer molligen Hand gegen die Schulter. »Erinnert Ihr Euch noch an die Kellertür, durch die ich Euch geführt habe, Derfel? Jene, die vom Garten ins Haus führt?«

»Ich glaube schon«, antwortete ich.

»Ich werde dafür sorgen, daß sie nicht verriegelt ist.«

Abermals kicherte sie, wohl weil sie ein Vergnügen erwartete.

»Ich werde mich im Keller verstecken, und wenn alle auf den Mond warten, werde ich die Tür entriegeln. In der Nacht stehen dort keine Wachen, weil die Tür viel zu dick ist. Dann sind die Wachen alle in ihren Hütten oder im vorderen Teil des Gartens.« Sie drehte sich um und sah Arthur an. »Werdet Ihr kommen?« fragte sie ihn besorgt.

»Ich verspreche es Euch«, versicherte Arthur.

»Guinevere wird sich freuen«, sagte Gwenhwyvach. »Und ich auch.« Sie lachte und rappelte sich auf die Füße. »Heute nacht«, sagte sie, »wenn der Mond hereingeploppt kommt.«

Dann ging sie mit ihren Hunden davon. Dabei kicherte sie und machte sogar ein paar linkische Tanzschritte. »Plopp!« rief sie laut, und die Hunde tanzten um sie herum, als sie den grasbewachsenen Hang hinunterhüpfte.

»Ist sie verrückt?« fragte ich Arthur.

»Verbittert, glaube ich.« Er beobachtete die rundliche Gestalt, die schwerfällig den Hügel hinablief. »Aber sie wird uns einlassen, Derfel. Sie wird uns einlassen.« Er lächelte, beugte sich vor und pflückte eine Handvoll Kornblumen vom Rain des Kornfelds. Er ordnete sie zu einem kleinen Strauß und sah mich verschämt lächelnd an. »Für Guinevere«, erklärte er mir. »Heute nacht.«

Als der Abend dämmerte, kamen die Schnitter nach getaner Arbeit von den Feldern herein, und die Wachen stiegen auf ihrer langen Leiter vom Dach herunter. Die Feuerbecken in der Arkade wurden mit frischem Holz gefüllt, das in Brand gesteckt wurde, doch ich erriet, daß die Feuer eher zur Beleuchtung des Palastes dienten, denn als Warnung vor dem Herannahen des Feindes. Die Schwingen der Möwen, die landeinwärts zu ihren Nestern flogen, wurden von der untergehenden Sonne so rosig gefärbt wie die Winden, die sich um die Brombeeren rankten.

Hinten im Wald legte Arthur seine Schuppenrüstung an. Er schnallte Excalibur über den sanften Schimmer des Metalls und warf sich dann einen schwarzen Mantel um die Schultern. Es geschah nur selten, daß er einen schwarzen Mantel trug, weil er die weißen bevorzugte; bei Nacht aber trug ein dunkler Umhang dazu bei, daß wir wirklich fast unsichtbar waren. Den schimmernden Helm würde er, um dessen prächtige Helmzier aus weißen Gänsefedern zu verbergen, unter dem Mantel tragen.

Zehn seiner Reiter sollten im Wald zurückbleiben. Ihre Aufgabe war es, auf den Klang von Arthurs Silberhorn zu warten und dann einen Angriff gegen die Schlafhütten der Speerkämpfer zu reiten. Die schweren Rösser und ihre gewappneten Reiter, die gewaltig und geräuschvoll aus der Nacht hervorbrachen, würden genügen, um alle Wachen, die sich unserem Rückzug entgegenzustellen wagten, in Panik zu versetzen. Das Horn, hoffte Arthur, würde erst ertönen, wenn wir sowohl Gwydre als auch Guinevere gefunden hatten und zum Rückzug bereit waren.

Wir anderen würden den langen Weg zur Westseite des Palastes wagen, von wo aus wir durch die Schatten der Küchengärten zur Kellertür vordringen konnten. Falls Gwenhwyvach ihr Versprechen nicht einhalten sollte, würden wir zur Vorderseite des Palastes laufen, die Wachen töten und durch einen der Fensterläden auf der Terrasse ins Haus einbrechen müssen. Einmal innerhalb der Villa müßten wir jeden Speerkämpfer töten, den wir fanden.

Nimue würde uns begleiten. Als Arthur mit seiner Einweisung für uns fertig war, erklärte sie uns, daß Dinas und Lavaine im Gegensatz zu Merlin und dem alten Iorweth gar keine richtigen Druiden seien, warnte uns aber, daß die silurischen Zwillinge über einige seltsame Kräfte verfügten und wir uns auf ihre Magie gefaßt machen müßten. Sie hatte den ganzen Nachmittag damit verbracht, in den Wäldern herumzustöbern, und hob nunmehr einen zum Bündel zusammengefaßten Mantel hoch, in dem es, als sie ihn hochhielt, zu rumoren schien, und dieser unheimliche Anblick ließ meine Männer ihre Speerspitzen berühren. »Ich habe hier Dinge, mit denen ich ihre Magie zunichte machen kann«, erklärte sie uns. »Aber seid vorsichtig.«

»Und ich will Dinas und Lavaine lebend!« warnte ich meine Männer.

Gerüstet und gewappnet warteten wir – vierzig Mann in Stahl, Eisen und Leder. Wir warteten, während die Sonne sank und der Vollmond der Isis wie ein großer, runder Silberball aus dem Meer emporstieg. Nimue wirkte ihre Zaubersprüche, und einige von uns beteten. Arthur saß schweigend da, beobachtete mich aber, als ich eine kleine Goldlocke aus meinem Beutel nahm. Ich küßte die noch immer leuchtendblonde Strähne, drückte sie kurz an meine Wange und knotete sie dann um Hywelbanes Heft. Ich spürte, wie mir eine Träne über die Wange rollte, als ich an meine Kleine in ihrem Schattenkörper dachte; doch heute nacht würde ich, so mir die Götter halfen, Dian endlich Frieden bringen.

Ich setzte den Helm auf, schloß die Wangenstücke und warf die Wolfsrute über meine Schulter zurück. Wir kneteten unsere steifen Lederhandschuhe und schoben den linken Arm unter die Schildriemen. Wir zogen das Schwert und streckten es Nimue entgegen, damit sie es berühre. Einen Moment schien es, als wollte Arthur noch etwas sagen, statt dessen aber schob er sich den kleinen Kornblumenstrauß in die Halsöffnung seiner Schuppenrüstung. Dann nickte er Nimue zu, die uns, in ihrem schwarzen Umhang und mit dem seltsamen Bündel in der Hand, südwärts durch den Wald führte.

Vor dem Wald lag eine kleine Wiese, die sich zur Bucht hinabsenkte. Immer noch außer Sichtweite des Palastes überquerten wir sie im Gänsemarsch. Dabei scheuchten wir ein paar Hasen auf, die im Mondschein gefressen hatten und nun in panischer Angst davonhoppelten. Wir drangen durch ein paar niedrige Büsche vor und kletterten die steile Böschung zur Bucht hinab. Von dort aus schlichen wir, durch die Böschung vor den Blicken der Wachen unter den Palastarkaden verborgen, nach Westen. Im Süden klatschten und rauschten die Meereswellen, was jeden Lärm, den unsere Stiefel auf den Kieseln machten, übertönte.

Ein einziges Mal spähte ich über die Uferböschung und sah den Seepalast im Mondlicht wie ein weißes Wunder über dem dunklen Land schweben. Seine Schönheit erinnerte mich an Ynys Trebes, die zaubergleiche Stadt im Meer, die von den Franken verheert und vernichtet worden war. Dieser Palast hier besaß die gleiche ätherische Schönheit, denn er schimmerte über dem dunklen Land, als wäre er aus reinen Mondstrahlen erbaut.

Sobald wir uns im Westen des Palastes befanden, erklommen wir die steile Böschung, indem wir einander mit den Speerschäften heraufhalfen, und folgten dann Nimue nordwärts durch den Wald. Durch das Sommerlaub drang genügend Mondlicht zu uns herab, um unseren Weg ausreichend zu beleuchten, und keine Wachen verstellten uns den Weg. Das endlose Rauschen des Meeres erfüllte die Nacht, und nur einmal ertönte ganz in der Nähe ein Schrei. Wir erstarrten, doch dann erkannten wir, daß es ein Hase war, der von einem Wiesel geschlagen wurde. Erleichtert atmeten wir auf und schlichen weiter.

Es schien, als legten wir einen weiten Weg durch den Wald zurück, doch schließlich wandte sich Nimue nach Osten, und wir folgten ihr bis an den Waldrand, wo wir die weißgetünchten Mauern des Palastes vor uns sahen. Da wir nicht weit von dem runden, hölzernen Mondschacht entfernt waren, der in den Tempel hinabführte, konnte ich erkennen, daß es noch einige Zeit dauern würde, bis der Mond hoch genug am Himmel stand, um direkt in den Schacht und in den Keller mit den pechschwarzen Wänden zu scheinen. Während wir am Waldrand warteten, setzte der leise Gesang ein. So leise, daß ich anfangs dachte, es sei der Wind, der da klagte; dann aber wurde der Gesang lauter, und ich erkannte, daß es ein Frauenchor war, der eine seltsame, überirdische und rhythmische Melodie sang, die anders war als alles, was ich jemals vernommen hatte. Der Gesang mußte aus dem Mondschacht kommen, denn er klang sehr weit entfernt, ein Geistergesang, wie ein Totenchor, der in der Anderwelt für uns sang. Den Text konnten wir nicht verstehen, aber wir wußten, daß es ein trauriger Gesang war – denn die Melodie stieg auf unheimliche Art in Halbtönen auf und ab, schwoll an und sank wieder zu einer nachhallenden Süße, die mit dem fernen Gemurmel der sich brechenden Wellen verschmolz. Es war eine wunderschöne Musik, aber sie ließ mich so heftig erschauern, daß ich meine Speerspitze berührte. Hätten wir den Schutz der Bäume verlassen, wären wir in Sichtweite der Wachen geraten, die in der westlichen Arkade standen, also schlichen wir im Wald ein paar Schritt weiter bis an eine Stelle, von der aus wir uns durch ineinandergreifende Mondschatten bis an den Palast heranschleichen konnten. Vor uns lagen ein Obstgarten, ein paar Reihen Beerensträucher und sogar ein hoher Zaun, der einen Gemüsegarten vor Rehen und Hasen schützte. Wir bewegten uns langsam, einer nach dem anderen, und ständig stieg und fiel, floß und klagte dieser seltsame Gesang. Ein Rauchschimmer stand zitternd über dem Mondschacht; sein Geruch wurde uns vom leichten Nachtwind zugetragen. Es war ein Tempelgeruch, stechend und fast ekelerregend.

Wir waren nur wenige Meter von den Hütten der

Speerkämpfer entfernt. Ein Hund begann zu bellen, dann ein zweiter, doch niemand in den Hütten hielt das Gebell für eine Warnung, denn ein paar Stimmen verlangten nur laut rufend Ruhe, und so verstummten die Hunde allmählich wieder und nur das Rauschen des Windes in den Bäumen, das Seufzen der Meereswellen und die überirdische, dünne Melodie des Gesangs waren zu vernehmen.

Ich führte die Männer an, denn ich war der einzige, der schon einmal durch diese kleine Tür gegangen war, und dennoch fürchtete ich, sie nicht zu finden. Doch ich entdeckte sie mühelos. Vorsichtig stieg ich die alten Backsteinstufen hinab und versuchte die Tür behutsam aufzudrücken. Als sie nicht nachgab, dachte ich einen Herzschlag lang, sie sei doch verriegelt, dann aber schwang sie mit einem knirschenden Quietschen der Metallangeln nach innen und übergoß mich mit Licht.

Der Keller war von Kerzen erleuchtet. Geblendet blinzelte ich in ihrem Schein, dann zischte Gwenhwyvachs Stimme mir zu: »Schnell! Schnell!«

Einer nach dem anderen stahlen wir uns hinein: dreißig starke Männer mit Rüstung, Mänteln, Speeren und Helmen. Gwenhwyvach befahl uns flüsternd, leise zu sein. Sie drückte die Tür hinter uns ins Schloß und legte den schweren Riegel vor. »Der Tempel ist dort«, wisperte sie und zeigte einen Korridor mit Binsenfackeln entlang, die aufgestellt worden waren, um den Weg zur Tür des Schreins zu beleuchten. Sie war erregt, und ihr rundes Gesicht war gerötet. Der unheimliche Gesang des Chors klang hier viel leiser, denn er wurde durch die Vorhänge im Innern des Tempels und durch seine schwere Außentür gedämpft.

»Wo ist Gwydre?« fragte Arthur Gwenhwyvach leise.

»In seinem Zimmer«, antwortete Gwenhwyvach.

»Gibt es Wachen?« wollte er wissen.

»Bei Nacht sind nur ein paar Diener im Palast«, antwortete sie flüsternd.

»Sind Dinas und Lavaine hier?« fragte ich sie.

Sie lächelte. »Ihr werdet sie sehen, das verspreche ich Euch. Ihr werdet sie sehen.« Sie zupfte an Arthurs Mantel, um ihn zum Tempel hinüberzuziehen. »Kommt mit.«

»Zuerst möchte ich Gwydre holen«, forderte Arthur und entzog ihr seinen Mantel. Er tippte sechs seiner Männer auf die Schulter. »Ihr anderen wartet hier«, wisperte er. »Ihr wartet hier. Ihr werdet den Tempel nicht betreten! Erst sollen sie ihren Gottesdienst in Ruhe beenden.« Dann führte er seine sechs Männer mit leisen Schritten durch den Keller und ein paar Steinstufen hinauf.

Neben mir kicherte Gwenhwyvach. »Ich hab’ ein Gebet an Clud gesprochen«, vertraute sie mir leise an. »Sie wird uns helfen.«

»Gut«, sagte ich. Clud ist eine Göttin des Lichts, und es wäre nicht schlecht, in dieser Nacht ihre Hilfe zu haben.

»Guinevere mag Clud nicht«, sagte Gwenhwyvach

mißbilligend. »Sie mag überhaupt keine der britannischen Götter. Steht der Mond schon hoch?«

»Noch nicht. Aber er steigt.«

»Dann ist es noch nicht Zeit«, murmelte Gwenhwyvach.

»Zeit wofür, Lady?«

»Ihr werdet sehen!« Sie kicherte. »Ihr werdet sehen«, wiederholte sie; dann zuckte sie angstvoll zurück, weil Nimue sich durch die Gruppe der beunruhigten Speerkämpfer drängte. Nimue hatte ihre lederne Augenklappe abgenommen, so daß

die eingeschrumpfte, leere Höhle wie ein schwarzes Loch in ihrem Gesicht stand, bei dessen Anblick Gwenhwyvach angstvoll wimmerte.

Nimue beachtete Gwenhwyvach nicht, sondern blickte sich im Keller um und schnupperte wie ein Jagdhund, der eine Fährte wittert. Ich konnte nur Spinnweben, Weinschläuche und Metkrüge erkennen und den feuchten Gestank der Fäulnis riechen, Nimue dagegen witterte etwas Hassenswertes. Sie zischelte und spie in Richtung des Schreins. Das Bündel in ihrer Hand bewegte sich träge.

Keiner von uns rührte sich. Ja, ein regelrechter Terror überkam uns in diesem von Binsenfackeln erleuchteten Keller. Arthur war fort, man hatte uns nicht entdeckt, doch der Gesang und die Stille im Palast wirkten schauerlich auf uns. Vielleicht wurde unsere Panik durch einen Zauberfluch von Dinas und Lavaine ausgelöst, vielleicht lag es aber auch nur daran, daß

hier unten alles so unnatürlich wirkte. Wir waren an Holz, Strohgeflecht, Erde und Gras gewöhnt, daher war dieser modrige Ort aus Backsteinbogen und Steinböden fremdartig und beängstigend für uns. Einer meiner Männer zitterte. Damit er wieder Mut faßte, streichelte Nimue dem Mann die Wange. Dann schlich sie auf ihren nackten Füßen zur Tempeltür. Ich begleitete sie, indem ich mit meinen Stiefeln sehr behutsam auftrat, um möglichst kein Geräusch zu machen. Ich wollte sie zurückhalten, denn sie beabsichtigte eindeutig, Arthurs Befehl zu mißachten, daß wir das Ende des Rituals abwarten sollten – und ich fürchtete, sie werde etwas Unbedachtes tun, was die Frauen im Tempel alarmieren und zum Schreien bringen konnte und damit die Wachen aus ihren Hütten herbeiholen würde. Mit meinen schweren, lauten Stiefeln vermochte ich mich jedoch nicht so flink zu bewegen wie Nimue auf ihren nackten Füßen, und meine heiser geflüsterte Warnung ignorierte sie. Statt dessen packte sie einen der Bronzegriffe an der Tempeltür. Einen Herzschlag lang zögerte sie, dann zog sie die Tür auf, und der rhythmische Geistergesang wurde auf einmal sehr viel lauter. Da die Angeln der Tür geölt worden waren, ließ sich die Tür lautlos öffnen. Wir standen vor einer abgrundtiefen Finsternis. Eine so vollkommene Dunkelheit hatte ich noch niemals erlebt. Sie rührte von den schweren Vorhängen, die wenige Fuß hinter der Innenseite der Tür hingen. Ich winkte meinen Männern, dort zu bleiben, wo sie waren, und folgte Nimue in den Tempel hinein. Ich wollte sie aufhalten, aber sie wehrte sich und zog statt dessen die Tempeltür in ihren geölten Angeln ins Schloß. Der Gesang war jetzt sehr laut geworden. Ich konnte nichts sehen, und hören konnte ich nur den Chor, aber der Geruch im Tempel war schwer und widerlich.

Nimue tastete mit einer Hand nach mir und zog meinen Kopf zu sich herunter. »Böse!« hauchte sie mir ins Ohr.

»Wir dürften nicht hier sein«, flüsterte ich.

Sie ignorierte das, tastete nach dem Vorhang und fand ihn. Gleich darauf erkannte ich an einem winzigen Lichtstrahl, daß

sie auch den Rand des Vorhangs gefunden hatte. Ich folgte ihr, kauerte mich nieder und blickte ihr über die Schulter. Der Schlitz war so schmal, daß ich anfangs fast gar nichts sehen konnte; doch als meine Augen zu erkennen begannen, was dahinter lag, sah ich für meinen Geschmack zu viel: Ich sah die Mysterien der Isis.

Um die Geschehnisse jener Nacht verstehen zu können, hätte ich mich mit der Geschichte der Isis vertraut machen müssen. Später lernte ich sie kennen, in jenem Augenblick jedoch, da ich über Nimues kurzgeschorenes Haar hinwegspähte, hatte ich keine Ahnung, was das Ritual bedeutete. Ich wußte nur, daß

Isis eine Göttin war, für viele Römer sogar eine der mächtigsten Göttinnen. Und außerdem die Herrin der Throne, und das erklärte den niedrigen schwarzen Thron, der noch immer auf dem Podium am anderen Ende des Kellers stand, wie ich genau sehen konnte, obwohl unsere Sicht durch den dichten Rauch, der wirbelnd durch den schwarzen Raum zog und sich einen Ausweg durch den Mondschacht suchte, vernebelt wurde. Der Rauch stieg von den Feuerbecken auf, deren Flammen durch Kräuter angereichert wurden, und diese verbreiteten den stechenden, zu Kopf steigenden Geruch, den wir schon vom Waldrand aus gerochen hatten.

Den Chor, der trotz des Rauches weitersang, vermochte ich nicht zu sehen, aber ich sah die Isis-Anbeterinnen, und anfangs konnte ich nicht glauben, was ich da sah. Oder wollte es vielmehr nicht glauben.

Ich sah acht Andächtige auf dem schwarzen Steinboden vor dem Thron knien, und alle acht waren sie nackt. Sie kehrten uns den Rücken zu, aber ich konnte dennoch sehen, daß einige der Nackten Männer waren. Kein Wunder, daß Gwenhwyvach voll Vorfreude auf diesen Augenblick gekichert hatte, denn ihr war das Geheimnis bestimmt schon bekannt gewesen. Männer, so hatte Guinevere stets betont, seien im Isistempel nicht zugelassen, aber heute nacht waren sie anwesend, und vermutlich waren sie das in jeder Nacht, in der der Vollmond sein kaltes Licht durch das Loch im Kellerdach schickte. Die flackernden Flammen der Feuerbecken warfen ihr

gespenstisches Licht auf die Rücken der Andächtigen. Sie waren allesamt nackt. Männer und Frauen, allesamt nackt, genau wie Morgan es mir vor so vielen Jahren schon warnend erklärt hatte.

Die Andächtigen waren nackt, die beiden Zelebranten dagegen nicht. Einer von ihnen war Lavaine. Er stand zu einer Seite des niedrigen schwarzen Throns, und meine Seele jubelte, als ich ihn sah. Es war Lavaines Schwert gewesen, das Dians Kehle durchschnitten hatte, und nun befand sich mein eigenes Schwert nur eine Kellerlänge von ihm entfernt! Hoch aufgerichtet stand er neben dem Thron; die Narbe auf seiner Wange wurde vom Schein der Feuer betont, das schwarze Haar, genauso geölt wie Lancelots, fiel ihm im Rücken bis auf das schwarze Gewand hinab. In dieser Nacht trug er nicht das weiße Druidengewand, sondern eine schlichte schwarze Robe, und in der Hand hielt er einen dünnen, schwarzen, von einem kleinen, goldenen Halbmond gekrönten Stab. Von Dinas war keine Spur zu sehen.

Zwei Fackeln in Eisenhaltern brannten zu beiden Seiten des Throns, auf dem Guinevere saß und die Rolle der Isis spielte. Ihr Haar, das sie sich hoch auf den Kopf getürmt hatte, wurde von einem Goldreif gehalten, auf dem zwei Hörner befestigt waren. Die Hörner stammten von keinem Tier, das mir bekannt war, später jedoch erfuhren wir, daß sie aus Elfenbein gefertigt waren. Um den Hals trug sie einen schweren Goldtorques, sonst aber keinen weiteren Schmuck, nur einen weiten, tiefroten Umhang, der ihren ganzen Körper verhüllte. Den Boden vor ihren Füßen vermochte ich nicht zu sehen, wußte aber, daß sich dort die flache Grube befand. Vermutlich warteten sie darauf, daß das Mondlicht durch den Schacht herabkam und das schwarze Wasser in der Grube mit Silber übergoß. Der Vorhang am anderen Ende, hinter dem sich, wie Ceinwyn mir berichtet hatte, ein Bett befand, war geschlossen. Plötzlich schimmerte ein Lichtstrahl durch den

dahintreibenden Rauch, und die nackten Isis-Anbeter keuchten vor freudiger Erwartung auf. Der winzige Lichtsplitter war bleich und silbrig, doch er bewies, daß der Mond endlich hoch genug gestiegen war, um seinen ersten schrägen Strahl auf den Kellerboden hinabzuschicken. Lavaine wartete einen Moment, während der Strahl stärker wurde, dann stieß er seinen Stab zweimal auf den Boden. »Es ist an der Zeit«, sagte er mit seiner harten Stimme. »Es ist an der Zeit!« Der Chor verstummte.

Lange geschah nichts. Sie warteten schweigend, während die rauchdurchzogene, mondsilbrige Lichtsäule größer wurde und langsam über den Boden wanderte. Ich mußte an jene ferne Nacht denken, da ich auf dem Gipfel des Steinhügels am Llyn Cerrig Bach gekauert und beobachtet hatte, wie sich das Mondlicht zu Merlins Körper vortastete. Die Stille war unheilschwanger. Eine der knienden nackten Frauen stieß ein leises Seufzen aus, dann wurde sie wieder still. Eine andere Frau wiegte sich vor und zurück.

Immer weiter wanderte der Mondstrahl. Sein Widerschein zauberte einen matten Schimmer auf Guineveres strenges, schönes Gesicht. Die Lichtsäule stand jetzt nahezu senkrecht. Eine der nackten Frauen erschauerte – nicht vor Kälte, sondern in den Fängen der Ekstase. Dann beugte sich Lavaine nach vorn, um in den Schacht hinaufzuspähen. Der Mond beleuchtete seinen mächtigen Bart und sein hartes, breites Gesicht mit der Kriegsnarbe. Ein paar Herzschläge lang spähte er hinauf, dann trat er zurück und berührte feierlich Guineveres Schulter.

Sie erhob sich, so daß die Hörner auf ihrem Kopf fast das niedrige Deckengewölbe des Kellers berührten. Ihre Arme und Hände waren unter dem Umhang versteckt, der von ihren Schultern bis zum Boden reichte. Sie schloß die Augen. »Wer ist die Göttin?« fragte sie.

»Isis, Isis, Isis«, skandierten die Frauen leise. »Isis, Isis, Isis.« Die Säule aus Mondlicht war jetzt fast so breit wie der Schacht; es war ein dicker, rauchiger Schaft aus Licht, der in der Mitte des Kellers leuchtete und wirbelte. Als ich diesen Tempel zum erstenmal sah, hatte ich ihn für einen schäbigen Ort gehalten; jetzt aber, bei Nacht und von dieser schimmernden Säule aus weißem Licht erhellt, wirkte er geisterhafter und geheimnisvoller als viele andere Schreine, die ich gesehen hatte.

»Und wer ist der Gott?« fragte Guinevere, die Augen immer noch geschlossen.

»Osiris«, antworteten die nackten Männer mit gedämpfter Stimme. »Osiris, Osiris, Osiris.«

»Und wer soll auf dem Thron sitzen?« fragte Guinevere.

»Lancelot«, antworteten die Frauen und Männer zusammen.

»Lancelot, Lancelot.«

Als ich diesen Namen hörte, wußte ich, daß in dieser Nacht nichts zum Guten gewendet werden würde. Niemals würde diese Nacht das alte Dumnonia zurückbringen. Diese Nacht würde uns nichts als Entsetzen bringen, denn ich wußte, daß

diese Macht Arthur vernichten würde. Am liebsten hätte ich mich von diesem Vorhang abgewandt und wäre in den Keller zurückgekehrt, um Arthur nach draußen an die frische Luft und ins klare Mondlicht mitzunehmen; und dann wollte ich ihn durch all die Jahre und all die Tage und all die Stunden in die Vergangenheit zurückführen, damit er diese Nacht niemals erleben mußte. Aber ich rührte mich nicht. Nimue rührte sich nicht. Keiner von uns wagte sich zu rühren, denn Guinevere hatte die rechte Hand ausgestreckt, um den Stab von Lavaine entgegenzunehmen. Mit dieser Geste hob sie den roten Umhang von ihrer rechten Körperhälfte, und ich sah, daß sie unter den schweren Falten des Umhangs ebenfalls nackt war.

»Isis, Isis, Isis«, hauchten die Frauen.

»Osiris, Osiris, Osiris«, flüsterten die Männer.

»Lancelot, Lancelot, Lancelot«, skandierten sie alle gemeinsam.

Guinevere nahm den goldgekrönten Stab und richtete ihn nach vorn, wobei der Umhang ihre rechte Brust wieder bedeckte. Dann berührte sie mit überbetonten Bewegungen mit dem Stab etwas, das in der Wassergrube direkt unter dem glitzernden, schimmernden Schaft aus silbrigen Rauch lag, der jetzt senkrecht vom Himmel herabkam. Niemand rührte sich im Keller. Ja, niemand schien auch nur zu atmen.

»Erhebe dich!« befahl Guinevere. »Erhebe dich!« Und wieder setzte der Chor mit seinem geisterhaften, unheimlichen Gesang ein. »Isis, Isis, Isis«, sangen sie, und ich sah über die Köpfe der Singenden hinweg einen Mann aus dem Wasser steigen. Es war Dinas. Sein hochgewachsener, muskulöser Körper und das lange schwarze Haar waren tropfnaß, als er sich langsam aufrichtete und der Chor den Namen der Göttin immer lauter sang. »Isis! Isis! Isis!« sangen sie, bis Dinas endlich aufrecht, mit dem Rücken zu uns, vor Guinevere stand, und auch er war splitternackt. Er stieg aus dem Becken. Guinevere reichte den schwarzen Stab an Lavaine zurück, hob beide Hände und löste ihren Umhang, der auf den Thron zurückfiel. Da stand sie, Arthurs Gemahlin, nackt bis auf das Gold an ihrem Hals und das Elfenbein auf ihrem Kopf, und öffnete ihre Arme weit, damit der nackte Enkel des Druiden Tanaburs aufs Podium und in ihre Umarmung steigen konnte.

»Osiris! Osiris! Osiris!« riefen die Frauen im Keller. Einige von ihnen wanden sich wie die christlichen Gläubigen in Isca, die eine ähnliche Ekstase überkommen hatte. Die Stimmen im Keller wurden immer rauher. »Osiris! Osiris! Osiris!«

skandierten sie, und Guinevere trat zurück, während der nackte Dinas sich zu den Anbetenden umwandte und triumphierend die Arme hob. So präsentierte er seinen herrlichen nackten Körper, und es war nicht zu übersehen, daß er ein Mann war. Und es gab keine Zweifel daran, was nun geschehen würde, als Guinevere, deren schöner, kerzengerader Körper durch den Schimmer des Mondes im Rauch in ein magisches Silberweiß

gehüllt wurde, seinen rechten Arm ergriff und ihn zu dem Vorhang führte, der hinter dem Thron angebracht war. Lavaine begleitete die beiden, während die Frauen sich unter Anrufung der großen Göttin ekstatisch wanden und wiegten. »Isis! Isis!

Isis!«

Guinevere schlug den Vorhang zurück, und ich erhaschte einen flüchtigen Blick in den Raum dahinter, der mir so hell wie die Sonne schien, und dann stieg der rauhe Gesang zu neuen Höhen der Erregung an, als sich die Männer im Tempel die Frauen an ihrer Seite griffen. Genau in diesem Moment wurde die Tür hinter mir weit aufgestoßen, und Arthur trat im strahlenden Glanz seiner Kriegsrüstung in die Vorhalle des Tempels. »Nein, Lord!« sagte ich zu ihm. »Nein, Lord! Bitte nicht!«

»Ihr dürftet nicht hier sein, Derfel!« sagte er leise, aber vorwurfsvoll. In der Rechten hielt er den kleinen Kornblumenstrauß, den er für Guinevere gepflückt hatte, an der Linken hatte er seinen Sohn. »Geht hinaus!« befahl er mir, doch dann riß Nimue den großen Vorhang beiseite, und der Alptraum meines geliebten Lords begann.

Isis ist eine Göttin. Die Römer brachten sie nach Britannien, ursprünglich kam sie jedoch nicht aus Rom, sondern aus einem fernen Land im Osten des römischen Reichs. Auch Mithras ist ein Gott, der aus einem Land östlich von Rom stammt, aber nicht aus demselben, glaube ich. Wie Galahad mir erzählte, hat fast die Hälfte der Weltreligionen ihren Anfang im Osten genommen, wo die Menschen, wie ich vermute, eher wie Sagramor aussehen als wie wir. Das Christentum stammt ebenfalls aus jenen fernen Landen, wo es auf den Feldern, wie Galahad mir versicherte, nichts gibt als Sand, wo die Sonne heißer brennt als jemals in Britannien, und wo es niemals schneit.

Aus diesen glutheißen Ländern kam Isis. Bei den Römern wurde sie zu einer mächtigen Göttin, und auch in Britannien schlossen sich viele Frauen ihrer Religion an, die auch noch weiterbestand, als die Römer verschwanden. Sie wurde nie so beliebt wie das Christentum, denn letzteres öffnete seine Pforten allen, die seinen Gott anbeten wollten – während Isis, wie auch Mithras, ihre Mitglieder auf jene, und nur auf jene beschränkten, die in ihre Mysterien eingeführt worden waren. In mancher Hinsicht ähnele Isis der Heiligen Mutter der Christen, erklärte mir Galahad, denn es heißt, sie sei die perfekte Mutter für ihren Sohn Horus; aber darüber hinaus besaß Isis eine Macht, welche die Jungfrau Maria niemals für sich in Anspruch nahm. Für ihre Anhänger war Isis die Herrin über Leben und Tod, die Herrin des Heilens und natürlich Herrin über die Throne der Sterblichen.

Wie Galahad mir erzählte, war sie mit einem Gott namens Osiris vermählt, der aber bei einem Krieg der Götter getötet wurde. Sein Körper wurde in winzige Teile geschnitten und in einen Fluß gestreut. Isis fand diese verstreuten Teile, setzte sie liebevoll zusammen und legte sich anschließend zu diesem Korpus, um ihren Gemahl wieder zum Leben zu erwecken. Von Isis’ Macht wiedererweckt, lebte Osiris weiter. Galahad haßte diese Sage und bekreuzigte sich immer wieder, während er sie mir erzählte; aber es war vermutlich eben diese Legende von der Wiederauferstehung und der Frau, die dem Mann Leben einhaucht, die Nimue und ich in jenem raucherfüllten, schwarzen Keller beobachtet hatten. Wir hatten gesehen, wie Isis, die Göttin, die Mutter, die Lebensspenderin, das Wunder vollbrachte, durch das ihrem Gemahl das Leben

wiedergeschenkt wurde und durch das sie selbst zur Wächterin über die Lebenden und die Toten sowie zur Gebieterin über die Throne der Menschen wurde. Und diese letzte Macht war es, die Macht, die entschied, wer auf den Thronen dieser Erde sitzen sollte, die für Guinevere die höchste Macht der Göttin war. Für die Macht über die Throne betete Guinevere Isis an. Nimue riß den Vorhang beiseite, und der Keller hallte von Schreien wider.

Eine Sekunde lang, eine schreckliche Sekunde lang zögerte Guinevere am hinteren Vorhang und wandte sich zurück, um zu sehen, was ihr Ritual gestört haben mochte. Da stand sie, hochgewachsen, nackt und fürchterlich in ihrer bleichen Schönheit, und neben ihr stand ein nackter Mann. Während an der Kellertür, den Sohn an der einen, einen Strauß Blumen in der anderen Hand, ihr Gemahl stand. Die Wangenstücke von Arthurs Helm waren geöffnet, daher konnte ich in diesem grauenvollen Moment seine Miene sehen, und es war, als wäre soeben seine Seele entflohen.

Guinevere verschwand hinter dem Vorhang und zog Dinas und Lavaine mit sich, während Arthur einen grauenvollen Laut ausstieß, halb Schlachtruf, halb der Schrei eines Mannes in höchster Qual. Hastig drängte er Gwydre zurück, ließ die Kornblumen fallen, zog Excalibur und warf sich rücksichtslos durch die kreischenden, nackten Kultanhänger, die sich verzweifelt vor ihm zu retten suchten.

»Holt sie euch alle!« rief ich den Speerkämpfern zu, die Arthur folgten. »Laßt keinen von ihnen entkommen! Holt sie euch!« Dann folgte ich, Nimue an meiner Seite, meinem Lord Arthur. Arthur sprang über das schwarze Becken, stieß eine Fackel um, als er über das Podium hinwegsetzte, und fegte mit Excaliburs Klinge den Vorhang beiseite.

Und erstarrte.

Ich blieb an seiner Seite stehen. Meinen Speer hatte ich weggeworfen, als ich durch den Tempel jagte; jetzt trug ich Hywelbane in der Hand. Nimue war bei mir und heulte triumphierend, als sie einen Blick in den kleinen, quadratischen Raum warf, der neben dem Kellergewölbe lag. Es schien das Allerheiligste der Isis zu sein, und hier stand, zum Gebrauch durch die Göttin bereit, der Kessel von Clyddno Eiddyn. Der Kessel war das erste, was ich sah, denn er stand auf einem schwarzen Piedestal, so hoch wie die Taille eines Mannes, und leuchtete silbern und golden, da im ganzen Raum zahlreiche Kerzen verteilt waren, deren hellen Schein der Kessel zurückwarf. Dieses Licht wirkte noch heller, weil der Raum – bis auf die Wand mit dem Vorhang – mit Spiegeln ausgekleidet war. Es gab Spiegel an den Wänden und sogar an der Decke, Spiegel, die die Flammen der Kerzen sowie die nackten Gestalten von Guinevere und Dinas mannigfach zurückwarfen. Guinevere war in ihrem Schrecken auf das breite Bett gesprungen, welches das andere Ende des Raumes ausfüllte, und zerrte dort an einer Pelzdecke, mit der sie ihre bleiche Haut zu bedecken suchte. Dinas war neben ihr, beide Hände an seinem Schritt, während Lavaine uns trotzig entgegenstarrte.

Er warf einen Blick auf Arthur, tat Nimue mit einem kurzen Blick ab und richtete dann seinen dünnen Stab auf mich. Er wußte, daß ich gekommen war, um ihn zu töten, und versuchte das nun mit der stärksten Magie zu verhindern, die ihm zur Verfügung stand. Er zeigte mit dem Stab auf mich, während er in der anderen Hand den Flacon mit dem Splitter des wahren Kreuzes hielt, den Bischof Sansum Mordred bei seiner Akklamation geschenkt hatte. Diesen Splitter hielt er über den Kessel, der mit einer dunklen, aromatischen Flüssigkeit gefüllt war.

»Eure anderen Töchter werden ebenfalls sterben«, rief er mir zu. »Ich brauche nur dieses Fläschchen loszulassen.«

Arthur hob Excalibur.

»Euer Sohn ebenfalls!« sagte Lavaine, und alle beide erstarrten wir. »Ihr werdet jetzt gehen«, befahl er mit gelassener Autorität. »Ihr seid in das Heiligtum der Göttin eingedrungen. Ihr werdet jetzt gehen und uns in Frieden lassen. Oder Ihr werdet sterben, und alle, die Ihr liebt, werden mit Euch sterben.«

Er wartete. Hinter ihm, zwischen dem Kessel und dem Bett, stand Arthurs runder Tisch mit dem steinernen Abbild des geflügelten Pferdes, und auf dem Pferd lagen und standen, wie ich sah, ein brauner Korb, ein einfaches Horn, ein altes Halfter, ein Dolch, ein Schleifstein, ein Mantel mit Ärmeln, ein Umhang, eine Tonschale, ein Wurfbrett, ein Kriegerring und ein Häufchen faulender, zerbrochener Holzteile. Auch Merlins abgeschnittener Bartzopf lag dort, noch immer mit dem schwarzen Band umwickelt. Die gesamte Macht von Britannien war in diesem kleinen Raum versammelt, verbunden mit einem Splitter der mächtigsten Magie der Christen.

Ich hob Hywelbane. Lavaine tat, als lasse er den Splitter des wahren Kreuzes in die Flüssigkeit fallen, während Arthur mir warnend die Hand auf den Schild legte.

»Ihr werdet gehen!« befahl Lavaine. Guinevere sagte nichts, sondern beobachtete uns über den Pelz hinweg, der sie inzwischen zur Hälfte bedeckte, mit großen Augen. Dann begann Nimue zu lächeln. Sie hielt den zum Bündel zusammengerafften Umhang in beiden Händen. Jetzt schwenkte sie ihn in Lavaines Richtung. Mit einem lauten Schrei schüttelte sie den Inhalt aus. Es war ein unheimlicher, schriller Schrei, der hoch über die Schreie der Frauen hinter uns hinaustönte.

Nattern flogen durch die Luft. Es müssen mindestens ein Dutzend Schlangen gewesen sein, die Nimue alle am Nachmittag aufgestöbert und für diesen Moment gesammelt hatte. Sie wanden sich in der Luft. Guinevere schrie und zerrte die Pelzdecke hoch, um ihr Gesicht zu bedecken, während Lavaine, der sah, wie eine Schlange auf seine Augen zugeflogen kam, instinktiv zusammenzuckte und sich duckte. Der Splitter des wahren Kreuzes schlitterte über den Boden, während sich die Schlangen, von der Hitze im Keller aufgeweckt, über das Bett und die Kleinodien von Britannien ringelten. Ich trat einen Schritt vor und versetzte Lavaine einen kräftigen Tritt in den Bauch. Er fiel, und als ihn eine Natter in den Knöchel biß, schrie er.

Dinas zuckte vor den Schlangen auf dem Bett zurück. Dann erstarrte er, weil Excalibur seine Kehle berührte. Hywelbane lag an Lavaines Kehle, und ich benutzte die Klinge, um sein Gesicht zu mir emporzuheben. Dann lächelte ich. »Meine Tochter«, sagte ich leise, »beobachtet uns aus der Anderwelt. Sie läßt Euch grüßen, Lavaine.«

Er versuchte etwas zu sagen, brachte aber kein Wort heraus. Eine Schlange glitt über sein Bein.

Arthur starrte auf die Pelzdecke hinab, unter der seine Gemahlin verborgen lag. Dann hob er die Schlangen mit Excaliburs Spitze beinah zärtlich von dem schwarzen Fell und schlug die Decke zurück, bis er Guineveres Gesicht sehen konnte. Als sie ihn ansah, war von ihrem wundervollen Stolz nichts mehr übrig. Sie war nur noch eine verängstigte Frau.

»Hast du hier irgendwo etwas anzuziehen?« fragte Arthur sanft. Sie schüttelte den Kopf.

»Auf dem Thron liegt ein roter Umhang«, sagte ich zu ihm.

»Würdet Ihr ihn holen, Nimue?« bat Arthur.

Nimue brachte den Umgang, den Arthur seiner Gemahlin auf der Schwertspitze reichte. »Hier«, sagte er, noch immer sehr leise. »Für dich.«

Ein nackter Arm kam unter dem Pelz hervor und griff nach dem Umhang. »Dreht Euch um«, verlangte Guinevere mit einer ganz kleinen, ängstlichen Stimme von mir.

»Bitte, Derfel, dreht Euch um«, sagte Arthur.

»Zuvor noch eins, Lord.«

»Umdrehen!« beharrte er, ohne den Blick von seiner Gemahlin zu wenden.

Ich griff nach dem Rand des Kessels und kippte ihn vom Piedestal. Mit lautem Dröhnen fiel der kostbare Kessel zu Boden, und der flüssige Inhalt ergoß sich in einem dunklen Strom über die Steinplatten. Das weckte seine

Aufmerksamkeit. Als er mich anstarrte, war sein Gesicht kaum zu erkennen, so hart und kalt und leblos wirkte es, aber es mußte noch eins gesagt werden in dieser Nacht. Wenn mein Lord schon diesen Kelch des Entsetzens leeren mußte, dann auch gleich bis zum letzten bitteren Tropfen. Ich setzte Hywelbanes Spitze wieder unter Lavaines Kinn. »Wer ist die Göttin?« fragte ich ihn.

Als er den Kopf schüttelte, drückte ich mit Hywelbane so fest zu, daß Blut aus seiner Kehle rann. »Wer ist die Göttin?«

»Isis«, flüsterte er. Dabei umklammerte er seinen Knöchel, wo ihn die Schlange gebissen hatte.

»Und wer ist der Gott?« fragte ich ihn.

»Osiris«, antwortete er mit angstvoller Stimme.

»Und wer«, fragte ich weiter, »soll auf dem Thron sitzen?«

Er erschauerte und schwieg. »Dies, Lord«, wandte ich mich an Arthur, ohne das Schwert von Lavaines Kehle zu nehmen,

»sind die Worte, die Ihr nicht gehört habt. Ich aber habe sie gehört, und Nimue auch. Wer soll auf dem Thron sitzen?«

fragte ich Lavaine noch einmal.

»Lancelot«, antwortete er so leise, daß es kaum zu verstehen war. Aber Arthur hatte es gehört, genau wie er das große Emblem gesehen haben mußte, das in diesem Spiegelraum in Weiß auf die kostbare schwarze Decke gestickt war, die unter dem Bärenfell auf dem Bett lag. Es war Lancelots Seeadler. Ich spie Lavaine an, schob Hywelbane in die Scheide zurück und packte ihn bei seinen langen, schwarzen Haaren. Nimue hatte sich schon Dinas geschnappt. Wir zerrten die beiden in den Tempel zurück, und ich zog hinter mir den schwarzen Vorhang zu, damit Arthur und Guinevere allein sein konnten. Gwenhwyvach, die alles beobachtet hatte, gackerte vor Lachen. Die Isis-Anbeter und ihr Chor, allesamt nackt, kauerten auf einer Seite des Kellers, wo Arthurs Männer sie mit ihren Speeren bewachten. Gwydre wartete verängstigt an der Kellertür.

Hinter uns rief Arthur ein einziges Wort. »Warum?« Und ich brachte die Mörder meiner Tochter ins Mondlicht hinaus.

Bei Morgengrauen waren wir noch immer im Seepalast. Wir hätten aufbrechen sollen, denn einige der Speerkämpfer waren aus den Hütten entkommen, als die Reiter schließlich von Arthurs Horn vom Hügel herbeigerufen worden waren, und diese Flüchtigen würden den Warnruf nordwärts nach Dumnonia hineintragen. Doch Arthur schien unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Er war wie gelähmt.

Er weinte immer noch, als die Dämmerung die Welt in Licht zu tauchen begann.

Zu diesem Zeitpunkt starben Dinas und Lavaine. Sie starben am Ufer der Bucht. Ich bin, glaube ich, kein grausamer Mensch, ihr Tod jedoch war wirklich sehr grausam und dauerte sehr lange. Nimue hatte diesen Tod arrangiert, und während ihre Seelen das Fleisch verließen, zischte sie ihnen ständig den Namen Dian in die Ohren. Als sie starben, waren sie keine Männer mehr: Die Zunge war ihnen herausgerissen worden, sie hatten jeder nur noch ein Auge, und diese kleine Gnade wurde ihnen nur gewährt, damit sie erkennen konnten, auf welche Art der nächste Schmerz über sie kommen würde. Und sehen konnten sie, als sie starben! Das letzte, was jeder von ihnen sah, war die goldene Haarsträhne an Hywelbanes Heft, als ich beendete, was Nimue begonnen hatte. Da waren die Zwillinge nur noch Klumpen, Klumpen aus Blut und zitterndem Entsetzen, und als sie tot waren, küßte ich die kleine Haarsträhne, trug sie zu einem der Kohlenbecken in den Arkaden des Palastes und warf sie auf die glühende Asche, damit von Dians Seele nichts übrigblieb, das auf Erden umherwandern konnte. Dasselbe tat Nimue mit dem abgeschnittenen Zopf von Merlins Bart. Die Leichen der Zwillinge ließen wir am Meer liegen, und als die Sonne aufging, kamen die Möwen, um mit ihren langen

Krummschnäbeln an dem gemarterten Fleisch herumzuhacken. Nimue hatte den Kessel und die Kleinodien gerettet. Bevor sie starben, hatten Dinas und Lavaine ihr die ganze Geschichte erzählt, und wie sich ergab, hatte Nimue von Anfang an recht gehabt. Es war Morgan gewesen, die die Kleinodien gestohlen und anschließend Sansum geschenkt hatte, damit er sich mit ihr vermähle. Und Sansum hatte sie Guinevere gegeben. Es war die Verheißung dieses großen Geschenks, die Guinevere mit dem Mäuselord vor Lancelots Taufe im Churn-Fluß versöhnt hatte. Als ich die Geschichte hörte, dachte ich mir, wenn ich nur zugelassen hätte, daß Lancelot in die Mysterien des Mithras eingeweiht wurde, wäre dies alles möglicherweise nicht geschehen. Das Schicksal ist unerbittlich. Inzwischen waren die Türen des Tempels geschlossen. Keiner von denen, die drinnen eingesperrt waren, hatte entkommen können; denn sobald Guinevere herausgebracht worden war und Arthur lange mit ihr gesprochen hatte, war er allein und nur mit Excalibur in der Hand in den Keller zurückgekehrt. Es dauerte eine ganze Stunde, bis er wieder auftauchte. Als er herauskam, war sein Gesicht kälter als das Meer und so grau wie Excaliburs Klinge, nur daß die kostbare Klinge jetzt dick mit rotem Blut bedeckt war. In der einen Hand hielt er den horngekrönten Goldreif, den Guinevere als Isis getragen hatte, in der anderen hielt er sein Schwert. »Sie sind tot«, berichtete er mir.

»Alle?«

»Jeder einzelne.« Er wirkte merkwürdig unbeteiligt, obwohl seine Arme und seine Schuppenrüstung blutbesudelt waren und selbst die Gänsefedern auf seinem Helm Blutspritzer abbekommen hatten.

»Die Frauen auch?« fragte ich ihn, denn unter den Anhängern war auch Lunete gewesen. Ich empfand längst keine Liebe mehr für sie, aber sie war einmal meine Gefährtin gewesen, und irgendwie tat sie mir leid. Die Männer im Tempel waren die ansehnlichsten von Lancelots

Speerkämpfern gewesen, die Frauen Guineveres Hofdamen.

»Alle tot«, sagte Arthur beinah munter. Er war langsam den Hauptweg des Lustgartens entlanggeschritten. »Dies war nicht die erste Nacht, in der sie so etwas getan haben«, sagte er, und es klang fast verwundert. »Sie haben das anscheinend häufig getan. Alle. Jedesmal, wenn der Mond richtig stand. Und sie haben es miteinander getrieben, alle. Bis auf Guinevere. Die hat es nur mit den Zwillingen oder mit Lancelot getan.« Er erschauerte, die erste Gefühlsäußerung, seit er mit so eiskaltem Blick aus dem Keller gekommen war. »Wie es scheint«, fuhr er fort, »hat sie es früher für mich getan. Wer soll auf dem Thron sitzen? Arthur, Arthur, Arthur. Aber die Göttin hat mich anscheinend nicht akzeptiert.« Er hatte wieder zu weinen begonnen. »Oder ich habe mich zu energisch gegen die Göttin gewehrt, deswegen haben sie meinen Namen gegen Lancelots eingetauscht.« Er schwang sein blutiges Schwert durch die Luft. »Lancelot«, sagte er, und seine Stimme war von Qual erfüllt. »Seit Jahren schläft sie mit Lancelot, Derfel, und alles wegen der Religion, behauptet sie! Religion! Gewöhnlich war er Osiris, und sie war immer Isis. Wer sonst hätte sie sein können?« Er hatte die Terrasse erreicht und setzte sich auf eine Steinbank, von der aus er auf die mondüberglänzte Bucht hinabblicken konnte. »Ich hätte sie nicht alle töten sollen«, sagte er nach langem Schweigen.

»Nein, Lord«, stimmte ich zu, »das hättet Ihr nicht.«

»Aber was sollte ich denn sonst tun? Es war Schmutz, Derfel, gemeiner Schmutz!« Jetzt brach er in Schluchzen aus. Er sagte etwas über die Schande, über die Toten, die Zeugen der Schande seiner Gemahlin geworden seien, und über seine eigene Entehrung; und als er nicht weitersprechen konnte, schluchzte er hilflos, und ich schwieg. Es schien ihn nicht zu kümmern, ob ich bei ihm blieb oder nicht, aber ich blieb, bis es Zeit wurde, Dinas und Lavaine zum Meeresufer zu bringen, damit Nimue ihnen die Seelen Zoll um gräßlichen Zoll aus den Körpern ziehen konnte.

Und nun saß Arthur im Morgengrauen leer und erschöpft über dem Meer. Die Hörner lagen zu seinen Füßen, während sein Helm und Excaliburs blanke Klinge neben ihm auf der Bank lagen. Das Blut auf dem Schwert war zu einer dicken, braunen Kruste getrocknet.

»Wir müssen fort, Lord«, mahnte ich, als der Morgen das Meer zur Farbe einer Speerspitze aufhellte.

»Liebe«, sagte er verbittert.

Ich dachte, er hätte mich nicht verstanden. »Wir müssen fort, Lord«, wiederholte ich.

»Wozu?« fragte er mich.

»Um Euren Eid zu erfüllen.«

Er spie aus. Dann saß er schweigend da. Die Pferde waren aus dem Wald heruntergebracht, der Kessel und die Kleinodien von Britannien waren für den Marsch verpackt worden. Die Speerkämpfer beobachteten uns und warteten. »Gibt es einen Eid«, fragte er mich bitter, »der nicht gebrochen wurde? Nur einen?«

»Wir müssen fort, Lord«, sagte ich, doch da er sich weder rührte noch etwas sagte, machte ich auf dem Absatz kehrt.

»Dann werden wir ohne Euch gehen«, sagte ich hart.

»Derfel!« rief Arthur, aufrichtigen Schmerz in der Stimme.

»Lord?« Ich wandte mich zu ihm zurück.

Er starrte auf sein Schwert hinab und schien überrascht, daß

es mit so viel Blut bedeckt war. »Meine Gemahlin und mein Sohn sind in einem Zimmer im oberen Stock«, sagte er.

»Würdet Ihr sie für mich holen? Sie können zusammen auf einem Pferd reiten. Dann können wir aufbrechen.« Er gab sich große Mühe, normal zu sprechen, so zu tun, als wäre dies ein ganz normaler Tagesanbruch.

»Ja, Lord«, gab ich zurück.

Er stand auf und stieß Excalibur trotz des Blutes in die Scheide. »Und dann«, sagte er verbittert, »werden wir wohl Britannien erneuern müssen, nicht wahr?«

»Ja, Lord«, antwortete ich, »das müssen wir.«

Er starrte mich an, und ich sah, daß er wieder in Tränen ausbrechen wollte. »Wißt Ihr was, Derfel?« fragte er mich.

»Sagt es mir, Lord«, erwiderte ich.

»Mein Leben wird nie wieder so sein wie früher, nicht wahr?«

»Ich weiß es nicht, Lord«, gab ich zurück. »Ich weiß es einfach nicht.«

Tränen liefen ihm über die schmalen Wangen. »Ich werde sie lieben bis zu dem Tag, an dem ich sterbe. Mein Leben lang werde ich tagtäglich an sie denken. An jedem Abend, bevor ich einschlafe, werde ich sie vor mir sehen, und an jedem Morgen werde ich mich im Bett umdrehen und entdecken, daß sie verschwunden ist. An jedem Tag, Derfel, in jeder Nacht und an jedem Morgen – bis zu dem Augenblick, da ich sterbe.«

Er nahm seinen Helm mit dem blutbespritzten Federbusch, ließ die Elfenbeinhörner liegen und ging mit mir. Ich holte Guinevere und ihren Sohn aus der Schlafkammer. Dann brachen wir auf.

Gwenhwyvach hatte den Seepalast nun für sich. Sie lebte ganz allein darin, mit ihrem verwirrten Geist, umgeben von den Jagdhunden und all den wunderschönen Kunstschätzen, die rings um sie herum verrotteten. Von einem Fenster aus hielt sie nach dem heimkehrenden Lancelot Ausschau; denn sie war fest davon überzeugt, daß ihr Lord eines Tages zurückkommen werde, um mit ihr im Palast ihrer Schwester am Meer zu leben. Aber ihr Lord kam nicht zurück, die Kunstschätze wurden gestohlen, der Palast verfiel und wie wir hörten, fand Gwenhwyvach dort auch den Tod. Aber vielleicht lebt sie ja immer noch und wartet an der Bucht auf den Mann, der niemals kommt.

Wir zogen davon. Und an den schlammigen Ufern der Bucht zankten die Möwen sich um die Gedärme.

Guinevere ritt auf Arthurs Stute Llamrei. Sie trug ein langes schwarzes Gewand, das von einem dunkelgrünen Umhang bedeckt war, und hatte das rote Haar straff zurückgekämmt und mit einem schwarzen Band zusammengefaßt. Sie saß im Damensattel, hielt sich mit der Rechten an der Satteltracht fest und hatte den linken Arm um die Taille ihres verängstigten, verweinten Sohnes geschlungen, der immer wieder zu seinem Vater hinübersah, welcher verbissen neben dem Pferd einherstapfte. »Ich nehme doch an, daß ich sein Vater bin!«

fuhr Arthur sie einmal an.

Guinevere, deren Augen vom Weinen rot waren, wandte nur den Blick ab. Die Bewegungen des Pferdes schaukelten sie vor und zurück, vor und zurück, doch es gelang ihr, auch dabei immer noch graziös zu wirken. »Kein anderer, Lord Prinz«, sagte sie nach langer Pause. »Kein anderer.«

Von da an ging Arthur schweigend weiter. Er wollte meine Gesellschaft nicht, er wollte überhaupt keine Gesellschaft, er wollte allein sein mit seinem Elend, und so schloß ich mich Nimue an, die an der Spitze der Kolonne schritt. Nach ihr kamen die Reiter, dann Guinevere, und meine Speerkämpfer begleiteten den Kessel ganz hinten. Nimue führte uns auf demselben Weg zurück, auf dem wir an die Küste gelangt waren, einem holprigen Pfad, der sich in die kahle Heide hinaufwand, die von dunklen Streifen Eiben und Ginster durchbrochen wurde. »Dann hatte Gorfyddyd also doch recht«, sagte ich nach einer Weile.

»Gorfyddyd?« fragte Nimue, verwundert, daß ich den Namen des alten Königs aus der Vergangenheit hervorholte.

»Im Lugg Vale«, erinnerte ich sie. »Da hat er gesagt, Guinevere sei eine Hure.«

»Und du, Derfel Cadarn«, gab Nimue verächtlich zurück,

»bist wohl ein Fachmann für Huren, ja?«

»Was soll sie denn sonst sein?« fragte ich erbittert.

»Keine Hure«, sagte Nimue. Sie deutete nach vorn, auf ein paar Rauchwölkchen über den fernen Bäumen, die zeigten, wo die Soldaten von Vindocladia ihr Frühstück kochten. »Wir sollten ihnen aus dem Weg gehen«, erklärte Nimue und bog vom Pfad ab, um uns auf ein dichteres Wäldchen zuzuführen, das etwas weiter im Westen stand. Vermutlich hatte die Garnison ja längst erfahren, daß Arthur zum Seepalast gekommen war, und hegte nicht den Wunsch, ihm zu begegnen; dennoch folgte ich Nimue, und die Reiter folgten uns. »Arthurs Fehler war«, sagte sie nach einer Weile, »daß er eine Rivalin geheiratet hat statt einer Gefährtin.«

»Eine Rivalin?«

»Guinevere könnte Dumnonia ebenso gut wie ein Mann regieren«, erklärte Nimue, »sogar besser als die meisten. Sie ist klüger als er und mindestens ebenso entschlossen. Hätte sie Uther zum Vater gehabt statt diesen Narren Leodegan, wäre alles anders verlaufen. Sie wäre eine zweite Boudicca geworden, und es hätte von hier bis zum Westmeer nur noch tote Christen und bis zum Germanischen Meer tote Sachsen gegeben.«

»Boudicca«, wandte ich ein, »hat ihren Krieg verloren.«

»Das hat Guinevere auch«, sagte Nimue grimmig.

»Ich begreife nicht, wieso sie seine Rivalin war«, sagte ich nach einer Weile. »Sie hatte doch Macht. Ich glaube kaum, daß

er je eine Entscheidung getroffen hat, ohne vorher mit ihr zu sprechen.«

»Und er hat mit dem Kronrat gesprochen, an dem keine Frau teilnehmen darf«, gab Nimue scharf zurück. »Versetz dich doch mal in Guineveres Lage, Derfel. Sie ist einfallsreicher als ihr alle zusammen, doch jede ihrer Ideen wurde einem Pack langweiliger, schwerfälliger Männer vorgelegt. Dir und Bischof Emrys und diesem Furz Cythryn, der so tut, als wäre er weise und gerecht, und dann nach Hause geht, seine Frau verprügelt, und sie zusehen läßt, wie er ein Zwergenmädchen zu sich aufs Lager holt. Kronräte! Glaubst du, Dumnonia würde einen Unterschied merken, wenn ihr alle zusammen ertränket?«

»Jeder König braucht einen Kronrat«, sagte ich entrüstet.

»Nicht, wenn er klug ist«, behauptete Nimue. »Warum sollte er auch? Hat Merlin vielleicht einen Kronrat? Braucht Merlin einen Saal voll großspuriger Idioten, die ihm sagen, was er tun soll? Ein Kronrat taugt nur dazu, daß ihr euch alle furchtbar wichtig vorkommt.«

»Er tut viel mehr«, widersprach ich. »Wenn es keinen Kronrat gibt – woher soll der König wissen, was sein Volk denkt?«

»Wen kümmert’s, was diese Narren denken? Gestattet den Leuten, selbständig zu denken, und die Hälfte von ihnen werden Christen. Selbstständig denken, pah!« Sie spie aus.

»Also, was tut Ihr eigentlich in diesem Kronrat, Derfel?

Berichtet Ihr Arthur, was Eure Schäfer sagen? Und Cythryn vertritt wohl die zwergenbumsenden Männer von Dumnonia, ja?« Sie lachte. »Das Volk! Das Volk besteht aus lauter Idioten, deswegen haben sie einen König, und deswegen hat der König Speerkämpfer.«

»Arthur«, widersprach ich trotzig, »hat dem Land eine gute Regierung geschenkt, und zwar, ohne Speerkämpfer gegen das Volk einzusetzen.«

»Und nun sieh dir an, was aus dem Land geworden ist«, gab Nimue zurück. Eine Weile schritt sie schweigend dahin. Dann seufzte sie. »Guinevere hat die ganze Zeit recht gehabt, Derfel. Arthur müßte König sein. Sie wußte es. Sie wollte es. Sie wäre damit sogar glücklich geworden, denn wenn Arthur König wäre, wäre sie Königin, und das hätte ihr die Macht gegeben, die sie benötigt. Aber dein kostbarer Arthur wollte den Thron ja nicht. So edelmütig! All diese heiligen Eide! Und was hat er sich statt dessen gewünscht? Bauer zu sein. Zu leben wie du und Ceinwyn – ein glückliches Heim, Kinder, Lachen.« Wie sie es sagte, erschienen all diese Dinge lächerlich. »Was meinst du wohl«, fragte sie mich, »wieviel Zufriedenheit ein solches Leben Guinevere gebracht hätte? Schon der Gedanke daran langweilte sie! Und das ist alles, was Arthur sich je vom Leben erhoffte. Sie ist eine kluge, scharfsinnige Lady, und er wollte eine Milchkuh aus ihr machen. Wundert es dich da, daß sie sich nach anderen Zerstreuungen umsah?«

»Hurerei?«

»Nun tu nicht so dumm, Derfel! Bin ich eine Hure, nur weil ich mit dir geschlafen habe? Das wäre ja noch schöner!« Wir hatten inzwischen die Bäume erreicht. Nimue wandte sich nach Norden und schritt zwischen Eschen und hohen Ulmen weiter. Die Speerkämpfer folgten uns blindlings, und ich glaube, wenn wir sie im Kreis geführt hätten, sie wären uns auch dann ohne Widerspruch gefolgt – so benommen und überwältigt waren wir alle von den Schrecken der letzten Nacht. »Also hat sie ihren Eheschwur gebrochen«, fuhr Nimue fort. »Glaubst du, sie ist die erste? Oder meinst du, daß sie das zur Hure macht?

Wenn ja, würde Britannien überquellen vor Huren. Nein, sie ist keine Hure, Derfel. Sie ist eine starke Frau, die mit einem scharfen Verstand und Schönheit geboren wurde. Arthur liebte zwar ihre Schönheit, wollte sich ihren Verstand aber nicht zunutze machen. Da er nicht zulassen wollte, daß sie ihn zum König machte, wandte sie sich diesem absurden Isis-Kult zu. Und alles, was Arthur daraufhin tat, war, ihr zu erzählen, wie glücklich sie wäre, wenn er Excalibur an den Nagel hängen und Vieh züchten würde!« Bei dieser Vorstellung lachte sie.

»Und weil es Arthur nie in den Sinn gekommen wäre, ihr untreu zu sein, hegte er auch niemals Argwohn gegen Guinevere. Wir anderen wurden längst mißtrauisch, Arthur nicht. Immer wieder redete er sich ein, seine Ehe sei vollkommen, während er die ganze Zeit meilenweit entfernt war und Guineveres Schönheit die Männer anlockte wie Aas die Fliegen. Und es waren gutaussehende Männer, kluge Männer, geistreiche Männer; es waren Männer, die nach Macht strebten, und einer von ihnen war ein gutaussehender Mann, der alle Macht wollte, die er kriegen konnte, also beschloß

Guinevere, ihm zu helfen. Arthur wünschte sich einen Kuhstall, aber Lancelot will Großkönig von Britannien werden, und Guinevere hält das für eine weit interessantere Herausforderung, als Kühe zu züchten oder Kinderscheiße wegzuputzen. Und diese idiotische Religion bestärkte sie darin. Herrin der Throne!« Sie spie aus. »Sie schlief nicht mit Lancelot, weil sie eine Hure war, du alter Narr, sie schlief mit ihm, damit er Großkönig wurde.«

»Und Dinas?« fragte ich sie. »Und Lavaine?«

»Die waren ihre Priester. Sie halfen ihr, denn in manchen Religionen, Derfel, gehört es zum Gottesdienst, daß Männer und Frauen sich paaren. Und warum auch nicht?« Sie trat gegen einen Stein und beobachtete, wie er durch ein Gewirr von Windenranken davonrollte. »Und glaube mir, Derfel, das waren wirklich zwei gutaussehende Männer. Ich weiß das, weil ich ihnen die Schönheit genommen habe – allerdings nicht wegen dem, was sie mit Guinevere getrieben haben. Ich tat es aus Rache für die Beleidigung, die sie Merlin zugefügt haben. Und für das, was sie deiner Tochter angetan haben.« Ein paar Schritte ging sie schweigend weiter. »Verachte sie nicht, weil sie sich langweilte. Wenn es denn sein muß, verachte sie dafür, daß sie den Kessel gestohlen hat, und sei dankbar, daß Dinas und Lavaine es nicht geschafft haben, seine Macht richtig zu entfesseln. Guinevere hat er jedoch geholfen. Sie hat allwöchentlich in ihm gebadet, und das ist der Grund, warum sie keine einzige Woche älter geworden ist.« Als sie hinter uns Schritte hörte, wandte sie sich um. Es war Arthur, der im Laufschritt kam, um uns einzuholen. Er wirkte immer noch benommen, doch irgendwann in den letzten paar Momenten mußte er gemerkt haben, daß wir vom Weg abgewichen waren.

»Wohin gehen wir?« wollte er wissen.

»Wollt Ihr, daß die Soldaten der Garnison uns sehen?« fragte Nimue und zeigte auf den Rauch der Kochfeuer.

Er antwortete nicht, sondern starrte auf den Rauch, als hätte er so etwas noch nie gesehen. Nimue warf mir einen Blick zu und zuckte dann die Achseln über seine eindeutige Verwirrung.

»Wenn sie kämpfen wollten«, sagte Arthur, »hätten sie schon nach uns Ausschau gehalten.« Seine Augen waren rot und geschwollen, und vielleicht bildete ich es mir nur ein, doch seine Haare schienen grauer geworden zu sein. »Was würdet Ihr tun, wenn Ihr der Feind wärt?« wandte sich Arthur an mich. Er meinte nicht die winzige Garnison von Vindocladia, aber er wollte den Namen Lancelot nicht aussprechen.

»Ich würde versuchen, uns in eine Falle zu locken, Lord«, antwortete ich.

»Wie? Wo?« fragte er gereizt. »Im Norden, nicht wahr? Das ist für uns der schnellste Weg, um freundlich gesinnte Speerkämpfer zu erreichen, das wird ihnen klar sein. Also werden wir nicht nach Norden gehen.« Er sah mich an, und es war fast, als erkenne er mich nicht. »Statt dessen gehen wir ihnen direkt an die Gurgel, Derfel«, sagte er grimmig.

»An die Gurgel, Lord?«

»Wir gehen nach Caer Cadarn.«

Eine Weile blieb ich stumm. Er konnte nicht richtig denken. Kummer und Zorn hatten ihn blind gemacht, und ich fragte mich, wie ich ihm diesen Selbstmord ausreden konnte. »Wir sind vierzig, Lord«, gab ich leise zu bedenken.

»Caer Cadarn«, wiederholte er, ohne meinen Einwand zu beachten. »Wer Caer Cadarn besitzt, besitzt Dumnonia, und wer Dumnonia besitzt, besitzt Britannien. Wenn Ihr nicht mitkommen wollt, Derfel, geht Eurer Wege. Ich jedenfalls gehe nach Caer Cadarn.« Damit wandte er sich ab.

»Lord!« rief ich ihm nach. »Dunum liegt auf unserem Weg!«

Das war eine größere Festung, und obwohl die Garnison zweifellos dezimiert worden war, mochten sich dort noch genug Speerkämpfer befinden, um unsere kleine Streitmacht zu vernichten.

»Es würde mich nicht kümmern, Derfel, wenn sämtliche Festungen Britanniens auf unserem Weg lägen.« Arthur spie mir seine Worte entgegen. »Tut, was Ihr wollt, aber ich gehe nach Caer Cadarn.« Damit eilte er davon und rief den Rittern zu, die Richtung nach Westen einzuschlagen.

Ich schloß die Augen, fest überzeugt, daß mein Lord sterben wollte. Ohne Guineveres Liebe wollte er nur noch sterben. Inmitten des Landes, für das er so lange gekämpft hatte, wollte er unter den Speeren des Feindes fallen. Ich konnte mir keine andere Erklärung vorstellen, warum er diesen kleinen Trupp erschöpfter Speerkämpfer mitten ins Herz der Rebellion führen wollte, es sei denn, er wollte neben Dumnonias Krönungsstein sterben. Doch dann kam mir eine Erinnerung, und ich machte die Augen auf. »Vor langer Zeit«, erklärte ich Nimue, »habe ich mal mit Ailleann gesprochen.« Ailleann war eine irische Sklavin, älter als Arthur, aber sie war ihm eine liebevolle Gefährtin gewesen, bevor er Guinevere kennenlernte; Amhar und Loholt waren ihre undankbaren Söhne. Sie lebte noch, würdevoll und grauhaarig geworden, und zwar vermutlich immer noch unter Belagerung in Corinium. Und nun stand ich verloren im zerschlagenen Dumnonia und hörte über die Jahre hinweg ihre Stimme. »Beobachtet ihn doch einmal«, hatte sie zu mir gesagt, »wenn ihm die Vernichtung droht, wenn alles nur noch Finsternis ist, denn dann wird er Euch in Erstaunen versetzen. Er wird siegen.« Genau das berichtete ich jetzt Nimue. »Und dann hat sie gesagt«, fuhr ich fort, »daß er, sobald er den Sieg errungen hat, seinen üblichen Fehler machen und seinen Feinden vergeben wird.«

»Nicht dieses Mal«, widersprach Nimue. »Nicht dieses Mal. Der Narr hat seine Lektion gelernt, Derfel. Also, was wirst du tun?«

»Das, was ich immer tue«, antwortete ich. »Mit ihm gehen.«

Dem Feind an die Gurgel. Nach Caer Cadarn.

An jenem Tag schien Arthur von einer hektischen, verzweifelten Energie getrieben zu sein, fast so, als läge die Lösung all seiner traurigen Probleme auf dem Gipfel von Caer Cadarn. Er machte keinen Versuch, seine kleine Streitmacht zu verstecken, sondern marschierte mit uns unter dem flatternden Bärenbanner nach Nordwesten. Er ritt auf dem Pferd eines anderen Mannes, aber er trug seine berühmte Rüstung, damit jeder sehen konnte, wer es war, der da ins Herz des Landes hineinritt. Er ritt so schnell, wie meine Speerkämpfer marschieren konnten, und wenn eins der Pferde sich am Huf verletzte, ließ er es einfach laufen und drängte weiter. Er wollte unbedingt den Caer erreichen.

Zunächst aber kamen wir nach Dunum. Die Alten hatten eine große Festung auf Dunums Hügel angelegt, die Römer hatten einen eigenen Wall hinzugefügt, und Arthur hatte die Befestigungsanlagen reparieren lassen, um eine starke Garnison dort zu stationieren. Die Soldaten dort hatten nie eine Schlacht erlebt, aber wenn Cerdic je an der dumnonischen Küste angreifen sollte, würde Dunum eins seiner ersten größeren Hindernisse darstellen; deswegen hatte Arthur dafür gesorgt, daß die Festung trotz der langen Friedensjahre nicht verfiel. Hoch über den Wällen wehte ein Banner, und als wir näher kamen, erkannten wir, daß es nicht der Seeadler war, sondern der rote Drachen. Dunum war loyal geblieben. Dreißig Mann waren von der Garnison noch übrig. Die anderen waren entweder Christen gewesen und desertiert, oder hatten, weil sie fürchteten, daß Mordred und Arthur beide tot waren, jeden Widerstand aufgegeben und sich davongemacht. Lanval jedoch, der Befehlshaber der Garnison, hatte zu seiner schrumpfenden Streitmacht gehalten und wider jede Vernunft gehofft, daß sich die bösen Nachrichten als falsch erwiesen. Jetzt, da Arthur eingetroffen war, führte Lanval seine Männer zum Tor hinaus, während Arthur aus dem Sattel glitt und den alten Kämpen mit einer herzlichen Umarmung begrüßte. So waren wir jetzt siebzig Speerkämpfer statt vierzig, und wieder mußte ich an Ailleanns Worte denken. Wenn man überzeugt ist, er sei geschlagen, hatte sie zu mir gesagt, beginnt er zu siegen.

Lanval ritt im Schritt neben mir einher und berichtete, wie Lancelots Speerkämpfer an der Festung vorbeigezogen waren.

»Wir konnten sie nicht aufhalten«, sagte er verbittert, »und sie haben uns nicht herausgefordert. Sie haben nur versucht, mich zur Übergabe zu bewegen. Ich antwortete, daß ich Mordreds Banner einholen werde, sobald mir Arthur den Befehl dazu gebe, und daß Arthur tot sei, werde ich erst glauben, wenn er mir seinen Kopf auf einem Schild bringe.« Arthur mußte ihm etwas über Guinevere gesagt haben, denn Lanval wich ihr aus, obwohl er einst der Befehlshaber ihrer Leibgarde gewesen war. Als ich ihm ein wenig von dem erzählte, was sich im Seepalast abgespielt hatte, schüttelte er bedrückt den Kopf. »Sie und Lancelot haben’s in Durnovaria getrieben«, sagte er. »In diesem Tempel, den sie sich da eingerichtet hatte.«

»Das wußtet Ihr?« fragte ich erschrocken.

»Ich wußte es nicht«, gab er müde zurück, »aber ich habe Gerüchte gehört, Derfel, nur Gerüchte, und wollte nichts Näheres wissen.« Er spie an den Wegesrand. »Ich war an dem Tag dabei, an dem Lancelot aus Ynys Trebes kam, und kann mich gut daran erinnern, daß die beiden die Blicke nicht voneinander wenden konnten. Später haben sie es natürlich verborgen, und Arthur hegte nicht den geringsten Verdacht. Außerdem hat er es ihnen so leicht gemacht! Er hat ihr vertraut, und er war nie zu Hause. Ständig war er unterwegs, um eine Festung zu inspizieren oder um irgendwo über jemanden zu Gericht zu sitzen.« Lanval schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle nicht, daß sie es als Religion bezeichnet, Derfel, aber ich sage Euch, wenn diese Lady in jemanden verliebt ist, dann ist es Lancelot.«

»Ich glaube, daß sie Arthur liebt«, entgegnete ich.

»Das mag wohl sein, aber er ist zu aufrichtig für sie. In Arthurs Herz wohnt kein Geheimnis, alles steht ihm ins Gesicht geschrieben, während sie das Hintergründige liebt. Es ist Lancelot, bei dem ihr Herz schneller schlägt, sage ich Euch.« Und es war Guinevere, dachte ich traurig, bei der Arthurs Herz schneller schlug – was gegenwärtig in seinem Herzen geschah, wagte ich mir nicht vorzustellen. Die Nacht verbrachten wir im Freien. Meine Männer bewachten Guinevere, die sich mit Gwydre beschäftigte. Von ihrem Schicksal war bisher nicht gesprochen worden, und keiner von uns mochte Arthur danach fragen, also behandelten wir sie alle mit distanzierter Höflichkeit. Sie behandelte uns ebenso, erbat keine Gefälligkeiten und ging Arthur aus dem Weg. Als es Nacht wurde, erzählte sie Gwydre Geschichten; doch als er eingeschlafen war, sah ich, daß sie sich neben ihm vor und zurück wiegte und leise weinte. Arthur sah es ebenfalls, denn auch er begann zu weinen und ging davon bis zum Rand des Hügels, damit niemand sein Elend mit ansehen konnte.

Bei Morgengrauen brachen wir wieder auf, und unser Weg führte uns in eine liebliche Landschaft hinab, sanft beschienen von der Sonne, die in einen wolkenlosen Himmel emporstieg. Dies war das Dumnonia, für das Arthur kämpfte, ein reiches, fruchtbares Land, das die Götter so wunderschön gemacht hatten. Die Dörfer hatten dicke Strohdächer und große Obstgärten, obwohl zu viele Hüttenwände das Zeichen des Fisches trugen, während andere niedergebrannt waren. Doch mir fiel auf, daß die Christen Arthur nicht mehr beleidigten, wie sie es vor einiger Zeit noch getan hätten, und das ließ mich vermuten, daß sich das Fieber, das in Dumnonia gewütet hatte, allmählich legte. Zwischen den Dörfern wand sich die Straße zwischen rosa Brombeerblüten und leuchtend bunten Wiesen voll blühendem Klee, Butterblumen und Mohnblumen dahin. Weidenlaubsänger und Goldammern, die letzten Vögel, die ihr Nest bauten, flogen mit Strohhalmen im Schnabel vorüber, und weiter oben, über ein paar Eichen, sah ich einen Falken, der sich in die Lüfte schwang; doch dann erkannte ich, daß es kein Falke war, sondern ein junger Kuckuck, der seine ersten Flugversuche machte. Und das, fand ich, sei ein gutes Zeichen, denn wie der junge Kuckuck sah Lancelot einem Falken nur ähnlich und war in Wirklichkeit nichts weiter als ein Usurpator. Wenige Meilen vor Caer Cadarn machten wir an einem kleinen Kloster halt, das an einer heiligen Quelle in einem Eichenhain errichtet worden war. Dies war einmal ein Druidenschrein gewesen, doch nun bewachte der Christengott das Wasser; aber der Gott vermochte nichts gegen meine Speerkämpfer auszurichten, die das Tor der Palisade auf Arthurs Befehl aufbrachen und ein Dutzend Mönche ihrer braunen Kutten beraubten. Der Bischof des Klosters weigerte sich, eine Bezahlung dafür anzunehmen, und bedachte Arthur statt dessen mit Flüchen, woraufhin Arthur, dessen Zorn jetzt unbezähmbar war, den Bischof niederschlug. Wir ließen ihn blutend in der heiligen Quelle liegen und marschierten gen Westen. Der Bischof hieß Carannog und ist heutzutage ein Heiliger. Arthur hat, denke ich manchmal, mehr Menschen zu Heiligen gemacht als Gott.

Wir erreichten Caer Cadarn über den Hügel Pen, machten aber unterhalb der Kuppe halt, bevor wir von den Wällen aus zu sehen waren. Arthur wählte ein Dutzend Speerkämpfer aus und befahl ihnen, sich die Haare zur Christentonsur scheren zu lassen und anschließend die Mönchskutten anzuziehen. Das Scheren übernahm Nimue, die alle abgeschnittenen Haare in einem Beutel sammelte, damit sie in Sicherheit waren. Ich wollte einer von den zwölfen sein, aber Arthur schlug mir die Bitte ab. Wer immer am Tor von Caer Cadarn Einlaß begehrte, erklärte er mir, dürfe kein Gesicht haben, das erkannt werden könnte.

Issa, der sich ebenfalls dem Messer anvertraute, grinste mir zu, nachdem er die Haare auf der vorderen Hälfte seines Schädels geopfert hatte. »Sehe ich aus wie ein Christ, Lord?«

»Wie dein Vater siehst du aus«, gab ich zurück. »Kahlköpfig und häßlich.«

Die zwölf Männer trugen Schwerter unter den Kutten, aber keine Speere. Wir schlugen die Speerspitzen von den Schäften und gaben ihnen die Stangen als Waffen mit. Ihre geschorenen Stirnen waren blasser als ihre Gesichter, doch wenn sie die Kapuzen der Kutten über den Kopf gezogen hatten, würden sie als Mönche durchgehen. »Los!« sagte Arthur zu ihnen. Militärisch gesehen war Caer Cadarn unbedeutend, aber als Symbol von Dumnonias Königtum war es von unschätzbarem Wert. Aus diesem Grund würde die alte Festung schwer bewacht sein, das war uns klar, und unsere zwölf falschen Mönche würden nicht nur Mut, sondern auch Glück brauchen, wenn sie die Wachen überlisten und dazu bringen wollten, das Tor zu öffnen. Nimue gab ihnen einen beschützenden Zauberspruch mit auf den Weg, dann kletterten sie über die Kuppe des Pen und schritten im Gänsemarsch den Hang hinab. Vielleicht lag es daran, daß wir den Kessel mit uns führten, vielleicht lag es auch an Arthurs gewohntem Kriegsglück, jedenfalls funktionierte unsere List. Arthur und ich lagen im warmen Gras der Hügelkuppe und beobachteten, wie Issa und seine Männer den steilen Westhang des Pen hinabschlitterten und -stolperten, die weiten Wiesen überquerten und dann auf der anderen Seite den steilen Pfad emporklommen, der zu Caer Cadarns Osttor führte. Sie gaben vor, Flüchtlinge zu sein, die vor einem Überfall von Arthurs Reitern davongelaufen waren, und schienen die Wachen mit ihrer Geschichte zu überzeugen, denn diese öffneten ihnen anstandslos die Torflügel. Issas Männer töteten die Wachen und griffen sich die Speere und Schilde der Toten, damit sie das kostbare offene Tor verteidigen konnten. Auch dies verziehen die Christen Arthur niemals.

In dem Moment, da Arthur sah, daß das Tor des Caer erobert worden war, schwang er sich auf Llamreis Rücken.

»Vorwärts!« rief er, und seine zwanzig Reiter trieben ihre Pferde über die Kuppe des Pen und den steilen Grashang hinab. Zehn Mann folgten Arthur zur Festung hinauf, während die übrigen zehn um den Fuß des Caer Cadarn herumgaloppierten, um den Kriegern der Garnison die Flucht abzuschneiden. Wir anderen folgten. Lanval, dem Guinevere anvertraut worden war, kam etwas langsamer hinterdrein, meine Männer stürmten jedoch rücksichtslos den Abhang hinab und dann den steinigen Pfad des Caer hinauf bis dahin, wo Issa und Arthur auf uns warteten. Sobald das Tor gefallen war, hatte die Garnison auch nicht die geringste Gegenwehr gezeigt. Es waren fünfzig Speerkämpfer dort, die meisten kampfverletzte Veteranen oder Jünglinge, immerhin aber noch mehr als genug Männer, um die Wälle gegen unsere kleine Streitmacht verteidigen zu können. Die wenigen, welche die Flucht versuchten, wurden sehr schnell von unseren Reitern eingefangen und in die Festung zurückgebracht. Issa und ich waren inzwischen zur Brustwehr über dem Westtor hinübergegangen, um dort Lancelots Banner einzuholen und statt dessen Arthurs Bären zu hissen. Nimue verbrannte die abgeschnittenen Haare und spie dann die verängstigten Mönche an, die auf dem Caer lebten, um den Bau von Sansums großer Kirche zu überwachen.

Diese Mönche, die weit mehr Kampflust gezeigt hatten als die Krieger der Garnison, hatten bereits das Fundament für die Kirche ausgehoben und mit Steinen aus dem Steinkreis ausgekleidet, der auf dem Gipfel des Caer gestanden hatte. Sie hatten die Festhalle halb niedergerissen und das Holz dazu verwendet, die Wände der Kirche aufzubauen, die in Gestalt eines Kreuzes angelegt war. »Das wird ein hübsches Feuerchen geben«, verkündete Issa fröhlich und rieb sich die frisch geschnittene Tonsur.

Da Guinevere und ihr Sohn also die Halle nicht nutzen konnten, wurde ihnen die größte Hütte auf dem Caer zugewiesen. Es war das Heim einer Speerkämpferfamilie, die vertrieben wurde, damit man Guinevere dort einquartieren konnte. Sie betrachtete das primitive Lager aus Roggenstroh und die Spinnweben im Dachgebälk und erschauerte. Lanval stellte einen Speerkämpfer vor die Tür. Dann sah er zu, wie Arthurs Reiter den Befehlshaber der Garnison

herbeischleppten, einen jener Männer, die einen Fluchtversuch unternommen hatten.

Der besiegte Befehlshaber war Loholt, einer von Arthurs mürrischen Zwillingssöhnen, die ihrer Mutter Ailleann das Leben zur Qual gemacht und ihrem Vater immer nur Abneigung entgegengebracht hatten. Jetzt wurde Loholt, der in Lancelot seinen Lord gefunden hatte, an den Haaren vor seinen Vater gezerrt.

Loholt fiel auf die Knie. Arthur starrte ihn lange an. Dann wandte er sich ab und ging davon. »Vater!« rief Loholt. Arthur jedoch beachtete ihn nicht.

Er schritt zur Reihe der Gefangenen hinüber. Einige der Männer kannte er, denn sie hatten ihm einst gedient, während andere aus Lancelots Belgenreich stammten. Diese Männer, neunzehn an der Zahl, wurden in die halb aufgebaute Kirche geführt und dort getötet. Es war eine harte Strafe, aber Arthur war nicht in der Stimmung, Männern gegenüber Gnade walten zu lassen, die in sein Land eingedrungen waren. Er befahl meinen Männern, sie zu töten, und das taten sie. Die Mönche protestierten, und die Frauen und Kinder der Gefangenen schrien auf uns ein, bis ich befahl, sie allesamt zum Osttor zu führen und kurzerhand hinauszuwerfen.

Einunddreißig Gefangene verblieben, alles Dumnonier. Arthur zählte ihre Reihen ab und wählte sechs Mann von ihnen aus: den fünften, den zehnten, den fünfzehnten, den zwanzigsten, den fünfundzwanzigsten und den dreißigsten.

»Tötet sie!« befahl er mir kalt, also trieb ich die sechs Männer in die Kirche und warf ihre Leichen zu den anderen auf den blutigen Haufen. Die restlichen Gefangenen knieten nieder und küßten einer nach dem anderen Arthurs Schwert, um ihren Treueid zu erneuern. Doch bevor er die Klinge küssen durfte, wurde jeder Mann dazu gezwungen, vor Nimue niederzuknien, die ihn mit einer Speerspitze, die sie in einem Kochfeuer rotglühend hielt, auf der Stirn zeichnete. Damit waren die Männer als Krieger, die sich gegen ihren Eidlord erhoben hatten, gebrandmarkt, und das Brandmal auf ihrer Stirn bedeutete, daß sie sofort getötet werden würden, wenn sie sich je wieder als treulos erwiesen. Solange ihre Stirnen brannten und schmerzten, waren sie eher zweifelhafte Verbündete; aber Arthur hatte noch immer über achtzig Mann, also ein richtiges kleines Heer, zur Verfügung.

Loholt wartete auf den Knien. Er war noch sehr jung, mit frischem Gesicht und mickrigem Bart, an dem Arthur ihn jetzt packte und zum Krönungsstein zerrte, der alles war, was von dem uralten Kreis geblieben war. Neben dem Stein schleuderte er seinen Sohn zu Boden. »Wo ist dein Bruder?« fragte er ihn.

»Bei Lancelot, Lord.« Loholt zitterte. Der Gestank nach verbranntem Fleisch versetzte ihn in Angst und Schrecken.

»Und wo ist das?«

»Sie sind nach Norden gegangen, Lord.« Loholt blickte zu seinem Vater auf.

»Dann darfst du ihnen folgen«, sagte Arthur, und Loholts Gesicht verriet tiefste Erleichterung darüber, daß er am Leben bleiben durfte. »Aber sag mir zuerst«, fuhr Arthur mit eiskalter Stimme fort, »warum du die Hand gegen deinen Vater erhoben hast.«

»Alle haben mir gesagt, daß Ihr tot seid, Lord.«

»Und was hast du getan, mein Sohn, um meinen Tod zu rächen?« fragte Arthur. Er wartete auf eine Antwort, aber Loholt hatte offenbar keine. »Und als du hörtest, daß ich noch lebe«, fuhr Arthur fort, »warum hast du da immer noch gegen mich gekämpft?«

Loholt sah in das unerbittliche Gesicht seines Vaters empor und schien von irgendwoher Mut zu schöpfen. »Ihr wart niemals ein Vater für uns«, warf er Arthur verbittert vor. Arthurs Gesicht verzog sich wie im Krampf, und ich dachte schon, er werde einen schrecklichen Wutanfall bekommen –, doch als er dann sprach, war seine Stimme sonderbar ruhig.

»Leg deine rechte Hand auf den Stein«, befahl er Loholt. Loholt dachte, er solle einen Eid ablegen, daher legte er gehorsam die Hand auf die Mitte des Krönungsstein. Als Arthur jedoch Excalibur zog, begriff Loholt, was sein Vater zu tun beabsichtigte, und zog die Hand hastig zurück. »Nein!«

schrie er entsetzt. »Bitte nicht!«

»Haltet sie fest, Derfel«, sagte Arthur.

Loholt wehrte sich gegen mich, aber er konnte nichts gegen meine Kraft ausrichten. Um ihn gefügig zu machen, schlug ich ihn ins Gesicht; dann entblößte ich seinen rechten Arm bis zum Ellbogen, zwang ihn flach auf den Stein und hielt ihn dort fest, während Arthur die Klinge hob. Loholt weinte. »Nicht, Vater!

Bitte!«

Aber Arthur kannte an jenem Tag keine Gnade. Und noch viele Tage danach nicht. »Du hast die Hand gegen den eigenen Vater erhoben, Loholt, und dafür wirst du sowohl den Vater als auch die Hand verlieren. Von nun an bist du nicht mehr mein Sohn.« Mit diesem fürchterlichen Fluch hieb er mit dem Schwert zu, und als Loholt mit unerwarteter Heftigkeit zurückzuckte, ergoß sich ein Strom von Blut über den Stein. Loholt kreischte, als er den blutenden Stumpf hob, starrte entsetzt auf seine abgeschnittene Hand und wimmerte vor Schmerz und Qual. »Verbindet ihn«, befahl Arthur Nimue.

»Danach kann der kleine Narr verschwinden.« Ohne sich umzusehen, ging er davon.

Mit der Fußspitze schleuderte ich die abgetrennte Hand mit den zwei armseligen Kriegerringen vom Königstein. Da Arthur Excalibur ins Gras geworfen hatte, hob ich die Klinge auf und legte sie ehrfürchtig quer über die Blutlache. Weil ich es für angemessen hielt. Das richtige Schwert auf den richtigen Stein. Und es hatte so viele Jahre gedauert, um es dorthin zu legen.

»Jetzt warten wir, bis der Bastard zu uns kommt«, verkündete Arthur voll Ingrimm.

Er konnte Lancelots Namen noch immer nicht aussprechen.

Lancelot erschien zwei Tage später.

Seine Rebellion brach in sich zusammen, aber das wußten wir damals noch nicht. Sagramor, verstärkt durch die ersten zwei Abteilungen Speerkämpfer aus Powys, hatte Cerdics Männern bei Corinium den Weg abgeschnitten, und die Sachsen konnten nur entkommen, indem sie einen

verzweifelten nächtlichen Gewaltmarsch unternahmen. Dennoch verloren sie über fünfzig Mann an Sagramors Wüten. Cerdics Grenze lag noch immer viel weiter westlich als zuvor; aber die Nachricht, daß Arthur lebte und Caer Cadarn eingenommen hatte, sowie die Bedrohung durch Sagramors unerbittlichen Haß waren für Cerdic Grund genug, seinen Verbündeten Lancelot im Stich zu lassen. Er zog sich auf seine neue Grenze zurück und schickte Männer aus, um zu erobern, was sie von Lancelots belgischem Land erobern konnten. Wenigstens Cerdic hatte von der Rebellion profitiert. Lancelot kam mit seinem Heer nach Caer Cadarn. Der harte Kern dieses Heeres waren Lancelots Sachsengarde und zweihundert Belgenkrieger, der von einem Landsturm aus Hunderten von Christen verstärkt worden war. Die Christen waren überzeugt, Gottes Werk zu tun, indem sie Lancelot dienten; aber die Nachricht, daß Arthur den Caer erobert hatte, und die Angriffe, die Morfans und Galahad südlich von Glevum vortrugen, verwirrten und entmutigten sie. Die Christen begannen zu desertieren, doch mindestens zweihundert hielten weiterhin zu Lancelot, als er zwei Tage nach unserer Eroberung des Königshügels in der

Abenddämmerung eintraf. Er hatte immer noch eine Chance, sein neues Königreich zu behalten, wenn er nur den Mut hatte, Arthur anzugreifen; aber er zögerte, und am folgenden Tag schickte mich Arthur mit einer Botschaft zu ihm hinunter. Zum Zeichen dafür, daß ich gekommen war, um zu verhandeln, und nicht, um zu kämpfen, trug ich meinen Schild umgekehrt und hatte einen Zweig Eichenlaub an meinen Speer gebunden. Ein Häuptling der Belgen kam mir entgegen und schwor, den Waffenstillstand zu halten, bevor er mich zu dem Palast in Lindinis brachte, wo Lancelot Quartier genommen hatte. Bewacht von mürrischen Speerkämpfern, wartete ich im äußeren Hof, während Lancelot sich zu entscheiden versuchte, ob er mit mir sprechen sollte oder nicht.

Über eine Stunde mußte ich warten, aber schließlich kam Lancelot doch. Er war in seine weißemaillierte

Schuppenrüstung gekleidet, trug seinen vergoldeten Helm unter dem Arm und die Christusklinge an der Seite. Amhar und der inzwischen verbundene Loholt standen hinter ihm, seine Sachsengarde und ein Dutzend Häuptlinge bildeten die Flanken, während Bors, sein Champion, neben ihm stand. Alle rochen sie nach Niederlage. Ich witterte den Geruch an ihnen wie den von fauligem Fleisch. Lancelot hätte uns auf dem Caer umzingeln, Morfans und Galahad vernichtend schlagen und dann zurückkehren können, um uns auszuhungern, aber er hatte den Mut verloren. Er wollte nur noch überleben. Sansum, stellte ich ironisch fest, war nirgendwo zu sehen. Der Mäuselord wußte, wann er sich unsichtbar machen mußte.

»So sehen wir uns wieder, Lord Derfel«, begrüßte mich Bors an Stelle seines Herrn.

Ich beachtete Bors nicht. »Lancelot«, wandte ich mich direkt an den König, verweigerte ihm aber die Ehre, ihn mit seinem Rang anzusprechen, »mein Lord Arthur wird Euren Männern Gnade erweisen – unter einer Bedingung.« Ich sprach so laut, daß alle Speerkämpfer im Hof mich hören konnten. Die meisten Krieger trugen Lancelots Seeadler auf ihren Schilden, einige hatten sich jedoch Kreuze oder den Doppelbogen des Fisches auf den Schild gemalt. »Und diese Bedingung ist, daß

Ihr gegen unseren Champion kämpft«, fuhr ich fort. »Mann gegen Mann, Schwert gegen Schwert. Wenn Ihr überlebt, habt Ihr freien Abzug und dürft Eure Männer mit Euch nehmen; wenn Ihr sterbt, haben Eure Männer dennoch freien Abzug. Selbst wenn Ihr es vorzieht, nicht zu kämpfen, wird Euren Männern noch Pardon gewährt – allen bis auf jene, die früher unserem Lord König Mordred verschworen waren. Die werden getötet werden.« Es war ein heimtückisches Angebot. Wenn Lancelot kämpfte, rettete er damit das Leben der Männer, die die Seiten gewechselt hatten, um ihm zu helfen – wenn er die Herausforderung zurückwies, würde er sie damit zum Tode verurteilen, und sein kostbarer Ruf würde leiden. Lancelot tauschte einen Blick mit Bors, dann wandte er sich wieder zu mir. Wie ich ihn verachtete in diesem Moment! Er hätte gegen uns kämpfen müssen, statt sich die Füße im Außenhof von Lindinis zu vertreten, aber er hatte sich von Arthurs Wagemut einschüchtern lassen. Er wußte nicht, wie viele Männer wir hatten, er konnte nur sehen, daß die Wälle des Caer von Speerspitzen starrten, und dieser Anblick hatte ihm jeden Kampfeswillen geraubt. Er beugte sich zu seinem Cousin hinüber und wechselte ein paar Worte mit ihm. Nachdem Bors ihm geantwortet hatte, richtete Lancelot den Blick wieder auf mich, und ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Bors, mein Champion«, sagte er, »akzeptiert Arthurs Herausforderung.«

»Das Angebot verlangt, daß Ihr kämpft«, gab ich zurück.

»Und nicht, daß jemand Eure zahme Sau verschnürt und abschlachtet.«

Bors stieß ein bedrohliches Grollen aus und hatte sein Schwert schon halb aus der Scheide gezogen, als der Belgenhäuptling, der für meine Sicherheit garantierte, mit seinem Speer vortrat. Bors gab nach.

»Und Arthurs Champion?« erkundigte sich Lancelot. »Ist das vielleicht Arthur selbst?«

»Nein.« Ich lächelte. »Um diese Ehre habe ich gebeten«, antwortete ich ihm, »und sie wurde mir zuteil. Ich will mich für die Kränkung rächen, die Ihr Ceinwyn angetan habt. Ihr wolltet sie nackt durch Ynys Wydryn treiben, ich aber werde Euren nackten Leichnam durch ganz Dumnonia schleppen. Und was meine Tochter betrifft«, fuhr ich fort, »deren Tod ist inzwischen gerächt. Eure Druiden liegen tot auf der linken Seite, Lancelot. Ihre Leichen wurden nicht verbrannt, und ihre Seelen wandern.«

Lancelot spie mir vor die Füße. »Richtet Arthur aus«, sagte er, »daß ich ihm meine Antwort um Mittag sende.« Damit wandte er sich ab.

»Habt Ihr auch eine Nachricht für Guinevere?« fragte ich ihn. Diese Frage veranlaßte ihn, sich noch einmal umzudrehen.

»Eure Geliebte ist auf dem Caer«, erklärte ich ihm. »Wollt Ihr wissen, was mit ihr geschehen wird? Arthur hat mir mitgeteilt, welches Schicksal sie erwartet.«

Voller Abscheu starrte er mich an, spie noch einmal aus, machte dann kehrt und ging davon. Ich tat das gleiche. Als ich auf den Caer zurückkehrte, fand ich Arthur auf der Brustwehr über dem Westtor, wo er mir vor vielen Jahren die Pflichten eines Soldaten erläutert hatte. Dessen Pflicht sei es, wie er mir sagte, für jene in die Schlacht zu ziehen, die nicht für sich selbst kämpfen konnten. Das war seine Überzeugung, und all die vielen Jahre hatte er für das Kind Mordred gekämpft. Und jetzt, da er endlich für sich selbst kämpfte, hatte er all das verloren, was ihm am teuersten war. Ich überbrachte ihm Lancelots Antwort. Er nickte schweigend und winkte mich dann wieder davon.

Später an jenem Vormittag schickte Guinevere Gwydre zu mir, um mich zu sich zu bitten. Der Knabe erkletterte die Wälle, auf denen ich mit meinen Männern stand, und zupfte mich am Mantel. »Onkel Derfel?« Mit mattem Lächeln blickte er zu mir empor. »Mutter möchte Euch sprechen.« Er sagte es ängstlich, mit Tränen in den Augen.

Ich warf einen Blick zu Arthur hinüber, aber der interessierte sich nicht für uns. Also stieg ich die Treppe hinab und ging mit Gwydre zur Hütte des Speerkämpfers. Es muß Guineveres verletzten Stolz bis ins Mark getroffen haben, daß sie mich zu sich bitten mußte; aber sie wollte Arthur eine Nachricht zukommen lassen und wußte, daß ihm niemand auf Caer Cadarn so nahestand wie ich. Als ich durch die Tür in die Hütte schlüpfte, erwartete sie mich stehend. Ich verneigte mich vor ihr. Dann wartete ich, während sie Gwydre anwies, zu seinem Vater zu laufen und sich mit ihm zu unterhalten. Die Hütte war gerade eben hoch genug, daß Guinevere aufrecht stehen konnte. Ihr Gesicht war abgehärmt, fast eingefallen, doch irgendwie verlieh ihr die Traurigkeit eine durchscheinende Schönheit, die ihre gewohnte stolze Miene nie zugelassen hatte. »Nimue sagt mir, daß Ihr mit Lancelot gesprochen habt«, begann sie so leise, daß ich mich vorbeugen mußte, um sie zu verstehen.

»Ja, Lady. Das ist richtig.«

Ihre rechte Hand spielte unbewußt mit den Falten ihres Gewandes. »Hat er Euch eine Nachricht mitgegeben?«

»Nein, Lady.«

Mit ihren großen, grünen Augen starrte sie mich an. »Bitte, Derfel«, sagte sie leise.

»Ich habe ihn aufgefordert, etwas zu sagen, Lady. Er hat geschwiegen.«

Sie sank auf eine primitive Bank. Eine Zeitlang schwieg sie, während ich beobachtete, wie sich eine Spinne aus dem Dachstroh herabließ und ihren Faden immer weiter auf ihre Haare herunterspann. Wie gebannt war ich von dem Insekt und fragte mich, ob ich es wegwischen oder in Ruhe lassen sollte.

»Was habt Ihr zu ihm gesagt?« wollte sie wissen.

»Ich erbot mich, mit ihm zu kämpfen, Lady, Mann gegen Mann, Hywelbane gegen die Christusklinge. Und dann versprach ich ihm, seinen nackten Leichnam durch ganz Dumnonia zu schleppen.«

Heftig schüttelte sie den Kopf. »Kämpfen!« sagte sie zornig,

»das ist alles, was ihr Rohlinge tun könnt!« Ein paar Sekunden lang schloß sie die Augen. »Es tut mir leid, Lord Derfel«, sagte sie dann kleinlaut. »Ich dürfte Euch nicht beleidigen, solange ich Euch brauche, um Lord Arthur eine Bitte vorzutragen.« Als sie zu mir aufblickte, erkannte ich, daß sie nicht weniger gebrochen war als Arthur. »Werdet Ihr das für mich tun?«

fragte sie mich.

»Welche Bitte, Lady?«

»Bittet ihn, mich gehen zu lassen, Derfel. Sagt ihm, ich werde übers Meer fahren. Sagt ihm, er kann unseren Sohn behalten, und daß es wirklich unser Sohn ist und daß ich fortgehen werde und daß er nie wieder etwas von mir sehen und hören wird.«

»Ich werde ihn fragen, Lady«, gab ich zurück.

Sie hörte den Zweifel aus meiner Stimme heraus und sah mich traurig an. Die Spinne war in ihren dichten, roten Haaren verschwunden. »Meint Ihr, er wird es mir verweigern?« fragte sie mich mit ganz kleiner, ängstlicher Stimme.

»Lady«, antwortete ich, »er liebt Euch. Er liebt Euch so sehr, daß ich glaube, er wird Euch niemals gehen lassen.«

Eine Träne trat ihr ins Auge und rollte ihre Wange hinab.

»Aber was wird er dann mit mir machen?« fragte sie. Ich antwortete nicht. »Was wird er mit mir machen, Derfel?«

fragte mich Guinevere plötzlich wieder mit ihrer alten Energie.

»Sagt es mir!«

»Er wird Euch irgendwo hinbringen, wo Ihr in Sicherheit seid, Lady«, antwortete ich bedächtig, »und Euch dort unter Bewachung festhalten.« Und tagtäglich, dachte ich, wird er an sie denken, jede Nacht wird er ihr Bild im Traum sehen, und an jedem Morgen wird er sich im Bett umdrehen und entdecken, daß sie verschwunden ist. »Ihr werdet gut behandelt werden, Lady«, versicherte ich ihr freundlich.

»Nein!« weinte sie. Sie hätte den Tod erwarten können, doch die Aussicht auf endlose Gefangenschaft schien für sie noch schlimmer zu sein. »Bittet ihn, mich gehen zu lassen, Derfel. Sagt ihm einfach, er soll mich gehen lassen!«

»Ich werde ihn fragen«, versprach ich ihr, »aber ich glaube kaum, daß er es tun wird. Ich glaube, daß er es gar nicht tun kann

Jetzt weinte sie richtig, das Gesicht in den Händen verborgen, und obwohl ich dastand und wartete, sagte sie nichts mehr. Also entfernte ich mich aus der Hütte. Gwydre hatte die Gesellschaft seines Vaters zu bedrückend gefunden und wollte zu seiner Mutter zurückkehren; aber ich nahm ihn mit mir und ließ ihn dabei helfen, Excalibur zu reinigen und zu schleifen. Der arme Gwydre war verängstigt, denn er begriff nicht, was geschehen war, und weder Guinevere noch Arthur konnten es ihm erklären. »Deine Mutter ist sehr krank«, erzählte ich ihm, »und du weißt ja, daß Kranke manchmal allein sein müssen.« Dabei lächelte ich ihn an. »Vielleicht darfst du mit mir kommen und bei Morwenna und Seren leben.«

»Darf ich?«

»Ich glaube, deine Eltern werden es gestatten«, sagte ich,

»und ich fände es wirklich schön. Aufgepaßt, das Schwert nicht so scheuern! Du mußt es schleifen. Mit langen, gleichmäßigen Strichen. So!«

Gegen Mittag ging ich zum Westtor hinüber und hielt nach Lancelots Boten Ausschau. Aber er kam nicht. Lancelots Heer zerstreute sich wie Sand, der vom Regen von einem Stein gewaschen wird. Einige gingen nach Süden, und mit ihnen ritt Lancelot, dessen Schwanenschwingen auf dem Helm hell und weiß leuchteten, als er davonritt; aber die meisten Männer kamen auf die Wiese am Fuß des Caer, legten dort ihre Speere, Schilde und Schwerter nieder und knieten im Gras, um auf Arthurs Gnade zu warten.

»Ihr habt gesiegt, Lord«, sagte ich.

»Ja, Derfel«, antwortete er im Sitzen, »das sieht so aus.« Sein neuer Bart, so seltsam grau, machte ihn älter. Nicht schwächer, aber älter und härter. Er stand ihm gut. Über seinem Kopf ließ

ein Windstoß das Bärenbanner flattern.

Ich setzte mich zu ihm. »Prinzessin Guinevere«, begann ich, während ich beobachtete, wie das feindliche Heer weiter unten die Waffen niederlegte und im Gras kniete, »hat mich gebeten, Euch eine Bitte vorzutragen.« Er antwortete nicht. Er sah mich nicht einmal an. »Sie möchte …«

»… weggehen«, fiel er mir ins Wort.

»Ja, Lord.«

»Mit ihrem Seeadler«, sagte er verbittert.

»Das hat sie nicht gesagt, Lord.«

»Wohin sonst sollte sie gehen?« fragte er und richtete seinen eiskalten Blick auf mich. »Hat er nach ihr gefragt?«

»Nein, Lord. Er hat kein Wort gesagt.«

Darüber lachte Arthur, aber es war ein grausames Lachen.

»Arme Guinevere«, sagte er, »arme, arme Guinevere. Er liebt sie nicht, stimmt’s? Sie war nur ein schönes Spielzeug für ihn, ein weiterer Spiegel, in dem er die eigene Schönheit bewundern konnte. Das muß sie treffen, Derfel, das muß sie sehr tief treffen.«

»Sie bittet Euch, sie freizulassen«, wiederholte ich, wie ich es versprochen hatte. »Sie wird Euch Gwydre überlassen, sie wird weit fortgehen …«

»Sie kann keine Bedingungen stellen«, warf Arthur zornig ein. »Keine einzige!«

»Nein, Lord«, sagte ich leise. Ich hatte mein Bestes für sie getan – ohne Erfolg.

»Sie wird in Dumnonia bleiben«, bestimmte Arthur.

»Ja, Lord.«

»Und Ihr werdet ebenfalls hierbleiben«, befahl er mir barsch.

»Mordred mag Euch von seinem Eid befreien, ich aber werde das nicht tun. Ihr seid mein Mann, Derfel, Ihr seid mein Berater, und Ihr werdet hier bei mir bleiben. Von heute an seid Ihr mein Champion.«

Ich wandte mich dorthin, wo das frisch gereinigte und geschliffene Schwert auf dem Krönungsstein lag. »Bin ich immer noch der Champion eines Königs, Lord?« fragte ich ihn.

»Wir haben schon einen König«, gab er zurück, »und diesen Eid werde ich nicht brechen. Aber ich werde dieses Land regieren. Kein anderer, Derfel, nur ich allein.«

Ich dachte an die Brücke bei Fontes, wo wir den Fluß

überquert hatten, bevor wir gegen Aelle kämpften. »Wenn Ihr nicht König sein wollt, Lord«, sagte ich, »solltet Ihr unser Kaiser sein. Unser Lord der Könige.«

Er lächelte. Es war das erste Lächeln, das ich auf seinem Gesicht sah, seit Nimue im Seepalast den schwarzen Vorhang zur Seite gerissen hatte. Es war ein schwaches Lächeln, aber es war ein Lächeln. Und meinen Titel wies er auch nicht zurück. Kaiser Arthur, Lord der Könige.

Lancelot war fort, und das, was sein Heer gewesen war, kniete angstzitternd vor uns im Gras. Ihre Feldzeichen waren gefallen, ihre Speere lagen am Boden und daneben ihre Schilde. Der Wahnsinn war wie ein Gewitter über Dumnonia hinweggefegt, aber er war vorüber; Arthur hatte gesiegt, und unter uns wartete im Schein der Sommersonne ein ganzes Heer kniend auf seine Gnade. Das war es, wovon Guinevere einstmals geträumt hatte: Dumnonia zu Arthurs Füßen und sein Schwert auf dem Krönungsstein. Nun aber war es zu spät. Zu spät für sie.

Aber für uns, die wir unseren Eid gehalten hatten, war es, was wir uns immer gewünscht hatten, denn jetzt war Arthur in allem, nur nicht im Namen, endlich unser König. Anmerkungen des Autors

Kesselgeschichten gibt es in den keltischen Volksmärchen viele, und ganze Scharen von Kriegern machten sich auf, sie an den finstersten, unheimlichsten und gefährlichsten Orten zu suchen. Auch Cuchulain, der große Held der Iren, soll zum Beispiel einen Zauberkessel aus einer mächtigen Festung gestohlen haben, und in den Waliser Sagen kommen immer wieder ähnliche Themen vor. Die Quelle jener Sagen ist heute fast unmöglich aufzuspüren; aber wir können relativ sicher sein, daß die populären mittelalterlichen Erzählungen von der Suche nach dem Heiligen Gral nichts weiter waren als eine christianisierte Bearbeitung der weit älteren Kesselmythen. Eine dieser Sagen rankt sich um den Kessel von Clyddno Eiddyn, der eins der dreizehn Kleinodien Britanniens war. Diese Kleinodien sind aus den modernen Nacherzählungen der Arthursage verschwunden, waren in früheren Zeiten jedoch fest in ihr verankert. Da die Liste der Kleinodien von Quelle zu Quelle variiert, habe ich ein mehr oder weniger repräsentatives Beispiel zusammengestellt. Nimues Erklärung ihrer Ursprünge ab Seite 147 ist allerdings frei erfunden.

Kessel und magische Kleinodien zeigen uns, daß wir uns auf heidnischem Territorium befinden, und das läßt es seltsam erscheinen, daß die späteren Arthursagen so stark christianisiert worden sind. War Arthur der »Feind Gottes«? Einige frühe Erzählungen deuten in der Tat an, daß die keltische Kirche Arthur feindselig gegenüberstand; so heißt es im Life of St. Padarn zum Beispiel, Arthur habe die rote Tunika des Heiligen gestohlen und erst versprochen, sie zurückzugeben, nachdem der Heilige ihn bis zum Hals in der Erde vergraben hatte. Auch soll Arthur den Altar des heiligen Carannog gestohlen haben, um ihn als Speisetafel zu benutzen; ja, in vielen Heiligenlegenden wird Arthur als Tyrann dargestellt, dem nur die Frömmigkeit oder die Gebete des Heiligen Einhalt gebieten können. Der heilige Cadoc war offenbar ein berühmter Gegner Arthurs, dessen Lebensbeschreibung mit der Anzahl seiner Siege über Arthur prahlt. Darunter findet sich eine eher geschmacklose Geschichte, in der Arthur, von einem fliehenden Liebespaar beim Würfelspiel gestört, das Mädchen zu vergewaltigen versucht. Dieser Arthur, ein Dieb, Lügner und Möchtegern-Vergewaltiger, ist eindeutig nicht der Arthur der modernen Sage; aber die Erzählungen lassen darauf schließen, daß Arthur sich irgendwie die starke Abneigung der frühen Kirche zugezogen hat, und die einfachste Erklärung für diese Abneigung ist die, daß Arthur eben ein Heide war. Dessen können wir allerdings nicht sicher sein, ebensowenig, wie wir erraten können, welche Art Heide er war. Das Druidentum, die heimische Religion der Britannier, war durch vier Jahrhunderte römischer Herrschaft so untergraben worden, daß es im späten fünften Jahrhundert nur noch eine leere Hülle war, obwohl es in den ländlichen Gebieten Britanniens zweifellos noch länger standhielt. Der schmerzlichste Schlag für das Druidentum war das Schwarze Jahr 60 nach Christus, als die Römer Ynys Mon (Anglesey) stürmten und damit das Kultzentrum des Glaubens zerstörten. Llyn Cerrig Bach, der See der Kleinen Steine, hat existiert, und die Archäologen hielten ihn für einen wichtigen Ort der druidischen Rituale; aber leider wurde der See mitsamt seiner Umgebung während des Zweiten Weltkriegs zerstört, weil der Stützpunkt Valley Airfield erweitert werden mußte.

Die Religionen, die zu Rivalen des Druidentums wurden, waren von den Römern eingeführt worden, und der Mithraskult stellte eine Zeitlang sogar eine echte Bedrohung für das Christentum dar. Andere Götter wie Merkur und Isis lebten zwar ebenfalls noch lange fort, aber das Christentum war der bei weitem erfolgreichste all dieser Importe. Sogar nach Irland war es vorgedrungen, Patrick (Padraig), ein britannischer Christ, der das Dogma der Dreifaltigkeit mit Hilfe des Kleeblatts erklärt haben soll, hat es dorthin gebracht. Die Sachsen rotteten das Christentum in jenen Teilen Britanniens aus, die sie eroberten, so daß die Engländer weitere hundert Jahre lang warten mußten, bis der heilige Augustin von Canterbury diesen Glauben in Lloegyr (heute England) wieder einführte. Der augustinische Christenglaube unterschied sich um einiges von den früheren keltischen Formen: Ostern wurde an einem anderen Tag gefeiert, und statt die Tonsur der Druiden zu übernehmen, die sich den vorderen Teil des Kopfes rasierten, entschieden sich die neuen Christen für die uns vertrautere runde, kahle Stelle auf der Schädeldecke. Genau wie im Winterkönig habe ich auch hier absichtlich einige Anachronismen eingeführt. Die Arthursage ist teuflisch kompliziert, vor allem, weil sie alle möglichen verschiedenen Erzählungen beinhaltet, von denen viele, wie etwa die Geschichte von Tristan und Iseult, als eigene Sagen begannen und erst allmählich in die weit umfangreichere Arthursage integriert wurden. Einmal erwog ich, alle späteren Zuwächse wegzulassen, aber das hätte mir – unter vielen anderen Dingen

– auch Merlin und Lancelot genommen; deswegen ließ ich es zu, daß die Romantik den Sieg über die Pedanterie davontrug. Daß ich das Wort Camelot in mein Buch aufnahm, ist – ich muß es gestehen – historisch gesehen kompletter Unsinn; denn da dieser Name erst im zwölften Jahrhundert erfunden wurde, hätte er Derfel niemals zu Ohren kommen können. Einige Personen wie Derfel, Ceinwyn, Culhwch,

Gwenhwyvach, Gwydre, Amhar, Loholt, Dinas und Lavaine sind im Laufe der Jahrhunderte aus den Sagen verschwunden und durch neue Personen wie Lancelot ersetzt worden. Andere Namen haben sich im Laufe der Jahre verändert: aus Nimue wurde Vivien, aus Cei wurde Kay, aus Peredur Perceval. Die frühesten Namen sind walisisch und können ziemlich schwierig sein – aber mit Ausnahme von Excalibur (statt Caledfwlch) und Guinevere (für Gwenhwyfar) habe ich sie weitgehend vorgezogen, denn sie spiegeln das Milieu Britanniens im fünften Jahrhundert wider. Die Arthursage ist eine walisische Erzählung, und Arthur ist ein Vorfahre der Waliser, während seine Feinde wie Cerdic und Aelle zu den Menschen gehörten, die später als Engländer bekannt wurden; daher scheint es mir nur korrekt, wenn ich die walisischen Ursprünge dieser Sagen unterstreiche. Natürlich will ich nicht behaupten, daß meine Arthur-Trilogie auch nur annähernd die wahre Geschichte jener Zeit wiedergibt, ja, sie strebt dies nicht einmal an, sondern will nichts sein als eine weitere Variation der phantastischen und komplizierten Sage, die aus barbarischen Zeiten auf uns überkommen ist, uns aber dennoch immer noch fesselt, weil sie voll Heldentum, Romantik und Tragödien steckt.

Bernard Cornwell

bei

blanvalet

Der Winterkönig

Roman. 567 Seiten

Arthur – König, Kriegsherr, Friedensfürst.

Ein Mensch zwischen Ehrgeiz und Visionen.

Ein Mann zwischen Pflicht und Leidenschaft.

Der farbenprächtige historische Roman,

in dem die Artus-Sage zu neuem,

kraftvollem Leben erwacht!

»Bernard Cornwell auf dem Höhepunkt

seines Könnens: Ihm gelingt es aufs

Intelligenteste, durch präzise historische

Kenntnisse eine längst vergangene Epoche zu

strahlendem Leben zu erwecken.«

New York Times