ERSTER TEIL
Die dunkle Straße
Heute habe ich an die Toten gedacht.
Es ist der letzte Tag des alten Jahres. Der Adlerfarn auf dem Berg ist braun geworden, die Ulmen am Ende des Tals haben ihr Laub verloren, und das allwinterliche Schlachten des Viehs hat begonnen. Die Nacht vor Samhain, der Vorabend des neuen Jahres, ist gekommen.
Heute nacht wird der Vorhang, der die Toten von den Lebenden trennt, sich erst bewegen, dann zerreißen und sich schließlich ganz auflösen. Heute nacht werden die Toten die Schwerterbrücke überqueren. Heute nacht werden die Toten aus der Anderwelt in diese Welt zurückkehren, aber wir werden sie nicht sehen. Sie werden nichts weiter sein als Schatten, nichts weiter als ein Wispern in einer windstillen Nacht, aber sie werden unter uns weilen.
Bischof Sansum, der Heilige, der unsere kleine
Mönchsgemeinde regiert, spottet über diesen Glauben. Die Toten, sagt er, haben keinen Schattenkörper und können die Schwerterbrücke nicht überqueren, sondern liegen in ihrem kalten Grab und warten auf die letzte Wiederkehr unseres Herrn Jesus Christus. Es ist richtig, sagt er, daß wir der Toten gedenken und für ihre unsterblichen Seelen beten, aber ihre Körper sind dahin. Sie sind verwest. Ihre Augen sind zerschmolzen und haben dunkle Löcher in den Schädeln hinterlassen, Würmer zersetzen ihren Bauch, und pelziger Schimmel überzieht ihre Knochen. Die Toten belästigen die Lebenden in der Nacht vor Samhain nicht, behauptet der Heilige, und dennoch wird er Sorge tragen, daß am heutigen Abend ein Laib Brot neben der Herdstelle des Klosters liegt. Er wird vorgeben, daß es aus Nachlässigkeit geschah, doch neben der Asche des Küchenfeuers werden heute nacht ein Laib Brot und ein Krug Wasser warten.
Ich selbst werde ein wenig mehr zurücklassen. Einen Becher Met und ein Stück Lachs. Kleine Geschenke, doch bessere kann ich mir nicht leisten; heute abend werde ich die Gaben in den Schatten neben der Feuerstelle legen und in meine Klosterzelle zurückkehren, um die Toten willkommen zu heißen, die in dieses kalte Haus auf dem kahlen Hügel kommen.
Ich werde die Toten aufzählen. Ceinwyn, Guinevere, Nimue, Merlin, Lancelot, Galahad, Dian, Sagramor; die Liste würde zwei Pergamente füllen. So viele Tote. Ihre Schritte werden weder eine Binse auf dem Fußboden zerdrücken noch die Mäuse erschrecken, die im Reetdach des Klosters hausen; aber selbst Bischof Sansum weiß, daß unsere Katzen einen Buckel machen und aus den hintersten Winkeln der Küche fauchen werden, wenn die Schatten, die keine Schatten sind, an unsere Herdstelle treten und die Gaben an sich nehmen, die sie davon abhalten, Unheil zu wirken.
Deswegen denke ich heute an die Toten.
Ich bin jetzt alt, möglicherweise so alt, wie Merlin damals war, wenn auch bei weitem nicht so weise. Bischof Sansum und ich sind, glaube ich, die einzigen Menschen aus der großen Zeit, die noch am Leben sind, und ich allein erinnere mich voll Freude daran. Möglich, daß auch einige andere noch leben. In Irland vielleicht, oder im Ödland nördlich von Lothian, aber mir ist nichts davon bekannt. Ich weiß nur so viel: Falls einige andere noch leben sollten, dann verkriechen sie sich vor der hereinbrechenden Dunkelheit wie ich und wie die Katzen, die sich vor den Schatten dieser Nacht fürchten. Alles, was wir liebten, wurde vernichtet, alles, was wir bauten, niedergerissen, und alles, was wir säten, von den Sachsen geerntet. Wir Britannier klammern uns an die hohen, westlichen Lande und sprechen von Rache, aber ein Schwert, das gegen eine allumfassende Finsternis kämpft, gibt es nicht. Hin und wieder
– dieser Tage viel zu oft – wünsche ich mir nur noch, bei den Toten zu sein. Bischof Sansum heißt diesen Wunsch gut und sagt mir, es sei richtig, daß ich mich danach sehne, zur Rechten Gottes im Himmel zu sitzen, aber ich glaube kaum, daß ich in den Himmel der Heiligen kommen werde. Ich habe viel zuviel gesündigt und fürchte deswegen die Hölle, hoffe gegen meinen christlichen Glauben jedoch, daß ich statt dessen in die Anderwelt komme.
Denn dort, unter den Apfelbäumen des viertürmigen Annwn, erwartet mich eine Tafel, überhäuft mit Speisen und umdrängt von den Schattenleibern all meiner alten Freunde. Merlin wird dort schwatzen, belehren, grollen und spötteln. Galahad wird ihn ungeduldig unterbrechen, und Culhwch, von so viel Gerede gelangweilt, wird sich eine dicke Portion Rindfleisch stibitzen und glauben, daß es niemand bemerkt. Und Ceinwyn wird dort sein, meine geliebte, schöne Ceinwyn, um den Aufruhr zu besänftigen, der von Nimue ausgelöst wurde.
Aber ich bin noch immer mit dem Fluch des Odems geschlagen. Ich lebe, während sich meine Freunde laben, und solange ich lebe, werde ich an diesem Bericht über Arthur schreiben. Ich schreibe ihn auf Geheiß von Königin Igraine, der jungen Gemahlin König Brochvaels von Powys und Schutzherrin unseres kleinen Klosters. Da Igraine alles über Arthur zu erfahren verlangt, woran ich mich erinnern kann, begann ich diesen Bericht niederzuschreiben, doch Bischof Sansum mißbilligt meine Arbeit. Arthur sei der Feind Gottes, sagt er, eine Ausgeburt des Teufels. Deswegen schreibe ich den Bericht in meiner sächsischen Muttersprache nieder, deren der Heilige nicht mächtig ist. Igraine und ich haben dem Heiligen erklärt, daß ich das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus in der Sprache der Feinde aufschreibe, und es kann sein, daß er uns glaubt; aber vielleicht wartet er nur ab, bis er uns diese Lüge nachweisen und mich dafür bestrafen kann.
Ich schreibe jeden Tag. Igraine kommt immer wieder ins Kloster, um zu beten, Gott möge ihrem Leib die Gnade einer Schwangerschaft schenken, und wenn sie mit ihren Gebeten fertig ist, nimmt sie die fertigen Pergamente mit und läßt sie von Brochvaels Gerichtsschreiber ins Britannische übersetzen. Ich glaube, daß sie den Bericht dabei ein wenig abändert, damit er Arthur so zeigt, wie sie ihn sich wünscht, statt so, wie er wirklich war – aber vielleicht spielt das keine Rolle, denn wer wird diesen Bericht je lesen? Ich gleiche einem Mann, der eine Wand aus Lehm und Flechtwerk errichtet, die einer unmittelbar bevorstehenden Flut widerstehen soll. Die Dunkelheit wird sich herabsenken, in der kein Mensch mehr liest. Dann wird es nur noch Sachsen geben.
Also schreibe ich über die Toten, weil das Schreiben mir die Zeit vertreibt, bis ich einer von ihnen werde: eine Zeit, in der Bruder Derfel, der demütige Mönch in Dinnewrac, wieder Lord Derfel Cadarn ist, Derfel, der Mächtige, Champion von Dumnonia und Arthurs geliebter Freund. Jetzt aber bin ich nichts als ein frierender, alter Mönch, der mit der einen Hand, die ihm geblieben ist, seine Erinnerungen niederschreibt. Und heute ist die Nacht vor Samhain, morgen beginnt das neue Jahr. Der Winter kommt. Das tote Laub liegt in regenblanken Verwehungen an den Rainhecken, auf den Stoppelfeldern tummeln sich die Rotdrosseln, Möwen kommen vom Meer her landeinwärts geflogen, und Waldschnepfen versammeln sich unter dem Vollmond. Da sich diese Jahreszeit, wie mir Igraine mitteilt, gut eignet, um über alte Zeiten zu schreiben, hat sie mir einen neuen Stapel Pergamente mitgebracht, ein Fläschchen frisch angerührte Tinte und ein Bündel Federkiele. Erzählt mir von Arthur, verlangt sie, vom goldenen Arthur, unserer letzten und schönsten Hoffnung, unserem König, der niemals König war, dem Feind Gottes und der Geißel Sachsens. Erzählt mir von Arthur.
Ein Feld nach der Schlacht ist ein furchtbarer Anblick. Wir hatten gesiegt, doch unsere Herzen waren nicht hochgestimmt; wir empfanden nichts als Erschöpfung und Erleichterung. Zitternd saßen wir an den Feuern und versuchten, nicht an die Dämonen und Geister zu denken, die dort umherschlichen, wo die Toten von Lugg Vale lagen. Einige von uns schliefen, aber keiner schlief gut, denn uns verfolgten die Alpträume, die das Ende einer Schlacht mit sich bringt. Ich erwachte in den dunklen Stunden, aus dem Schlaf geschreckt durch die Erinnerung an einen Speerstoß, der fast meinen Bauch durchbohrt hätte. Issa hatte mich gerettet, indem er den feindlichen Speer mit dem Rand seines Schildes beiseite stieß, ich aber schlug mich immer wieder mit dem herum, was um ein Haar geschehen wäre. Ich versuchte wieder einzuschlafen, doch die Erinnerung an jenen Speer hielt mich wach, bis ich schließlich kältezitternd und übermüdet aufstand und mich in meinen Mantel wickelte. Das Tal wurde von flackernden Feuern beleuchtet, und im Dunkel zwischen den Flammen trieben Schwaden von Rauch und Flußnebel dahin. Inmitten des Rauchs bewegte sich etwas, ob es nun aber Geister oder lebende Wesen waren, vermochte ich nicht zu sagen.
»Ihr könnt nicht schlafen, Derfel?« kam eine leise Stimme aus der Türöffnung des römischen Gebäudes, in dem König Gorfyddyds Leichnam lag.
Als ich mich umwandte, erkannte ich, daß es Arthur war, der mich beobachtete. »Ich kann nicht schlafen, Lord«, bestätigte ich.
Langsam suchte er sich einen Weg durch die schlafenden Krieger. Er trug einen seiner langen, weißen Mäntel, die er so liebte, und in dieser rotglühenden Nacht schien der Umhang zu leuchten. Er war weder mit Schlamm noch mit Blut bespritzt, daran erkannte ich, daß er den Mantel sicher verwahrt haben mußte, damit er nach der Schlacht etwas Sauberes anzuziehen hatte. Uns andere hätte es nicht einmal gekümmert, wenn wir den Kampf splitternackt überstanden hätten, solange wir nur am Leben waren, doch Arthur war ein anspruchsvoller Mensch. Er war barhäuptig, und in seinem Haar waren noch die Druckstellen zu sehen, die der Helm hinterlassen hatte. »Nach einer Schlacht kann ich niemals gut schlafen«, sagte er,
»mindestens eine Woche lang. Danach kommt dann endlich eine Nacht gesegneter Ruhe.« Lächelnd sah er mich an. »Ich stehe in Eurer Schuld.«
»Nein, Lord«, sagte ich, obwohl er in Wahrheit doch in meiner Schuld stand. Sagramor und ich hatten Lugg Vale den ganzen langen Tag über verteidigt, hatten im Schildwall gegen eine riesige Schar von Feinden gekämpft, und Arthur war es nicht gelungen, uns zu retten. Letztlich war dann doch noch Hilfe gekommen, und mit ihr der Sieg, aber von allen Schlachten, die Arthur geschlagen hatte, war Lugg Vale einer Niederlage am nächsten gewesen. Bis auf die letzte.
»Ich jedenfalls werde diese Schuld in Erinnerung bewahren«, sagte er freundlich, »auch wenn Ihr es nicht tut. Es wird Zeit, Euch reich zu machen, Derfel, Euch und Eure Männer.«
Lächelnd ergriff er meinen Ellbogen, um mich zu einem Fleck Erde zu führen, wo unsere Stimmen den unruhigen Schlaf der Krieger, die in der Nähe der rauchenden Feuer lagen, nicht stören konnten. Der Boden war feucht, und in den tiefen Narben, die Arthurs schwere Rösser mit ihren Hufen hinterlassen hatten, hatten sich Regenpfützen gesammelt. Ich fragte mich, ob Pferde auch von der Schlacht träumten; dann fragte ich mich, ob die vor kurzem in der Anderwelt eingetroffenen Toten noch immer erschauerten, wenn sie an den Schwertstreich oder den Speerstoß dachten, der ihre Seele über die Schwerterbrücke geschickt hatte. »Gundleus ist tot, nehme ich an«, unterbrach Arthur meine Gedanken.
»Er ist tot, Lord«, bestätigte ich. Der König von Siluria war am frühen Abend gestorben, aber ich hatte Arthur seit dem Moment, da Nimue das Lebenslicht ihres Feindes auslöschte, nicht mehr gesehen.
»Ich habe ihn schreien hören«, sagte Arthur mit unbeteiligter Stimme.
»Ganz Britannien muß ihn schreien gehört haben«, gab ich ebenso trocken zurück. Nimue hatte dem König die finstere Seele Stückchen um Stückchen entrissen, während sie dem Mann, der sie einst vergewaltigt und ihr ein Auge genommen hatte, leise ihre Rache ins Ohr flüsterte.
»Also braucht Siluria einen neuen König«, sagte Arthur und blickte das langgestreckte Tal hinab bis dahin, wo die schwarzen Erscheinungen in Dunst und Rauch dahintrieben. Die Flammen warfen Schatten auf sein glattrasiertes Gesicht, die es hager und eingefallen aussehen ließen. Er war kein schöner Mann, aber er war auch nicht häßlich. Sein Gesicht war einzigartig – schmal, knochig und kraftvoll. In Ruhe war es ein nachdenkliches Gesicht, das von Verständnis und Rücksicht zeugte, im Gespräch aber belebten es Begeisterung und ein stets bereites Lächeln. Damals war er noch jung, gerade erst dreißig Jahre alt, und in seinem kurzgeschnittenen Haar war noch kein Grau zu finden. »Kommt!« Er berührte meinen Arm und zeigte das Tal entlang.
»Ihr wollt unter den Toten wandeln?« Erschrocken wich ich zurück. Ich hätte lieber gewartet, bis die Morgendämmerung die Dämonen verjagte, bevor ich den Schutz des Feuerscheins verließ.
»Wir haben sie zu Toten gemacht, Derfel, Ihr und ich«, gab Arthur zurück. »Deswegen sollten sie eher uns fürchten, meint Ihr nicht auch?« Er war kein abergläubischer Mensch, nicht wie wir anderen, die wir Segenssprüche begehrten, Amulette verwahrten und ständig nach Vorzeichen Ausschau hielten, die uns vor Gefahren warnten. Durch diese Geisterwelt bewegte sich Arthur wie ein Blinder. »Kommt«, wiederholte er und berührte abermals meinen Arm.
Also gingen wir ins Dunkel. Sie waren nicht alle tot, die da im Nebel lagen; einige schrien ganz erbärmlich um Hilfe, aber Arthur, sonst gütig wie kein anderer, war taub für ihre schwachen Schreie. Er dachte an Britannien. »Morgen reite ich nach Süden«, erklärte er. »Ich muß Tewdric aufsuchen.« König Tewdric von Gwent war unser Verbündeter, hatte sich aber geweigert, seine Männer nach Lugg Vale zu schicken, weil er überzeugt war, es könne keinen Sieg für uns geben. Der König stand nunmehr in unserer Schuld, denn wir hatten den Krieg auch für ihn gewonnen, doch Arthur war kein Mensch, der lange grollte. »Ich werde Tewdric bitten, Männer gen Osten zu schicken, gegen die Sachsen«, fuhr Arthur fort, »aber ich werde auch Sagramor schicken. Damit dürfte die Grenze während des Winters gesichert sein. Eure Männer –« – er schenkte mir ein flüchtiges Lächeln – »haben ein bißchen Ruhe verdient.«
Das Lächeln sagte mir, daß es keine Ruhe geben würde. »Sie werden tun, was immer Ihr ihnen auftragt«, antwortete ich pflichtschuldigst. Wegen der wirbelnden Schatten ging ich mit steifen Schritten und machte mit der Rechten das Zeichen gegen das Böse. Manche der eben erst aus ihren Körpern gerissenen Seelen finden den Eingang zur Anderwelt nicht gleich, sondern wandern auf der Suche nach ihren alten Körpern und nach Rache an ihren Mördern ruhelos auf der Erde umher. Solche Seelen gab es im Lugg Vale in jener Nacht viele, und ich fürchtete mich vor ihnen; aber Arthur, der dieser Bedrohung nicht achtete, schlenderte achtlos durch das weite Feld der Toten, während er mit einer Hand den Saum seines Mantels raffte, um ihn vor dem nassen Gras und dem tiefen Schlamm zu schützen.
»Ich brauche Eure Männer in Siluria«, erklärte er energisch.
»Oengus Mac Airem wird das Land plündern wollen, aber er muß im Zaum gehalten werden.« Oengus war der irische König von Demetia, der in der Schlacht die Seite gewechselt, Arthur so zum Sieg verholfen hatte und zum Lohn dafür Sklaven und Schätze aus dem Reich des toten Gundleus forderte. »Er darf sich einhundert Sklaven nehmen«, bestimmte Arthur, »sowie ein Drittel von Gundleus’ Reichsschatz. Damit hat er sich einverstanden erklärt, aber er wird dennoch versuchen, uns zu betrügen.«
»Ich werde dafür sorgen, daß ihm das nicht gelingt, Lord.«
»Nein, nicht Ihr. Würdet Ihr Galahad den Befehl über Eure Männer geben?«
Mein Erstaunen verbergend, nickte ich. »Und was verlangt Ihr von mir?« fragte ich ihn.
»Siluria ist ein Problem«, fuhr Arthur fort, ohne meine Frage zu beachten. Er blieb stehen und krauste bei dem Gedanken an Gundleus’ Reich die Stirn. »Das Land wurde schlecht regiert, Derfel, sehr schlecht regiert.« Er sagte es mit tiefem Abscheu. Für uns andere war eine schlechte Regierung so natürlich wie Schnee im Winter oder Blumen im Lenz, aber Arthur war aufrichtig entsetzt darüber. Heutzutage haben wir Arthur als Kriegsherrn in Erinnerung, als den strahlenden Helden in schimmernder Rüstung, der ein Schwert zur Legende machte, er selbst aber hätte sich gewünscht, in der Erinnerung der Menschen nichts weiter zu sein als ein guter, aufrichtiger und gerechter Herrscher. Das Schwert verlieh ihm Macht, er aber verteidigte mit dieser Macht das Recht. »Es ist kein bedeutendes Königreich«, fuhr er fort, »doch wenn wir dort nicht Ordnung schaffen, wird es uns endlose Probleme bereiten.« Er dachte laut, versuchte jedes Hindernis vorauszusehen, das zwischen der Nacht nach der Schlacht und seinem Traum von einem friedlich vereinigten Britannien lag.
»Die ideale Lösung«, sagte er, »wäre wohl, es zwischen Gwent und Powys aufzuteilen.«
»Und warum tut Ihr das nicht?« fragte ich ihn.
»Weil ich Siluria Lancelot versprochen habe«, antwortete er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Ich sagte nichts, sondern berührte nur das Heft meines Schwertes Hywelbane, damit das Eisen meine Seele vor dem Bösen dieser Nacht beschütze. Stumm blickte ich nach Süden, wo die Toten wie eine Flutwoge vor der Baumbarrikade lagen, an der meine Männer den ganzen Tag lang gegen den Feind gekämpft hatten. In dieser Schlacht hatte so mancher tapfere Mann gestritten, nur nicht Lancelot. In all den Jahren, die ich für Arthur gekämpft hatte, und in all den Jahren, die ich Lancelot kannte, hatte ich Lancelot kein einziges Mal in einem Schildwall gesehen. Ich hatte gesehen, wie er flüchtende Geschlagene verfolgte, und ich hatte gesehen, wie er Gefangene davonführte, um mit ihnen vor einer erregten Menschenmenge einherzustolzieren; in dem harten, schweißtreibenden, unnachgiebigen Druck eines kämpfenden Schildwalls jedoch hatte ich ihn noch nie gesehen. Er war der König von Benoic, um den Thron gebracht und ins Exil getrieben durch die Streitmacht der Franken, die aus Gallien hervorgebrochen war, um seines Vaters Königreich zu vernichten, und er hatte, soweit ich wußte, kein einziges Mal einen Speer gegen eine fränkische Kriegshorde erhoben, aber die Barden sangen in ganz Britannien von seiner Tapferkeit. Er war Lancelot, König ohne Land, Held unzähliger Kämpfe, das Schwert Britanniens, der schöne Leidenslord, ein Muster an Vollkommenheit, doch der fabelhafte Ruf war ausschließlich durch Bardengesänge entstanden und, soweit ich wußte, nicht im mindesten durch das Schwert. Ich war sein Feind, und er der meine, aber wir waren beide Arthurs Freunde, und diese Freundschaft band unsere Feindschaft in einem unsicheren Waffenstillstand. Arthur wußte von meiner Feindseligkeit. Er berührte meinen Ellbogen, und gemeinsam gingen wir weiter nach Süden, auf die Woge der Toten zu. »Lancelot ist Dumnonias Freund«, betonte er. »Wenn also Lancelot in Siluria regiert, werden wir nichts von jenem Land zu befürchten haben. Und wenn Lancelot sich mit Ceinwyn vermählt, wird Powys ihn ebenfalls unterstützen.«
So, nun war es gesagt. Meine Feindseligkeit grenzte jetzt sogar an Zorn, und immer noch erhob ich keine Einwände gegen Arthurs Plan. Was hätte ich auch sagen können? Ich war der Sohn einer sächsischen Sklavin, ein junger Krieger mit einer Schar von Männern, doch ohne Land, während Ceinwyn Prinzessin von Powys war. Seren wurde sie genannt, der Stern, und sie funkelte in einem dunklen Land wie ein Sonnenstrahl, der auf Schlamm trifft. Sie war Arthur anverlobt worden, hatte ihn aber an Guinevere verloren, und dieser Verlust hatte den Krieg ausgelöst, dem die Schlacht von Lugg Vale soeben ein Ende gesetzt hatte. Jetzt sollte Ceinwyn um des Friedens willen Lancelot heiraten, meinen Feind, während doch ich, ein Niemand, sie von ganzem Herzen liebte. Ich trug ihre Brosche am Wams und ihr Antlitz im Herzen. Ich hatte sogar einen Eid geschworen, sie zu beschützen, und sie hatte den Eid nicht abgelehnt. Ihre Billigung hatte mich mit der wahnsinnigen Hoffnung erfüllt, daß meine Liebe zu ihr nicht hoffnungslos sei, aber sie war es dennoch. Ceinwyn war eine Prinzessin und mußte einen König heiraten, ich aber war ein von einer Sklavin geborener Speerkämpfer und würde heiraten, wie es mir anstand.
Ich sagte nichts von meiner Liebe zu Ceinwyn, und Arthur, der in dieser Siegesnacht über Britannien verfügte, hegte keinerlei Argwohn. Warum sollte er auch? Hätte ich ihm gestanden, daß ich Ceinwyn liebte, hätte er das für so unerhört anmaßend gehalten wie den Wunsch eines Hahns auf dem Mist, sich mit einem weiblichen Adler zu paaren. »Ihr kennt doch Ceinwyn, nicht wahr?« fragte er mich.
»Ja, Lord.«
»Und sie mag Euch«, sagte er, aber nur halb fragend.
»Das wage ich zu vermuten«, antwortete ich ehrlich und dachte an Ceinwyns bleiche, silbrige Schönheit. Die Vorstellung, daß sie in die Obhut des eitlen Lancelot gegeben werden sollte, war mir verhaßt. »Sie mag mich wohl«, fuhr ich fort, »deswegen hat sie mir erklärt, daß sie für diese Vermählung keine große Begeisterung hegt.«
»Warum sollte sie auch?« gab Arthur zurück. »Sie ist Lancelot noch nie begegnet. Ich erwarte keine Begeisterung von ihr, Derfel, sondern Gehorsam.«
Ich zögerte. Vor der Schlacht, als Tewdric den Krieg, der sein Land zu zerstören drohte, verzweifelt zu beenden suchte, war ich mit einer Friedensmission zu Gorfyddyd gezogen. Diese Mission war fehlgeschlagen, aber ich hatte mit Ceinwyn gesprochen und ihr von Arthurs Hoffnung erzählt, daß sie sich mit Lancelot vermählen werde. Sie hatte die Idee nicht zurückgewiesen, sie aber auch nicht begrüßt. Damals hatte natürlich niemand daran geglaubt, daß Arthur Ceinwyns Vater in der Schlacht besiegen könnte; aber Ceinwyn hatte diese unwahrscheinliche Möglichkeit in Betracht gezogen und mich gebeten, von Arthur eine Gefälligkeit zu erbitten, falls er tatsächlich gewinnen sollte. Sie erbat seinen Schutz, und ich, der ich so sehr in sie verliebt war, legte das als Bitte aus, sie nicht zu einer Vermählung zu zwingen, die sie nicht wünschte. Jetzt berichtete ich Arthur, daß sie um seinen Schutz gebeten hatte. »Sie ist schon zu oft versprochen worden, Lord«, setzte ich hinzu. »Und zu oft enttäuscht. Und ich glaube, sie möchte für eine gewisse Zeit in Ruhe gelassen werden.«
»Zeit!« Arthur lachte. »Sie hat keine Zeit, Derfel. Sie ist fast zwanzig! Sie kann nicht unvermählt bleiben wie eine Katze, die keine Mäuse fangen will. Und wen sonst könnte sie heiraten?« Er tat ein paar Schritte. »Sie hat meinen Schutz«, sagte er dann, »aber könnte sie sich einen besseren Schutz wünschen als den, sich mit Lancelot zu vermählen und einen Thron zu besteigen? Und was ist mit Euch?« fragte er unvermittelt.
»Mit mir?« Sekundenlang dachte ich, er wolle mir vorschlagen, Ceinwyn zu heiraten, und mein Herz tat einen Sprung.
»Ihr seid fast dreißig«, sagte er, »da wird es Zeit, daß Ihr Euch vermählt. Sobald wir wieder in Dumnonia sind, werden wir uns darum kümmern. Vorerst aber wünsche ich, daß Ihr nach Powys geht.«
»Ich, Lord? Nach Powys?« Wir hatten gerade erst gegen das Heer von Powys gekämpft und es besiegt, und ich konnte mir kaum vorstellen, daß ein feindlicher Krieger in Powys willkommen war.
Arthur packte meinen Arm. »In den kommenden Wochen, Derfel, ist es für uns das wichtigste, daß Cuneglas zum König von Powys ausgerufen wird. Er meint zwar, daß niemand ihn herausfordern wird, aber ich möchte sichergehen. Ich wünsche, daß sich einer meiner Männer in Caer Sws aufhält – zum Beweis unserer Freundschaft. Nichts weiter. Ich möchte nur einem potentiellen Herausforderer klarmachen, daß er es nicht nur mit Cuneglas zu tun bekommen wird, sondern auch mit mir. Wenn Ihr dort seid und wenn man sieht, daß Ihr sein Freund seid, wird diese Botschaft klar und eindeutig sein.«
»Warum nicht einhundert Mann hinschicken?« fragte ich ihn.
»Weil es dann aussieht, als wollten wir Cuneglas mit Gewalt auf den Thron von Powys setzen. Das möchte ich vermeiden. Ich brauche ihn als Freund, und ich möchte nicht, daß er als besiegter Mann nach Powys zurückkehrt. Außerdem« – er lächelte – »wiegt Ihr allein einhundert Mann auf, Derfel. Das habt Ihr gestern bewiesen.«
Ich verzog das Gesicht, denn übertriebene Komplimente verursachten mir stets Unbehagen; doch wenn dieses Lob bedeutete, daß ich der richtige Mann als Arthurs Botschafter in Powys sei, war ich glücklich, denn dort wäre ich wieder in Ceinwyns Nähe. Noch immer bewahrte ich die Erinnerung daran, wie sie meine Hand berührt hatte, genau wie ich die Brosche bewahrte, die sie mir vor so vielen Jahren geschenkt hatte. Noch ist sie nicht mit Lancelot vermählt, sagte ich mir, und alles, was ich wollte, war die Chance, meine unrealistischen Hoffnungen zu nähren. »Und wenn Cuneglas zum König ausgerufen worden ist«, erkundigte ich mich, »was soll ich dann tun?«
»Ihr wartet auf mich«, bestimmte Arthur. »Ich werde so bald wie möglich nach Powys kommen; wenn wir den Frieden besiegelt haben und Lancelot glücklich verlobt ist, kehren wir nach Hause zurück. Und nächstes Jahr, mein Freund, werden wir die Heere Britanniens gegen die Sachsen führen.« Er sprach mit einer außergewöhnlichen Begeisterung für das Kriegshandwerk. Er war gut im Kampf und genoß die Schlachten wegen der entfesselten Erregung, die sie seiner sonst so zurückhaltenden Seele bescherten, suchte aber niemals den Krieg, solange ein Frieden möglich war, weil er auf das Schlachtenglück nicht bauen konnte. Die Launen von Sieg und Niederlage waren zu unberechenbar, und Arthur haßte es, wenn schöne Ordnung und behutsame Diplomatie den
Unwägbarkeiten des Kampfes geopfert wurden. Nur würden Diplomatie und Takt die eindringenden Sachsen, die sich wie Ungeziefer westwärts über Britannien verbreiteten, niemals aufhalten. Arthur träumte von einem wohlgeordneten, gerecht regierten, friedlichen Britannien; die Sachsen hatten in diesem Traum keinen Platz.
»Dann marschieren wir im Frühling?« fragte ich ihn.
»Sobald sich das erste grüne Laub zeigt.«
»Dann möchte ich Euch zuvor um eine Gunst bitten«, sagte ich.
»Und welche?« fragte er, hocherfreut, daß ich mir für meinen Anteil am Sieg etwas wünschte.
»Ich möchte mit Merlin ziehen, Lord«, sagte ich. Er antwortete nicht gleich. Statt dessen starrte er auf die nasse Erde, auf der ein stark verbogenes Schwert lag. Irgendwo im Dunkeln stöhnte ein Mann, schrie auf und verstummte.
»Der Kessel«, sagte Arthur schließlich mit schwerer Stimme.
»Ja, Lord«, bekannte ich. Merlin war während der Schlacht zu uns gekommen, um beide Seiten zu bitten, den Kampf einzustellen und ihn auf der Suche nach dem Kessel von Clyddno Eiddyn zu begleiten. Der Kessel war das kostbarste Kleinod Britanniens, die magische Gabe der alten Götter, und seit Jahrhunderten verschwunden. Sein ganzes Leben widmete Merlin der Aufgabe, jene Kleinodien zurückzuholen, und der Kessel war sein größter Schatz. Wenn er den Kessel finden könne, erklärte er uns, werde er in der Lage sein, Britannien seinen rechtmäßigen Göttern zurückzugeben.
Arthur schüttelte den Kopf. »Glaubt Ihr wirklich, der Kessel von Clyddno Eiddyn sei während all der langen Jahre versteckt gehalten worden?« fragte er mich. »Während all der langen Römerjahre? Er wurde nach Rom geschafft, Derfel, und eingeschmolzen, um Fibeln, Spangen oder Münzen daraus zu machen. Es gibt keinen Kessel!«
»Merlin sagt, es gibt ihn, Lord«, widersprach ich.
»Merlin hört auf Altweibermärchen«, schalt Arthur zornig.
»Wißt Ihr, wie viele Männer er für seine Suche nach dem Kessel verlangt?«
»Nein, Lord.«
»Achtzig, hat er mir erklärt. Oder hundert. Oder, noch besser, zweihundert. Er will nicht einmal sagen, wo sich der Kessel befindet, er will nur, daß ich ihm eine Armee gebe und sie irgendwohin in ein wildes Land marschieren lasse. Nach Irland, vielleicht, oder in die Wildnis im Norden. Nein!« Er versetzte dem verbogenen Schwert einen Fußtritt und stieß mir dann einen Finger tief in die Schulter. »Hört zu, Derfel, im nächsten Jahr brauche ich jeden Speer, den ich auftreiben kann. Wir werden die Sachsen ein für allemal erledigen, deswegen kann ich es mir nicht leisten, achtzig oder hundert Mann bei der Jagd nach einer Schüssel zu verlieren, die vor fast fünfhundert Jahren verschwunden ist. Sobald Aelles Sachsen besiegt sind, könnt Ihr Euch diesem Unsinn widmen, wenn Ihr unbedingt wollt. Aber ich sage Euch, es ist Unsinn. Es gibt keinen Kessel.« Er wandte sich ab und machte sich auf den Rückweg zu den Feuern. Ich folgte ihm, wollte mit ihm diskutieren, aber ich wußte, daß ich ihn niemals umstimmen konnte; denn wenn er die Sachsen besiegen wollte, würde er tatsächlich jeden Speer brauchen, den er auftreiben konnte, und deswegen würde er jetzt nichts tun, was seine Chancen auf einen Sieg im Frühling schmälern würde. Er lächelte mir zu, als wollte er damit die scharfe Ablehnung meiner Bitte ausgleichen. »Sollte der Kessel aber doch existieren, kann er auch noch ein bis zwei Jahre in seinem Versteck bleiben«, sagte er. »Bis dahin aber, Derfel, habe ich vor, Euch reich zu machen. Wir werden Euch mit Geld verheiraten.« Er klopfte mir auf den Rücken. »Ein letzter Feldzug noch, mein lieber Derfel, ein letztes großes Töten, dann werden wir endlich Frieden haben. Absoluten Frieden. Und dann brauchen wir keinen Kessel mehr.« Sein Ton war triumphierend. In jener Nacht, mitten unter den Toten, sah er den Frieden tatsächlich vor sich.
Wir schlenderten auf die Feuer zu, die rund um die römische Villa brannten, in der Ceinwyns Vater Gorfyddyd auf dem Totenbett lag. Arthur war glücklich in jener Nacht, wahrhaft glücklich, denn er sah, daß sich sein Traum erfüllte. Und es schien alles so einfach zu sein. Es würde noch einen letzten Krieg geben und danach ewigen Frieden. Arthur war unser Kriegsherr, der größte Krieger von Britannien, doch in jener Nacht nach der siegreichen Schlacht inmitten der kreischenden Seelen der in Rauch gehüllten Toten, sehnte er sich nur noch nach Frieden. Cuneglas von Powys, Gorfyddyds Erbe, teilte Arthurs Traum. Tewdric von Gwent war sein Verbündeter, Lancelot sollte das Königreich Siluria erhalten, und zusammen mit Arthurs dumnonischem Heer würden die vereinigten Könige von Britannien die eindringenden Sachsen schlagen. Unter Arthurs Protektion würde Mordred Dumnonias Thron besteigen, und Arthur würde sich zurückziehen, um den Frieden und den Wohlstand zu genießen, den Britannien seinem Schwert verdankte. So sah Arthur die Zukunft vor sich. Aber er hatte die Rechnung ohne Merlin gemacht. Merlin war älter, weiser und raffinierter als Arthur, und Merlin hatte die Spur des Kessels gewittert. Er würde ihn finden, und seine Macht würde sich über Britannien verbreiten wie ein Gift. Denn es war der Kessel von Clyddno Eiddyn. Es war der Kessel, der die Träume der Menschen zerbrechen ließ. Und Arthur war trotz seiner praktischen Natur ein Träumer.
In Caer Sws war das Laub schwer von der Reife des Sommers.
Da ich König Cuneglas und seine geschlagenen Mannen nach Norden begleitet hatte, war ich der einzige Dumnonier, der anwesend war, als König Gorfyddyds Leichnam auf Dolforwyns Gipfel eingeäschert wurde. Ich sah die Flammen seines Totenfeuers hoch in die Nacht lodern, als seine Seele die Schwerterbrücke überquerte, um zu ihrem Schattenkörper zu gelangen. Das Feuer war von einem Doppelkreis von PowysSpeerträgern umringt, deren brennende Fackeln sich gemeinsam wiegten, als ihre Träger die Totenklage von Beli Mawr anstimmten. Die Männer sangen sehr lange. Ihre Stimmen hallten von den nahen Bergen wider wie ein Geisterchor. Es herrschte große Trauer in Caer Sws. So viele waren zu Witwen und Waisen geworden, und am Morgen nach der Einäscherung des alten Königs, als sein Totenfeuer noch eine Rauchsäule zu den nördlichen Bergen hinüberschickte, gab es noch mehr Grund zur Trauer, weil die Nachricht von Rataes Fall eintraf. Ratae war eine große Festung an der Ostgrenze von Powys gewesen, aber Arthur hatte sie an die Sachsen verraten, um ihnen den Frieden abzukaufen, während er gegen Gorfyddyd kämpfte. Bisher wußte noch niemand in Powys von Arthurs Verrat, und ich erzählte es ihnen nicht. Ceinwyn bekam ich drei Tage lang nicht zu sehen, denn so lange wurde um Gorfyddyd getrauert, und zum Totenfeuer durften die Frauen nicht erscheinen. Statt dessen hüllten sich alle Frauen am Hof von Powys in schwarze Wolle und wurden in ihrer Frauenhalle eingeschlossen. Während der drei Tage gab es in ihrer Halle keine Musik, zu trinken erhielten sie nur Wasser, und ihre einzige Nahrung war trockenes Brot und ein dünner Haferbrei. Draußen vor der Halle versammelten sich die Krieger von Powys zur Akklamation des neuen Königs, während ich, Arthurs Befehlen folgend, in Erfahrung zu bringen suchte, ob jemand Cuneglas das Recht auf den Thron streitig machen würde, doch nirgends vernahm ich ein Wort des Widerspruchs.
Als die drei Tage vorüber waren, wurde die Tür zur Frauenhalle aufgestoßen. Eine Dienerin erschien in der offenen Tür und streute Gartenraute auf Schwelle und Stufen; gleich darauf quoll eine Rauchwolke aus der Türöffnung hervor, die uns verkündete, daß die Frauen das Ehelager des alten Königs verbrannten. Der Rauch drang wirbelnd durch Tür und Fenster der Halle ins Freie, und erst als er sich verzogen hatte, kam Königin Helledd von Powys die Stufen herabgeschritten, um vor ihrem Ehegemahl, König Cuneglas von Powys,
niederzuknien. Sie trug ein Gewand aus weißem Leinen, das dort, wo ihre Knie den schlammigen Boden berührt hatten, deutliche Schmutzflecken aufwies. Cuneglas hob sie auf und küßte sie; dann geleitete er sie in die Halle zurück. Iorweth, oberster Druide von Powys und heute in einen schwarzen Mantel gehüllt, folgte dem König in die Frauenhalle. Die überlebenden Krieger von Powys, die in dichten Reihen aus Eisen und Leder die Holzwände der Halle säumten, sahen zu und warteten.
Während sie warteten, stimmte ein Kinderchor das Liebesduett von Gwydion und Aranrhod an, das Lied von Rhiannon und anschließend die endlos langen Verse von Gofannons Marsch nach Caer Idion; und erst als der letzte Gesang verklungen war, trat Iorweth, nunmehr in schneeweißer Robe und mit einem schwarzen, von Mistelzweigen gekrönten Stab in der Hand, vor die Tür, um zu verkünden, die Tage der Trauer seien vorüber. Die Krieger jubelten und lösten sich aus den Reihen, um ihre eigenen Frauen zu suchen. Morgen sollte Cuneglas auf Dolforwyns Gipfel zum König ausgerufen werden, und falls ihm jemand das Recht auf die Herrschaft in Powys streitig machen wollte, so bot ihm diese Ausrufung Gelegenheit dazu. Außerdem würde ich Ceinwyn zum ersten Mal nach der Schlacht wiedersehen.
Am folgenden Tag starrte ich, während Iorweth die Riten der Akklamation zelebrierte, immer nur Ceinwyn an. Sie stand da und beobachtete ihren Bruder, während ich sie voll Staunen darüber, daß eine Frau so lieblich sein konnte, bewundernd ansah. Jetzt bin ich alt, es ist also möglich, daß meine Erinnerung Prinzessin Ceinwyns Schönheit übertreibt, aber das glaube ich eigentlich nicht, denn nicht umsonst wurde sie seren genannt, der Stern. Sie war von durchschnittlicher Größe, aber sehr grazil gebaut, und da sie so zierlich war, wirkte sie sehr zerbrechlich, ein Eindruck, der, wie ich später erfuhr, gründlich täuschte, denn Ceinwyn besaß einen stählernen Willen. Ihre Haare waren ebenso blond wie die meinen, nur waren die ihren blaßgolden, während die meinen eher die Farbe von schmutzigem Stroh aufwiesen. Ihre Augen waren blau, ihr Auftreten war zurückhaltend und ihr Antlitz so süß wie Honig aus einer wilden Wabe. An jenem Tag trug sie ein blaßblaues Leinengewand, das mit dem silberweißen, schwarz gefleckten Pelz eines Hermelins besetzt war, dasselbe Gewand, das sie getragen hatte, als sie meine Hand berührte und meinen Eid entgegennahm. Ein einziges Mal nur begegnete sie meinem Blick und lächelte verhalten, und ich schwöre, mein Herz hat mindestens einen Schlag ausgesetzt.
Die Riten der Königs-Akklamation in Powys waren den unseren nicht unähnlich. Cuneglas wurde um Dolforwyns Steinkreis herumgeführt, man überreichte ihm die Symbole des Königtums, ein Krieger rief ihn zum König aus und fragte, ob es einer der Anwesenden wage, die Ausrufung anzufechten. Die Herausforderung wurde mit Schweigen beantwortet. Zwar rauchte hinter dem Steinkreis noch die Asche des großen Totenfeuers und kündete vom Tod eines Königs, aber das Schweigen im Umfeld der Steine bewies, daß nunmehr ein neuer König regierte. Dann wurden Cuneglas Geschenke überreicht. Ich wußte, daß Arthur selbst noch ein grandioses Geschenk überbringen würde; aber er hatte mir Gorfyddyds Kriegsschwert gegeben, das auf dem Schlachtfeld gefunden worden war und das ich nun als Zeichen für Dumnonias Wunsch, Frieden mit Powys zu halten, Gorfyddyds Sohn zurückgeben durfte.
Nach der Akklamation gab es ein Festmahl in der einsamen Halle, die auf Dolforwyns Gipfel stand. Es war ein karges Mahl, reicher an Met und Ale als an Speisen, aber es bot Cuneglas Gelegenheit, den Kriegern die Hoffnungen zu schildern, die er für seine Herrschaft hegte.
Zunächst sprach er von dem Krieg, der jetzt beendet war. Er nannte die Toten von Lugg Vale beim Namen und versicherte seinen Männern, daß diese Krieger nicht umsonst gestorben seien. »Was sie bewirkt haben«, sagte er, »ist Frieden zwischen den Britanniern. Frieden zwischen Powys und Dumnonia.« Das löste einiges Grollen unter den Kriegern aus, doch Cuneglas beschwichtigte sie mit erhobener Hand. »Unser Feind«, fuhr er fort, und sein Ton wurde auf einmal hart, »ist nicht Dumnonia. Unser Feind ist der Sachse!« Hier hielt er inne, und diesmal gab es kein mißbilligendes Grollen. Die Männer warteten stumm und beobachteten ihren neuen König, der im Grunde kein großer Krieger war, aber ein guter und aufrichtiger Mann. Diese Eigenschaften traten deutlich auf seinem runden, ehrlichen, jungen Gesicht zutage, dem er vergeblich Würde zu verleihen suchte, indem er sich einen langen, geflochtenen Schnauzbart hatte wachsen lassen, dessen Enden ihm bis auf die Brust herabhingen. Er mochte zwar kein Krieger sein, aber er war klug genug, um zu wissen, daß er diesen Kriegern die Gelegenheit zum Kampf bieten mußte, denn nur durch einen Krieg konnten sie Ruhm und Reichtum erlangen. Ratae, versicherte er ihnen, würde zurückerobert und die Sachsen für die Greueltaten bestraft werden, die sie an den Bewohnern der Festung verübt hatten. Lloegyr, das Verlorene Land, würde von den Sachsen zurückgefordert werden, und Powys, einstmals das mächtigste aller britannischen Königreiche, würde sich wieder von den Bergen bis zur Nordsee erstrecken. Die römischen Städte würden wieder aufgebaut, ihre Mauern ruhmreich wieder errichtet und ihre Straßen wieder hergestellt werden. Für jeden Krieger von Powys würde es Ackerland geben, reiche Beute und sächsische Sklaven. Hierauf klatschten sie alle Beifall, denn Cuneglas stellte seinen enttäuschten Häuptlingen den Lohn in Aussicht, den solche Männer stets von ihren Königen erwarteten. Aber, fuhr er fort, nachdem er die Hand erhoben hatte, um den Jubel zu dämpfen, der Reichtum von Lloegyr würde nicht von Powys allein beansprucht werden. »Jetzt«, gab er seinen Anhängern zu bedenken, »marschieren wir mit den Männern von Gwent und Seite an Seite mit den Speerkämpfern von Dumnonia. Sie waren die Feinde meines Vaters, nun aber sind sie meine Freunde, und aus diesem Grund ist auch Lord Derfel heute hier.« Er lächelte mir zu. »Und aus diesem Grund«, fuhr er fort, »wird sich meine Schwester beim nächsten Vollmond Lancelot anverloben. Sie wird als Königin in Siluria herrschen, und die Männer jenes Landes werden mit uns gemeinsam marschieren – mit uns und mit Arthur und Tewdric –, um das Land von den Sachsen zu befreien. Gemeinsam werden wir unseren wirklichen Feind besiegen. Gemeinsam werden wir die Sais vernichten!«
Diesmal war der Jubel uneingeschränkt. Er hatte sie für sich gewonnen. Er stellte ihnen den Wohlstand und die Macht des alten Britannien in Aussicht, also klatschten sie in die Hände und trampelten mit den Füßen, um ihre Zustimmung zu beweisen. Cuneglas blieb eine Weile still stehen und ließ sie jubeln; dann nahm er einfach wieder Platz und lächelte mir zu, als wisse er, daß Arthur allem, was er gesagt hatte, beistimmen würde.
Ich blieb nicht länger auf dem Dolforwyn, denn die Trinkerei würde die ganze Nacht hindurch dauern. Statt dessen kehrte ich hinter dem Ochsenkarren, der Königin Helledd, ihre beiden Tanten und Ceinwyn beförderte, zu Fuß nach Caer Sws zurück. Die königlichen Damen wollten vor Sonnenuntergang wieder in Caer Sws sein, und ich folgte ihnen – nicht etwa, weil ich mich bei Cuneglas’ Männern nicht willkommen fühlte, sondern weil ich bisher noch keine Gelegenheit gefunden hatte, mit Ceinwyn zu reden. Also gesellte ich mich wie ein mondsüchtiges Kalb zu der kleinen Truppe von
Speerkämpfern, die den Karren begleitete. Weil ich bei Ceinwyn Eindruck machen wollte, hatte ich mich an diesem Tag besonders sorgfältig gekleidet. Ich hatte mein Kettenhemd gereinigt, den Dreck von Stiefeln und Mantel gebürstet und meine langen, blonden Haare schließlich zu einem Zopf geflochten, der mir auf dem Rücken hing. Am Mantel trug ich zum Zeichen meiner Treue die Brosche, die sie mir geschenkt hatte.
Ich dachte, sie würde mich nicht beachten, denn während des ganzen langen Rückmarsches nach Caer Sws saß sie im Karren und blickte von mir fort; zuletzt aber, als die Straße um eine Biegung führte und die Festung in Sicht kam, wandte sie sich um und sprang vom Wagen, um am Wegrand auf mich zu warten. Die Speerkämpfereskorte trat beiseite, damit ich neben ihr gehen konnte. Als sie die Brosche sah, lächelte sie, machte aber keinerlei Anspielung darauf. »Wir haben uns gefragt, Lord Derfel«, sagte sie statt dessen, »was Euch hierhergeführt haben mag.«
»Arthurs Wunsch, daß ein Dumnonier der Akklamation Eures Bruders beiwohnt, Lady«, antwortete ich ihr.
»Oder wollte Arthur sichergehen, daß er auch wirklich zum König ausgerufen wurde?« fragte sie scharfsinnig.
»Das auch«, gestand ich ein.
Sie zuckte die Achseln. »Es gibt keinen anderen, der hier König sein könnte. Dafür hat schon mein Vater gesorgt. Es gab einen Häuptling namens Valerin, der Cuneglas möglicherweise das Königtum streitig gemacht hätte, doch wie wir hörten, ist Valerin in der Schlacht gefallen.«
»Ja, Lady, das ist richtig«, antwortete ich, setzte aber nicht hinzu, daß ich es war, der Valerin an der Furt von Lugg Vale im Zweikampf besiegt hatte. »Er war ein tapferer Mann, genau wie Euer Vater. Es tut mir leid für Euch, daß er tot ist.«
Ein paar Schritte lang schwieg sie, während Helledd, Königin von Powys, uns vom Ochsenkarren aus argwöhnisch beobachtete. »Mein Vater«, fuhr Ceinwyn nach einer Weile fort, »war ein sehr verbitterter Mann. Zu mir aber war er immer gut.« Sie sagte es traurig, doch ohne zu weinen. Sie hatte all ihre Tränen bereits vergossen, und nun war ihr Bruder König geworden, und vor Ceinwyn lag eine neue Zukunft. Sie schürzte die Röcke, um über eine Schlammpfütze zu steigen. In der Nacht zuvor hatte es geregnet, und die Wolken im Westen verhießen noch mehr Regen. »Arthur wird also herkommen?«
erkundigte sie sich.
»Er kann jeden Tag eintreffen, Lady.«
»Und er wird Lancelot mitbringen?«
»Das wird er wohl.«
Sie verzog das Gesicht. »Als wir uns das letztemal trafen, Lord Derfel, sollte ich mich mit Gundleus vermählen. Jetzt ist es Lancelot. Ein König nach dem anderen.«
»Ja, Lady«, sagte ich. Es war eine unpassende, sogar dumme Antwort, aber ich war von jener ausnehmenden Nervosität geschlagen, die jedem Liebenden die Zunge bindet. Es gab nichts, was ich mir sehnlicher wünschte, als mit Ceinwyn allein zu sein, doch als ich plötzlich an ihrer Seite marschierte, konnte ich nicht aussprechen, was in meinem Herzen vorging.
»Und ich soll Königin von Siluria werden«, sagte Ceinwyn, ohne Freude bei dieser Aussicht zu bekunden. Sie blieb stehen und deutete auf das weite Tal des Severn. »Gleich hinter dem Dolforwyn«, erklärte sie mir, »gibt es ein kleines, verstecktes Tal mit einem Haus und einigen Apfelbäumen. Als ich ein kleines Mädchen war, dachte ich immer, in der Anderwelt müsse es so aussehen wie in diesem Tal: ein kleiner, sicherer Ort, an dem ich in Ruhe leben, glücklich sein und Kinder großziehen könnte.« Sie lachte über sich selbst und begann weiterzugehen. »Überall in Britannien gibt es junge Mädchen, die davon träumen, Lancelot zu heiraten und Königin in einem Palast zu werden, und ich wünsche mir nichts weiter als ein kleines Tal mit ein paar Apfelbäumen!«
»Lady«, begann ich und nahm all meinen Mut zusammen, um auszusprechen, was ich ihr wirklich sagen wollte. Sie aber erriet sofort, was ich im Sinn hatte, und berührte meinen Arm, damit ich schweige.
»Ich muß meine Pflicht erfüllen, Lord Derfel«, sagte sie als Warnung an mich, meine Zunge im Zaum zu halten.
»Ihr habt meinen Eid«, stieß ich hervor. Das kam einem Liebesgeständnis so nahe, wie es mir in jenem Augenblick möglich war.
»Ich weiß«, gab sie ernsthaft zurück. »Und Ihr seid mein Freund, nicht wahr?«
Ich wollte zwar mehr für sie sein als ein Freund, aber ich nickte. »Ich bin Euer Freund, Lady.«
»Dann werde ich Euch dasselbe sagen, was ich meinem Bruder gesagt habe«, gab sie zurück. Sie blickte zu mir auf, und in ihren blauen Augen stand großer Ernst. »Ich weiß nicht, ob ich Lancelot heiraten möchte, aber ich habe Cuneglas versprochen, daß ich ihn mir ansehen werde, bevor ich mich entscheide. Das muß ich tun, aber ob ich ihn heiraten werde, weiß ich nicht.« Eine Zeitlang ging sie schweigend weiter, und ich spürte, daß sie erwog, ob sie mir etwas erzählen sollte. Schließlich beschloß sie, mir zu vertrauen. »Nachdem ich Euch das letztemal sah«, fuhr sie fort, »suchte ich die Priesterin von Maesmwyr auf. Sie führte mich in die Traumhöhle und ließ
mich auf einem Bett aus Menschenschädeln schlafen. Ich wollte unbedingt mein Schicksal erfahren, versteht Ihr, aber ich kann mich an keinen Traum erinnern. Dennoch sagte die Priesterin, als ich erwachte, der nächste Mann, der mich heiraten wolle, werde sich statt dessen mit den Toten vermählen.« Sie blickte zu mir auf. »Ergibt das einen Sinn?«
»Nicht den geringsten, Lady«, antwortete ich und berührte das Eisen an Hywelbanes Heft. Wollte sie mich warnen? Wir hatten niemals von Liebe gesprochen, aber sie muß meine Sehnsucht gespürt haben.
»Für mich auch nicht«, gestand sie. »Deswegen habe ich Iorweth gefragt, was diese Prophezeiung bedeutet, und er sagte mir, ich solle mir keine Sorgen machen. Die Priesterin spreche immer in Rätseln, weil sie unfähig sei, vernünftig zu reden, behauptete er. Ich glaube, daß das, was sie mir gesagt hat, bedeuten soll, daß ich mich überhaupt nicht vermählen darf, aber ich bin nicht sicher. Ich weiß nur eins, Lord Derfel: Ich werde mich nicht unbedacht vermählen.«
»Ihr wißt noch etwas, Lady«, entgegnete ich. »Ihr wißt auch, daß mein Eid weiter gilt.«
»Auch das weiß ich«, räumte sie ein und lächelte mir wieder zu. »Es freut mich, daß Ihr hier seid, Lord Derfel.« Mit diesen Worten lief sie leichtfüßig voraus und kletterte in den Ochsenkarren zurück. Mich ließ sie verwirrt über ihr rätselhaftes Verhalten zurück, ohne mir einen Hinweis zu geben, der meiner Seele Ruhe hätte geben können. Drei Tage später kam Arthur nach Caer Sws. Er kam mit zwanzig Reitern und einhundert Speerkämpfern. Er brachte Barden und Harfenistinnen mit. Er brachte Merlin mit, Nimue und Goldgeschenke, die von den Toten im Lugg Vale stammten. Und er brachte Guinevere und Lancelot mit. Als ich Guinevere sah, stöhnte ich auf. Wir hatten einen Sieg errungen und Frieden geschlossen, und dennoch fand ich es grausam von Arthur, die Frau mitzubringen, um derentwillen er Ceinwyn verschmäht hatte. Aber Guinevere hatte darauf bestanden, ihren Gemahl zu begleiten. Also traf sie in Caer Sws mit einem Ochsenwagen ein, der mit Pelzen ausgepolstert, mit gefärbtem Leinen verhängt und zum Zeichen des Friedens mit grünen Zweigen geschmückt war. Mit ihr im Wagen saß
Königin Elaine, Lancelots Mutter, aber es war Guinevere, nicht die Königin, die Aufmerksamkeit erregte. Denn sie stand auf, als der Karren langsam durch das Tor von Caer Sws rollte, und blieb stehen, bis die Ochsen sie vor das Portal von Cuneglas’
großer Halle gezogen hatten, in der sie einstmals ein unerwünschter Flüchtling gewesen war und in die sie jetzt wie eine Eroberin zurückkehrte. Sie trug ein Gewand aus goldgefärbtem Leinen und Gold an Hals und Handgelenken, und ihr widerspenstiges, rotes Haar wurde mit einem Reif aus Gold gebändigt. Sie war schwanger, doch unter dem kostbaren goldfarbenen Leinen war die Schwangerschaft nicht zu sehen. Sie wirkte wie eine Göttin.
Wenn Guinevere wie eine Göttin aussah, hielt Lancelot wie ein Gott Einzug in Caer Sws. Viele Leute dachten, er wäre Arthur, denn er sah blendend aus auf seinem Schimmel mit der Schabracke aus hellem, mit goldenen Sternen besetztem Leinen. Er trug seine weiß emaillierte Schuppenrüstung, sein Schwert steckte in einer weißen Scheide, und von den Schultern hing ihm ein langer, weißer, mit Rot gesäumter Mantel. Sein dunkles, hübsches Gesicht wurde von den vergoldeten Kanten seines Helms umrahmt, der jetzt von einem Paar ausgebreiteter Schwanenschwingen gekrönt wurde statt von den Seeadlerschwingen, die er in Ynys Trebes getragen hatte. Die Menschen hielten den Atem an, als sie ihn sahen, und ich hörte, wie die geflüsterte Nachricht durch die Menge lief, daß dies wohl doch nicht Arthur sei, sondern König Lancelot, der tragische Held des verlorenen Königreichs Benoic und der Mann, der ihre Prinzessin Ceinwyn ehelichen werde. Bei seinem Anblick sank mir das Herz, denn ich fürchtete, er werde Ceinwyn mit seiner strahlenden Erscheinung blenden. Arthur, der ein Lederwams und einen weißen Mantel trug und dem es peinlich zu sein schien, überhaupt in Caer Sws zu sein, wurde von der Menge überhaupt nicht beachtet.
An jenem Abend gab es ein Festmahl. Ich glaube kaum, daß
Cuneglas Guinevere gern empfangen hat; aber er war ein geduldiger, vernünftiger Mann, der sich – anders als sein Vater
– nicht von jeder kleinen Kränkung beleidigt fühlte und Guinevere daher wie eine Königin behandelte. Er schenkte ihr Wein ein, reichte ihr Speisen und neigte ihr den Kopf zu, wenn er mit ihr sprach. Arthur, an Guineveres anderer Seite, strahlte vor Freude. Er sah immer glücklich aus, wenn er mit seiner Guinevere zusammen war, und es muß ihn sehr erfreut haben, daß sie in derselben Halle, in der er sie zum ersten Mal weit hinten bei dem minderen Volk hatte stehen sehen, nun mit so ausgesuchter Höflichkeit behandelt wurde.
Arthur widmete seine Aufmerksamkeit hauptsächlich Ceinwyn. Alle Anwesenden wußten, daß er sie einstmals verschmäht und das Verlöbnis gebrochen hatte, um die mittellose Guinevere zur Gemahlin zu nehmen, und viele Männer in Powys hatten geschworen, Arthur diesen Tort nie zu verzeihen, Ceinwyn aber verzieh ihm und machte diese Tatsache überdeutlich. Sie lächelte ihn an, legte ihm die Hand auf den Arm und neigte sich ihm freundlich zu, und später, als der Met sämtliche Feindseligkeiten hinweggeschwemmt hatte, ergriff König Cuneglas zuerst Arthurs und dann die Hand seiner Schwester, um sie beide in der seinen
zusammenzufügen. Bei diesem Zeichen des Friedens brach die ganze Halle in Jubelrufe aus. Eine alte Kränkung war getilgt worden.
Kurz darauf nahm Arthur als symbolische Geste Ceinwyns Hand und führte sie zu einem Platz neben Lancelot, der bisher frei geblieben war. Wieder wurde laut gejubelt. Mit steinerner Miene sah ich zu, wie sich Lancelot erhob, um Ceinwyn zu empfangen, sich anschließend neben ihr niederließ und ihr Wein einschenkte. Er nahm einen schweren goldenen Armreif von seinem Handgelenk und überreichte ihn ihr, und obwohl Ceinwyn das kostbare Geschenk zunächst wortreich zurückwies, schob sie es sich dann doch auf den Arm, wo das Gold im Licht der Binsenfackeln glänzte. Da die Krieger auf dem Boden der Halle den Armreif zu sehen verlangten, hob Ceinwyn kokett den Arm, um den schweren Goldreif vorzuzeigen. Ich allein jubelte nicht. Ich saß einfach da, während der Lärm über mich hinwegdonnerte und schwerer Regen auf das Strohdach trommelte. Sie hat sich blenden lassen, dachte ich, auch sie hat sich von ihm blenden lassen. Der Stern von Powys war auf Lancelots dunkle, elegante Schönheit hereingefallen.
Ich hätte die Halle ja auf der Stelle verlassen, um mit meinem Elend in die regennasse Nacht zu fliehen, doch Merlin strich in der Halle umher. Zu Beginn des Festmahls hatte er an der Hohen Tafel gesessen, sie später jedoch wieder verlassen, um sich unter die Krieger zu begeben, hier stehenzubleiben und dort einem Gespräch zu lauschen oder einem Mann etwas ins Ohr zu flüstern. Er hatte sein weißes Haar von der Tonsur aus zurückgestrichen, zu einem langen Zopf geflochten und mit einem schwarzen Band zusammengefaßt und dasselbe mit seinem langen Bart getan. Sein Gesicht, so dunkel wie die römischen Kastanien, die in Dumnonia als große Delikatesse galten, war lang und schmal und tief gefurcht, seine Miene drückte Belustigung aus. Er heckt wieder etwas aus, dachte ich, während ich mich auf meinem Platz möglichst klein machte, damit er mich nicht zur Zielscheibe machen konnte. Ich liebte Merlin wie einen Vater, aber ich war nicht in der Stimmung für weitere Rätsel. Ich wollte nur so weit von Ceinwyn und Lancelot entfernt sein, wie es die Götter mir gestatteten. Ich wartete, bis ich Merlin am anderen Ende der Halle wähnte und glaubte, ich könnte entkommen, ohne daß er mich bemerkte, aber genau in diesem Moment flüsterte mir seine Stimme etwas ins Ohr. »Wolltest du dich vor mir verstecken, Derfel?« fragte er mich und ließ sich mit einem mitleidheischenden Stöhnen neben mir auf dem Boden nieder. Er tat gern so, als hätte ihn die Altersschwäche eingeholt, daher massierte er sich theatralisch die Knie und jammerte über die Schmerzen in seinen Gelenken. Dann nahm er mir das Methorn aus der Hand und leerte es. »Sieh dir die jungfräuliche Prinzessin an«, sagte er und deutete mit dem leeren Horn auf Ceinwyn, »wie sie ihrem grausigen Schicksal entgegengeht. Laß mich mal sehen.« Während er über seine nächsten Worte nachdachte, kratzte er sich zwischen den Flechten seines Bartes. »Ein halber Mond noch bis zum Verlöbnis? Die Vermählung vielleicht eine Woche später, dann eine Handvoll Monde, bis das Kind sie umbringt. Unmöglich, daß ein Kind durch diese schmalen Lenden gelangt, ohne sie zu zerreißen.«
Er lachte. »Es wird sein, als wollte ein Kätzchen einen Stier gebären. Wahrhaft abscheulich, Derfel.« Er musterte mich mit schrägem Blick und genoß mein Unbehagen.
»Ich dachte«, entgegnete ich verdrossen, »Ihr hättet Ceinwyn einen Glückszauber gegeben.«
»Das habe ich«, bestätigte er gelassen, »aber was soll’s?
Frauen wollen Kinder haben, und wenn es für Ceinwyn Glück bedeutet, von ihrem Erstgeborenen zerrissen zu werden, hat mein Zauber doch funktioniert, oder?« Lächelnd sah er mich an.
»›Sie wird niemals hoch aufsteigen‹«, zitierte ich Merlins Weissagung, die er vor nicht einmal einem Monat in dieser Halle gemacht hatte, »›und niemals tief absinken, aber sie wird glücklich sein.‹«
»Wie gut dein Gedächtnis für Kleinkram doch ist! Schmeckt dieser Hammel nicht grauenhaft? Noch fast roh, hast du gesehen? Und nicht mal heiß! Ich kann kaltes Essen nicht ausstehen!« Was ihn nicht daran hinderte, eine Portion von meinem Teller zu stibitzen. »Hältst du es für einen hohen Aufstieg, Königin von Siluria zu sein?«
»Ist es das etwa nicht?« gab ich zurück.
»Du liebe Zeit, nein! Ein absurde Idee! Siluria ist der unglückseligste Ort der Welt, Derfel. Nichts als verdreckte Täler, steinige Strande und häßliche Menschen.« Er schüttelte sich. »Die verbrennen Kohle statt Holz, und die Folge davon ist, daß die meisten Menschen dort so schwarz sind wie Sagramor. Ich glaube kaum, daß sie wissen, was Waschen ist.«
Er pulte sich eine Fleischfaser aus den Zähnen und warf sie den Jagdhunden vor, die zwischen den Anwesenden
umherstreunten. »Lancelot wird sehr schnell genug haben von Siluria. Ich kann mir nicht vorstellen, daß unser ritterlicher Lancelot sich lange mit diesen häßlichen, kohlegeschwärzten Langweilern rumschlägt. Wenn sie die Geburt also überlebt, was ich bezweifle, wird die arme, kleine Ceinwyn mutterseelenallein mit einem Haufen Kohle und einem schreienden Säugling zurückbleiben. Und das wird ihr Ende sein!« Er schien diese Aussicht zu genießen. »Ist dir jemals aufgefallen, Derfel, daß eine junge Frau, die einst so schön war, daß neben ihr selbst die Sterne am Himmel verblaßten, ein Jahr später nach Milch und Babyscheiße stinkt, so daß man sich fragt, wieso man sie nur einst für schön gehalten hat? Das tun Kinder den Frauen immer an, also sieh sie dir jetzt noch einmal gut an, Derfel, sieh genau hin, denn sie wird nie wieder so bezaubernd sein.«
Sie war bezaubernd, und schlimmer noch, sie schien glücklich zu sein. An diesem Abend trug sie Weiß und um den Hals eine Silberkette mit einem silbernen Stern als Anhänger. Ihr goldenes Haar war in einem Netz aus Silberfäden gefangen, und an ihren Ohren hingen silberne Regentropfen. Und Lancelot sah an jenem Abend nicht weniger eindrucksvoll aus als Ceinwyn. Wie es hieß, war er der schönste Mann von ganz Britannien, und das traf zu, wenn man sein dunkles, schmales, langes, beinah reptilienhaftes Gesicht mochte. Er trug einen schwarzen, weiß gestreiften Mantel, einen goldenen Torques am Hals und einen Goldreif, von dem sein langes, schwarzes Haar zusammengehalten wurde, das mit Öl glatt an den Kopf gelegt worden war, bevor es ihm über den Rücken hinabfiel. Sein Bart, zu einer scharfen Spitze getrimmt, war ebenfalls geölt.
»Sie hat mir erzählt«, entgegnete ich Merlin und wußte, noch während ich sprach, daß ich diesem boshaften alten Mann viel zuviel von meinem Herzen offenbarte, »sie sei nicht sicher, ob sie sich mit Lancelot vermählen soll.«
»Nun ja, das mußte sie wohl sagen, oder?« gab Merlin obenhin zurück, während er einen Sklaven heranwinkte, der eine Platte mit Schweinefleisch zur Hohen Tafel trug. Er fegte sich eine Handvoll Rippchen in den Schoß seines schmutzigen, weißen Gewandes und begann gierig an einem davon zu nagen.
»Ceinwyn«, fuhr er fort, als er den Knochen fast blankgenagt hatte, »ist eine romantische Närrin. Sie hat sich irgendwie eingeredet, daß sie heiraten kann, wen sie mag, obwohl nur die Götter wissen, wie sich ein Mädchen so etwas einbilden kann!
Aber jetzt«, sagte er mit dem Mund voll Schweinefleisch, »ist natürlich alles anders. Sie hat Lancelot kennengelernt!
Inzwischen wird sie völlig von ihm überwältigt sein. Vielleicht wartet sie die Vermählung ja gar nicht mehr ab! Wer weiß?
Vielleicht saugt sie den Bastard ja noch in dieser Nacht in der Abgeschlossenheit ihrer Kemenate aus! Wahrscheinlich aber wohl nicht. Sie ist ein sehr konventionelles Mädchen.«
Letzteres klang recht abfällig. »Nimm dir ein Rippchen«, bot er mir an. »Es wird Zeit, daß du dich vermählst.«
»Es gibt keine, mit der ich mich zu vermählen wünsche«, sagte ich mürrisch. Außer Ceinwyn, natürlich. Doch welche Chancen hatte ich gegen Lancelot?
»Eine Vermählung hat mit Wünschen nichts zu tun«, belehrte Merlin mich geringschätzig. »Arthur dachte, daß dem so sei, und was für ein Narr Arthur ist, was Frauen betrifft! Was du brauchst, Derfel, ist ein hübsches Mädchen in deinem Bett, aber nur ein Narr glaubt, daß die Gemahlin und so ein Mädchen ein und dieselbe Person sein müssen. Arthur meint, du solltest dich mit Gwenhwyvach vermählen.« Merlin sprach den Namen ganz lässig aus.
»Gwenhwyvach?« wiederholte ich viel zu laut. Sie war Guineveres jüngere Schwester, ein schwergewichtiges, langweiliges und bleiches Geschöpf. Guinevere verabscheute sie. Ich hatte weiter nichts gegen Gwenhwyvach, konnte mir aber nicht vorstellen, eine derart farblose, unglückliche Frau zu heiraten.
»Na, und warum nicht?« wollte Merlin in gespieltem Zorn wissen. »Eine gute Partie, Derfel. Schließlich bist du nichts weiter als der Sohn einer sächsischen Sklavin. Gwenhwyvach dagegen ist eine echte Prinzessin. Sie hat zwar kein Geld, und sie ist noch häßlicher als die wilde Sau von Llyffan, aber überleg doch mal, wie dankbar sie sein wird!« Er grinste anzüglich. »Und denk an ihre Hüften, Derfel! Da bleibt bestimmt kein Baby stecken. Wie gutgeölte Kirschkerne wird sie die kleinen Ungeheuer ausspucken!«
Ich fragte mich, ob Arthur diese Vermählung vorgeschlagen hatte oder ob es Guineveres Idee gewesen war.
Höchstwahrscheinlich Guineveres. Ich betrachtete sie, wie sie, ganz in Gold herausgeputzt, neben Cuneglas saß. Der Triumph in ihrem Gesicht war nicht zu übersehen. Sie war an diesem Abend außergewöhnlich schön. Sie war schon immer die schönste Frau von Britannien gewesen, aber an jenem verregneten Festabend in Caer Sws schien sie zu strahlen. Vielleicht kam das von ihrer Schwangerschaft, aber die glaubhaftere Erklärung war wohl, daß sie es genoß, so hoch über diese Menschen hinausgestiegen zu sein, die sie einstmals als mittellosen Flüchtling verachtet hatten. Dank Arthurs Schwert konnte sie nun über diese Menschen verfügen, wie ihr Gemahl über deren Königreiche verfügte. Wie ich genau wußte, war es hauptsächlich Guinevere, die Lancelot in Dumnonia protegierte. Guinevere hatte Arthur überredet, Lancelot Silurias Thron zu versprechen, und Guinevere hatte beschlossen, daß Ceinwyn mit Lancelot vermählt werden solle. Und jetzt wollte sie mich, wie ich argwöhnte, für meine Feindseligkeit gegenüber Lancelot bestrafen, indem sie ihre lästige Schwester zu meiner unwillkommenen Braut machte.
»Du scheinst unglücklich zu sein, Derfel«, stichelte Merlin. Ich ließ mich nicht von ihm provozieren. »Und Ihr, Lord?«
fragte ich ihn. »Seid Ihr glücklich?«
»Interessiert dich das?« fragte er erhaben.
»Ich liebe Euch, Lord. Wie einen Vater«, entgegnete ich. Er bekam einen Lachanfall und erstickte fast an einem Stück Schweinefleisch, doch als er sich erholt hatte, lachte er immer noch. »Wie einen Vater! Ach, Derfel, was für ein gefühlsduseliger Dummkopf du doch bist! Ich habe dich allein deswegen aufgezogen, weil ich dachte, die Götter hätten dich auserwählt, und vielleicht haben sie das auch. Manchmal wählen sich die Götter die merkwürdigsten Kreaturen, um ihnen ihre Liebe zu schenken. Also sag mir, mein mich liebender Möchtegernsohn: Erstreckt sich deine Sohnesliebe auch auf einen Dienst für mich?«
»Welchen Dienst, Lord?« fragte ich ihn, obwohl ich ganz genau wußte, was er wollte. Er brauchte Speerträger für die Suche nach dem Kessel.
Er senkte die Stimme und rückte näher an mich heran, obwohl ich bezweifelte, daß in dieser lärmerfüllten, trunkenen Halle irgend jemand unser Gespräch belauschen konnte.
»Britannien«, sagte er, »leidet an zwei Krankheiten, aber Arthur und Cuneglas erkennen nur eine.«
»Die Sachsen?«
Er nickte. »Doch ohne die Sachsen wird Britannien immer noch an einer Krankheit leiden, Derfel, denn es wäre möglich, daß wir die Götter verlieren. Das Christentum breitet sich weit schneller aus als die Sachsen, und die Christen sind eine weit größere Beleidigung für unsere Götter als jeder Sachse. Wenn wir den Christen nicht Einhalt gebieten, werden die Götter uns endgültig verlassen, und was wäre Britannien ohne seine Götter? Wenn wir die Götter jedoch einspannen und sie für Britannien zurückgewinnen, werden sowohl die Sachsen als auch die Christen verschwinden. Wir bekämpfen die falsche Krankheit, Derfel!«
Ich sah zu Arthur hinüber, der konzentriert auf etwas lauschte, was Cuneglas sagte. Arthur war kein gottloser Mensch, ging aber locker mit seinem Glauben um und nährte in seiner Seele keinen Haß auf Männer und Frauen, die an andere Götter glaubten. Arthur würde es gewiß nicht gefallen, daß Merlin von einem Kampf gegen die Christen sprach. »Und niemand hört auf Euch, Lord?« fragte ich Merlin.
»Einige schon«, gab er widerwillig zu, »ein paar, ein oder zwei.
Arthur nicht. Der hält mich für einen alten Narren kurz vor der Senilität. Aber was ist mit dir, Derfel? Hältst du mich auch für einen alten Narren?«
»Nein, Lord.«
»Und glaubst du an die Magie, Derfel?«
»Ja, Lord«, antwortete ich ihm. Ich war persönlich Zeuge magischen Wirkens gewesen, hatte aber auch erlebt, daß die Magie versagte. Sie war eine schwierige Kunst, doch ich glaubte fest an sie.
Merlin beugte sich noch weiter zu meinem Ohr herüber.
»Dann komm heute nacht auf den Gipfel des Dolforwyn«, flüsterte er mir zu, »und ich gewähre dir deinen Herzenswunsch.«
Eine Harfenistin spielte den Akkord, der die Barden für den Gesang herbeirief. Die Stimmen der Krieger verstummten allmählich, während der eisige Wind Regenschauer durch das offene Portal hereintrieb, daß die kleinen Flammen der Talgkerzen wie auch die fettgetränkten Binsenfackeln flackerten. »Deinen Herzenswunsch«, wisperte Merlin abermals. Doch als ich nach links blickte, war er plötzlich verschwunden.
In der Nacht draußen grollte der Donner. Die Götter waren überall, und ich wurde zum Dolforwyn gerufen.
Ich verließ das Festmahl, bevor die Geschenke überreicht wurden, bevor die Barden sangen und bevor sich die Stimmen der trunkenen Krieger zu dem klagenden Lied von Nwyfre vereinigten. Ich hörte den Gesang noch, als ich bereits allein das Flußtal entlangwanderte, in dem Ceinwyn mir von ihrem Besuch an der Schädelstätte und der seltsamen Weissagung erzählt hatte, die für mich keinen Sinn ergab.
Ich trug meine Rüstung, doch keinen Schild. Mein Schwert Hywelbane steckte an meiner Seite, und um die Schultern hatte ich mir meinen grünen Mantel gehängt. Kein Mensch geht gern durch die Nacht, denn die Nacht gehört den Dämonen und Geistern; da ich jedoch von Merlin gerufen worden war, wußte ich, daß mir nichts geschehen konnte.
Der Weg wurde mir leichtgemacht, denn es gab eine Straße, die von den Wällen ostwärts bis zum Südrand der Hügelkette führte, wo der Dolforwyn lag. Es war ein langer Marsch, vier Stunden durch die nasse Dunkelheit, und die Straße war pechschwarz; aber die Götter müssen wohl gewollt haben, daß
ich heil ankam, denn ich verlor weder die Orientierung, noch begegneten mir in der Nacht Gefahren.
Merlin konnte nicht weit vor mir sein, das wußte ich, aber obwohl ich zwei Menschenalter jünger war als er, holte ich ihn nicht ein, hörte ihn nicht einmal. Ich hörte nur den hinter mir verhallenden Gesang, und später, als der Gesang im Dunkeln verklungen war, lauschte ich dem Rauschen des Flusses, der über Steine plätscherte, dem Prasseln des Regens auf dem Laub, dem Schrei eines Hasen, der von einem Wiesel geschlagen wurde, und dem Kreischen des Dachses, der nach seiner Gefährtin rief. Ich kam an zwei geduckten Siedlungen vorbei, wo der verglühende Schein des Feuers durch die niedrigen Öffnungen unter dem Reetdach aus Adlerfarn schimmerte. Aus einer der Hütten drang die drohende Stimme eines Mannes, der mir etwas zurief, aber ich antwortete ihm, ich reise in friedlicher Absicht, und er beruhigte seinen bellenden Hund.
Dann verließ ich die Straße, um den schmalen Pfad zu suchen, der sich an Dolforwyns Flanke emporschlängelte. Ich befürchtete, in der Finsternis unter den Eichen, die dicht an dicht am Berghang standen, den Weg zu verlieren; aber die Regenwolken wurden dünner, bis sie schwaches Mondlicht durch die von Nässe schweren Blätter schimmern und mir den steinigen Pfad weisen ließen, der sich in Sonnenlaufrichtung den Königshügel emporwand. Hier oben wohnte kein Mensch. Dieser Ort gehörte den Eichen, den Steinen und dem Geheimnis.
Der Pfad führte aus dem Wald auf den weiten, freien Platz hinaus, der den Hügel krönte, den Platz, auf dem die einsame Festhalle stand und wo der Steinkreis die Stelle markierte, an der Cuneglas zum König ausgerufen worden war. Dieser Gipfel war der heiligste Ort von Powys, war aber dennoch den größten Teil des Jahres verwaist, denn er wurde nur an hohen Festtagen und in Zeiten großer Feierlichkeit benutzt. Nun lag die Halle im schwachen Mondlicht dunkel da, und die Hügelkuppe schien menschenleer zu sein.
Ich hielt am Rand des Eichenwaldes inne. Eine weiße Eule flog über mich hinweg. Ihr gedrungener Körper rauschte auf kurzen Schwingen dicht an der Wolfsrute an meinem Helm vorbei. Diese Eule war ein Zeichen, doch da ich nicht sagen konnte, ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, überfiel mich auf einmal Angst. Die Neugier hatte mich hergelockt, nun aber witterte ich Gefahr. Merlin würde mir die Erfüllung meines Herzenswunsches nicht umsonst anbieten, und das bedeutete, daß ich hier war, um eine Wahl zu treffen, und zwar eine Wahl, die ich, wie ich argwöhnte, nicht treffen wollte. Ja, ich fürchtete mich so sehr davor, daß ich fast kehrtgemacht und mich wieder ins Dunkel der Bäume zurückgezogen hätte, doch dann ließ mich das Pochen der Narbe in meiner linken Handfläche stehenbleiben. Diese Narbe hatte mir Nimue beigebracht, und immer wenn sie pochte, wußte ich, daß mir das Schicksal nicht gestatten würde, mich herauszuwinden. Ich war Nimue durch einen Eid verbunden. Ich konnte nicht umkehren.
Es hatte aufgehört zu regnen, und die Wolkendecke riß auf. Ein kalter Wind blies durch die Baumwipfel, aber kein Regen prasselte mehr herab. Es war immer noch dunkel. Die Morgendämmerung konnte nicht mehr weit entfernt sein, aber bis jetzt zeigte sich noch keine Ahnung von Licht über den Bergen im Osten. Es gab nichts als bleiches Mondlicht, das sich über die Steine von Dolforwyns Königskreis ergoß und sie in der Dunkelheit in silbrige Silhouetten verwandelte. Ich ging auf den Steinkreis zu. Dabei kam mir das Klopfen meines Herzens lauter vor als das Geräusch meiner schweren Stiefel. Noch immer war kein Mensch zu sehen, und sekundenlang fragte ich mich, ob dies ein ausgeklügelter Scherz von Merlin sei; aber dann entdeckte ich inmitten des Steinkreises, dort, wo der Krönungsstein von Powys lag, einen Schimmer, der heller war als jeder Widerschein des dunstigen Mondlichts auf regenglänzenden Steinen.
Mit klopfendem Herzen ging ich weiter. Als ich dann zwischen die Steine des Kreises trat, sah ich, daß das Mondlicht von einem Becher reflektiert wurde. Einem Silberbecher. Einem kleinen Silberbecher, der, wie ich entdeckte, als ich dicht an den Königstein herantrat, mit einer dunklen, mondbeschienenen Flüssigkeit gefüllt war.
»Trink, Derfel!« sagte Nimue so leise, daß sie bei dem Rauschen des Windes in den Eichen kaum zu vernehmen war.
»Trink!«
Ich wandte mich um, suchte nach ihr, vermochte aber niemanden zu entdecken. Der Wind blähte meinen Mantel und raschelte in ein paar losen Farnbündeln des Hallendachs.
»Trink, Derfel!« wiederholte Nimues Stimme. »Trink!«
Ich blickte zum Himmel auf und betete, daß Lleullaw mich beschützen möge. Meine Linke, die jetzt schon schmerzhaft pochte, umklammerte Hywelbanes Heft. Ich wollte das tun, was am ungefährlichsten war, und das hieß, wie mir klar war, umkehren und in die Wärme von Arthurs Freundschaft zurückkehren; aber das Elend meines Herzens hatte mich hierher auf diesen kalten, kahlen Hügel geführt, und die Vorstellung, wie Lancelots Hand auf Ceinwyns schlankem Handgelenk ruhte, lenkte meinen Blick wieder auf den Becher. Ich nahm ihn, zögerte, dann trank ich ihn leer. Die Flüssigkeit schmeckte so bitter, daß es mich schüttelte, als ich alles getrunken hatte. Der ekelhafte Geschmack haftete in meinem Mund und meiner Kehle, während ich den Becher behutsam auf den Königstein zurückstellte.
»Nimue?« rief ich fast flehend, aber es war nichts zu hören außer dem Wind hoch oben in den Bäumen.
»Nimue!« rief ich abermals, denn inzwischen drehte sich mir der Kopf. Die Wolken rasten schwarz und grau dahin, der Mond zersplitterte in Nadeln aus silbrigem Licht, die vom fernen Fluß heraufgeschossen kamen und im tobenden Dunkel der sich krümmenden Bäume zerbrachen. »Nimue!« rief ich, als meine Knie nachgaben und in meinem Kopf gespenstische Träume wirbelten. Ich kniete neben dem Königstein, der plötzlich hoch wie ein Berg vor mir aufragte. Dann schlug ich mit so großer Wucht vornüber, daß ich mit dem Arm den leeren Becher wegfegte. Mir war übel, aber ich konnte mich nicht erbrechen, es kamen nur Träume, gräßliche Träume, kreischende Dämonen eines Alptraums, der in meinem Kopf dröhnte. Ich weinte, ich schwitzte, und meine Muskeln zuckten unkontrollierbar.
Dann griffen Hände nach meinem Kopf. Der Helm wurde mir vom Kopf gerissen, und gleich darauf preßte sich eine Stirn gegen die meine. Es war eine kühle, weiße Stirn, und die Alpträume flatterten davon, um der Vision von einem langen, nackten, weißen Körper Raum zu machen, einem Körper mit schmalen Hüften und kleinen Brüsten. »Träum nur, Derfel«, tröstete mich Nimue, während ihre Hände meine Haare streichelten, »träume, mein Liebling, träume.«
Ich weinte hilflos. Ich war ein Krieger, Lord von Dumnonia und ein Freund Arthurs, der nach der letzten Schlacht so sehr in meiner Schuld stand, daß er mir mehr Land und Reichtum schenken wollte, als ich mir träumen ließ, und doch weinte ich jetzt wie ein verlassenes Waisenkind. Mein Herzenswunsch war Ceinwyn, aber Ceinwyn ließ sich von Lancelot blenden, und ich war überzeugt, daß ich nie wieder glücklich sein würde.
»Träume, mein Liebling«, flüsterte Nimue; dabei muß sie einen schwarzen Mantel über unsere beiden Köpfe gezogen haben, denn plötzlich verschwand die graue Nacht, und ich war von lautloser Dunkelheit umgeben, während sie mir die Arme um den Hals schlang und ihr Gesicht fest an das meine drückte. Wange an Wange knieten wir da, und meine Hände
verkrampften sich, als sie hilflos auf der kühlen Haut ihrer nackten Schenkel lagen. Ich überließ das Gewicht meines zuckenden Körpers ihren schmalen Schultern, und dort, in ihren Armen, versiegten die Tränen, endeten die Krämpfe, und unvermittelt wurde ich ruhig. Keine Übelkeit schnürte mir die Kehle zu, der Schmerz in meinen Beinen war verschwunden, und mir war warm. So warm, daß mir der Schweiß nur so am Körper hinabströmte. Ich rührte mich nicht, ich wollte mich nicht rühren, sondern einfach nur den Traum kommen lassen. Zuerst war es ein wunderbarer Traum, denn ich schien die Flügel eines großen Adlers bekommen zu haben, mit denen ich über ein mir fremdes Land hinwegglitt. Doch dann erkannte ich, wie schrecklich dieses Land war. Es wurde von tiefen Abgründen durchschnitten, und hohe zerklüftete Berge türmten sich auf, von denen kleine, weiße Bäche in moordunkle Seen hinabstürzten. Die Berge schienen kein Ende nehmen zu wollen, und es gab dort keinerlei Zufluchtsort; denn als ich auf meinen Traumflügeln über sie hinwegsegelte, sah ich weder Haus noch Hütte, weder Feld noch Herde. Keine
Menschenseele sah ich, nur einen Wolf, der zwischen den Felsen einhertrabte, und in einem Dickicht die Knochen eines Hirsches. Der Himmel über mir war schwertgrau, die Berge unter mir waren dunkel wie getrocknetes Blut, und die Luft unter meinen Schwingen fühlte sich so kalt an wie ein Messer zwischen den Rippen.
»Träume, mein Liebling«, murmelte Nimue, und im Traum flog ich auf meinen weiten Schwingen tief hinab. Unter mir entdeckte ich eine Straße, die sich zwischen dunklen Hügeln dahinwand. Es war eine Straße aus festgestampfter Erde, durchbrochen von Steinen, eine Straße, die ihren beschwerlichen Weg von einem Tal zum anderen nahm, bisweilen zu öden Paßhöhen emporstieg, um sich dann wieder zu den kahlen Steinen eines weiteren Talbodens
hinabzusenken. Am Ufer schwarzer Seen führte die Straße entlang, durch schattendunkle Abgründe, vorbei an schneegestreiften Berghängen, aber sie führte stetig nach Norden. Woher ich wußte, daß es Norden war, ahnte ich nicht, aber dies war ein Traum, in dem Wissen nicht begründet werden mußte.
Bis auf die Straße trugen mich die Traumschwingen hinab, und plötzlich flog ich nicht mehr, sondern stieg auf der Straße zu einem Paß in den Bergen empor. Die Hänge zu beiden Seiten der Paßstraße bestanden aus steilem, schwarzen Schiefergestein, an dem das Wasser herabrann. Doch irgend etwas sagte mir, das Ende der Straße liege unmittelbar hinter diesem schwarzen Paß, und wenn ich auf meinen müden Beinen nur weiterwandere, würde ich die Paßhöhe überwinden und auf der anderen Seite die Erfüllung meines
Herzenswunsches finden.
Inzwischen keuchte ich. Als ich die letzten paar Schritte auf der steilen Paßstraße zurücklegte, war mein Atem nur noch ein schmerzhaftes Luftholen, aber dort, auf dem Gipfel, sah ich auf einmal Licht, Farbe und Wärme.
Denn hinter der Paßhöhe senkte sich die Straße zu einer Küste ab, wo es Bäume und Felder gab, und hinter der Küste lag ein glitzerndes Meer mit einer Insel darin, und auf der Insel gab es einen See, der in dem plötzlichen Sonnenschein glänzte.
»Dort!« sagte ich laut, denn ich wußte, daß diese Insel mein Ziel sein mußte. Doch gerade als es schien, daß mir neue Kraft geschenkt wurde, damit ich die letzten Meilen zurücklegen und mich in dieses besonnte Meer stürzen konnte, versperrte mir ein Dämon den Weg. Eine schwarze Gestalt in schwarzer Rüstung, aus deren Mund schwarzer Geifer troff und die ein Schwert mit schwarzer Klinge, zweimal so lang wie Hywelbane, in der schwarzen Klauenhand hielt. Kreischend schleuderte er mir seine Herausforderung ins Gesicht. Ich schrie ebenfalls auf, und mein Körper versteifte sich in Nimues Armen.
Sie packte meine Schultern. »Du hast die Dunkle Straße gesehen, Derfel«, flüsterte sie mir zu, »du hast die Dunkle Straße gesehen.« Dann löste sie sich plötzlich von mir, der Mantel wurde von meinem Rücken gezogen, und ich sank vornüber in Dolforwyns nasses Gras, während der Wind eiskalt über mich hinwegstrich.
Lange Minuten blieb ich dort liegen. Der Traum war vorbei, und ich fragte mich, was die Dunkle Straße mit meinem Herzenswunsch zu tun habe. Dann warf ich mich auf die Seite und erbrach mich. Danach wurde mein Kopf wieder klar, und ich entdeckte den herabgefallenen Silberbecher neben mir. Ich hob ihn auf, hockte mich auf die Fersen und sah, daß Merlin mich von der anderen Seite des Königsteins aus beobachtete. Nimue, seine Geliebte und Priesterin, war neben ihm, den mageren Körper in einen weiten, schwarzen Mantel gehüllt, das schwarze Haar von einem Band gehalten. Ihr goldenes Auge glänzte im Mondschein. Das Auge, das in diese Höhle gehörte, hatte Gundleus ihr herausgerissen, der für diese Tat tausendfach gebüßt hatte.
Keiner von ihnen sprach, beide sahen einfach zu, wie ich den letzten Mageninhalt hinauswürgte, mir die Lippen mit der Hand abwischte, den Kopf schüttelte und aufzustehen versuchte. Mein Körper war noch immer schwach, und mir schwamm noch immer der Kopf, denn ich konnte mich nicht erheben. Also kniete ich mich neben dem Stein hin und stützte mich schwer auf die Ellbogen. Kleine Zuckungen ließen mich von Zeit zu Zeit erschauern. »Was habt ihr mir da zu trinken gegeben?« fragte ich, als ich den Silberbecher auf den Stein zurückstellte.
»Ich habe dir gar nichts gegeben«, antwortete Merlin. »Du hast aus freiem Willen getrunken, Derfel. Genauso, wie du aus freiem Willen hierhergekommen bist.« Seine Stimme, die in Cuneglas’ Halle so boshaft geklungen hatte, wirkte jetzt kalt und distanziert. »Was hast du gesehen?«
»Die Dunkle Straße«, antwortete ich gehorsam.
»Sie liegt dort drüben.« Merlin deutete im Dunkeln nach Norden.
»Und der Dämon?« wollte ich wissen.
»Das war Diwrnach«, gab er zurück.
Ich schloß die Augen, denn jetzt wußte ich, was er von mir wollte. »Und die Insel«, sagte ich und öffnete die Augen wieder, »war Ynys Mon?«
»Ja«, antwortete Merlin. »Die heilige Insel.«
Bevor die Römer kamen und bevor man von den Sachsen auch nur träumte, wurde Britannien von den Göttern regiert, und die Götter sprachen von Ynys Mon aus zu uns, aber die Insel wurde von den Römern zerstört. Sie fällten ihre Eichen, vernichteten ihre heiligen Haine und schlachteten die Schutzdruiden ab. Jenes Schwarze Jahr lag damals über vierhundert Jahre zurück, doch einigen Druiden war Ynys Mon noch immer heilig, Druiden, die wie Merlin die Götter nach Britannien zurückholen wollten. Inzwischen gehörte die Heilige Insel jedoch zum Königreich Lleyn, und Lleyn wurde von Diwrnach beherrscht, dem schrecklichsten aller Irenkönige, die das Irische Meer überquert hatten, um britannisches Land zu erobern. Wie es hieß, bemalte Diwrnach seine Schilde mit Menschenblut. In ganz Britannien gab es keinen König, der grausamer war und mehr gefürchtet wurde. Nur die Berge grenzten ihn ein, und nur sein kleines Heer hinderte ihn daran, den Schrecken südwärts in ganz Gwynedd zu verbreiten. Diwrnach war ein Ungeheuer, das nicht umzubringen war; ein Wesen, das am finsteren Rand Britanniens lauerte und – darin stimmten alle überein – besser nicht provoziert werden sollte. »Ihr wollt«, fragte ich Merlin,
»daß ich nach Ynys Mon gehe?«
»Ich will, daß du mit uns nach Ynys Mon gehst«, berichtigte er und zeigte auf Nimue. »Mit uns und einer Jungfrau.«
»Einer Jungfrau?« fragte ich.
»Weil, Derfel, nur eine Jungfrau den Kessel von Clyddno Eiddyn finden kann. Und von uns dreien«, ergänzte er sarkastisch, »kommt da ja wohl keiner in Frage.«
»Und der Kessel«, sagte ich langsam, »befindet sich auf Ynys Mon.« Als Merlin nickte, erschauerte ich angesichts dieser Aufgabe. Der Kessel von Clyddno Eiddyn war eins der dreizehn magischen Kleinodien Britanniens, die in alle Winde verstreut worden waren, als die Römer Ynys Mon zerstörten. Das letzte große Ziel in Merlins langem Leben war es, alle diese Kleinodien wieder zusammenzutragen, aber der Kessel war der größte Schatz. Mit dem Kessel, behauptete er, könne er die Götter lenken und die Christen vernichten, und deswegen kniete ich – mit einem bitteren Geschmack im Mund und einem vor Säure rebellierenden Magen – auf diesem nassen Hügel in Powys. »Meine Aufgabe«, sagte ich zu Merlin,
»meine Aufgabe ist es, gegen die Sachsen zu kämpfen.«
»Du Narr!« fuhr Merlin mich an. »Wenn wir die Kleinodien nicht zurückholen, ist der Krieg gegen die Sais verloren.«
»Das sieht Arthur anders.«
»Dann ist Arthur ein ebenso großer Narr wie du. Was spielen die Sachsen für eine Rolle, wenn unsere Götter uns verlassen haben?«
»Ich habe gelobt, Arthur zu dienen«, protestierte ich.
»Auch mir hast du Gehorsam geschworen.« Nimue hielt ihre Linke empor, um mir ihre Narbe zu zeigen, die haargenau der meinen glich.
»Aber ich will nicht, daß ein Mann die Dunkle Straße betritt, der nicht aus freiem Willen kommt«, sagte Merlin. »Du mußt wählen zwischen denjenigen, denen du verschworen bist, Derfel. Aber bei dieser Wahl kann ich dir helfen.«
Er nahm den Becher vom Königstein und legte an seine Stelle ein Häufchen abgenagte Rippen, die er aus Cuneglas’
Halle mitgebracht hatte. Dann kniete er nieder, nahm einen der Knochen heraus und legte ihn in die Mitte des Steins. »Das ist Arthur«, sagte er. »Das hier« – er griff nach einem zweiten Knochen – »ist Cuneglas. Von diesem« – er legte einen dritten Knochen so, daß er mit den ersten beiden ein Dreieck bildete –
»werden wir später sprechen. Das hier« – er legte einen vierten Knochen quer über eine der drei Ecken – »ist Tewdric von Gwent, dies ist Arthurs Bündnis mit Tewdric, und dies ist sein Bündnis mit Cuneglas.« So bildete er ein zweites Dreieck über dem ersten, bis die beiden annähernd einen sechszackigen Stern bildeten. »Das hier ist Elmet«, begann er die dritte Ebene, die parallel zur ersten verlief, »dies ist Siluria, und dieser Knochen« – er hielt den letzten empor – »ist das Bündnis all dieser Königreiche. Also.« Er lehnte sich zurück und deutete auf den wackligen Knochenturm auf dem Königstein. »Was du da siehst, Derfel, ist Arthurs sorgfältig ausgedachter Plan, aber ich sage dir, ich versichere dir, daß
dieser Plan ohne die Kleinodien fehlschlagen wird.«
Er verstummte. Ich starrte die neun Knochen an. An allen, ausgenommen den geheimnisvollen dritten Knochen, hingen noch Reste von Fleisch, Sehnen und Knorpeln. Nur der dritte Knochen war blankgeputzt und weiß. Sehr behutsam berührte ich ihn mit dem Finger, denn ich wollte das labile Gleichgewicht des kleinen Turms nicht stören. »Und was ist dieser dritte Knochen?« fragte ich Merlin.
Merlin lächelte. »Der dritte Knochen, Derfel«, sagte er, »ist die Vermählung von Lancelot und Ceinwyn.« Er legte eine kleine Pause ein. »Nimm ihn.«
Ich rührte mich nicht. Wenn ich den dritten Knochen nahm, würde ich Arthurs unsicheres Netz von Bündnissen zerstören, das seine beste, nein, seine einzige Hoffnung darstellte, die Sachsen zu besiegen.
Merlin grinste höhnisch, als ich zögerte; dann griff er sich den dritten Knochen, zog ihn aber nicht heraus. »Die Götter hassen die Ordnung«, fauchte er mich an. »Ordnung, Derfel, vernichtet die Götter, deswegen müssen sie die Ordnung vernichten.« Unvermittelt zog er den Knochen heraus, und das Knochenhäufchen fiel in sich zusammen. »Wenn Arthur Frieden in ganz Britannien schaffen will, Derfel«, sagte Merlin,
»muß er die Götter wieder einsetzen.« Er reichte mir den Knochen. »Nimm ihn.«
Ich rührte mich nicht.
»Es ist doch nur ein Häufchen Knochen«, sagte Merlin.
»Aber dieser Knochen, Derfel, steht für deinen
Herzenswunsch.« Er streckte mir den weißen Knochen entgegen. »Dieser Knochen ist Lancelots Vermählung mit Ceinwyn. Zerbrichst du ihn, Derfel, wird diese Vermählung nie stattfinden. Läßt du ihn aber ganz, Derfel, wird dein Feind deine Liebste zu sich ins Bett holen und sie so elend machen wie einen Hund.« Abermals streckte er mir den Knochen entgegen, und abermals weigerte ich mich, ihn zu ergreifen.
»Glaubst du vielleicht, die Liebe zu Ceinwyn steht dir nicht ins Gesicht geschrieben?« fragte mich Merlin spöttisch. »Nimm ihn! Denn ich, Merlin von Avalon, gewähre dir, Derfel, die Macht über diesen Knochen.«
Die Götter mögen mir beistehen, aber ich nahm den Knochen. Was hätte ich sonst tun sollen? Ich war verliebt, also nahm ich den gereinigten Knochen und steckte ihn in meinen Beutel.
»Er wird dir nichts helfen, solange du ihn nicht zerbrichst«, sagte Merlin zu mir.
»Möglich, daß er mir ohnehin nichts hilft«, gab ich zurück, als ich endlich feststellte, daß ich wieder stehen konnte.
»Du bist ein Narr, Derfel«, behauptete Merlin. »Aber du bist ein Narr, der gut mit dem Schwert umgehen kann, und deswegen brauche ich dich, wenn wir die Dunkle Straße bewältigen wollen.« Er stand auf. »Die Wahl liegt jetzt bei dir. Du kannst den Knochen zerbrechen, dann wird Ceinwyn sich für dich entscheiden, das kann ich dir versichern. Aber damit hast du dich der Suche nach dem Kessel verschworen. Oder du kannst Gwenhwyvach ehelichen und dein Leben damit verbringen, auf sächsische Schilde einzuhauen, während die Christen sich verschwören, Dumnonia zu übernehmen. Ich überlasse dir die Wahl, Derfel. Und nun schließ die Augen.«
Ich schloß die Augen und hielt sie eine geraume Zeit gehorsam geschlossen. Als jedoch keine weiteren Anweisungen erfolgten, machte ich sie schließlich wieder auf. Die Hügelkuppe war leer. Ich hatte nichts gehört, aber Merlin, Nimue, die acht Knochen und der Silberbecher waren allesamt verschwunden. Im Osten dämmerte der Morgen, die Vögel lärmten in den Bäumen, und ich trug einen weißen, blankgeputzten Knochen im Beutel.
Ich machte mich auf den Weg, den Hügel hinab bis zu der Straße am Fluß. Vor meinen Augen aber sah ich nur jene andere Straße, die Dunkle Straße, die zu Diwrnachs Schlupfwinkel führte, und mir wurde angst.
An jenem Morgen gingen wir auf Sauhatz, und kaum hatten wir Caer Sws verlassen, da suchte Arthur meine Gesellschaft.
»Ihr habt Euch gestern abend früh zurückgezogen, Derfel«, begrüßte er mich.
»Mein Magen, Lord«, gab ich zurück. Ich wollte ihm nicht die Wahrheit sagen – daß ich mich mit Merlin getroffen hatte –
, denn dann hätte er geargwöhnt, daß ich die Suche nach dem Kessel noch immer nicht aufgegeben hatte. Also war es besser, ihn zu belügen. »Mein Magen hat aufbegehrt«, erklärte ich. Er lachte. »Ich weiß nicht, warum wir so etwas Festmahl nennen«, sagte er, »wo es doch nur ein Vorwand zum Trinken ist.« Er blieb stehen, um auf Guinevere zu warten, die gern auf die Jagd ging und an diesem Morgen Stiefel und eine Lederhose trug, die eng an ihre langen Beine geschnürt war. Ihre Schwangerschaft versteckte sie unter einem Lederwams, über dem sie einen grünen Umhang trug. Sie hatte ein Paar ihrer geliebten Jagdhunde mitgebracht und reichte mir die Leinen, damit Arthur sie durch die Furt neben der alten Festung tragen konnte. Lancelot bot Ceinwyn den gleichen Dienst an, die offensichtlich entzückt aufschrie, als Lancelot sie hochhob. Auch Ceinwyn trug an diesem Tag
Männerkleidung, aber die ihre war nicht so eng und elegant geschnitten wie Guineveres. Vermutlich hatte sich Ceinwyn alles an Jagdkleidung ausgeborgt, was sie bei ihrem Bruder finden konnte, und sah in diesen weiten, überlangen Kleidungsstücken neben Guineveres vornehmer Eleganz knabenhaft und sehr jung aus. Keine der beiden Frauen trug einen Speer, aber Bors, Lancelots Cousin und Champion, hatte eine zusätzliche Waffe mitgenommen, falls Ceinwyn sich am Erlegen eines Tieres beteiligen wollte. Arthur hatte darauf bestanden, daß die schwangere Guinevere keinen Speer trug.
»Du mußt heute sehr vorsichtig sein«, sagte er, als er sie am Südufer des Severn auf die Füße zurückstellte.
»Du machst dir zu viele Sorgen«, gab sie zurück. Dann nahm sie mir die Leinen der Hunde ab und fuhr sich mit der Hand durch das dichte, widerspenstige rote Haar. »Ihr müßt nur schwanger werden«, wandte sie sich an Ceinwyn, »dann glauben die Männer, Ihr seid aus Glas.« Sie gesellte sich zu Lancelot, Ceinwyn und Cuneglas und überließ es Arthur, an meiner Seite zu dem grünen Tal hinüberzuwandern, wo Cuneglas’ Jagdgehilfen reichlich Schwarzwild gemeldet hatten. Insgesamt waren wir etwa fünfzig Jäger, zumeist Krieger, aber auch eine Handvoll Frauen waren mitgekommen, und vierzig Diener bildeten die Nachhut. Einer der Diener stieß ins Horn, um die Jagdgehilfen am anderen Talende aufzufordern, das Wild zum Fluß hinunterzutreiben, während wir Jäger unsere langen, schweren Saufedern schulterten und ausschwärmten, um eine Reihe zu bilden. Es war ein kalter Spätsommertag, so kalt, daß unser Atem zu sehen war. Die Sonne schien auf fahle Felder, in denen noch der Morgennebel hing. Arthur war in fröhlicher Stimmung; er genoß die Schönheit des Tages, die eigene Jugend und die Aussicht auf eine Jagd. »Ein Festmahl noch«, sagte er zu mir, »dann könnt Ihr nach Hause ziehen und Euch ausruhen.«
»Noch ein Festmahl?« fragte ich töricht, weil mein Verstand noch immer von der Müdigkeit und den Folgen jener Flüssigkeit benebelt war, die mir Merlin und Nimue auf dem Gipfel des Dolforwyn zu trinken gegeben hatten. Arthur tätschelte mir die Schulter. »Lancelots Verlöbnis, Derfel. Und dann nichts wie heimwärts nach Dumnonia. Und an die Arbeit!« Er schien sich bei dem Gedanken zu freuen und schilderte mir begeistert seine Pläne für den kommenden Winter. Es gab vier eingestürzte römische Brücken, die er wieder aufbauen lassen wollte, und danach sollten die Steinmetze des Königreichs nach Lindinis geschickt werden, um den königlichen Palast fertigzustellen. Lindinis war die römische Stadt in der Nähe von Dumnonias Königshügel Caer Cadarn, die Arthur zur neuen Hauptstadt machen wollte. »In Durnovaria gibt es zu viele Christen«, erklärte er, obwohl er hastig und charakteristisch für ihn hinzufügte, daß er persönlich nichts gegen die Christen habe.
»Es ist nur so, Lord«, gab ich ironisch zurück, »daß sie etwas gegen Euch haben.«
»Manche«, räumte er ein. Vor der Schlacht, als Arthurs Sache unwiderruflich verloren schien, war eine Partei, die gegen Arthur opponierte, in Dumnonia frech geworden, und diese Partei wurde von Christen angeführt, denselben Christen, deren Obhut Mordred anvertraut war. Der unmittelbare Grund für ihren Zorn war ein Darlehen gewesen, das Arthur sich von der Kirche für den Feldzug erzwungen hatte, der in Lugg Vale endete, und dieses Darlehen hatte eine erbitterte Feindschaft ausgelöst. Seltsam, dachte ich, daß die Kirche den hohen Wert der Armut predigt, einem Mann aber, der sich bei ihr Geld leiht, niemals vergibt.
»Ich wollte mit Euch über Mordred reden«, sagte Arthur, um mir zu erklären, warum er an diesem schönen Morgen meine Gesellschaft suchte. »In zehn Jahren«, fuhr Arthur fort, »wird er alt genug sein, um den Thron zu besteigen. Das ist nicht lange, Derfel, ganz und gar nicht lange, und es ist unbedingt nötig, daß er in diesen zehn Jahren eine gute Erziehung genießt. Er muß lesen und schreiben lernen, er muß lernen, mit dem Schwert umzugehen, und er muß lernen, Verantwortung zu übernehmen!« Ich nickte zustimmend, wenn auch ohne Begeisterung. Der fünfjährige Mordred würde zweifellos all die Dinge lernen, die Arthur für ihn vorsah, aber ich sah nicht recht ein, was ich damit zu tun hatte. Arthur dachte da anders.
»Ich möchte, daß Ihr sein Vormund werdet«, sagte er zu meiner Überraschung.
»Ich?« rief ich erstaunt.
»Nabur kümmert sich mehr um sein eigenes Fortkommen als um Mordreds Charakter«, erklärte Arthur. Nabur war der christliche Beamte, der gegenwärtig Vormund des Kindkönigs war, und außerdem war es Nabur gewesen, der am eifrigsten intrigiert hatte, um Arthurs Macht zu vernichten – Nabur und natürlich Bischof Sansum. »Und Nabur ist kein Krieger«, fuhr Arthur fort. »Ich bete, daß Mordred in Frieden regieren kann, Derfel, aber er muß das Kriegshandwerk lernen – das müssen alle Könige, und ich kann mir keinen besseren Ausbilder für ihn vorstellen als Euch.«
»Mich nicht«, protestierte ich heftig. »Ich bin zu jung!«
Arthur lachte über diesen Einwand. »Die Jungen sollten von den Jungen erzogen werden, Derfel«, behauptete er. Ein fernes Hornsignal meldete, daß das Wildtreiben am Talende begonnen hatte. Wir Jäger drangen in den Wald ein und stiegen über Dorngestrüpp und abgestorbene
Baumstämme, die dicht mit Pilzen bewachsen waren. Wir bewegten uns jetzt nur noch langsam und lauschten ständig auf das furchteinflößende Geräusch eines Keilers, der durchs Unterholz bricht. »Außerdem«, fuhr ich fort, »ist mein Platz in Eurem Schildwall, nicht in Mordreds Kinderstube.«
»Ihr werdet immer noch zu meinem Schildwall gehören. Glaubt Ihr, ich will Euch verlieren, Derfel?« meinte Arthur grinsend. »Ich will nicht, daß Ihr an Mordred gebunden seid, ich will nur, daß er in Eurem Haushalt lebt. Es ist wichtig, daß
er von einem ehrlichen Mann erzogen wird.«
Ich quittierte das Kompliment mit einem Achselzucken und dachte dann mit schlechtem Gewissen an den sauberen, heilen Knochen in meinem Beutel. Ist es ehrlich, fragte ich mich, Ceinwyn durch Magie zu einer Sinnesänderung zu zwingen?
Ich sah zu ihr hinüber; sie erwiderte meinen Blick und schenkte mir ein schüchternes Lächeln. »Aber ich habe keinen Haushalt«, gab ich Arthur zu bedenken.
»Ihr werdet einen haben, und zwar bald«, gab er zurück. Dann hob er die Hand, und ich erstarrte, um auf die Geräusche ein Stück vor uns zu lauschen. Irgend etwas Schweres brach durch die Bäume, und wir duckten uns beide instinktiv mit unseren Speeren, die wir wenige Zoll über dem Boden hielten. Dann aber entdeckten wir, daß das verängstigte Tier ein prachtvoller Rothirsch mit gutem Geweih war, und wir entspannten uns, als das Tier an uns vorüberdonnerte. »Den werden wir morgen jagen«, sagte Arthur und blickte dem Hirsch nach. »Morgen früh kannst du deinen Hunden etwas Auslauf verschaffen!« rief er zu Guinevere hinüber. Lachend kam sie mit den an ihren Leinen zerrenden Hunden den Hang herab auf uns zu. »Das würde mir Freude machen«, sagte sie. Ihre Augen strahlten, ihr Gesicht war von der Kälte gerötet. »Die Jagd ist hier besser als in Dumnonia«, sagte sie.
»Aber nicht das Land«, wandte sich Arthur an mich. »Es gibt da einen Besitz nördlich von Durnovaria«, fuhr er fort, »der rechtmäßig Mordred gehört. Auf den möchte ich Euch als Lehnsmann setzen. Natürlich werde ich Euch außerdem noch andere Ländereien geben, die Euch selbst gehören sollen, aber Ihr könnt auf Mordreds Land eine Halle errichten und ihn dort erziehen.«
»Ihr kennt den Besitz«, sagte Guinevere. »Er liegt nördlich von Gyllads Pachtgut.«
»Ich kenne ihn«, gab ich zurück. Der Besitz verfügte über gutes Flußland für Getreide und schönes Weideland für Schafe.
»Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich weiß, wie man ein Kind erzieht«, grollte ich. Die Hörner vor uns erklangen wieder, und die Hunde der Jagdgehilfen kläfften erregt. Weit rechts von uns gab es Jubelrufe, ein Zeichen dafür, daß jemand Jagdbeute gesichtet hatte, obwohl in unserem Teil des Waldes noch alles ruhig war. Ein kleiner Bach plätscherte zu unserer Linken, und zur Rechten stieg der bewaldete Boden empor. Felsbrocken und knorrige Baumwurzeln waren von dichtem Moos überzogen.
Arthur tat meine Befürchtungen ab. »Ihr sollt Mordred nicht selbst erziehen«, sagte er, »aber ich möchte, daß er in Eurer Halle erzogen wird, bei Euren Dienern, mit Euren Manieren, Eurer Moral und Euren Meinungen.«
»Und«, setzte Guinevere hinzu, »von Eurer Gemahlin.«
Ein knackender Zweig lenkte meinen Blick bergauf. Dort standen Lancelot und sein Cousin Bors vor Ceinwyn. Lancelots Speerschaft war schneeweiß gestrichen, er selbst trug hohe Lederstiefel und einen Mantel aus weichem Leder. Ich wandte mich zu Arthur um. »Das mit der Gemahlin, Lord«, sagte ich vorwurfsvoll, »ist mir neu.«
Die Sauhatz vergessend, packte er mich am Ellbogen. »Ich werde Euch zum Champion von Dumnonia ernennen, Derfel«, erklärte er.
»Das ist zuviel Ehre für mich, Lord«, entgegnete ich vorsichtig. »Außerdem seid Ihr Mordreds Champion.«
»Prinz Arthur«, sagte Guinevere, denn sie nannte ihn gern Prinz, obwohl er als Bastard geboren war, »ist bereits oberster Protektor. Er kann nicht auch noch Champion sein, es sei denn, man erwartet von ihm, daß er die ganze Arbeit in Dumnonia allein verrichtet.«
»Sehr wahr, Lady«, gab ich zu. Ich hatte nichts gegen die Ehre einzuwenden, denn es war eine sehr große, obwohl sie natürlich ihren Preis hatte. In der Schlacht würde ich gegen jeden Champion kämpfen müssen, der sich mir zum Zweikampf zu stellen wünschte; zu Friedenszeiten jedoch brachte der Titel Reichtum und einen Rang, der meinen gegenwärtigen weit überstieg. Inzwischen hatte ich schon den Titel Lord inne und verfügte auch über die Männer, die nötig waren, um diesen Rang zu halten. Außerdem hatte ich das Recht, mein eigenes Zeichen auf die Schilde meiner Männer malen zu lassen; immerhin aber teilte ich diese Ehre mit vierzig anderen Kriegsführern von Dumnonia. Als Champion des Königs wäre ich der oberste Krieger von Dumnonia, obwohl ich nicht begriff, wie irgend jemand diesen Status für sich beanspruchen konnte, solange Sagramor lebte. »Sagramor«, sagte ich, »ist ein weit besserer Krieger als ich, Lord Prinz.« In Guineveres Anwesenheit durfte ich nicht vergessen, ihn hin und wieder Prinz zu nennen, obwohl er selbst diesen Titel nicht mochte.
Arthur wehrte meine Einwände ab. »Sagramor werde ich zum Lord der Steine machen«, erklärte er, »denn das wünscht er sich am meisten.« Die Lordschaft über die Steine machte Sagramor zu dem Mann, der die sächsische Grenze bewachte, und ich konnte mir gut vorstellen, daß der schwarzhäutige, dunkeläugige Sagramor mit einer solch kriegerischen Aufgabe mehr als zufrieden war. »Ihr aber, Derfel« – er tippte mir auf die Brust – »werdet der Champion sein.«
»Und wer«, fragte ich ironisch, »soll die Gemahlin des Champions sein?«
»Meine Schwester Gwenhwyvach«, antwortete Guinevere, die mich dabei aufmerksam beobachtete.
Ich war dankbar, daß Merlin mich vorgewarnt hatte. »Das ist zuviel der Ehre für mich, Lady«, gab ich höflich zurück. Guinevere lächelte. Offenbar glaubte sie, daß meine Worte Zustimmung bedeuteten. »Hättet Ihr je gedacht, Derfel, daß Ihr eine Prinzessin ehelichen würdet?«
»Nein, Lady«, gestand ich ein. Gwenhwyvach war, wie Guinevere, tatsächlich eine Prinzessin, eine Prinzessin von Henis Wyren, obwohl es Henis Wyren nicht mehr gab. Jenes beklagenswerte Königreich hieß jetzt Lleyn und wurde von dem dunklen irischen Eroberer, König Diwrnach, beherrscht. Guinevere zerrte an den Leinen, um ihre aufgeregten Jagdhunde zu beruhigen. »Sobald wir nach Dumnonia zurückkehren, könnt Ihr euch verloben«, erklärte sie.
»Gwenhwyvach ist einverstanden.«
»Aber es gibt ein Hindernis, Lord«, wandte ich mich an Arthur.
Wieder zerrte Guinevere an den Leinen – völlig unnötig, doch sie haßte jeden Widerspruch und ließ ihre Empörung an den Hunden aus, statt an mir. Zu jener Zeit haßte sie mich zwar nicht, aber sie mochte mich auch nicht besonders. Sie wußte von meiner Abneigung gegen Lancelot, und diese Tatsache nahm sie sicher gegen mich ein; aber sie hätte meine Abneigung nicht für wichtig gehalten, denn für sie war ich zweifellos nichts weiter als einer der Kriegsführer ihres Gemahls: ein hochgewachsener, langweiliger, flachshaariger Mann, dem die zivilisierten Manieren fehlten, auf die Guinevere so großen Wert legte. »Ein Hindernis?« fragte mich Guinevere fast drohend.
»Lord Prinz«, sagte ich, wiederum an Arthur gewandt, statt an seine Gemahlin, »ich bin einer Dame durch Eid verbunden.«
Dabei dachte ich an den Knochen in meinem Beutel. »Ich habe keinen Anspruch auf sie und darf auch nichts von ihr erwarten
– aber sobald sie Anspruch auf mich erhebt, bin ich ihr verpflichtet.«
»Wer ist es?« verlangte Guinevere sofort zu wissen.
»Das darf ich nicht sagen, Lady.«
»Wer?« drängte Guinevere abermals.
»Er muß es nicht sagen«, kam Arthur mir zu Hilfe. Er lächelte. »Wie lange kann diese Lady Eure Treue beanspruchen?«
»Nicht mehr sehr lange, Lord«, antwortete ich. »Inzwischen nur noch ein paar Tage.« Denn sobald sich Ceinwyn Lancelot anverlobte, durfte ich den Eid, den ich ihr geschworen hatte, als nichtig betrachten.
»Gut«, sagte er energisch und lächelte Guinevere zu, als forderte er sie auf, seine Freude zu teilen, aber Guinevere zog statt dessen eine finstere Miene. Sie verabscheute Gwenhwyvach, fand sie plump und langweilig, und war verzweifelt darauf bedacht, ihre Schwester aus ihrem Leben wegzuvermählen. »Wenn alles gutgeht«, sagte Arthur, »könnt Ihr zum selben Zeitpunkt in Glevum vermählt werden wie Lancelot und Ceinwyn.«
»Oder verlangt Ihr diese paar Tage«, fragte Guinevere giftig,
»um Euch Gründe auszudenken, warum Ihr meine Schwester nicht ehelichen solltet?«
»Lady«, antwortete ich tiefernst, »es wäre mir eine Ehre, mich mit Gwenhwyvach zu vermählen.« Das war, glaube ich, die Wahrheit, denn Gwenhwyvach würde sich zweifellos als gute Gemahlin erweisen; wenn es auch eine ganz andere Frage war, ob ich mich als ein guter Gemahl erweisen würde, denn für mich war der einzige Grund, Gwenhwyvach zu heiraten, der hohe Rang und der große Reichtum, den sie als Mitgift in die Ehe bringen würde. Aber das war für die meisten Männer der einzige Grund für eine Vermählung. Und wenn ich Ceinwyn nicht haben konnte – was machte es schon, wen ich heiratete? Merlin hatte uns immer davor gewarnt, Liebe mit Ehe zu verwechseln, und wenn sein Ratschlag auch zynisch klang, so barg er doch einige Wahrheit in sich. Von mir erwartete man nicht, daß ich Gwenhwyvach liebte; ich sollte mich nur mit ihr vermählen, und ihr Rang und ihre Mitgift wären der Lohn dafür, daß ich den langen, blutigen Tag in Lugg Vale siegreich überstanden hatte. Selbst wenn dieser Lohn durch Guineveres Spott einen unangenehmen
Beigeschmack bekam, war er immer noch reich und großzügig.
»Ich werde Eure Schwester mit Freuden zu meiner Gemahlin nehmen«, versprach ich Guinevere, »solange mich die Lady, der ich durch meinen Eid verbunden bin, nicht zu sich ruft.«
»Ich hoffe, daß sie das nicht tun wird«, sagte Arthur lächelnd. Dann fuhr er herum, weil oben am Hang ein Ruf ertönte.
Bors duckte sich mit seinem Speer. Lancelot war neben ihm, blickte jedoch den Hang hinunter zu uns, vielleicht weil er fürchtete, das Tier könnte durch die Lücke zwischen uns entkommen. Arthur drängte Guinevere behutsam zurück und winkte mir dann, den Hang hinaufzuklettern und die Lücke zu schließen.
»Es sind zwei!« rief Lancelot uns zu.
»Das eine wird eine Bache sein«, rief Arthur zurück. Er lief ein paar Schritte weit stromaufwärts, bevor er bergauf zu steigen begann. »Wo?« fragte er. Mit seinem weißgeschäfteten Speer wies Lancelot die Richtung, doch ich konnte im Unterholz noch immer nichts erkennen.
»Da!« sagte Lancelot gereizt und stieß seinen Speer in Richtung eines Dornengestrüpps.
Mit Arthur zusammen kletterte ich ein paar Fuß weiter hinauf, bis wir den Keiler endlich tief im Unterholz entdeckten. Es war ein riesiges, altes Tier mit gelblichen Hauern, kleinen Augen und dicken Muskelpaketen unter dem dunklen Fell. Mit diesen Muskeln war er vermutlich schnell wie der Blitz und konnte seine schwertscharfen Hauer mit tödlicher Sicherheit einsetzen. Wir hatten alle schon Männer mit
Hauerverletzungen gesehen, und nie war ein Keiler gefährlicher, als wenn er mit einer Bache zusammen in die Enge getrieben wurde. Alle Jäger beteten um einen Keiler, der sie in offenem Gelände angriff, so daß sie die eigene Geschwindigkeit des Tieres und sein Gewicht benutzen konnten, um ihm den Speer in den Körper zu treiben. Eine derartige Konfrontation verlangte Mut und Können, aber bei weitem nicht so viel Mut wie dann, wenn der Mann den Keiler angreifen mußte.
»Wer hat ihn zuerst gesehen?« fragte Arthur.
»Mein Lord König.« Bors zeigte auf Lancelot.
»Dann gehört er Euch, Lord König.« Mit diesen höflichen Worten überließ Arthur die Ehre des Tötens Lancelot.
»Er ist meine Gabe an Euch, Lord«, erwiderte Lancelot. Ceinwyn, die hinter ihm stand, biß sich mit großen Augen auf die Lippe. Sie hatte sich von Bors den zusätzlichen Speer geholt – nicht weil sie ihn benutzen wollte, sondern um ihm die Last abzunehmen – und hielt die Waffe nervös in der Hand.
»Hetzt die Hunde auf ihn!« Guinevere kam zu uns. Ihre Augen strahlten, ihre Miene war lebhaft. Ich glaube, sie langweilte sich oft in den großen Palästen Dumnonias, und die Jagd verschaffte ihr die Aufregung, nach der sie sich sehnte.
»Du wirst beide Hunde verlieren«, warnte Arthur. »Dieses Wildschwein kann kämpfen!« Vorsichtig bewegte er sich vorwärts und erwog, wie er das Tier am besten reizen könnte. Schließlich trat er energisch vor und schlug mit seinem Speer auf die Büsche, als wollte er dem Keiler einen Ausweg aus seiner Zufluchtsstätte bieten. Der Schwarzkittel grunzte, rührte sich aber nicht, nicht einmal, als die Speerspitze nur wenige Zoll von seiner Schnauze entfernt herniedersauste. Die Bache stand hinter dem Keiler.
»Der hat so was schon einmal erlebt«, verkündete Arthur fröhlich.
»Überlaßt ihn mir, Lord«, bat ich, weil ich auf einmal Angst um ihn hatte.
»Glaubt Ihr, ich hätte meine Jagdkunst verlernt?« fragte Arthur mich lächelnd. Wieder schlug er auf die Büsche, aber die Dornzweige wollten nicht flach liegenbleiben, und der Keiler wollte sich nicht rühren. »Die Götter mögen dir beistehen«, sagte Arthur zu dem Tier, rief eine Herausforderung und sprang mitten in das Gewirr der Dornbüsche hinein. Er hielt auf eine Stelle unmittelbar neben dem Pfad zu, den er annähernd geebnet hatte, und als er landete, stieß er den Speer mit aller Kraft nach vorn, die blanke Spitze auf die linke Flanke des Keilers dicht vor dessen Schulter gerichtet.
Der Kopf des Keilers schien zu zucken, nur eben ganz leicht zu zucken, doch das genügte, um die Speerspitze mit dem Hauer abzuwehren, so daß sie einen blutigen, aber harmlosen Schnitt weiter unten in seiner Flanke verursachte. Dann griff er an. Ein guter Keiler kann mit gesenktem Kopf, die Hauer bereit zum Stoß, unmittelbar in einen wütenden Angriff übergehen, und dieser Keiler war bereits an Arthurs Speerspitze vorbei, als er angriff, und Arthur war in dem Dornengestrüpp gefangen. Ich brüllte laut, um das Untier abzulenken, und stieß ihm meinen Speer in den Bauch. Arthur lag auf dem Rücken. Er hatte den Speer verloren, und der Keiler war über ihm. Die Hunde jaulten, Guinevere schrie uns an, wir sollten helfen. Mein Speer steckte tief im Bauch des Keilers, dessen Blut bis zu meinen Händen emporschoß, als ich die Waffe empor-und hintenüberhebelte, um das verletzte Tier von meinem Lord herunterzustemmen. Der Keiler wog mehr als zwei gefüllte Kornsäcke, und seine Muskeln waren wie Stricke aus Eisen, die an meinem Speer zerrten. Mit aller Kraft packte ich zu und drückte nach oben, dann aber griff die Bache an und fegte mich mühelos zu Boden. Ich fiel, mein Gewicht zog den Speerschaft herunter und brachte dadurch den Keiler wieder auf Arthurs Bauch zurück.
Arthur hatte irgendwie die Hauer des Wildschweins gepackt und zwang dessen Kopf jetzt mit gesammelter Kraft von seiner Brust herunter. Die Bache machte sich hangabwärts aus dem Staub. »Tötet ihn!« rief Arthur, aber es war ein halbes Lachen. Nur wenige Zoll war er vom Tod entfernt, und doch genoß er diesen Moment. »Tötet ihn!« rief er abermals. Die schwarzen Beine des Keilers strampelten, sein Geifer bespritzte Arthurs Gesicht, und sein Blut tränkte Arthurs Kleidung. Ich lag auf dem Rücken, und mein Gesicht war von den Dornen zerkratzt. Ich rappelte mich auf und griff nach meinem zuckenden, tanzenden Speer, der noch immer im Bauch des großen Schwarzkittels steckte; aber dann stieß Bors ein Messer in den Hals des Keilers, und ich sah zu, wie die unermeßliche Kraft des Tieres zu erlahmen begann. Arthur gelang es, den gedrungenen, stinkenden, blutigen Kopf von seinen Rippen zu stemmen. Ich ergriff meinen Speer, drehte die Spitze, suchte tief im Bauch des Wildschweins nach seinem Lebensblut, während Bors ein zweites Mal zustieß. Unvermittelt begann der Keiler auf Arthur zu pissen, versuchte ein letztes Mal verzweifelt mit seinem wuchtigen Hals zuzustoßen und sackte dann plötzlich in sich zusammen. Arthur war durchnäßt vom Blut und Urin des verendeten Tieres und halb begraben unter dem mächtigen Körper.
Vorsichtig ließ er die Hauer los, dann brach er in hilfloses Lachen aus. Bors und ich nahmen jeder einen Hauer und hievten den Kadaver mit vereinten Kräften von Arthur herunter. Einer der Hauer hatte sich in Arthurs Wams verfangen, so daß der Stoff riß, als wir ihn wegzogen. Wir warfen das Tier in die Dornbüsche und halfen Arthur beim Aufstehen. Zu dritt standen wir keuchend da, mit verdreckten, zerrissenen Kleidern, bedeckt mit Laub, Zweigen und dem Blut des Keilers, und grinsten. »Hier werde ich wohl einen blauen Fleck kriegen«, sagte Arthur und tippte sich auf die Brust. Dann wandte er sich an Lancelot, der keinen Finger gerührt hatte, um Arthur bei seinem Kampf zu helfen. Nach einer winzigen Pause neigte Arthur den Kopf. »Ihr habt mir ein edles Geschenk gemacht, Lord König«, sagte er, »das ich höchst unedel behandelt habe.« Er wischte sich die Augen. »Aber ich habe die Sache genossen. Und bei Eurer Verlöbnisfeier werden wir das Tier alle zusammen genießen.« Als er Guinevere ansah, entdeckte er, daß sie blaß war und fast zitterte. Sofort eilte er zu ihr hinüber. »Fühlst du dich nicht wohl?«
»Doch, doch«, versicherte sie, umarmte ihn und legte den Kopf an seine blutverschmierte Brust. Sie weinte. Es war das erste Mal, daß ich sie weinen sah.
Arthur tätschelte ihr den Rücken. »Es bestand keine Gefahr, meine Geliebte«, sagte er, »nicht die geringste. Ich habe nur die Jagd verpatzt.«
»Bist du verletzt?« fragte Guinevere, während sie sich von ihm löste und ihre Tränen mit den Händen abwischte.
»Nur ein paar Kratzer.« Sein Gesicht und seine Hände waren von den Dornen zerkratzt, davon abgesehen war er jedoch unverletzt – bis auf die Quetschung, die von einem der Hauer kam. Er trat von ihr zurück, griff nach seinem Speer und stieß
einen Jubelschrei aus. »Seit Jahren bin ich nicht mehr auf den Rücken gelegt worden!«
König Cuneglas kam herbeigelaufen, voller Sorge um seine Gäste, dann kamen seine Jagdgehilfen, um die Beute zu verschnüren und wegzutragen. Sie alle mußten den Unterschied zwischen Lancelots makelloser Kleidung und unseren zerfetzten, blutverschmierten Gewändern bemerkt haben, doch keiner verlor ein Wort darüber. Wir waren alle aufgeregt, hoch erfreut, überlebt zu haben und begierig darauf, die Geschichte, wie Arthur den riesigen Keiler bei den Hauern von sich ferngehalten hatte, weiterzuerzählen. So machte die Geschichte die Runde, und das Gelächter der Männer tönte laut durch die hohen Bäume. Lancelot war der einzige, der nicht lachte. »Jetzt müssen wir auch für Euch einen Keiler finden, Lord König«, sagte ich zu ihm. Wir standen einige Schritte von der aufgeregten Menge entfernt, die sich versammelt hatte, um zuzusehen, wie die Jagdgehilfen das Tier aufbrachen und die Eingeweide an Guineveres Hunde verfütterten.
Lancelot warf mir von der Seite einen nachdenklichen Blick zu. Er mochte mich ebensowenig wie ich ihn, aber auf einmal lächelte er. »Ein Eber«, sagte er, »wäre wohl besser als eine Sau, nicht wahr?«
»Eine Sau?« fragte ich, eine Beleidigung witternd.
»Hat nicht die Sau Euch angegriffen?« fragte er mit unschuldig aufgerissenen Augen. »Ihr glaubt doch wohl nicht, daß ich auf Eure Heirat anspielen wollte!« Damit machte er eine ironische Verbeugung vor mir. »Ich muß Euch gratulieren, Lord Derfel! Zu Eurer bevorstehenden Heirat mit Gwenhwyvach!«
Ich unterdrückte meinen Zorn und zwang mich, ihm in das schmale, spöttische Gesicht mit dem eleganten Bart und den dunklen Augen zu blicken. Seine langen, geölten Haare glänzten schwarz wie Rabenschwingen. »Und ich, Lord König, muß Euch zu Eurem Verlöbnis gratulieren.«
»Mit Seren«, sagte er, »dem Stern von Powys.« Er blickte zu Ceinwyn hinüber, die sich die Hände vors Gesicht geschlagen hatte, während die Jagdgehilfen mit ihren Messern die endlos gewundenen Eingeweide des Keilers herausrissen. Sie wirkte so jung mit ihrem leuchtendhellen Haar, das im Nacken zum Knoten geschlungen war. »Sieht sie nicht bezaubernd aus?«
fragte mich Lancelot mit einer Stimme, die wie das Schnurren einer Katze klang. »So verletzlich. Ich hatte die Erzählungen von ihrer Schönheit nicht geglaubt, denn wer würde unter Gorfyddyds Nachkommen ein solches Juwel vermuten? Aber sie ist wunderschön, und ich bin ein vom Glück begünstigter Mann.«
»Ja, Lord König. Das seid Ihr wahrlich.«
Er lachte und wandte sich ab. Er war ein Mann in all seiner Herrlichkeit, ein König, der kam, seine Braut zu holen. Und er war mein Feind. Aber ich hatte seinen Knochen in meinem Beutel. Unsicher tastete ich nach diesem Knochen, fragte mich, ob er bei dem Kampf mit dem Keiler zerbrochen sei, aber er war noch immer heil, noch immer in seinem Versteck, wartete noch immer auf meinen Entschluß.
Am Vorabend zu Ceinwyns Verlöbnis kam Cavan, mein zweiter Befehlshaber, nach Caer Sws, und brachte vierzig meiner Speerkämpfer mit. Galahad hatte erkannt, daß er seine Aufgabe in Siluria mit den zwanzig verbliebenen Männern zu Ende bringen konnte, und hatte sie zu mir zurückgeschickt. Die Silurier hatten die Niederlage ihres Landes bedrückt hingenommen, und bei der Nachricht vom Tode ihres Königs war es zu keiner Unruhe gekommen. Schicksalsergeben unterwarfen sie sich den Forderungen der Sieger. Wie Cavan mir berichtete, hatte Oengus von Demetia, jener Irenkönig, der Arthur zum Sieg von Lugg Vale verholfen hatte, den ihm zustehenden Anteil an Sklaven und Schätzen genommen, noch einmal so viel gestohlen und sich in Richtung Heimat davongemacht. Die Silurier waren anscheinend recht froh, daß
nunmehr der berühmte Lancelot ihr König war. »Und ich schätze, diesen Bastard wird keiner beneiden«, sagte Cavan, als er mich in Cuneglas’ Halle fand, wo ich meine Decke ausgebreitet hatte und die Mahlzeiten einnahm. Er kratzte eine Laus aus seinem Bart. »Armseliges Land, dieses Siluria.«
»Sie bringen gute Krieger hervor«, gab ich zu bedenken.
»Sollte mich nicht wundern, wenn die nur kämpfen, damit sie von zu Hause wegkommen.« Er schniefte. »Woher kommen die Kratzer in Eurem Gesicht, Lord?«
»Von Dornen. Beim Kampf mit einem Keiler.«
»Dachte schon, Ihr hättet Euch vermählt, solange ich nicht auf Euch aufgepaßt habe«, sagte er, »und das sei Eure Morgengabe.«
»Ich soll heiraten«, berichtete ich ihm, als wir die Halle verließen und in den Sonnenschein von Caer Sws hineintraten. Ich berichtete von Arthurs Vorhaben, mich zu Mordreds Champion und zu seinem eigenen Schwager zu machen. Als er von meinem bevorstehenden Reichtum hörte, freute sich Cavan, denn er war ein Ire im Exil, der versucht hatte, durch seine Geschicklichkeit mit Speer und Schwert in Uthers Dumnonia reich zu werden, aber der Reichtum war ihm immer wieder über das Wurfbrett entwischt. Er war doppelt so alt wie ich, ein vierschrötiger Mann mit breiten Schultern, grauem Bart und Händen voller Kriegerringe, die wir aus den Waffen besiegter Feinde schmiedeten. Er war begeistert darüber, daß
uns meine Vermählung Gold bringen würde, verhielt sich im Hinblick auf die Braut, die uns dieses kostbare Metall einbringen würde, jedoch sehr taktvoll. »So schön wie ihre Schwester ist sie nicht«, sagte er nur.
»Stimmt«, räumte ich ein.
»Eigentlich«, sagte er, den Takt vergessend, »ist sie so häßlich wie ein Sack voll Kröten.«
»Sie ist unscheinbar«, gab ich zu.
»Aber die Unscheinbaren werden die besten Ehefrauen, Lord«, behauptete er, der selbst niemals verheiratet, aber auch niemals allein gewesen war. »Und sie wird uns allen Reichtum bringen«, ergänzte er beglückt, und das war natürlich der Grund, warum ich die arme Gwenhwyvach ehelichen wollte. Mein gesunder Menschenverstand ließ es nicht zu, daß ich mich auf die Schweinerippe in meinem Beutel verließ. Ich war es meinen Männern schuldig, sie für ihre Treue zu belohnen, und Belohnungen hatte es im vergangenen Jahr zu wenige gegeben. Sie hatten beim Fall von Ynys Trebes buchstäblich all ihre Habe verloren und anschließend im Lugg Vale gegen Gorfyddyds Heer gekämpft. Jetzt waren sie müde und völlig verarmt, dabei gab es mit Sicherheit keine Krieger, die von ihrem Lord mehr Lohn verdient hätten.
Ich begrüßte meine vierzig Mann, die darauf warteten, daß
ihnen Quartiere zugewiesen wurden. Ich freute mich zu sehen, daß sich Issa unter ihnen befand, denn er war der beste von meinen Speerkämpfern: ein junger Bauernbursche mit Riesenkräften und einem unverwüstlichen Optimismus, der in der Schlacht meine rechte Seite deckte. Ich umarmte ihn und gab ihm bedauernd zu verstehen, daß ich keine Geschenke für ihn hätte. »Aber wir werden unseren Lohn bald bekommen«, setzte ich hinzu und warf einen Blick zu den zwei Dutzend jungen Mädchen hinüber, die in Siluria anscheinend Gefallen an ihnen gefunden hatten. »Obwohl es mich freut zu sehen, daß
sich die meisten von euch schon selbst eine kleine Belohnung gesucht haben.«
Sie lachten. Issas Mädchen war ein hübsches, dunkelhaariges Kind von etwa vierzehn Lenzen. Er stellte sie mir vor.
»Scarach, Lord.« Er sagte es voll Stolz.
»Irin?« fragte ich sie.
Sie nickte. »Ich war Sklavin, Lord. Bei Ladwys.« Scarach bediente sich der irischen Zunge. Diese Sprache glich der unseren, aber der Unterschied genügte, um aus ihm – wie auch aus ihrem Namen – ihre Rasse zu erkennen. Wie ich vermutete, war sie von Gundleus’ Männern bei einem Überfall auf König Oengus’ Ländereien in Demetia gefangen worden. Die meisten irischen Sklaven kamen aus derartigen Siedlungen an Britanniens Westküste, obwohl ich vermutete, daß kein einziger aus Lleyn stammte. Nur ein Narr würde
unaufgefordert auf Diwrnachs Territorium vordringen.
»Ladwys!« sagte ich. »Wie geht es ihr?« Ladwys war Gundleus’ Geliebte gewesen, eine dunkle, hochgewachsene Frau, mit der sich Gundleus heimlich vermählt hatte, obwohl er diese Ehe später, als Gorfyddyd ihm Ceinwyns Hand in Aussicht stellte, eiligst leugnete.
»Sie ist tot, Lord«, verkündete Scarach fröhlich. »Wir haben sie in der Küche getötet. Ich selbst hab’ ihr einen Bratspieß in den Bauch gerammt.«
»Sie ist ein gutes Mädchen«, versicherte Issa eifrig.
»Offensichtlich«, gab ich zurück. »Also kümmere dich um sie.« Sein letztes Mädchen hatte ihn wegen eines dieser christlichen Missionare verlassen, die über Dumnonias Straßen zogen, doch irgendwie bezweifelte ich, daß die unerschrockene Scarach sich so töricht verhalten würde.
An jenem Nachmittag erhielten meine Männer Kalk aus Cuneglas’ Vorräten und bemalten ihre Schilde mit einem neuen Symbol. Arthur hatte mir die Ehre, ein eigenes Symbol zu tragen, am Vorabend der Schlacht von Lugg Vale verliehen, aber wir hatten noch keine Zeit gehabt, die Schilde zu ändern, die bis jetzt noch immer Arthurs Bären getragen hatten. Meine Männer erwarteten von mir, daß ich einen Wolfskopf zu unserem Symbol wählte, um damit die Wolfsrute zu ergänzen, die wir in den Wäldern von Benoic auf den Helmen getragen hatten, ich aber bestand darauf, daß wir einen fünfzackigen Stern auf unsere Schilde malten. »Einen Stern?« knurrte Cavan zutiefst enttäuscht. Er wünschte sich etwas Kämpferisches, etwas mit Klauen, Schnauze und Zähnen, ich aber stritt für meinen Stern. » Seren«, sagte ich, »denn wir sind die glänzenden Sterne des Schildwalls.«
Diese Erklärung gefiel ihnen. Sie hatten keine Ahnung von der hoffnungslosen Romantik, die meiner Wahl zugrunde lag. Also trugen wir zuerst eine Schicht schwarzes Pech auf die runden, lederbezogenen Weidenholzschilde auf, dann malten wir – mit Hilfe einer Schwertscheide, damit die Striche gerade wurden – mit Kalk einen Stern darauf, und als die Kalktünche getrocknet war, legten wir noch einen Lack aus Tannenharz und Eiweiß darüber, der die Sterne ein paar Monate lang vor Regen schützen würde. »Mal was anderes«, gab Cavan widerwillig zu, als wir die fertigen Schilde bewunderten.
»Es ist prachtvoll«, lobte ich, und als ich an jenem Abend im Kreis der Krieger speiste, die auf dem Boden der Halle hockten und aßen, stand Issa als mein Schildträger hinter mir. Der Lack war noch feucht, aber das ließ den Stern nur um so heller strahlen. Scarach bediente mich. Es war ein frugales Mahl aus Gerstenbrei, aber die Küchen von Caer Sws konnten uns nichts Besseres bieten, denn sie waren eifrig mit den Vorbereitungen für das Festmahl am folgenden Tag beschäftigt. Die Halle war mit dunkelroten Buchenzweigen geschmückt, der Boden war gefegt und mit frischen Binsenbüscheln belegt worden, und aus den Frauengemächern drangen Berichte von Gewändern zu uns, die geschneidert und kunstvoll bestickt wurden. Mindestens vierhundert Krieger lagen jetzt in Caer Sws, die meisten von ihnen in primitiven Unterkünften, die außerhalb der Wälle auf freiem Feld errichtet wurden, während die Festung selbst von den Frauen, Kindern und Hunden der Krieger wimmelte. Die Hälfte der Männer gehörte zu Cuneglas, die andere Hälfte waren Dumnonier; aber trotz des eben erst beendeten Krieges gab es keine Probleme, nicht einmal dann, als sich herumsprach, daß Ratae durch Arthurs Verrat in die Hände von Aelles Sachsenhorden gefallen war. Cuneglas muß geargwöhnt haben, daß Arthur Aelle den Frieden auf solche Weise abgekauft hatte; aber er akzeptierte Arthurs eidliche Versicherung, daß die Männer von Dumnonia die Toten von Powys, die in der Asche der gestürmten Festung lagen, eines Tages rächen würden.
Seit der Nacht auf dem Dolforwyn hatte ich weder Merlin noch Nimue gesehen. Merlin hatte Caer Sws verlassen, aber Nimue hielt sich, wie ich hörte, immer noch in der Festung auf und versteckte sich in den Frauengemächern, wo sie, wie gemunkelt wurde, häufig in Prinzessin Ceinwyns Gesellschaft gesehen wurde. Das kam mir unwahrscheinlich vor, denn die beiden Frauen waren vollkommen verschieden. Nimue war ein paar Jahre älter als Ceinwyn, sie war dunkel und fanatisch und balancierte ständig auf dem schmalen Grat zwischen Wahnsinn und Wut, während Ceinwyn blond, sanft und, wie Merlin gesagt hatte, eher konventionell war. Da ich mir nicht vorstellen konnte, daß sich die beiden Frauen viel zu sagen hatten, nahm ich an, daß die Gerüchte falsch waren und Nimue sich bei Merlin aufhielt, der meines Wissens ausgezogen war, um Männer aufzutreiben, die mit ihren Schwertern in Diwrnachs gefurchteres Territorium vordrangen und für ihn den Kessel suchten.
Aber sollte ich mit ihm gehen? Am Morgen von Ceinwyns Verlöbnis wanderte ich nordwärts bis unter die großen Eichen, die das weite Tal von Caer Sws auf allen Seiten umgaben. Ich suchte einen ganz bestimmten Ort, und Cuneglas hatte mir erklärt, wo ich ihn finden würde. Issa, der getreue Issa, begleitete mich, hatte aber keine Ahnung, was wir in diesem tiefen, finsteren Wald vorhatten.
Dieses Land, das Herz von Powys, war von den Römern nur flüchtig heimgesucht worden. Sie hatten dort Festungen wie Caer Sws erbaut und ein paar Straßen hinterlassen, die sich die Flußtäler entlangzogen, aber es gab keine größeren Villen oder Städte wie jene, die Dumnonia den Glanz einer
untergegangenen Zivilisation verliehen. Auch Christen gab es hier in Cuneglas’ Kernland nur wenige; die Anbetung der alten Götter hatte in Powys ohne jene Erbitterung überlebt, welche aus der Religion in Mordreds Reich einen solchen Verdruß
machte. In Dumnonia buhlten Christen und Heiden um die Gunst des Königs und um das Recht, ihre Schreine an geheiligten Orten zu errichten. Hier in Powys hatte kein römischer Altar die Druidenhaine ersetzt, hier standen keine christlichen Kirchen neben heiligen Quellen. Die Römer hatten zwar einige Schreine niedergerissen, doch viele waren erhalten geblieben, und zu einer dieser uralten heiligen Stätten wanderten Issa und ich im grünen Dämmerlicht des Mittagswaldes.
Es war ein Druidenschrein, ein Eichenhain tief im dichten Wald. Das Laub über dem Schrein hatte noch keine Bronzefarbe angenommen, schon bald aber würden sich die Blätter verfärben und auf die niedrige Steinmauer fallen, die im Mittelpunkt des Hains einen Halbkreis bildete. In diese Mauer waren zwei Nischen gehauen worden, in denen zwei Menschenschädel standen. Früher hatte es auch in Dumnonia zahlreiche Orte dieser Art gegeben, und viele waren nach dem Abzug der Römer wiederhergestellt worden. Allzuoft aber kamen dann die Christen, zerbrachen die Schädel, rissen die gemörtelten Steinmauern ein und fällten die Eichen; doch dieser Schrein hier schien seit tausend Jahren im tiefen Wald zu stehen. Kleine Wollfäden waren zum Zeichen für die Gebete, die die Menschen in diesem Hain verrichteten, zwischen die Steinritzen gestopft worden.
Es war still unter den Eichen; eine lastende Stille. Issa sah von seinem Platz unter den Bäumen zu, wie ich in den Mittelpunkt des Halbkreises trat und Hywelbanes schweren Schwertgurt löste.
Ich legte das Schwert auf den flachen Stein, der den Mittelpunkt des Schreins markierte, und zog den sauberen weißen Rippenknochen aus meinem Beutel, der mir Macht über Lancelots Vermählung verlieh. Ich legte den Knochen neben das Schwert. Zuletzt legte ich die kleine Goldbrosche auf den Stein, die Ceinwyn mir vor so vielen Jahren geschenkt hatte. Dann streckte ich mich lang auf dem dichten Laubteppich aus.
In der Hoffnung auf einen Traum, der mir sagen würde, was ich tun sollte, schlief ich ein, aber es wollte sich kein Traum einstellen. Vielleicht hätte ich einen Vogel oder ein Tier opfern sollen, bevor ich einschlief, ein Opfer bringen, das einen Gott bewegen würde, mir die gesuchte Antwort zuteil werden zu lassen, aber es gab keine Antwort. Es gab nur Schweigen. Ich hatte mein Schwert und die Macht des Knochens in die Hände der Götter gelegt, in die Obhut von Bel und Manawydan, von Taranis und Lleullaw, aber sie ignorierten meine Gabe. Es war nur der Wind in den Baumwipfeln zu hören, das Kratzen von Eichhörnchenkrallen auf Eichenästen und das unvermittelte Hämmern eines Spechtes.
Als ich erwachte, blieb ich still liegen. Zwar hatte ich nicht geträumt, aber ich wußte, was ich wollte. Ich wollte den Knochen nehmen und entzweibrechen, und wenn diese Geste bedeutete, daß ich die Dunkle Straße, die in Diwrnachs Königreich führte, beschreiten mußte, dann sollte es eben so sein. Aber genausosehr wünschte ich mir, daß Arthurs Britannien geeint und gut und wahr würde. Und ich wollte, daß
meine Männer Gold und Land und Sklaven und Rang bekämen. Ich wollte die Sachsen aus Lloegyr vertreiben. Ich wollte die Schreie der Männer in einem durchstoßenen Schildwall hören und das Schmettern der Kriegshörner, die ein siegreiches Heer begleiteten, wenn es einen zersprengten Feind ins Verderben trieb. Ich wollte mit meinen Sternenschilden in die östlichen Ebenen einmarschieren, die seit Generationen kein freier Brite mehr gesehen hatte. Und ich wollte Ceinwyn. Ich richtete mich auf. Issa war näher gekommen und hatte sich neben mich gesetzt. Er muß sich gefragt haben, warum ich so intensiv auf diesen Knochen starrte, aber er stellte mir keine Fragen.
Ich dachte an Merlins kleinen, niedrigen Turm aus Knochen, der Arthurs Traum darstellte, und fragte mich, ob dieser Traum tatsächlich in sich zusammenbrechen würde, wenn Lancelot sich nicht mit Ceinwyn vermählte. Diese Vermählung konnte wohl kaum die Klammer sein, die Arthurs Bündnis zusammenhielt – sie war lediglich ein Mittel, um Lancelot auf den Thron zu setzen und Powys einen Fuß in Silurias Königshaus zu verschaffen. Wenn es nicht zu dieser Vermählung kam, würden die Heere von Dumnonia, Gwent, Powys und Elmet trotzdem gegen die Sais marschieren. Das alles wußte ich, und das alles traf zu, aber ich spürte auch, daß
dieser Knochen Arthurs Traum irgendwie zunichte machen konnte. In dem Moment, wo ich den Knochen zerbrach, verschwor ich mich Merlins Suche, und diese Suche würde mit Sicherheit Feindseligkeit nach Dumnonia bringen – die Feindseligkeit der alten Heiden, welche die emporgekommene Christenreligion aus tiefstem Herzen haßten.
»Guinevere«, sagte ich plötzlich laut.
»Lord?« fragte mich Issa verwundert.
Zum Zeichen, daß ich nichts weiter zu sagen hatte, schüttelte ich den Kopf. Ich hatte Guineveres Namen nicht laut aussprechen wollen, aber ich hatte plötzlich begriffen, daß ich, wenn ich den Knochen zerbrach, nicht nur Merlins Feldzug gegen den Christengott fördern würde – ich würde mir auch Guinevere zur Feindin machen. Ich schloß die Augen. Konnte die Gemahlin meines Lords meine Feindin sein? Und wenn ja –
was dann? Arthur würde mich immer noch lieben, genau wie ich ihn, und meine Speere und Sternenschilde bedeuteten ihm weit mehr als all der Ruhm, dessen sich Lancelot erfreute. Ich stand auf und nahm Brosche, Knochen und Schwert wieder an mich. Issa sah zu, wie ich einen Faden grüngefärbter Wolle aus meinem Mantel zog und zwischen die Steine stopfte.
»Du warst nicht dabei in Caer Sws, als Arthur sein Verlöbnis mit Ceinwyn brach?« fragte ich ihn.
»Nein, Lord. Aber ich habe davon gehört.«
»Es war beim Verlobungsmahl«, erzählte ich ihm. »Es war ein Festmahl wie das, an dem wir heute abend teilnehmen werden. Arthur saß neben Ceinwyn an der Hohen Tafel und entdeckte ganz hinten in der Halle Guinevere. Sie stand dort in einen schäbigen Umhang gehüllt, neben sich ihre Hunde, und als Arthur sie entdeckte, war mit einem Schlag alles anders. Die Götter allein wissen, wie viele Männer sterben mußten, weil er diesen roten Schopf entdeckte.« Ich wandte mich zu der niedrigen Steinmauer um und entdeckte in einem der moosbewachsenen Schädel ein verlassenes Nest. »Merlin behauptet, daß die Götter das Chaos lieben«, sagte ich.
»Merlin liebt das Chaos«, entgegnete Issa obenhin, obwohl seine Worte mehr Wahrheit enthielten, als er ahnte.
»Das stimmt«, bestätigte ich, »aber die meisten von uns fürchten sich vor dem Chaos, und deswegen versuchen wir immer wieder, Ordnung in das Chaos zu bringen.« Ich dachte an den sorgfältig geordneten Stapel Knochen. »Aber wenn man Ordnung hat, braucht man keine Götter. Wenn alles wohlgeordnet und diszipliniert ist, wird es nichts Unerwartetes mehr geben. Wenn man alles versteht«, fuhr ich bedächtig fort,
»gibt es keinen Raum mehr für Magie. Man ruft die Götter immer nur an, wenn man nicht mehr weiter weiß und Angst hat und sich im Dunkeln wähnt, und sie lieben es, wenn wir uns dann an sie wenden. Das gibt ihnen ein Gefühl von Macht, und deswegen ist es ihnen lieber, wenn wir im Chaos leben.« Ich wiederholte die Lektionen meiner Kindheit, jene Lektionen, die wir auf Merlins Tor gelernt hatten. »Und nun haben wir die Wahl«, erklärte ich Issa. »Wir können in Arthurs wohlgeordnetem Britannien leben, oder wir können Merlin ins Chaos folgen.«
»Ich werde Euch folgen, Lord, wohin auch immer Ihr geht«, erklärte Issa. Ich glaube kaum, daß er begriffen hatte, was ich sagte, doch er vertraute mir einfach blind.
»Ich wünschte, ich wüßte, was ich tun soll«, gestand ich. Wie leicht wäre es, dachte ich, wenn die Götter wie früher in Britannien herrschten. Damals konnten wir sie sehen, sie hören, mit ihnen reden; nun aber glichen wir Menschen, die mit verbundenen Augen eine Nadel in einem Dornendickicht suchen. Ich gürtete mich wieder mit Hywelbane und steckte den nicht zerbrochenen Knochen in den Beutel zurück. »Ich möchte, daß du meinen Männern eine Nachricht überbringst«, sagte ich zu Issa. »Nicht Cavan, mit dem werde ich selber sprechen. Aber du sollst ihnen erklären, daß sie, falls an diesem Abend etwas Ungewöhnliches geschieht, von dem Eid, den sie mir geschworen haben, entbunden sind.«
Issa musterte mich stirnrunzelnd. »Von unserem Eid entbunden?« fragte er. Dann schüttelte er energisch den Kopf.
»Ich nicht, Lord!«
Ich unterbrach ihn. »Und sag ihnen«, fuhr ich fort, »falls etwas Ungewöhnliches geschehen sollte – aber es könnte auch sein, daß nichts geschieht –, könnte die Treue zu meinem Eid bedeuten, daß wir gegen Diwrnach kämpfen müssen.«
»Diwrnach!« wiederholte Issa. Er spie aus und machte mit der Rechten das Zeichen gegen das Böse.
»Sag ihnen das, Issa«, wies ich ihn an.
»Und was könnte heute abend geschehen?« erkundigte er sich besorgt.
»Vielleicht nichts«, antwortete ich. »Vielleicht ganz und gar nichts.« Denn die Götter hatten mir in dem Hain kein Zeichen gegeben, und ich wußte immer noch nicht, wofür ich mich entscheiden sollte. Für die Ordnung oder für das Chaos. Oder für keins von beiden, denn vielleicht war der Knochen ja nur ein Stück Küchenabfall, und wenn ich ihn zerbrach, wäre dies nichts weiter als ein Symbol für meine zerbrochene Liebe zu Ceinwyn. Doch um das herauszufinden, gab es nur eine Möglichkeit: den Knochen zu zerbrechen. Falls ich den Mut dazu hatte.
Bei dem Festmahl, mit dem Ceinwyns Verlöbnis gefeiert wurde.
Von allen Festmählern an jenen Spätsommerabenden war das Verlöbnisfestmahl von Lancelot und Ceinwyn das üppigste. Selbst die Götter schienen es zu segnen, denn der Mond schien voll und klar, und das war ein wundervolles Zeichen für ein Verlöbnis. Der Mond ging kurz nach Sonnenuntergang auf, eine riesige Silberkugel, die dort über den Berggipfeln hing, wo der Dolforwyn lag. Ich hatte mich gefragt, ob das Festmahl wohl in der Halle auf dem Dolforwyn stattfinden würde, aber als Cuneglas die enorme Anzahl all jener sah, die gespeist werden mußten, hatte er beschlossen, die Festlichkeiten in den Mauern von Caer Sws abzuhalten.
Da für die Halle des Königs viel zu viele Gäste kamen, wurden nur die privilegiertesten ins Innere eingelassen. Die übrigen saßen draußen, dankbar dafür, daß die Götter ihnen eine trockene Nacht gewährten. Der Boden war zwar noch von dem Regen feucht, der früher in der Woche gefallen war, aber es gab reichlich Stroh, damit die Männer sich trockene Sitzplätze herrichten konnten. In Pech getauchte Fackeln waren an Stangen befestigt worden, und diese Fackeln wurden kurz nach Mondaufgang in Brand gesetzt, so daß das königliche Anwesen plötzlich ins Licht der flackernden Flammen getaucht war. Die Hochzeit würde bei Tageslicht stattfinden, damit Gwydion, der Lichtgott, und Belenus, der Sonnengott, dem Brautpaar ihren Segen geben konnten – für das Verlöbnis aber war der Segen des Mondes vonnöten. Hin und wieder schwebte ein brennender Span von einer Fackel zu Boden und setzte ein Bündel Stroh in Brand, woraufhin Gelächter, Kindergeschrei und Hundegebell ertönten und eine kleine, kurze Panik ausbrach, bis die Flammen wieder gelöscht waren. Über einhundert Mann waren in Cuneglas’ Halle zu Gast. Kerzen und Binsenlichter waren zu Bündeln zusammengefaßt worden und warfen ihre tanzenden Schatten in das hohe, von Balken gestützte Strohdach, wo sich jetzt Buchenzweige mit den ersten Büscheln Holunderbeeren mischten. Der einzige Tisch der Halle stand auf dem Podium unterhalb einer Reihe von Schilden, und unter jedem Schild brannte eine Kerze, um das auf das Leder gemalte Symbol hervorzuheben. In der Mitte befand sich Cuneglas’ königlicher Schild mit dem Adler, der die Flügel ausbreitete, neben ihm auf der einen Seite Arthurs schwarzer Bär und auf der anderen Dumnonias roter Drache. Neben dem Bären hing Guineveres Symbol eines
mondgekrönten Hirsches, während Lancelots Seeadler mit dem Fisch in den Klauen gleich neben dem Drachen flog. Aus Gwent war zwar niemand anwesend, aber Arthur hatte darauf bestanden, daß Tewdrics schwarzer Stier ebenso wie Elmets rotes Roß und Silurias Fuchskopf aufgehängt wurden. Die königlichen Symbole standen für das große Bündnis, für den Schildwall, der die Sachsen ins Meer zurückdrängen sollte. Iorweth, der oberste Druide von Powys, verkündete den Moment, da er sicher war, daß die letzten Strahlen der sterbenden Sonne in der fernen Irischen See verschwunden waren. Dann nahmen die Ehrengäste ihren Platz auf dem Podium ein. Wir übrigen saßen bereits auf dem Boden der Halle, wo die Männer immer mehr von Powys’ berühmtem starken Met verlangten, der speziell für diese Nacht gebraut worden war. Die Ehrengäste wurden mit Jubel und Beifall empfangen.
Zuerst kam Königin Elaine. Lancelots Mutter war ganz in Blau gekleidet, mit einem goldenen Torques am Hals und einer goldenen Kette im Haar, die ihre grauen Flechten band. Als nächstes wurden Cuneglas und Königin Helledd mit begeistertem Geschrei begrüßt. Das runde Gesicht des Königs strahlte vor Vorfreude auf die Festlichkeiten dieser Nacht. Zur Feier des Tages hatte er sich dünne weiße Bändchen in die herabhängenden Schnurrbartenden geflochten. Arthur erschien in nüchternem Schwarz, während Guinevere, die ihm auf das Podium folgte, in einem Gewand aus blaßgoldenem Leinen prunkte. Es war so geschickt geschnitten und genäht, daß sich der kostbare Stoff, der kunstvoll mit Ruß und Bienenwachs gefärbt war, an ihren hochgewachsenen, kerzengeraden Körper zu schmiegen schien. Ihrem Leib sah man die Schwangerschaft noch kaum an, und ein anerkennendes Lobgemurmel für ihre Schönheit lief durch die Reihen der zusehenden Männer. Das Material war mit winzigen Goldschuppen besetzt, so daß ihr Körper zu glitzern schien, als sie Arthur langsamen Schrittes zur Mitte des Podiums folgte. Sie lächelte angesichts der Lust, die sie, wie sie genau wußte, in den Männern weckte und auch wecken wollte; denn an diesem Abend war Guinevere entschlossen, alles zu übertreffen, was Ceinwyn tragen würde. Ein Goldreif hielt Guineveres kaum zu bändigendes Haar zurück, ein Gürtel aus goldenen Kettengliedern war um ihre Taille geschlungen, und Lancelot zu Ehren trug sie am Hals eine goldene Brosche, die einen Seeadler darstellte. Sie küßte Königin Elaine auf beide Wangen, Cuneglas auf eine, und Königin Helledd nickte sie nur zu. Dann nahm sie zu Cuneglas’ Rechten Platz, während Arthur sich in den leeren Sessel neben Helledd setzte.
Zwei Plätze blieben leer, doch bevor sie in Anspruch genommen wurden, erhob sich Cuneglas und klopfte mit der Faust auf den Tisch. Es wurde still. In dieser Stille wies Cuneglas stumm auf die Schätze, die am Rand des Podiums aufgehäuft waren.
Bei diesen Schätzen handelte es sich um die Morgengaben, die Lancelot Ceinwyn mitgebracht hatte und deren Pracht jetzt einen Sturm der Bewunderung auslöste. Wir hatten die Geschenke alle schon inspiziert, und ich hatte mürrisch zugehört, wie andere Männer die Großzügigkeit des Königs von Benoic priesen. Vor der Tafel lagen Goldtorques, Silbertorques, Torques aus Silber und Gold, so viele Torques, daß sie nur noch als Unterlage für die größeren Geschenke dienten: römische Handspiegel, Flacons aus römischem Glas und ganze Berge römischer Juwelen, Halsketten, Broschen, Krüge, Fibeln und Spangen. Das Ganze war ein wahrhaft königliches Brautgeld aus glitzerndem Metall, Email, Korallen und Edelsteinen, und alles war, wie ich wußte, aus dem brennenden Ynys Trebes gerettet worden, als Lancelot, der es verschmähte, sein Schwert gegen die anrennenden Franken zu erheben, mit dem ersten Schiff floh, um dem Blutbad in der Stadt zu entgehen.
Der Beifall für die Morgengaben war noch nicht verklungen, als Lancelot selbst in all seiner Pracht erschien. Genau wie Arthur war er in Schwarz gekleidet, doch Lancelots schwarze Gewänder waren mit Streifen von kostbarem Goldstoff gesäumt. Seine schwarzen Haare waren geölt und straff zurückgekämmt, so daß sie flach an seinem schmalen Kopf anlagen und glatt auf seinen Rücken herabhingen. An den Fingern seiner Rechten glitzerten zahllose Goldringe, während seine Linke mit stumpfschimmernden Kriegerringen geschmückt war, von denen er, wie ich verdrossen annahm, keinen einzigen in der Schlacht errungen hatte. Um seinen Hals lag ein schwerer Goldtorques mit Blattknoten, die mit glänzenden Steinen besetzt waren, und auf der Brust trug er Ceinwyn zu Ehren deren königliches Familiensymbol, den Adler mit den ausgebreiteten Schwingen. Er führte keine Waffen, denn in der Halle eines Königs durfte kein Mann eine Klinge tragen, aber er trug den emaillierten Schwertgurt, den Arthur ihm geschenkt hatte. Mit erhobener Hand dankte er für die Jubelrufe, küßte seine Mutter auf die Wange, küßte Guinevere die Hand, verneigte sich vor Helledd und nahm Platz.
Nun war nur noch ein einziger Sessel leer. Eine Harfenistin begann zu spielen; die Akkorde waren bei dem Stimmengewirr kaum zu vernehmen. Der Duft von gebratenem Fleisch wehte durch die Halle, während Sklavenmädchen Krüge voll Met herumtrugen, Iorweth, der Druide, huschte in der Halle auf und ab, um einen Gang zwischen den sitzenden Männern auf dem mit Binsenbüscheln belegten Boden zu schaffen. Danach hob er den Stab, um um Ruhe zu heischen.
Die Menge draußen brach in tosenden Jubel aus.
Die Ehrengäste hatten die Halle von hinten betreten und waren aus den Schatten der Nacht direkt aufs Podium gestiegen; Ceinwyn hingegen würde durch das große Portal an der Frontseite der Halle kommen, und um dieses Portal zu erreichen, mußte sie durch das Gedränge der Gäste schreiten, die auf dem von Feuern beleuchteten Innenhof saßen. Der Jubel, den wir hörten, war der Lärm jener Gäste, der ihren Weg von der Frauenhalle her begleitete, während wir in der Königshalle schweigend ihr Erscheinen erwarteten. Selbst die Harfenistin löste die Finger von den Saiten, um den Eingang zu beobachten.
Zuerst kam ein Kind, ein kleines Mädchen in weißem Leinen, das den Gang, den Iorweth für Ceinwyn geschaffen hatte, rückwärts entlangschritt, um Blütenblätter von Blumen auf die frischen Binsen zu streuen. Alle schwiegen und blickten auf das Portal, nur ich nicht, denn ich beobachtete das Podium. Lancelot, der ebenfalls zum Portal schaute, lächelte verhalten. Cuneglas rieb sich mit den Fäusten immer wieder die Tränen aus den Augen, so groß war sein Glück. Arthur, der Friedensstifter, strahlte. Nur Guinevere lächelte nicht. Ihre Miene war triumphierend. Vor Jahren war sie in dieser Halle gedemütigt worden, und nun verheiratete sie die Tochter des herrschenden Hauses.
Während ich Guinevere beobachtete, zog ich mit der Rechten den Knochen aus meinem Beutel. Die Rippe fühlte sich kühl und glatt an, und Issa, der mit meinem Schild hinter mir stand, muß sich gefragt haben, was ein Stück Küchenabfall in der mondhellen Nacht aus Gold und Feuer zu suchen hatte. Gerade als ich zu dem großen Portal der Halle hinüberspähte, trat Ceinwyn in Erscheinung, und bevor der Jubel in der Halle einsetzte, war ein Aufkeuchen des Erstaunens zu vernehmen. Nicht alles Gold von Britannien, nicht all die alten Königinnen hätten Ceinwyn an diesem Abend überstrahlen können. Ich brauchte nicht einmal zu Guinevere hinüberzusehen, um zu erkennen, daß sie an diesem Abend der Schönheiten überlistet worden war.
Es war, wie ich wußte, Ceinwyns viertes Verlöbnis. Zum ersten Mal war sie Arthurs wegen hierhergekommen, er aber hatte seinen Eid gebrochen, weil er unter dem Bann von Guineveres Liebe stand; danach war Ceinwyn einem Prinzen aus dem fernen Rheged anverlobt worden, der aber am Fieber gestorben war, bevor sie sich vermählen konnten; vor nicht allzu langer Zeit hatte sie dann Gundleus von Siluria das Verlöbnishalfter zugetragen, der aber schreiend unter Nimues grausamen Händen gestorben war, und nun wollte Ceinwyn das Halfter zum vierten Mal einem Mann übergeben. Lancelot hatte ihr einen Goldschatz gebracht, aber der Brauch verlangte, daß sie ihm als Symbol dafür, daß sie von diesem Tag an seiner Autorität unterstellt war, ein einfaches Ochsenhalfter schenkte. Als sie die Halle betrat, erhob sich Lancelot, und das verhaltene Lächeln verwandelte sich in einen Ausdruck aufrichtiger Freude. Und das war kein Wunder, denn sie war wirklich strahlend schön. Bei ihren anderen Verlöbnissen hatte sich Ceinwyn, wie es einer Prinzessin anstand, mit Gold und Silber, mit Edelsteinen und eleganten Roben geschmückt; an diesem Abend aber trug sie lediglich ein schlichtes, elfenbeinweißes Gewand, gegürtet mit einer hellblauen Kordel, die auf dem schlichten Rock des Gewandes herabhing und in Quasten endete. Kein Silber glänzte in ihrem Haar, kein Gold zierte ihren Hals, nirgends trug sie Edelsteine, nichts als dieses einfache Leinenkleid und auf dem hellblonden Haar einen zarten, blauen Kranz aus den letzten Hundsveilchen des Sommers. Sie trug keine Schuhe, sondern trat barfuß auf die Blütenblätter. Sie zeigte kein Zeichen ihrer
Prinzessinnenwürde, kein Zeichen von Reichtum, sondern kam in der schlichten Kleidung eines Bauernmädchens in die Halle. Und dennoch war es ein Triumph. Kein Wunder, daß die Männer den Atem anhielten, kein Wunder, daß sie jubelten, als sie gemessenen Schrittes schüchtern durch die Reihen der Gäste zog. Cuneglas weinte vor Glück. Arthur führte den Beifall an, Lancelot glättete sich das geölte Haar, und seine Mutter strahlte zustimmend. Einen Augenblick lang blieb Guineveres Miene unergründlich, dann lächelte sie, ein Lächeln uneingeschränkten Triumphs: Sie mochte von Ceinwyns Schönheit überstrahlt werden, aber dieser Abend war dennoch Guineveres Abend, denn sie sah zu, wie ihre einstige Rivalin einer Vermählung zugeführt wurde, die ihren eigenen Plänen entsprang.
Auch ich sah dieses triumphierende Grinsen auf Guineveres Gesicht, und möglicherweise war es ihre hämische Genugtuung, die die Entscheidung brachte. Vielleicht war es aber auch mein Haß auf Lancelot oder meine Liebe zu Ceinwyn, oder womöglich hatte Merlin recht und die Götter lieben das Chaos, denn in plötzlich aufwallendem Zorn packte ich den Knochen mit beiden Händen. Ich verschwendete keinen Gedanken an die Folgen von Merlins Magie, an seinen Haß auf die Christen und an die Todesgefahr, in die wir uns brachten, wenn wir auf der Suche nach dem Kessel auf Diwrnachs Territorium vordrangen. Ich dachte nicht an Arthurs sorgfältig geplante Ordnung, ich wußte nur, daß Ceinwyn einem Mann anverlobt wurde, den ich haßte. Genau wie die anderen Gäste auf dem Boden hatte ich mich erhoben und sah zu, wie Ceinwyn durch die Halle schritt. Sie hatte die große Eichensäule in der Mitte erreicht, wo sie von dem höllischen Lärm des Jubels und der bewundernden Pfiffe umbrandet und belagert wurde. Ich allein stand schweigend da. Ich beobachtete sie, legte die Daumen auf die Mitte der Rippe und packte die Enden mit beiden Fäusten. Nun gut, Merlin, du alter Gauner, zeig mir, was deine Magie vermag!
Ich zerbrach den Knochen. Das splitternde Geräusch ging im allgemeinen Lärm unter.
Ich schob die beiden Hälften der Rippe in meinen Beutel zurück, und ich schwöre, daß mein Herz fast aufhörte zu schlagen, als ich die Prinzessin von Powys betrachtete, die mit Blumen im Haar aus der finsteren Nacht hereingetreten war. Und die nun plötzlich innehielt. Unmittelbar neben der mit Beeren und Laub geschmückten Säule blieb sie stehen. Von dem Moment an, da Ceinwyn die Halle betrat, hatte sie den Blick nicht mehr von Lancelot gewendet. Auch jetzt sah sie ihn noch an und lächelte immer noch, aber sie blieb stehen, und ihre unerwartete Reglosigkeit ließ langsam eine verwirrte Stille in der Halle entstehen. Das Kind, das die Blütenblätter streute, krauste die Stirn und sah hilfesuchend um sich. Ceinwyn rührte sich nicht.
Arthur, der noch immer lächelte, muß gedacht haben, sie habe den Mut verloren, denn er winkte ihr aufmunternd zu. Das Halfter in ihren Händen zitterte. Die Harfenistin spielte einen unsicheren Akkord, dann nahm sie die Hände von den Saiten, und während ihre Töne im allgemeinen Schweigen verklangen, sah ich, daß sich eine schwarzgekleidete Gestalt aus der Menge hinter der Säule löste.
Es war Nimue, deren Goldauge die Flammen in der verwirrten Halle zurückwarf.
Ceinwyn blickte von Lancelot zu Nimue; dann streckte sie ganz langsam den weißgekleideten Arm aus. Nimue ergriff ihre Hand und sah der Prinzessin mit fragendem Ausdruck in die Augen. Ceinwyn zögerte einen Herzschlag lang, dann nickte sie kaum merklich. Plötzlich war die Halle von eifrigen Stimmen erfüllt, denn Ceinwyn wandte sich vom Podium ab und drängte sich, von Nimue geführt, durch die Menge. Alle Gespräche erstarben, denn niemand fand eine Erklärung für das, was nun folgte. Lancelot, auf dem Podium stehengelassen, konnte nur noch zusehen. Arthur saß offenen Mundes da, während Cuneglas, der sich halb von seinem Sessel erhoben hatte, ungläubig verfolgte, wie seine Schwester durch die Menge schritt, die vor Nimues finsterem, narbigem und höhnischem Gesicht zurückwich. Guinevere sah aus, als wollte sie Ceinwyn umbringen.
Dann begegnete Nimue meinem Blick. Sie lächelte, und ich spürte, daß mein Herz jagte wie ein in die Falle gegangenes wildes Tier. Dann lächelte Ceinwyn mir zu, und ich hatte keine Augen mehr für Nimue, sondern nur noch für Ceinwyn, die süße Ceinwyn, die mit dem Ochsenhalfter durch das Gedränge auf meinen Platz in der Halle zusteuerte. Die Krieger machten ihr Raum, ich aber schien wie zu Stein erstarrt. Ich war unfähig, mich zu bewegen oder ein Wort zu sagen, als Ceinwyn mit Tränen in den Augen dorthin kam, wo ich stand. Sie sagte nichts, sondern hielt mir nur das Halfter entgegen. Verwundertes Gemurmel brandete rings um uns auf, aber ich achtete nicht auf die Stimmen. Statt dessen sank ich auf die Knie, um das Halfter entgegenzunehmen. Dann ergriff ich Ceinwyns Hände und preßte sie an mein Gesicht, das, genau wie das ihre, über und über tränennaß war.
In der Halle brodelte es vor Zorn, Protest und Bestürzung, doch Issa stand mit erhobenem Schild hinter mir. In eine Königshalle brachte niemand eine Waffe mit, Issa hielt den Schild mit dem fünfzackigen Stern jedoch so, als wollte er jeden Mann damit niederschlagen, der diesen verwunderlichen Augenblick störte. Nimue stand an meiner anderen Seite, zischte Flüche in die Halle und forderte jeden Mann heraus, die Wahl der Prinzessin zu beanstanden.
Ceinwyn kniete ebenfalls nieder, so daß ihr Gesicht dicht vor meinem war. »Ihr habt mit einem Eid geschworen, Lord«, flüsterte sie mir zu, »daß Ihr mich beschützen werdet.«
»Das tat ich, Lady.«
»Wenn es Euer Wunsch ist, werde ich Euch von Eurem Eid entbinden.«
»Niemals!« versicherte ich ihr.
Sie wich ein wenig zurück. »Ich werde mich mit keinem Mann vermählen, Derfel«, warnte sie mich leise, ohne den Blick von meinen Augen zu lassen. »Ich werde Euch alles geben, nur nicht die Ehe.«
»Dann gebt Ihr mir alles, was ich mir je wünschen könnte, Lady«, antwortete ich mit erstickter Stimme. Vor Glückstränen sah ich alles nur noch verschwommen. Ich lächelte und reichte ihr das Halfter zurück. »Es gehört Euch«, sagte ich. Sie lächelte über diese Geste, ließ das Halfter ins Stroh fallen und küßte mich sanft auf die Wange. »Ich glaube«, flüsterte sie mir kokett ins Ohr, »das Festmahl hier sollte besser ohne uns weitergehen.« Dann erhoben wir uns und gingen Hand in Hand in die mondhelle Nacht hinaus, ohne auf die Fragen, Proteste und vereinzelten Jubelrufe zu achten. Hinter uns herrschten Durcheinander und Zorn, vor uns warteten verwirrte Menschen, durch die wir Seite an Seite hinausschritten. »Das Haus unter dem Dolforwyn wartet auf uns«, sagte Ceinwyn.
»Das Haus mit den Apfelbäumen?« fragte ich, weil ich mich daran erinnerte, wie sie mir von dem Häuschen erzählte, von dem sie als Kind geträumt hatte.
»Das Haus«, bestätigte sie. Wir hatten die Menge, die sich vor dem Hallenportal versammelt hatte, hinter uns gelassen und näherten uns jetzt dem mit Fackeln beleuchteten Tor von Caer Sws. Issa hatte unsere Schwerter und Speere geholt und war zu uns zurückgekehrt, während Nimue an Ceinwyns anderer Seite ging. Drei von Ceinwyns Dienerinnen eilten herbei, um sich uns anzuschließen, ebenso ungefähr zwanzig meiner Männer. »Wißt Ihr wirklich, was Ihr tut?« fragte ich Ceinwyn, als könnte sie die letzten Minuten rückgängig machen und das Halfter doch noch Lancelot übergeben.
»Ich weiß es genau«, antwortete Ceinwyn gelassen.
»Genauer als alles, was ich jemals zuvor getan habe.« Sie warf mir einen belustigten Blick zu. »Hast du je an mir gezweifelt, Derfel?«
»Ich habe an mir selbst gezweifelt«, entgegnete ich. Sie drückte mir die Hand. »Ich gehöre keinem Mann«, erklärte sie, »einzig und allein mir selbst.« Dann lachte sie vor lauter Freude, ließ meine Hand los und fing an zu laufen. Überall, wo sie vor überschäumendem Glück lief, fielen Veilchen ins grüne Gras. Ich lief ihr nach, während Arthur uns vom offenen Portal der lärmenden Halle aus nachrief, wir sollten zurückkommen.
Aber wir liefen weiter. Dem Chaos entgegen.
Am folgenden Tag nahm ich ein scharfes Messer und schnitzte die Bruchenden der beiden Knochenteile zurecht; anschließend grub ich sehr vorsichtig zwei schmale, lange Furchen in Hywelbanes Griff. Issa war nach Caer Sws zurückgekehrt und hatte ein bißchen Kleister geholt, den wir über dem Feuer erhitzten, und sobald wir sicher waren, daß die beiden Furchen genau zu den Knochenteilen paßten, strichen wir die Furchen mit dem Kleister aus und preßten die beiden Bruchstücke ins Heft des Schwertes. Den überschüssigen Kleister wischten wir ab, dann umwickelten wir die Teile mit Sehnenbändern, damit sie sich fest in das Holz einfügten.
»Sieht aus wie Elfenbein«, sagte Issa bewundernd, als die Arbeit getan war.
»Schweineknochen«, sagte ich wegwerfend, obwohl die beiden Intarsien tatsächlich wie Elfenbein wirkten und Hywelbane einen Anstrich von Luxus verliehen. Das Schwert trug seinen Namen nach seinem ersten Eigentümer, Merlins Verwalter Hywel, der mich in der Waffenkunst unterrichtet hatte.
»Aber sind die Knochen wirklich Magie?« fragte Issa mich besorgt.
»Merlins Magie«, antwortete ich, ohne weitere Erklärungen abzugeben.
Gegen Mittag kam Cavan zu mir. Er kniete auf dem Rasen nieder und neigte den Kopf, sagte aber kein Wort, und das war auch nicht nötig, denn ich wußte, warum er gekommen war.
»Du bist frei zu gehen, wohin du willst, Cavan«, sagte ich zu ihm. »Ich entbinde dich von deinem Eid.« Er sah zu mir auf, aber die Tatsache, daß er von seinem Eid entbunden wurde, überwältigte ihn so, daß er nichts sagen konnte. Deswegen lächelte ich. »Du bist kein junger Mann mehr, Cavan«, sagte ich, »und du hast einen Lord verdient, der dir Gold und Sicherheit bieten kann, statt eine Dunkle Straße und nichts als Ungewißheit.«
»Ich dachte mir, Lord«, sagte er, als er schließlich seine Stimme wiederfand, »daß ich in Irland sterben möchte.«
»Bei deinen Leuten?«
»Ja, Lord. Aber ich kann nicht als armer Mann zurückkehren. Ich brauche Gold.«
»Dann verbrenn endlich dein Wurfbrett«, riet ich ihm. Daraufhin grinste er und küßte Hywelbanes Heft. »Kein Groll, Lord?« fragte er mich besorgt.
»Kein Groll«, gab ich zurück. »Und wenn du je meine Hilfe brauchst, laß es mich wissen.«
Er stand auf und umarmte mich. Er würde in Arthurs Dienste zurückkehren und die Hälfte meiner Männer mitnehmen, denn nur zwanzig wollten bei mir bleiben. Die anderen fürchteten sich entweder vor Diwrnach, oder sie waren zu begierig auf Reichtümer, und ich konnte es ihnen nicht übelnehmen. Sie hatten sich in meinem Dienst Ehren erkämpft, Kriegerringe und Wolfsruten, aber leider nur wenig Gold. Ich erlaubte ihnen, auch weiterhin die Wolfsruten auf dem Helm zu tragen, denn die hatten sie sich bei den furchtbaren Kämpfen in Benoic verdient, aber die Sterne auf ihren Schildern mußten sie auf mein Geheiß entfernen.
Die Sterne waren für die zwanzig Mann reserviert, die bei mir blieben. Es waren die jüngsten, stärksten und abenteuerlustigsten meiner Speerkämpfer, und das mußten sie, bei allen Göttern, auch sein; denn als ich den Knochen zerbrach, hatte ich sie dazu verpflichtet, mit mir auf der Dunklen Straße zu ziehen.
Da ich nicht wußte, wann Merlin uns rufen würde, wartete ich in dem Häuschen, zu dem uns Ceinwyn im Mondschein geführt hatte. Das Haus lag im Nordosten des Dolforwyn in einem kleinen Tal, das so steil war, daß die Schatten erst vom Bach wichen, wenn die Sonne halb am Morgenhimmel emporgestiegen war. An den steilen Talwänden wuchsen Eichen, nur das Haus war von einem Flickenteppich winziger Felder umgeben, auf die jemand ungefähr zwanzig Apfelbäume gepflanzt hatte. Das Haus trug keinen Namen; nicht einmal das Tal trug einen; es wurde schlicht und einfach Cwm Isaf genannt, Unteres Tal, und war von nun an unser Zuhause. Meine Männer bauten sich unter den Bäumen am Südhang des Tales eigene Hütten. Ich selbst hatte keine Ahnung, wie ich für diese zwanzig Mann und ihre Familien sorgen sollte, denn Cwm Isafs kleine Farm konnte kaum eine Feldmaus ernähren, geschweige denn eine Kriegshorde; aber Ceinwyn besaß Gold, und ihr Bruder würde uns, wie sie mir versicherte, nicht verhungern lassen. Die Farm, erklärte sie mir, hatte ihrem Vater gehört und war einer von abertausend weit verstreuten Pachthöfen gewesen, die zu Gorfyddyds Reichtum beigetragen hatten. Der letzte Pächter war ein Cousin von Caer Sws’
Kerzenmacher gewesen, aber er war vor Lugg Vale gestorben, und so war kein neuer Pächter ausgewählt worden. Das Haus selbst war eine armselige Hütte, ein kleines Rechteck aus Steinmauern mit einem Dach aus dichtgeschichtetem Roggenstroh und Farnwedeln, das dringend repariert werden mußte. Drinnen gab es drei Kammern. Eine, der Hauptraum, war eigentlich für das Vieh vorgesehen, aber wir fegten dieses Gemach sauber aus, um darin unseren Wohnbereich zu schaffen. Die anderen Räume waren Schlafkammern, eine für Ceinwyn, die andere für mich.
»Ich habe es Merlin versprochen«, hatte sie am ersten Abend gesagt, um die beiden Schlafkammern zu erklären. Mich überlief es kalt. »Was hast du ihm versprochen?« fragte ich.
Sie war wohl errötet, doch da kein Mondstrahl ins tiefe Cwm Isaf fiel, konnte ich ihr Gesicht nicht erkennen, spürte jedoch den Druck ihrer Finger in meiner Hand. »Ich habe ihm versprochen«, antwortete sie, »daß ich Jungfrau bleiben werde, bis wir den Kessel gefunden haben.«
Allmählich begriff ich, wie listig Merlin vorgegangen war. Wie listig, klug und geschickt. Er brauchte einen Krieger, der ihn auf dem Marsch nach Lleyn beschützte, und er brauchte eine Jungfrau, um den Kessel zu finden, also hatte er uns beide manipuliert. »Nein!« protestierte ich. »Du darfst nicht nach Lleyn mitkommen!«
»Nur eine Jungfrau kann das Versteck des Kessels finden«, hatte Nimue uns aus dem Dunkel zugezischt. »Willst du, daß
wir ein Kind mitnehmen, Derfel?«
»Ceinwyn kann nicht nach Lleyn mitkommen«, beharrte ich.
»Sei still!« versuchte Ceinwyn mich zu beruhigen. »Ich hab’s versprochen. Ich habe einen Eid geschworen.«
»Weißt du überhaupt, was Lleyn ist?« fragte ich sie. »Weißt du, was Diwrnach tut?«
»Ich weiß, daß der Marsch dorthin der Preis ist, den ich dafür bezahle, daß ich hier bei dir sein kann«, antwortete sie. »Und ich habe es Merlin versprochen«, ergänzte sie noch. »Ich habe einen Eid geschworen.«
Also schlief ich in jener Nacht allein, aber nachdem wir am nächsten Morgen mit unseren Speerkämpfern und Dienstboten ein karges Frühstück geteilt hatten und bevor ich die Knochensplitter in Hywelbanes Heft klebte, machte Ceinwyn mit mir einen Spaziergang am Bach von Cwm Isaf entlang. Sie lauschte meinen hitzigen Erklärungen, warum sie die Dunkle Straße nicht betreten solle, wehrte sie aber alle mit dem Argument ab, wer uns denn besiegen könne, wenn Merlin bei uns sei.
»Diwrnach«, gab ich grimmig zurück.
»Aber du wirst Merlin begleiten«, sagte sie.