ZWEITER TEIL
Der unterbrochene Krieg
»Nein!« protestierte Igraine, als sie einen neugierigen Blick auf das letzte Pergament des neuen Stapels warf.
»Nein?« fragte ich höflich.
»Ihr könnt die Geschichte nicht einfach hier enden lassen!«
behauptete sie. »Wie ging es weiter?«
»Wir sind natürlich abmarschiert.«
»Ach, Derfel!« Verärgert warf sie das Blatt auf den Tisch.
»Sogar die Küchenjungen kennen die Geschichte besser als Ihr! Erzählt mir genau, wie es geschehen ist. Ich bestehe darauf!«
Also erzählte ich es ihr.
Es war kurz vor Morgengrauen, und der Nebel lag wie ein Vlies auf uns. Er war so dicht, daß wir, nachdem wir die Felsen hinabgeklettert waren und uns auf dem Gras der Hügelkuppe versammelt hatten, Gefahr liefen, einander zu verlieren, wenn wir auch nur einen einzigen Schritt allein taten. Merlin forderte uns auf, eine Kette zu bilden, indem ein jeder den Mantel des vor ihm Gehenden packte. Dann banden sie mir den Kessel auf den Rücken, und wir schlichen uns im Gänsemarsch hügelabwärts. Merlin, der seinen Stab in Armeslänge ausgestreckt hielt, führte uns mitten durch den Ring der Blutschilde, und keiner von ihnen entdeckte uns. Ich hörte, wie Diwrnach ihnen zurief, sie sollten sich verteilen, aber die dunklen Reiter wußten, daß es ein Zaubernebel war, und zogen es vor, an ihren Feuern sitzen zu bleiben. Dennoch waren diese ersten paar Schritte der gefährlichste Teil unseres Marschs.
»Aber in den Erzählungen heißt es, daß Ihr alle verschwunden seid«, wandte meine Königin ein. »Ihr wärt von der Insel geflogen, haben Diwrnachs Männer behauptet. Die Geschichte ist berühmt! Schon meine Mutter hat sie mir erzählt. Ihr könnt nicht einfach behaupten, daß Ihr so mir nichts, dir nichts davonmarschiert seid!«
»Aber so war es«, entgegnete ich.
»Derfel!« sagte sie vorwurfsvoll.
»Wir sind weder verschwunden«, erklärte ich ihr geduldig,
»noch sind wir geflogen, egal, was Eure Mutter Euch erzählt hat.«
»Und was ist dann geschehen?« fragte sie, von meiner Fußgängerversion noch immer enttäuscht.
Stundenlang sind wir marschiert, immer auf Nimues Fersen, denn Nimue verfügte über die unheimliche Fähigkeit, stets auch im Dunkeln oder in dichtem Nebel den Weg zu finden. Nimue war es auch gewesen, die mir und meiner Kriegshorde in der Nacht von Lugg Vale den Weg gewiesen hatte, und nun führte sie uns in diesem dichten Winternebel auf Ynys Mon zu einem der großen, grasbewachsenen Hügel, die noch vom Alten Volk stammten. Merlin kannte den Ort, er behauptete sogar, vor Jahren einmal dort geschlafen zu haben. Jetzt befahl er einigen meiner Männer, die Steine am Eingang wegzuräumen, der zwischen zwei geschwungenen,
grasbewachsenen, wie Hörner nach vorn ragenden
Erdböschungen lag. Dann krochen wir einer nach dem anderen auf allen vieren ins tiefschwarze Innere des Hügels hinein. Der Hügel, ein Grabmal, war entstanden, indem riesige Felsblöcke zu einem Mittelgang aufeinandergetürmt wurden, von dem sechs kleinere Kammern abgingen, und als das Ganze fertig war, hatte das Alte Volk Gang und Kammern mit Steinplatten abgedeckt und anschließend Erde auf die Platten gehäuft. Die Alten verbrannten ihre Toten nicht wie wir und begruben sie auch nicht in der kalten Erde wie die Christen, sondern bestatteten sie in den Steinkammern, in denen sie auch damals noch lagen, jeder mit seinen persönlichen Schätzen: Trinkhörnern, Hirschgeweihen, Speerspitzen aus Stein, Messern aus Feuerstein, einer Bronzeschale und einer Halskette aus kostbaren Jettstückchen, die auf eine verfaulende Sehne gefädelt waren. Merlin ermahnte uns, die Ruhe der Toten nicht zu stören, denn wir seien hier Gäste, also kauerten wir uns alle in den Hauptgang und mieden die Grabkammern. Wir stimmten Gesänge an und erzählten Geschichten. Merlin erklärte uns, die Alten seien die Hüter Britanniens gewesen, bevor die Britannier kamen, und es gebe Orte, an denen sie noch immer lebten. Er war in den tiefen, vergessenen Tälern der Wildnis gewesen und hatte dort einiges von ihrer Magie gelernt. Wie er uns erzählte, nahmen sie in jedem Jahr das erstgeborene Lamm, fesselten es mit Weidenruten und vergruben es auf einer Weide, damit die übrigen Lämmer alle gesund und stark geboren wurden.
»Das tun wir immer noch«, warf Issa ein.
»Weil eure Vorfahren es vom Alten Volk gelernt haben«, erklärte Merlin.
»In Benoic«, sagte Galahad, »haben wir das Fell des ersten Lamms an einen Baum genagelt.«
»Das hilft auch.« Hohl echote Merlins Stimme durch den dunklen, kalten Gang.
»Die armen Lämmchen«, sagte Ceinwyn, und alle lachten. Der Nebel lichtete sich, aber tief drinnen im Hügel konnten wir Tag und Nacht nicht unterscheiden – solange wir nicht den Eingang öffneten, damit einige von uns hinauskriechen konnten. Das mußte immer wieder einmal sein, wenn wir nicht im eigenen Dung leben wollten, und falls draußen Tag war, wenn wir die Steine entfernten, versteckten wir uns zwischen den beiden Hörnern des Hügels und sahen zu, wie die dunklen Reiter die Felder absuchten, die Höhlen, Moore, Felsen, Hütten und Wäldchen aus windgebeugten Bäumen. Fünf lange Tage suchten sie uns, während wir in dieser Zeit die letzten Reste unseres Proviants verzehrten und das Wasser tranken, das durch die Hügeldecke hereinsickerte. Dann gelangte Diwrnach endlich zu der Erkenntnis, daß unsere Magie der seinen überlegen sei, und ließ die Suche abbrechen. Vorsichtshalber warteten wir noch zwei Tage, um sicherzugehen, daß dies nicht nur ein Versuch war, uns aus unserem Versteck zu locken, dann machten wir uns auf den Heimweg. Als eine Art Miete legten wir ein wenig Gold zu den Schätzen der Toten, blockierten den Eingang hinter uns und marschierten unter der fahlen Wintersonne nach Osten. An der Küste angelangt, setzten wir unsere Schwerter ein, um zwei Fischerboote zu beschlagnahmen, ließen die heilige Insel hinter uns und segelten gen Osten. Solange ich lebe, werde ich mich daran erinnern, wie die Sonne auf den goldenen Ornamenten und dem silbernen Bauch des Kessels glitzerte, während die Segel uns in Sicherheit brachten. Unterwegs dachten wir uns einen Gesang aus, das Lied des Kessels, das auch heute zuweilen noch gesungen wird, obwohl es, an den Liedern der Barden gemessen, ein armseliger Gesang ist. Wir landeten in Cornovia und marschierten von dort aus südwärts durch Elmet ins freundlich gesinnte Powys. »Und deswegen, Lady«, schloß ich meine Schilderung, »behaupten die Sagen, daß Merlin verschwand.«
Igraine krauste die Stirn. »Haben die dunklen Reiter den Hügel denn nicht durchsucht?«
»Zweimal«, antwortete ich, »aber entweder wußten sie nicht, daß man den Eingang öffnen kann, oder sie fürchteten die Geister der Toten. Und außerdem hatte uns Merlin natürlich durch einen Tarnzauber geschützt.«
»Ich wünschte, Ihr wärt davongeflogen«, grollte sie. »Es wäre eine so viel schönere Erzählung geworden.« Sie seufzte, weil sie um ihren verlorenen Traum trauerte. »Aber die Geschichte vom Kessel ist damit doch noch nicht beendet, oder?«
»Aber nein!«
»Also …«
»Also werde ich sie Euch an der entsprechenden Stelle erzählen«, fiel ich ihr ins Wort.
Sie zog einen Schmollmund. Heute trägt sie den Umhang aus grauer Wolle, dessen Säume mit Otterfell besetzt sind, und in dem sie besonders hübsch aussieht. Sie ist immer noch nicht schwanger, deswegen glaube ich, daß es ihr entweder nicht bestimmt ist, Kinder zu bekommen, oder daß König Brochvael, ihr Gemahl, zu viel Zeit mit Nwylle, seiner Geliebten, verbringt. Es ist kalt heute, der Wind rüttelt an meinem Fenster und zerrt an den kleinen Flammen in der Feuerstelle, die mit Leichtigkeit ein Feuer beherbergen könnte, das zehnmal so groß ist wie jenes, das Bischof Sansum mir zubilligt. Ich höre, wie der Heilige Bruder Arun schilt, unseren Klosterkoch. Der Haferbrei war heute morgen so heiß, daß sich der heilige Tudwal die Zunge verbrannt hat. Tudwal ist ein Kind in unserem Kloster und des Bischofs inniger Gefährte in Christo. Im vergangenen Jahr hat ihn der Bischof zum Heiligen erklärt. Der Teufel legt viele Fallstricke in den Weg des wahren Glaubens.
»Dann wart es also Ihr und Ceinwyn«, warf Igraine mir vor.
»Was waren wir?« fragte ich zurück.
»Ihr wart ihr Liebster«, sagte Igraine.
»Ein Leben lang, Lady«, gestand ich.
»Aber Ihr habt Euch nie mit ihr vermählt?«
»Niemals. Sie hatte einen Eid geschworen, das wißt Ihr doch.«
»Aber sie ist auch nicht von einem Kind zerrissen worden«, stellte Igraine fest.
»Das dritte Kind hätte sie fast umgebracht«, antwortete ich,
»doch bei den anderen war es leichter.«
Igraine kauerte vor dem Feuer und hielt ihre bleichen Hände an die kärglichen Flammen. »Ihr könnt Euch glücklich schätzen, Derfel.«
»Kann ich das?«
»Eine solche Liebe kennengelernt zu haben …« Sie sagte es sehnsüchtig. Die Königin ist so alt wie Ceinwyn damals, als ich sie zum erstenmal sah, und wie Ceinwyn ist sie sehr schön und verdient eine Liebe, von der die Barden singen.
»Ja, ich kann mich glücklich schätzen«, räumte ich ein. Draußen vor meinem Fenster stapelt Bruder Maelgwyn den Holzstoß des Klosters auf, zerkleinert die Holzstücke mit Hammer und Keil und singt dabei. Sein Gesang erzählt die Liebesgeschichte von Rhydderch und Morag, und das bedeutet, daß er getadelt werden wird, sobald der heilige Sansum Arun genügend gedemütigt hat. Wir sind alle Brüder in Christo, erklärt uns der Heilige immer wieder, und vereint in unserer Liebe.
»War Cuneglas nicht verärgert darüber, daß seine Schwester mit Euch durchgebrannt ist?« fragte mich Igraine. »Auch nicht das allerkleinste bißchen?«
»Nicht im geringsten«, antwortete ich. »Er wollte sogar, daß
wir wieder nach Caer Sws zurückkehrten, aber wir blieben lieber in Cwm Isaf. Und ihre Schwägerin hat Ceinwyn im Grunde nie so recht gemocht. Helledd war eine ewige Nörglerin, wißt Ihr, und hatte zwei Tanten, die sehr streng waren. Sie haben Ceinwyn stets mißbilligt, und sie waren es auch, die die Skandalgeschichten verbreitet haben, aber wir selbst haben uns nie skandalös verhalten.« Der alten Zeiten gedenkend, hielt ich inne. »Im Grunde waren die meisten Leute sehr freundlich zu uns«, fuhr ich fort. »Ihr müßt wissen, daß es in Powys immer noch einigen Groll wegen Lugg Vale gab. Zu viele Menschen hatten Väter, Brüder, Ehemänner verloren, und Ceinwyns Aufbegehren war eine Art Vergeltung für sie. Die Leute genossen es, Arthur und Lancelot in Verlegenheit zu sehen, deswegen war außer Helledd und ihren fürchterlichen Tanten kein Mensch unfreundlich zu uns.«
»Und Lancelot hat nicht mit Euch um sie gekämpft?« fragte Igraine entgeistert.
»Ich wünschte, er hätte es getan«, entgegnete ich ironisch.
»Es wäre mir eine Wonne gewesen.«
»Und Ceinwyn hat das einfach selbst entschieden?«
erkundigte sich Igraine, die allein die Vorstellung, daß eine Frau so etwas sagen konnte, in Erstaunen versetzte. Sie erhob sich und trat ans Fenster, wo sie eine Weile lauschte, während Maelgwyn sang. »Arme Gwenhwyvach«, sagte sie
unvermittelt. »Ihr schildert sie als sehr unscheinbar, dick und langweilig.«
»Genau das war sie leider auch.«
»Nicht jeder Mensch kann schön sein«, erwiderte sie mit der Selbstsicherheit eines sehr schönen Menschen.
»Nein«, stimmte ich zu, »aber Ihr wollt sicher keine Erzählungen über Alltägliches hören. Ihr wollt, daß es in Arthurs Britannien Leidenschaft gibt, und ich konnte keine Leidenschaft für Gwenhwyvach empfinden. Liebe kann man nicht herbeibefehlen, Lady, das können nur Schönheit oder Wollust. Wollt Ihr, daß die Welt fair sei? Dann stellt Euch eine Welt ohne Krieg vor, ohne Königinnen, Lords, Leidenschaft und Magie. Wollt Ihr in einer so langweiligen Welt leben?«
»Das hat nichts mit Schönheit zu tun«, protestierte Igraine.
»Es hat sehr wohl mit Schönheit zu tun. Woher habt Ihr Euren Rang, wenn nicht durch den Zufall Eurer Geburt? Und woher habt Ihr Eure Schönheit, wenn nicht durch Zufall? Wenn die Götter …« Ich hielt inne, um mich zu korrigieren. »Wenn Gott wollte, daß wir alle gleich sind, hätte er uns gleich geschaffen, und wenn wir alle gleich wären – wo bliebe dann Eure Romantik?«
Sie ließ das Thema fallen. »Glaubt Ihr an Magie, Bruder Derfel?« forderte sie mich statt dessen heraus. Ich überlegte einen Moment. »Ja«, antwortete ich dann.
»Selbst als Christen können wir daran glauben. Denn was sind Wunder, wenn nicht Magie?«
»Und Merlin konnte wirklich einen Nebel herzaubern?«
Ich krauste die Stirn. »Alles, was Merlin tat, Lady, war auf andere Weise zu erklären. Nebel steigen vom Meer auf, und Verlorenes wird tagtäglich wiedergefunden.«
»Und die Toten erwachen zum Leben?«
»Lazarus schon«, entgegnete ich. »Und unser Heiland.« Ich bekreuzigte mich.
Pflichtschuldigst schlug auch Igraine das Kreuz. »Aber ist Merlin von den Toten auferstanden?« fragte sie mich sodann.
»Ich bin nicht sicher, ob er tot war«, antwortete ich vorsichtig.
»Aber Ceinwyn war sicher?«
»Bis an ihr Lebensende, Lady.«
Igraine wickelte sich den goldgeflochtenen Gürtel ihres Gewands um die Finger. »Aber bestand denn nicht genau darin die Magie des Kessels? Daß er Tote auferwecken konnte?«
»Das hat man uns erzählt.«
»Und daß Ceinwyn den Kessel fand, war doch auch Magie«, fuhr Igraine fort.
»Vielleicht«, räumte ich ein, »aber vielleicht war es auch nur der gesunde Menschenverstand. Merlin hatte viele Monate damit zugebracht, jede kleinste Erinnerung an Ynys Mon zu sammeln. Er wußte, wo die Druiden ihr heiliges Zentrum hatten, am Llyn Cerrig Bach, und Ceinwyn hat uns lediglich zum nächsten Ort geführt, an dem der Kessel sicher versteckt werden konnte. Allerdings hatte sie ihren Traum.«
»Aber Ihr auch«, wandte Igraine ein. »Auf dem Dolforwyn. Was war das, was Merlin Euch zu trinken gab?«
»Das gleiche, was Nimue Ceinwyn am Llyn Cerrig Bach zu trinken gab«, antwortete ich. »Vermutlich ein Gebräu aus Fliegenpilzen.«
»Aber die sind doch giftig!« rief Igraine entgeistert. Ich nickte. »Deswegen hatte ich auch Zuckungen und konnte nicht aufstehen.«
»Aber Ihr hättet sterben können!« rief sie protestierend. Ich schüttelte den Kopf. »An Fliegenpilzen stirbt kaum jemand, und außerdem war Nimue in diesen Dingen erfahren.«
Ich entschied, ihr nicht zu verraten, wie man jemandem den Fliegenpilz am sichersten beibringt: indem man dem Träumer einen Becher mit dem Urin des Zauberers zu trinken gibt, der zuvor etwas von dem Giftpilz gegessen hat. »Vielleicht hat sie auch Mutterkorn verwendet«, fuhr ich fort. »Aber ich glaube, daß es Fliegenpilze waren.«
Igraines Miene wurde finster, weil der heilige Sansum Bruder Maelgwyn befahl, mit seinen heidnischen Gesängen innezuhalten. Der Heilige ist in letzter Zeit reizbarer als sonst. Er hat beim Wasserlassen starke Schmerzen, möglicherweise wegen eines Steins. Wir beten für ihn.
»Und wie geht es weiter?« fragte Igraine, Sansums Schelte nicht beachtend.
»Wir gingen nach Hause«, antwortete ich. »Nach Powys zurück.«
»Und zu Arthur?« fragte sie eifrig.
»Auch zu Arthur«, bestätigte ich, denn dies ist seine Geschichte: die Geschichte unseres geliebten Kriegsherrn, unseres Gesetzgebers, unseres Arthur.
Der Frühling war wundervoll in Cwm Isaf – aber vielleicht ist es ja so, daß einem, wenn man verliebt ist, alle Dinge üppiger und strahlender erscheinen –, jedenfalls schien es mir, als wäre die Welt noch nie so voller Schlüsselblumen gewesen, so voller Bingelkraut, Glockenblumen und Veilchen, Lilien und dicken Kissen von Wiesenkerbel. Blaue Schmetterlinge betupften die Wiese, wo wir unter rosa blühenden Apfelbäumen große, dicht verflochtene Queckenbüschel aus der Erde zogen. Wendehälse sangen im Blütenmeer, am Bach fanden wir Uferläufer, und unter Cwm Isafs Reetdach baute eine Bachstelze ihr Nest. Wir hatten fünf Kälber, allesamt gesund, hungrig und sanftäugig, und Ceinwyn war schwanger. Nach der Rückkehr aus Ynys Mon hatte ich für uns beide Liebesringe angefertigt. Sie trugen ein eingeritztes Kreuz, aber es war nicht das Christenkreuz. Frauen, die ihre Jungfernschaft hinter sich gelassen hatten, trugen oft solche Ringe. Die meisten Frauen nahmen ein paar zusammengedrehte Strohhalme von ihren Liebhabern und trugen sie als Abzeichen; die Frauen der Speerkämpfer trugen gewöhnlich einen Kriegerring, in den ein Kreuz geritzt worden war, während die Damen von höchstem Rang fast niemals einen Ring trugen, weil sie das als vulgäres Symbol verachteten. Aber auch Männer trugen sie manchmal. Valerin, ein Häuptling aus Powys, hatte so einen Liebesring getragen, als er im Lugg Vale fiel. Valerin war Guineveres Verlobter gewesen, bevor sie Arthur kennenlernte.
Unsere Ringe waren beide Kriegerringe, geschmiedet aus einem sächsischen Streitaxtblatt, und bevor ich Merlin verließ, der nach Ynys Wydryn im Süden weiterreiste, brach ich heimlich ein Stückchen von den Verzierungen des Kessels ab; es handelte sich um einen winzigen goldenen Speer, den ein Krieger trug und der sich leicht entfernen ließ. Ich verwahrte das Gold in meinem Beutel, und sobald ich wieder in Cwm Isaf war, brachte ich das Bruchstück mitsamt den beiden Kriegerringen zu einem Metallverarbeiter dort und sah zu, wie er das Gold einschmolz und zu zwei Kreuzen formte, die er auf das Eisen schmiedete. Ich stand daneben, um mich zu vergewissern, daß er das Gold nicht mit fremdem Gold vertauschte. Ich überreichte Ceinwyn den einen Ring und trug den anderen an meiner Hand. Ceinwyn lachte, als sie den Ring sah. »Ein Strohhalm hätte auch gereicht, Derfel«, sagte sie.
»Gold vom Kessel wird uns bessere Dienste leisten«, widersprach ich. Sehr zu Königin Helledds Mißfallen trugen wir die Ringe ständig.
In jenem zauberhaften Frühling kam Arthur uns besuchen. Er traf mich an, als ich gerade mit nacktem Oberkörper Quecken herauszog, eine Arbeit, die genauso endlos war wie das Spinnen. Vom Bachufer aus rief er mir schon etwas entgegen und kam dann bergauf, um mich zu begrüßen. Er war in ein graues Leinenhemd und eine lange, dunkle Hose gekleidet und trug kein Schwert. »Ich sehe gern zu, wenn ein Mann arbeitet«, neckte er mich.
»Quecken jäten ist anstrengender als kämpfen«, knurrte ich und drückte mir beide Hände ins Kreuz. »Seid Ihr gekommen, um mir zu helfen?«
»Ich bin gekommen, um Cuneglas aufzusuchen«, berichtigte er und setzte sich auf einen Felsblock in der Nähe eines der Apfelbäume, die auf der Wiese standen.
»Krieg?« fragte ich, als könnte Arthur etwas anderes nach Powys geführt haben.
Er nickte. »Es wird Zeit, die Speere zusammenzurufen, Derfel. Vor allem« – er lächelte – »die Krieger des Kessels.«
Dann bestand er darauf, die ganze Geschichte von mir zu hören. Als ich endete, war er so höflich, sich für seine Zweifel an der Existenz des Kessels zu entschuldigen. Ich bin überzeugt, daß Arthur das Ganze noch immer für Unsinn hielt, sogar für gefährlichen Unsinn; denn unsere erfolgreiche Suche hatte Dumnonias Christen verärgert, die, wie Galahad mir berichtet hatte, der Meinung waren, daß wir das Werk des Teufels verrichteten. Merlin hatte den kostbaren Kessel nach Ynys Wydryn mitgenommen, wo er in seinem Turm verwahrt werden sollte. Zur rechten Zeit, erklärte Merlin, werde er die mächtigen Kräfte des Kessels rufen, vorerst aber verlieh der Kessel Dumnonia durch seine bloße Anwesenheit neue Zuversicht – trotz der Feindseligkeit der Christen. »Obwohl ich gestehen muß«, behauptete Arthur, »daß mir der Anblick versammelter Speerkämpfer mehr Zuversicht verleiht. Wie Cuneglas mir sagt, wird er nächste Woche marschieren, Lancelots Silurier versammeln sich in Isca, und Tewdrics Männer sind ebenfalls marschbereit. Außerdem wird es ein trockenes Jahr werden, Derfel, also ein gutes Jahr für den Kampf.«
Ich stimmte ihm zu. Die Eschen hatten vor den Eichen ausgeschlagen, und das bedeutete einen trockenen Sommer, und ein trockener Sommer bedeutete festen Boden für Schildwälle. »Und wo wollt Ihr meine Männer haben?«
erkundigte ich mich.
»Bei mir, natürlich«, antwortete er. Dann hielt er inne, um mir ein verschmitztes Lächeln zu schenken. »Wollt Ihr mir denn gar nicht gratulieren, Derfel?«
»Euch, Lord?« fragte ich, Unwissenheit vortäuschend, damit er mir die große Neuigkeit selbst mitteilen konnte. Sein Lächeln wurde breiter. »Guinevere ist vor einem Monat niedergekommen. Es ist ein Sohn, ein prächtiger Knabe!«
»Lord!« rief ich und heuchelte Überraschung, obwohl wir schon vor einer Woche von der Geburt erfahren hatten.
»Er ist gesund und hat mächtigen Hunger! Ein gutes Zeichen.« Daß er sich freute, war nicht zu übersehen, aber er hatte stets Freude an den alltäglichen Dingen des Lebens. Er sehnte sich nach einer starken Familie in einem fest gebauten Haus, umgeben von sorgsam gepflegten Feldern. »Wir haben ihn Gwydre genannt«, sagte er und wiederholte den Namen liebevoll. »Gwydre.«
»Ein guter Name, Lord«, sagte ich. Dann unterrichtete ich ihn von Ceinwyns Schwangerschaft, und Arthur bestimmte augenblicklich, daß unser Kind eine Tochter werden und, wenn die Zeit gekommen sei, natürlich mit seinem Gwydre vermählt werden müsse. Er legte mir den Arm um die Schulter und ging mit mir gemeinsam zum Haus hinauf, wo wir Ceinwyn antrafen, die gerade Sahne von einer Schale Milch schöpfte. Arthur umarmte sie herzlich und bestand darauf, daß sie das Buttern den Mägden überlassen und in die Sonne
herauskommen müsse, um sich mit uns zu unterhalten. Wir setzten uns auf eine Bank, die Issa unter dem Apfelbaum neben der Haustür gezimmert hatte. Ceinwyn erkundigte sich nach Guinevere. »War es eine leichte Geburt?« fragte sie ihn.
»Das war es.« Flüchtig berührte er ein eisernes Amulett an seinem Hals. »Das war es tatsächlich, und es geht ihr gut!« Er verzog das Gesicht. »Sie macht sich Sorgen, daß sie alt aussehen wird, nachdem sie ein Kind geboren hat, aber das ist Unsinn. Meine Mutter hat nie alt ausgesehen. Und ein Kind wird Guinevere guttun.« Er lächelte, weil er sich vorstellte, daß
Guinevere den Sohn ebenso lieben würde wie er selbst. Gwydre war natürlich nicht sein erstes Kind. Ailleann, seine irische Geliebte, hatte ihm Zwillingssöhne geboren, Amhar und Loholt, die inzwischen alt genug waren, um ihren Platz im Schildwall einzunehmen, doch Arthur freute sich keineswegs auf ihre Gesellschaft. »Sie mögen mich nicht«, gestand er uns, als ich mich nach den Zwillingen erkundigte, »aber sie mögen unseren alten Freund Lancelot.« Als er diesen Namen erwähnte, warf er uns einen entschuldigenden Blick zu. »Also werden sie mit seinen Männern kämpfen«, ergänzte er.
»Kämpfen?« fragte Ceinwyn argwöhnisch.
Arthur sah sie lächelnd an. »Ich bin gekommen, um Euch Derfel wegzunehmen, Lady.«
»Bringt ihn mir bitte wieder zurück, Lord«, lautete ihre einzige Antwort.
»Mit Schätzen für ein Königreich«, versicherte Arthur. Dann wandte er sich um und musterte Cwm Isafs niedrige Mauern mit dem dicken Reetdach, das uns warm hielt, und dem dampfenden Misthaufen, der hinter der Giebelwand lag. Es war zwar nicht so groß wie die meisten Farmhäuser von Dumnonia, aber es war jene Art Haus, wie sie den wohlhabenden Freien in Powys gehörten, und wir liebten es. Ich dachte, Arthur werde einen Vergleich zwischen meinem gegenwärtigen
bescheidenen Leben und meinem zukünftigen Reichtum ziehen, und war bereit, Cwm Isaf gegen derartige Vergleiche zu verteidigen. Statt dessen war seine Miene wehmütig. »Ich beneide Euch um das hier, Derfel.«
»Ein Wort, und es gehört Euch, Lord«, gab ich zurück, weil ich die Sehnsucht in seiner Stimme hörte.
»Ich bin zu Marmorsäulen und himmelhohen Giebeln verdammt.« Dann lachte er seine Stimmung davon. »Morgen werde ich aufbrechen«, sagte er. »Cuneglas wird mir innerhalb von zehn Tagen folgen. Würdet Ihr mit ihm kommen? Oder auch früher, falls Ihr könnt. Und bringt so viel Proviant wie nur möglich mit.«
»Wohin?« fragte ich ihn.
»Nach Corinium«, antwortete er. Dann erhob er sich und blickte das Tal entlang, bevor er lächelnd zu mir heruntersah.
»Ein letztes Wort?« bat er mich.
»Ich muß aufpassen, daß Scarach die Milch nicht kochen läßt«, sagte Ceinwyn, die seinen allzu eindeutigen Wink verstand. »Ich wünsche Euch Sieg, Lord«, sagte sie zu Arthur. Dann stand sie auf und umarmte ihn zum Abschied. Arthur und ich schlenderten das Tal entlang, wo er die frisch verflochtenen Hecken bewunderte, die sauber beschnittenen Apfelbäume und den kleinen Fischteich, den wir im Bach aufgestaut hatten. »Schlagt nicht zu tief Wurzeln in diesem Boden, Derfel«, riet er mir. »Ich möchte Euch wieder bei mir in Dumnonia haben.«
»Nichts wäre mir eine größere Freude, Lord«, gab ich zurück, weil ich wußte, daß es nicht Arthur war, der mich von meiner Heimat fernhielt, sondern seine Gemahlin und ihr Verbündeter Lancelot.
Arthur lächelte, sagte aber kein weiteres Wort über meine Heimkehr. »Ceinwyn«, bemerkte er statt dessen, »scheint sehr glücklich zu sein.«
»Das ist sie. Das sind wir.«
Er zögerte einen Moment. »Ihr werdet möglicherweise feststellen«, teilte er mir mit der Autorität eines frischgebackenen Vaters mit, »daß die Schwangerschaft sie gereizt werden läßt.«
»Bis jetzt nicht, Lord«, antwortete ich, »obwohl wir erst in den ersten Wochen sind.«
»Ihr habt großes Glück mit ihr«, sagte er leise, und rückblickend denke ich, daß ich damals zum ersten Mal eine ganz leichte Andeutung von Kritik an Guinevere von ihm gehört habe. »Die Schwangerschaft ist eine anstrengende Zeit«, setzte er hastig als Erklärung hinzu, »und diese Kriegsvorbereitungen tun das ihre. Leider kann ich nicht so oft zu Hause sein, wie ich gern möchte.« Er machte bei einer uralten Eiche halt, die von einem Blitzschlag getroffen war; der brandgeschwärzte Stamm war in der Mitte gespalten, aber selbst jetzt noch brachte der alte Baum neue grüne Schößlinge hervor. »Ich muß Euch um einen Gefallen bitten«, sagte er leise.
»Was immer Ihr wollt, Lord.«
»Nicht so voreilig, Derfel, Ihr wißt noch nicht, worum es sich handelt.« Als er innehielt, ahnte ich, daß es eine Bitte war, die auszusprechen ihn in Verlegenheit brachte. Ein oder zwei Sekunden lang konnte er gar nichts sagen. Statt dessen starrte er zu den Wäldern am südlichen Ende des Tals hinüber und murmelte etwas über Rotwild und Glockenblumen.
»Glockenblumen?« fragte ich erstaunt und glaubte mich verhört zu haben.
»Ich habe mich nur gefragt, warum das Rotwild niemals Glockenblumen frißt«, antwortete er ausweichend. »Die fressen doch sonst immer alles.«
»Ich weiß es nicht, Lord.«
Er zögerte einen Herzschlag lang. Dann blickte er mir in die Augen. »Ich habe um eine Versammlung der Mithrasjünger in Corinium gebeten«, gestand er schließlich ein.
Da begriff ich, was kommen würde, und wappnete mich. Der Krieg hatte mir so manchen Lohn eingebracht, doch keiner war mir so wertvoll wie die Bruderschaft des Mithras. Er war der Soldatengott der Römer gewesen und war, als die Römer abzogen, in Britannien geblieben. Die Männer, die in die Mysterien eingewiesen werden sollten, wurden von den Eingeweihten sorgfältig ausgesucht. Diese Eingeweihten kamen aus allen Königreichen und kämpften ebenso oft gegeneinander wie Seite an Seite, doch wenn sie sich in der Halle des Mithras trafen, kamen sie in Frieden. Sie wählten nur die Tapfersten der Tapferen zu ihren Brüdern. Ein Mithrasbruder zu werden bedeutete, das Lob der besten Krieger Britanniens zu empfangen, und war eine Ehre, die ich keinem Mann leichtfertig zuteil werden lassen würde. Frauen waren beim Mithraskult natürlich nicht zugelassen. Ja, sollte eine Frau jemals die Mysterien sehen, würde sie auf der Stelle getötet werden.
»Ich habe die Versammlung einberufen«, fuhr Arthur fort,
»weil ich möchte, daß wir Lancelot zu den Mysterien zulassen.« Ich hatte geahnt, daß dies der Grund war. Guinevere hatte mir diesen Wunsch schon im letzten Jahr vorgetragen, aber ich hatte in den darauffolgenden Monaten gehofft, daß sie diese Idee wieder aufgeben werde. Nun war sie hier, am Vorabend des Krieges, plötzlich wieder aufgetaucht. Ich suchte nach einer diplomatischen Antwort. »Wäre es nicht besser, Lord«, begann ich, »wenn König Lancelot warten würde, bis die Sachsen endgültig besiegt sind? Dann werden wir ihn doch bestimmt im Kampf gesehen haben.« Bis jetzt hatte keiner von uns Lancelot je in einem Schildwall angetroffen, und es würde mich, ehrlich gesagt, wundern, ihn im kommenden Sommer kämpfen zu sehen. Ich hoffte, mein Vorschlag würde den schrecklichen Moment der Wahl um einige Monate hinausschieben.
Arthur reagierte mit einer unbestimmten Geste, als wäre mein Vorschlag irgendwie irrelevant. »Wir stehen unter einem gewissen Zeitdruck«, erklärte er, »der es erfordert, ihn sofort zu wählen.«
»Was für ein Druck?« fragte ich erstaunt.
»Seine Mutter ist krank.«
Ich lachte. »Kaum ein Grund, einen Mann in den
Mithrasbund zu wählen, Lord.«
Arthur zog finster die Brauen zusammen, da er wußte, daß
seine Argumente schwach waren. »Er ist ein König, Derfel«, sagte er, »und er führt ein königliches Heer in unsere Schlachten. Er mag Siluria nicht, und das kann ich verstehen. Er sehnt sich nach den Dichtern, Harfenistinnen und Hallen von Ynys Trebes; aber er hat jenes Königreich verloren, weil ich meinen Eid nicht erfüllen konnte und seinem Vater mit meinen Truppen nicht zu Hilfe kam. Wir sind ihm etwas schuldig, Derfel.«
»Ich nicht, Lord.«
»Wir sind ihm etwas schuldig«, wiederholte Arthur.
»Dennoch sollte er auf Mithras warten«, erklärte ich energisch. »Wenn Ihr seinen Namen jetzt vorbringt, Lord, bin ich sicher, daß er zurückgewiesen wird.«
Er hatte gefürchtet, daß ich das sagen werde, wollte aber nicht nachgeben. »Ihr seid mein Freund«, fuhr er fort und winkte jede Bemerkung fort, die ich vielleicht machen wollte.
»Und es würde mich freuen, Derfel, wenn mein Freund in Dumnonia genauso geehrt werden würde wie in Powys.« Er hatte auf den Stamm der Sturmversehrten Eiche gestarrt, nun aber hob er den Blick und sah mich an. »Ich möchte Euch in Lindinis sehen, mein Freund, und wenn Ihr, Ihr vor allen anderen, Lancelots Aufnahme in der Mithrashalle unterstützt, wäre seine Wahl besiegelt.«
Darin lag weit mehr, als Arthur mit Worten gesagt hatte. Er hatte mir unterschwellig bestätigt, daß es Guinevere war, die wegen Lancelots Kandidatur Druck ausübte, und daß mir in Guineveres Augen alle Vergehen vergeben wären, wenn ich ihr diesen einen Wunsch erfüllte. Wenn ich Lancelot in die Mithrasbruderschaft wählen würde, wollte er sagen, könnte ich mit Ceinwyn nach Dumnonia zurückkehren und das ehrenvolle Amt als Mordreds Champion antreten, mit all dem Reichtum, dem Landbesitz und dem Rang, die diese hohe Position mit sich brachte.
Ich beobachtete, wie eine Gruppe meiner Speerkämpfer vom hohen Berg im Norden herabkam. Einer von ihnen hielt ein Lamm auf den Armen, das, wie ich vermutete, ein Waisenkind war und von Ceinwyn aufgezogen werden mußte. Das war eine mühsame Arbeit, denn das Lamm mußte mit einer in Milch getauchten Stoffzitze gesäugt werden, und in den meisten Fällen starben diese Winzlinge schon bald; aber Ceinwyn bestand darauf, wenigstens zu versuchen, ihnen das Leben zu retten. Sie hatte allen strikt verboten, eins der Lämmer in Weiden gebunden zu vergraben oder ihr Fell an einen Baum zu nageln, und trotz dieser Versäumnisse schien die Herde zu gedeihen. Ich seufzte. »Ihr wollt Lancelot also in Corinium zur Wahl vorschlagen«, sagte ich.
»Ich nicht, nein. Das wird Bors übernehmen. Bors hat gesehen, wie er kämpft.«
»Dann wollen wir hoffen, Lord, daß Bors eine goldene Zunge besitzt.«
Arthur lächelte. »Wollt Ihr mir jetzt keine Antwort geben?«
»Keine, die Ihr gern hören würdet, Lord.«
Achselzuckend ergriff er meinen Arm und kehrte mit mir zusammen zurück. »Ich hasse diese Geheimbruderschaften«, sagte er milde, und ich glaubte ihm, denn ich hatte Arthur noch niemals bei einem Mithrastreffen gesehen, obwohl ich wußte, daß er vor vielen Jahren aufgenommen worden war. »Kulte wie der Mithraskult«, sagte er, »sollen die Männer
zusammenschweißen, aber sie dienen nur dazu, sie auseinanderzutreiben. Sie wecken Neid. Manchmal aber, Derfel, muß man ein Übel mit einem anderen bekämpfen, deswegen erwäge ich, einen neuen Kriegerbund zu gründen. Einen Bund, dem alle Männer angehören werden, die ihre Waffen gegen die Sachsen erhoben haben, alle. Ich werde diesen Bund zum ehrenhaftesten von ganz Britannien machen.«
»Und zum größten, hoffentlich«, gab ich zurück.
»Ohne die Landwehr«, sagte er und beschränkte seinen ehrenvollen Bund dadurch auf jene, die ihren Speer auf Grund eines Schwurs trugen, statt auf Grund von
Besitzverpflichtungen. »Die Männer werden lieber zu meinem Bund gehören wollen als zu einem mysteriösen Geheimkult.«
»Wie werdet Ihr ihn nennen?« wollte ich wissen.
»Keine Ahnung. Krieger Britanniens? Die Kameraden? Die Speere von Cadarn?« Er sagte es leichthin, aber es war deutlich, daß er es ernst meinte.
»Und Ihr meint, wenn Lancelot zu diesen ›Kriegern Britanniens‹ gehört, wird es ihm nichts ausmachen, nicht in die Mithrasbruderschaft aufgenommen zu werden?« fragte ich ihn.
»Es könnte helfen«, gab er zu, »aber es ist nicht mein eigentlicher Grund. Ich werde diesen Kriegern eine Verpflichtung auferlegen. Wenn sie sich uns anschließen wollen, werden sie einen Blutseid leisten müssen, nie wieder gegeneinander zu kämpfen.« Er warf mir ein flüchtiges Lächeln zu. »Wenn sich die Könige von Britannien zanken, werde ich es ihren Kriegern unmöglich machen, gegeneinander zu kämpfen.«
»Nicht unmöglich«, stellte ich nüchtern fest. »Ein Königseid ist stärker als alle anderen, stärker sogar als Euer Blutseid.«
»Dann werde ich es ihnen schwermachen«, erwiderte er,
»denn ich werde Frieden schaffen, Derfel, ich werde Frieden schaffen. Und Ihr, mein Freund, werdet ihn in Dumnonia mit mir teilen.«
»Das hoffe ich, Lord.«
Er umarmte mich. »Wir treffen uns in Corinium«, sagte er. Mit erhobener Hand grüßte er meine Speerkämpfer. Dann wandte er sich zu mir zurück. »Denkt an Lancelot, Derfel. Und denkt über die Tatsache nach, daß wir zuweilen ein wenig von unserem Stolz aufgeben müssen, um einen großen Frieden zu schließen.«
Mit diesen Worten schritt er davon, während ich zu meinen Männern ging, um ihnen mitzuteilen, daß die Zeit des Ackerns vorbei sei. Jetzt mußten wir Speerspitzen schärfen, Schwerter schleifen und Schilde frisch bemalen, lackieren und beziehen. Wir waren wieder einmal im Krieg.
Wir brachen zwei Tage vor Cuneglas auf, der noch wartete, bis seine Häuptlinge mit ihren in rauhe Pelze gekleideten Kriegern aus Powys’ Bergfestungen im Westen eintrafen. Er trug mir auf, Arthur zu versprechen, daß die Männer aus Powys innerhalb einer Woche in Corinium sein würden. Dann umarmte er mich und schwor mir bei seinem Leben, daß
Ceinwyn in Sicherheit sein würde. Sie hielt mit einer kleinen Truppe wieder in Caer Sws Einzug. Die Truppe sollte Cuneglas’ Familie bewachen, während er selbst sich im Krieg befand. Ceinwyn zögerte, in die Frauenhalle zurückzukehren, in der Helledd und deren Tanten regierten; da ich jedoch Merlins Geschichte von dem Hund, der im Isistempel getötet und dessen Fell einer verkrüppelten Hündin umgelegt worden war, nicht vergessen konnte, flehte ich Ceinwyn so lange an, mir zuliebe in Caer Sws Zuflucht zu suchen, bis sie schließlich doch nachgab.
Ich verstärkte Cuneglas’ Palastwache um sechs meiner Männer und marschierte mit dem Rest, allesamt Krieger des Kessels, gen Süden. Wir alle hatten Ceinwyns fünfzackigen Stern auf unsere Schilde gemalt. Wir trugen jeder zwei Speere, unsere Schwerter sowie riesige Bündel mit zwiegebackenem Brot, Pökelfleisch, hartem Käse und Stockfisch auf dem Rücken. Es tat gut, wieder zu marschieren, obwohl unser Weg durch Lugg Vale führte, wo die Toten von Wildschweinen ausgegraben worden waren, so daß der Talgrund wie ein Beinhaus wirkte. Da ich befürchtete, der Anblick der Knochen könnte Cuneglas’ Männer an ihre Niederlage erinnern, bestand ich darauf, daß wir einen halben Tag damit verbrachten, die Leichen wieder einzugraben. Allen Leichen fehlte ein Fuß. Da nach Lugg Vale nicht jeder Tote verbrannt werden konnte, wie es uns am liebsten gewesen wäre, hatten wir den größten Teil unserer Toten begraben, ihnen jedoch einen Fuß genommen, um zu verhindern, daß ihre Seele umherirrte. Jetzt brachten wir die einfüßigen Toten zum zweitenmal unter die Erde, doch selbst nach einem halben Tag Arbeit war es nicht möglich, die Metzelei, die an diesem Ort stattgefunden hatte, zu verbergen. Ich legte eine Arbeitspause ein, um den römischen Schrein aufzusuchen, an dem mein Schwert den Druiden Tanaburs getötet und wo Nimue Gundleus’ Seele vernichtet hatte, und legte mich dort flach auf den noch immer blutbesudelten Boden zwischen die aufgetürmten, mit Spinnweben überzogenen Totenschädel, um darum zu beten, daß ich unversehrt zu meiner Ceinwyn zurückkehren dürfe. Die folgende Nacht verbrachten wir in Magnis, einer Stadt, die Welten von nebelumwogten Kesseln und nächtlichen Erzählungen über die Kleinodien Britanniens trennten. Wir waren in Gwent, auf christlichem Territorium, und alles hier war mit grimmigen Aufgaben beschäftigt. Die Schmiede stellten Speerspitzen her, die Gerber fertigten Schildüberzüge, Schwertscheiden, Schwertgurte und Stiefel, während die Frauen der Stadt jene harten, dünnen Brotlaibe backten, die sich in Feldzügen wochenlang hielten. König Tewdrics Männer steckten in ihren römischen Uniformen mit Brustharnischen aus Bronze, Lederröcken und langen Mänteln. Einhundert dieser Männer waren bereits nach Corinium abmarschiert, und weitere zweihundert sollten ihnen folgen, allerdings nicht unter dem Oberbefehl ihres Königs, denn Tewdric war krank. Meurig, der Edling von Gwent, würde ihr nomineller Befehlshaber sein, tatsächlich aber übernahm Agricola den Befehl. Agricola war ein alter Mann geworden, aber sein Rücken war kerzengerade, und sein vernarbter Arm konnte immer noch ein Schwert führen. Er sei römischer als die Römer, hieß es, und ich hatte mich immer ein wenig vor seiner finsteren Miene gefürchtet, aber an diesem Frühlingstag vor den Toren von Magnis begrüßte er mich wie einen Gleichgestellten. Er duckte seinen grauen Schädel mit dem kurzgeschorenen Haar unter dem Eingang seines Zeltes hindurch, dann kam er mir in seiner römischen Uniform entgegen und empfing mich zu meinem größten Erstaunen mit einer Umarmung.
Dann inspizierte er meine vierunddreißig Speerkämpfer. Die wirkten neben seinen glattrasierten Männern zwar zottig und ungepflegt, aber er lobte ihre Waffen und vor allem die Menge an Proviant, die wir mitbrachten. »Ich habe Jahre damit verbracht, den Leuten klarzumachen, daß es sinnlos ist, einen Speerkämpfer ohne eine Packladung Lebensmittel in den Krieg zu schicken«, grollte er, »aber was macht Lancelot von Siluria?
Er schickt mir einhundert Speerkämpfer ohne einen einzigen Bissen Brot.« Er bat mich in sein Zelt, wo er mir einen sauren, blassen Wein servierte. »Ich muß mich bei Euch entschuldigen, Lord Derfel«, begann er.
»Das möchte ich bezweifeln, Lord«, gab ich zurück. Es brachte mich in Verlegenheit, allein mit einem so berühmten Krieger zu sprechen, der alt genug war, mein Großvater zu sein.
Mit einer Handbewegung tat er meine Bescheidenheit ab.
»Wir hätten im Lugg Vale dabeisein müssen.«
»Es schien ein hoffnungsloser Kampf zu sein, Lord«, wandte ich ein, »und wir waren verzweifelt. Ihr dagegen nicht.«
»Aber Ihr habt gesiegt, oder?« knurrte er. Dann wandte er sich um, weil ein leichter Wind eine hauchdünne Holzspanplatte von seinem Tisch zu wehen drohte, der mit einer ganzen Anzahl weiterer solcher Spanplatten bedeckt war, auf denen Männer und Rationen aufgelistet waren. Er beschwerte das hauchdünne Holz mit einem Tintenhorn, dann wandte er sich zu mir zurück. »Wie ich hörte, wurden wir zu einem Treffen mit dem Stier gerufen.«
»In Corinium«, bestätigte ich. Im Gegensatz zu seinem Herrn Tewdric war Agricola kein Christ, gab sich aber nicht mit den britannischen Göttern ab, sondern widmete sich ausschließlich Mithras.
»Um Lancelot zum Mitglied zu wählen«, sagte Agricola verdrossen. Er lauschte, weil ein Mann in seinem Lager Befehle schrie, hörte nichts, was ihn nötigte, das Zelt zu verlassen, und wandte sich wieder zu mir um. »Was wißt Ihr über Lancelot?« erkundigte er sich.
»Genug, um gegen ihn zu stimmen«, antwortete ich.
»Ihr würdet Arthur beleidigen?« Das klang überrascht.
»Entweder beleidige ich Arthur«, sagte ich erbittert, »oder Mithras.« Dabei machte ich das Zeichen gegen das Böse.
»Aber Mithras ist ein Gott.«
»Arthur hat auf seinem Rückweg von Powys mit mir gesprochen«, sagte Agricola. »Wie er mir erklärte, würde Lancelots Aufnahme Britanniens Einheit stärken.« Mit grämlicher Miene hielt er inne. »Er hat angedeutet, daß ich ihm meine Stimme schulde, weil wir nicht im Lugg Vale dabei waren.«
Arthur sammelte offenbar Stimmen, wo immer er konnte.
»Dann stimmt für ihn, Lord«, sagte ich, »denn um ihn abzulehnen, ist nur eine einzige Stimme nötig, also wird die meine genügen.«
»Ich belüge Mithras nicht«, fuhr Agricola auf. »Und Lancelot mag ich nicht. Er war vor zwei Monaten hier, um Spiegel zu kaufen.«
»Spiegel?« Ich mußte lachen. Lancelot hatte schon immer Spiegel gesammelt. In seines Vaters hohem, luftigen Meerespalast in Ynys Trebes hatte er einen ganzen Raum mit römischen Spiegeln ausgekleidet. Sie alle mußten in den Flammen geschmolzen sein, als die Franken in Scharen über die Palastmauern kletterten, doch offensichtlich wollte Lancelot mit seiner Sammlung von neuem beginnen.
»Tewdric hat ihm einen schönen Electrumspiegel verkauft«, erzählte mir Agricola. »So groß wie ein Schild und höchst außergewöhnlich. Er war so klar, daß es schien, als sehe man an einem schönen Tag in einen dunklen Teich. Und er hat reichlich dafür bezahlt.« Das muß er wohl, dachte ich mir, denn Spiegel aus Electrum, einer Legierung aus Silber und Gold, waren außerordentlich selten. »Spiegel«, wiederholte Agricola bissig. »Er sollte lieber seine Pflichten in Siluria erfüllen, statt Spiegel zu kaufen.« Als von der Stadt her ein Horn ertönte, griff er sofort nach Schwert und Helm. Das Horn rief zweimal, ein Signal, das Agricola offensichtlich vertraut war. »Der Edling«, knurrte er und nahm mich mit ins Sonnenlicht hinaus, wo wir entdeckten, daß Meurig tatsächlich aus den Römerwällen von Magnis hervorgeritten kam. »Ich kampiere hier draußen«, erklärte mir Agricola, während wir beobachteten, wie seine Ehrengarde in zwei Reihen Aufstellung nahm, »um mir ihre Priester vom Hals zu halten.«
Prinz Meurig kam in Begleitung von vier Christenpriestern, die laufen mußten, um mit dem Pferd des Edlings Schritt zu halten. Der Prinz war ein junger Mann – tatsächlich war er noch ein Kind gewesen, als ich ihm zum erstenmal begegnete, und das war noch gar nicht so lange her –, doch er kaschierte seine Jugend mit mürrischem und gereiztem Verhalten. Er war klein, blaß und mager und trug einen strähnigen, braunen Bart. Er war berüchtigt als kleinlicher Querulant, der die Spitzfindigkeiten der Gerichte und das Gezänk der Kirche liebte. Seine Gelehrsamkeit war berühmt; er war, wie man uns versicherte, höchst findig, wenn es galt, den ketzerischen Pelagianismus zu widerlegen, der der Kirche in Britannien so große Sorgen machte. Er kannte die achtzehn Kapitel der britischen Stammesgesetze auswendig und konnte sowohl die Genealogie der letzten zwanzig Generationen von zehn britischen Königreichen als auch den Stammbaum all ihrer Clans und Stämme aufzählen. Und das sei, wie uns seine Bewunderer erklärten, erst der Anfang von Meurigs ungeheurem Wissen. Für seine Bewunderer war er ein jugendliches Vorbild an Gelehrsamkeit und der beste Rhetoriker von Britannien; ich dagegen hatte den Eindruck, daß der Prinz zwar die große Intelligenz seines Vaters geerbt hatte, nicht aber dessen Weisheit. Es war vor allem Meurig gewesen, der Gwent überredet hatte, Arthur vor Lugg Vale im Stich zu lassen, und das allein schon war Grund genug für mich, Meurig nicht zu mögen, doch ich sank pflichtschuldigst auf ein Knie, als der Prinz absaß.
»Derfel«, sagte er mit seiner seltsam hohen Stimme, »ich erinnere mich an Euch.« Er bat mich nicht aufzustehen, sondern drängte sich an mir vorbei ins Zelt.
Agricola winkte mir, hereinzukommen, so daß mir die Gesellschaft der vier keuchenden Priester erspart blieb, die hier nichts zu suchen hatten, aber wohl in der Nähe ihres Prinzen bleiben mußten. Dieser war in eine Toga gekleidet, hatte ein schweres Holzkreuz an einer silbernen Kette um den Hals und schien irritiert von meiner Gegenwart. Er musterte mich finster und wandte sich dann klagend mit einer Beschwerde an Agricola, doch da sich die beiden auf lateinisch unterhielten, hatte ich keine Ahnung, wovon sie sprachen. Meurig stützte seine Argumente mit einem Pergament, das er vor Agricolas Nase schwenkte, der diese Belästigung geduldig ertrug. Schließlich stellte Meurig seine Tirade ein, rollte das Pergament zusammen und schob es in seine Toga zurück. Dann wandte er sich an mich. »Ihr werdet doch wohl nicht von uns verlangen«, sagte er, wieder auf britannisch, »daß wir Eure Männer durchfüttern – oder?«
»Wir haben unseren eigenen Proviant mitgebracht, Lord Prinz«, erklärte ich und erkundigte mich nach dem Gesundheitszustand seines Vaters.
»Der König leidet an einer Fistel in der Leiste«, erklärte mir Meurig mit seiner quäkenden Stimme. »Wir haben sie mit Breiumschlägen behandelt, und die Medici lassen meinen Vater regelmäßig zur Ader; aber leider hat es Gott nicht gefallen, seinen Zustand zu bessern.«
»Laßt Merlin kommen, Lord Prinz«, schlug ich vor. Meurig sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. Er war stark kurzsichtig, und seine schwachen Augen waren es wohl auch, die seinem Gesicht den übellaunigen Ausdruck verliehen. Er stieß ein kurzes, spöttisches Lachen aus. »Ihr, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf«, sagte er boshaft,
»seid natürlich als einer der Narren berühmt, die einen Kampf mit Diwrnach riskiert haben, nur um eine Schüssel nach Dumnonia zurückzuholen. Vermutlich eine Salatschüssel, ja?«
»Einen Kessel, Lord Prinz.«
Meurigs schmale Lippen verzogen sich zu einem flüchtigen Grinsen. »Ihr habt wohl nicht bedacht, Lord Derfel, daß unsere Schmiede Euch ein Dutzend Kessel in ebenso vielen Tagen anfertigen hätten können, wie?«
»Wenn ich das nächstemal Kochtöpfe brauche, weiß ich, wohin ich mich wenden muß, Lord Prinz«, entgegnete ich. Meurig erstarrte bei dieser Beleidigung; Agricola dagegen lächelte.
»Habt Ihr irgend etwas verstanden?« fragte mich Agricola, als Meurig gegangen war.
»Ich kann kein Latein, Lord.«
»Er hat sich beschwert, daß ein Häuptling seine Steuern nicht bezahlt hat. Der arme Mann schuldet uns dreißig Räucherlachse und zwanzig Wagenladungen Holz. Aber was Meurig nicht begreifen will, ist die Tatsache, daß das Volk des armen Cyllig im letzten Winter von einer Seuche heimgesucht wurde, daß der Wye leergewildert wurde und daß Cyllig mir trotzdem zwei Dutzend Speerkämpfer bringt.« Angewidert spie Agricola aus. »Zehnmal am Tag!« sagte er. »Zehnmal am Tag kommt dieser Prinz mit einem Problem zu mir heraus, das jeder schwachsinnige Amtsschreiber in zwanzig Herzschlägen lösen könnte. Ich wünschte, sein Vater würde einfach seine Leiste einbinden und sich wieder auf den Thron setzen.«
»Wie krank ist Tewdric wirklich?«
Agricola zuckte die Achseln. »Er ist müde, nicht krank. Er möchte seinen Thron aufgeben. Er will sich eine Tonsur schneiden lassen und Priester werden, behauptet er.« Wieder spie er auf den Zeltboden. »Aber ich werde schon mit unserem Edling fertig. Ich werde dafür sorgen, daß seine Damen mit in den Krieg ziehen.«
»Seine Damen?« fragte ich, neugierig geworden durch den ironischen Tonfall, mit dem Agricola diese Worte ausgesprochen hatte.
»Er ist zwar blind wie ein Maulwurf, Derfel, aber ein junges Mädchen kann er immer noch so sicher ausmachen wie ein Falke eine Spitzmaus. Er liebt die Damen, dieser Meurig, und zwar jede Menge von ihnen. Warum auch nicht? So sind die Fürsten nun mal, nicht wahr?« Er legte den Schwertgurt ab und hängte ihn an einen Nagel in einem der Zeltpfosten. »Ihr werdet morgen abmarschieren?«
»Ja, Lord.«
»Dann kommt heute abend zu mir zum Essen«, sagte er. Damit begleitete er mich zum Zelt hinaus und spähte in den Himmel empor. »Es wird ein trockener Sommer werden, Lord Derfel. Ein Sommer, so recht, um Sachsen zu töten.«
»Ein Sommer, so recht, um Heldenlieder zu dichten«, sagte ich begeistert.
»Oftmals habe ich das Gefühl«, fuhr Agricola nachdenklich fort, »das Problem für uns Britannier besteht darin, daß wir zuviel Zeit damit verbringen, Lieder zu singen, und zuwenig, Sachsen zu töten.«
»Aber nicht in diesem Jahr«, entgegnete ich. »Bestimmt nicht in diesem Jahr.« Denn dieses Jahr war Arthurs Jahr, war das Jahr, in dem wir die Sachsen töten würden. Das Jahr, betete ich, des endgültigen, des letzten Sieges.
Sobald wir Magnis verlassen hatten, marschierten wir auf den schnurgeraden römischen Straßen weiter, die Britanniens Kernland durchzogen. Da wir ein gutes Tempo vorlegen konnten, erreichten wir Corinium in nur zwei Tagen. Wir waren froh, wieder in Dumnonia zu sein. Der fünfzackige Stern auf meinem Schild mochte für viele ein seltsames Symbol gewesen sein, aber sobald die Menschen auf dem Land meinen Namen hörten, knieten sie nieder, um meinen Segen zu empfangen; denn ich war Derfel Cadarn, Sieger von Lugg Vale und Krieger des Kessels, und mein Ruf schien in meinem Heimatland unendliche Höhen erreicht zu haben. Jedenfalls bei den Heiden. In den Städten und den größeren Dörfern, wo die Christen in der Überzahl waren, wurden wir weit eher mit Predigten empfangen. Man sagte uns, daß wir Gottes Wille erfüllten, wenn wir marschierten und die Sachsen bekämpften, doch solange wir noch unsere alten Götter anbeteten, werde unsere Seele in die Hölle hinabfahren, wenn wir in diesem Kampf fielen.
Ich selbst fürchtete die Sachsen weit mehr als die Hölle der Christen. Die Sais waren ein furchterregender Feind, arm, verzweifelt und sehr zahlreich. In Corinium hörten wir bedrohliche Geschichten von neuen Schiffen, die fast täglich an Britanniens Ostküste landeten: Schiffen, die ganze Ladungen wilder Krieger mit ihren hungrigen Familien brachten. Die Eindringlinge wollten unser Land, und um es zu erobern, konnten sie Hunderte von Speeren, Schwertern und Doppeläxten aufbieten. Dennoch waren wir zuversichtlich. Narren, die wir waren, zogen wir fast fröhlich in diesen Krieg. Ich vermute, nach den Schrecken von Lugg Vale glaubten wir, unbesiegbar zu sein. Wir waren jung, wir waren stark, wir wurden von den Göttern geliebt. Und wir hatten Arthur. In Corinium traf ich auch wieder auf Galahad. Nachdem wir uns in Powys getrennt hatten, hatte er Merlin geholfen, den Kessel nach Ynys Wydryn zurückzuschaffen. Den Frühling hatte er in Caer Ambra verbracht, von dessen
wiederaufgebauter Festung aus er mit Sagramors Truppen Angriffe bis tief nach Lloegyr hinein geführt hatte. Die Sachsen, warnte er mich, seien auf unseren Vormarsch gefaßt und hätten auf jedem Berg Leuchtfeuer vorbereitet, die vor unserem Eindringen warnen sollten. Galahad war zu dem großen Kriegsrat nach Corinium gekommen, den Arthur zusammengerufen hatte, und brachte Cavan und die anderen meiner Männer mit, die sich geweigert hatten, nordwärts nach Lleyn zu marschieren. Cavan ließ sich auf ein Knie nieder und bat mich, ihn und die anderen Männer den alten Eid erneuern zu lassen. »Wir habe keinem anderen Lord einen Eid geleistet«, versicherte er mir, »nur Arthur, und der sagt, wenn Ihr uns haben wollt, sollten wir Euch dienen.«
»Ich dachte, du wärst inzwischen längst reich geworden«, sagte ich zu Cavan, »und nach Irland zurückgekehrt.«
Er grinste. »Ich habe das Wurfbrett immer noch, Lord.«
Ich hieß ihn wieder in meinen Diensten willkommen. Er küßte Hywelbanes Klinge. Dann fragte er mich, ob er und seine Männer den weißen Stern auf ihre Schilde malen dürften.
»Das dürft ihr«, antwortete ich, »aber nur mit vier Zacken.«
»Vier, Lord?« Cavan warf einen Blick auf meinen Schild.
»Der Eure hat fünf.«
»Die fünfte Spitze ist den Kriegern des Kessels vorbehalten«, erklärte ich ihm. Er schien enttäuscht zu sein, willigte aber ein. Auch Arthur wäre nicht einverstanden gewesen, denn wie er –
ganz richtig – sofort gemerkt hätte, ließ diese fünfte Spitze deutlich erkennen, daß ein paar meiner Männer den anderen überlegen waren. Doch Krieger lieben derartige
Unterscheidungen, und die Männer, die die Dunkle Straße so tapfer bezwungen hatten, verdienten diese Auszeichnung. Ich ging die Männer begrüßen, die mit Cavan gekommen waren, und fand sie in ihrem Lager am Churn-Fluß östlich von Corinium. Mindestens einhundert Mann kampierten am Ufer dieses kleinen Flusses, denn in der Stadt gab es bei weitem nicht genug Platz für all die Krieger, die sich rings um die römischen Mauern eingefunden hatten. Das Heer selbst sammelte sich bei Caer Ambra, aber jeder Heerführer, der zum Kriegsrat kam, brachte Gefolge mit; und jene Männer allein genügten schon, um den Eindruck zu erwecken, als läge eine kleine Armee auf den Flußwiesen des Churn. Ihre aufgestellten Schilde bewiesen, wie erfolgreich Arthurs Strategie war, denn auf den ersten Blick schon erkannte ich den schwarzen Stier von Gwent, den roten Drachen von Dumnonia, den Fuchs von Siluria, Arthurs Bären und die Schilde der Männer, die wie ich die Ehre hatten, eigene Symbole auf den Schilden tragen zu dürfen: Sterne, Falken, Adler, Eber, Sagramors
schreckenerregenden Totenschädel und Galahads einsames Christenkreuz.
Culhwch, Arthurs Cousin, kampierte bei seinen eigenen Speerkämpfern, kam aber sofort herbeigeeilt, um mich zu begrüßen. Es tat gut, ihn wiederzusehen. Ich hatte in Benoic mit ihm zusammen gekämpft und liebte ihn wie einen Bruder. Er war vulgär, komisch, fröhlich, bigott, unwissend und primitiv, aber in der Schlacht hätte man sich keinen Besseren an der Seite wünschen können. »Ich hörte, Ihr habt der Prinzessin ein Brot in den Ofen geschoben«, sagte er, nachdem er mich umarmt hatte. »Ein glücklicher Hund seid Ihr. Habt Ihr Euch von Merlin einen Zauberspruch erbeten?«
»Tausend.«
Er lachte. »Ich kann mich nicht beklagen. Ich habe jetzt drei Frauen, die sich gegenseitig die Augen auskratzen und alle drei schwanger sind.« Er grinste, dann kratzte er sich zwischen den Beinen. »Läuse«, erklärte er. »Ich kann sie einfach nicht loswerden. Aber wenigstens plagen sie auch Mordred, das kleine Ungeheuer!«
»Ihr sprecht von unserem Lord König?« neckte ich ihn.
»Das kleine Ungeheuer«, wiederholte er rachsüchtig. »Ich sage Euch, Derfel, blutig geschlagen hab’ ich den Bastard, aber er will einfach nicht lernen. Hinterhältige, kleine Kröte!« Er spie aus. »Ihr wollt also morgen gegen Lancelot stimmen?«
»Woher wißt Ihr das?« Ich hatte nur Agricola von meinem festen Vorsatz erzählt, doch irgendwie schienen die Nachrichten mir nach Corinium vorausgeeilt zu sein, oder meine Antipathie gegen den König von Siluria war so bekannt, daß man von mir nichts anderes erwartete.
»Das wissen doch alle«, sagte Culhwch, »und alle unterstützen Euch.« Er blickte an mir vorbei und spie plötzlich aus. »Krähen!« knurrte er aufgebracht.
Als ich mich umwandte, entdeckte ich eine Gruppe Christenpriester, die am anderen Ufer des Churn dahinzog. Es waren zwölf, alle schwarz gewandet, alle bärtig, und sie sangen eins der jämmerlichen Klagelieder ihrer Religion. Den Priestern folgten zwanzig Speerkämpfer, deren Schilde, wie ich mit Erstaunen sah, entweder den silurischen Fuchs oder Lancelots Seeadler trugen. »Ich dachte, die Riten fänden erst in zwei Tagen statt«, sagte ich zu Galahad, der mich hierher begleitet hatte.
»Tun sie auch«, gab er zurück. Die Riten waren der Auftakt zum Krieg und sollten den Segen der Götter auf unsere Männer herabflehen, und dieses Mal sollte der Segen sowohl vom Gott der Christen als auch von den heidnischen Göttern erbeten werden. »Das hier sieht eher nach einer Taufe aus«, setzte Galahad hinzu.
»Was in Bels Namen ist eine Taufe?« erkundigte sich Culhwch.
Galahad seufzte. »Sie ist das äußere Zeichen dafür, daß ein Mensch durch Gottes Gnade von seinen Sünden reingewaschen wird, mein lieber Culhwch.«
Bei dieser Erklärung wieherte Culhwch vor Lachen und handelte sich dadurch von einem der Priester, der sich den Saum seines Gewandes in den Gürtel gestopft hatte und in den seichten Fluß hineinwatete, ein finsteres Stirnrunzeln ein. Mit einem Stab ertastete der Priester eine Stelle, die für das Taufritual tief genug war, und seine Untersuchungen weckten das Interesse einer Schar gelangweilter Speerkämpfer, die auf dem binsenbestandenen Ufer direkt gegenüber dem christlichen Aufgebot lagerten.
Eine Zeitlang geschah fast gar nichts. Die silurischen Speerkämpfer standen verlegen Wache, während die tonsurierten Priester ihre Lieder plärrten und der einsame Wasserwater mit dem unteren Ende seines langen, mit einem Silberkreuz gekrönten Stabes, im Flüßchen herumstocherte.
»So wirst du nie eine Forelle fangen«, rief Culhwch, »du solltest es mal mit ‘nem Fischspeer versuchen!« Die zuschauenden Speerkämpfer lachten, während die Priester finstere Mienen zogen und monoton weiterleierten. Ein paar Frauen aus der Stadt waren zum Fluß heruntergekommen und stimmten in den Singsang ein. »Weiberreligion!« Culhwch spie aus.
»Es ist meine Religion, mein lieber Culhwch«, sagte Galahad leise. Er und Culhwch hatten während des ganzen langen Krieges in Benoic darüber gestritten, und diese Diskussion schien, genau wie ihre Freundschaft, niemals ein Ende zu nehmen.
Der Priester hatte anscheinend eine Stelle gefunden, die tief genug war, so tief sogar, daß ihm das Wasser bis zur Taille reichte. Dort versuchte er den Stab in den Boden des Flußbetts zu stoßen, doch die gewaltige Strömung warf das Kreuz immer wieder um, und jeder Mißerfolg löste bei den Speerkämpfern einen wahren Jubelchor aus. Einige Zuschauer waren selber Christen, machten aber dennoch keinerlei Anstalten, dem Hohn und Spott Einhalt zu gebieten.
Endlich gelang es dem Priester, den Stab, wenn auch reichlich wackelig, in den Boden zu rammen. Er stieg ans Ufer. Beim Anblick seiner mageren, weißen Waden pfiffen und johlten die Speerkämpfer, bis er hastig den klatschnassen Saum des Gewandes fallen ließ, um seine Beine zu verstecken. Gleich darauf tauchte ein weiterer Zug auf, und sein Anblick genügte, um unser Flußufer zum Schweigen zu bringen. Es war eine respektvolle Stille, denn ein Dutzend Speerkämpfer eskortierten einen mit weißem Leinen drapierten Ochsenkarren, in dem zwei Frauen und ein Priester saßen. Die eine der beiden Frauen war Guinevere, die andere Königin Elaine, Lancelots Mutter, aber das Verblüffendste war die Identität des Priesters: Es war Bischof Sansum. Er war im vollen Ornat eines Bischofs erschienen, in einem Haufen bunter, weiter Chormäntel und bestickter Schals, und trug ein schweres rotgoldenes Kreuz um den Hals. Die Tonsur auf seinem Kopf war von der Sonne rot verbrannt, das schwarze Haar darüber stand ihm wie Mäuseohren vom Schädel ab. Lughtigern hatte Nimue ihn immer genannt, Mäuselord. »Ich dachte, Guinevere könnte ihn nicht ausstehen«, sagte ich, denn Guinevere und Sansum waren von jeher erbitterte Feinde gewesen, dennoch saß der Mäuselord nun hier und fuhr in Guineveres Karren zum Fluß. »Und ist er nicht in Ungnade gefallen?« ergänzte ich.
»Zuweilen schwimmt Scheiße oben«, grollte Culhwch.
»Dabei ist Guinevere nicht einmal Christin«, sagte ich protestierend.
»Und seht Euch mal die andere Scheiße an, die bei ihr ist«, sagte Culhwch und zeigte auf eine Gruppe von sechs Reitern, die dem schwerfälligen Gefährt folgten. Sie wurden von Lancelot angeführt. Er saß auf einem Rappen und trug nichts weiter als eine schlichte enge Hose und dazu ein weißes Hemd. Flankiert wurde er von Arthurs Söhnen Amhar und Loholt, die in voller Kriegsrüstung erschienen, mit Federbusch auf dem Helm, Kettenhemd und langen Stiefeln. Hinter ihnen kamen noch drei weitere Reiter, der eine in Rüstung, die anderen beiden in langen weißen Druidengewändern.
»Druiden?« fragte ich. »Bei einer Taufe?«
Galahad zuckte die Achseln. Er wußte dafür genausowenig eine Erklärung wie ich. Die beiden Druiden waren muskulöse junge Männer mit hübschen, dunklen Gesichtern, dichten, schwarzen Bärten und langem, sorgfältig gebürstetem schwarzen Haar, das vorn eine schmale Tonsur freiließ. In der Hand trugen sie einen schwarzen, mit Mistelzweigen gekrönten Stab und außerdem – für Druiden ungewöhnlich – Schwerter in Scheiden an der Hüfte. Bei dem Krieger, der sie begleitete, handelte es sich, wie ich feststellte, nicht um einen Mann, sondern um eine Frau: eine hochgewachsene, kerzengerade sitzende rothaarige Frau, deren außergewöhnlich lange Locken unter dem Silberhelm hervorquollen und bis auf den Rücken ihres Pferdes hingen. »Sie heißt Ade«, erklärte mir Culhwch.
»Und wer ist sie?«
»Was glaubt Ihr wohl? Seine Küchenmagd? Sie wärmt ihm das Bett.« Culhwch grinste. »Erinnert sie Euch nicht an jemanden?«
Sie erinnerte mich an Ladwys, Gundleus’ Geliebte. Wieso ist es das Schicksal der silurischen Könige, fragte ich mich, stets eine Geliebte zu haben, die wie ein Mann zu Pferde sitzt und ein Schwert trägt? Ade trug ein Langschwert an der Hüfte, einen Speer in der Hand und den Seeadler-Schild am Arm.
»Gundleus’ Geliebte?« antwortete ich.
»Mit diesen roten Haaren?« fragte Culhwch wegwerfend zurück.
»Guinevere«, berichtigte ich mich, und tatsächlich bestand eindeutig Ähnlichkeit zwischen Ade und der hochmütigen Guinevere, die neben Königin Elaine in dem Ochsenkarren saß. Elaine war bleich, abgesehen davon konnte ich jedoch kein Zeichen der schweren Krankheit entdecken, an der sie angeblich dahinsiechte. Guinevere sah so schön aus wie immer und ließ sich nichts von den Qualen der kürzlich erfolgten Geburt anmerken. Sie hatte das Kind nicht mitgebracht, aber das hätte ich auch nicht von ihr erwartet. Gwydre war zweifellos in Lindinis, wohlbehütet in den Armen seiner Amme und so weit entfernt, daß er Guineveres Schlaf nicht mit seinem Geschrei stören konnte.
Hinter Lancelot saßen Arthurs Zwillinge ab. Sie waren immer noch sehr jung, gerade alt genug, um mit einem Speer in den Kampf zu ziehen. Ich war ihnen viele Male begegnet und mochte sie nicht, denn sie hatten nichts von Arthurs pragmatischem Sinn geerbt. Sie waren von klein auf verwöhnt worden, und das Ergebnis waren zwei aufbrausende, ichsüchtige, habgierige junge Männer, die ihren Vater verabscheuten, ihre Mutter Ailleann verachteten und sich für ihre illegitime Geburt an Menschen rächten, die es nicht wagten, sich gegen Arthurs Sprößlinge zu wehren. Sie waren widerwärtig. Die beiden Druiden stiegen vom Pferd und nahmen neben dem Ochsenkarren Aufstellung.
Es war Culhwch, der als erster begriff, was Lancelot plante.
»Wenn er getauft ist«, flüsterte er mir grollend zu, »kann er nicht dem Mithrasbund beitreten, stimmt’s?«
»Bedwin hat es getan«, widersprach ich, »und Bedwin war sogar Bischof.«
»Der gute Bedwin«, erklärte mir Culhwch, »hat immer auf beiden Seiten des Wurfbretts gespielt. Als er starb, fanden wir ein Abbild von Bel in seinem Haus, und seine Gemahlin berichtete uns, er habe davor geopfert. Nein, Ihr werdet schon sehen, daß ich recht habe. Auf diese Tour will Lancelot verhindern, daß er vom Mithrasbund abgelehnt wird.«
»Aber vielleicht ist er von Gott berührt worden«, protestierte Galahad.
»Dann muß Euer Gott jetzt schmutzige Hände haben«, erwiderte Culhwch. »Ich bitte um Vergebung, wo er doch Euer Bruder ist.«
»Halbbruder«, sagte Galahad, der nicht allzu eng mit Lancelot in Verbindung gebracht zu werden wünschte. Der Wagen hatte jetzt dicht am Flußufer gehalten. Sansum stieg aus, marschierte, ohne seine kostbaren Gewänder zu raffen, durch die Binsen und watete in den Fluß hinaus. Lancelot saß ab und wartete am Ufer, bis der Bischof das Kreuz erreicht und gepackt hatte. Da Sansum ein kleiner Mann ist, ging ihm das Wasser bis an das schwere Kreuz auf seiner schmächtigen Brust. Er wandte sich uns, seiner unfreiwilligen Gemeinde, zu und hob mit seiner kraftvollen Stimme an: »In dieser Woche werdet ihr eure Speere gegen den Feind erheben, und Gott wird euch segnen. Gott wird euch helfen! Und heute werdet ihr hier in diesem Fluß ein Zeichen der Macht unseres Gottes erleben.« Die Christen auf der Wiese bekreuzigten sich, während einige Heiden wie Culhwch und ich ausspien, um das Böse abzuwehren.
»Hier seht ihr König Lancelot!« rief Sansum und wies mit der Hand auf Lancelot, als hätte ihn keiner von uns erkannt.
»Den Helden von Benoic, König von Siluria und Lord der Adler!«
»Der Lord von was?« fragte Culhwch.
»In dieser Woche«, fuhr Sansum fort, »in dieser Woche hätte er in den widerlichen Bund des Mithras aufgenommen werden sollen, dieses falschen Gottes des Blutes und des Zorns.«
»Sollte er nicht«, knurrte Culhwch inmitten des allgemeinen Protestgemurmels jener Männer auf der Wiese, die Mithrasanhänger waren.
»Aber gestern«, dröhnte Sansums Stimme den Protesten entgegen, »hatte dieser edle König eine Vision. Eine Vision!
Nicht Irgendeinen von einem berauschten Hexenmeister ausgelösten Alptraum, sondern einen reinen, wunderschönen Traum, auf goldenen Schwingen vom Himmel herabgesandt. Eine heilige Vision!«
»Ade hat ihre Röcke gelupft«, murmelte Culhwch.
»Die heilige, gebenedeite Mutter Gottes erschien König Lancelot«, rief Sansum. »Die Jungfrau Maria persönlich war es, die Leidensmutter, aus deren unberührten Lenden das Christuskind geboren wurde, der Heiland der gesamten Menschheit. Gestern erschien sie König Lancelot in einem hellen Licht, in einer Wolke aus goldenen Sternen, und berührte mit ihrer schönen Hand Tanlladwyr!« Wieder zeigte er hinter sich, wo Ade feierlich Lancelots Schwert aus der Scheide zog, das Tanlladwyr genannt wurde. »Strahlender Töter«, und es emporhielt. Die Sonne, die von der Stahlklinge zurückgeworfen wurde, blendete mich für einen Moment.
»Mit diesem Schwert«, rief Sansum weiter, »verhieß unsere gebenedeite Muttergottes dem König, werde er Britannien den Sieg bringen. Dieses Schwert, sagte Unsere Liebe Frau, sei von der durch Nägel verwundeten Hand des Sohnes berührt und von der liebevollen Berührung seiner Mutter gesegnet worden. Von diesem Tag an, erklärte unsere Liebe Frau, solle dieses Schwert als Christenklinge bekannt sein, denn es ist heilig.«
Lancelot, das muß man ihm lassen, sah aus, als hätte ihn dieser Sermon in höchste Verlegenheit gebracht. Die ganze Zeremonie war ihm wohl wirklich peinlich, denn er war ein sehr stolzer Mann mit einem feinen Gespür für Würde; aber von Sansums Hand in den Fluß getunkt zu werden, muß ihm immer noch gnädiger vorgekommen sein, als bei der Mithraswahl durchzufallen und dadurch öffentlich gedemütigt zu werden. Die Gewißheit, abgelehnt zu werden, hatte ihn wahrscheinlich zu dieser öffentlichen Absage an sämtliche Heidengötter veranlaßt. Guinevere wandte den Blick betont von der Szene am Fluß ab und sah zu den Kriegsbannern hinüber, die auf Coriniums Boden und den hölzernen Wällen aufgepflanzt worden waren. Sie selbst war Heidin und betete Isis an; ja, sie war für ihren Haß auf das Christentum bekannt, doch dieser Haß hatte anscheinend vor der Notwendigkeit kapituliert, dieser öffentlichen Zeremonie beizuwohnen, die Lancelot vor der Mithras-Demütigung bewahrte. Die beiden Druiden unterhielten sich leise mit ihr und brachten sie gelegentlich sogar zum Lachen.
Sansum wandte sich um und sah Lancelot an. »Lord König«, rief er so laut, daß auch wir am anderen Flußufer ihn hören konnten, »kommt zu mir! Kommt her zum Wasser des Lebens, kommt her zu mir wie ein Kindlein und nehmt die Taufe in Empfang, durch die Ihr in die heilige Kirche des einzigen, wahren Gottes aufgenommen werdet!«
Langsam wandte auch Guinevere sich um und beobachtete, wie Lancelot in den Fluß hinabstieg. Galahad bekreuzigte sich. Die Christenpriester am anderen Ufer hatten die Arme zum Gebet ausgebreitet, während die Frauen aus der Stadt auf die Knie gefallen waren und völlig verzückt den schönen, hochgewachsenen König anstarrten, der zu Bischof Sansum hinauswatete. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser und blinkte golden auf Sansums Kreuz. Lancelot hielt den Blick gesenkt, als wollte er nicht wissen, wer Zeuge dieser demütigenden Zeremonie wurde.
Sansum streckte den Arm aus und legte Lancelot die Hand auf den Kopf. »Wollt Ihr«, rief er so laut, daß es auch bestimmt alle hören konnten, »den einzig wahren Glauben annehmen, den einzigen Glauben, den Glauben an Christus, der für unsere Sünden gestorben ist?«
Lancelot muß ja gesagt haben, obwohl keiner von uns seine Antwort vernahm.
»Und wollt Ihr«, brüllte Sansum nun noch lauter, »hiermit allen anderen Göttern und allem anderen Glauben abschwören und allen bösen Geistern, Dämonen, Götzen und aller Teufelsbrut, deren widerliche Taten diese Welt irreführen?«
Lancelot nickte und murmelte leise seine Zustimmung.
»Und wollt Ihr«, fuhr Sansum genußvoll fort, »den Praktiken des Mithras entsagen und erklären, daß sie das sind, was sie in Wahrheit sind, der Auswurf des Satans und der Schrecken unseres Herrn Jesus Christus?«
»Das will ich«, antwortete Lancelot nunmehr klar und deutlich.
»Dann erkläre ich Euch«, schrie Sansum, »im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zum Christen.«
Damit drückte er mit aller Kraft auf Lancelots geöltes Haar und zwang den König tief ins kalte Wasser des Churn hinab. So lange hielt er Lancelot dort unten fest, daß ich schon dachte, der Bastard werde ertrinken, doch dann ließ Sansum ihn wieder hochkommen. »Und hiermit«, setzte Sansum noch hinzu, während Lancelot hustete und keuchte und Wasser spie,
»erkläre ich Euch für gesegnet, ernenne ich Euch zum Christen und nehme Euch auf ins heilige Heer der christlichen Krieger.«
Guinevere, die nicht wußte, wie sie reagieren sollte, applaudierte höflich. Die Frauen und Priester stimmten einen weiteren Gesang an, der für Christenmusik überraschend lebhaft war.
»Was im heiligen Namen der heiligen Hure«, wandte sich Culhwch an Galahad, »ist ein heiliger Geist?«
Aber Galahad hatte keine Zeit, ihm zu antworten. Er war vor lauter Freude über die Taufe seines Bruders in den Fluß
gesprungen und watete nun so hastig hinaus, daß er zur selben Zeit wie sein errötender Halbbruder auftauchte. Lancelot hatte ihn nicht erwartet und erstarrte einen kurzen Moment –
vermutlich, weil er an Galahads Freundschaft mit mir dachte; doch plötzlich erinnerte er sich an die Pflicht der christlichen Liebe, die ihm vor kurzem erst auferlegt worden war, und schickte sich ergeben in Galahads begeisterte Umarmung.
»Sollen wir den Bastard ebenfalls küssen?« fragte mich Culhwch grinsend.
»Laßt ihn in Ruhe«, beschwichtigte ich ihn. Lancelot hatte mich nicht gesehen, und ich hielt es nicht für nötig, daß er mich sah; in diesem Moment jedoch entdeckte mich Sansum, der aus dem Fluß gekommen war und nun versuchte, das Wasser aus seinen schweren Gewändern zu wringen. Der Mäuselord hatte der Verlockung, einen Feind zu provozieren, noch nie widerstehen können, und brachte es auch diesmal nicht fertig.
»Lord Derfel!« rief der Bischof laut.
Ich beachtete ihn nicht. Als Guinevere meinen Namen hörte, hob sie überrascht den Kopf. Sie hatte sich mit Lancelot und seinem Halbbruder unterhalten, nun aber rief sie dem Ochsentreiber einen Befehl zu, woraufhin dieser den Tieren seinen Stachelstock so tief in die Flanken stieß, daß der Karren einen Satz nach vorn machte. Hastig sprang Lancelot auf den fahrenden Wagen und ließ seine Begleiter am Flußufer stehen. Ade folgte ihm mit seinem Pferd am Zügel.
»Lord Derfel!« rief Samsun abermals.
Widerwillig wandte ich mich zu ihm um. »Bischof?« gab ich fragend zurück.
»Dürfte ich Euch bitten, König Lancelot in den Fluß des Heils zu folgen?«
»Ich habe beim letzten Vollmond gebadet, Bischof«, rief ich ihm zu und löste damit bei den Kriegern auf unserer Flußseite Gelächter aus.
Sansum schlug das Kreuz. »Ihr solltet im heiligen Blut vom Lamm Gottes baden«, erwiderte er, »nur damit könnt Ihr die Schande des Mithras abwaschen! Ihr seid ein böser Mensch, Derfel, ein Sünder, ein Gotteslästerer, eine Ausgeburt des Satans, ein Abkömmling der Sachsen und ein Hurenbock!«
Bei der letzten Beleidigung kochte die Wut in mir hoch. Die anderen Beleidigungen waren nur Worte, aber Sansum, der zwar schlau, bei öffentlichen Konfrontationen aber niemals vorsichtig war, konnte diese letzte Beleidigung für Ceinwyn nicht unterdrücken – eine Provokation, bei der ich mich unter dem Jubel der Krieger in den Fluß stürzte, während Sansum in Panik kehrtmachte und floh. Er hatte reichlich Vorsprung vor mir und war ein wendiger, flinker Mann, aber die triefenden Schichten seiner schweren Gewänder wickelten sich um seine Beine, so daß ich ihn ein paar Schritt vom anderen Churn-Ufer entfernt erwischte. Mit meinem Speer schlug ich ihm die Füße weg, so daß er der Länge nach in die Gänseblümchen und Schlüsselblumen fiel.
Dann zog ich Hywelbane und setzte ihm die Schwertspitze an die Kehle. »Den letzten Namen, bei dem Ihr mich genannt habt, Bischof«, sagte ich, »den hab’ ich nicht richtig verstanden.«
Er sagte kein Wort, sondern sah zu Lancelots vier Begleitern hinüber, die jetzt in unserer Nähe standen. Amhar und Loholt hatten ihr Schwert gezogen, die beiden Druiden dagegen ließen es in der Scheide stecken und beobachteten mich mit unergründlichen Mienen. Inzwischen war auch Culhwch über den Fluß gekommen und stand ebenso neben mir wie Galahad, während Lancelots verunsicherte Speerkämpfer uns aus der Ferne beobachteten.
»Welches Wort hattet Ihr gewählt, Bischof?« fragte ich ihn und kitzelte seine Kehle mit Hywelbane.
»Die Hure von Babylon!« brabbelte er verzweifelt. »Die von allen Heiden verehrt wird. Das scharlachrote Weib, Lord Derfel, das Untier! Den Antichristen!«
Ich lächelte. »Und ich dachte, Ihr hättet Prinzessin Ceinwyn beleidigen wollen.«
»O nein, Lord, nein!« Er faltete die Hände. »Niemals!«
»Versichert Ihr mir das hier und jetzt?« herrschte ich ihn an.
»Ich schwöre es, Lord! Ich schwöre es beim Heiligen Geist!«
»Ich weiß nicht, wer der Heilige Geist ist, Bischof«, sagte ich, während ich seinem Adamsapfel mit Hywelbanes Spitze einen leichten Stoß versetzte. »Schwört es mir auf mein Schwert«, verlangte ich. »Küßt die Klinge, und ich werde Euch glauben.«
Jetzt haßte er mich. Er hatte mich noch nie gemocht, aber jetzt haßte er mich, und dennoch drückte er die Lippen auf Hywelbanes Stahl und küßte die Klinge. »Ich wollte die Prinzessin nicht beleidigen«, sagte er. »Das schwöre ich.«
Ich hielt ihm Hywelbane einen Herzschlag lang an die Lippen, zog dann mein Schwert zurück und ließ ihn aufstehen.
»Ich dachte, Ihr müßtet den heiligen Dornbusch in Ynys Wydryn hüten, Bischof«, sagte ich.
Er klopfte sich das Gras von den nassen Gewändern. »Gott hat mich zu Höherem berufen«, fuhr er mich an.
»Erzählt mir davon.«
Mit Haß in den Augen blickte er zu mir empor, doch seine Angst war größer als sein Haß. »Gott hat mich an König Lancelots Seite gerufen, Lord Derfel«, erklärte er, »und Seine Gnade hat Prinzessin Guineveres Herz erweicht. Ich hege die Hoffnung, daß auch sie noch Sein ewiges Licht erblicken wird.«
Ich lachte laut auf. »Die hat das Licht der Isis erblickt, Bischof, das wißt Ihr genau. Und sie haßt Euch, Ihr Widerling. Was habt Ihr ihr gegeben, damit sie ihre Meinung ändert?«
»Ihr gegeben, Lord?« fragte er verschlagen. »Was hätte ich einer Prinzessin zu bieten? Ich habe nichts, ich bin in Gottes Diensten verarmt, ich bin nichts als ein bescheidener Priester.«
»Eine Kröte seid Ihr, Sansum«, entgegnete ich, während ich Hywelbane in die Scheide zurückschob. »Dreck unter meinen Stiefeln seid Ihr.« Um das Böse abzuwenden, spie ich aus. Aus seinen Worten schloß ich, daß es seine Idee gewesen war, Lancelot die Taufe vorzuschlagen, und diese Idee hatte es dem silurischen König erspart, bei der Mithras-Wahl eine peinliche Abfuhr zu erfahren. Ich bezweifelte allerdings, daß dieser Vorschlag genügt haben sollte, um Guinevere mit Sansum und seiner Religion zu versöhnen. Er mußte ihr irgend etwas gegeben oder versprochen haben, doch mir war klar, daß er mir das nie eingestehen würde. Abermals spie ich aus, und Sansum, der meinen Speichel als Entlassung auffaßte, eilte in Richtung Stadt davon.
»Eine reizende Szene«, sagte einer der Druiden sarkastisch.
»Dabei ist Lord Derfel Cadarn«, ergänzte der andere, »nicht gerade bekannt dafür, reizend zu sein.« Als ich ihn aufgebracht anfunkelte, nickte er. »Dinas«, stellte er sich vor.
»Und ich bin Lavaine«, sagte sein Begleiter. Beide waren hochgewachsene junge Männer, beide gebaut wie Krieger, und beide hatten harte, selbstbewußte Züge. Ihre Gewänder leuchteten in blendendem Weiß, ihre langen, schwarzen Haare waren sorgfältig frisiert und kündeten von einer Ordnungsliebe, die durch ihre Gelassenheit beängstigend wirkte. Es war die gleiche Gelassenheit, die Männern wie Sagramor eigen war, Arthur dagegen nicht. Der war zu rastlos, doch Sagramor besaß, wie einige andere große Krieger, eine Ruhe, die in der Schlacht furchteinflößend wirkte. Vor lärmenden Männern hatte ich im Kampf niemals Angst, aber vor einem Feind, der ruhig und gelassen ist, hütete ich mich; denn das sind die gefährlichsten Männer, und diese beiden Druiden verfügten über jene ruhige Selbstsicherheit. Außerdem sahen sie sich so ähnlich, daß ich vermutete, sie seien Brüder.
»Wir sind Zwillinge«, erklärte Dinas, der möglicherweise meine Gedanken las.
»Wie Amhar und Loholt«, ergänzte Lavaine und zeigte zu Arthurs Söhnen hinüber, die noch immer die Schwerter gezogen hatten. »Aber Ihr könnt uns auseinanderhalten. Ich habe hier eine Narbe.« Lavaine berührte seine rechte Wange, wo eine weiße Narbe in seinem borstigen Bart verborgen war.
»Die er sich im Lugg Vale geholt hat«, sagte Dinas. Auch er besaß, genau wie sein Bruder, eine außerordentlich tiefe Stimme, eine rauhe Stimme, die nicht zu seiner Jugend paßte.
»Ich habe Tanaburs im Lugg Vale gesehen«, sagte ich, »und ich weiß, daß Iorweth dort war, aber an andere Druiden in Gorfyddyds Heer kann ich mich nicht erinnern.«
Dinas lächelte. »Im Lugg Vale«, sagte er, »haben wir als Krieger gekämpft.«
»Und einen guten Teil Dumnonier getötet«, setzte Lavaine hinzu.
»Wir haben uns die Tonsuren erst nach der Schlacht rasiert«, erklärte Dinas. Er verfügte über einen starren, beunruhigenden Blick. »Und nun«, fuhr er leise fort, »dienen wir König Lancelot.«
»Seine Schwüre sind unsere Schwüre«, sagte Lavaine. Es lag eine gewisse Drohung in seinen Worten, aber es war eine vage Drohung, keine herausfordernde.
»Wie können Druiden einem Christen dienen?« versuchte ich sie zu provozieren.
»Indem wir neben der ihren eine ältere Magie einsetzen, natürlich«, antwortete Lavaine.
»Und wir setzen unsere Magie ein, Lord Derfel«, versicherte Dinas. Dabei hielt er die leere Hand empor, schloß sie zur Faust, drehte sie um, öffnete sie wieder, und auf seiner Handfläche lag ein Drosselei. Lässig warf er das Ei beiseite.
»Wir dienen König Lancelot aus freiem Willen«, erklärte er,
»und seine Freunde sind unsere Freunde.«
»Und seine Feinde sind unsere Feinde«, ergänzte Lavaine.
»Und Ihr« – Arthurs Sohn Loholt konnte es sich nicht verkneifen, in die Provokation einzustimmen – »seid ein Feind unseres Königs.«
Ich musterte die jüngeren Zwillinge: unreife, linkische Knaben, die an einem Übermaß an Stolz und einem Mangel an Weisheit litten. Beide hatten das lange, knochige Gesicht ihres Vaters geerbt, aber es wurde von Verdrossenheit und Groll entstellt. »Inwiefern bin ich ein Feind Eures Königs, Loholt?«
fragte ich ihn.
Er wußte nicht, was er sagen sollte, und keiner der anderen wollte an seiner Stelle antworten. Dinas und Lavaine waren zu klug, um hier und jetzt einen Kampf zu beginnen, nicht einmal in Gegenwart von Lancelots Speerkämpfern; denn Culhwch und Galahad waren auf meiner Seite, und meine Anhänger warteten nur wenige Meter entfernt am anderen Ufer des träge dahinfließenden Churn. Loholt errötete, sagte aber kein Wort. Mit Hywelbane schlug ich sein Schwert beiseite und trat dicht an ihn heran. »Ich werde Euch einen guten Rat geben, Loholt«, sagte ich leise. »Wählt Eure Feinde mit mehr Klugheit, als Ihr Eure Freunde wählt. Ich habe keinen Streit mit Euch, doch wenn Ihr einen solchen Streit sucht, verspreche ich Euch, daß meine Liebe zu Eurem Vater und meine
Freundschaft mit Eurer Mutter mich nicht davon abhalten wird, Euch Hywelbane in den Bauch zu rammen und Eure Seele in einem Dunghaufen zu vergraben.« Damit stieß ich mein Schwert in die Scheide zurück. »Und nun geht.«
Wütend starrte er mich an, fand aber nicht den Mut zum Kampf. Statt dessen ging er sein Pferd holen, und Amhar folgte ihm. Dinas und Lavaine lachten, und Dinas verneigte sich sogar vor mir. »Was für ein Sieg!« lobte er mich.
»Wir haben eine Schlappe erlitten«, sagte Lavaine, »aber das kann man von einem Krieger des Kessels ja wohl erwarten, oder?« Den Titel betonte er spöttisch.
»Und von einem Druidentöter«, ergänzte Dinas alles anderes als spöttisch.
»Tanaburs war unser Großvater«, sagte Lavaine, und da fiel mir ein, daß Galahad mich auf der Dunklen Straße vor der Feindschaft dieser beiden Druiden gewarnt hatte.
»Es gilt als äußerst unklug, einen Druiden zu töten«, stellte Lavaine mit seiner rauhen Stimme fest.
»Vor allem unseren Großvater«, setzte Dinas hinzu, »der für uns wie ein Vater war.«
»Nachdem unser eigener Vater starb«, sagte Lavaine.
»Als wir noch sehr jung waren.«
»An einer schweren Krankheit«, erklärte Lavaine.
»Auch er war ein Druide«, sagte Dinas, »und hat uns die Magie gelehrt. Wir können Getreide faulen lassen.«
»Wir können Frauen stöhnen lassen«, sagte Lavaine.
»Wir können Milch sauer machen.«
»Während sie noch in der Mutterbrust ist«, erläuterte Lavaine. Dann wandte er sich unvermittelt ab und sprang mit eindrucksvoller Gelenkigkeit in den Sattel.
Sein Bruder sprang ebenfalls aufs Pferd und ergriff die Zügel. »Aber wir können noch mehr, als Milch zu säuern«, sagte Dinas. Boshaft sah er mich von seinem Roß herab an, dann streckte er, genau wie zuvor, die leere Hand aus, ballte sie zur Faust, drehte sie um, öffnete sie wieder, und auf seiner Handfläche lag ein Pergamentstern mit fünf Zacken. Lächelnd zerriß er das Pergament in winzige Fetzen, die er ins Gras fallen ließ. »Wir können Sterne zum Verschwinden bringen«, sagte er zum Abschied. Dann gab er seinem Pferd die Sporen. Beide Brüder galoppierten davon. Ich spie aus. Culhwch holte meinen zu Boden gefallenen Speer zurück und reichte ihn mir. »Wer in aller Welt sind die beiden?« fragte er mich.
»Tanaburs’ Enkel.« Ein zweites Mal spie ich aus, um das Böse abzuwenden. »Die Bälger eines schlechten Druiden.«
»Und sie können wirklich die Sterne verschwinden lassen?«
fragte er zweifelnd.
»Nur einen.« Ich blickte zu den beiden Reitern hinüber. Ich wußte, daß Ceinwyn in der Halle ihres Bruders in Sicherheit war; aber ich wußte auch, daß ich die silurischen Zwillinge töten mußte, wenn ich wollte, daß sie weiterhin ungefährdet blieb. Tanaburs’ Fluch lag auf mir, und dieser Fluch hieß Dinas und Lavaine. Ich spie ein drittes Mal aus und berührte Hywelbanes Heft, um mein Glück zu beschwören.
»Wir hätten Euren Bruder in Benoic töten sollen«, sagte Culhwch grollend zu Galahad.
»Gott vergebe mir, aber Ihr habt recht«, antwortete Galahad. Zwei Tage später traf Cuneglas ein, am selben Abend noch trat der Kriegsrat zusammen, und nach dem Kriegsrat verschworen wir unsere Speere unter dem abnehmenden Mond und im Schein der flammenden Fackeln dem Krieg gegen die Sachsen. Wir Mithraskrieger tauchten unsere Schwertklingen ins Blut des Stiers, versammelten uns aber nicht zur Wahl neuer Mitglieder. Das war auch nicht nötig, denn Lancelot hatte sich einer demütigenden Ablehnung durch die Taufe entzogen, obwohl es mir immer noch ein Rätsel war, wie ein Christ Druiden in seinem Dienst halten konnte, ein Rätsel, das mir niemand erklären konnte.
An jenem Tag tauchte Merlin auf, und er war es auch, der die heidnischen Riten leitete. Iorweth von Powys half ihm dabei, von Dinas und Lavaine war jedoch nirgends etwas zu sehen. Wir sangen den Kriegsgesang von Beli Mawr, wir wuschen unsere Speere in Blut, wir verschworen uns dem Tod aller Sachsen, und am folgenden Tag marschierten wir ab.
In Lloegyr herrschten zwei bedeutende Sachsenführer. Wie wir hatten auch die Sachsen Häuptlinge, Kleinkönige und Stämme, und einige dieser Stämme bezeichneten sich selbst nicht einmal als Sachsen, sondern behaupteten, Angeln oder Juten zu sein, aber für uns waren sie alle Sachsen. Wir wußten, daß sie nur zwei wirklich wichtige Könige hatten, daß diese Aelle und Cerdic hießen und daß sie einander bis aufs Blut haßten.
Aelle war damals natürlich berühmt. Er nannte sich der Bretwalda, das hieß auf sächsisch »Herrscher von Britannien«; sein Reich erstreckte sich von südlich der Themse bis zur Grenze des fernen Elmet. Sein Rivale war Cerdic, dessen Territorium an der Südküste Britanniens lag und nur von Aelles Gebiet und unserem Dumnonia begrenzt wurde. Aelle war der ältere der beiden Könige, und da er über mehr Land und mehr Krieger verfügte, machte ihn das zu unserem Hauptfeind: Wenn wir Aelle besiegten, glaubten wir, würde Cerdic unmittelbar danach ebenfalls stürzen.
Prinz Meurig von Gwent, angetan mit seiner Toga und einem albernen Bronzekranz auf dem dünnen, hellbraunen Haar, hatte beim Kriegsrat eine andere Strategie vorgeschlagen. Mit seiner gewohnten Zaghaftigkeit und vorgetäuschten Bescheidenheit hatte er ein Bündnis mit Cerdic vorgeschlagen. »Lassen wir ihn für uns kämpfen!« sagte Meurig. »Lassen wir ihn Aelle von Süden her angreifen, während wir von Westen aus zuschlagen. Ich bin, wie Ihr wißt, kein guter Stratege …« Hier hielt er inne, um einfältig zu lächeln und uns sozusagen aufzufordern, ihm zu widersprechen, aber wir bissen uns alle auf die Zunge. »Es muß jedoch auch dem Geistesschwächsten klar sein, daß es besser ist, gegen einen Feind zu kämpfen als gegen zwei.«
»Aber wir haben zwei Feinde«, sagte Arthur schlicht.
»Die haben wir allerdings, in dieser Hinsicht habe ich mich gründlich informiert, Lord Arthur. Aber mein Plan wäre, falls Ihr wiederum mich versteht, einen dieser beiden Feinde zu unserem Freund zu machen.« Er legte die Hände zusammen und sah Arthur blinzelnd an. »Einen Verbündeten«, setzte Meurig für den Fall hinzu, daß Arthur ihn noch immer nicht verstand.
»Cerdic«, knurrte Sagramor in seinem gräßlichen Britannisch, »hat keine Ehre. Er würde jeden Eid so mühelos brechen wie eine Elster das Ei eines Sperlings. Ich werde keinen Frieden mit ihm schließen.«
»Aber Ihr begreift nicht«, protestierte Meurig.
»Ich werde keinen Frieden mit ihm schließen«, fiel Sagramor dem Prinzen ins Wort und betonte dabei nachdrücklich jedes Wort, als spräche er mit einem Kind. Meurig errötete und verstummte. Der Edling von Gwent fürchtete sich vor dem hochgewachsenen numidischen Krieger halb zu Tode, was kein Wunder war, da Sagramors Ruf ebenso furchteinflößend war wie sein Aussehen. Der Lord der Steine war ein
hochgewachsener Mann, sehr dünn und so schnell wie eine Peitsche. Seine Haare und sein Gesicht waren pechschwarz, und das lange, schmale Gesicht kreuz und quer von den Narben eines kampfreichen Lebens durchzogen. Er trug ständig eine finstere Miene zur Schau, hinter der sich ein fröhlicher, ja sogar großzügiger Charakter verbarg. Obwohl er unsere Sprache nur unzulänglich beherrschte, konnte Sagramor eine Runde am Lagerfeuer stundenlang mit seinen Erzählungen von fernen Ländern in Bann schlagen, aber die meisten Männer kannten ihn nur als den grimmigsten von Arthurs Kriegern, den unerbittlichen Sagramor, der in der Schlacht schrecklich und vor und nach der Schlacht finster war. Die Sachsen hielten ihn für einen schwarzen Dämon aus der Unterwelt. Ich kannte ihn recht gut und mochte ihn sehr. Es war Sagramor gewesen, der mich in den Mithrasbund eingeführt hatte, und Sagramor, der im Lugg Vale den ganzen langen Tag an meiner Seite gekämpft hatte. »Er hat sich jetzt ein kräftiges Sachsenmädchen genommen«, hatte Culhwch mir beim Kriegsrat zugeflüstert, »so groß wie ein Baum und mit Haaren wie ein Strohhaufen. Kein Wunder, daß er so mager ist.«
»Eure drei Frauen halten Euch gut im Futter«, gab ich zurück und stieß ihn in die gut gepolsterten Rippen.
»Ich wähle sie nach ihrer Kochkunst aus, Derfel, nicht nach ihrem Aussehen.«
»Habt Ihr etwas zur Debatte beizutragen, Lord Culhwch?«
erkundigte sich Arthur.
»Nichts, Cousin«, antwortete Culhwch munter.
»Dann wollen wir fortfahren«, sagte Arthur. Er fragte Sagramor, welche Chance bestehe, daß Cerdics Männer für Aelle kämpften, woraufhin der Numidier, der den ganzen Winter über die sächsische Grenze bewacht hatte, die Achseln zuckte und antwortete, bei Cerdic sei alles möglich. Er habe gehört, erklärte er, die beiden Sachsen hätten sich getroffen und Geschenke ausgetauscht, doch niemand habe von einem tatsächlichen Bündnis berichtet. Sagramor vermutete, daß es Cerdic durchaus zufrieden wäre, Aelle von uns geschwächt zu sehen, und während das dumnonische Heer mit dieser Aufgabe beschäftigt war, würde er entlang der Küste angreifen, um Durnovaria zu erobern.
»Wenn wir Frieden mit ihm schließen würden …«, meldete sich Meurig abermals zu Wort.
»Das werden wir nicht«, unterbrach ihn König Cuneglas kurz und bündig, und Meurig, vom einzigen König im Kriegsrat zurechtgewiesen, verstummte wieder.
»Ein letztes noch«, sagte Sagramor warnend. »Die Sais haben jetzt Hunde. Riesige Hunde.« Er breitete die Hände aus, um uns die Größe der sächsischen Kampfhunde zu
demonstrieren. Wir hatten alle von diesen Tieren gehört und fürchteten sie. Wie es hieß, ließen die Sachsen ihre Hunde erst los, kurz bevor die Schildwälle aufeinanderstießen, und angeblich waren diese Tiere dazu fähig, breite Breschen in den Wall zu reißen, durch welche die feindlichen Speerkämpfer dann nachstoßen konnten.
»Um die Hunde werde ich mich kümmern«, erbot sich Merlin. Das war sein einziger Beitrag zu diesem Kriegsrat, doch seine Worte beruhigten einige der besorgten Männer. Merlins unerwartetes Auftauchen war als Beitrag schon genug, denn die Tatsache, daß der Kessel in seinem Besitz war, machte ihn sogar für viele Christen zu einer Macht, die einschüchternder wirkte denn je. Nicht etwa, daß viele die Bedeutung des Kessels verstanden hätten, aber sie waren froh, daß der Druide sich bereit erklärt hatte, das Heer zu begleiten. Mit Arthur vor uns und Merlin an unserer Seite – wie konnten wir den Kampf da noch verlieren?
Arthur erklärte uns seine Pläne. König Lancelot, sagte er, werde mit den Speerkämpfern von Siluria und einem Aufgebot der Männer aus Dumnonia die südliche Grenze gegen Cerdic bewachen. Wir anderen sollten uns in Caer Ambra sammeln und das Themsetal entlang nach Osten marschieren. Lancelot tat großmäulig so, als wäre es ihm nicht recht, vom Hauptheer, das gegen Aelle kämpfen sollte, getrennt zu werden; aber als Culhwch die Befehle hörte, schüttelte er verwundert den Kopf.
»Er drückt sich schon wieder vor der Schlacht, Derfel!«
flüsterte er mir zu.
»Nicht, wenn Cerdic ihn angreift«, widersprach ich. Culhwch warf einen Blick zu Lancelot hinüber, der in Begleitung der Zwillinge Dinas und Lavaine erschienen war.
»Und außerdem bleibt er in der Nähe seiner Protektorin, eh?«
sagte er. »Bloß nicht zu weit von Guinevere entfernen, sonst würde er ja allein dastehen.«
Mich kümmerte das nicht. Ich war nur erleichtert, daß
Lancelot und seine Männer nicht zum Hauptheer gehörten; mir reichte es schon, gegen die Sachsen zu ziehen, auch ohne mich vor Tanaburs’ Enkeln oder einem silurischen Messer im Rücken fürchten zu müssen.
Also marschierten wir. Es war ein zusammengewürfeltes Heer mit Kontingenten aus drei britannischen Königreichen. Einige unserer fernen Verbündeten waren noch nicht eingetroffen. Man hatte uns Truppen aus Elmet und sogar aus Kernow zugesichert, die uns jedoch über die römische Straße folgen würden, die von Corinium südöstlich verlief und anschließend ostwärts nach London führte.
London. Die Römer hatten es Londinium genannt, davor hatte es schlicht Londo geheißen, und das bedeutete, wie Merlin mir einmal erklärte, »wilder Ort«. Jetzt war sie unser Ziel, diese einstmals grandiose Stadt, die größte im römischen Britannien, die nun in der Mitte von Aelles gestohlenen Landen lag und langsam immer mehr zerfiel. Sagramor hatte einmal einen berühmten Überfall auf die alte Stadt angeführt und festgestellt, daß die britannischen Bewohner von ihren neuen Herren völlig eingeschüchtert waren. Nun aber hofften wir, sie zurückholen zu können. Diese Hoffnung verbreitete sich wie ein Lauffeuer durchs ganze Heer, obwohl Arthur diese Absicht immer wieder leugnete. Unsere Aufgabe, erklärte er, sei es, die Sachsen zum Kampf zu fordern, nicht aber, uns von den Ruinen einer toten Stadt verlocken zu lassen. In diesem Punkt widersprach ihm Merlin. »Ich bin nicht gekommen, um mir eine Handvoll toter Sachsen anzusehen«, erklärte er mir verächtlich. »Was soll ich beim Töten von Sachsen?«
»Alles, Lord«, widersprach ich ihm. »Eure Magie versetzt die Feinde in Angst und Schrecken.«
»Mach dich nicht lächerlich, Derfel! Jeder Idiot kann vor einem Heer einherhüpfen, Grimassen schneiden und Flüche ausstoßen. Den Sachsen Angst einzujagen ist nicht weiter schwer. Selbst diese albernen Druiden von Lancelot könnten das gerade noch fertigbringen! Obwohl die gar keine echten Druiden sind.«
»Sind sie nicht?«
»Natürlich nicht! Wenn man ein echter Druide werden will, muß man studieren. Man muß eine Prüfung ablegen, anderen Druiden beweisen, daß man sich auf seine Kunst versteht; aber ich habe von keinem Druiden gehört, der Dinas und Lavaine examiniert hätte. Es sei denn Tanaburs, aber was für eine Art Druide war der schon? Kein besonders guter, das ist ja wohl klar, sonst hätte er dich nicht am Leben gelassen. Ich kann Unfähigkeit nicht ausstehen.«
»Sie können zaubern, Lord«, wandte ich ein.
»Zaubern?« Er wollte sich schier ausschütten vor Lachen.
»Einer dieser Narren bringt ein Drosselei hervor, und du nennst das Zaubern? Drosseln tun so was dauernd. Ja, wenn er ein Schafsei aus dem Ärmel geschüttelt hätte, würde ich vielleicht Notiz davon nehmen!«
»Aber er hat auch einen Stern herbeigezaubert, Lord!«
»Derfel! Was bist du doch für ein leichtgläubiger Mensch!«
rief er aus. »Ein mit Pergament und Schere gefertigter Stern?
Keine Angst, ich hab’ von diesem Stern gehört, und deine kostbare Ceinwyn ist nicht in Gefahr. Dafür haben Nimue und ich gesorgt, indem wir drei Totenschädel vergraben haben. Die Einzelheiten brauchst du nicht zu erfahren, aber du kannst sicher sein, daß diese Scharlatane sofort in Ringelnattern verwandelt werden, wenn sie sich in Ceinwyns Nähe wagen. Dann können sie bis in alle Ewigkeit Eier legen.« Dafür bedankte ich mich bei ihm. Dann fragte ich ihn, warum er denn das Heer begleite, wenn nicht, um uns gegen Aelle zu helfen.
»Wegen der Schriftrolle natürlich«, antwortete er und klopfte zum Beweis dafür, daß die Schriftrolle in Sicherheit war, auf eine Tasche seines schmutzigen, schwarzen Gewandes.
»Caleddins Schriftrolle?« fragte ich erstaunt.
»Welche denn sonst?« gab er zurück.
Caleddins Schriftrolle war der Schatz, den Merlin aus Ynys Trebes mitgebracht hatte und der in seinen Augen nicht weniger wertvoll war als die Kleinodien Britanniens. Das war kein Wunder, denn das Geheimnis jener Kleinodien wurde in diesem uralten Dokument eingehend beschrieben. Druiden war es verboten, irgend etwas niederzuschreiben, denn sie glaubten, daß der Druide, der einen Zauberbann aufschrieb, die Fähigkeit, eben jenen Zauberbann zu wirken, verlieren werde. Deswegen gaben sie all ihre Bräuche, Riten und Weisheiten mündlich weiter. Aber die Römer hatten, bevor sie Ynys Mon angriffen, die britannische Religion so sehr gefürchtet, daß sie einen Druiden namens Caleddin bestachen und überredeten, alles, was er wußte, einem römischen Schreiber zu diktieren: daher enthielt Caleddins Verräterschriftrolle das gesamte uralte Wissen von Britannien. Vieles davon war, wie Merlin mir einmal erzählte, im Laufe der Jahrhunderte vergessen worden, denn die Römer hatten die Druiden grausam verfolgt, und ein großer Teil des alten Wissens war in der Tiefe der Zeit versunken; mit dieser Schriftrolle jedoch vermochte er die alte Macht wiederherzustellen. »Und in der Schriftrolle«, mutmaßte ich, »steht etwas von London?«
»Du liebe Zeit, wie neugierig du bist«, spöttelte Merlin, gab dann aber nach, vielleicht, weil es ein schöner Tag und er sonniger Stimmung war. »Das letzte Kleinod Britanniens befindet sich in London«, gestand er. »Oder vielmehr, es befand sich dort«, ergänzte er hastig. »Es ist dort vergraben. Ich wollte dir eigentlich einen Spaten in die Hand drücken und dich das Ding ausgraben lassen, aber du hättest bestimmt alles vermurkst. Sieh dir doch nur an, was du auf Ynys Mon gemacht hast! Zahlenmäßig unterlegen und umzingelt, in der Tat! Unverzeihlich! Daher habe ich beschlossen, es selbst zu machen. Zunächst muß ich natürlich herausfinden, wo es vergraben ist, und das könnte schwierig werden.«
»Habt Ihr deswegen die Hunde mitgebracht, Lord?« fragte ich ihn. Denn Merlin und Nimue hatten ein Rudel ziemlich räudiger Köter um sich versammelt, das nun das Heer begleitete.
Merlin seufzte. »Ich möchte dir einen guten Rat geben, Derfel«, sagte er. »Man kauft sich keinen Hund, um dann doch selber zu bellen. Ich weiß, welchem Zweck die Hunde dienen, Nimue weiß es, und du weißt es nicht. So haben es die Götter bestimmt. Hast du noch weitere Fragen? Oder darf ich jetzt endlich diesen Morgenspaziergang genießen?« Unversehens machte er längere Schritte und stieß bei jedem nachdrücklichen Schritt seinen großen, schwarzen Stab ins Gras. Sobald wir Calleva hinter uns gelassen hatten, empfing uns der Rauch großer Leuchtfeuer. Das war das Zeichen der Feinde, daß wir in Sicht gekommen waren, und jeder Sachse, der eine solche Rauchsäule entdeckte, hatte Befehl, sein Land zu verwüsten. Die Getreidespeicher wurden geleert, die Häuser niedergebrannt, das Vieh davongetrieben. Und immer wieder zog sich Aelle so weit zurück, daß er uns einen Tagesmarsch voraus war und uns auf diese Art tiefer in das verwüstete Land hineinlocken konnte. Überall dort, wo die Straße durch Wälder führte, war sie mit gefällten Bäumen verbarrikadiert, und während unsere Männer damit beschäftigt waren, die Stämme aus dem Weg zu räumen, kam immer wieder ein Pfeil oder ein Speer durchs Laub geflogen, um ein Leben zu nehmen; oder einer der riesigen sächsischen Kampfhunde kam geifernd aus dem Unterholz geschossen, aber das waren die einzigen Angriffe, die Aelle unternahm, und seinen Schildwall bekamen wir kein einziges Mal zu sehen. Er wich zurück, wir stießen vor, und Tag für Tag töteten die feindlichen Speere oder die Hunde einen oder zwei unserer Männer.
Weit mehr zu schaffen machten uns Krankheiten. Dasselbe hatten wir vor Lugg Vale erlebt: Sobald sich ein großes Heer versammelte, schlugen die Götter es mit Krankheit. Die Kranken hielten uns schrecklich auf, denn diejenigen, die nicht marschieren konnten, mußten an einem sicheren Ort zurückgelassen und, damit sie nicht den sächsischen Kriegshorden in die Hände fielen, die sich an unseren Flanken herumtrieben, von Speerkämpfern bewacht werden. Bei Tag sahen wir diese feindlichen Horden als ferne, zerlumpte Gestalten, während nachts ihre Feuer am Horizont flackerten. Dennoch waren es nicht die Kranken, die uns am
nachhaltigsten behinderten, sondern das schwerfällige Tempo, mit dem sich eine so große Masse Menschen fortbewegt. Mir war es schleierhaft, wieso dreißig Speerkämpfer an einem Tag mühelos zwanzig Meilen zurücklegen konnten, ein Heer, das zwanzigmal so groß war, jedoch von Glück sagen konnte, wenn es acht oder neun Meilen schaffte, auch wenn es sich noch so sehr anstrengte. Unsere Wegzeichen waren die Steine, die die Römer am Wegrand aufgestellt hatten und die die Anzahl der Meilen bis London anzeigten. Nach einer Weile beachtete ich sie nicht mehr, weil ich mich vor ihrer deprimierenden Aussage fürchtete.
Auch die Ochsenkarren behinderten uns. Wir hatten vierzig geräumige Bauernwagen im Troß, die unseren Proviant und unsere Ersatzwaffen mit sich führten, und diese Wagen rumpelten im Schneckentempo hinter unserer Marschkolonne einher. Das Kommando über diese Nachhut war Prinz Meurig übertragen worden, der ein großes Theater um die Wagen machte, sie zwanghaft immer wieder zählte und sich ständig beschwerte, die Speerkämpfer vorn marschierten zu schnell. Angeführt wurde das Heer von Arthurs berühmten Reitern. Es waren inzwischen fünfzig, alle auf großen, zottigen Pferden, die tief im Innern Dumnonias gezüchtet wurden. Andere Reiter, die nicht die Kettenhemden von Arthurs Truppe trugen, ritten als Späher voraus, und manchmal kehrten diese Männer nicht mehr zurück, und wir fanden beim Weitermarschieren ihre abgeschlagenen Köpfe am Straßenrand.
Der Hauptteil des Heeres bestand aus fünfhundert Speerkämpfern. Da Arthur beschlossen hatte, keine Landwehr mitzunehmen, weil diese bäuerlichen Soldaten nur selten wirkungsvolle Waffen besaßen, waren wir alle eidlich verschworene Krieger mit Speeren und Schilden, und die meisten verfügten sogar über ein Schwert. Weil sich nicht jeder Mann ein Schwert leisten konnte, hatte Arthur befohlen, daß
jeder dumnonische Haushalt, in dem es ein Schwert gab, das dem Dienst im Heer noch nicht verschworen war, diese Waffe abzuliefern hatte, und die auf diese Weise gesammelten achtzig Waffen waren an die Krieger verteilt worden. Einige wenige Männer trugen eroberte sächsische Streitäxte, während andere, wie auch ich selbst, diese Waffen wegen ihrer Unhandlichkeit ablehnten.
Und wer bezahlte das alles? Wer bezahlte die Schwerter, die neuen Speere, die neuen Schilde und Wagen und Ochsen, das Mehl, die Stiefel, die Banner, das Zaumzeug, die Kochtöpfe, die Helme, die Mäntel, die Messer, die Hufeisen, das Pökelfleisch? Arthur lachte, als ich ihm diese Frage stellte.
»Bedankt Euch bei den Christen, Derfel«, sagte er.
»Haben sie wirklich noch mehr gegeben?« fragte ich ihn.
»Ich dachte, dieses Euter wäre längst ausgetrocknet.«
»Ist es jetzt auch«, gab er grimmig zurück. »Aber es war erstaunlich, wieviel ihre Schreine herausgaben, als wir ihren Hütern das Märtyrertum anboten, und noch erstaunlicher ist es, wieviel wir ihnen zurückzuzahlen versprochen haben.«
»Haben wir unsere Schulden bei Bischof Sansum jemals beglichen?« erkundigte ich mich. Sein Kloster in Ynys Wydryn hatte das Vermögen herausgerückt, mit dem Aelle der Friede während des Herbstfeldzugs abgekauft worden war, der im Lugg Vale endete.
Arthur schüttelte den Kopf. »Doch er erinnert mich immer wieder daran.«
»Der Bischof«, sagte ich vorsichtig, »scheint neue Freunde gefunden zu haben.«
Arthur lachte über meinen Versuch, Takt zu beweisen. »Er ist Lancelots Kaplan. Wie es scheint, ist es unmöglich, unseren lieben Bischof untenzuhalten. Wie ein Apfel in einer Wassertonne kommt er immer wieder nach oben.«
»Und er hat Frieden mit Eurer Gemahlin geschlossen«, stellte ich fest.
»Ich finde es schön, mit anzusehen, wie Menschen ihren Streit beilegen«, sagte er nachsichtig, »aber Bischof Sansum hat in letzter Zeit tatsächlich seltsame Verbündete. Guinevere duldet ihn, Lancelot befördert ihn, und Morgan verteidigt ihn. Wie findet Ihr das? Morgan!« Er liebte seine Schwester, und es schmerzte ihn, daß sie sich Merlin so sehr entfremdet hatte. Sie herrschte mit so grimmiger Tatkraft in Ynys Wydryn, als wollte sie Merlin beweisen, daß sie eine bessere Partnerin für ihn sei als Nimue, doch Morgan hatte den Kampf um den Posten als Merlins erste Priesterin längst verloren. Merlin schätze sie, sagte Arthur, sie aber wolle geliebt werden, und wer, fragte Arthur mich traurig, könne eine Frau lieben, die vom Feuer so verbrannt, verhutzelt und verunstaltet worden sei? »Merlin war niemals ihr Liebhaber«, erklärte mir Arthur,
»sie hat nur vorgegeben, daß er es sei, während er nichts gegen diese Behauptung einzuwenden hatte, denn je mehr Menschen ihn seltsam finden, desto glücklicher ist er; in Wirklichkeit aber kann er Morgans Anblick ohne ihre Maske nicht ertragen. Sie ist einsam, Derfel.« Also war es kein Wunder, daß Arthur sich über die Freundschaft seiner verkrüppelten Schwester mit Bischof Sansum freute, obwohl es mir heute noch ein Rätsel ist, wie der eifrigste Verfechter des Christentums in ganz Dumnonia so eng mit Morgan befreundet sein konnte, einer Heidenpriesterin, die für ihre Macht berühmt war. Der Mäuselord, dachte ich, gleicht einer Spinne, die ein sehr merkwürdiges Netz spinnt. Mit seinem letzten Netz hatte er Arthur einfangen wollen, aber der Plan war fehlgeschlagen; für wen also mochte Sansum jetzt spinnen?
Nachdem der letzte unserer Verbündeten zu uns gestoßen war, bekamen wir keine Nachrichten mehr aus Dumnonia. Wir waren abgeschnitten, von den Sachsen umzingelt, aber die letzten Nachrichten von zu Hause waren ermutigend gewesen. Cerdic hatte nichts gegen Lancelots Truppen unternommen und war vermutlich auch nicht nach Osten marschiert, um Aelle zu unterstützen. Die letzte verbündete Truppe, die sich uns anschloß, war eine Kriegshorde aus Kernow, angeführt von einem alten Freund, der die Marschkolonne entlanggaloppiert kam, um mich zu suchen. Dann sprang er vom Pferd, stolperte und schlug vor meinen Füßen der Länge nach zu Boden. Es war Tristan, Prinz und Edling von Kernow, der sich jetzt aufrappelte, sich den Staub vom Mantel klopfte und mich umarmte. »Ihr könnt Euch entspannen, Derfel«, verkündete er,
»die Krieger von Kernow sind angekommen. Alles wird gut werden.«
Ich lachte. »Ihr seht gut aus, Lord Prinz.« Das tat er wirklich.
»Ich bin meinen Vater los«, erklärte er mir. »Er hat mich aus dem Käfig geholt. Vermutlich hofft er, daß mir ein Sachse seine Axt über den Schädel zieht.« Mit einer grotesken Fratze mimte er einen Sterbenden, während ich ausspie, um das Böse abzuwehren.
Tristan war ein gutaussehender, gutgebauter Mann mit schwarzen Haaren, Gabelbart und langen Schnurrbartenden. Seine Haut war fahl, und sein Gesicht wirkte häufig bedrückt, heute aber strahlte es vor Freude. Er hatte sich dem Befehl seines Vaters widersetzt, war mit einer kleinen Schar Krieger zum Lugg Vale gekommen und dafür, wie wir hörten, den ganzen Winter lang in eine weit entfernte Festung an Kernows Nordküste verbannt worden. Jetzt aber hatte König Mark eingelenkt und seinen Sohn für diesen Feldzug freigegeben.
»Wir sind jetzt verwandt«, erklärte Tristan.
»Verwandt?«
»Mein lieber Vater«, erläuterte er ironisch, »hat sich wieder mal eine junge Frau genommen. Ialle von Broceliande.«
Broceliande war das letzte britannische Königreich in Armorica und wurde von Budic ap Camran regiert, der mit Arthurs Schwester Anna verheiratet war, und das bedeutete, daß Ialle Arthurs Nichte war.
»Die wievielte Stiefmutter ist sie für Euch?« erkundigte ich mich. »Die sechste?«
»Die siebte«, berichtete Tristan, »und sie ist erst fünfzehn Sommer alt, während Vater mindestens fünfzig zählt. Ich selbst bin ja inzwischen schon dreißig«, ergänzte er deprimiert.
»Und immer noch nicht verheiratet?«
»Noch nicht. Aber mein Vater heiratet oft genug für uns beide. Arme Ialle. Vier Jahre gebe ich ihr, mehr nicht, Derfel, dann wird sie genauso tot sein wie die anderen. Er wird sie verschleißen, wie er sie alle verschlissen hat.« Er legte mir den Arm um die Schultern. »Und Ihr seid, wie ich vernahm, inzwischen verheiratet?«
»Nicht verheiratet, aber fest im Geschirr.«
»Mit der sagenhaften Ceinwyn!« Er lachte. »Gut gemacht, mein Freund, gut gemacht! Eines Tages werde auch ich meine Ceinwyn finden.«
»Vielleicht schon bald, Lord Prinz.«
»Ich muß! Ich werde alt! Uralt! Neulich hab’ ich ein weißes Haar in meinem Bart gefunden!« Er zeigte auf sein Kinn. »Seht Ihr es?« fragte er mich besorgt.
»Es?« spöttelte ich. »Wie ein Dachs seht Ihr aus.« Es mochte drei oder vier graue Strähnen inmitten der schwarzen Haare geben, aber das war auch alles.
Tristan lachte. Dann betrachtete er einen Sklaven, der mit einem Dutzend angeleinter Hunde neben der Straße einherlief.
»Notrationen?« fragte er mich.
»Merlins Magie, aber er will mir nicht sagen, wofür er sie braucht.« Die Hunde des Druiden waren lästig – sie brauchten Futter, das wir nicht erübrigen konnten, hielten uns bei Nacht mit ihrem Gejaule wach und rauften sich wie die Wilden mit den anderen Hunden, die unsere Männer begleiteten. Am Tag nach Tristans Ankunft erreichten wir Fontes, wo die Straße auf einer erstaunlichen Steinbrücke, die von den Römern gebaut worden war, über die Themse führte. Wir hatten erwartet, daß die Brücke zerstört war, doch unsere Späher berichteten, sie sei noch ganz, und zu unserer Überraschung war sie sogar noch ganz, als unsere Speerkämpfer sie erreichten.
Es war der heißeste Tag des Marsches. Da Arthur allen verbot, die Brücke zu überqueren, bevor die Wagen zum Hauptteil des Heeres aufgeschlossen hatten, streckten sich unsere Männer während des Wartens am Flußufer aus. Die Brücke bestand aus elf Bogen: zwei auf jedem Ufer trugen eine Rampe, welche die Straße auf die Höhe der sieben Bogen hob, die den Fluß selbst überspannten. Durch Baumstämme und anderes Treibgut, das sich auf der stromaufwärts gewandten Seite der Brücke verkeilt hatte, war das Wasser so aufgestaut worden, daß der Fluß im Westen breiter und tiefer war als im Osten, und dieser zufällige Damm ließ das Wasser zwischen den Steinpfeilern tosen und schäumen. Am anderen Ufer lag eine römische Siedlung, eine Gruppe von Steingebäuden, die von den Resten eines Erdwalls umgeben war, während auf unserer Seite der Brücke ein riesiger Turm die Straße bewachte, die unter seinem zerfallenen Tor hindurchführte, auf dem sogar noch eine römische Inschrift zu lesen war. Arthur übersetzte mir den Text: Diese Brücke sei auf Kaiser Hadrians Befehl erbaut worden. » Imperator«, sagte ich, zu der Steintafel emporspähend. »Heißt das Kaiser?«
»So ist es.«
»Und steht ein Kaiser über einem König?«
»Ein Kaiser ist ein Lord der Könige«, erklärte mir Arthur. Die Brücke hatte ihn deprimiert. Er kletterte auf ihren landwärtigen Bogen herum, dann trat er an den Turm und legte die Hand an die Steine, während er zu der Inschrift hinaufblickte. »Angenommen, Ihr und ich, wir wollten eine solche Brücke bauen«, fragte er mich. »Wie würden wir das anfangen?«
Ich zuckte die Achseln. »Mit Holz, Lord. Starke Ulmenpfeiler, alles andere aus Eichenbohlen.«
Er verzog das Gesicht. »Und würde sie noch stehen, wenn unsere Ururenkel leben?«
»Die können sich eigene Brücken bauen«, entgegnete ich. Er streichelte den Turm. »Wir haben keinen, der Steine so zu bearbeiten vermag. Keinen, der es versteht, einen Steinpfeiler in einem Flußbett zu versenken. Keinen, der sich auch nur erinnert, wie man das macht. Wir sind wie Männer mit einem kostbaren Hort, Derfel, der von Tag zu Tag weniger wird, und wir wissen nicht, wie wir dem Einhalt gebieten oder mehr daraus machen sollen.« Er warf einen Blick zurück und sah, daß in der Ferne die ersten von Meurigs Wagen auftauchten. Unsere Späher, die tief in die Wälder zu beiden Seiten der Straße vorgedrungen waren, hatten uns berichtet, daß sie von den Sachsen weder etwas gesehen noch etwas gerochen hätten, doch Arthur war und blieb mißtrauisch. »An ihrer Stelle würde ich unser Heer hinübermarschieren lassen und dann die Wagen angreifen«, sagte er. Infolgedessen hatte er beschlossen, eine Vorhut über die Brücke zu schicken, die Wagen in den Schutz des alten, zerfallenden Erdwalls hinüberzubringen, und erst dann den Hauptteil seines Heeres über den Fluß nachkommen zu lassen.
Meine Männer bildeten die Vorhut. Das Gelände hinter dem Fluß war weniger dicht bewaldet, aber obwohl ein paar Baumgruppen dicht genug waren, um eine kleine Armee zu verbergen, kam niemand daraus hervor, um uns anzugreifen. Einziger Hinweis auf die Anwesenheit der Sachsen war ein abgeschlagener Pferdekopf, der in der Mitte der Brücke wartete. Keiner meiner Männer wagte sich an ihm vorbei, bis Nimue vortrat, um den Fluch, der auf ihm lastete, zu lösen. Sie spie den Kopf an, weiter nichts. Die sächsische Magie, erklärte sie, sei eher schwächlich. Nachdem der Fluch aufgehoben worden war, stemmten Issa und ich das Ding übers Geländer ins Wasser hinab.
Während die Wagen mitsamt ihren Begleitern den Fluß
überquerten, hielten meine Männer auf dem Erdwall Wache. Galahad war mit mir gekommen, und zusammen durchsuchten wir die Gebäude innerhalb des Schutzwalls. Die Sachsen ließen sich aus irgendeinem Grund nur höchst ungern in römischen Siedlungen nieder: Sie bevorzugten ihre eigenen Hallen aus Holz und Reet. Hier mußten jedoch bis vor kurzem noch Menschen gelebt haben, denn der Herd enthielt noch Asche, und einige Fußböden waren sauber gefegt. »Könnten unsere Leute gewesen sein«, meinte Galahad, denn unter den Sachsen lebten zahlreiche Britannier, viele von ihnen als Sklaven, einige aber auch als Freie, die sich der Fremdherrschaft gebeugt hatten.
Die Gebäude schienen früher einmal Kasernen gewesen zu sein, aber es gab auch zwei Wohnhäuser sowie etwas, was ich für einen riesigen Kornspeicher hielt, der sich allerdings, als ich die zerbrochene Tür aufstieß, als Stall entpuppte, in den über Nacht die Rinder eingesperrt wurden, um sie vor den Wölfen zu schützen. Der Boden war von einer dicken Schlammschicht aus Stroh und Dung bedeckt, die so gräßlich stank, daß ich das Gebäude stehenden Fußes verlassen hätte –
da Galahad in den Schatten am anderen Ende jedoch etwas entdeckt zu haben schien, stapfte ich ihm durch den nassen, schlüpfrigen Mist hinterdrein.
Das andere Ende des Gebäudes bestand nicht etwa aus einer geraden Giebelwand, sondern wurde von einer runden Apsis durchbrochen. Hoch oben auf dem verdreckten Gips der Apsis und in dem Staub und Schmutz der Jahre kaum noch zu sehen, befand sich ein gemaltes Symbol, das aussah wie ein riesiges X, über das ein P gemalt worden war. Zu diesem Symbol blickte Galahad empor und schlug das Kreuz. »Dies war früher einmal eine Kirche, Derfel«, sagte er ehrfürchtig.
»Es stinkt«, gab ich zurück.
Mit frommem Blick sah er zu dem Symbol empor. »Es hat Christen hier gegeben.«
»Jetzt nicht mehr.« Ich schüttelte mich, weil der Gestank so übel war, und schlug hilflos nach den Fliegen, die um meinen Kopf summten.
Galahad schien der Gestank nichts auszumachen. Er stieß
seine Speerstange so lange in die kompakte Masse aus Kuhmist und verfaulendem Stroh, bis es ihm schließlich gelang, einen kleinen Teil des Bodens freizulegen. Was er dort fand, schien ihn nur noch anzuspornen, denn er arbeitete fieberhaft, bis er den oberen Teil eines Mannes vom Schmutz befreit hatte, ein Bild aus kleinen Mosaiksteinchen. Der Mann trug Gewänder wie ein Bischof, sein Kopf war von Sonnenstrahlen umrahmt, und auf der erhobenen Hand trug er ein kleines Tier mit magerem Körper und einem großen, zottigen Kopf. »Der Evangelist Markus mit seinem Löwen«, erklärte mir Galahad.
»Ich dachte, Löwen wären riesige Biester«, sagte ich enttäuscht. »Sagramor sagt, sie wären größer als Pferde und wilder als Bären.« Ich spähte auf das dungverschmutzte Tier hinab. »Das hier ist ja höchstens ein Kätzchen.«
»Es ist ein symbolischer Löwe«, behauptete er. Dann versuchte er noch mehr von dem Fußboden freizulegen, aber der Dreck war zu alt, zu kompakt und zu zäh. »Eines Tages«, sagte er, »werde ich auch eine so große Kirche bauen. Eine riesige Kirche. Einen Ort, an dem sich ein ganzes Volk vor seinem Gott versammeln kann.«
»Und wenn du tot bist«, sagte ich, während ich ihn zur Tür zurückzog, »wird irgendein Bastard zehn Rinderherden darin überwintern lassen und dir ungeheuer dankbar sein.«
Er bestand darauf, noch eine Minute zu verweilen, und während ich seinen Schild und seinen Speer hielt, breitete er die Arme aus, um an diesem alten Ort ein neues Gebet zu sprechen. »Ein Zeichen Gottes«, verkündete er aufgeregt, als er mir schließlich wieder in den Sonnenschein hinausfolgte. »Wir werden das Christentum nach Lloegyr zurückbringen, Derfel. Es ist ein Zeichen für unseren Sieg!«
Für Galahad mochte es ein Zeichen für unseren Sieg sein, für uns wäre die alte Kirche jedoch um ein Haar zum Auslöser einer Niederlage geworden. Als wir am Tag darauf ostwärts gen London weiterzogen, das jetzt so aufregend nahe war, blieb Prinz Meurig in Fontes zurück. Die Wagen schickte er mit dem größten Teil ihrer Eskorte voraus und blieb selbst mit fünfzig Mann zurück, um die Kirche von ihrer dicken Dreckschicht zu befreien. Genau wie Galahad war auch Meurig tief bewegt von der Existenz dieser uralten Kirche und beschloß, das Heiligtum seinem Gott zurückzugeben. Deswegen befahl er seinen Speerkämpfern, sich ihrer Waffen zu entledigen und das Gebäude von Dung und Stroh zu reinigen, damit die Priester, die ihn begleiteten, alle Gebete sprechen konnten, die nötig waren, um das verschmutzte Gebäude neu zu weihen.
Doch während die Nachhut Kuhmist schaufelte, rückten die Sachsen, die uns gefolgt waren, über die Brücke vor. Meurig entkam: Er hatte ein Pferd. Die meisten seiner Dungschaufler starben jedoch ebenso wie zwei seiner Priester. Dann stürmten die Sachsen die Straße entlang und erreichten die lange Reihe der Wagen. Der Rest der Nachhut wehrte sich tapfer, war aber hoffnungslos unterlegen: Die Sachsen umgingen sie, überrannten sie und begannen die
dahinstapfenden Ochsen abzuschlachten, so daß die Wagen einer nach dem anderen stehenblieben und dem Feind in die Hände fielen.
Inzwischen hatten auch wir den Lärm gehört. Das Heer machte halt, während Arthurs Reiter dorthin
zurückgaloppierten, von wo der Lärm des Tötens kam. Keiner der Reiter war richtig für den Kampf gerüstet, denn es war so heiß, daß die Männer nicht den ganzen Tag lang in ihrer Rüstung reiten konnten; dennoch genügte ihr plötzliches Auftauchen, um die Sachsen in die Flucht zu schlagen. Aber der Schaden war längst angerichtet. Achtzehn der vierzig Wagen waren bewegungsunfähig und würden, da ohne Ochsen, zurückgelassen werden müssen. Die meisten der achtzehn waren geplündert und die Fässer mit unserem kostbaren Mehl auf die Straße geleert worden. Wir retteten alles, was wir an Mehl noch finden konnten, und sammelten es in unsere Mäntel, aber das Brot, das man daraus backen konnte, würde minderwertig und mit Staub und Zweigen durchsetzt sein. Schon vor dem Überfall hatten wir die Rationen gekürzt und errechnet, daß wir Proviant für etwa zwei weitere Wochen hatten. Da sich der größte Teil des Proviants in den hintersten Wagen befunden hatte, standen wir nun vor der Frage, ob wir den Marsch nach nur einer Woche abbrechen sollten; aber selbst dann hätten wir kaum genug Proviant übrig, um heil nach Calleva oder Caer Ambra zurückzukehren.
»Im Fluß gibt’s Fische«, sagte Meurig.
»O ihr Götter, nicht schon wieder Fische«, stöhnte Culhwch, der an die Entbehrungen während der letzten Tage von Ynys Trebes dachte.
»Die reichen bei weitem nicht, um ein ganzes Heer zu ernähren«, gab Arthur zornig zurück. Am liebsten hätte er Meurig angeschrien und seine Dummheit offengelegt, aber Meurig war ein Prinz, und Arthurs Gefühl für Anstand würde nie zulassen, daß er einen Prinzen demütigte. Wäre es Culhwch gewesen oder auch ich, der die Nachhut teilte und die Wagen der Gefahr preisgab, hätte Arthur die Beherrschung verloren, die hohe Geburt jedoch schützte Meurig vor seinem Zorn. Wir waren nördlich der Straße zu einem Kriegsrat zusammengekommen, an einer Stelle, wo sie schnurgerade über eine langweilige, grasbewachsene Ebene führte, auf der sich Baumgruppen, vereinzelte Stechginster-und