VIERTER TEIL

Die Mysterien der Isis

»War Iseult schön?« fragte Igraine mich. Ein paar Herzschläge lang dachte ich über ihre Frage nach.

»Sie war jung«, antwortete ich schließlich, »und wie schon ihr Vater sagte …«

»Ich habe gelesen, was ihr Vater sagte«, fiel Igraine mir unwirsch ins Wort. Wenn sie nach Dinnewrac kommt, setzt sich Igraine jedesmal hin und liest die fertigen Pergamente durch, bevor sie auf dem Fenstersitz Platz nimmt, um sich mit mir zu unterhalten. Heute ist dieses Fenster mit einem Ledervorhang verhüllt, um die Kälte aus dem Raum fernzuhalten, den die Binsenfackeln auf meinem Schreibtisch nur unzulänglich erleuchten. Außerdem ist er voll Rauch, weil der Wind im Norden steht und der Rauch des Feuers den Weg nicht aus der Dachöffnung findet.

»Es ist schon lange her«, sagte ich müde, »und ich habe sie nur einen Tag und zwei Nächte lang gesehen. In meiner Erinnerung ist sie schön, vermutlich aber machen wir die Toten immer schön, wenn sie jung sterben.«

»In den Liedern heißt es, daß sie schön war«, gab Igraine wehmütig zurück.

»Ich habe die Barden für diese Lieder bezahlt«, sagte ich. Genau wie ich Männer dafür bezahlt hatte, daß sie Tristans Asche nach Kernow brachten. Es ist nur recht, hatte ich damals gedacht, daß Tristan im Tod in seine Heimat zurückkehrt. Ich hatte seine Knochen mit denen von Iseult vermischt und seine Asche mit der ihren – sowie zweifellos mit einer gehörigen Portion gewöhnlicher Holzasche –, und das Ganze in einem Krug versiegelt, den ich in jener Halle fand, in der sie ihren unerfüllbaren Liebestraum geteilt hatten. Damals war ich reich gewesen, ein großer Lord, Herr über Sklaven, Diener und Speerkämpfer, reich genug, um ein Dutzend Lieder über Tristan und Iseult zu kaufen, die bis auf den heutigen Tag in allen Festhallen gesungen werden.

Außerdem hatte ich dafür gesorgt, daß die Schuld am Tod der beiden in diesen Liedern Arthur angelastet wurde.

»Aber warum hat Arthur das nur getan?« wollte Igraine wissen.

Mit meiner einen Hand rieb ich mir das Gesicht. »Für Arthur war die Ordnung eine Art Kult«, erklärte ich ihr. »Ich glaube sogar, daß er gar nicht wirklich an die Götter glaubte. O ja, an ihre Existenz glaubte er schon, er war nicht dumm – aber er glaubte nicht, daß sie sich für uns noch groß interessierten. Ich erinnere mich, daß er einmal lachte und behauptete, es sei arrogant von uns anzunehmen, die Götter hätten nichts Besseres zu tun, als sich Sorgen um uns zu machen. Verbringen wir schlaflose Nächte, nur weil eine Maus im Stroh raschelt, fragte er mich. Warum also sollten sich die Götter um uns kümmern? Daher war alles, was ihm noch blieb, wenn man die Götter ausnahm, die Ordnung, und das einzige, womit die Ordnung aufrechterhalten wurde, war das Gesetz, und das einzige, was die Mächtigen veranlaßte, das Gesetz zu befolgen, waren ihre Eide. So einfach war das.« Ich zuckte die Achseln.

»Er hatte natürlich recht; er hatte eigentlich fast immer recht.«

»Er hätte sie am Leben lassen sollen«, beharrte Igraine.

»Er gehorchte dem Gesetz«, widersprach ich traurig. Ich habe es oft bedauert, dafür gesorgt zu haben, daß die Barden Arthur die Schuld gaben, er aber hatte es mir verziehen.

»Und Iseult wurde wirklich bei lebendigem Leibe verbrannt?« Igraine erschauerte. »Und Arthur hat das einfach zugelassen?«

»Er konnte sehr hart sein«, gab ich zurück. »Das mußte er sein, denn wir anderen konnten, weiß Gott, allesamt ziemlich weich sein.«

»Er hätte sie verschonen müssen«, beharrte Igraine.

»Dann hätte es weder Lieder noch Erzählungen gegeben«, sagte ich. »Sie wären alt, dick und streitsüchtig geworden und dann gestorben. Oder Tristan wäre nach dem Tod seines Vaters nach Kernow zurückgekehrt und hätte sich andere Frauen genommen. Wer weiß?«

»Wie lange hat Mark noch gelebt?« fragte Igraine.

»Nur noch ein Jahr«, antwortete ich. »Er starb an Strangurie.«

»Woran?«

Ich lächelte. »Einer üblen Krankheit, Lady, die sich Damen, glaube ich, nicht zuziehen können. Danach wurde ein Neffe König, aber ich kann mich nicht einmal an seinen Namen erinnern.«

Igraine verzog das Gesicht. »Aber daran, daß Iseult aus dem Meer gelaufen kam, daran könnt Ihr Euch erinnern, was?« warf sie mir vor. »Weil ihr Kleid naß war.«

Ich lächelte. »Als wäre es gestern gewesen, Lady.«

»Aus dem See Genezareth«, sagte Igraine strahlend, denn soeben hatte der heilige Tudwal unseren Raum betreten. Tudwal ist inzwischen zehn oder elf Jahre alt, ein mageres Bürschchen mit schwarzen Haaren und einem Gesicht, das mich an Cerdic erinnert. Ein Rattengesicht. Er teilt sowohl Sansums Zelle als auch dessen Autorität. Wie glücklich wir uns doch schätzen können, gleich zwei Heilige in unserer kleinen Gemeinschaft zu haben!

»Der Heilige wünscht, daß Ihr diese Pergamente entziffert«, sagte Tudwal und legte sie vor mich auf den Tisch. Igraine beachtete er nicht. Heilige dürfen sich Königinnen gegenüber offenbar unhöflich verhalten.

»Was ist das?« fragte ich ihn.

»Ein Händler will sie uns verkaufen«, sagte Tudwal. »Es seien Psalmen, behauptet er, aber die Augen des Heiligen sind so schwach, daß er sie nicht selbst lesen kann.«

»Aber natürlich«, gab ich zurück. In Wirklichkeit kann Sansum natürlich überhaupt nicht lesen, während Tudwal viel zu faul ist, es zu erlernen, obwohl wir uns alle bemüht haben, es ihm beizubringen. Inzwischen tun wir alle so, als beherrschte er dennoch diese Kunst. Behutsam entrollte ich das Pergament, das alt war, mürbe und dünn. Die benutzte Sprache war Latein, von dem ich selbst nur wenig verstehe, immerhin jedoch genug, um das Wort Christus zu entziffern. »Das sind keine Psalmen«, sagte ich, »aber es ist etwas Christliches. Vermutlich Fragmente aus den Evangelien.«

»Der Händler verlangt vier Goldstücke.«

»Zwei«, sagte ich, obwohl es mir im Grunde gleichgültig war, ob wir sie kauften oder nicht. Ich ließ die Pergamente wieder zusammenschnurren. »Hat der Mann gesagt, woher er sie hat?« erkundigte ich mich.

Tudwal zuckte die Achseln. »Von den Sachsen.«

»Wir sollten sie auf jeden Fall verwahren«, sagte ich pflichtschuldigst, als ich sie ihm zurückreichte. »Sie gehören in die Schatzkammer.« In der Hywelbane, dachte ich, mitsamt den vielen anderen kleinen Schätzen ruht, die ich aus meinem alten Leben mitgebracht habe. All meine Schätze liegen dort –

bis auf Ceinwyns kleine goldene Brosche, die ich vor dem älteren Heiligen versteckt halte. Demütig dankte ich dem jüngeren Heiligen dafür, daß er mich um Rat gefragt hatte, und als er ging, neigte ich den Kopf.

»Eklige kleine Kröte!« sagte Igraine, als Tudwal verschwunden war. Dann spie sie in Richtung Feuer. »Seid Ihr ein Christ, Derfel?«

»Aber gewiß doch, Lady!« protestierte ich. »Was für eine Frage!«

Mit gekrauster Stirn sah sie mich fragend an. »Ich stelle sie«, gab sie zurück, »weil mir scheint, daß Ihr jetzt weniger christlich seid als damals, als Ihr mit der Niederschrift dieser Erzählung begonnen habt.«

Das, dachte ich, war eine kluge Beobachtung. Außerdem traf sie zu, was ich jedoch nicht offen einzugestehen wagte, weil Sansum zu gern einen Vorwand gehabt hätte, um mich der Ketzerei beschuldigen und bei lebendigem Leib verbrennen zu können. Und da würde er mit dem Feuerholz nicht geizen, dachte ich, obwohl er die Rationen, die wir in unseren Kaminen verbrennen durften, überaus gering bemaß. Ich lächelte. »Ihr weckt die Erinnerung an alte Dinge, Lady«, sagte ich, »das ist alles.« Es war nicht alles. Je öfter ich an die alten Zeiten denke, desto stärker kehrt so manches zu mir zurück. Ich berührte einen Eisennagel in meinem hölzernen Schreibtisch, um das Böse von Sansums Haß abzuwenden.

»Das Heidentum habe ich längst abgelegt«, sagte ich.

»Ich wünschte, ich wäre eine Heidin«, sagte Igraine sehnsüchtig und zog sich den Umhang aus Biberpelz fester um die Schultern. Ihre Augen strahlen noch, und ihr Gesicht ist so voller Leben, daß ich fest überzeugt bin, sie ist schwanger.

»Aber sagt das nicht den Heiligen«, setzte sie hastig hinzu.

»Und Mordred«, fragte sie mich weiter, »war er ein Christ?«

»Nein. Aber er wußte, daß die Christen in Dumnonia ihn unterstützen würden, deswegen tat er alles, um sie bei Laune zu halten. Er ließ Sansum eine große Kirche bauen.«

»Wo?«

»Auf dem Caer Cadarn.« Bei der Erinnerung daran mußte ich lächeln. »Sie wurde niemals fertiggestellt, aber sie sollte eine gewaltige Kirche in Form eines Kreuzes werden. Die Kirche werde die Wiederkehr Christi im Jahre 500 begrüßen, behauptete er stolz. Er ließ den größten Teil der Festhalle abreißen und nahm die Holzbalken, um die Außenwand zu bauen. Den Steinkreis benutzte er für die Fundamente der Kirche. Den Krönungsstein ließ er natürlich liegen. Dann brachte er die Hälfte der Ländereien an sich, die zum Palast von Lindinis gehörten, und unterhielt mit ihrem Reichtum die Mönche auf Caer Cadarn.«

»Eure Ländereien?«

Ich schüttelte den Kopf. »Es waren niemals meine, immer nur Mordreds. Und Mordred wollte uns natürlich aus Lindinis vertreiben.«

»Damit er in dem Palast wohnen konnte?«

»Nein, Sansum. Mordred bezog Uthers Winterpalast. Dort gefiel es ihm.«

»Und wohin seid Ihr gegangen?«

»Wir haben eine Zuflucht gefunden«, antwortete ich. Es war Ermids alte Halle, südlich von Issa’s Mere. Der See war natürlich nicht nach meinem Issa benannt, sondern nach einem alten Häuptling, und Ermid war ein weiterer Häuptling gewesen, der an seinem Südufer gelebt hatte. Als er starb, hatte ich seine Ländereien gekauft, und nachdem Sansum und Morgan Lindinis übernommen hatten, zog ich dorthin um. Die Mädchen sehnten sich nach den weiten Korridoren und hallenden Räumen von Lindinis, mir aber gefiel Ermids Halle. Sie war alt, strohgedeckt, von Bäumen überschattet und voller Spinnen, bei deren Anblick Morwenna schrie. Deswegen wurde ich für meine älteste Tochter Lord Derfel Cadarn, der Spinnentöter.

»Hättet Ihr Culhwch getötet?« fragte mich Igraine.

»Natürlich nicht!«

»Ich hasse Mordred«, sagte sie.

»Da seid Ihr nicht die einzige.«

Einen Moment lang starrte sie ins Feuer. »Mußte er unbedingt König werden?«

»Solange Arthur darüber zu bestimmen hatte, ja. Wäre es nach mir gegangen, so hätte ich ihn mit Hywelbane erschlagen, selbst wenn das für mich bedeutet hätte, meinen Eid zu brechen. Er war eine traurige Gestalt.«

»Es scheint alles so traurig zu sein«, sagte Igraine.

»In jenen Jahren gab es aber auch viel Glück«, widersprach ich. »Und sogar später noch. Wir waren damals recht glücklich.« Ich erinnere mich an die Rufe der Mädchen, die durch Lindinis hallten, das Eilen ihrer Füße und ihre Freude über ein neues Spiel oder eine seltsame Entdeckung. Ceinwyn war immer glücklich – sie hatte eine Gabe dafür. Sie steckte alle in ihrer Umgebung mit ihrem Glück an, und diese gaben es an andere weiter. Und auch Dumnonia war, glaube ich, glücklich. Es gedieh jedenfalls, und jene, die fleißig arbeiteten, wurden reich. Bei den Christen brodelte es vor

Unzufriedenheit, aber es waren dennoch glorreiche Jahre, die Zeit des Friedens, die Zeit Arthurs.

Igraine blätterte in den neuen Pergamenten; sie suchte nach einer bestimmten Passage. »Die Tafelrunde …«, begann sie.

»Bitte!« Ich hob meine Hand, um den mit Sicherheit bevorstehenden Protest im Keim zu ersticken.

»Aber Derfel!« sagte sie streng. »Jeder weiß, daß das etwas sehr Ernstes war! Etwas sehr Wichtiges! Die besten Krieger Britanniens, alle auf Arthur eingeschworen, und alle Freunde. Das weiß doch jeder!«

»Es war ein rissiger Steintisch, der am Ende jenes Tages noch mehr Risse hatte als vorher und über und über mit Erbrochenem bedeckt war. Sie waren alle sehr stark betrunken.«

Sie seufzte. »Ich glaube, Ihr habt einfach die Wahrheit vergessen.« Da sie das Thema damit viel zu eilig vom Tisch fegte, kam mir der Gedanke, daß Dafydd, der Schreiber, der meinen Text in die britannische Sprache überträgt, mit einer veränderten Version aufwarten wird, die Igraines Wünschen weit mehr entspricht. Vor nicht allzu langer Zeit hörte ich sogar eine Erzählung, in der behauptet wurde, der Tisch sei ein riesiger Ring aus Holz gewesen, um den die gesamte Bruderschaft von Britannien mit feierlichen Mienen gesessen hätte; doch einen solchen Tisch hat es niemals gegeben und hätte es auch nicht geben können, es sei denn, wir hätten die Hälfte von Dumnonias Wäldern abgeholzt.

»Die Bruderschaft von Britannien«, erklärte ich geduldig,

»war eine Idee von Arthur, die nie so richtig funktionieren wollte. Nicht funktionieren konnte! Die Königseide der Männer wogen stets schwerer als der Tafelrundeneid, und außer Arthur und Galahad hat sowieso niemand so richtig daran geglaubt. Glaubt mir, zum Schluß war es sogar ihm peinlich, wenn ihn jemand erwähnte.«

»Ihr habt sicher recht«, sagte sie und meinte damit, sie sei überzeugt, daß ich mich irre. »Und außerdem möchte ich jetzt wissen, was aus Merlin geworden ist.«

»Das werde ich Euch erzählen. Versprochen.«

»Jetzt!« verlangte sie. »Erzählt es mir jetzt. Ist er einfach so verschwunden?«

»Nein«, antwortete ich. »Seine Zeit kam tatsächlich noch. Nimue hatte nämlich recht, müßt Ihr wissen. In Lindinis hat er nur abgewartet. Vergeßt nicht, daß er anderen immer gern etwas vorgespielt hat, und in jenen Jahren hat er uns den alten, sterbenden Mann vorgespielt. Darunter aber, wo niemand es sah, lauerte jene Macht, die ihn niemals verließ. Allerdings wurde er wirklich alt und mußte mit seiner Macht haushalten. Er wartete auf die Zeit, da der Kessel aus seinem Versteck geholt werden würde. Er wußte, daß er seine Macht dann brauchen würde; aber bis dahin genügte es ihm, daß Nimue die Flamme hütete.«

»Und was geschah?« wollte Igraine aufgeregt wissen. Ich wickelte den Ärmel meiner Kutte um den Stumpf meines Handgelenks. »Wenn Gott mich leben läßt, Lady, werde ich es Euch erzählen«, sagte ich und weigerte mich, mehr hören zu lassen. Bei der Erinnerung an jene letzte blindwütige Demonstration von Merlins Macht in Britannien war ich den Tränen nahe, doch dieser Augenblick greift meiner Erzählung weit, weit voraus. Weit über jene Zeit hinaus, in der sich Nimues Voraussage über Könige, die nach Cadarn kommen, bewahrheiten sollte.

»Wenn Ihr es mir nicht erzählen wollt«, maulte Igraine,

»werde ich Euch meine Neuigkeiten auch nicht erzählen.«

»Ihr seid schwanger«, sagte ich, »und ich freue mich unendlich für Euch.«

»Ihr seid ein Teufel, Derfel!« protestierte sie. »Ich wollte Euch überraschen!«

»Ihr habt dafür gebetet, Lady, und ich habe für Euch gebetet

– wie könnte Gott all unsere Gebete nicht erhören?«

Sie schnitt eine Grimasse. »Gott hat Nwylle die Pocken geschickt, das hat er getan. Über und über war sie mit Flecken, Geschwüren und Eiter bedeckt – so schlimm, daß der König sie weggeschickt hat.«

»Das freut mich für Euch.«

Sie berührte ihren Bauch. »Ich hoffe nur, daß er einst herrschen wird, Derfel.«

»Er?«

»Er!« antwortete sie energisch.

»Dann werde auch ich dafür beten«, erklärte ich fromm. Aber ob ich zu Sansums Gott oder zu den heidnischen Göttern Britanniens beten werde, weiß ich noch nicht. So viele Gebete wurden während meiner Lebenszeit gesprochen, so unzählig viele, und wohin hat mich das alles geführt? In dieses feuchte Refugium in den Hügeln, während unsere Feinde von früher in unseren uralten Hallen singen. Doch dieses Elend liegt ebenfalls noch weit voraus, und die Geschichte von Arthur ist noch längst nicht abgeschlossen. In gewisser Weise hat sie gerade erst begonnen, denn nun, nachdem er seinen glanzvollen Posten verlassen und die Macht Mordred übergeben hatte, kamen die Zeiten, da alle auf die Probe gestellt wurden, und wie sich herausstellte, war es vor allem er, der auf die Probe gestellt wurde: Arthur, mein Herr der Eide, mein harter Lord, und doch mein Freund bis in den Tod.

Anfangs geschah gar nichts. Wir hielten den Atem an und machten uns auf das Schlimmste gefaßt, doch nichts geschah. Wir machten Heu, dann schnitten wir den Flachs und legten die faserigen Stengel in die Röstteiche, so daß unsere Dörfer noch wochenlang stanken. Wir ernteten die Roggen-, Gersten-und Weizenfelder ab, dann lauschten wir den Sklaven, die auf dem Dreschboden ihre Lieder sangen, oder den endlos sich drehenden Mahlsteinen. Das Erntestroh benutzten wir zur Reparatur der Reetdächer, so daß auf unseren Dächern eine Zeitlang viele goldene Flecken in der Spätsommersonne glänzten. Wir pflückten die Obstgärten leer, hackten das Feuerholz für den Winter und ernteten die Weidenruten für die Korbmacher. Wir aßen Brombeeren und Nüsse, räucherten die Bienen aus ihren Körben und preßten ihren Honig in Säckchen, die wir vor das Küchenfeuer hängten, wo wir in der Nacht vor Samhain Lebensmittel für die Toten hinterlegten. Die Sachsen blieben in Lloegyr, an unseren Gerichtshöfen wurde Recht gesprochen, Jungfrauen wurden vermählt, Kinder wurden geboren, und Kinder starben. Das schwindende Jahr brachte uns Nebel und Frost. Das Vieh wurde geschlachtet, und der Gestank der Röstteiche wich dem widerlichen Geruch der Gerbgruben. Das neu gewebte Leinen wurde in Fässern gebeucht, die mit Holzasche, Regenwasser und dem Urin gefüllt waren, den wir das Jahr über gesammelt hatten. Die Wintersteuern wurden gezahlt, und zur Wintersonnenwende schlachteten wir Mithrasjünger bei unserem alljährlichen Festmahl, mit dem wir die Sonne ehrten, einen Stier, während die Christen am selben Tag die Geburt Gottes feierten. Zu Imbolc, dem großen Fest der kalten Jahreszeit, speisten wir zweihundert Seelen in unserer Halle, sorgten dafür, daß auf dem Tisch drei Messer für die unsichtbaren Götter bereitlagen, und boten Opfergaben für die Ernte des neuen Jahres. Neugeborene Lämmer waren die ersten Anzeichen für das erwachende Jahr, dann kam die Zeit des Pflügens und Säens, und an den alten, kahlen Bäumen sprossen frische grüne Knospen. Es war das erste neue Jahr von Mordreds Regierungszeit.

Diese Regierungszeit brachte ein paar Veränderungen. Mordred verlangte den Winterpalast seines Großvaters, und das überraschte niemanden; allerdings war ich überrascht, als Sansum den Palast in Lindinis für sich beanspruchte. Er stellte diese Forderung im Kronrat und behauptete, er brauche den geräumigen Palast für seine Schule und Morgans Gemeinschaft frommer Frauen; zudem wolle er in der Nähe der Kirche wohnen, die er auf dem Gipfel von Caer Cadarn errichten lasse. Mordred nickte zustimmend, und so wurden Ceinwyn und ich kurzerhand vertrieben. Da aber Ermids Halle leer stand, bezogen wir jenes nebelverhüllte Anwesen am See. Arthur erhob Einwände gegen den Plan, Sansum nach Lindinis hineinzulassen, und sprach sich auch gegen Sansums Forderung aus, die königliche Schatzkammer müsse für die Reparatur all der Schäden im Palast aufkommen, die, wie Sansum behauptete, durch zu viele ungezogene Kinder entstanden seien, aber Mordred wies Arthurs Einwände zurück. Das waren Mordreds einzige Entscheidungen, denn gewöhnlich überließ er es Arthur, die Angelegenheiten des Reichs zu regeln. Arthur war zwar nicht mehr Mordreds Protektor, inzwischen aber Ratsältester, und der König erschien selten bei den Kronratssitzungen, weil er lieber auf die Jagd ging. Es waren allerdings nicht immer Hirsche oder Wölfe, die er jagte, und Arthur und ich mußten immer wieder Gold in der Hütte eines Bauern abliefern, um den Mann für die Jungfräulichkeit seiner Tochter oder die Schande seiner Gemahlin zu entschädigen. Es war keine angenehme Aufgabe, aber ein Königreich, in dem so etwas nicht nötig war, konnte sich damals als wahrhaft glückliche Ausnahme betrachten. In jenem Sommer wurde Dian, unsere jüngste Tochter, krank. Sie litt an einem Fieber, das nicht weichen wollte, oder vielmehr immer wieder kam und ging, aber mit so großer Heftigkeit, daß wir dreimal dachten, sie sei tot. Dreimal hauchten ihr Merlins Tränke neues Leben ein, obwohl nichts, was der alte Mann unternahm, das Leiden wirklich zu beseitigen vermochte. Dian schien sich zu der lebhaftesten von unseren drei Töchtern zu entwickeln. Morwenna, die Älteste, war ein vernünftiges Mädchen, das ihre jüngeren Schwestern gern bemutterte und sich sehr für die Führung unseres Haushalts interessierte: Immer wieder stellte sie Fragen über die Küchen, die Röstteiche oder die Leinenfässer. Seren, der Stern, war unsere Schönheit. Sie hatte die zarte Schönheit ihrer Mutter geerbt, zu der sich ein nachdenkliches und bezauberndes Wesen gesellte. Stundenlang saß sie bei den Barden, lernte ihre Lieder und spielte ihre Harfen. Dian, behauptete Ceinwyn immer, sei dagegen ganz und gar meine Tochter. Dian kannte keine Furcht. Sie konnte mit Pfeil und Bogen schießen, liebte es zu reiten und verstand es schon im Alter von sechs Jahren, ein Coracle ebenso geschickt zu handhaben wie die Fischer auf dem See. Sie war im sechsten Lebensjahr, als das Fieber sie befiel, und wäre das Fieber nicht gewesen, wären wir vermutlich alle zusammen nach Powys gereist; denn einen Monat vor dem ersten Jahrestag von Mordreds Thronbesteigung verlangte der König auf einmal, daß Arthur und ich Cuneglas in dessen Reich aufsuchten. Mordred stellte diese Forderung anläßlich einer seiner seltenen Auftritte bei den Kronratssitzungen. Die Plötzlichkeit, mit der uns dieser Auftrag erteilt wurde, überraschte uns ebenso wie der Grund, den er für die Reise nannte, aber der König war fest entschlossen. Es gab natürlich noch einen verborgenen Grund, den aber zum damaligen Zeitpunkt weder Arthur noch ich erkannten, noch irgendein anderer aus dem Kronrat – bis auf Sansum, von dem die Idee ursprünglich stammte –, und wir alle brauchten ziemlich lange, um den Motiven des Mäuselords auf die Spur zu kommen. Auch gab es keinen offensichtlichen Anlaß für uns, dem Vorschlag des Königs mit Mißtrauen zu begegnen, denn er wirkte durchaus vernünftig, obwohl weder Arthur noch ich begriffen, warum wir beide nach Powys geschickt wurden.

Das Ganze entsprang einer uralten Geschichte. Norwenna, Mordreds Mutter, war von Gundleus, dem König von Siluria, ermordet worden, und obwohl Gundleus seine gerechte Strafe erhalten hatte, war der Mann, der Norwenna verraten hatte, noch immer am Leben. Ligessac – so war sein Name – war Hauptmann von Mordreds Leibwache gewesen, als der König noch ein Säugling war. Aber Ligessac hatte sich von Gundleus bestechen lassen und den mordlustigen silurischen König auf Merlins Tor eingelassen. Mordred war zwar von Morgan gerettet worden, seine Mutter aber war gestorben. Ligessac, dessen Verrat zu Norwennas Tod geführt hatte, hatte den Krieg, der auf den Mord folgte, ebenso überlebt wie die Schlacht im Lugg Vale.

Mordred kannte die Geschichte natürlich, und so war es nur verständlich, daß er wissen wollte, was aus Ligessac geworden war, aber Bischof Sansum hatte dieses Interesse zur Besessenheit gesteigert. Irgendwie hatte Sansum in Erfahrung gebracht, daß Ligessac in einer entlegenen, gebirgigen Region Nord-Silurias, die inzwischen zu Cuneglas’ Herrschaftsbereich gehörte, bei einer Bande christlicher Einsiedler Zuflucht gefunden hatte. »Es schmerzt mich, einen Bruder in Christo zu verraten«, verkündete der Mäuselord bei der Ratssitzung fromm, »aber es schmerzt mich ebensosehr, daß ein Christ sich eines so abscheulichen Verrats schuldig gemacht hat. Ligessac ist noch am Leben, Lord König«, wandte er sich an Mordred,

»und sollte vor Euer Gericht gebracht werden.«

Arthur schlug vor, Cuneglas zu bitten, den Flüchtigen einzufangen und nach Dumnonia zu schicken; aber Sansum schüttelte den Kopf und erklärte, es sei äußerst unhöflich, einen anderen König für eine Rache einzuspannen, die so eng mit Mordreds Ehre verbunden sei. »Dies ist Dumnonias Aufgabe«, versicherte Sansum, »deswegen sollten Dumnonier sie auch erfolgreich ausführen, Lord König.«

Mordred nickte und bestand darauf, daß Arthur und ich uns auf die Jagd nach dem Verräter begaben. Arthur, der stets überrascht war, wenn Mordred sich beim Kronrat behauptete, erhob Einwände. Warum, fragte er, sollte man zwei Lords mit einer Aufgabe betrauen, die man ohne weiteres einem Dutzend Speerkämpfern überlassen könnte? Mordred grinste über diese Frage. »Glaubt Ihr, Lord Arthur, daß Dumnonia zugrunde gehen wird, wenn Ihr und Derfel nicht anwesend seid?«

»Nein, Lord König«, antwortete Arthur, »aber Ligessac ist inzwischen ein alter Mann. Deswegen brauchen wir keine zwei Kriegshorden, um ihn zu fangen.«

Der König hieb mit der Faust auf den Tisch. »Nach dem Mord an meiner Mutter«, warf er Arthur vor, »habt Ihr Ligessac entkommen lassen. Im Lugg Vale, Lord Arthur, habt Ihr Ligessac abermals entkommen lassen. Ihr schuldet mir Ligessacs Leben!«

Bei diesem Vorwurf erstarrte Arthur sekundenlang, neigte dann aber zum Zeichen, daß er die Verpflichtung anerkenne, den Kopf. »Aber Derfel«, wandte er ein, »war nicht dafür verantwortlich.«

Mordred sah mich an. Wegen der vielen Prügel, die ich ihm als Knabe verabreicht hatte, konnte er mich nicht leiden; aber ich hoffte, die Schläge, die er mir bei seiner Akklamation gegeben hatte, und der billige Triumph, uns aus Lindinis vertrieben zu haben, hätten seinen Rachedurst gestillt. »Lord Derfel«, sagte er, wie immer in einem Ton, der meinen Titel lächerlich klingen ließ, »kennt den Verräter. Wer sollte ihn sonst kennen? Ich bestehe darauf, daß Ihr beide geht. Und zwei ganze Kriegshorden braucht Ihr auch nicht mitzunehmen«, antwortete er auf Arthurs früheren Einwand. »Ein paar Männer werden reichen.« Es muß ihm peinlich gewesen sein, Arthur einen militärischen Rat zu erteilen, denn seine Stimme verklang unsicher, und er schielte verstohlen zu den anderen Ratsmitgliedern hinüber, bevor er sich wieder ein wenig zusammenriß. »Ich wünsche, daß Ligessac noch vor Samkain hier ist«, verlangte er, »und ich wünsche ihn lebend.«

Wenn ein König befiehlt, gehorchen seine Männer, also ritten Arthur und ich mit jeweils dreißig Mann gen Norden. Keiner von uns beiden glaubte, daß wir so viele Krieger brauchten, aber es war eine Gelegenheit, einigen unterbeschäftigten Männern die Übung eines Langstreckenmarschs zu bieten. Meine restlichen dreißig Speerkämpfer blieben zurück, um Ceinwyn zu bewachen, während Arthurs restliche Männer entweder in Durnovaria blieben oder Sagramors Truppen verstärkten, die noch immer die Grenze zu den Sachsen bewachten. An jener Grenze trieben sich die üblichen sächsischen Kriegshorden herum, die aber keinen Versuch machten, in unser Land einzudringen, sondern es vielmehr, wie stets während dieser Friedensjahre, auf Vieh und Sklaven abgesehen hatten. Wir selbst unternahmen ähnliche Überfälle, doch beide Seiten hüteten sich davor, die Überfälle zu einem richtigen Krieg ausarten zu lassen. Der provisorische Frieden, den wir in London geschlossen hatten, hatte sich bemerkenswert gut bewährt, obwohl es zwischen Aelle und Cerdic alles andere als friedlich zuging. Diese beiden hatten einander bis zum Stillstand bekämpft, wir aber blieben von diesen Auseinandersetzungen weitgehend verschont. Wir hatten uns in der Tat an den Frieden gewöhnt.

Meine Männer marschierten nordwärts, während Arthurs Krieger ritten oder ihre Pferde am Zügel führten. Auf den guten römischen Straßen gelangten wir zunächst in Meurigs Königreich Gwent. Der König gab uns zähneknirschend ein Festmahl, wo die Priester zahlreicher als unsere Männer waren; dann machten wir einen Umweg zum Wye-Tal, um den alten Tewdric aufzusuchen, der in einer bescheidenen

Strohdachhütte lebte. Sie war nur halb so groß wie das Gebäude, in dem er seine Sammlung christlicher Pergamente aufbewahrte. Königin Enid, seine Gemahlin, murrte über das Schicksal, das sie aus den Palästen von Gwent in dieses von Mäusen geplagte Dasein mitten im Wald verschlagen hatte, aber der alte König war glücklich. Er hatte sich ganz dem Christentum verschrieben und ignorierte munter Enids Beschimpfungen. Er setzte uns eine Mahlzeit aus Bohnen, Brot und Wasser vor und freute sich über die Nachricht, daß sich das Christentum in Dumnonia verbreite. Wir fragten ihn nach den Weissagungen, die die Wiederkehr Christi in vier Jahren prophezeiten; und Tewdric antwortete, er bete darum, daß sie wahr seien, argwöhne aber, es sei weitaus wahrscheinlicher, daß Christus ganze tausend Jahre warten werde, bevor er in all seiner Glorie wiederkehre. »Aber wer weiß?« fragte er.

»Durchaus möglich, daß er schon in vier Jahren kommt. Welch ein wundervoller Gedanke!«

»Ich wünschte, Eure Mitchristen würden sich damit begnügen, dieses Ereignis in Frieden abzuwarten«, sagte Arthur.

»Sie haben die Pflicht, die Welt auf seine Rückkehr vorzubereiten«, sagte Tewdric streng. »Sie müssen Ungläubige bekehren, Lord Arthur, und das Land von der Sünde befreien.«

»Wenn sie nicht achtgeben, werden sie einen Krieg zwischen ihnen und uns anzetteln«, grollte Arthur. Er berichtete Tewdric, daß es in jeder dumnonischen Stadt zu Aufständen gekommen sei, bei denen die Christen immer wieder versuchten, heidnische Tempel niederzureißen oder zu entweihen. Die Dinge, die wir in Isca gesehen hatten, waren nur der Anfang dieser Probleme gewesen, und die Unruhen verbreiteten sich rasch. Ein Symptom dieser Unruhen war das Zeichen des Fisches, ein schlichtes Gestrichel aus zwei gebogenen Linien, das die Christen auf die Mauern der Heiden malten oder in die Bäume der Druidenhaine ritzten. Culhwch hatte recht gehabt: Der Fisch war ein christliches Symbol.

»Das kommt daher, daß das griechische Wort für Fisch ichthyos lautet«, erklärte uns Tewdric, »und daß die griechischen Buchstaben für den Namen Christi stehen, iesous Christos, Theou Uios, Soter. Jesus Christus, Gottes Sohn, Heiland. Sehr hübsch. Wirklich, sehr hübsch.« Er kicherte vor Vernügen über seine Erklärung, und es war leicht zu sehen, von wem Meurig seine entnervende Pedanterie geerbt hatte.

»Nun ja«, fuhr Tewdric fort, »wenn ich noch auf einem Thron säße, würde ich mir über all diese Unruhen schon Gedanken machen. Als Christ muß ich sie jedoch begrüßen. Der heilige Vater sagt uns, daß es zahlreiche Zeichen und Wunder geben wird, welche die letzten Tage ankündigen, Lord Arthur, und Bürgerunruhen sind nichts weiter als eins dieser Zeichen. Also könnte das Ende nahe sein.«

Arthur zerkrümelte ein Stück Brot in seiner Schale. »Ihr seid tatsächlich erfreut über diese Aufstände?« fragte er. »Ihr billigt diese Überfälle auf die Heiden? Das Niederbrennen und Schänden der Schreine?«

Tewdric blickte durch die offene Tür in den grünen Wald hinaus, der seine kleine Klause dicht umstand. »Das muß für andere schwer verständlich sein«, sagte er, einer direkten Antwort auf Arthurs Frage ausweichend. »Ihr müßt diese Unruhen als Symptome der allgemeinen Erregung sehen, Lord Arthur, nicht als Zeichen der Gnade unseres Herrn.« Er bekreuzigte sich und sah uns lächelnd an. »Unser Glaube«, sagte er ernst, »ist ein Glaube der Liebe. Der Sohn Gottes hat sich erniedrigt, um uns von unseren Sünden zu befreien, und wir sind aufgerufen, ihm in allem, was wir tun und denken, nachzufolgen. Wir sind aufgerufen, unsere Feinde zu lieben und jenen, die uns hassen, Gutes zu tun; aber das sind schwere Gebote, zu schwer für die meisten Menschen. Und Ihr dürft nicht vergessen, worum wir am innigsten beten: um die Wiederkehr unseres Herrn Jesus Christus auf Erden.« Wieder bekreuzigte er sich. »Die Menschen beten und sehnen sich nach seiner Wiederkehr, und sie fürchten, daß er, solange die Welt von Heiden beherrscht wird, möglicherweise nicht kommen wird. Deswegen fühlen sie sich verpflichtet, das Heidentum auszulöschen.«

»Das Heidentum auszulöschen«, warf Arthur scharf ein,

»scheint mir schlecht zu einer Religion zu passen, welche die Liebe predigt.«

»Das Heidentum auszulöschen ist ein Akt der Liebe«, beharrte Tewdric. »Wenn ihr Heiden euch weigert, Christus zu akzeptieren, werdet ihr unweigerlich zur Hölle fahren. Dann spielt es keine Rolle, ob ihr ein tugendhaftes Leben geführt habt – ihr werdet bis in alle Ewigkeit brennen müssen. Wir Christen haben die Pflicht, euch vor diesem Schicksal zu retten. Würdet Ihr das nicht als Akt der Liebe bezeichnen?«

»Nicht, wenn ich gar nicht gerettet werden will«, sagte Arthur.

»Dann müßt ihr die Feindschaft jener erdulden, die Euch lieben«, behauptete Tewdric, »oder sie wenigstens erdulden, bis sich die Erregung ein wenig gelegt hat. Und das wird sie. So eine Begeisterung hält nie lange vor, und wenn unser Herr Jesus Christus nicht in vier Jahren wiederkehrt, wird sich die Erregung mit Sicherheit legen, bis das nächste Jahrtausend anbricht.« Wieder blickte er in den tiefen Wald hinaus. »Wie schön wäre es«, sagte er dann mit einer von Staunen erfüllten Stimme, »wenn ich das noch erleben könnte, wenn ich das Antlitz meines Erlösers in Britannien sehen dürfte!« Damit wandte er sich zu Arthur zurück. »Und die Vorzeichen seiner Wiederkehr werden beängstigend sein, fürchte ich. Zweifellos werden die Sachsen äußerst lästig werden. Machen sie immer noch Probleme?«

»Nein«, antwortete Arthur, »doch ihre Zahl wächst von Jahr zu Jahr. Ich fürchte, sie werden sich nicht mehr lange ruhig verhalten.«

»Ich werde beten, daß Christus kommt, bevor das geschieht«, sagte Tewdric. »Ich könnte es, glaube ich, nicht ertragen, mein Land an die Sachsen zu verlieren. Natürlich ist das nicht mehr meine Sache«, setzte er hastig hinzu. »Diese Dinge überlasse ich nun Meurig.« Als in der nahe gelegenen Kapelle ein Horn ertönte, erhob er sich. »Zeit zum Gebet!« verkündete er fröhlich. »Wollt Ihr Euch mir vielleicht anschließen?«

Wir entschuldigten uns und erklommen am folgenden Morgen die Hügel hinter dem Kloster des alten Königs, um nach Powys hineinzumarschieren. Zwei Nächte später waren wir in Caer Sws, wo wir Culhwch wiedertrafen, dem es in seinem neuen Königreich gutging. An jenem Abend tranken wir alle viel zuviel Met, und als Cuneglas und ich am nächsten Morgen nach Cwm Isaf ritten, hatte ich einen schweren Kopf. Wie ich feststellte, hatte der König unser kleines Haus gut in Schuß gehalten. »Man weiß nie, wann Ihr es mal wieder brauchen werdet, Derfel«, erklärte er mir.

»Möglicherweise bald«, gestand ich finster.

»Bald? Das hoffe ich.«

Ich zuckte die Achseln. »Wir sind in Dumnonia nicht mehr gern gesehen. Mordred verabscheut mich.«

»Dann bittet ihn, Euch von Eurem Eid zu entbinden.«

»Ich habe ihn gebeten«, antwortete ich, »aber er hat mir die Bitte abgeschlagen.« Ich hatte meine Bitte gleich nach der Akklamation ausgesprochen, als ich noch von der Schande der zwei Schläge zutiefst aufgewühlt war, und dann hatte ich es sechs Monate später erneut versucht, und er hatte sie mir abermals abgeschlagen. Ich glaube, er war klug genug zu erkennen, daß er mich am besten bestrafen konnte, indem er mich zwang, ihm zu dienen.

»Braucht er Eure Speerkämpfer?« erkundigte sich Cuneglas, der auf der Bank unter dem Apfelbaum neben der Haustür saß.

»Nur meine unterwürfigste Loyalität«, gab ich verbittert zurück. »Er scheint keinen Krieg mehr führen zu wollen.«

»Also ist er doch nicht so dumm«, stellte Cuneglas trocken fest. Dann sprachen wir über Ceinwyn und die Mädchen, und Cuneglas erbot sich, Malaine. seinen neuen Oberdruiden, an Dians Krankenlager zu schicken. »Malaine versteht sich wunderbar auf Kräuter«, sagte er. »Besser als der alte Iorweth. Wußtet Ihr, daß er gestorben ist?«

»Ich hörte davon. Und wenn Ihr Malaine entbehren könnt, Lord König, wäre ich Euch von Herzen dankbar.«

»Er wird schon morgen aufbrechen. Ich kann nicht dulden, daß eine meiner Nichten krank ist! Könnte Eure Nimue nicht ebenfalls helfen?«

»Nicht mehr und nicht weniger als Merlin«, antwortete ich und berührte dabei die Spitze einer alten Sichelklinge, die in der Borke des Apfelbaums eingebettet war. Ich berührte Eisen, um das Böse abzuwenden das meine Dian bedrohte. »Die alten Götter«, sagte ich verbittert, »haben Dumnonia verlassen.«

Cuneglas lächelte. »Es ist nicht gut, Derfel, die Götter zu unterschätzen. Ihre Zeit in Dumnonia wird schon wieder kommen.« Er hielt inne. »Die Christen bezeichnen sich selbst gern als Schafe, nicht wahr? Nun gut, Ihr werdet sie schon blöken hören, wenn die Wölfe kommen.«

»Welche Wölfe?«

»Die Sachsen«, antwortete er unglücklich. »Sie haben uns zehn Jahre Frieden geschenkt, doch ihre Boote landen immer noch an den östlichen Küsten, und ich spüre, wie ihre Macht stetig wächst. Wenn sie wieder gegen uns kämpfen, werden Eure Christen noch dankbar für die Heidenschwerter sein.« Er stand auf und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Die Sachsen sind ein unerledigtes Problem, Derfel. Ein unerledigtes Problem.«

An jenem Abend gab er uns ein Festmahl, und am folgenden Morgen reisten wir mit einem Führer, den uns Cuneglas mitschickte, gen Süden in die kahlen Hügel, die hinter der alten Grenze von Siluria lagen.

Unser Ziel war eine entlegene Christengemeinde. In Powys gab es noch nicht viele Christen, denn Cuneglas ließ Sansums Missionare rücksichtslos des Landes verweisen, wann und wo immer er sie entdeckte; doch manche Christen lebten dennoch irgendwo in seinem Reich, und im ehemaligen Siluria gab es sogar eine Menge. Diese spezielle Gruppe war unter den Christen Britanniens für ihre Frömmigkeit berühmt, eine Frömmigkeit, die sie durch ein Leben in extremer Armut an einem wilden, harten Ort demonstrierten. Dort hatte Ligessac schließlich Zuflucht gefunden, bei diesen christlichen Fanatikern, die, wie Tewdric uns erklärt hatte, ihr Fleisch kasteiten. Damit meinte er, daß sie miteinander darin wetteiferten, wer das elendigste Leben führte. Manche lebten in Höhlen, manche lebten ganz ohne Schutz im Freien, und manche ernährten sich ausschließlich von Grünzeug. Manche verzichteten auf Kleidung, wieder andere trugen härene Hemden, in deren Stoff Dornenzweige geflochten waren, einige trugen Dornenkronen und manche schlugen sich, wie die Flagellanten, die wir in Isca gesehen hatten, tagtäglich blutig. Mir schien es die beste Strafe für Ligessac zu sein, ihm in dieser Gemeinde seinem Schicksal zu überlassen; aber wir hatten Befehl, ihn da herauszuholen und nach Hause zurückzubringen – und das hieß, daß wir es mit dem Anführer der Gemeinde aufnehmen mußten, einem hitzköpfigen Bischof namens Cadoc, der für seine Kampflust berüchtigt war. Cadocs Ruf veranlaßte uns, die Rüstungen anzulegen, als wir uns seiner elenden Ansiedlung hoch in den Bergen näherten. Wir trugen natürlich nicht unsere besten Rüstungen –

wenigstens jene von uns nicht, welche die Wahl hatten –, denn ein solcher Glanz wäre auf dieses halbwilde Pack rasender Fanatiker verschwendet gewesen; aber wir alle hatten die Helme aufgesetzt sowie Kettenhemden oder Lederpanzer angelegt und führten unsere Schilde mit. Falls sie sonst keine Wirkung zeitigte, dachten wir uns, konnte diese Kampfausrüstung Cadocs Anhänger immerhin einschüchtern. Unser Führer versicherte uns, daß ihre Zahl nicht mehr als zwanzig Seelen betrug. »Und alle sind sie wahnsinnig«, vertraute mir unser Führer an. »Einer von ihnen hat ein ganzes Jahr stockstill dagestanden! Keinen Muskel hat er geregt, heißt es. Stand einfach da wie ‘ne Bohnenstange, während sie oben Essen in ihn hineinschaufelten und unten den Dung wegkarrten. Muß wirklich ein komischer Gott sein, der von den Menschen so was verlangt.«

Die Straße zu Cadocs Refugium wand sich, von den Füßen der Pilger festgetreten, an den Hängen der breiten, kahlen Hügel entlang, wo die einzigen Lebewesen, die wir zu Gesicht bekamen, Schafe und Ziegen waren. Hirten konnten wir nicht entdecken, aber wir bezweifelten nicht, daß sie uns sahen.

»Wenn Ligessac klug ist«, sagte Arthur, »ist er längst von hier verschwunden. Sie müssen uns inzwischen gesehen haben.«

»Und was sagen wir Mordred?«

»Die Wahrheit natürlich«, antwortete Arthur düster. Seine Rüstung bestand aus dem schlichten Helm und dem einfachen Lederpanzer eines Speerkämpfers, aber selbst diese bescheidenen Dinge wirkten sauber und adrett an ihm. Seine Eitelkeit war nicht so sehr auf Glanz gerichtet wie bei Lancelot, vielmehr legte er besonderen Wert auf Reinlichkeit, und dieser ganze Ausflug in die wilden Hochlande beleidigte irgendwie seinen Sinn für Sauberkeit und Ordnung. Das Wetter machte auch nichts besser, denn es war ein rauher, kalter Sommertag, und der eisige Wind peitschte von Westen her Regen übers Land.

Arthur mochte finsterer Laune sein, unsere Speerkämpfer dagegen waren fröhlich. Sie machten Scherze über die Erstürmung der Festung des mächtigen Königs Cadoc, brüsteten sich mit dem Gold, den Kriegerringen und den Sklaven, die sie bei diesem Angriff erobern würden, und mußten dann über ihre übertriebenen Erwartungen selbst lachen, als wir schließlich den letzten Bergsattel überquerten und ins Tal hinabsehen konnten, in dem Ligessac Zuflucht gefunden hatte. Es war in der Tat ein elender Flecken – ein Meer von Schlamm, in dem ein Dutzend runde Steinhütten eine kleine, rechteckige Steinkirche umstanden. Es gab ein paar armselige Gemüsegärten, einen kleinen, dunklen See, ein paar Steinhürden für die Ziegen der Gemeinde, aber keine Palisade. Das einzige, was dem Tal zur Verteidigung diente, war ein schweres Steinkreuz, in das verschlungene Muster sowie das Bild des Christengottes gemeißelt waren, der in seinem Glanz im Himmel thronte. Das Kreuz, eine wundervolle

Steinmetzarbeit, markierte den Bergsattel, an dem Cadocs Land begann. Arthur ließ unsere Kriegshorde neben diesem Kreuz, in voller Sicht der winzigen Siedlung, die nur ein Dutzend Speerwürfe entfernt lag, haltmachen. »Wir werden nicht widerrechtlich eindringen«, erklärte er gutmütig, »bevor wir Gelegenheit hatten, mit ihnen zu sprechen.« Er stützte seinen Speerschaft neben den Vorderhufen seines Pferdes auf den Boden und wartete.

Etwa ein Dutzend Personen waren auf dem Gelände zu sehen, die aber, sobald sie unser ansichtig wurden, in die Kirche flohen, aus der einen Augenblick später ein gigantischer Mann hervorkam und den Weg zu uns heraufzusteigen begann. Er war ein Riese, so groß wie Merlin, aber mit einer mächtigen Brust und großen, zupackenden Händen. Außerdem war er völlig verdreckt, sein Gesicht ungewaschen und sein braunes Gewand schmutzverkrustet, während seine grauen Haare, nicht weniger schmutzig als sein Gewand, noch nie geschnitten worden zu sein schienen. Sein Bart wucherte wild bis unter seine Taille, und die Haare hinter seiner Tonsur standen in schmutzigwirren Strähnen wie ein dickes graues, frisch geschorenes Vlies nach allen Seiten ab. Sein Gesicht war sonnengebräunt, sein Mund breit, und seine Stirn sprang über zornigen Augen vor. Es war ein eindrucksvolles Gesicht. In der Rechten trug er einen Stab, an seiner linken Hüfte hing ein mächtiges, rostiges Schwert ohne Scheide. Er sah aus, als wäre er früher einmal ein tüchtiger Speerkämpfer gewesen, und ich zweifelte nicht daran, daß er noch immer ein paar recht harte Schläge auszuteilen vermochte. »Ihr seid hier nicht willkommen!« rief er uns zu, als er näher kam. »Es sei denn, Ihr gebt Eure elenden Seelen in Gottes Hand.«

»Unsere Seelen sind bereits in den Händen unserer Götter«, antwortete Arthur liebenswürdig.

»Heiden!« spie uns der starke Mann, in dem ich den berühmten Cadoc vermutete, giftig entgegen. »Ihr kommt in Eisen und Stahl an einen Ort, wo Christi Kinder mit dem Lamm Gottes spielen?«

»Wir kommen in Frieden«, versicherte Arthur.

Der Bischof spuckte einen dicken gelblichen Klumpen Schleim in unsere Richtung. »Ihr seid Arthur ap Uther ap Satan«, behauptete er, »und Eure Seele ist ein dreckiger Lumpen!«

»Und Ihr seid, nehme ich an, Bischof Cadoc«, gab Arthur höflich zurück.

Der Bischof stellte sich neben das Kreuz und kratzte mit dem Ende seines Stabes einen Strich in den staubigen Pfad. »Nur die Gläubigen und Bußfertigen dürfen diese Grenze überschreiten«, erklärte er. »Denn dies ist Gottes geheiligter Boden.«

Ein paar Herzschläge lang starrte Arthur auf das morastige Elend unten im Tal hinab. Dann lächelte er den trotzigen Cadoc würdevoll an. »Ich habe nicht den Wunsch, Euren Gottesboden zu betreten, Bischof«, erklärte er, »aber ich bitte Euch in Frieden, uns den Mann namens Ligessac auszuliefern.«

»Ligessac«, gab Cadoc weithin dröhnend zurück, als spräche er nicht zu uns, sondern zu einer Versammlung von Tausenden,

»ist Gottes gesegnetes und geheiligtes Kind. Er hat hier bei uns Zuflucht gesucht, und weder Ihr noch irgendein anderer sogenannter Lord darf in diese Freistätte eindringen.«

Arthur lächelte. »Hier regiert ein König, Bischof, nicht Euer Gott. Nur Cuneglas darf Zuflucht gewähren, und das hat er nicht getan.«

»Mein König, Arthur«, widersprach Cadoc stolz, »ist der König der Könige, und er hat mir befohlen, Euch den Zutritt zu verwehren.«

»Ihr wollt mir Widerstand leisten?« erkundigte sich Arthur mit höflichem Erstaunen in der Stimme.

»Bis in den Tod«, rief Cadoc.

Arthur schüttelte traurig den Kopf. »Ich bin kein Christ, Bischof«, erklärte er freundlich, »aber predigt Ihr nicht, daß

Eure Anderwelt ein Ort reiner Freude ist?« Als Cadoc nicht antwortete, zuckte Arthur die Achseln. »Also tue ich Euch einen Gefallen, wenn ich Euch möglichst schnell dorthin befördere, nicht wahr?« Kaum hatte er die Frage gestellt, da zog er auch schon Excalibur.

Mit seinem Stab vertiefte der Bischof den Strich, den er quer über den staubigen Weg gezogen hatte. »Ich verbiete Euch, diese Grenze zu überschreiten!« rief er laut. »Ich verbiete es im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!«

Dann hob er den Stab und deutete damit auf Arthur. Einen Herzschlag lang hielt er den Stab auf ihn gerichtet, dann ließ er seine Spitze wandern, bis sie auf uns andere zeigte. Ich muß

gestehen, daß mir in diesem Moment ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Cadoc war kein Merlin, und sein Gott hatte, wie ich vermutete, nicht so viel Macht wie Merlins Götter, und dennoch erschauerte ich, als der Stab auf mich wies. Meine Angst veranlaßte mich, mein Kettenhemd zu berühren und auf den Weg zu spucken. »Ich werde mich jetzt meinen Gebeten widmen, Arthur«, erklärte Cadoc, »und wenn Ihr weiterleben wollt, solltet Ihr Euch jetzt umwenden und diesen Ort verlassen, denn wenn Ihr an diesem heiligen Kreuz vorübergeht – das schwöre ich Euch beim süßen Blut unseres Herrn Jesus Christus –, werden Eure Seelen qualvoll in der Hölle schmoren. Ihr werdet das ewige Feuer kennenlernen. Ihr werdet verflucht vom Anbeginn der Zeiten bis zu ihrem Ende, und vom Himmelsgewölbe bis auf den tiefsten Grund der Hölle.« Mit diesem mächtigen Fluch spie er noch ein weiteres Mal aus, machte kehrt und ging davon.

Mit dem Saum seines Mantels wischte Arthur den Regen von Excalibur und schob dann sein Schwert in die Scheide zurück.

»Mir scheint, daß wir nicht willkommen sind«, sagte er mit einer gewissen Belustigung. Er wandte sich um und winkte Balin, dem ältesten der anwesenden Kavalleristen. »Ihr nehmt die Reiter«, befahl ihm Arthur, »und schlagt Euch zur anderen Seite der Siedlung durch. Sorgt dafür, daß niemand entflieht. Sobald Ihr an Ort und Stelle seid, werde ich mit Derfel und seinen Männern kommen, um die Häuser zu durchsuchen. Und aufgepaßt!« Er hob die Stimme, damit alle sechzig Mann ihn hören konnten. »Diese Leute leisten Widerstand. Sie werden uns provozieren und bekämpfen, aber wir wollen keinen Streit mit ihnen. Wir wollen einzig und allein Ligessac. Ihr werdet sie nicht bestehlen, und ihr werdet keinen von ihnen unnötig verletzen. Ihr werdet immer daran denken, daß ihr Krieger seid, sie aber nicht. Ihr werdet sie rücksichtsvoll behandeln und ihren Flüchen mit Schweigen begegnen.« Sein Ton war streng, und als er sicher war, daß unsere Männer ihn alle verstanden hatten, lächelte er Balin zu und winkte ihm loszureiten. Die dreißig gewappneten Reiter machten sich auf. Sie verließen den Pfad und galoppierten um den Talrand herum bis zum gegenüberliegenden Hang hinter dem Dorf. Cadoc, der noch zu seiner Kirche unterwegs war, warf einen kurzen Blick zu ihnen hinüber, ließ aber keine Beunruhigung erkennen.

»Ich möchte wissen, woher er wußte, wer ich bin«, sagte Arthur.

»Ihr seid berühmt, Lord«, gab ich zurück. Ich nannte ihn immer noch Lord und würde es natürlich weiterhin tun.

»Mein Name ist vielleicht bekannt, nicht aber mein Gesicht. Nicht hier.« Achselzuckend tat er das Rätsel ab. »War Ligessac schon immer ein Christ?«

»Seit ich ihn kenne. Aber niemals ein guter.«

Er lächelte. »Je älter man wird, desto leichter fällt einem das tugendhafte Leben. Wenigstens stelle ich mir das so vor.« Er beobachtete, wie seine Reiter um das Dorf herumgaloppierten und die Hufe ihrer Pferde dicke Wasserfontänen aus dem triefnassen Gras aufspritzen ließen. Dann zückte er seinen Speer und wandte sich zu meinen Männern um. »Nicht vergessen: kein Diebstahl!« Ich fragte mich, was an einem so tristen Ort wohl stehlenswert sein könne, doch Arthur wußte, daß Speerkämpfer fast immer irgendein Andenken auftreiben.

»Ich will keinen Ärger«, erklärte Arthur ihnen. »Wir suchen lediglich nach unserem Mann, dann verschwinden wir sofort wieder.« Damit berührte er Llamreis Flanken, und die schwarze Stute setzte sich gehorsam in Bewegung. Wir Fußsoldaten folgten ihm und löschten mit unseren Stiefeln dabei die Grenze aus, die Cadoc neben dem schön verzierten Kreuz in den schmutzigen Pfad geritzt hatte. Kein Feuer kam vom Himmel herab.

Der Bischof hatte inzwischen die Kirche erreicht. An ihrer Türöffnung wandte er sich um, sah uns kommen und schlüpfte dann hinein. »Sie wußten, daß wir kommen«, sagte Arthur zu mir. »Also werden wir Ligessac hier nicht finden. Ich fürchte, Derfel, wir verschwenden unsere Zeit.« Ein lahmes Schaf hinkte über den Weg, und Arthur zügelte sein Pferd, um es vorbeihumpeln zu lassen. Ich sah, wie er erschauerte, und ahnte, daß er sich vom Schmutz der Siedlung, der fast an die unbeschreiblichen Zustände auf Nimues Tor herankam, abgestoßen fühlte.

Als wir nur noch einhundert Schritt entfernt waren, erschien Cadoc abermals an der Kirchentür. Inzwischen warteten unsere Reiter hinter dem Dorf, aber Cadoc machte sich nicht einmal die Mühe nachzusehen, wo sie waren. Er hob nur ein riesiges Widderhorn an die Lippen und ließ einen Ruf ertönen, der in der kahlen Senke zwischen den Hügeln hohl widerhallte. Er stieß einmal ins Horn, hielt inne, um tief Luft zu holen, und blies abermals hinein.

Und plötzlich befanden wir uns in einer Schlacht. Sie hatten natürlich gewußt, daß wir kommen würden, und waren auf uns vorbereitet. Alle Christen aus Powys und Siluria mußten zu Cadocs Verteidigung herbeigerufen worden sein, und diese Männer tauchten nun auf den Hügelrücken rings um das Tal auf, während andere hinübereilten, um uns den Rückweg abzuschneiden. Einige trugen Speere, einige trugen Schilde, und einige hatten nichts weiter als Sicheln oder Heuforken, aber sie alle wirkten zuversichtlich. Viele, das wußte ich, waren vermutlich ehemalige Speerkämpfer einer Landwehr, aber was diesen Christen wirklich Zuversicht verlieh, das war – vom Glauben an ihren Gott einmal abgesehen – die Tatsache, daß sie mindestens zweihundert Mann zählten. »Diese Narren!« sagte Arthur zornig. Er haßte unnötige Gewalttätigkeit, war sich aber im klaren darüber, daß

es jetzt unvermeidlich war, Menschen zu töten. Er wußte auch, daß wir gewinnen würden; denn nur Fanatiker, die überzeugt waren, ihr Gott werde für sie kämpfen, würden sich gegen sechzig von Dumnonias besten Kriegern stellen. »Diese Narren!« stieß er nochmals hervor. Er warf einen Blick zum Dorf hinüber, wo er entdeckte, daß weitere Bewaffnete aus den Hütten geströmt kamen. »Ihr bleibt hier, Derfel!« befahl er mir.

»Haltet sie einfach auf, dann werden wir sie schon davonschicken.« Er gab Llamrei die Sporen und galoppierte allein ums Dorf herum zu seinen Reitern.

»Schildring«, befahl ich leise. Da wir nur dreißig Mann waren, ergab unser zweireihiger Schildring einen so kleinen Kreis, daß er den heulenden Christen, die jetzt die Hänge herab

– und aus dem Dorf herausgerannt kamen, um uns zu vernichten, wie ein leichtes Ziel vorgekommen sein muß. Der Schildring ist bei den Soldaten nicht sehr beliebt, weil die Speerspitzen, die aus dem Kreis herausragen, weit voneinander entfernt sind, und je enger der Ring, desto größer die Lücken zwischen den Speerspitzen. Doch meine Männer waren gut ausgebildet. Die Krieger der Außenreihe knieten so nieder, daß

ihre Schilde einander berührten, und rammten die Enden ihrer langen Speere fest in den Boden dahinter. Wir anderen in der zweiten Reihe legten unsere Schilde über die Schilde der ersten Reihe und stützten sie so auf den Boden, daß unsere Angreifer einen doppelten Wall aus lederbezogenem Holz vor sich hatten. Dann stellte sich jeder von uns hinter einen knienden Mann und zielte mit seinem Speer über ihn hinweg. Unsere Aufgabe war es, die Frontreihe zu beschützen, während deren Aufgabe es vor allem war, standzuhalten. Es würde ein hartes, blutiges Ringen geben, aber solange die knienden Männer ihre Schilde senkrecht und ihre Speere fest eingestemmt hielten und solange wir sie gut beschützten, würde der Schildring halten. Ich erinnerte die Knienden an ihre Ausbildung, erklärte ihnen, daß sie nichts anderes seien als ein Hindernis und daß sie das Töten uns überlassen sollten. »Bel steht uns bei«, versicherte ich ihnen.

»Und Arthur auch«, setzte Issa begeistert hinzu. Denn es war Arthur, der an diesem Tag das Töten übernahm. Wir waren der Köder, er war der Vollstrecker, und Cadocs Männer schluckten den Köder wie ein gieriger Lachs eine Eintagsfliege. Cadoc persönlich leitete den Angriff aus dem Dorf. Er war mit seinem rostigen Schwert bewaffnet und trug einen großen Rundschild mit einem schwarzen Kreuz, unter dem ich jedoch gerade noch die Umrisse des silurischen Fuchses ausmachen konnte. Cadoc war also einmal Speerkämpfer in Gundleus’ Diensten gewesen.

Die Christen griffen nicht als Schildwall an – was ihnen möglicherweise den Sieg eingetragen hätte –, sondern attackierten in der uralten Formation, welche die Römer uns schon vor langer Zeit ausgetrieben hatten. In den alten Zeiten, als die Römer noch neu in Britannien waren, hatten sich angreifende Keltenstämme in einem triumphierenden, heulenden, metbefeuerten Haufen auf sie gestürzt. Derartige Attacken waren fürchterlich anzusehen, für disziplinierte Soldaten aber mühelos abzuwehren, und meine Speerkämpfer waren einmalig diszipliniert.

Ganz zweifellos empfanden sie Furcht. Ich selbst empfand auch Furcht, denn so ein wutheulender Angriff ist ein erschreckender Anblick. Im Kampf gegen undisziplinierte Männer führt er aufgrund des Entsetzens, das er auslöst, zum Erfolg; und hier erlebte ich zum ersten Mal persönlich die uralte britannische Art, Schlachten zu führen. Cadocs Christen stürzten sich voll Fanatismus auf uns und wetteiferten darum, wer wohl der erste wäre, der sich auf unsere Speere warf. Sie kreischten, stießen Flüche aus, und mir schien, als hätte jeder einzelne von ihnen den Wunsch, entweder Märtyrer oder Held zu werden. In diesem wilden Ansturm gab es sogar Frauen, die laut kreischend ihre Holzknüppel und Sicheln schwangen. Selbst Kinder liefen in diesem heulenden Pöbelhaufen mit.

»Bel!« schrie ich laut, als der erste Mann über die Knienden des äußeren Kreises zu springen versuchte und auf meiner Speerspitze starb. Ich spießte ihn auf wie einen Hasenbraten, dann schleuderte ich ihn mitsamt meinem Speer aus unserem Kreis hinaus, damit sein sterbender Körper ein Hindernis für seine Kampfgefährten bildete. Den nächsten Mann tötete Hywelbane, und ich hörte, wie meine Speerkämpfer ihren furchterregenden Schlachtgesang anstimmten, während sie stießen, rissen, hieben und schnitten. Wir waren ja alle so gut, so schnell, und so durch und durch trainiert! Für diesen Schildring hatte es viele Stunden langweiliger Ausbildung bedurft, und obwohl es Jahre her war, daß die meisten von uns tatsächlich in einer Schlacht gekämpft hatten, entdeckten wir, daß unsere alten Instinkte noch immer so wach waren wie damals – und nur der Instinkt und die Erfahrung waren es, die uns an jenem Tag am Leben erhielten. Der Feind war eine kreischende, erdrückende Masse von Fanatikern, die auf unseren Ring eindrangen und die Speere nach uns reckten; doch unser Außenring blieb fest wie ein Fels, und die übrigen Angreifer wurden von dem Wall toter und sterbender Feinde behindert, der vor unseren Schilden immer höher wurde. Während der ersten ein, zwei Minuten, als der Boden um unseren Schildring noch frei war und die Feinde noch ziemlich nahe an uns herangelangen konnten, war der Kampf hektisch; sobald wir jedoch vom Ring der Toten und Sterbenden geschützt wurden, versuchten nur noch die tapfersten Feinde zu uns durchzudringen, so daß wir fünfzehn Mann im inneren Ring uns die Ziele in Ruhe aussuchen und sie zu Speer-und Schwerkampfübungen benutzen konnten. Wir kämpften flink, wir feuerten einander an, und wir töteten ohne Gnade. Cadoc selbst griff schon früh in den Kampf ein. Er schwang sein riesiges, rostiges Schwert so wuchtig, daß es regelrecht durch die Luft pfiff. Er kannte sich aus im Kriegsgeschäft, also versuchte er einen der knienden Männer niederzuschlagen; denn er wußte, sobald der äußere Ring durchbrochen war, würden wir übrigen sehr schnell sterben. Ich parierte den mächtigen Hieb mit Hywelbane, konterte mit einem schnellen Rückhandschlag, der sich in seinem verfilzten Haarschopf verfing; dann rammte Eachern, der zähe, kleine irische Speerkämpfer, der mir trotz Mordreds Drohungen immer noch diente, dem Bischof seinen Speerschaft ins Gesicht. Eacherns Speerspitze war verschwunden, von einem Schwerthieb abgeschlagen, aber er stieß Cadoc das Eisenende des Schaftes in die Stirn. Einen Augenblick starrte der Bischof schielend ins Leere, während sein offener Mund verfaulte Zähne entblößte, dann sank er lautlos in den Schlamm.

Der letzte Angreifer, der den Schildring zu durchbrechen versuchte, war eine zottelhaarige Frau, die über den Wall der Toten kletterte und mir einen Fluch entgegenschleuderte, während sie über die knienden Männer des Außenkreises zu steigen versuchte. Ich packte sie bei den Haaren, wartete ab, bis ihre Sichel an meinem Panzerhemd stumpf wurde, und schleppte sie dann in die Mitte des Ringes, wo Issa sie hart auf den Kopf trat. In diesem Moment griff Arthur an. Dreißig Reiter mit Langspeeren stießen in den christlichen Mob hinein. Wir selbst hatten uns, wie ich vermute, ungefähr drei Minuten lang verteidigt, aber als Arthur kam, war der Kampf innerhalb eines Augenblicks beendet. Seine Reiter kamen mit angelegten Speeren herangaloppiert, und ich sah einen gräßlichen Blutregen aufsprühen, als einer der Speere sein Ziel traf; dann ergriffen unsere Angreifer in panischer Angst die Flucht. Arthur, der seinen Speer zu Boden geworfen hatte und nun Excalibur schwang, rief seinen Männern zu, mit dem Töten innezuhalten. »Jagt sie einfach nur davon!« rief er.

»Jagt sie davon!« Seine Reiter teilten sich in kleine Gruppen, die die entsetzten Überlebenden auseinandertrieben und den Weg zum großen Kreuz hinaufjagten.

Meine Männer entspannten sich. Issa saß noch auf der filzhaarigen Frau, während Eachern seine verlorene Speerspitze suchte. Zwei Mann aus dem Schildring hatten schwere Wunden davongetragen, und ein Mann aus dem zweiten Kreis hatte eine gebrochene, blutende Kinnlade; sonst aber waren wir unverletzt, während rings um uns dreiundzwanzig Leichen und mindestens ebenso viele schwerverwundete Männer lagen. Cadoc war ganz benommen von Eacherns Stoß, lebte aber noch; also fesselten wir ihn an Händen und Füßen und schnitten ihm dann, trotz Arthurs Anweisung, unserem Feind Achtung entgegenzubringen, Haare und Bart ab, um ihn zu demütigen. Er spie uns an und verfluchte uns, wir aber stopften ihm das Maul mit dicken Büscheln seines fettstarrenden Bartes und brachten ihn dann ins Dorf zurück.

Dort entdeckte ich Ligessac. Er war doch nicht geflohen, sondern hatte vor dem kleinen Altar der Kirche gewartet. Er war inzwischen ein alter Mann, mager und grau, und ergab sich widerspruchslos, selbst als wir ihm den Bart abschnitten und aus seinen Haaren ein grobes Seil flochten, das wir ihm zum Zeichen, daß er ein verurteilter Verräter war, um den Hals banden. Er schien sich sogar zu freuen, mich nach all den Jahren wiederzusehen. »Ich hab’ ihnen gesagt, daß sie Euch nicht schlagen werden«, erklärte er, »nicht Derfel Cadarn.«

»Sie wußten, daß wir kommen?« fragte ich ihn.

»Wir wußten es schon seit einer Woche«, antwortete er und streckte die Hände aus, damit Issa sie mit einem Strick fesseln konnte. »Wir wollten, daß Ihr kommt. Wir dachten, dies sei unsere Chance, Britannien von Arthur zu befreien.«

»Warum solltet Ihr das tun wollen?« fragte ich ihn.

»Weil Arthur ein Feind der Christen ist, darum«, antwortete Ligessac.

»Das ist er nicht«, widersprach ich verächtlich.

»Was wißt Ihr denn schon, Derfel?« fragte mich Ligessac.

»Wir bereiten Britannien auf die Wiederkehr Christi vor, deswegen müssen wir die Heiden aus dem Land vertreiben!«

Er gab diese Erklärung mit lauter, trotziger Stimme ab, zuckte dann die Achseln und grinste. »Aber ich hab’ ihnen gesagt, daß

sie Arthur und Derfel auf diese Art nicht töten können. Ihr seid zu gut, hab’ ich zu Cadoc gesagt.« Er stand auf und folgte Issa zur Kirche hinaus. An der Tür wandte er sich noch einmal zu mir zurück. »Ich werde jetzt wohl sterben müssen, wie?« fragte er mich.

»In Dumnonia«, gab ich zurück.

Er zuckte die Achseln. »Ich werde vor Gottes Antlitz treten«, sagte er. »Was habe ich da zu befürchten?«

Ich folgte ihm zur Kirche hinaus. Arthur hatte dem Bischof den Knebel aus dem Mund genommen, so daß Cadoc uns mit einem Strom schmutzigster Beschimpfungen empfing. Ich kitzelte dem Bischof das frisch rasierte Kinn mit Hywelbane.

»Er wußte, daß wir kommen«, berichtete ich Arthur. »Sie hatten vor, uns hier zu töten.«

»Das ist ihm nicht gelungen«, sagte Arthur und wandte hastig den Kopf ab, um einem Batzen bischöflichem Speichel auszuweichen. »Steckt Euer Schwert weg«, befahl er mir.

»Ihr wollt ihn nicht töten?« fragte ich ihn verwundert.

»Seine Strafe besteht darin, hier zu leben statt im Himmel«, bestimmte Arthur.

Wir nahmen Ligessac und marschierten davon, doch keiner von uns dachte richtig über das nach, was Ligessac mir in der Kirche verraten hatte. Seit einer Woche hätten sie gewußt, daß

wir kommen, hatte er gesagt; doch vor einer Woche waren wir noch in Dumnonia gewesen, nicht in Powys, und das bedeutete, daß irgend jemand in Dumnonia sie vor uns gewarnt haben mußte. Keiner von uns kam auf den Gedanken, jemanden in Dumnonia mit diesem schlammigen Massaker in den öden Bergen in Verbindung zu bringen, aber dieser Hinterhalt war geplant.

Bis heute gibt es natürlich Christen, die eine ganz andere Geschichte erzählen. Sie behaupten, Arthur habe Cadocs Refugium überfallen, die Frauen geschändet, die Männer getötet und alle Schätze in Cadocs Besitz gestohlen; ich aber hatte keine einzige Vergewaltigung gesehen, wir haben nur jene getötet, die uns töten wollten, und einen Schatz, den wir hätten stehlen können, habe ich nicht gefunden. Und selbst wenn es einen gegeben hätte, so hätte Arthur ihn nicht angerührt. Es sollte zwar eine Zeit kommen, und die lag in nicht allzu ferner Zukunft, da ich zusehen mußte, wie Arthur mutwillig tötete, doch jene Toten sollten allesamt Heiden sein. Dennoch beharrten die Christen darauf, daß er ihr Feind sei, und die Geschichte von Cadocs Niederlage verstärkte ihren Haß auf ihn noch. Cadoc wurde zum lebenden Heiligen erhoben, und zwar ungefähr zur selben Zeit, da die Christen Arthur als Feind Gottes zu bezeichnen begannen. Und diese böse Bezeichnung sollte ihn bis ans Ende seiner Tage verfolgen.

Sein Verbrechen bestand natürlich nicht darin, in Cadocs Tal ein paar Christenköpfe einzuschlagen, sondern darin, daß er während seiner Regentschaft in Dumnonia das Heidentum duldete. Den fanatischeren Christen ging nie auf, daß Arthur selbst Heide war und also die Christen duldete – sie verurteilten ihn, weil er die Macht hatte, das Heidentum auszurotten, und es nicht tat, und diese Sünde machte ihn zum Feind Gottes. Außerdem erinnerten sie sich natürlich daran, daß er Uthers Anordnung, die Kirche von erzwungenen Darlehen auszunehmen, widerrufen hatte.

Nicht alle Christen haßten ihn. Mindestens zwanzig jener Speerkämpfer, die mit uns in Cadocs Tal fochten, waren selber Christen. Galahad liebte ihn, und es gab viele andere, wie etwa Bischof Emrys, die ihn insgeheim unterstützten; aber die Kirche hörte in jenen unruhigen Zeiten gegen Ende der ersten fünfhundert Jahre von Christi Herrschaft auf Erden nicht auf diese stillen, anständigen Männer, sondern nur auf die Fanatiker, die behaupteten, wenn Christus wiederkehren solle, müsse die Welt von den Heiden befreit werden. Heute weiß ich natürlich, daß der Glaube an unseren Herrn Jesus Christus der einzig wahre Glaube ist und daß im strahlenden Licht seiner Wahrheit kein anderer Glaube bestehen kann; aber ich fand –

und finde – es dennoch seltsam, daß Arthur, der gerechteste und gesetzesgetreueste aller Herrscher, als Feind Gottes bezeichnet wurde.

Wie auch immer. Wir machten Cadoc Kopfschmerzen, legten Ligessac ein Halsband aus seinem eigenen Bart um und verließen den unwirklichen Ort.

Arthur und ich trennten uns an dem Steinkreuz auf der Paßhöhe über Cadocs Tal. Er wollte Ligessac nach Norden bringen und sich anschließend gen Osten wenden, um die guten Straßen zu nehmen, die nach Dumnonia zurückführten –

während ich beschlossen hatte, tiefer nach Siluria hineinzureisen, um nach meiner Mutter zu suchen. Issa sowie vier weitere Speerkämpfer nahm ich mit, die übrigen ließ ich mit Arthur heimwärts marschieren.

Wir sechs schlugen einen Kreis um Cadocs Tal, in dem sich eine klägliche Schar verletzter und blutbesudelter Christen versammelt hatte, um Gebete für ihre Toten anzustimmen, und marschierten dann über die hohen, kahlen Hügel und wieder bergabwärts in tiefe, grüne Täler hinein, die zum Severn-Meer führten. Ich wußte nicht, wo Erce lebte, vermutete aber, daß sie nicht schwer zu finden sein würde; denn Tanaburs, der Druide, den ich im Lugg Vale getötet hatte, hatte sie aufgesucht, um sie mit einem schrecklichen Zauberbann zu belegen, und eine sächsische Sklavin, die von dem Druiden derart verflucht worden war, mußte überall gut bekannt sein. Das traf zu. Ich fand sie am Meer in einem winzigen Dorf, wo die Frauen Salz siedeten und die Männer Fische fingen. Die Dorfbewohner schraken vor den unvertrauten Schilden meiner Männer zurück, aber ich betrat eine der armseligen Hütten, wo mir ein Kind mit ängstlichem Blick den Weg zum Haus der Sächsin wies: eine Hütte, die hoch über dem Strand auf einer zerklüfteten Klippe stand. Es war nicht einmal eine Hütte, sondern eher ein primitiver Unterschlupf aus Treibholz, gedeckt mit ausgefranstem Reet aus Seetang und Stroh. Auf dem kleinen Platz vor dem Unterschlupf brannte ein Feuer, in dessen Qualm etwa ein Dutzend Fische vor sich hin räucherten. Noch dickerer Rauch stieg von den Kohlefeuern am Fuß der Klippe auf, auf denen in großen Pfannen das Salz siedete. Ich ließ Speer und Schild am Fuß der Klippe zurück und erklomm den steilen Pfad. Eine Katze zeigte mir die Zähne und fauchte mich an, als ich mich bückte, um in die dunkle Hütte hineinzuspähen. »Erce?« rief ich. »Erce?«

Irgend etwas bewegte sich schwerfällig in den Schatten. Es war eine unförmige, dunkle Gestalt, die sich aus vielen Schichten Fellen und Lumpen schälte, um zu mir

herüberzustarren. »Erce?« fragte ich. »Seid Ihr Erce?«

Was hatte ich an jenem Tag erwartet? Ich hatte meine Mutter seit über dreißig Jahren nicht mehr gesehen, seit jenem Tag, da ich von Gundleus’ Speerkämpfern aus ihren Armen gerissen und Tanaburs als Opfer für die Todesgrube übergeben worden war. Erce hatte geschrien, als ich ihr fortgenommen wurde, und dann hatte man sie in eine neue Sklaverei nach Siluria entführt. Sie muß geglaubt haben, ich sei tot, bis Tanaburs ihr endlich verriet, daß ich noch am Leben war. In meinen unruhigen Gedanken hatte ich mir, während ich durch Silurias tiefe Täler südwärts marschierte, eine Umarmung, Tränen, Verzeihung und Glück vorgestellt.

Statt dessen kam eine unförmige Frau, das einstmals blonde Haar zu schmutzigem Grau verfärbt, aus dem Durcheinander von Fellen und Decken hervorgekrochen, um mich

argwöhnisch zu beäugen. Sie war unglaublich fett, ein riesiger Fleischberg. Ihr Gesicht, so rund wie ein Schild, war von Krankheiten und Narben entstellt, und ihre Augen waren klein, hart und blutunterlaufen. »Früher nannte man mich Erce«, antwortete sie mit heiserer Stimme.

Abgestoßen von dem Gestank nach Urin und Fäulnis, zog ich mich aus der Hütte zurück. Sie folgte mir, schwerfällig auf allen vieren kriechend, und spähte blinzelnd in die Morgensonne hinaus. Sie war in Lumpen gekleidet. »Seid Ihr Erce?« fragte ich sie abermals.

»Früher einmal«, antwortete sie und zeigte mir gähnend eine zerstörte, zahnlose Mundhöhle. »Vor langer Zeit. Jetzt nennt man mich Enna.« Sie hielt inne. »Die verrückte Enna«, ergänzte sie traurig. Dann musterte sie meine feinen Kleider, den kostbaren Schwertgurt und die hohen Stiefel. »Wer seid Ihr, Lord?«

»Mein Name ist Derfel Cadarn«, sagte ich. »Ich bin ein Lord aus Dumnonia.« Der Name schien ihr nichts zu bedeuten. »Ich bin Euer Sohn«, setzte ich hinzu.

Sie zeigte keine Reaktion auf meine Worte, sondern ließ sich an der Treibholzwand ihrer Hütte zu Boden sinken, die unter ihrem Gewicht gefährlich ins Wanken geriet. Sie schob eine Hand tief in ihre Lumpen und kratzte sich an der Brust. »Meine Söhne sind alle tot«, sagte sie.

»Mich hat Tanaburs genommen«, erinnerte ich sie, »und in die Todesgrube geworfen.«

Die Geschichte schien ihr nichts zu sagen. Sie lag zusammengesunken an der Wand; ihr riesiger Körper hob und senkte sich bei jedem mühsamen Atemzug. Sie spielte mit der Katze und starrte über das Severn-Meer hinweg bis dorthin, wo in der Ferne Dumnonias Küste lag – ein dunkler Streifen unter einer Front von Regenwolken. »Ich hatte einmal einen Sohn«, sagte sie schließlich, »der den Göttern in der Todesgrube geopfert wurde. Wygga hieß er. Wygga. Ein schöner Junge.«

Wygga? Wygga! Dieser Name, so primitiv und häßlich, ließ

mich ein paar Herzschläge lang verstummen. »Ich bin Wygga«, sagte ich schließlich, obwohl ich den Namen haßte. »Nachdem ich aus der Grube gerettet wurde, gab man mir einen anderen Namen«, erklärte ich ihr. Wir sprachen Sächsisch, eine Sprache, die ich inzwischen fließender beherrschte als meine Mutter, denn es war viele Jahre her, daß sie sie zuletzt benutzt hatte.

»Ach, nein«, sagte sie stirnrunzelnd. Ich sah eine Laus an ihrem Haaransatz entlangspazieren. »Nein«, wiederholte sie nachdrücklich. »Wygga war nur ein kleiner Junge. Nur ein kleiner Junge. Mein Erstgeborener war er, und sie haben ihn mir weggenommen.«

»Ich hab’s überlebt, Mutter«, versicherte ich ihr. Ich fühlte mich von ihr abgestoßen und dennoch fasziniert und bedauerte, daß ich je nach ihr gesucht hatte. »Ich habe die Todesgrube überlebt«, wiederholte ich, »und ich erinnere mich an Euch.«

Das tat ich wirklich, nur daß sie in meiner Erinnerung schlank und biegsam war wie Ceinwyn.

»Nur ein kleiner Junge«, sagte Erce verträumt. Sie schloß die Augen, und ich dachte schon, sie sei eingeschlafen, aber sie schien Wasser zu lassen, denn unter dem Saum ihrer Gewänder erschien ein Rinnsal und tropfte über die Felsen auf das dürftige Feuerchen zu.

»Erzählt mir von Wygga«, bat ich sie.

»Ich war schwanger mit ihm, als Uther mich gefangennahm«, sagte sie. »Ein riesiger Mann, dieser Uther, mit einem großen Drachen auf dem Schild.« Sie kratzte sich am Haaransatz, und die Laus verschwand in ihren Haaren. »Er schenkte mich Madog«, fuhr sie fort, »und auf Madogs Pachthof wurde Wygga dann geboren. Wir waren glücklich bei Madog«, sagte sie. »Er war ein guter Herr, war freundlich zu seinen Sklaven, aber dann kam Gundleus, und sie haben Wygga getötet.«

»Das haben sie nicht«, sagte ich eindringlich. »Hat Tanaburs Euch nichts davon erzählt?«

Als ich den Druiden erwähnte, erschauerte sie und zog sich den zerrissenen Schal fester um die fetten Schultern. Sie sagte nichts, aber nach einer Weile füllten sich ihre Augenwinkel mit Tränen.

Eine Frau stieg den Pfad zu uns herauf. Sie ging langsam und mißtrauisch und warf mir argwöhnische Blicke zu, als sie auf das Felsplateau heraufstieg. Als sie sich schließlich sicher fühlte, huschte sie an mir vorbei und kauerte sich neben Erce.

»Mein Name«, wandte ich mich an die Neuangekommene, »ist Derfel Cadarn, aber früher einmal hieß ich Wygga.«

»Mein Name ist Linna«, sagte die Frau in britannischer Sprache. Sie war jünger als ich, aber das harte Leben an dieser Küste hatte tiefe Falten in ihr Gesicht gegraben, ihre Schultern gebeugt und ihre Glieder versteift, während die Schwerarbeit an den Salzpfannenfeuern ihre Haut mit Kohle geschwärzt hatte.

»Ihr seid Erces Tochter?« fragte ich sie.

»Ennas Tochter«, berichtigte sie mich.

»Dann bin ich Euer Halbbruder«, sagte ich.

Ich denke, daß sie mir nicht glaubte, und warum hätte sie das auch tun sollen? Kein Mensch kam lebend aus einer Todesgrube, und dennoch hatte ich es geschafft. Deswegen war ich von den Göttern berührt und Merlin übergeben worden, aber was konnte diese Geschichte den beiden erschöpften, zerlumpten Frauen bedeuten?

»Tanaburs!« sagte Erce auf einmal und hob beide Hände, um das Böse abzuwehren. »Er hat mir Wyggas Vater genommen!«

klagte sie, sich vor und zurück wiegend. »Er ist in mich gefahren und hat mir Wyggas Vater genommen. Er hat mich verflucht, und er hat Wygga verflucht, und er hat meinen Schoß verflucht.« Jetzt weinte sie. Linna nahm ihre Mutter in die Arme und warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu.

»Tanaburs«, widersprach ich, »hatte keine Macht über Wygga. Wygga hat ihn getötet, weil er Macht über Tanaburs hatte. Tanaburs konnte Wyggas Vater nicht wegnehmen.«

Möglich, daß mich meine Mutter hörte, aber sie glaubte mir nicht. Sie ließ sich von ihrer Tochter in den Armen wiegen, und dicke Tränen rannen ihr über die pockennarbigen, verschmutzten Wangen, während sie sich an die nur halb verstandenen Bruchstücke von Tanaburs’ Fluch erinnerte.

»Wygga wird seinen Vater töten«, berichtete sie mir, »das hat der Fluch gesagt. Daß der Sohn den Vater töten wird.«

»Dann lebt Wygga also«, stellte ich fest.

Unvermittelt hörte sie auf, sich zu wiegen, und musterte mich. Sie schüttelte den Kopf. »Die Toten kommen zurück, um zu töten. Tote Kinder! Ich sehe sie, Lord, dort draußen.« Sie sagte es ernst und zeigte aufs Meer hinaus. »All die kleinen Toten, die ihrer Rache entgegengehen.« Wieder wiegte sie sich in den Armen ihrer Tochter. »Und Wygga wird seinen Vater töten.« Jetzt begann sie heftig zu weinen. »Und Wyggas Vater war ein so schöner Mann! Ein wahrer Held! So groß und stark. Und Tanaburs hat ihn verflucht.« Sie schniefte, flüsterte dann sekundenlang ein Wiegenlied, bevor sie wieder von meinem Vater sprach: daß sein Volk übers Meer nach Britannien gekommen sei und daß er sein Schwert benutzt habe, um sich ein schönes Haus zu bauen. Soviel ich verstand, war Erce Dienerin in jenem Haus gewesen, und der Sachsenlord hatte sie zu sich ins Lager geholt und mir das Leben geschenkt – das Leben, das mir in der Todesgrube zu nehmen Tanaburs nicht gelungen war. »Er war ein wunderbarer Mann«, sagte Erce von meinem Vater, »ein wunderbarer, schöner Mann! Alle haben ihn gefürchtet, aber zu mir war er immer gut. Wir haben so viel zusammen gelacht.«

»Wie war sein Name?« fragte ich sie. Ich glaube, ich kannte die Antwort, bevor sie sie mir gab.

»Aelle«, sagte sie flüsternd, »der wunderbare, schöne Aelle.«

Aelle. Der Rauch wirbelte in meinem Kopf, und mein Verstand war vorübergehend genauso verwirrt wie der Geist meiner Mutter. Aelle? Ich sollte Aelles Sohn sein?

»Aelle«, wiederholte Erce verträumt, »der wunderbare, schöne Aelle.«

Da ich keine weiteren Fragen hatte, zwang ich mich, vor meiner Mutter niederzuknien und sie zu umarmen. Ich küßte sie auf beide Wangen und drückte sie an mich, als könnte ich ihr ein wenig von dem Leben zurückgeben, das sie mir geschenkt hatte; und obwohl sie sich meiner Umarmung überließ, wollte sie immer noch nicht akzeptieren, daß ich ihr Sohn war. Ich holte mir Läuse bei ihr.

Ich zog Linna mit mir den Pfad hinab und erfuhr, daß sie mit einem Fischer im Dorf verheiratet war und sechs Kinder hatte. Ich gab ihr Gold, mehr Gold, glaube ich, als sie jemals zu sehen erwartet hatte, und wahrscheinlich auch mehr Gold, als sie jemals auf Erden vermutet hätte. Ungläubig starrte sie die kleinen Barren an.

»Ist unsere Mutter immer noch Sklavin?« fragte ich sie.

»Das sind wir alle«, antwortete sie, und ihre Geste umfaßte das ganze elende kleine Dorf.

»Mit dem hier könnt ihr euch allen die Freiheit erkaufen.«

Dabei zeigte ich auf das Gold. »Falls ihr das wollt.«

Sie zuckte die Achseln. Ich bezweifelte, daß ihr Leben in Freiheit anders aussehen würde als das, was sie gewohnt war. Ich hätte ihren Lord aufsuchen und ihnen die Freiheit selbst erkaufen können, aber der lebte zweifellos in weiter Ferne, und das Gold würde – klug ausgegeben – ihr schweres Leben ein wenig erleichtern, ob sie nun Sklaven blieben oder nicht. Eines Tages, nahm ich mir vor, würde ich zurückkommen und versuchen, mehr für sie zu tun.

»Kümmert Euch um unsere Mutter«, bat ich Linna.

»Das werde ich tun, Lord«, antwortete sie gehorsam. Aber sie glaubte mir, denke ich, immer noch nicht.

»Man nennt seinen eigenen Bruder nicht Lord«, ermahnte ich sie, aber sie ließ sich nicht davon abbringen.

Danach verließ ich sie und ging zur Küste hinunter, wo meine Männer mit dem Gepäck warteten. »Wir gehen nach Hause«, sagte ich. Es war immer noch Vormittag, und wir hatten einen langen Tagesmarsch vor uns. Den Rückmarsch in die Heimat.

Nach Hause, zu Ceinwyn. Nach Hause, zu meinen Töchtern, die von einem britischen Königshaus abstammten und dem königlichen Blut der sächsischen Feinde. Denn ich war Aelles Sohn. Ich stand auf einem grünen Hügel über dem Meer und dachte über die seltsamen Pfade des Schicksals nach, vermochte aber keinen Sinn darin zu finden. Ich war Aelles Sohn, aber was machte das für einen Unterschied? Es erklärte nichts, und es erlegte mir keine Verpflichtungen auf. Das Schicksal ist unerbittlich. Ich war auf dem Weg nach Hause.

Es war Issa, der den Rauch als erster entdeckte. Er hatte schon immer Augen wie ein Falke gehabt, und während ich an jenem Tag auf dem Hügel stand und versuchte, Sinn in die Enthüllungen meiner Mutter zu bringen, erspähte Issa den Rauch hinter dem Meer. »Lord?« sagte er, aber ich reagierte nicht gleich. Ich war noch immer benommen von dem, was ich erfahren hatte. Ich sollte meinen Vater töten? Und dieser Vater war Aelle? »Lord!« sagte Issa eindringlicher, um mich aus meinen Gedanken zu reißen. »Seht doch, Lord! Rauch!«

Er zeigte südwärts nach Dumnonia, und anfangs dachte ich, das Weiße sei lediglich ein heller Fleck in den Regenwolken; aber Issa war sich seiner Sache sicher, und zwei weitere Speerkämpfer bestätigten mir, daß das, was wir da sahen, Rauch sei und nicht etwa Wolken oder Regen. »Da ist noch mehr, Lord«, sagte einer von ihnen und deutete weiter nach Westen, wo sich ein weiterer weißer Fleck vom übrigen Grau abhob.

Ein Feuer hätte Zufall sein können, vielleicht eine brennende Halle oder ein trockenes Getreidefeld, das in Flammen stand; aber bei der herrschenden Feuchtigkeit wäre kein Feld in Brand geraten, und in meinem ganzen Leben hatte ich noch nie zwei Hallen gleichzeitig brennen sehen, es sei denn, ein Feind hätte sie angezündet.

»Lord?« fragte mich Issa drängend, denn auch er hatte eine Gemahlin in Dumnonia.

»Zurück zum Dorf!« befahl ich. »Sofort!«

Linnas Ehemann erklärte sich bereit, uns übers Meer zu bringen. Die Seereise war nicht lang, denn das Meer war hier höchstens ungefähr acht Meilen breit und für uns der kürzeste Weg nach Hause; aber wie alle Speerkämpfer zogen wir einen langen, trockenen Marsch einer kurzen, nassen Seereise vor, und so wurde diese Überfahrt für uns eine einzige eiskalte Qual. Ein frischer Wind war im Westen aufgekommen, der noch mehr Wolken und Regen heranbrachte, und mit ihm kam eine kurze, wogende Dünung, die über die niedrigen Schanzdecks des Bootes schlug. Wir putzten um unser Leben, während sich das zerlumpte Segel hinter uns blähte, klatschte und uns gen Süden zog. Unser Bootsmann, der sich Baiig nannte und mein Schwager war, erklärte uns, es gebe nichts Schöneres als ein gutes Boot in einem frischen Wind, und schickte brüllend seinen Dank zu Manawydan hinab, der uns dieses Wetter beschert hatte. Aber Issa fühlte sich hundeelend, ich würgte nur noch trocken, und wir alle waren froh, als wir nachmittags an einem dumnonischen Strand landeten, der höchstens drei, vier Stunden von zu Hause entfernt war. Ich bezahlte Baiig, dann marschierten wir durch flaches, feuchtes Gelände landeinwärts. Nicht weit vom Strand entfernt stießen wir auf ein Dorf, aber die Leute dort hatten den Rauch gesehen und waren verängstigt: Sie hielten uns fälschlich für ihre Feinde und suchten in ihren Hütten Schutz. Es gab eine kleine Kirche im Dorf, kaum mehr als eine strohgedeckte Hütte, an deren Giebel ein Holzkreuz genagelt war, aber die Christen waren fort. Einer der zurückgebliebenen heidnischen Dorfbewohner berichtete, die Christen seien alle ostwärts gezogen. »Sie sind ihrem Priester gefolgt, Lord«, erklärte er mir.

»Warum?« fragte ich ihn. »Wohin?«

»Wir wissen es nicht, Lord.« Er blickte zu dem fernen Rauch hinüber. »Sind die Sachsen wieder da?«

»Nein«, versicherte ich ihm und hoffte, daß ich recht hatte. Der dünner werdende Rauch schien mir höchstens sechs bis sieben Meilen entfernt zu sein, und ich bezweifelte, daß Aelle oder Cerdic so tief nach Dumnonia vorgedrungen waren. Falls doch, war jetzt ganz Britannien verloren.

Wir eilten weiter. Zu jenem Zeitpunkt wollten wir alle nur noch zu unseren Familien zurückkehren, und erst wenn wir uns davon überzeugt hatten, daß sie in Sicherheit waren, war es an der Zeit herauszufinden, was geschah. Um zu Ermids Halle zu gelangen, konnten wir zwischen zwei Routen wählen: Die eine, längere, lag landeinwärts und hätte uns vier bis fünf Stunden gekostet, einen großen Teil davon in der Dunkelheit; aber die andere ging quer durch die weiten Meeresmarschen von Avalon, einen tückischen Sumpf mit Bachläufen,

weidengesäumten Tümpeln und Ödland voller Riedgras, wo das Meer bei Flut und Westwind auflaufen und alles überschwemmen konnte, so daß der arglose Wanderer ertrank. Es gab Pfade durch das große Moor und sogar Holzstege, die dorthin führten, wo die Weidenstümpfe standen und die Aal-und Fischreusen gesetzt wurden, aber keiner von uns kannte diese Wege. Dennoch entschieden wir uns für die gefährlichen Pfade, denn sie boten uns den kürzesten Weg nach Hause. Als es Abend wurde, fanden wir einen Führer. Wie die meisten Moorbewohner war er Heide, und als er hörte, wer ich war, bot er mir freudig seine Dienste an. Inmitten der Marschen sahen wir den Tor im schwindenden Licht schwarz aufragen. Dort würden wir zuerst hingehen müssen, erklärte uns unser Führer, und uns einen der Bootsführer von Ynys Wydryn suchen, damit er uns mit einer Reetpunte über das seichte Gewässer von Issa’s Mere brachte.

Als wir das Dorf verließen, regnete es immer noch. Die Tropfen prasselten auf das Schilf und die Teiche; doch nach einer Stunde klarte es auf, und allmählich brach ein matter, milchiger Mond durch die dünner werdenden Wolken, die von Westen heranjagten. Unser Weg führte uns auf

Holzbohlenstegen über schwarze Gräben und am kunstvoll gearbeiteten Weidengeflecht der Aalreusen vorbei. Er schlängelte sich unnachvollziehbar über schillernde Moraststellen, wo unser Führer Bannsprüche gegen die Moorgeister flüsterte. In manchen Nächten, sagte er, schimmerten seltsame blaue Lichter im nassen Ödland: seiner Meinung nach die Geister jener, die in diesem Labyrinth aus Wasser, Schlamm und Riedgras umgekommen waren. Mit unseren Schritten stöberten wir kreischende Wildvögel von ihren Nestern auf, die in panischer Angst mit schwarzen Schwingen vor dem wolkenzerfetzten Himmel aufstiegen. Beim Marschieren unterhielt sich unser Führer mit mir. Er erzählte mir von den Drachen, die unter dem Moor schliefen, und den Dämonen, die durch die morastigen Bachläufe glitten. Er trug eine Kette aus den Rückenwirbeln eines Ertrunkenen –

er meinte, das sei der einzige sichere Schutzzauber gegen die fürchterlichen Dinge, die an unserem Weg lauerten. Mir schien, daß der Tor nicht näher kam, aber das lag wohl nur an unserer Ungeduld, denn Meter um Meter, Bachlauf um Bachlauf näherten wir uns ihm. Immer höher ragte der große Hügel in den wolkenzerrissenen Himmel, und da entdeckten wir einen hellen Lichtstreifen an seinem Fuß. Es waren riesige Flammen, und anfangs dachten wir, der Schrein zum Heiligen Dornbusch müsse brennen; doch als wir noch näher herankamen und die Flammen nicht heller wurden, vermutete ich, daß der Lichtschein von Freudenfeuern kam, möglicherweise entzündet, um irgendeinen christlichen Ritus zu illuminieren, der das Heiligtum vor Schaden bewahren sollte. Wir alle machten das Zeichen gegen das Böse, und dann erreichten wir endlich einen Damm, der vom Moor direkt zum höher gelegenen Ynys Wydryn führte.

Hier verließ uns unser Führer; er zog die Gefahren auf dem Moor den Gefahren eines von Feuern erleuchteten Ynys Wydryn vor. Also kniete er vor mir nieder, und ich belohnte ihn mit dem Rest meines Goldes, hob ihn auf und dankte ihm. Zu sechst zogen wir durch die kleine Stadt Ynys Wydryn, eine Niederlassung von Fischern und Korbmachern. Die Häuser waren dunkel, die Gassen menschenleer; nur Hunde und Ratten streunten herum. Wir gingen in Richtung der hölzernen Palisade, die das Heiligtum umgab, und obwohl wir den weißleuchtenden Rauch der Feuer über den Zaun emporsteigen sahen, konnten wir immer noch nicht erkennen, was sich drinnen abspielte. Unser Weg führte uns am Haupttor des Heiligtums vorbei, und beim Näherkommen entdeckte ich, daß zwei Speerkämpfer am Eingang Wache standen. Der Flammenschein, der durch das offene Tor drang, beleuchtete einen ihrer Schilde, und darauf prangte ein Symbol, das ich in Ynys Wydryn zuallerletzt erwartet hätte: Lancelots Seeadler mit dem Fisch in den Klauen.

Da wir unsere Schilde auf den Rücken gehängt hatten, so daß

der Stern darauf unsichtbar war, und obwohl wir alle die graue Wolfsrute trugen, schienen die Speerkämpfer uns für Freunde zu halten; denn sie riefen uns nicht an, als wir uns näherten, sondern rückten zur Seite, weil sie dachten, wir wollten das Heiligtum betreten. Erst als ich das Tor – voll Neugier auf Lancelots Beitrag zu den seltsamen Vorgängen dieses Abends

– schon halb durchschritten hatte, erkannten die beiden Wachen, daß wir nicht zu ihren Kameraden gehörten. Der eine versuchte mir mit dem Speer den Weg zu versperren. »Wer seid Ihr?« rief er mich im Kommandoton an.

Ich schob seinen Speer beiseite und stieß ihn, bevor er einen Warnruf ausstoßen konnte, rücklings zum Tor hinaus, während Issa seinen Kameraden nach draußen zerrte. Drinnen im Heiligtum war eine dichte Menge versammelt; aber die Leute kehrten uns alle den Rücken zu, und keiner hatte etwas von dem Handgemenge am Haupttor bemerkt. Und auch hören konnten sie nicht viel, denn die Menge skandierte und sang, und ihr Stimmengewirr übertönte die wenigen Geräusche, die wir machten. Ich zog meinen Gefangenen in den Schatten am Straßenrand und kniete neben ihm nieder. Als ich ihn aus der Toröffnung stieß, hatte ich meinen Speer fallen lassen, deswegen zog ich den kurzen Dolch, den ich an meinem Schwertgurt trug. »Seid Ihr Lancelots Mann?« fragte ich ihn.

»Ja«, stieß er hervor.

»Was habt Ihr dann hier zu suchen?« wollte ich wissen.

»Dieses Land gehört Mordred.«

»König Mordred ist tot«, sagte er voll Angst vor der Messerklinge, die ich an seine Kehle hielt. Ich schwieg, denn ich war so verblüfft über seine Antwort, daß mir schlichtweg die Worte fehlten. Der Mann muß gedacht haben, mein Schweigen sei der Vorbote für seinen Tod, denn plötzlich zeigte er sich verzweifelt. »Alle sind tot!« rief er aus.

»Wer?«

»Mordred, Arthur, alle!«

Ein paar Herzschläge lang war mir, als werde meine Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Der Mann versuchte sich gegen mich zu wehren, aber ein Druck meines Messers ließ ihn wieder ruhig werden. »Wie?« fragte ich leise.

»Ich weiß es nicht.«

»Wie?« fragte ich ein wenig lauter.

»Wir wissen es nicht!« beharrte er. »Mordred wurde getötet, bevor wir kamen, und Arthur, heißt es, starb in Powys.«

Ich hockte mich auf die Fersen und winkte einem meiner Männer, die beiden Gefangenen mit seiner Speerspitze ruhig zu halten. Dann zählte ich die Tage, seit ich Arthur zuletzt gesehen hatte. Vor ein paar Tagen erst hatten wir uns bei Cadocs Kreuz getrennt, und Arthurs Heimweg war wesentlich länger als der meine; wenn er gestorben war, dachte ich, konnte die Nachricht von seinem Tod unmöglich vor mir in Ynys Wydryn eingetroffen sein. »Ist Euer König hier?« fragte ich den Mann.

»Ja.«

»Warum?« fragte ich ihn.

Seine Antwort war kaum mehr als ein Flüstern. »Um das Königreich zu übernehmen, Lord.«

Wir schnitten Wollstreifen von den Mänteln der beiden Männer, fesselten ihnen Arme und Beine und steckten ihnen Händevoll Wolle in den Mund, damit sie Ruhe gaben. Wir stießen sie in einen Graben und befahlen ihnen, still liegenzubleiben. Dann führte ich meine fünf Männer zum Eingang des Heiligtums zurück. Ich wollte einen kurzen Blick hineinwerfen, sehen, was ich in Erfahrung bringen konnte, und erst dann nach Hause zurückkehren. »Mäntel über die Helme!«

befahl ich meinen Männern. »Schilde umdrehen!«

Wir schlugen die Mäntel so über unsere Helme, daß die Wolfsruten verborgen waren, dann kehrten wir die Schilde mit der Vorderseite gegen unsere Beine, damit der Stern darauf verdeckt war. So getarnt betraten wir leise das Gelände des nunmehr unbewachten Heiligtums. Wir hielten uns in den Schatten, stahlen uns hinter dem Rücken der Menge weiter, bis wir das Steinfundament des Grabmals erreichten, das Mordred für seine verstorbene Mutter zu bauen begonnen hatte. Wir kletterten auf die höchste Steinreihe der unfertigen Gruft hinauf, denn von dort aus konnten wir über die Köpfe der Menge hinweg beobachten, was sich zwischen den in zwei Reihen brennenden Feuern, die Ynys Wydryns Nacht erhellten, für seltsame Dinge zutrugen.

Anfangs dachte ich, es sei wieder einer jener christlichen Riten, die ich einst in Isca beobachtet hatte; denn zwischen den Feuerreihen drängten sich tanzende Frauen, sich wiegende Männer und skandierende Priester. Ihr Kreischen, Schreien und Klagen ergab einen ohrenbetäubenden Lärm. Mönche mit Ledergeißeln wanderten zwischen den Rasenden umher und schlugen sie auf den nackten Rücken, und jeder einzelne grausame Schlag löste weitere Entzückensschreie aus. Eine Frau kniete neben dem heiligen Dornbusch. »Komm, Herr Jesus!« kreischte sie. »Komm!« Ein Mönch schlug sie, bis sie raste, schlug sie so hart, daß ihr nackter Rücken nur noch eine gräßliche Fläche aus blutigem Fleisch war, doch jeder neue Schlag steigerte die Inbrunst ihrer verzweifelten Gebete nur noch.

Gerade wollte ich von der Gruft herunterspringen und zum Tor zurückkehren, als aus den Gebäuden auf dem Gelände Speerkämpfer auftauchten und die Betenden rücksichtslos beiseite stießen, um eine Gasse zwischen den Feuern zu bahnen, die den heiligen Dornbusch beleuchteten. Sie schleppten die schreiende Frau davon. Weitere Speerkämpfer folgten, von denen zwei eine Sänfte trugen, und hinter der Sänfte führte Bischof Sansum eine Gruppe grellbunt gekleideter Priester an. Lancelot und seine Männer begleiteten die Priester. Bors, Lancelots Champion, war dabei, Amhar und Loholt folgten dem König der Belgen, doch von den schrecklichen Zwillingen Lavaine und Dinas entdeckte ich keine Spur.

Als die Menge Lancelot sah, begann sie noch viel lauter zu kreischen. Die Menschen streckten die Hände nach ihm aus, und einige knieten sogar nieder, als er an ihnen vorüberkam. Er war mit seiner weißemaillierten Schuppenrüstung herausgeputzt, die, wie er hoch und heilig schwor, einstmals dem antiken Helden Agamemnon gehört hatte, und trug den schwarzen Helm mit den ausgebreiteten Schwanenschwingen als Zier. Das lange, schwarze Haar, das er stets ölte, bis es glänzte, fiel ihm über den in einen roten Mantel gehüllten Rücken. Die Christusklinge hing an seiner Seite, und seine Beine steckten in hohen, roten Lederstiefeln. Gefolgt wurde er von seiner Sachsengarde, allesamt riesige Kerls in silbernem Kettenhemd, bewaffnet mit breiten Streitäxten, in denen sich die tanzenden Flammen spiegelten. Morgan konnte ich nirgends entdecken, aber ein Chor ihrer weißgekleideten frommen Frauen versuchte vergebens, die Klagen und Schreie der erregten Menge mit ihrem Gesang zu übertönen. Einer der Speerkämpfer trug einen Pfosten und steckte ihn in ein Loch, das neben dem heiligen Dornbusch gegraben worden war. Einen Augenblick fürchtete ich, daß wir wieder Zeuge werden würden, wie ein armer Heide an diesem Pfosten verbrannt wurde, und spie aus, um das Böse abzuwehren. Das Opfer war offenbar in der Sänfte hereingebracht worden, denn die Männer, die sie trugen, setzten sie neben dem heiligen Dornbusch ab und machten sich sodann daran, ihren Gefangenen an den Pfosten zu fesseln. Doch als sie zurücktraten und wir endlich richtig sehen konnten, wurde mir klar, daß es sich gar nicht um einen Gefangenen handelte, und ganz gewiß nicht um eine Verbrennung. Ja, es war nicht einmal ein Heide, der da an den Pfosten gefesselt war, sondern ein Christ, und wir würden nicht Zeugen eines Todes werden, sondern einer Vermählung.

Ich dachte sofort an Nimues seltsame Prophezeiung. Die Toten werden sich vermählen.

Lancelot war der Bräutigam und nahm jetzt neben seiner Braut Aufstellung, die an den Pfosten gefesselt war. Es war eine Königin, die ehemalige Prinzessin von Powys, die zunächst Prinzessin von Dumnonia und anschließend Königin von Siluria geworden war. Es war Norwenna, Großkönig Uthers Schwiegertochter, Mordreds Mutter und bereits seit vierzehn Jahren tot. All die Jahre hatte sie in ihrem Grab geruht, nun aber hatte man sie ausgegraben und ihre sterblichen Überreste an den Pfosten neben dem mit Weihegeschenken behängten heiligen Dornbusch gefesselt.

Von Entsetzen gelähmt, starrte ich auf die Szene hinab; dann machte ich das Zeichen gegen das Böse und strich über das Eisen meines Kettenhemds. Issa berührte meinen Arm, als wollte er sich vergewissern, daß er sich nicht in den Fängen eines unvorstellbaren Alptraums befand.

Die tote Königin war inzwischen kaum mehr als ein Skelett. Man hatte ihr einen weißen Schal um die Schultern gelegt, aber der Schal konnte die grausigen Fetzen gelblicher Haut und die dicken Batzen weißen Fleisches nicht verbergen, die noch an ihren Knochen hingen. Ihr Schädel, der nach vorn über einen der Stricke fiel, die sie an den Pfosten fesselten, war zur Hälfte von gespannter Haut bedeckt, die Kinnlade hing lose in ihren Scharnieren, während die Augen nur noch schwarze Höhlen in der vom Feuer beleuchteten Totenmaske ihres Gesichtes waren. Einer der Wachen hatte ihr einen Kranz aus Mohnblumen auf den Schädel gesetzt, unter dem feuchte Haarsträhnen auf den Schal fielen.

»Was geht da vor?« fragte mich Issa mit leiser Stimme.

»Lancelot fordert Dumnonia«, antwortete ich flüsternd, »und indem er sich mit Norwenna vermählt, heiratet er in Dumnonias königliche Familie ein.« Eine andere Erklärung konnte es nicht geben. Lancelot stahl Dumnonias Thron, und diese schauerliche Zeremonie inmitten der riesigen Feuer würde ihm den Hauch einer Berechtigung verleihen. Er vermählte sich mit der Toten, um sich zu Uthers Erben zu machen.

Als Sansum mit einer Geste Ruhe forderte, schrien die Mönche mit den Geißeln auf die erregte Menge ein, bis diese sich allmählich beruhigte. Hier und da heulte noch eine Frau auf, woraufhin ein unruhiger Schauer die Menge durchlief, aber schließlich trat Ruhe ein. Die Gesänge des Frauenchors verstummten, während Sansum beide Arme hob und zum Allmächtigen Gott betete, auf daß dieser die Vereinigung eines Mannes und einer Frau segne, dieses Königs und seiner Königin. Dann befahl er Lancelot, die Hand seiner Braut zu ergreifen. Gehorsam streckte Lancelot seine behandschuhte Rechte aus und hob die vergilbte Knochenhand. Da die Wangenstücke seines Helms offenstanden, konnte ich sehen, daß er grinste. Als die Menge vor Freude jubelte, mußte ich an Tewdrics Worte über Zeichen und Omen denken und vermutete, daß die Christen in dieser unheiligen Vermählung den Beweis sahen, daß die Wiederkehr ihres Gottes unmittelbar bevorstand.

»Bei der Macht, die mir der Heilige Vater gab, und bei der Gnade, die mir der Heilige Geist gewährte«, rief Sansum laut,

»erkläre ich Euch zu Mann und Frau!«

»Wo ist unser König?« fragte mich Issa.

»Wer weiß?« fragte ich flüsternd zurück. »Vermutlich tot.«

Dann sah ich zu, wie Lancelot die vergilbten Knochen von Norwennas Hand anhob und so tat, als drückte er einen Kuß

auf ihre Finger. Als er die Hand wieder losließ, fiel einer dieser Finger ab.

Sansum, der sich nie eine Gelegenheit zum Predigen entgehen ließ, wollte gerade mit seiner Tirade beginnen, als Morgan zu mir trat. Ich hatte sie nicht kommen sehen, und das erste, was ich von ihrer Anwesenheit merkte, war, daß jemand mich am Mantel zupfte. Als ich erschrocken herumfuhr, sah ich ihre Goldmaske im Feuerschein glänzen. »Wenn sie merken, daß die Wachen am Tor weg sind«, zischelte sie,

»werden sie das ganze Gelände absuchen und ihr seid tot. Folgt mir, ihr Narren!«

Schuldbewußt sprangen wir zu ihr hinab und folgten ihrer gekrümmten schwarzen Gestalt, die hinter der Menge in die Schatten der großen Kirche auf dem Gelände des Heiligtums huschte. Dort machte sie halt und starrte mir ins Gesicht. »Man erzählt sich, daß Ihr tot seid«, berichtete sie. »Getötet mit Arthur bei Cadocs Schrein.«

»Ich lebe noch, Lady.«

»Und Arthur?«

»Lebte vor drei Tagen auch noch, Lady«, antwortete ich.

»Bei Cadocs Schrein wurde keiner von uns getötet.«

»Gott sei Dank!« hauchte sie. »Gott sei Dank!« Dann packte sie mich am Mantel und zog mein Gesicht bis dicht an ihre Maske. »Hört zu!« sagte sie eindringlich. »Mein Gemahl hatte in diesem Fall keine Wahl.«

»Wenn Ihr das sagt, Lady«, gab ich zurück, ohne ihr auch nur eine Sekunde lang zu glauben. Doch ich begriff, daß Morgan alles tat, was in ihrer Macht stand, um bei dieser Krise, die Dumnonia so unversehens heimgesucht hatte, gleichzeitig auf beiden Seiten zu stehen. Lancelot übernahm den Thron, und irgend jemand hatte eine Verschwörung angezettelt, um sicherzustellen, daß Arthur außer Landes war, wenn er das tat. Schlimmer noch, fand ich, irgend jemand hatte Arthur und mich zu Cadocs Bergtal geschickt und dafür gesorgt, daß uns ein Hinterhalt gelegt wurde. Irgend jemand wünschte unseren Tod, und es war Sansum gewesen, der uns als erster Ligessacs Zufluchtsort verraten hatte, und Sansum, der sich dagegen ausgesprochen hatte, daß Cuneglas’ Männer ihn

gefangennahmen, und Sansum, der jetzt im Schein der nächtlichen Feuer vor Lancelot und einem Leichnam stand. Bei dieser bösen Sache witterte ich allüberall die Pfoten unseres Mäuselords, bezweifelte allerdings, daß Morgan auch nur die Hälfte von dem wußte, was ihr Gemahl getan oder geplant hatte. Sie war zu alt und weise, um sich von religiöser Raserei anstecken zu lassen, und machte wenigstens den Versuch, sich einen sicheren Weg durch all die Schrecken zu suchen, die auf uns herabregneten.

»Versichert mir, daß Arthur noch lebt«, flehte sie mich an.

»In Cadocs Tal ist er nicht gestorben«, gab ich zurück.

»Dessen kann ich Euch versichern.«

Sie schwieg eine Weile, und ich vermute, daß sie unter ihrer Maske weinte. »Sagt Arthur, daß wir keine Wahl hatten«, bat sie mich.

»Das werde ich«, versprach ich ihr. »Was könnt Ihr mir über Mordred sagen?«

»Er ist tot«, zischte sie. »Er wurde bei der Jagd getötet.«

»Aber wenn sie über Arthur Lügen erzählt haben«, wandte ich ein, »warum dann nicht auch über Mordred?«

»Wer weiß?« Sie bekreuzigte sich und zupfte an meinem Mantel. »Kommt«, befahl sie unvermittelt und führte uns an der Kirche entlang zu einer kleinen Holzhütte. Irgend etwas war in dieser Hütte gefangen, denn ich hörte Fäuste an die Tür hämmern, die durch einen verknoteten Lederriemen gesichert war. »Ihr solltet zu Eurer Gemahlin heimkehren, Derfel«, riet mir Morgan, während sie mit ihrer gesunden Hand an den Knoten herumfingerte. »Dinas und Lavaine sind nach Einbruch der Dunkelheit gen Süden zu Eurer Halle geritten. Sie haben Speerkämpfer mitgenommen.«

Panik stieg in mir auf, so daß ich hastig meine Speerspitze benutzte, um den Lederriemen zu durchschneiden. Kaum war die Sicherung durchtrennt, da flog auch schon die Tür auf, und Nimue kam uns, die Hände zu Klauen gekrümmt,

entgegengesprungen. Dann aber erkannte sie mich und ließ

sich haltsuchend in meine Arme fallen. Gleich darauf spie sie Morgan an.

»Verschwinde, du Närrin!« fauchte Morgan sie an. »Und vergiß nicht, daß ich es war, die dich heute vor dem Tod gerettet hat.«

Ich ergriff Morgans Hände, die verbrannte und die gesunde, und hob sie an meine Lippen. »Für die Taten dieser Nacht, Lady«, sagte ich, »stehe ich in Eurer Schuld.«

»Geht, ihr Narren!« befahl sie uns. »Und beeilt euch!« Wir liefen durch den rückwärtigen Teil des Heiligtums, vorbei an Vorratshäusern, Sklavenhütten und Kornspeichern und dann durch ein Weidentor bis dorthin, wo die Fischer ihre Reetpunten liegen hatten. Wir nahmen uns zwei der kleinen Boote und benutzten die Speerschäfte zum Staken. Dabei mußte ich an den längst vergangenen Tag von Norwennas Tod denken, als Nimue und ich auf genau dieselbe Weise aus Ynys Wydryn geflohen waren. Damals wie heute nahmen wir Richtung auf Ermids Halle, und damals wie heute waren wir Flüchtlinge in einem vom Feind überrannten Land. Nimue wußte nur wenig von dem, was in Dumnonia

geschehen war. Lancelot sei gekommen und habe sich selbst zum König ernannt, berichtete sie, doch über Mordred konnte sie nur dasselbe sagen, was Morgan mir berichtet hatte: daß der König auf der Jagd getötet worden sei. Sie erzählte uns, daß

Speerkämpfer auf den Tor gekommen seien und sie als Gefangene in den Schrein hinuntergebracht hätten, wo Morgan sie dann eingesperrt habe. Später habe sie dann gehört, wie eine Meute von Christen den Tor erklommen, alle Menschen, die sie dort fanden, umgebracht, die Hütten niedergerissen und mit dem Holz eine Kirche zu bauen begonnen hätten.

»Dann hat Morgan dir wirklich das Leben gerettet«, stellte ich fest.

»Sie braucht meine Kenntnisse«, behauptete Nimue. »Wie soll sie sonst erfahren, was sie mit dem Kessel machen muß?

Deswegen sind Dinas und Lavaine zu deiner Halle geritten, Derfel. Um Merlin zu holen.« Sie spie ins Wasser. »Es ist genau so, wie ich es vorausgesagt habe«, fuhr sie fort. »Sie haben die Macht des Kessels entfesselt, und nun wissen sie nicht, wie sie seine Macht unter Kontrolle bringen sollen. Zwei Könige sind nach Cadarn gekommen. Der eine war Mordred, der andere Lancelot. Heute nachmittag ist er hinaufgestiegen und hat sich auf den Stein gestellt. Und heute abend werden die Toten vermählt.«

»Und außerdem hast du gesagt«, erinnerte ich sie voll Bitterkeit, »daß ein Schwert an die Kehle eines Kindes gelegt wird.« Damit stieß ich meinen Speer voll verzweifelter Hast ins seichte Wasser des Moorsees, um möglichst schnell Ermids Halle zu erreichen. Wo meine Kinder waren. Wo Ceinwyn war. Und wohin die silurischen Druiden mit ihren Speerkämpfern vor knapp drei Stunden aufgebrochen waren.

Flammen beleuchteten unseren Heimweg. Nicht die Flammen, die Lancelots Vermählung mit der Toten illuminiert hatten, sondern andere Flammen, die rot und hoch aus Ermids Halle schlugen. Wir hatten den See halb überquert, als das Feuer hoch aufloderte und der langgezogene Widerschein auf dem schwarzen Wasser zitterte.

Ich betete zu Gofannon, zu Lleullaw, zu Bel, zu Cernunnos, zu Taranis, zu allen Göttern, wo immer sie auch sein mochten, daß wenigstens einer von ihnen sich aus dem Reich der Sterne herabneigen und meine Familie retten möge. Immer höher schlugen die Flammen und spien Funken von brennendem Reet in den Rauch hinaus, der ostwärts über das arme Dumnonia dahintrieb.

Nachdem Nimue ihren Bericht beendet hatte, fuhren wir schweigend weiter. Issa hatte Tränen in den Augen. Er machte sich Sorgen um Scarach, die Irin, die er geheiratet hatte, und fragte sich wie ich, was aus den Speerkämpfern geworden war, die wir zum Schutz der Halle zurückgelassen hatten. Es waren doch sicher genügend Männer gewesen, um Dinas’ und Lavaines Angreifer aufzuhalten! Die Flammen jedoch berichteten etwas anderes, und so stießen wir die Speerschäfte ins Wasser, um die Punten schneller voranzutreiben. Als wir näher kamen, hörten wir die Schreie. Wir waren nur sechs Speerkämpfer, aber ich zögerte weder, noch machte ich den Versuch einer Annäherung auf Umwegen. Ich lenkte die Punten direkt in den baumüberschatteten Bachlauf neben der Palisade hinein. Dort, direkt neben Dians kleinem Coracle, das ihr Merlins Diener Gwlyddyn angefertigt hatte, sprangen wir an Land.

Später erst setzte ich das Verwirrspiel jener Nacht zusammen.

Gwilym, der Anführer der Speerkämpfer, die

zurückgeblieben waren, während ich mit Arthur nach Norden marschierte, hatte fern im Osten den Rauch gesehen und vermutet, daß sich dort Ärger zusammenbraute. Er hatte all seine Männer alarmiert und dann mit Ceinwyn beraten, ob sie sich in die Boote retten und im Moor hinter dem See verstecken sollten. Ceinwyn sagte nein. Malaine, der Druide ihres Bruders, hatte Dian ein Gebräu aus Kräutern gegeben, das das Fieber vertrieben hatte, aber das Kind war noch immer sehr schwach; außerdem konnte niemand wissen, was dieser Rauch bedeutete, und es waren keine Boten mit Warnungen gekommen. Also schickte Ceinwyn statt dessen die Speerkämpfer nach Osten, um die Lage zu erkunden, und blieb wartend hinter der Holzpalisade zurück.

Der Einbruch der Dunkelheit brachte zwar keine

Nachrichten, aber dennoch eine gewisse Erleichterung, denn nur wenige Speerkämpfer marschierten bei Nacht, so daß sich Ceinwyn sicherer fühlte als während des Tages. Von innerhalb der Palisade aus beobachteten sie die Flammen in Ynys Wydryn auf der anderen Seite des Sees und fragten sich, was das bedeuten mochte. Niemand hörte, wie Dinas’ und Lavaines Reiter in den nahen Wald eindrangen. Die Reiter saßen in großer Entfernung von der Halle ab, banden die Pferde mit ihren Zügeln an Bäumen fest und schlichen sich unter dem bleichen, wolkenverschleierten Mond bis zur Palisade. Erst als Dinas’ und Lavaines Männer das Tor attackierten, merkte Gwilym überhaupt, daß die Halle angegriffen wurde. Seine beiden Kundschafter waren nicht zurückgekehrt, in den Wäldern standen keine Wachen, und der Feind befand sich schon in nächster Nähe der Palisade, als der erste Alarm gegeben wurde. Es war kein besonders starkes Tor, kaum höher als ein Mann, und die erste Reihe der Feinde rannte ohne Rüstung, Speer oder Schild dagegen an. Es gelang ihnen hinüberzuklettern, bevor Gwilyms Männer sich sammeln konnten. Die Torwachen kämpften und töteten, von jenen ersten Angreifern überlebten jedoch genug, um den Torbalken zu heben und Dinas’ und Lavaines schwergerüsteten Speerkämpfern den Weg freizumachen. Zehn von diesen Speerkämpfern stammten aus Lancelots Sachsengarde, während die übrigen Belgenkrieger waren, die sich dem Dienst ihres Königs verschworen hatten.

Gwilyms Männer sammelten sich, so gut es ging, und die heftigsten Kämpfe fanden am Eingang der Halle statt. Dort starben Gwilym und sechs seiner Männer. Sechs weitere lagen im Innenhof, wo ein Lagerhaus in Brand gesteckt worden war: Das waren die Flammen, die unsere Fahrt über den See beleuchtet hatten und die uns nun, als wir das offene Tor erreichten, den Schrecken zeigten, der innen herrschte. Die Schlacht war noch nicht vorüber. Dinas und Lavaine hatten ihren Verrat gründlich geplant, doch ihren Männern war es nicht gelungen, durch die Hallentür zu dringen, und meine überlebenden Speerkämpfer verteidigten das große Haus immer noch. Ich sah, wie sie mit Schilden und Speeren den Eingang versperrten, und ich sah einen weiteren Speer an einem der hohen Fenster, die am Giebelende als Rauchabzug dienten. An jenem Fenster standen zwei meiner Jäger und hinderten mit ihren Pfeilen Dinas’ und Lavaines Männer daran, das Feuer vom brennenden Vorratshaus aufs Reetdach der Halle zu übertragen. Im Innern der Halle befanden sich Ceinwyn, Morwenna und Seren sowie Merlin, Malaine und die meisten anderen Frauen und Kinder, die innerhalb der Palisade lebten, aber sie waren umzingelt und zahlenmäßig unterlegen; und außerdem hatten die feindlichen Druiden Dian in ihrer Gewalt.

Dian hatte in einer der Hütten geschlafen. Das tat sie oft, weil sie gern bei ihrer Amme weilte, die mit meinem

Waffenschmied verheiratet war. Möglicherweise hatte sie ihr goldblondes Haar verraten, aber vielleicht hatte sie, charakteristisch für Dian, ihre Häscher wütend angespien und ihnen erklärt, ihr Vater werde sich dafür an ihnen rächen. Und nun hielt Lavaine, ganz in Schwarz und mit einer leeren Scheide an der Hüfte, meine Dian an sich gepreßt. Ihre kleinen, schmutzigen Füße schauten unter ihrem weißen Gewand hervor, und sie wehrte sich, so gut sie konnte; aber Lavaine hatte den linken Arm fest um ihre Taille geschlungen und hielt ihr mit der Rechten sein blankgezogenes Schwert an die Kehle. Issa umklammerte meinen Arm, um zu verhindern, daß ich mich blindwütig auf die Reihe der Bewaffneten stürzte, die sich der belagerten Halle gegenüber aufgepflanzt hatten. Es waren zwanzig.

Dinas konnte ich nicht entdecken, aber der war, wie ich vermutete, bei den übrigen feindlichen Speerkämpfern hinter der Halle, wo sie all jenen den Fluchtweg abschnitten, die im Innern gefangen waren.

»Ceinwyn!« rief Lavaine mit seiner tiefen Stimme. »Kommt heraus! Mein König verlangt nach Euch!«

Ich legte den Speer nieder und zog Hywelbane. Die Klinge zischte leise durch die Öffnung der Scheide.

»Kommt heraus!« rief Lavaine abermals.

Ich berührte die beiden Schweineknochen am Heft meines Schwertes und betete zu meinen Göttern, sie möchten mich furchtbar machen in dieser Nacht.

»Wollt Ihr, daß Euer Kind stirbt?« fragte Lavaine, und Dian schrie, als er die Schwertklinge fester an ihren Hals drückte.

»Euer Gemahl ist tot!« rief Lavaine. »Er ist in Powys mit Arthur zusammen gestorben und wird Euch nicht zu Hilfe kommen!« Wieder drückte er mit der Schwertschneide fester zu, und wieder stieß Dian einen lauten Schrei aus. Issa ließ die Hand nicht von meinem Arm. »Noch nicht, Lord«, flüsterte er. »Noch nicht!«

Die Schilde an der Hallentür gaben eine Gasse frei, und Ceinwyn trat heraus. Sie trug einen dunklen Mantel, der am Hals geschlossen war. »Laßt das Kind herunter«, befahl sie Lavaine ruhig.

»Ich lasse das Kind frei, wenn Ihr zu mir kommt«, gab Lavaine zurück. »Mein König verlangt nach Eurer Gesellschaft.«

»Euer König?« fragte Ceinwyn. »Welcher König soll das sein?« Sie wußte genau, wessen Männer in dieser Nacht gekommen waren, denn ihre Schilde allein verrieten das schon, aber sie wollte es Lavaine nicht zu einfach machen.

»König Lancelot«, sagte Lavaine. »König der Belgen und König von Dumnonia.«

Ceinwyn zog sich den dunklen Mantel fester um die Schultern. »Und was wünscht König Lancelot von mir?« fragte sie ihn. Hinter ihr, im hinteren Teil der Halle und nur matt beleuchtet durch das brennende Vorratshaus, erkannte ich weitere von Lancelots Speerkämpfern. Sie hatten die Pferde aus meinen Ställen geholt und beobachteten nun die Konfrontation zwischen Ceinwyn und Lavaine.

»Heute abend, Lady«, erklärte ihr Lavaine, »hat mein König sich eine Gemahlin genommen.«

Ceinwyn zuckte die Achseln. »Dann braucht er mich nicht.«

»Diese Gemahlin, Lady, kann dem König jene Privilegien, die ein Mann in der Hochzeitsnacht verlangt, nicht gewähren. Ihr, Lady, sollt an ihrer Statt seinen Freuden dienen. Es ist eine alte Schuld, die Ihr bei ihm abzutragen habt. Außerdem«, setzte Lavaine hinzu, »seid Ihr nunmehr Witwe. Ihr braucht also einen neuen Mann.«

Ich spannte mich zum Sprung, aber Issa umkrampfte meinen Arm. Einer der sächsischen Gardisten neben Lavaine wurde unruhig, und Issa gab mir wortlos zu verstehen, daß wir warten sollten, bis sich der Mann wieder beruhigte.

Einen Moment senkte Ceinwyn den Kopf; dann blickte sie wieder auf. »Und wenn ich mit Euch komme«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme, »werdet Ihr meine Tochter dann leben lassen?«

»Sie wird leben«, versicherte ihr Lavaine.

»Und alle anderen ebenfalls?« fragte sie und deutete zur Halle zurück.

»Die auch«, versprach Lavaine.

»Dann laßt meine Tochter gehen«, verlangte Ceinwyn.

»Zuerst werdet Ihr herkommen«, gab Lavaine zurück, »und Merlin mitbringen.« Dian versetzte ihm mit ihren nackten Fersen einen Tritt, doch als er das Schwert wieder fester an ihren Hals setzte, wurde sie still. Das Dach des Vorratshauses stürzte ein und schickte einen Funkenregen und brennendes Stroh in den Nachthimmel. Ein paar Flammen landeten auf dem Reetdach der Halle, wo sie schwächlich flackerten. Das vom Stroh aufgesogene Regenwasser schützte die Halle vorerst noch, aber bald mußte das Hallendach in Flammen aufgehen, das war mir klar.

Ich spannte mich zum Angriff, dann aber tauchte Merlin hinter Ceinwyn auf. Sein Bart war, wie ich entdeckte, wieder zu Zöpfen geflochten; er trug seinen großen Stab und stand aufrechter und grimmiger da, als ich ihn seit Jahren gesehen hatte. Er legte den rechten Arm um Ceinwyns Schultern. »Laßt das Kind gehen«, befahl er streng.

Lavaine schüttelte den Kopf. »Wir haben mit Eurem Bart einen Zauber gewirkt, Alter, und Ihr habt keine Macht über uns. Heute abend jedoch werden wir das Vergnügen haben, Eurer Konversation zu lauschen, während unser König sein Vergnügen mit Prinzessin Ceinwyn genießt. Alle beide!«

befahl er. »Sofort hierher!«

Merlin hob den Stab und richtete ihn auf Lavaine. »Beim nächsten Vollmond«, sagte er, »werdet Ihr am Meeresstrand sterben. Ihr und Euer Bruder, Ihr werdet beide sterben, und Eure Schreie werden über die Zeiten hinweg auf den Wogen treiben. Laßt das Kind gehen!«

Hinter mir hörte ich Nimue leise zischeln. Sie hatte meinen Speer aufgehoben und die Lederklappe von ihrer leeren Augenhöhle genommen.

Lavaine ließ sich von Merlins Weissagung nicht weiter beeindrucken. »Beim nächsten Vollmond«, sagte er, »werden wir Eure Barthaare in Stierblut kochen und Eure Seele dem Wurm von Annwn vorwerfen«, fauchte er. »Alle beide jetzt!«

fuhr er auf. »Kommt her!«

»Laßt meine Tochter gehen«, verlangte Ceinwyn.

»Sobald Ihr bei mir seid«, gab Lavaine zurück, »ist sie frei.«

Eine Pause entstand. Ceinwyn und Merlin diskutierten leise. Als Morwenna in der Halle zu weinen begann, wandte sich Ceinwyn um und redete auf ihre Tochter ein. Dann ergriff sie Merlins Hand und begann auf Lavaine zuzugehen. »O nein, nicht so, Lady!« rief Lavaine ihr zu. »Mein Lord Lancelot verlangt, daß Ihr nackt zu ihm kommt. Mein Lord will, daß Ihr nackt durchs Land geführt werdet, nackt durch die Stadt und nackt in sein Bett. Ihr habt ihn gedemütigt, Lady, und heute nacht wird er Euch diese Demütigung hundertfach heimzahlen.«

Ceinwyn erstarrte und funkelte ihn wütend an. Lavaine aber drückte wortlos die Schwertklinge an Dians Kehle. Als das Kind vor Schmerzen aufkeuchte, zerrte Ceinwyn instinktiv an der Spange, die ihren Mantel zusammenhielt, und ließ den Umhang fallen. Darunter kam ein schlichtes, weißes Gewand zum Vorschein.

»Legt das Gewand ab, Lady«, befahl Lavaine ihr herrisch.

»Legt es ab, oder Eure Tochter stirbt!«

Da sprang ich auf. Ich schrie Bels Namen hinaus und stürzte wie ein Wahnsinniger vorwärts. Meine Männer folgten mir, und weitere Männer kamen aus der Halle geströmt, als sie den weißen Stern auf unseren Schilden und die grauen Wolfsruten auf unseren Helmen sahen. Nimue begleitete uns kreischend und heulend, und die Reihe der feindlichen Speerkämpfer wendete sich, wie ich sah, mit Entsetzen. Ich stürzte geradenwegs auf Lavaine zu. Er sah mich, erkannte mich und erstarrte vor Schreck. Er hatte sich als Christenpriester getarnt, indem er sich ein Kreuz um den Hals gehängt hatte. Es war keine gute Zeit, um als Druide gekleidet durch Dumnonia zu reiten, aber für Lavaine war es eine gute Zeit zu sterben. Als ich ihn ansprang, schrie ich den Namen meines Gottes. Dann tauchte ein Sachsengardist vor mir auf, in dessen blanker Axtklinge sich der Feuerschein spiegelte, als er sie gegen meinen Schädel schwang. Ich parierte sie mit meinem Schild, aber die Wucht des Hiebs vibrierte durch meinen ganzen Arm. Dann stieß ich mit Hywelbane zu, drehte die Klinge in seinem Bauch und zog sie inmitten eines Blutschwalls aus den Gedärmen des Sachsen heraus. Issa hatte einen weiteren Sachsen getötet, und Scarach, sein kampflustiges irisches Eheweib, war aus der Halle herausgekommen, um sich mit einer Saufeder eines verwundeten Sachsen anzunehmen, während Nimue ihren Speer einem anderen Mann in den Bauch rammte. Ich parierte einen weiteren Speerstoß, erledigte einen Speerkämpfer mit Hywelbane und hielt verzweifelt Ausschau nach Lavaine. Ich sah, wie er mit Dian in den Armen floh. Er versuchte seinen Bruder hinter der Halle zu erreichen, als ein Ansturm von Speerkämpfern ihm den Weg abschnitt. Als er sich umsah und mich entdeckte, floh er in Richtung Tor. Meine Dian hielt er wie einen Schild vor seinen Körper.

»Ich will ihn lebend!« brüllte ich und stürzte ihm durch das flammenbeschienene Chaos nach. Einem weiteren Sachsen, der mich, den Namen seines Gottes brüllend, aufhalten wollte, schnitt ich den Namen des Gottes mit Hywelbane aus der Kehle. Dann stieß Issa einen Warnruf aus, ich hörte Hufschlag und sah, daß die Feinde, die die Rückseite der Halle bewacht hatten, zu Pferde herbeigesprengt kamen, um ihren Kameraden zu Hilfe zu eilen. Dinas, der wie sein Bruder in das schwarze Gewand eines Christenpriesters gekleidet war, führte die Männer mit gezogenem Schwert.

»Haltet sie auf!« rief ich laut. Ich hörte Dian schreien. Die Feinde gerieten in Panik. Sie waren uns zahlenmäßig überlegen. Aber die Speerkämpfer, die plötzlich aus der tiefschwarzen Nacht hervorbrachen, hatten ihnen die Herzen zerfetzt, und die einäugige Nimue, die wild kreischend ihren Speer schwang, muß ihnen vorgekommen sein wie ein grausiger Dämon, der es auf ihre Seelen abgesehen hatte. Sie flohen entsetzt. Lavaine, der in der Nähe des brennenden Vorratshauses auf seinen Bruder wartete, hielt immer noch sein Schwert an Dians Kehle. Scarach schlich sich, zischend wie Nimue, mit ihrem Schwert an ihn heran, wagte es aber nicht, das Leben meiner Tochter aufs Spiel zu setzen. Einige Feinde kletterten über die Palisade, andere rannten voll Angst zum Tor, wieder andere wurden in den Schatten zwischen den Hütten niedergemacht, und einige entkamen, indem sie neben den verschreckten Pferden einherhasteten, die an uns vorbei in die Nacht donnerten.

Dinas kam direkt auf mich zugeritten. Ich hob meinen Schild, zückte Hywelbane und rief ihm eine Herausforderung zu – aber im allerletzten Moment riß er sein Pferd herum, in dessen Augen das Weiße schimmerte, und schleuderte das Schwert gegen meinen Kopf. Dann ritt er zu seinem Zwillingsbruder hinüber, beugte sich, dort angekommen, aus dem Sattel und streckte den Arm aus. Scarach wich dem herangaloppierenden Pferd im letzten Moment aus, während Lavaine sich in die rettende Umarmung des Bruders emporschwang. Er ließ Dian los, und ich sah, wie sie zu Boden fiel, während ich hinter dem Pferd herjagte. Als das Pferd davongaloppierte, klammerte sich Lavaine verzweifelt an seinen Bruder, der sich genauso verzweifelt an die Tracht seines Sattelgestells klammerte. Ich schrie sie an, sie sollten sich stellen und mit mir kämpfen, aber die Zwillinge galoppierten ins Dunkel der Bäume hinein, wohin auch die anderen Überlebenden geflohen waren. Ich verfluchte ihre Seelen. Ich stand am Tor und nannte sie Natterngezücht, Feiglinge und Teufelsbrut.

»Derfel?« rief Ceinwyn hinter mir her. »Derfel?«

Ich ließ von meinen Flüchen ab und wandte mich zu ihr um.

»Ich lebe noch«, sagte ich zu ihr. »Ich lebe noch.«

»Ach, Derfel!« weinte sie, und jetzt erst erkannte ich, daß

Ceinwyn Dian in den Armen hielt und daß Ceinwyns weißes Gewand nicht mehr weiß war, sondern rot.

Ich lief zu ihr. Dian lag geborgen in den Armen ihrer Mutter. Ich ließ das Schwert fallen, riß mir den Helm vom Kopf und fiel neben den beiden auf die Knie. »Dian?« flüsterte ich.

»Dian, mein Liebling?«

Ich sah die Seele in ihren Augen flackern. Sie erkannte mich

– sie erkannte mich wirklich –, und sie erkannte ihre Mutter, bevor sie starb. Sekundenlang sah sie uns an, dann flog ihre junge Seele sanft wie eine Schwinge in der Dunkelheit davon, mit so wenig Aufhebens wie eine Kerzenflamme, die von einem Windhauch ausgeblasen wird. Bevor Lavaine zu seinem Bruder in den Sattel sprang, hatte er ihr die Kehle durchgeschnitten, und jetzt hörte ihr kleines Herz ganz einfach auf, sich zu wehren. Aber zuvor hatte sie mich erkannt. Ich weiß es genau. Sie erkannte mich, dann starb sie. Ich legte die Arme um sie und ihre Mutter und weinte wie ein Kind. Weinte um meine kleine, bezaubernde Dian.

Wir hatten vier unverletzte Gefangene gemacht. Der eine war ein Sachsengardist, die anderen drei waren belgische Speerkämpfer. Merlin verhörte sie, und als er fertig war, hackte ich sie alle vier in Stücke. Ich schlachtete sie ab. Ich tötete in einem Wutrausch, laut schluchzend und blind für alles außer Hywelbanes Gewicht und die leere Befriedigung darüber, wie die Klinge in ihr Fleisch drang. Einen nach dem anderen metzelte ich die vier Männer nieder, vor den Augen meiner Männer, vor Ceinwyns Augen und vor Morwennas und Serens Augen, und als die Männer tot waren, war Hywelbane von der Spitze bis zum Heft naß und rot, und immer noch hackte ich auf die leblosen Körper ein. Meine Arme waren

blutüberströmt, mit meiner Wut hätte ich die ganze Welt füllen können, und dennoch hätte nichts davon meine kleine Dian zurückgebracht.

Ich wollte mehr Männer töten, doch den feindlichen Verwundeten war bereits die Kehle durchschnitten worden, und so ging ich, als ich mich nirgendwo mehr rächen konnte, blutbesudelt, wie ich war, zu meinen verängstigten Töchtern und nahm sie in die Arme. Ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen, und sie konnten es ebensowenig. Ich hielt sie, als hinge mein Leben von dem ihren ab und trug sie dorthin, wo Ceinwyn noch immer Dians Leichnam in den Armen wiegte. Sanft löste ich Ceinwyns Arme und legte sie um ihre lebenden Kinder; dann nahm ich Dians kleinen Leichnam und trug ihn zu dem brennenden Vorratshaus. Merlin begleitete mich. Mit seinem Stab berührte er Dians Stirn, dann nickte er mir zu. Es war Zeit, wollte er damit sagen, Dians Seele die Schwerterbrücke überqueren zu lassen, aber zuerst küßte ich sie noch einmal. Dann legte ich ihren Leichnam nieder und schnitt mit meinem Messer eine dicke Strähne aus ihrem goldenen Haar, die ich sorgfältig in meinem Beutel verstaute. Nun erst hob ich sie wieder auf, küßte sie zum letzten Mal und warf ihren Leichnam in die Flammen. Ihre Haare und ihr kleines weißes Kleid loderten hell auf.

»Gebt dem Feuer Nahrung!« fuhr Merlin meine Männer an.

»Gebt ihm Nahrung!«

Sie rissen die Hütte nieder, um das Feuer zu einem flammenden Inferno anzufachen, das Dians Leichnam zur Gänze vernichtete. Ihre Seele ging bereits zu ihrem Schattenkörper in die Anderwelt hinüber, und nun loderte ihr Totenfeuer in der Dunkelheit, während ich mit leerer, wunder Seele vor den Flammen kniete.

Merlin hob mich empor. »Wir müssen gehen, Derfel.«

»Ich weiß.«

Er umarmte mich, hielt mich in seinen langen, starken Armen wie ein Vater. »Hätte ich sie nur retten können«, sagte er leise.

»Ihr habt es versucht«, gab ich zurück und verfluchte mich für meinen Aufenthalt in Ynys Wydryn.

»Komm«, sagte Merlin. »Bis zum Morgengrauen müssen wir weit fort von hier sein.«

Wir nahmen nur mit, was wir tragen konnten. Ich legte meine blutige Rüstung ab und griff zu dem guten Panzerhemd, das mit Gold besetzt war. Seren trug drei kleine Kätzchen in einem Lederbeutel, Morwenna eine Spindel und ein Bündel Kleider, während Ceinwyn einen Sack voller Proviant schleppte. Alles in allem waren wir achtzig: Speerkämpfer, Familien, Diener und Sklaven. Sie alle hatten ein kleines Andenken in Dians Totenfeuer geworfen, zumeist ein Stückchen Brot; nur Gwlyddyn, Merlins Diener, hatte Dians kleines Coracle in die Flammen geworfen, damit sie darauf über die Seen und Bachläufe der Anderwelt paddeln konnte.

Ceinwyn, die neben Merlin und Malaine, dem Druiden ihres Bruders, ging, wollte wissen, was in der Anderwelt aus den Kindern würde. »Sie spielen«, antwortete Merlin mit seiner uralten Autorität. »Sie spielen unter den Apfelbäumen und warten auf Euch.«

»Sie wird glücklich sein«, versicherte Malaine ihr. Er war ein hochgewachsener, hagerer junger Mann mit gebeugten Schultern, der Iorweths alten Druidenstab trug. Er schien nach den Schrecken der Nacht unter Schock zu stehen und fürchtete sich sichtlich vor Nimue in ihrem verdreckten, blutigen Gewand. Ihre Augenklappe war verschwunden, und die gräßlichen Haare hingen ihr strähnig und zerzaust vom Kopf. Nachdem Ceinwyn sich so über Dians Schicksal informiert hatte, kam sie an meine Seite. Ich litt noch immer fürchterlich und machte mir große Vorwürfe, weil wir haltgemacht hatten, um Lancelots Vermählung zu beobachten, aber Ceinwyn war jetzt ruhiger geworden. »Es war ihr Schicksal, Derfel«, sagte sie, »und jetzt ist sie glücklich.« Sie ergriff meinen Arm. »Und du bist am Leben! Sie haben uns erklärt, ihr wärt tot. Du und Arthur.«

»Arthur lebt auch noch«, versicherte ich ihr. Ich ging schweigend dahin, den weißen Gewändern der beiden Druiden folgend. »Eines Tages«, sagte ich nach einer Weile, »werde ich Dinas und Lavaine erwischen, und sie werden eines gräßlichen Todes sterben.«

Ceinwyn drückte meinen Arm. »Wir waren alle so

glücklich«, sagte sie. Inzwischen hatte sie wieder zu weinen begonnen, und ich suchte nach Worten, um sie zu trösten –

aber es gab keine Erklärung dafür, daß die Götter Dian geholt hatten. Hinter uns kochten die Flammen und der Rauch von Ermids Halle grell zum nächtlichen Sternenhimmel empor. Das Strohdach der Halle hatte schließlich doch Feuer gefangen, und unser altes Leben verbrannte zu Asche.

Wir folgten einem gewundenen Pfad am Ufer des Sumpfes. Der Mond war hinter den Wolken hervorgekommen und warf ein silbriges Licht auf die Binsen, die Weiden und den seichten, windgeriffelten See. Wir gingen in Richtung Meer, aber ich hatte kaum einen Gedanken darauf verschwendet, was wir tun würden, wenn wir die Küste erreichten. Lancelots Männer würden nach uns suchen, soviel stand fest, und irgendwie mußten wir uns in Sicherheit bringen. Merlin, der unsere Gefangenen verhört hatte, bevor ich sie tötete, berichtete Ceinwyn und mir nun, was er von ihnen erfahren hatte. Ein großer Teil war uns bereits bekannt. Mordred, so hieß es, sei auf der Jagd getötet worden, und einer der Gefangenen hatte behauptet, der König sei vom Vater eines Mädchens ermordet worden, das er vergewaltigt hatte. Da Arthur angeblich tot war, hatte sich Lancelot zum König von Dumnonia erklärt. Die Christen hatten ihn in dem Glauben willkommen geheißen, daß Lancelot ein neuer Johannes der Täufer sei, ein Mann, der die erste Ankunft Christi angekündigt hatte, genau wie Lancelot jetzt Vorbote der zweiten war.

»Arthur ist nicht tot«, sagte ich verbittert. »Er hätte sterben sollen, und ich mit ihm, aber das ist ihnen nicht gelungen. Und wenn ich Arthur noch vor drei Tagen gesehen habe«, fragte ich ihn, »wie hätte Lancelot so schnell von seinem Tod erfahren können?«

»Er hat nicht davon erfahren«, antwortete Merlin gelassen.

»Er hat es sich nur gewünscht.«

Ich spie aus. »Es waren Sansum und Lancelot«, behauptete ich wütend. »Lancelot hat höchstwahrscheinlich Mordreds Tod arrangiert, und Sansum den unseren. Und jetzt hat Sansum seinen christlichen König, während Lancelot Dumnonia hat.«

»Nur, daß du am Leben bist«, sagte Ceinwyn leise.

»Und Arthur ebenfalls«, ergänzte ich. »Und wenn Mordred tot ist, gehört der Thron Arthur.«

»Nur wenn er Lancelot besiegt«, warf Merlin trocken ein.

»Selbstverständlich wird er Lancelot besiegen«, behauptete ich verächtlich.

»Arthur ist geschwächt«, warnte Merlin mich freundlich.

»Viele seiner Männer wurden getötet. Mordreds Wachen sind alle tot, ebenso sämtliche Speerkämpfer von Caer Cadarn. Cei und seine Männer in Isca sind tot, und wer nicht tot ist, ist auf der Flucht. Die Christen haben sich erhoben, Derfel. Ich habe gehört, daß sie ihre Häuser mit dem Zeichen des Fisches versehen, und die Bewohner eines jeden Hauses, das nicht markiert ist, werden umgebracht.« Eine Zeitlang marschierte er in düsterem Schweigen dahin. »Sie säubern Britannien für die Ankunft ihres Gottes.«

»Sagramor ist von Lancelot aber nicht getötet worden«, sagte ich in der Hoffnung, daß es stimmte. »Und Sagramor führt ein ganzes Heer.«

»Sagramor lebt«, versicherte mir Merlin. Dann rückte er mit der schlimmsten Nachricht jener furchtbaren Nacht heraus.

»Aber Cerdic hat ihn angegriffen. Gut möglich«, fuhr er fort,

»daß Lancelot und Cerdic sich darauf geeinigt haben, Dumnonia zwischen sich aufzuteilen. Cerdic wird die Grenzgebiete nehmen, und Lancelot regiert den Rest.«

Mir fehlten die Worte. Es war unbegreiflich. Cerdic wütete in Dumnonia? Und die Christen hatten sich erhoben, um Lancelot zu ihrem König zu machen? Dabei war das Ganze so unendlich schnell geschehen, innerhalb weniger Tage, und es hatte keinerlei Anzeichen dafür gegeben, bevor ich Dumnonia verließ.

»Es gab Anzeichen«, sagte Merlin, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Es gab Anzeichen, nur hat keiner von uns sie ernst genommen. Wen kümmerte es, daß ein paar Christen den Fisch an ihre Hauswände pinselten? Wen kümmerte ihr wildes Rasen? Wir hatten uns so an die Tiraden ihrer Priester gewöhnt, daß wir gar nicht mehr hörten, was sie sagten. Und wer von uns glaubt schon, daß ihr Gott in vier Jahren nach Britannien kommen wird? Es gab Anzeichen rings um uns, Derfel, aber wir waren blind für sie. Doch das ist es nicht, was dieses Grauen ausgelöst hat.«

»Sansum und Lancelot haben es ausgelöst«, sagte ich.

»Der Kessel hat es ausgelöst«, widersprach Merlin. »Irgend jemand hat ihn benutzt, Derfel, und nun ist seine Macht über das Land gekommen. Ich vermute, daß Dinas und Lavaine ihn haben; da sie jedoch nicht wissen, wie sie ihn kontrollieren können, haben sie seine Schrecken entfesselt.«

Ich ging schweigend weiter. Wir konnten jetzt das SevernMeer sehen, das träge und silbrigschwarz unter dem sinkenden Mond dalag. Ceinwyn weinte leise; ich ergriff ihre Hand. »Ich habe entdeckt«, sagte ich zu ihr, um sie von ihrem Schmerz abzulenken, »wer mein Vater ist. Erst gestern habe ich’s erfahren.«

»Dein Vater ist Aelle«, sagte Merlin bedächtig. Ich starrte ihn an. »Woher wißt Ihr das?«

»Es steht dir im Gesicht geschrieben, Derfel, im Gesicht. Als du heute abend zum Tor hereinkamst, hättest du nur noch ein schwarzes Bärenfell gebraucht, um er zu sein.« Lächelnd sah er mich an. »Ich erinnere mich noch an dich, wie du ein ernster, kleiner Knabe voller Fragen und Stirnrunzeln warst, und dann kamst du heute abend wie ein Krieger der Götter zu uns, eine schreckenerregende Gestalt aus Eisen und Stahl, Helmbusch und Schild.«

»Ist das wahr?« fragte mich Ceinwyn.

»Ja«, räumte ich ein und fürchtete ihre Reaktion. Ich hätte keine Angst zu haben brauchen. »Dann muß Aelle ein sehr großer Mann sein«, erklärte sie fest und schenkte mir ein trauriges Lächeln, »Lord Prinz.«

Als wir das Meer erreichten, wandten wir uns nordwärts. Wir konnten uns nirgendwo anders hinwenden als nach Gwent und Powys, denn bis dorthin hatte sich der Wahnsinn noch nicht ausgebreitet. Unser Weg endete jedoch an einem Punkt, wo der Sandstrand in eine Landzunge auslief und die Flut weiß über eine geriffelte Schlammfläche hereinschäumte. Links von uns lag das Meer, rechts von uns lagen die Sümpfe von Avalon, und mir schien, als wären wir hier gefangen; doch Merlin sagte, wir sollten uns keine Sorgen machen. »Ruht euch aus«, sagte er, »denn bald schon werden wir Hilfe bekommen.« Er spähte gen Osten, wo sich ein erster Lichtschimmer über den Hügeln hinter dem Sumpf zeigte. »Die Morgendämmerung«, verkündete er. »Sobald die Sonne aufgegangen ist, wird unsere Hilfe eintreffen.« Er setzte sich und spielte mit Seren und ihren Kätzchen, während wir anderen mit unseren Bündeln auf dem Sand lagen und Pyrlig, unser Barde, das Lied von Rhiannon sang, das Dians Lieblingslied gewesen war. Ceinwyn, einen Arm um Morwenna gelegt, weinte leise, während ich auf das kabbelige graue Meer starrte und von Rache träumte. Die Sonne ging auf und verhieß einen weiteren

wunderschönen Sommertag in Dumnonia, nur daß sich an diesem Tag eisengerüstete Reiter weit über das Land verteilen würden, um nach uns zu suchen. Der Kessel war endlich benutzt worden, die Christen waren zu Lancelots Banner geströmt, der Schrecken verbreitete sich über das Land, und Arthurs Lebenswerk war in Gefahr.

Lancelots Männer waren nicht die einzigen, die an jenem Morgen nach uns suchten. Die Nachricht vom Ende von Ermids Halle war bis in die Moordörfer gedrungen, und die Menschen dort hatten auch gehört, daß die

leichenschänderische Zeremonie in Ynys Wydryn eine christliche Vermählung gewesen war. Da jeder Feind der Christen ein Freund der Moorbewohner war, schwärmten ihre Bootsleute, Fährtensucher und Jäger überall in die Sümpfe aus, um nach uns zu suchen.

Sie fanden uns zwei Stunden nach Sonnenaufgang und führten uns nordwärts über Sumpfwege, auf die sich kein Feind wagen würde. Gegen Abend waren wir aus den Sümpfen heraus und in der Nähe der Stadt Abona, von deren Hafen Schiffe mit Getreide, Töpferwaren, Zinn und Blei Kurs auf die silurische Küste nahmen. Eine Horde von Lancelots Männern bewachte die von den Römern erbauten Lagerhallen, die den Flußhafen säumten. Da sein Heer jedoch weit

auseinandergezogen war, beobachteten höchstens zwanzig Speerkämpfer die Schiffe, und die meisten dieser Speerkämpfer waren von einer geplünderten Ladung Met halb betrunken. Wir töteten sie alle. Der Tod war schon zuvor über Abona gekommen, denn die Leichen von zwölf Heiden lagen auf dem Schlick oberhalb der Gezeitenmarke des Flusses. Die fanatischen Christen, welche die Heiden umgebracht hatten, waren inzwischen verschwunden, um sich Lancelots Heer anzuschließen; und die Leute, die noch in der Stadt weilten, waren verängstigt. Sie berichteten uns, was sich in der Stadt zugetragen hatte, schworen uns, an den Morden unschuldig zu sein, und verbarrikadierten dann ihre Türen, die alle das Zeichen des Fisches trugen. Am folgenden Morgen segelten wir bei auflaufendem Wasser zum silurischen Isca, der Festung am Usk, wo Lancelot einstmals residiert hatte, als er auf Silurias unzulänglichem Thron schmollte.

Ceinwyn saß neben mir im Speigatt des Bootes. »Es ist doch seltsam«, sagte sie, »wie die Kriege mit den Königen kommen und gehen.«

»Wieso?« fragte ich sie.

Sie zuckte die Achseln. »Als Uther starb, gab es nichts als Kämpfe, bis Arthur meinen Vater tötete, dann hatten wir Frieden; nun kommt Mordred auf den Thron, und schon haben wir wieder Krieg. Es ist wie bei den Jahreszeiten, Derfel. Die Kriege kommen und gehen.« Sie legte den Kopf an meine Schulter. »Was wird jetzt wohl aus uns werden?« fragte sie mich.

»Du wirst mit den Mädchen nach Norden gehen, nach Caer Sws«, sagte ich, »und ich werde hierbleiben und kämpfen.«

»Wird Arthur auch kämpfen?« wollte sie wissen.

»Wenn Guinevere getötet wurde«, antwortete ich, »wird er kämpfen, bis kein einziger Feind mehr am Leben ist.« Wir hatten nichts von Guinevere gehört, doch da die Christen mordend und plündernd durch Dumnonia zogen, erschien es mir unwahrscheinlich, daß sie in Ruhe gelassen worden war.

»Die arme Guinevere«, sagte Ceinwyn. »Und der arme Gwydre.« Sie hatte Arthurs Sohn in ihr Herz geschlossen. Als wir am Usk-Fluß landeten, waren wir endlich in Sicherheit, denn dort regierte Meurig. Wir marschierten nordwärts nach Burrium, der Hauptstadt von Gwent. Gwent war zwar ein christliches Königreich, aber noch nicht von dem Wahnsinn angesteckt worden, der über Dumnonia hinwegfegte. Gwent hatte bereits einen christlichen König, und möglicherweise hatte dieser Umstand genügt, den Frieden im Land zu bewahren. Meurig jedoch gab Arthur die Schuld. »Er hätte das Heidentum unterdrücken sollen«, behauptete er uns gegenüber.

»Warum, Lord König?« fragte ich. »Arthur ist doch selber ein Heide.«

»Christi Wahrheit ist unüberhörbar, möchte ich meinen«, entgegnete Meurig. »Wenn ein Mann nicht auf den Wogen der Geschichte reiten kann, hat er sich selbst die Schuld zuzuschreiben. Das Christentum ist die Zukunft, Lord Derfel, das Heidentum die Vergangenheit.«

»Eine recht kurze Zukunft, wenn die Geschichte in vier Jahren enden soll«, wandte ich ein.

»Sie wird nicht enden!« sagte Meurig. »Sie fängt erst an!

Wenn Christus wiederkehrt, Lord Derfel, beginnen die Tage der Glorie! Wir werden alle Könige sein, und wir werden alle gesegnet sein.«

»Bis auf uns Heiden.«

»Gewiß! Die Hölle braucht Nachschub. Noch aber ist Zeit für Euch, den wahren Glauben anzunehmen.«

Ceinwyn und ich lehnten seine Einladung zur Taufe ab, und am folgenden Morgen brach Ceinwyn mit Morwenna, Seren sowie den anderen Frauen und Kindern nach Powys auf. Wir Speerkämpfer umarmten unsere Familien und sahen ihnen nach, wie sie nach Norden davonzogen. Meurig gab ihnen eine Eskorte mit, und ich stellte sechs von meinen eigenen Männern mit dem Befehl ab, nach Süden zurückzukehren, sobald die Frauen sicher unter Cuneglas’ Schutz seien. Malaine, der Druide von Powys, ging mit ihnen, Merlin und Nimue jedoch, deren Suche nach dem Kessel plötzlich wieder genauso dringend war wie auf der Dunklen Straße, blieben bei uns. König Meurig reiste mit uns nach Glevum, einer Stadt, die zwar dumnonisch war, aber unmittelbar an der Grenze zu Gwent lag. Und da sie mit ihren Erd-und Holzwällen Meurigs Gebiet schützte, war er so vernünftig gewesen, eine Garnison seiner eigenen Speerkämpfer dorthin zu verlegen, um zu gewährleisten, daß sich die Unruhen von Dumnonia nicht nordwärts nach Gwent ausbreiteten. Wir brauchten einen halben Tag, um Glevum zu erreichen, und dort, in der großen römischen Halle, in der Uthers letzter Kronrat abgehalten worden war, traf ich den Rest meiner Männer an, Arthurs Männer und Arthur selbst.

Als er mich in die Halle kommen sah, war der Ausdruck der Erleichterung auf seinem Gesicht so tief empfunden, daß mir die Tränen in die Augen traten. Meine Speerkämpfer – jene, die bei Arthur geblieben waren, während ich gen Süden zog, um meine Mutter zu suchen – jubelten, und die nächsten Minuten vergingen in einem Durcheinander von

Wiedersehensfreude und dem Austausch der letzten Neuigkeiten. Ich erzählte ihnen von Ermids Halle, nannte ihnen die Namen der Männer, die gefallen waren, versicherte ihnen, daß ihre Ehefrauen noch lebten, und sah dann Arthur an. »Aber sie haben Dian getötet«, sagte ich.

»Dian?« Ich hatte den Eindruck, daß er mir anfangs nicht glaubte.

»Dian«, bestätigte ich, und wieder kamen die verdammten Tränen.

Arthur führte mich aus der Halle und wanderte mit mir, den rechten Arm um meine Schultern gelegt, auf Glevums Wälle hinaus, wo Meurigs Speerkämpfer mit den roten Mänteln inzwischen jede Kampfstation besetzt hatten. Dann ließ er mich alles noch einmal erzählen, von dem Moment an, da ich mich von ihm getrennt hatte, bis zu dem Augenblick, da wir von Abona ablegten. »Dinas und Lavaine!« Er sprach die Namen voller Bitterkeit aus, zog Excalibur und küßte die graue Klinge. »Eure Rache ist die meine«, erklärte er förmlich und schob das Schwert in die Scheide zurück.

Eine Zeitlang sprachen wir nicht, sondern stützten uns auf die Oberkante der Brustwehr und starrten auf das weite Tal südlich von Glevum hinab. Es wirkte so friedlich. Das Gras war fast zum Heuen bereit, und in dem kräftig wachsenden Getreide leuchteten Mohnblumen. »Habt Ihr etwas von Guinevere gehört?« brach Arthur das Schweigen, und ich vernahm einen Unterton in seiner Stimme, der nahezu an Verzweiflung grenzte.

»Nein, Lord.«

Er erschauerte, gewann dann aber die Selbstbeherrschung zurück. »Die Christen hassen sie«, sagte er leise und berührte ganz und gar uncharakteristisch für ihn, das Eisen in Excaliburs Heft, um das Böse abzuwenden.

»Lord«, versuchte ich ihn zu beruhigen, »sie hat ihre Wachen. Und ihr Palast liegt am Meer. Sobald es gefährlich werden sollte, wäre sie geflohen.«

»Aber wohin? Nach Broceliande? Und angenommen, Cerdic hat Schiffe herübergeschickt?« Er schloß die Augen und schüttelte den Kopf. »Wir können nur auf Nachricht warten.«

Ich fragte ihn nach Mordred, aber er wußte auch nicht mehr als wir anderen. »Ich vermute, daß er tot ist«, sagte er bedrückt.

»Denn wenn er entkommen wäre, müßte er inzwischen hier sein.«

Er hatte Nachrichten von Sagramor, und diese Nachrichten waren schlecht. »Cerdic hat ihn schwer geschlagen. Caer Ambra ist gefallen, Calleva ist nicht mehr, und Corinium wird belagert. Es müßte sich noch ein paar Tage halten können, denn Sagramor hat es geschafft, seine Garnison um zweihundert Speerkämpfer zu verstärken; doch bis zum Monatsende werden sie nichts mehr zu essen haben. Wie es scheint, stehen wir wieder mal im Krieg.« Er stieß ein kurzes, hartes Lachen aus. »Ihr hattet recht mit Lancelot, nicht wahr?

Und ich war blind. Ich habe ihn für einen Freund gehalten.«

Statt einer Antwort warf ich ihm nur einen kurzen Blick zu. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, daß seine Schläfen grau geworden waren. Auf mich wirkte er immer noch jung, doch vermutlich würde ihn jemand, der ihm jetzt zum ersten Mal begegnete, für Anfang der mittleren Jahre halten. »Wie konnte Lancelot Cerdic nur nach Dumnonia hereinholen?« fragte er zornig. »Und wie konnte er die Christen in ihrem Wahnsinn bestärken?«

»Weil er König von Dumnonia werden will«, entgegnete ich,

»und dazu braucht er ihre Speere. Und Sansum will sein oberster Ratgeber sein, sein königlicher Schatzverwalter und alles andere ebenfalls.«

Arthur erschauerte. »Glaubt Ihr wirklich, daß Sansum unseren Tod bei Cadocs Schrein geplant hat?«

»Wer sonst?« gab ich zurück. Meiner Ansicht nach war es Sansum gewesen, der den Fisch auf Lancelots Schild als erster mit dem Namen Christi in Verbindung gebracht hatte, und Sansum, der die erregte Christengemeinde in eine Raserei hineingepeitscht hatte, die Lancelot auf Dumnonias Thron schwemmen würde. Daß Sansum wirklich an Christi unmittelbar bevorstehende Wiederkunft glaubte, bezweifelte ich; aber er wollte so viel Macht wie möglich in seiner Hand vereinen, und Lancelot war Sansums Kandidat für Dumnonias Königsthron. Wenn es Lancelot gelang, den Thron zu halten, würden alle Zügel der Macht in den Pfoten des Mäuselords enden. »Er ist ein gefährlicher kleiner Bastard«, sagte ich rachsüchtig. »Wir hätten ihn vor zehn Jahren töten sollen.«

»Die arme Morgan.« Arthur seufzte. Dann verzog er das Gesicht. »Was haben wir falsch gemacht?« fragte er mich.

»Wir?« entgegnete ich entrüstet. »Wir haben überhaupt nichts falsch gemacht.«

»Wir haben nicht begriffen, was die Christen wollten«, sagte er. »Aber was hätten wir tun können, wenn wir es begriffen hätten? Sie hätten niemals etwas anderes akzeptiert als den vollständigen Sieg.«

»Wir haben nichts getan«, widersprach ich, »es war der Kalender. Das Jahr Fünfhundert hat sie in den Wahnsinn getrieben.«

»Und ich«, sagte er leise, »hatte gehofft, wir hätten Dumnonia von solchem Wahnsinn weggeführt.«

»Ihr habt den Menschen Frieden geschenkt, Lord«, sagte ich,

»und der Frieden schenkte ihnen die Möglichkeit, ihren Wahnsinn auszubrüten. Hätten wir all diese Jahre gegen die Sachsen gekämpft, hätten sie ihre Kraft auf die Schlachten und aufs Überleben verwenden müssen. Statt dessen haben wir ihnen Gelegenheit gegeben, ihre Verrücktheiten zu pflegen.«

Er zuckte die Achseln. »Und was tun wir jetzt?«

»Jetzt?« fragte ich ihn. »Wir kämpfen.«

»Womit denn?« fragte er verbittert. »Sagramor hat alle Hände voll mit Cerdic zu tun. Cuneglas wird uns sicher Speerkämpfer schicken, aber Meurig wird bestimmt nicht kämpfen.«

»Nein?« fragte ich beunruhigt. »Aber er hat den Tafelrundeneid geleistet!«

Arthur lächelte traurig. »Diese Eide, Derfel, sie verfolgen uns. Und in diesen traurigen Tagen scheinen die Männer sie so leicht zu nehmen! Lancelot hat den Eid ebenfalls geleistet, oder? Aber Meurig sagt, nachdem Mordred tot ist, gibt es keinen casus belli mehr.« Er sprach die lateinischen Worte voll Bitterkeit aus, und mir fiel ein, daß Meurig dasselbe Zitat vor Lugg Vale benutzt hatte und daß Culhwch sich über des Königs Gelehrsamkeit lustig gemacht hatte, indem er das Latein zu »Käsebällchen« verballhornt hatte. »Culhwch wird kommen«, stellte ich fest.

»Um für Mordreds Land zu kämpfen?« gab Arthur zurück.

»Das möchte ich bezweifeln.«

»Um für Euch zu kämpfen, Lord«, berichtigte ich. »Denn wenn Mordred tot ist, seid Ihr der König.«

Er lächelte verbittert. »König – wovon? Von Glevum?« Er lachte. »Ich habe Euch, ich habe Sagramor, ich habe das, was Cuneglas mir gibt, aber Lancelot hat Dumnonia, und er hat Cerdic.« Eine Weile schritt er schweigend dahin, dann schenkte er mir ein ironisches Lächeln. »Einen weiteren Verbündeten haben wir allerdings noch, obwohl er kaum als Freund zu bezeichnen ist. Aelle hat sich Cerdics Abwesenheit zunutze gemacht und London erobert. Vielleicht werden Cerdic und er sich gegenseitig umbringen.«

»Aelle«, sagte ich, »wird von seinem Sohn getötet werden, nicht von Cerdic.«

Er sah mich fragend an. »Von welchem Sohn?«

»Es ist ein Fluch«, erklärte ich ihm, »und ich bin Aelles Sohn.«

Er machte halt und starrte mich an, als wollte er ergründen, ob ich einen Scherz mache. »Ihr?« fragte er verwundert.

»Ja, ich, Lord.«

»Wirklich?«

»Auf meine Ehre, Lord. Ich bin der Sohn Eures Feindes.«

Er hörte nicht auf, mich anzustarren, und brach dann in lautes Lachen aus. Das Lachen war echt und zügellos und endete damit, daß er sich die Tränen aus den Augen wischte und belustigt den Kopf schüttelte. »Mein lieber Derfel! Wenn das Uther und Aelle wüßten!« Uther und Aelle, die Erzfeinde, deren Söhne Freunde geworden waren. Das Schicksal ist unerbittlich.

»Es wäre möglich, daß Aelle es weiß«, sagte ich und dachte daran, wie sanft er mich dafür getadelt hatte, daß ich Erce ignorierte.

»Ob wir es wollen oder nicht«, sagte Arthur, »jetzt ist er unser Verbündeter. Es sei denn, wir entschließen uns, nicht zu kämpfen.«

»Nicht zu kämpfen?« fragte ich ihn entsetzt.

»Es gibt Zeiten«, antwortete Arthur leise, »da will ich nur noch Guinevere und Gwydre zurückhaben. Und ein kleines Haus, wo wir in Frieden leben können. Ich fühle mich sogar versucht, einen Eid abzulegen, Derfel, daß ich die Götter, wenn sie mir meine Familie zurückgeben, niemals wieder belästigen werde. Ich werde mich in ein Haus zurückziehen, wie Ihr es in Powys hattet. Wißt Ihr noch?«

»Cwm Isaf«, sagte ich und fragte mich, wie Arthur darauf kam, daß Guinevere sich an einem solchen Ort wohl fühlen könnte.

»Genau wie Cwm Isaf«, sagte er sehnsüchtig. »Ein Pflug, ein paar Felder, ein Sohn, den wir großziehen, einen König, den wir achten, und Lieder am abendlichen Feuer.« Er wandte sich ab und spähte wieder nach Süden. Im Osten des Tals stiegen steil hohe, grüne Hügel empor, und Cerdics Mannen lauerten gar nicht so weit von diesen Gipfeln entfernt. »Ich habe alles so satt«, sagte Arthur. Einen Moment schien er den Tränen nahe zu sein. »Denkt doch an alles, was wir erreicht haben, Derfel, an all die Straßen, die Gerichtshöfe und die Brücken, an all die Streitfälle, die wir geschlichtet, an den vielen Wohlstand, den wir gestiftet haben, und das alles wird von einer Religion zunichte gemacht! Religion!« Er spie über den Wall. »Ist es Dumnonia überhaupt noch wert, daß man um es kämpft?«

»Dians Seele ist es wert, daß man um sie kämpft«, gab ich zurück. »Und solange Dinas und Lavaine leben, werde ich keinen Frieden finden. Ich bete darum, Lord, daß Ihr keinen solchen Tod rächen müßt, aber Ihr werdet dennoch kämpfen müssen. Wenn Mordred tot ist, seid Ihr der König, und wenn er noch lebt, haben wir unsere Eide.«

»Unsere Eide«, wiederholte er grollend, und ich bin sicher, er dachte an das, was er hoch über dem Meer gesagt hatte, an dessen Strand Iseult sterben sollte. »Unsere Eide!« wiederholte er.

Aber die Eide waren alles, was uns jetzt blieb, Eide leiteten uns in den Zeiten des Chaos, und das Chaos lastete jetzt schwer auf Dumnonia. Denn irgend jemand hatte die Macht des Kessels entfesselt, und sein Schrecken drohte uns alle zu verschlingen.

In jenem Sommer glich Dumnonia einem gigantischen Wurfbrett, und Lancelot hatte seine Würfel gut geworfen: Mit seinem Eröffnungswurf hatte er die Hälfte des Brettes für sich gewonnen. Er hatte den Sachsen das Themsetal überlassen, aber der Rest des Landes gehörte jetzt ihm: und zwar dank der Christen, die sich blind für ihn geschlagen hatten, weil auf seinem Schild ihr mystisches Fischsymbol zu sehen war. Ich war zwar der Ansicht, daß Lancelot kein bißchen christlicher sei, als Mordred es gewesen war, doch Sansums Missionare hatten ihre hinterhältige Botschaft im ganzen Land verbreitet, und was Dumnonias arme, irregeleitete Christen betraf – für die war Lancelot der Vorbote Christi.

Aber Lancelot hatte nicht in jedem Punkt gewonnen. Sein Plan, Arthur zu töten, war fehlgeschlagen, und solange Arthur lebte, war Lancelot in Gefahr. Deswegen versuchte er am Tag, nachdem ich in Glevum eintraf, das ganze Wurfbrett zu erobern. Er versuchte, auf der ganzen Linie zu gewinnen. Er sandte einen reitenden Boten mit einem umgekehrten Schild und einem Mistelzweig an der Speerspitze aus. Der Reiter überbrachte eine Nachricht, durch die Arthur nach Dun Ceinach bestellt wurde, einer uralten Erdfestung, die nur wenige Meilen südlich von Glevums Wällen aufragte. Die Nachricht forderte, daß Arthur noch am selben Tag zu jener alten Festung reite, gelobte ihm Sicherheit und gestattete ihm, so viele Speerkämpfer mitzubringen, wie er wollte. Der herrische Ton der Nachricht forderte eigentlich eine Weigerung heraus, zum Schluß aber wurden Arthur Nachrichten über Guinevere zugesagt. Lancelot mußte gewußt haben, daß ein derartiges Versprechen Arthur stehenden Fußes aus Glevum herauslocken würde.

Eine Stunde später war er unterwegs. Zwanzig von uns begleiteten ihn, alle zu Pferde, alle in voller Rüstung unter der heißen Sonne. Dicke weiße Wolken segelten über die Hügel dahin, die an der Ostseite des breiten Severn-Flußtals steil anstiegen. Wir hätten dem Pfad folgen können, der sich in jene Hügel hinaufschlängelte; aber dort hätte es zu viele Möglichkeiten für einen Hinterhalt gegeben, also nahmen wir die Römerstraße, die durch das Tal nach Süden führte. Zu beiden Seiten der Straße lagen Felder mit Roggen und Gerste, in denen die Mohnblumen blühten. Nach einer Stunde wandten wir uns ostwärts und ritten im Leichtgalopp neben einer Hecke einher, in der schneeweiß die Weißdornblüten leuchteten, und dann über eine Wiese, deren Gras fast für die Sichel bereit war, bis wir an einen steilen Grashang kamen, auf dem die alte Festung lag. Schafe stoben auseinander, als wir den Hang erstiegen, der so jäh war, daß ich es vorzog, vom Rücken meines Pferdes zu gleiten und es am Zügel zu führen. Rosarot und braun blühte Bienenragwurz im Gras.

Etwa einhundert Schritt unterhalb des Gipfels machten wir halt, und ich kletterte allein weiter, um sicherzustellen, daß uns hinter den langgestreckten Graswällen der Festung kein Hinterhalt erwartete. Als ich die Krone des Walls erreicht hatte, keuchte und schwitzte ich, aber kein Feind kauerte hinter der Böschung. Ja, das alte Fort wirkte bis auf zwei Hasen, die bei meinem plötzlichen Auftauchen das ihnen zugeschriebene Panier ergriffen, völlig verlassen. Die Stille auf der Hügelkuppe machte mich mißtrauisch, dann jedoch erschien ein einzelner Reiter unter einigen niedrigen Bäumen, die im nördlichen Teil der Festung wuchsen. Er trug einen Speer, den er demonstrativ zu Boden warf, kehrte seinen Schild um und saß ab. Ein Dutzend weitere Männer, die hinter ihm zwischen den Bäumen hervorkamen, warfen ebenfalls ihre Speere zu Boden, als wollten sie mir versichern, daß ihr

Waffenstillstandsversprechen aufrichtig gemeint war. Ich winkte Arthur zu mir herauf. Seine Pferde erklommen den Wall, dann schritten er und ich gemeinsam weiter. Arthur trug seine schönste Rüstung. Er trat nicht etwa als Bittsteller auf, sondern als Krieger mit weißer Helmzier und silbernem Schuppenpanzer.

Zwei Männer kamen uns entgegen. Ich hatte erwartet, Lancelot persönlich zu treffen, statt dessen war es jedoch Bors, sein Cousin und Champion, der sich uns näherte. Bors war ein hochgewachsener, schwarzhaariger Mann mit schwerem Bart und breiten Schultern und ein tüchtiger Krieger, der wie ein Stier durchs Leben stapfte, wo sein Meister dahinglitt wie eine Schlange. Ich hatte nichts gegen Bors, noch hatte er etwas gegen mich, doch unser jeweiliger Treueschwur machte uns zu Feinden.

Bors nickte mir einen kurzen Gruß zu. Er trug eine Rüstung, doch sein Begleiter war in das Gewand eines Priesters gekleidet. Es war Bischof Sansum. Das überraschte mich, denn Sansum war normalerweise sehr darauf bedacht zu verbergen, auf wessen Seite er stand. Deswegen dachte ich mir, unser kleiner Mäuselord müsse sich seines Sieges sehr sicher sein, wenn er seine Treue zu Lancelot so offen zeigte. Arthur schenkte Sansum einen abweisenden Blick und wandte sich an Bors. »Ihr habt Nachricht von meiner Gemahlin?« fragte er kurz.

»Sie lebt«, antwortete Bors, »und sie ist in Sicherheit. Genau wie Euer Sohn.«

Arthur schloß die Augen. Er konnte seine Erleichterung nicht verbergen, ja, brachte einen Moment lang kein Wort heraus.

»Wo sind sie?« fragte er schließlich, als er sich wieder zusammengenommen hatte.

»Im Seepalast«, antwortete Bors. »Unter Bewachung.«

»Ihr haltet Frauen als Gefangene?« fragte ich ihn verächtlich.

»Sie stehen unter Bewachung, Derfel«, antwortete Bors nicht weniger geringschätzig, »weil Dumnonias Christen ihre Feinde abschlachten. Und diese Christen, Lord Arthur, haben nichts für Eure Gemahlin übrig. Mein Lord König Lancelot hat Eure Gemahlin und Euren Sohn unter seinen Schutz gestellt.«

»Dann kann Euer Lord König Lancelot«, gab Arthur mit einem Anflug von Sarkasmus zurück, »sie ja unter Bewachung nach Norden bringen lassen.«

»Nein«, widersprach Bors. Die Sonne brannte so heiß, daß

ihm der Schweiß über das breite, narbengeschmückte Gesicht rann.

»Nein?« fragte Arthur drohend.

»Ich habe eine Botschaft für Euch, Lord«, erklärte Bors trotzig, »und die lautet so: Mein Lord König gewährt Euch das Recht, mit Eurer Gemahlin in Dumnonia zu leben. Ihr werdet mit allen Ehren behandelt, aber nur, wenn Ihr meinem König den Treueid leistet.« Er hielt inne und blickte zum Himmel empor. Es war einer jener unheilverkündenden Tage, da der Mond sich den Himmel mit der Sonne teilt, und Bors zeigte auf den Mond, der irgendwo zwischen Halbmond und Vollmond stand. »Ihr habt Zeit«, sagte er dazu, »bis der Mond voll ist, um auf Caer Cadarn vor meinen Lord König zu treten. Ihr dürft mit höchstens zehn Mann Begleitung kommen, Ihr legt Euren Eid ab, und dann dürft Ihr in Frieden in seinem Reich leben.«

Ich spie aus, um ihm zu zeigen, was ich von seinem Versprechen hielt. Arthur jedoch hob die Hand, um meinem Zorn Einhalt zu gebieten. »Und wenn ich nicht erscheine?«

fragte er.

Ein anderer Mann hätte sich wohl geschämt, diese Botschaft zu überbringen, aber Bors zeigte keinerlei Gewissensbisse.

»Wenn Ihr nicht erscheint«, antwortete er, »wird mein Lord König annehmen, daß Ihr Euch im Krieg mit ihm befindet. In diesem Fall wird er jeden Speer brauchen, den er aufbringen kann. Selbst jene, die jetzt noch Eure Gemahlin und Euren Sohn bewachen.«

»Damit seine Christen« – mit dem Daumen wies Arthur auf Sansum – »sie töten können?«

»Sie kann sich jederzeit taufen lassen!« warf Sansum ein und packte das Kreuz, das auf seiner schwarzen Robe hing.

»Sobald sie getauft ist, kann ich für ihre Sicherheit garantieren.«

Arthur starrte ihn an. Dann spie er sehr bedächtig mitten in Sansums Gesicht. Der Bischof zuckte zurück. Bors amüsierte das, wie ich bemerkte, woraus ich den Schluß zog, daß sich Lancelots Champion und sein Kaplan nicht besonders grün waren. Arthur wandte sich wieder an Bors. »Berichtet mir von Mordred«, verlangte er.

Bors schien sich über die Frage zu wundern. »Da gibt es nichts zu berichten«, sagte er nach kurzer Pause. »Er ist tot.«

»Habt Ihr seinen Leichnam gesehen?« wollte Arthur wissen. Wieder zögerte Bors, dann schüttelte er den Kopf. »Er wurde von einem Mann getötet, dessen Tochter er vergewaltigt hatte. Mehr weiß ich auch nicht. Nur noch, daß mein Lord König nach Dumnonia kam, um die Unruhen zu ersticken, die nach seinem Tod entstanden.« Er hielt inne, als erwartete er, daß

Arthur etwas sagte; als der jedoch schwieg, blickte er noch einmal zum Mond empor. »Ihr habt Zeit, bis er voll ist«, sagte er und wandte sich ab.

»Einen Moment!« rief ich, und Bors drehte sich zu mir um.

»Was ist mit mir?« fragte ich ihn.

Bors’ harte Augen blickten direkt in die meinen. »Was soll mit Euch sein?« fragte er verächtlich zurück.

»Verlangt der Mörder meiner Tochter auch von mir einen Treueid?« fragte ich ihn.

»Mein Lord König verlangt gar nichts von Euch«, antwortete Bors.

»Dann richtet ihm aus«, gab ich zurück, »daß ich etwas von ihm verlange. Sagt ihm, ich verlange die Seelen von Dinas und Lavaine, und die werde ich mir holen, und wenn es das letzte ist, was ich auf Erden tun werde.«

Bors zuckte die Achseln, als wäre diese Drohung bedeutungslos für ihn. Er wandte sich noch einmal an Arthur.

»Wir werden Euch auf Caer Cadarn erwarten, Lord«, sagte er, drehte sich endgültig um und ging. Sansum blieb noch, um uns zu beschimpfen. Er behauptete, Christus werde in all seinem Glanz herniedersteigen und vor diesem glücklichen Tag würden sämtliche Heiden und Sünder vom Angesicht der Erde gefegt werden. Ich spie ihn an, machte kehrt und folgte Arthur. Sansum blieb uns auf den Fersen, fuhr fort uns zu beschimpfen, und rief dann plötzlich meinen Namen. »Lord Derfel!« rief er abermals. »He, Hurenbock! He, Hurenmeister!« Er muß

gewußt haben, daß ich angesichts dieser Beleidigungen voll Zorn zu ihm zurückkehren würde; meinen Zorn wollte er zwar nicht wecken, wohl aber meine Aufmerksamkeit. »Ich hab’s nicht so gemeint, Lord«, behauptete er hastig, als ich zu ihm zurückeilte. »Ich muß mit Euch sprechen. Schnell!« Er warf einen Blick hinter sich, um sicherzugehen, daß Bors nicht in Hörweite war, und stieß laut brüllend weitere Beleidigungen aus, mit denen er meine Bußfertigkeit verlangte, damit Bors glaubte, er wolle mich nur weiter beschimpfen. »Ich dachte, Ihr und Arthur wärt tot«, sagte er leise.

»Ihr habt unseren Tod geplant«, warf ich ihm vor. Er erbleichte. »Bei meiner Seele, Derfel, nein! Nein!« Er schlug das Kreuz. »Mögen die Engel mir die Zunge herausreißen und dem Teufel zum Fraß vorwerfen, wenn sie Euch belügt! Ich schwöre beim Allmächtigen Gott, Derfel, daß

ich nichts davon wußte.« Nachdem er diese Lüge losgeworden war, warf er einen vorsichtigen Blick in die Runde. »Dinas und Lavaine«, sagte er leise, »bewachen Guinevere im Seepalast. Vergeßt nicht, Lord, daß ich es war, der Euch davon unterrichtet hat.«

Ich lächelte. »Bors soll wohl nicht erfahren, daß Ihr mir diese Information gegeben habt. Richtig?«

»Nein, Lord, bitte!«

»Dann sollte ihn dies hier von Eurer Unschuld überzeugen!«

Damit versetzte ich dem Mäuselord eine so kräftige Ohrfeige, daß sein Schädel gedröhnt haben muß wie die große Glocke in seinem Schrein. Er flog der Länge nach auf den Grasboden, von wo aus er mir Flüche nachschleuderte, während ich gelassen davonging. Jetzt begriff ich, warum Sansum zu dieser Festung unter dem Himmel gekommen war. Der Mäuselord erkannte deutlich, daß Lancelots neu erworbener Thron durch Arthurs Überleben bedroht war. Niemand konnte auf einen Herrn bauen, der Arthur zum Gegner hatte. Genau wie seine Gemahlin sorgte Sansum dafür, daß ich ihm Dank schuldete.

»Worum ging es?« erkundigte sich Arthur, als ich ihn eingeholt hatte.

»Er hat mir mitgeteilt, daß Dinas und Lavaine sich im Seepalast befinden. Sie beschützen Guinevere.«

Arthur knurrte etwas und blickte dann zum Mond auf, der neben der Sonne bleich am Himmel hing. »Wie viele Nächte noch, bis Vollmond, Derfel?«

»Fünf«, schätzte ich. »Oder sechs? Merlin wird’s genau wissen.«

»Sechs Tage, um eine Entscheidung zu treffen«, sinnierte er. Dann hielt er inne und starrte mich an. »Werden sie es wagen, sie zu töten?«

»Nein, Lord«, antwortete ich in der Hoffnung, daß ich recht hatte. »Sie werden es nicht wagen, Euch zu ihrem Feind zu machen. Sie wollen, daß Ihr kommt, um ihnen Euren Eid zu leisten, und dann werden sie Euch töten. Anschließend werden sie dann vielleicht auch sie töten.«

»Und wenn ich nicht komme«, wandte er leise ein, »werden sie sie weiterhin festhalten. Und solange sie sie festhalten, Derfel, bin ich hilflos.«

»Ihr habt ein Schwert, Lord, einen Speer und einen Schild. Niemand würde Euch als hilflos bezeichnen.«

Hinter uns schwangen sich Bors und seine Männer in den Sattel und ritten davon. Wir blieben noch ein wenig länger, um von Dun Ceinachs Wällen gen Westen zu spähen. Es war einer der schönsten Ausblicke von ganz Britannien, ein Blick aus der Vogelperspektive westwärts über den Severn und tief bis ins ferne Siluria hinein. Meilenweit konnten wir blicken, und von diesem hohen Ausguck aus wirkte alles sonnig, grün und wunderschön. Wirklich eine Welt, für die zu kämpfen es sich lohnte.

Und wir hatten noch sechs Nächte bis Vollmond.

»Sieben Nächte«, sagte Merlin.

»Seid Ihr sicher?« fragte Arthur.

»Vielleicht auch sechs«, räumte Merlin ein. »Ich hoffe, Ihr erwartet nicht von mir, daß ich jetzt große Berechnungen anstelle. Das ist nämlich äußerst mühsam. Ich hab’ das oft genug für Uther machen müssen, und es ist fast immer schiefgegangen. Sechs oder sieben, genauer geht’s nicht. Vielleicht auch acht.«

»Malaine wird es berechnen«, versicherte Cuneglas. Als wir von Dun Ceinach zurückkehrten, hatten wir Cuneglas vorgefunden, der aus Powys gekommen war. Und nachdem er sich mit Malaine, der mit Ceinwyn und den anderen Frauen nach Norden gezogen war, besprochen hatte, hatte er auch den Druiden mitgebracht. Der König von Powys hatte mich umarmt und Dinas und Lavaine dann persönlich Rache geschworen. Er hatte sechzig Speerkämpfer in seinem Gefolge mitgebracht und erklärte uns, weitere hundert seien schon nach Süden unterwegs. Es würden aber noch mehr nachkommen, erklärte er, denn Cuneglas war auf einen Kampf gefaßt und stellte großzügig jeden Krieger bereit, der ihm zur Verfügung stand.

Jetzt saßen seine sechzig Krieger zusammen mit Arthurs Männern an den Wänden von Glevums großer Halle, während ihre Lords in der Mitte der Halle diskutierten. Nur Sagramor war nicht anwesend, denn er versuchte mit seinen restlichen Speerkämpfern Cerdics Heer nahe Corinium in Schach zu halten. Meurig war anwesend und ärgerte sich sichtlich darüber, daß Merlin den großen Sessel an der Stirnseite der Tafel für sich beanspruchte. Cuneglas und Arthur saßen zu Merlins Seiten, Meurig saß Merlin am anderen Ende der Tafel gegenüber, und Culhwch und ich nahmen die zwei übrigen Plätze ein. Culhwch war mit Cuneglas nach Glevum gekommen und hatte einen Schwall frischer, klarer Luft in die verräucherte Halle mitgebracht. Er konnte den Kampf kaum noch erwarten. Durch Mordreds Tod, erklärte er, sei sein Cousin König von Dumnonia, und Culhwch war bereit, für die Verteidigung von Arthurs Thron durch Blut zu waten. Cuneglas und ich teilten seine Kampfeslust. Meurig piepste etwas über Vorsicht, Arthur schwieg, während Merlin eingeschlafen zu sein schien. Ich bezweifelte allerdings, daß er schlief, denn auf seinem Gesicht zeigte sich ein winziges Lächeln; doch seine Augen waren geschlossen, während er gelassen vorgab, nichts von alldem zu hören, was wir sagten. Culhwch tat Bors’ Botschaft als lächerlich ab. Lancelot werde Guinevere niemals töten, behauptete er, und Arthur müsse nur an der Spitze seiner Männer nach Süden reiten, und der Thron werde ihm in die Hände fallen. »Morgen!« sagte Culhwch zu Arthur. »Morgen werden wir reiten. In zwei Tagen wird alles vorüber sein.«

Cuneglas war ein wenig zurückhaltender. Er riet Arthur zu warten, bis der Rest seiner powysischen Speerkämpfer eintreffe. Aber sobald die Männer da seien, sollten wir den Krieg erklären, fand er, und südwärts ziehen. »Wie groß ist Lancelots Heer?« fragte er.