7

 

 

Als sie mit einem Strauß Rosen, den sie für die Prinzessin geholt hatte, aus dem Garten zurückkehrte, überlegte Forella aufgeregt, daß der Prinz heute eintreffen könnte.

Ihrem Hilferuf würde er ganz sicher Folge leisten, wenn dieser ihn überhaupt erreicht hatte. Schließlich bestand die Möglichkeit, daß er sich augenblicklich gar nicht in London aufhielt.

Da sie trotzdem die Hoffnung nicht aufgab, daß er heute eintreffen könnte, wählte sie aus der Kollektion, die er ihr geschenkt hatte, das hübscheste Kleid aus.

Kritisch betrachtete sie ihr Spiegelbild und stellte fest, daß ihre Augen erwartungsfroh glänzten und ihr Gesicht verräterisch strahlte.

Wie konnte sie nur einen Mann so innig lieben, über den sie so wenig wußte.

Ihr Vater hatte sich auch auf den ersten Blick in ihre Mutter verliebt, erinnerte sie sich, und ihrer Mutter war es ebenso ergangen.

„Für mich war er der schönste Mann, der mir je begegnet war“, hatte ihre Mutter ihr erzählt. „Als er mich ansah, klopfte mir das Herz wilder und alles in mir strebte ihm zu und verriet mir, so unmöglich es scheinen mochte, daß ich der großen Liebe begegnet war.“

Jetzt verstehe ich sie, dachte Forella, und so wie Mama meinen Papa ihr Leben lang geliebt hat, so werde ich auch niemals einen anderen Mann so lieben können wie Prinz János.

Dann erinnerte sie sich wieder an die „arme Lady“ in den oberen Räumen, und es war, als verdunkle sich die Sonne.

Im Augenblick war jedoch ihr vordringliches Problem, daß man sie möglicherweise hier aufgestöbert hatte. Wenn der Prinz nicht bald als Retter in der Not eintraf, würde sie unter wüsten Beschimpfungen seitens ihrer Tante nach London befördert werden und gegen ihren Willen den Grafen heiraten müssen.

Wenn der Prinz morgen immer noch nicht da ist, dann sollte ich vielleicht zu fliehen versuchen, überlegte Forella. Doch nachdem sie die Geborgenheit und das Glück in diesem zauberhaften Haus kennengelernt hatte, fühlte sie sich außerstande, wie zuvor einen Ritt ins Ungewisse und ohne Geldmittel zu riskieren.

Der Prinz wird kommen. Ich weiß, daß er kommen wird, versuchte sie sich selbst zu trösten.

Als sie durch die Terrassentür schritt und den Salon betrat, war er da.

Sie hatte ihn nicht so früh erwartet und hielt ihn zunächst für eine Gestalt, die ihren Träumen entstiegen war, doch dann erkannte sie, daß er leibhaftig vor ihr stand und seine Augen sie mit einem Ausdruck ansahen, der ihr den Atem nahm.

Sie hatte keine Ahnung, daß sie im Sonnenlicht, das ihr Haar in züngelnde rötliche Flammen zu verwandeln schien, zauberhaft aussah.

Nach einer kleinen Ewigkeit, so schien es Forella, brachte sie mühsam hervor:

„Sie … Sie sind schon da!“

Damit war der Bann gebrochen, und der Prinz trat auf sie zu.

„Ja, ich bin auf dem schnellsten Wege gekommen“, sagte er mit seiner tiefen, warmen Stimme.

„So … so früh wird die Prinzessin noch gar nicht empfangsbereit sein“, sagte Forella, ohne selbst zu erfassen, was sie da von sich gab.

Sie war sich nur noch seiner erregenden Nähe bewußt und hatte das Gefühl, die Sonnenstrahlen, die ihren Körper umtanzten, seien in ihr Innerstes eingedrungen und hätten kleine Flammen entzündet, die ihr Herz erwärmten.

„Mein Besuch gilt vor allem Ihnen“, erwiderte er ruhig. „Zunächst müssen Sie mir genau erzählen, was hier geschehen ist.“

Er hatte es gerade ausgesprochen, als zu Forellas Überraschung ein kleiner Junge ins Zimmer gerannt kam.

„Ich habe sie gefunden, Onkel János!“ rief er aufgeregt. „Und jetzt möchte ich sie ausprobieren, ja?“

Lächelnd stellte der Prinz vor: „Ich möchte dich erst mal einer sehr charmanten jungen Dame vorstellen, Miklos. Forella, das ist mein Neffe, der in England zur Schule gehen soll und künftig ‚Michael’ heißen wird.“

Forella gab ihm die Hand, und Miklos, der zwölf Jahre alt sein mochte, verbeugte sich wie ein vollendeter kleiner Kavalier.

„Weißt du, was ich hier habe?“ fragte er sie dann, als wollte er sie an seiner Entdeckung teilnehmen lassen.

Er hielt einen Kasten in der Hand.

„Ich habe keine Ahnung“, erwiderte Forella wahrheitsgemäß.

„Onkel János hat mir erzählt, daß bei der Schlacht von Trafalgar dieses Teleskop benutzt wurde, und da ich Seemann werde, wenn ich groß bin, möchte ich jetzt schon wissen, wie man damit umgeht.“

„Genau genommen befinden sich zwei dieser Fernrohre in dem Kasten“, erklärte der Prinz. „Und ich finde, du solltest der Gräfin beide zeigen.“

„Gern“, erklärte Miklos sich einverstanden.

Der Prinz sah Forella aufmunternd an. „Gehen Sie mit Miklos in den Garten“, bat er sie. „Sobald ich mit Thomas gesprochen habe, der gleich hier sein muß, weiß ich mehr, und wir können entscheiden, was zu tun ist.“

Forella legte den Rosenstrauß auf dem Seitentisch ab und folgte Miklos, der schon vorausgerannt war, durch die Terrassentür in den Garten.

„Keine Angst“, sagte der Prinz mit gedämpfter Stimme, als sie an ihm vorbeiging. „Sie wissen, daß ich gut auf Sie aufpassen werde.“

„Ich habe den Mann letzte Nacht gesehen … er schaute auf mein Fenster“, gab Forella unbehaglich zurück. „Bestimmt hat Onkel George ihn geschickt, um mich zu holen.“

„Vertrauen Sie mir“, sagte der Prinz. „Vielleicht treffen Ihre Befürchtungen gar nicht zu.“

„Hoffentlich nicht.“

Sie wäre am liebsten bei ihm geblieben und hätte sich weiter mit ihm unterhalten, nur um in seiner Nähe zu sein.

Ein Klopfen an der Tür kündigte Thomas an. Ohne noch etwas zu sagen, ging sie rasch nach draußen, um Miklos zu suchen.

Als sie ihn gefunden hatte, forderte sie ihn auf: „Du mußt mir alles über die Geschichte dieser Teleskope erzählen.“

„Onkel János sagt, sie sind sehr wertvoll und waren zu ihrer Zeit die besten Teleskope, die jemals hergestellt wurden.“

Er öffnete den Kasten, um ihr die beiden Fernrohre zu zeigen.

„Ich schlage vor, wir gehen zum Waldrand“, sagte sie. „Von dort aus hat man einen herrlichen Blick, und wir können feststellen, wie weit man damit sehen kann.“

„Ja, das finde ich prima“, war Miklos sofort einverstanden.

Er war ein hübscher kleiner Junge, und Forella mußte daran denken, wie grausam es für den Prinzen sein mußte, keinen eigenen Sohn haben zu können.

Sie war überzeugt davon, daß er einen ganz reizenden Sohn haben würde, wenn ihm dieses Glück vergönnt wäre.

Der Prinz würde ihn zu einem ebenso guten Reiter machen wie er selbst war und ihn alle möglichen anderen Dinge lehren, die er zweifellos beherrschte.

Sicher war es für ihn nur ein schwacher Trost, daß er sich um die Kinder seiner Schwester kümmern konnte. Von der Prinzessin wußte sie, daß er keine Brüder hatte.

„Welche Schule wirst du besuchen?“ fragte sie Miklos.

„Onkel János hat mich in Eton eingetragen“, antwortete er. „Er meint, das sei die beste Schule der Welt, und es wäre ein großes Glück für mich, daß man mich dort aufnehmen werde.“

„Dir wird es in Eton bestimmt genausogut gefallen wie meinem Vater“, erwiderte Forella.

Mittlerweile hatten sie die Stufen am Ende des Gartens erreicht, die zum Wald hinaufführten.

Als sie noch ein Stück höher geklettert waren, hielt Forella es für besser stehenzubleiben, um nicht mit dem Fremden zusammenzutreffen, der das Haus beobachtet hatte.

„Mal sehen, wie weit man von hier sehen kann“, sagte sie.

Miklos war Feuer und Flamme. Er stellte den Kasten auf die Erde, nahm beide Teleskope heraus und reichte Forella eins davon.

„Weißt du, wie man es einstellt?“ fragte er.

„Ich denke schon“, gab Forella lächelnd zurück.

Sie schaute hindurch aufs Tal und stellte fest, daß der Hitzeschleier über der Landschaft eine klare Sicht verhinderte. Dann schwenkte sie das Fernrohr aufs Haus zu, um möglicherweise den Prinzen sehen zu können.

Plötzlich kam ihr eine Idee.

„Weißt du, was wir machen werden, Miklos?“ wandte sie sich an den Jungen. „Wir blicken beide durchs Fernrohr auf die weißen Tauben, die auf dem Dach und den Giebeln hocken. Wer die meisten zählt, hat gewonnen.“

„Das gefällt mir!“ rief Miklos begeistert aus. „Welchen Preis bekommt der Sieger?“

„Das müssen wir deinen Onkel János fragen“, erwiderte Forella. „Sag mir, wenn du bereit bist.“

„Ich bin bereit!“

„In Ordnung“, erwiderte Forella, hielt das Fernrohr vors rechte Auge und kniff das linke zu. „Achtung – fertig – los!“

Die Sehschärfe des Teleskops war sehr gut, und sie konnte die auf dem Dach umherflatternden weißen Tauben klar erkennen. Ihr fiel auf, daß sich einige auf ein Fenstersims im dritten Stock gehockt hatten. Vermutlich wurden sie dort von ihrer Herrin gefüttert.

Ohne mit den Gedanken recht bei der Sache zu sein, begann sie die Tiere zu zählen, die auf dem Fenstersims Futter aufpickten.

Dann trat jemand ans Fenster.

Es war eine Frau. Forella konnte ihr Gesicht deutlich erkennen. Es war die Gemahlin des Prinzen.

Es gab keinen Zweifel, daß sie noch immer sehr hübsch aussah, aber es war eher ein Kindergesicht, das Forella da durchs Fernrohr betrachtete, und wirkte trotz der Entfernung auffallend jung und puppenhaft.

Während sie es selbstvergessen anstarrte und vergaß, weitere Tauben zu zählen, entfernten sich diese plötzlich mit nervösem Flügelschlag, und sie bemerkte, wie die Prinzessin sich weit aus dem Fenster beugte.

Forella schoß der Gedanke durch den Kopf, daß das gefährlich war und sie aus dem Fenster stürzen könnte.

Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da griff die „arme Lady“ haltsuchend mit den Armen in die Luft, als wollte sie sich irgendwo festhalten, dann stürzte sie mit schreck verzerrtem Gesicht aus dem Fenster.

Während sie durch die Luft segelte, stieß Forella einen gellenden Schrei aus, ohne sich dessen bewußt zu werden.

Alles geschah so schnell, das Davonflattern der weißen Tauben, der Sturz der Frau aus dem Fenster.

Es war kein Sturz, stellte sie benommen und völlig verstört fest. Jemand hatte die Bedauernswerte aus dem Fenster gestoßen.

Ein Mann war es, der sich jetzt über den Sims beugte, um sich zu vergewissern, daß sein Opfer unten gelandet war. Schwarzhaarig war er und hatte einen dichten schwarzen Schnurrbart.

Schnell verschwand er wieder im Innern des Zimmers und ließ sich nicht mehr blicken.

Während Forella noch nach Luft rang und gegen den Schock ankämpfte, den das grausame Schauspiel bei ihr auslöste, hörte sie Miklos neben sich schreien:

„Da ist jemand aus dem Fenster gefallen! Hast du’s gesehen? Sie ist rausgefallen! Ich hab’s genau gesehen!“

„Das … war auch mein Eindruck!“ würgte Forella mühsam hervor.

„Da war doch ein Mann am Fenster. Hast du den auch gesehen? Warum hat er nicht versucht, sie zu retten?“

„Vielleicht … war das nicht mehr möglich.“

Das Ganze kam ihr so unwirklich vor, so als hätte das Teleskop sie genarrt, und doch war es grausige Wirklichkeit gewesen.

„Wir … wir sollten sofort ins Haus gehen, Miklos“, sagte sie tonlos.

„Wir müssen Onkel János sagen, was wir gesehen haben“, drängte der Junge. „Glaubst du, daß die Lady verletzt ist?“

„Ich … ich weiß es nicht“, antwortete Forella.

Mehr konnte sie nicht sagen. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Sie rannten über den Rasen aufs Haus zu. Miklos hatte eilig den Kasten und die Fernrohre aufgesammelt und folgte ihr auf dem Fuß.

Erst als sie am Haus angelangt waren, verlangsamte Forella den Schritt und rang nach Luft.

Sie mußte auf schnellstem Wege zum Prinzen, obwohl ihr das Ganze noch immer wie ein böser Traum vorkam. Und doch waren der Junge und sie Augenzeugen eines grausigen Verbrechens gewesen.

Sie hatten die Außentür zum Salon erreicht, und Miklos machte Anstalten, zu seinem Onkel zu rennen und ihm alles zu berichten, als Forella erregte Stimmen vernahm und den Jungen zurückhielt.

„Warte einen Augenblick!“ flüsterte sie ihm zu und legte warnend den Zeigefinger auf die Lippen.

Sie wollte den Prinzen allein sprechen. Unschlüssig stand sie an der Tür und wußte nicht, wie sie es anstellen sollte, ihm die schreckliche Nachricht zu überbringen, ohne daß sein Gesprächspartner es mitbekam.

Plötzlich hörte sie den Prinzen mit völlig veränderter Stimme wütend sagen:

„Was redest du da, Jacques? Du hast mir immer noch nicht erklärt, was du hier zu suchen hast!“

Er sprach Französisch, und während Forella noch herumrätselte, wer sein Gesprächspartner sein mochte, vernahm sie eine männliche Stimme, die sie noch nie gehört hatte:

„Du hast genau zwei Minuten Zeit, Kovác, um zu überlegen, was du tun willst. Du hast die Wahl!“

„Zum Teufel, wovon redest du überhaupt?“

„Ich will es ganz klar sagen: Lucille und ich sind zusammen hierhergekommen.“

„Lucille ist hier?“

„Hör zu. Für Geschwätz haben wir keine Zeit. Sie machte der Pflegerin deiner Frau weiß, sie hätte sich den Knöchel verstaucht, und während die sich um die vermeintliche Patientin kümmerte, hat jemand das arme schwachsinnige Wesen aus dem Fenster gestoßen.“

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon du redest!“ rief der Prinz aus.

„Du hast die Wahl“, fuhr Jacques fort, als hätte er den Einwurf des Prinzen gar nicht gehört. „Entweder schwörst du, meine Schwester zu heiraten, oder du wirst des Mordes angeklagt! Ich werde aussagen, ich hätte gesehen, wie du deine Frau aus dem Fenster gestoßen hast, als niemand sonst im Zimmer war.“

„Du mußt entweder verrückt oder betrunken sein!“ sagte der Prinz verächtlich. „Mein Stallmeister war bis 2u dem Augenblick, als du hier auftauchtest, bei mir.“

„Kein Gericht wird der Aussage eines Untergebenen Bedeutung beimessen, besonders nicht, wenn es um Mord geht“, sagte Jacques zynisch. „Wofür entscheidest du dich, Kovác? Für die Heirat oder das Gerichtsverfahren im Old Bailey?“

Forella atmetete einmal tief durch, nahm Miklos bei der Hand und betrat mit ihm zusammen den Salon.

Sie hatte zu ihrer Erleichterung festgestellt, daß Miklos die französische Sprache nicht beherrschte und nicht verstanden hatte, was dieser Jacques von seinem Onkel verlangte.

Sie erkannte ihn sofort wieder. Es war der Mann mit dem schwarzen Haar und dem dichten schwarzen Schnurrbart, den sie kurz am Fenster gesehen hatte.

Der Prinz fuhr herum, als er sie kommen hörte. Bevor Forella etwas sagen konnte, stürmte Miklos zu ihm. „Onkel János!“ stieß er aufgeregt hervor. „Ich hab* durchs Fernrohr beobachtet, wie eine weißgekleidete Dame aus dem Fenster fiel! Ich habe alles gesehen!“

„Du hast noch eine Minute!“ drohte der Franzose, als wollte er doch noch eine Entscheidung erzwingen.

„Ich habe den Tathergang ebenfalls beobachtet“, sagte Forella in französisch. „Die ‚arme Lady’ stürzte aus dem Fenster, weil jemand, der nach dem Sturz am Fenster erschien, um zu sehen, wohin sie gefallen war, sie gestoßen hat.“

Sie wies mit ausgestreckter Hand auf den Franzosen. „Das war der Mann, den ich am Fenster gesehen habe!“

Jacques zuckte zusammen. „Noch mehr Dienstbotengeschwätz, wie?“ fragte er dann wütend. „Ich bezweifle, daß es auf den Richter und die Geschworenen den geringsten Eindruck machen wird.“

„Falls es Sie interessiert, Monsieur“, sagte Forella langsam und würdevoll in Französisch, „mein Name ist Forella Claye, und mein Onkel ist der Marquis von Claydon, seines Zeichens königlicher Kammerherr bei Ihrer Majestät, der Königin Victoria!“

Während sie es aussprach, hatte sie den Eindruck, als schrumpfe der Franzose vor ihren Augen zusammen.

Er wußte, daß er verloren hatte, und sein gehetzter Blick erinnerte an ein in die Enge getriebenes Tier. Er schien plötzlich noch kleiner zu werden, als der Prinz ihn mit befehlsgewohnter Stimme anherrschte:

„Jetzt habt ihr, Lucille und du, genau eine Minute Zeit, dieses Haus und dieses Land zu verlassen! Wenn ihr euch noch einmal hier blicken laßt, werdet ihr des Mordes angeklagt. Meine Augenzeugin wird gegen euch aussagen, und ihr werdet am Strang enden!“

Jacques öffnete die Lippen, um etwas zu sagen.

„Eine Minute!“ verkündete der Prinz mit Donnerstimme.

Wie der Blitz war Jacques aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

Die Spannung und die Angst um den Prinzen war so unerträglich gewesen, daß Forella das Gefühl hatte, die Wände kämen auf sie zu und ein dunkler Abgrund tue sich vor ihr auf.

Der Arm des Prinzen fing sie auf und stützte sie. Behutsam führte er sie zum Sofa.

„Warum ist der Mann weggerannt?“ hörte sie Miklos fragen. „Ich hab ihn doch nach dem Sturz der Lady am Fenster gesehen!“

Der Prinz löste die Arme von Forella und richtete sich auf.

„Miklos“, sagte er mit erzwungener Ruhe, „ich möchte, daß du etwas für mich tust.“

„Was denn, Onkel János?“

„Ich möchte, daß du zu den Ställen gehst und dir zusammen mit der Gräfin die Pferde anschaust.“

„Gern, Onkel János.“

„Und du sprichst mit keinem Menschen – hörst du, mit keinem Menschen -über das, was du gesehen hast, bis wir beide uns ausführlich darüber unterhalten haben. Es ist sehr wichtig, und ich weiß, du wirst mir den Gefallen tun.“

„Selbstverständlich, Onkel János.“

Der Prinz wandte sich Forella zu.

„Geht’s wieder?“ fragte er besorgt. „Dann wäre es mir lieb, wenn Sie diesen Raum so schnell wie möglich verlassen würden.“

„Es … es ist alles in Ordnung“, gab Forella tonlos zurück.

„Sie haben mich gerettet“, sagte der Prinz, „und jetzt möchte ich Sie und alle anderen in diesem Haus vor einer Menge Unannehmlichkeiten bewahren.“

Forella erhob sich sofort. Sie hatte ihren Schwächeanfall überwunden und fühlte sich tatsächlich wieder prächtig. Das machte die Nähe des Prinzen, seine Berührung und das Wissen um ihre Liebe zu ihm.

Sie nahm Miklos bei der Hand.

„Komm mit“, sagte sie munter. „Die Pferde deines Onkels werden dir bestimmt gefallen.“

Der Prinz ging voraus und hielt ihnen die Tür auf.

„Ich danke dir“, sagte er leise, als Forella an ihm vorüberging, und seine Worte waren wie eine Liebkosung.

Die Halle war leer.

Als Forella und Miklos sich nach links wandten, um durch eine Seitentür das Haus zu verlassen und zu den Ställen zu gehen, hörten sie Newman aus der entgegengesetzten Richtung kommen.

Er lief schneller als gewöhnlich, und dann hörte Forella ihn atemlos sagen:

„Ich muß Eure Hoheit bitten, sofort mitzukommen! Es ist ein schreckliches Unglück geschehen!“

Später hatte Forella Schwierigkeiten, sich an alles zu erinnern, was an diesem Tag geschehen war und in welcher Reihenfolge es passiert war, denn alles war so dramatisch gewesen, daß es unwirklich anmutete.

Sie begriff noch nicht, daß die „arme Lady“ tot und daß der Prinz frei war.

Während sie sich mit Miklos in den Stallungen aufhielt und der Junge begierig lauschte, was Thomas ihm über die Herkunft und die Zucht der Pferde erzählte, mußte sie immer nur an den Prinzen denken.

Vielleicht hatte seine Frau nur einen Schock erlitten und war gar nicht ermordet worden?

Wer mochten dieser Franzose und diese Lucille gewesen sein? Wieso hatten sie geglaubt, den Prinzen zu einer Heirat zwingen zu können, indem sie ihn erpreßten?

Dann empfand sie es einfach als ausgleichende Gerechtigkeit, daß sie ihn vor einer solchen Verbindung bewahrt hatte, wie er sie vorher vor einer Heirat mit dem Grafen bewahrt hatte.

Alles andere war so kompliziert und so entsetzlich, daß sie gar nicht den Versuch machte, es zu begreifen. Ein leises Glücksgefühl, das sie bei dem Gedanken erfüllte, daß der Prinz jetzt ein freier Mann war, konnte sie jedoch nicht ganz unterdrücken.

Selbst wenn er mich nicht mag, dachte sie, liebe ich ihn doch so sehr, daß ich ihm alles Glück der Welt wünsche.

Thomas hob Miklos auf den Rücken eines Hengstes.

„Ich möchte auf diesem Pferd reiten“, sagte Miklos. „Ob Onkel János es mir erlaubt?“

„Das mußt du Seine Hoheit selbst fragen“, gab Thomas zurück.

„Heute reicht die Zeit nicht mehr aus“, sagte Miklos. „Mama wartet im Schloß auf mich, um mich zum Internat zu bringen.“

„Dann eben in den nächsten Ferien“, sagte Thomas lächelnd.

„Ja, aber dann ganz bestimmt“, entschied Miklos.

Forella überlegte, wo sie dann wohl sein mochte. Vermutlich in Ungarn, sagte sie sich, wo Miklos hergekommen war.

Ihre Gedanken kreisten immer wieder um das schreckliche Bild der „armen Lady“, die vergebens nach einem Halt gesucht hatte, als dieser Jacques ihr einen Stoß versetzte.

Allmählich sah sie alles klarer und erkannte, weshalb der Prinz den Mörder und seine Schwester aus dem Haus gejagt und sie nicht der Polizei übergeben hatte. Er wollte einen Skandal vermeiden und dem Aufsehen, das ein Mordprozeß erregen würde, um jeden Preis aus dem Wege gehen.

Er konnte nicht riskieren, seine Schützlinge, die Prinzessin, Thomas, den Doktor zu gefährden, indem er die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Ledbury Manor zog.

Wäre die Polizei eingeschaltet worden, dann hätten alle Hausbewohner als Zeugen vor Gericht aussagen und ihre Anonymität aufgeben müssen.

Onkel George würde erfahren, wo ich bin, ohne mir jemand auf die Spur setzen zu müssen, dachte Forella voller Entsetzen.

Inzwischen war ihr klargeworden, daß es dieser Jacques gewesen war, den sie vergangene Nacht als schattenhafte Gestalt wahrgenommen hatte. Seine Aufmerksamkeit hatte jedoch nicht, wie sie irrtümlich angenommen hatte, ihrem Fenster gegolten, sondern dem der „armen Lady“.

Durch seine Herumschnüffelei und seine neugierigen Fragen hatte er in den Tagen zuvor erkunden wollen, wie dieser Haushalt organisiert war. Er hatte erfahren, daß nur eine Pflegerin bei der Patientin war, während die andere ihren Lunch einnahm. Daraufhin war Lucille mit ihrem angeblich verstauchten Knöchel genau zu diesem Zeitpunkt aufgetaucht und hatte die Krankenschwester für sich beansprucht.

Jacques hatte sich vergewissert, daß niemand bei der Kranken war, als sie die Tauben fütterte und er unbemerkt ins Zimmer gelangen konnte.

Es war ihm ein leichtes gewesen, sich hinter die zarte Person zu schleichen und sie aus dem Fenster zu stoßen.

Der Zufall hatte es jedoch gewollt, daß Forella und Miklos ihre Fernrohre genau in diesem Augenblick auf das Fenster gerichtet hatten.

Oder war es gar kein Zufall gewesen? War eine höhere Macht im Spiel gewesen, die nicht zulassen wollte, daß der Prinz dieses schändlichen Verbrechens angeklagt wurde, zu dem ein Mensch mit seiner noblen Gesinnung nicht im Traum fähig wäre?

Es war, als hätten ihre Gebete, ihm Glück zu bescheren. Gehör gefunden, als habe Gott sie beide gerettet.

„Wenn … sich das doch wirklich bewahrheiten würde“, flüsterte Forella vor sich hin, denn sie befürchtete, daß sie zu optimistisch war.

Der Junge hatte gerade sämtliche Pferde bewundert, als einer der Diener im Stall erschien und meldete. Seine Hoheit wünsche, daß sie in den Salon kämen.

Nervös und in der heimlichen Furcht, es könnte doch noch etwas Unvorhergesehenes geschehen sein, betrat Forella mit bleichem Gesicht das Zimmer.

Der Prinz stand mit dem Rücken zum Kamin und wirkte sehr gefaßt.

„Miklos“, sagte er zu dem Jungen, „ich möchte, daß du nach oben gehst und meine Verwandte, Prinzessin Maria Dábas, von der ich dir bereits erzählt habe, kennenlernst.“

„Das möchte ich gern, Onkel János“, erwiderte Miklos eifrig. „Ich habe viel über Imbe Dábas und seine Hinrichtung gelesen.“

„Kein Wort davon zu ihr!“ schärfte der Prinz ihm ein. „Nun beeil dich. Wir müssen bald zum Schloß zurückkehren. Newman erwartet dich bereits an der Treppe und wird dir den Weg zur Prinzessin zeigen.“

Miklos hatte das Zimmer kaum verlassen, da ging der Prinz mit ausgestreckten Händen auf Forella zu.

„Hör zu, mein Liebling“, sagte er. „Hier gibt es eine Menge zu erledigen. Dr. Bouvais wird dafür sorgen, daß alles reibungslos über die Bühne geht. Trotzdem möchte ich, daß du sofort das Haus verläßt und dich in meinem Landhaus bei Southampton einquartierst.“

Forella sah ihn verständnislos an.

„Ich komme später nach“, versprach er. „Es macht dir sicher nichts aus, die Fahrt allein zu unternehmen und dort auf mich zu warten, nicht wahr?“

„Du weißt, daß ich alles tue, was du mir sagst“, erwiderte Forella, „nur verstelle ich nicht, weshalb …“

„Später erkläre ich dir alles“, unterbrach sie der Prinz. „Im Augenblick ist nur wichtig, daß niemand dich hier sieht. Du warst so tapfer, deine wahre Identität zu enthüllen, als du den Verbrecher entlarvtest. Ein solcher Unfall und das anschließende Begräbnis wird den Dorfklatsch aufblühen lassen, und davon sollst du verschont bleiben.“

„Ich verstehe. Ich warte auf dich.“

Der Prinz hob ihre Hand an die Lippen und küßte sie.

„Danke, mein geliebtes Mädchen“, sagte er weich. „Jetzt mach dich fertig zur Abreise. Der Prinzessin werde ich erklären, weshalb du weg mußt. Die Kutsche wartet vor der Haustür auf dich. Ich werde alles hinauszögern, bis du in Sicherheit bist.“

„Danke. Ich danke dir für alles“, murmelte Forella.

Wieder küßte er ihre Hand und sah ihr nach, als sie das Zimmer verließ.

Es überraschte sie nicht, Mrs. Newman in ihrem Zimmer vorzufinden.

„Seine Hoheit erklärte mir, daß Sie sofort abreisen müssen, Mylady“, sagte die Haushälterin bedauernd. „Das tut mir sehr leid und betrübt mich noch mehr als das andere schlimme Ereignis.“

„Mir tut die ‚arme Lady’ schrecklich leid“, sagte Forella leise.

„Der liebe Gott hat es wohl so gewollt“, sagte Mrs. Newman.

Forella nickte. Sie mußte daran denken, daß ihre Gebete erhört worden waren.

Rasch zog sie sich um, wählte ein leichtes Reisekostüm aus und nahm ein leichtes Mahl zu sich, das ihr auf einem Tablett serviert wurde.

Als sie sich von der Prinzessin verabschiedete, stellte sie fest, daß der Prinz zusammen mit Miklos bereits auf dem Weg zum Schloß war und anschließend den Konstabler aufsuchen wollte, um ihm den tragischen Unfall zu melden.

„Wenn du mich fragst“, bemerkte die Prinzessin, „so war es eine Erlösung, nicht nur für die arme Gisella, sondern auch für den lieben János, obwohl man so etwas vielleicht nicht offen aussprechen sollte.“

„Nein, sicher nicht“, gab Forella leise zurück.

„Wir alle sind wohl etwas beunruhigt, daß die Zeitungen groß darüber berichten könnten“, fuhr die Prinzessin mit gedämpfter Stimme fort. „Wenn sie unsere Namen erwähnen und sich fragen, was uns hierhergeführt hat, kann das verheerende Folgen haben.“

„Ich bin sicher, daß der Prinz bemüht ist, jeden Skandal zu vermeiden“, erwiderte Forella.

„Warum sollte es auch einen Skandal geben?“ hielt die Prinzessin ihr entgegen. „Es war ein Unfall. Gewiß werden die bedauernswerten Pflegerinnen sich schwere Vorwürfe gemacht haben, weil sie die Patientin einige Minuten unbeaufsichtigt ließen, aber es wäre reine Heuchelei, wollte man es als Tragödie bezeichnen.“

„Ich muß gehen, Hoheit.“

„János hat mir erklärt, weshalb du weg mußt“, sagte die Prinzessin. „Es war sehr schön, dich hier zu haben, und ich bedaure nur, daß du mir dein Geheimnis nicht anvertraut hast, nachdem du meines erfahren hattest.“

„Wenn wir uns wiedersehen, erzähle ich Ihnen alles“, versprach Forella.

Die Prinzessin lachte belustigt.

„Man braucht kein Prophet zu sein, um zu behaupten, daß wir uns rascher wiedersehen werden, als wir glauben, und unter viel günstigeren Umständen als im Augenblick.“

Forella antwortete nicht. Sie bemerkte die vor Neugier blitzenden Augen der Prinzessin, beugte sich über ihre Wange und küßte sie.

„Wenn ich Gelegenheit habe“, sagte sie, „werde ich Ihnen schreiben und Sie über alles aufklären, was Sie wissen wollen.“

„Laß mich nicht zu lange warten“, erwiderte die Prinzessin, „sonst sterbe ich vor Neugier!“

Forella winkte ihr lachend zu und lief die Treppe hinunter. Eine geschlossene Kutsche erwartete sie vor dem Eingang. Die Koffer mit all ihren schönen Kleidern waren bereits verstaut.

Es war eine leichte, schnelle Kutsche, die von vier prächtigen Pferden gezogen wurden und ihr Ziel in Windeseile erreichen würde.

Ein merkwürdiges Gefühl war es schon, eine solche Reise zu einem unbekannten Ziel anzutreten. Da der Prinz jedoch alles arrangiert hatte, war sie nicht ängstlich, sondern nur aufgeregt.

Am Spätnachmittag bog das Vierergespann in eine Auffahrt ein, die zu einem stattlichen Haus führte, das dem Manor sehr ähnlich war. Nur bestand es aus roten Ziegeln, und die Bogenfenster und die von Säulen flankierte Eingangstür verrieten, daß es im Stil der Königin Anne erbaut worden war.

Mehrere Diener standen zu ihrer Begrüßung bereit. Vermutlich hatte ein vorausreitender Lakai ihre Ankunft gemeldet.

Der Butler, der jünger war als Newman, aber ebenso würdevoll und umsichtig wirkte, begrüßte sie: „Willkommen, Mylady!“

Forella erkannte, daß sie weiter den Familiennamen ihrer Mutter benutzen mußte. Bewundernd sah sie sich in der imposanten Marmorhalle des Hauses um.

„Wunderschön ist es hier!“ rief sie begeistert aus.

„Seine Hoheit hat es gekauft, als er seine Yacht bauen ließ, Mylady. Sie befindet sich in Southampton und ist mit der Kutsche leicht zu erreichen.“

Lächelnd fuhr der Butler fort:

„Seine Hoheit hat zum Glück nichts für diese neumodischen, lärmenden und gefährlichen Züge als Beförderungsmittel übrig.“

„Pferdekutschen sind viel schöner“, bestätigte Forella.

„Das finde ich auch, Mylady“, erwiderte der Butler. „In unseren Stallungen werden Sie einige prächtige Exemplare finden, die Seine Hoheit Ihnen sicher gern selbst vorstellen möchte.“

Der Gedanke, daß der Prinz bald bei ihr sein würde, verlieh Forella das Gefühl zu schweben, in einem wunderschönen Traum gefangen zu sein, während sie sich nach oben führen ließ.

Eine ältere Zofe nahm sie in Empfang und empfahl ihr, sich von der Reise auszuruhen. Forella fühlte sich nach dem ereignisreichen Tag tatsächlich ziemlich erschöpft und schlief bald ein.

Als sie erwachte, war es später, als sie angenommen hatte. Sie nahm ein Bad und wählte eines der zauberhaften Kleider aus, die der Prinz ihr von London hatte kommen lassen. Sie ging nach unten, um allein das Abendessen einzunehmen.

Sie hatte die Halle kaum erreicht, da meldete der Butler: „Eben wurde uns gemeldet, daß Seine Hoheit auf dem Weg hierher ist. Mylady. In schätzungsweise einer Stunde dürfte er eintreffen. Ich nehme an, Sie wollen mit dem Dinner auf ihn warten?“

„Ja, natürlich“, erwiderte Forella.

Sic begab sich in den Salon, einem großen Raum mit getäfelter Decke und einer gepflegten, geschmackvollen Einrichtung. Der Duft von Blumen erfüllte die Luft, und die offenstehenden Fenster gaben den Blick auf einen Rosengarten frei, der in voller Blüte stand.

Es ist bezaubernd hier, dachte Forella.

Jeder Schlag ihres Herzens schien seinen Namen zu wiederholen. wie das Ticken einer Uhr, das ihn ihr immer näher brachte.

Eine Stunde später öffnete sich die Tür. Sie hatte erwartet, daß er Reisekleidung tragen würde. Statt dessen mußte er von ihr unbemerkt das Haus schon früher erreicht und sich umgezogen haben.

In seinem eleganten Abendanzug sah er hinreißend aus. Die Tür glitt hinter ihm ins Schloß, und Forella lief erfreut auf ihn zu.

Seine Arme umschlangen sie, und er drückte sie so fest an sich, daß sie seinen Herzschlag spürte.

„Mein Liebling, mein süßes Mädchen!“ sagte er leise. „Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat.“

„Ist … alles in Ordnung?“

Ihre Stimme klang völlig verändert und mutete sie selbst fremd an.

„Alles“, bestätigte er. „Setzen wir uns, dann erzähle ich dir alles.“

Sie hatten gerade auf dem Sofa Platz genommen, als die Tür aufging und mehrere Diener mit Champagner und Kristallgläsern auftauchten, die das Wappen des Prinzen trugen.

„In wenigen Minuten wird das Abendessen serviert, Euer Hoheit“, verkündete der Butler, der es sich nicht nehmen ließ, den Champagner selbst einzuschenken.

„Du bist sicher sehr hungrig“, sagte der Prinz. „Es wäre doch nicht nötig gewesen, mit dem Essen auf mich zu warten.“

Das klang sehr förmlich, aber das war unwichtig. Was zählte, war der Ausdruck seiner Augen, die Wärme seiner Stimme, seine erregende Nähe, die Forella vor Erregung zittern ließ und ihr das Gefühl vermittelte, durch die Lüfte zu schweben.

Was sie aßen und tranken, worüber sie sich im Speisezimmer unterhielten, wußte sie später nicht mehr. Der ganze Raum schien von himmlischer Musik erfüllt, die ihrer Liebe galt, sie einander so nahe brachte wie eine innige Umarmung.

Als sie in den Salon zurückkehrten, waren die Vorhänge zugezogen und die Kerzen in den Leuchtern angezündet.

„Wir haben uns so vieles zu erzählen“, sagte der Prinz, „aber alles, was mich bewegt, bist du, ist deine Schönheit und das beglückende Gefühl, dich gefunden zu haben. Du spürst doch, wie sehr ich dich liebe, und mein ungarischer Instinkt verrät mir, daß du meine Gefühle zu erwidern beginnst, obwohl du das nie ausgesprochen hast.“

„Ich liebe dich sehr“, sagte Forella, „aber ich hätte nie für möglich gehalten, es dir eines Tages gestehen zu können.“

„Wir hätten dem Schicksal, vielleicht auch Gott, vertrauen sollen, daß sich für uns alles zum Guten wenden wird.“

Er seufzte tief und fuhr dann fort:

„Als ich erkannte, daß ich dich wegschicken mußte, hat mir das Herz geblutet, aber es mußte sein.“

„Wohin … schickst du mich jetzt?“ fragte Forella.

Der Prinz lächelte, und das Zimmer schien sich mit einem Mal in einen Lichtersaal zu verwandeln.

„Nirgendwohin, mein Kleinod“, erwiderte er. „Ich reise mit dir nach Ungarn, sobald wir verheiratet sind.“

„Ver … heiratet?“ Forella glaubte, sich verhört zu haben.

„Sicher wird es nicht eine so prunkvolle Hochzeit werden, wie du sie dir vielleicht erträumt hast, mit Brautjungfern und großem Empfang und so“, sagte der Prinz. „Da wir es geheimhalten und in aller Stille abwickeln müssen, habe ich Vorbereitungen getroffen, die Trauung morgen früh in der kleinen Dorfkirche hier vollziehen zu lassen und dann mit dir meine Yacht in Southampton zu besteigen und die Flitterwochen zu verbringen.“

Forella schlug begeistert die Hände zusammen.

„Ich … ich kann immer noch nicht glauben, was du sagst.“

„Natürlich nur“, sagte der Prinz, „wenn du mich heiraten willst.“

Er hielt einen Augenblick inne, um dann fortzufahren:

„Ich glaube, mein Liebling, wir wissen beide, daß eine höhere Macht uns zusammengeführt hat und daß wir ohne einander nicht mehr leben können.“

„Das ist wahr, aber ich habe trotzdem nicht im Traum daran gedacht, daß du mich heiraten willst.“

„Mein Leben lang habe ich nach dir gesucht“, sagte der Prinz, „und jetzt, nachdem ich dich endlich gefunden habe, werde ich dich nie mehr loslassen.“

„Wie sehr habe ich mich danach gesehnt, das von dir zu hören. Bist du ganz sicher, daß ich die richtige Frau für dich bin und dich nicht enttäuschen werde?“

Das herzliche Lachen des Prinzen verriet, wie glücklich er war.

„Ich bin ganz sicher“, erwiderte er. „Und ich werde dir ein Leben lang beweisen, daß du meine ganz große, einzige Liebe bist, die Frau, die nur für mich geschaffen wurde und die ich nie … nie verlieren möchte.“

Seine Worte bewegten sie zutiefst. Dann legte er die Arme um sie und zog sie an sich. Lange blickte er in ihr Gesicht.

„Wie kann ein Mensch nur so vollkommen, so anmutig sein“, murmelte er. „Selbst wenn ich dich berühre, kann ich kaum glauben, daß du kein Traumwesen bist.“

Er wartete ihre Antwort nicht ab. Seine Lippen suchten ihren Mund, und sein Kuß war das, wonach sie sich insgeheim gesehnt hatte, seit sie wußte, daß sie ihn liebte.

Zunächst war die Berührung seines Mundes sehr zart, doch als er spürte, wie ihr Körper mit dem seinen zu verschmelzen schien und ihre Lippen seinen Druck erwiderten, wurde sein Kuß fordernder, leidenschaftlicher, besitzergreifender.

Er preßte sie noch immer fest an sich, daß sie glaubte, ihr ganzer Körper stünde in Flammen. Heißes Verlangen stieg in ihrer Brust auf und teilte sich ihren Lippen mit.

Sie fühlte sich wie in Ekstase versetzt, der Wirklichkeit entrückt.

Er küßte sie wieder und wieder, bis sie an nichts anderes mehr denken konnte, als an ihn und seine erregende Nähe.

Sie schwebte wie auf Wolken und stieg in himmlische Sphären auf, den Göttern gleich, dem vollkommenen Glück entgegen.

Als der Prinz sie schließlich freigab, hörte Forella sich flüstern:

„Ich … liebe dich! Ich liebe Dich! Ist das alles wirklich geschehen? Mir ist, als träumte ich!“

„Dann träume ich auch“, sagte der Prinz. „Unsere Träume sind Wahrheit geworden, geliebtes Mädchen. Ich habe dich gefunden, als ich dich schon zu verlieren glaubte, denn ich war nicht frei und konnte dich nicht bitten, meine Frau zu werden. Ich hatte schreckliche Angst, dich zu verlieren.“

Sie spürte, wie sehr ihn diese Angst gequält hatte. Sie hatte ähnlich empfunden, als sie an all die schönen, begehrenswerten Frauen in seinem Leben denken mußte und daran, daß sie ihm vielleicht nichts bedeutete und er sie vergessen würde.

Jetzt wußte sie, daß ihre Liebe etwas Einmaliges, Unvergleichliches war, und daß sie, wie der Prinz es ausgedrückt hatte, eins waren.

Er blickte ihr in die Augen und sagte, als könnte er ihre Gedanken lesen:

„Mein Liebling, meine Braut, mein Herz, meine Seele und außerdem mit Abstand die beste Reiterin, die mir je begegnet ist!“

Der Zusatz kam so unerwartet, daß Forella leise kicherte.

„Bin ich wirklich eine so gute Reiterin?“ wollte sie wissen.

„Das weißt du doch selbst“, erwiderte er. „Und wir werden zusammen ausreiten auf den besten Pferden der Welt, den feurigsten und wildesten.“

Forella holte tief Luft, dann sagte sie:

„Das klingt alles wundervoll, aber weißt du, das einzige, was wirklich zählt, ist, daß du bei mir bist. Ich wollte nicht nach Ungarn, weil ich mich hätte von dir trennen müssen.“

„Das wird in Zukunft nie mehr passieren“, versprach der Prinz. „Mein Liebling, ich hätte nie geglaubt, daß mir nach so vielen Jahren der Leere und Einsamkeit inmitten vieler Menschen noch einmal ein solches Glück beschieden sein würde.“

Forella berührte zart mit der Hand seine Wange, als müßte sie ihm wegen seiner unglücklichen Vergangenheit Trost spenden.

„Du sollst nie mehr einsam sein“, sagte sie beinahe feierlich, „und es ist mein Wunsch, dir … einen Sohn zu schenken.“

Der Prinz blickte sie ungläubig an, als traue er seinen Ohren nicht. Dann riß er sie an sich und küßte sie so leidenschaftlich wie nie zuvor.

Sie wußte, daß sie ihm seinen geheimsten Wunsch erfüllen würde, daß sie ihn damit glücklicher machen würde, als jede andere es je vermocht hatte.

„Ich liebe dich … ich liebe dich so sehr“, konnte sie nur immer wieder sagen, weil sie keine anderen Worte fand, um ihre Gefühle auszudrücken.

„Und ich bete dich an!“ sagte der Prinz heiser. „Morgen, mein Liebling, wirst du mein, und es gibt keine Probleme, keine unerfüllten Wünsche mehr.“ Er hielt inne und fügte dann hinzu: „Und es gibt keine einsamen Nächte mehr, in denen ich wach liege und an dich denken muß und mit meinem Schicksal hadere, weil ich keine Möglichkeit sehe, dich an mich zu fesseln.“

Das klang so leidenschaftlich, daß sie erschauerte.

„Ich kann dich so vieles lehren, meine Geliebte“, sagte er, „ich werde dein Herz, deine Sinne und deinen schönen Körper erwecken, samt deinem ungarischen Temperament.“

Forella spürte, was er damit meinte, und sie lachte beglückt und voll erwartungsvoller Erregung.

Dann küßte er sie wieder, und sie konnte an nichts anderes mehr denken, als an seine beglückende Nähe, die sie nie mehr missen wollte.

Sie waren füreinander bestimmt. Niemand würde sie mehr trennen oder ihnen ihre Liebe rauben können, die ihnen von Gott gegeben und für die Ewigkeit bestimmt war.