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1870
Nach dem Dinner begaben sich die Damen in den großen Salon. der von Kristallüstern festlich beleuchtet und vom Duft exotischer Blüten erfüllt war.
In ihren prächtigen Roben mit den gerade erst in Mode gekommenen Tournüren glichen sie schönen Schwänen. Dem Modeschöpfer Fredrick Worth war es zu verdanken, daß die Krinoline durch die Tournüre abgelöst worden war, die mit der dazugehörigen Korsage Busen und Taille betonte. Tiefe Dekolletés entsprachen ebenfalls der neuesten Mode.
Nur ein uneingeweihter Beobachter hätte beim Anblick so vieler schöner Frauen mit Erstaunen reagiert. Wer den Gastgeber, Prinz János Kovác, kannte, wunderte sich nicht darüber.
Auf Alchester Castle war alles von einer Aura des Reichtums und der Gediegenheit umgeben, der sich niemand entziehen konnte.
Nur die älteren Gäste konnten sich erinnern, wie es früher hier ausgesehen hatte, bevor der Herzog von Alchester das Schloß an den Prinzen verkauft hatte.
Prinz János Kovác, Herr über Tausende von Morgen im Osten Ungarns, war zur Jagd nach England gekommen und hatte sich dermaßen für den Sport begeistert, daß er nicht nur einige Meuten, sondern auch einen Rennstall erworben hatte, mit dem er bald eines der klassischen Rennen nach dem anderen gewonnen hatte.
Wäre er ein ganz gewöhnlicher junger Mann gewesen, hätte er bei seinen Konkurrenten gewiß Neid und Mißgunst erregt. Prinz János jedoch war nicht nur bei denjenigen außerordentlich beliebt, die auf seine Pferde setzten und ihnen an der Zielgeraden zujubelten, sondern auch beim Jockey-Club, dem er seit neuestem angehörte.
Wer seine großzügige und erlesene Gastfreundschaft genoß, der pries ihn als echten Sportsmann, ganz nach dem Herzen der Engländer.
Kein Wunder, daß die Einladungen auf sein Schloß sehr begehrt waren, zumal es ihm gelang, mehr Schönheiten auf einem Quadratmeter zu versammeln, wie es einer seiner Gäste einmal nicht ohne Neid ausdrückte, als andere Gastgeber auf einem Golfplatz.
Der Reigen der im Salon versammelten Schönen, ob blond, brünett oder rothaarig, hätte es Paris schwergemacht, welcher Dame er den goldenen Apfel überreichen sollte.
Eines hatten sie jedoch miteinander gemeinsam: Sie waren alle vom Prinzen fasziniert und bezaubert.
Selbst den übelsten Klatschmäulern fiel es jedoch schwer, irgendwelche Skandalgeschichten oder Indiskretionen über diesen ungewöhnlichen Mann auszugraben und zu verarbeiten.
Auf seine Gäste traf das allerdings weniger zu. Als Lady Esme Meldrum durch den Salon schlenderte und sich wohlgefällig in einem der goldgerahmten Wandspiegel betrachtete, folgten ihr die dunklen Augen der Marquise von Claydon mit haßerfülltem Blick.
Zweifellos war Lady Esme eine dem Zeitgeschmack entsprechende und von vielen Künstlern gefeierte Schönheit. Ihr goldblondes Haar, die tiefblauen Augen und die zarte Porzellanhaut suchten ihresgleichen. Die stolze Haltung ihrer schlanken Gestalt ließ sie wie eine junge Göttin erscheinen.
Mit achtzehn Jahren hatte sie sich Hals über Kopf in Sir Richard Meldrum verliebt und sich mit ihm vermählt. Ihre Eltern hatten sich eigentlich eine bessere Partie für ihre schöne Tochter erträumt, doch sie trösteten sich damit, daß Sir Richard Meldrum bald zu einem der fähigsten Botschafter seines Landes in Europa avancierte.
Sein ausgeprägtes Pflichtbewußtsein führte jedoch dazu, daß er seine junge Frau vernachlässigte und sie sich nach achtjähriger Ehe anderweitig zu vergnügen begann.
Graf Sherburn wurde auf ihre Reize aufmerksam, und Lady Esme schwärmte geradezu für den attraktiven Mann, wie sie es einst mit achtzehn Jahren für ihren Ehemann getan hatte.
Osmond Sherburn brachte alle Voraussetzungen mit, um in den Salons zum Hahn im Korb zu werden. Er war reich, sah gut aus und war vom Erfolg verwöhnt. Allerdings galt er als höchst heiratsunwillig. Das hatten schon viele ehrgeizige Mütter zu spüren bekommen, die davon träumten, ihre Töchter am Familienschmuck und am Stammsitz des Grafen teilhaben zu lassen.
Er war klug genug, seine Gunst vorwiegend verheirateten Damen zu schenken, die sich eines toleranten Gatten erfreuten. Es gab allerdings auch einige gehörnte Ehemänner, die darauf brannten, den Grafen zum Duell zu fordern, um ihre verletzte Ehre wiederherzustellen. Seine hohe gesellschaftliche Stellung und vor allem seine Freundschaft mit dem Kronprinzen bewahrte ihn jedoch vor solchen Peinlichkeiten.
So konnte der Graf sich ungestört und ungehemmt amüsieren, denn es gab kaum eine Dame, die seinem Charme widerstehen konnte.
Er hatte gerade eine kurze, aber höchst vergnügliche affaire de coeur mit der Marquise von Claydon hinter sich. Wie üblich, war die Leidenschaft bei ihm zuerst abgekühlt, und er hatte alle Mühe gehabt, sich der Umklammerung der besitzergreifenden Arme der Marquise mit Anstand zu entziehen, um seine Gunst Lady Esme zuwenden zu können.
Es wäre übertrieben zu behaupten, der Graf sei in Leidenschaft zu seiner neuen Flamme entbrannt. Vielmehr blieb er stets mit beiden Beinen auf dem Boden. Selbst seine heißesten und stürmischsten Liebesaffären wurden von seiner Seite aus mit einem gewissen Grad von Diskretion gestaltet; stets regierte bei ihm der Verstand das Herz.
Diese Verhaltensweise war es vor allem, die den in ihn verliebten Damen bewußt machte, daß er sich niemals völlig von ihnen einfangen lassen würde. Selbst die verführerischsten „Sirenen“ vermochten nicht, ihn für immer an sich zu fesseln.
„Ich kann mir einfach nicht erklären, weshalb ich Osmond verloren habe“, gestand eine Schöne schluchzend der Marquise, bevor diese den Grafen überhaupt wahrgenommen hatte.
„Vielleicht warst du ihm zu hörig, meine Liebe“, erwiderte Kathie Claydon.
„Anders kann man doch mit Osmond gar nicht auskommen“, hielt die Sitzengelassene ihr entgegen. „Er ist so dominierend, so überlegen, daß man sich seiner Herrschaft nur allzugern fügt und außerstande ist, sich seinen Wünschen zu widersetzen.“
Die Marquise hatte nach diesem Geständnis insgeheim beschlossen, dem Grafen bei nächster Gelegenheit eine Lektion zu erteilen.
Als sie sich anläßlich einer Hausgesellschaft begegnet waren, ohne einander sonderlich zu beachten, hatte sie ihn ab und zu mit rätselhaftem Sphinxblick bedacht.
Sie hatte sich absichtlich herausfordernd und zugleich ablehnend, lockend und geheimnisvoll gegeben und damit den erhofften Erfolg erzielt. Er hatte sich um sie bemüht.
Als der Graf jedoch ihr Liebhaber geworden war, mußte sie feststellen, daß ihre Willenskraft dahinschmolz und sie sich außerstande sah, ihn zu gängeln. Statt dessen war sie ihm völlig hörig und tat alles, was er von ihr verlangte.
Als sie, die in der Kunst der Liebe sehr erfahren war, spürte, wie er sich ihr zu entziehen begann, war sie dem Wahnsinn nahe.
Ihr wurde bewußt, daß sie den Grafen liebte, wie sie noch nie in ihrem ganzen Leben einen Mann geliebt hatte.
Ihre Heirat war von ihren Eltern arrangiert worden. Obwohl sie entzückt gewesen war, Marquise von Claydon zu werden, hatte sie sich mit den intimeren Dingen der Ehe nie anfreunden können.
Sie hatte ihrem Gemahl zwei Söhne und eine Tochter geschenkt und erst bei ihrem ersten Liebhaber die wahre Leidenschaft kennengelernt und gespürt, was ihr bisher entgangen war.
Doch die große Liebe war ihr erst in der Person des Grafen begegnet. Nur mit Mühe beherrschte sie sich, ihn nicht auf Knien anzubetteln, mit ihr zu fliehen; und schließlich mußte auch sie erkennen, daß sie sich Illusionen hingegeben hatte.
Der Gedanke, daß ausgerechnet Lady Esme zu ihrer Nachfolgerin erkoren worden war, verbitterte sie mehr, als wenn es irgendeine unbekannte Schönheit gewesen wäre, die nicht ihren Kreisen angehörte. So war sie dazu verdammt, der verhaßten Rivalin auf jeder Gesellschaft und fast jeden Abend begegnen zu müssen.
Der Kronprinz hatte sich in den letzten Jahren in zunehmendem Maße der vergnüglichen Seite des Lebens gewidmet und die jüngeren und amüsantesten Mitglieder der Londoner Gesellschaft um sich geschart, die meistens auch die reichsten und frivolsten waren.
Er war 1863 mit der bildschönen Alexandra von Dänemark vermählt worden, doch als 1868 ihr drittes Kind, Prinzessin Viktoria, geboren wurde, waren seine Liebesaffären mittlerweile so zahlreich und ausschweifend, daß sie nicht länger vertuscht werden konnten.
Bereits zwei Jahre zuvor hatte es Getuschel über seine heißen Flirts am Zarenhof in St. Petersburg gegeben, wo er sich anläßlich der Vermählung seiner Schwägerin Dagmar mit dem Zarewitsch Alexander aufgehalten hatte. Die schönsten Russinnen bei Hofe hatten sich seiner Gunst erfreut.
Im folgenden Jahr war er allein in Paris gewesen, und es waren auch von dort Skandalgeschichten durchgesickert.
Von dieser Zeit an hatte eine Mätresse die andere abgelöst.
Die erste Schauspielerin, die er zu seiner Geliebten gemacht hatte, war die umschwärmte Hortense Schneider. Ihr folgten in bunter Reihenfolge Debütantinnen, die ihm auf Hofbällen aufgefallen waren, reifere verheiratete Damen und Schönheiten der Halbwelt.
Nachdem er solchermaßen zum Wegbereiter geworden war -ganz anders, als seine königlichen Eltern es sich wünschten –, war man nur allzu bereit, seinem Vorbild nachzueifern. Die Aristokraten seiner Altersklasse brauchten keine Tugendhaftigkeit mehr vorzutäuschen oder eheliche Treue zu heucheln.
Die Marquise von Claydon konnte sich trotzdem nicht damit abfinden, daß Graf Sherburn ihrer überdrüssig geworden war. Zunächst hatte sie sich einzureden versucht, es sei bei ihm nur eine vorübergehende Laune, und er werde zu ihr zurückkehren.
Doch seine Besuche wurden immer seltener und seine Ausreden, dringender Geschäfte wegen nicht zu ihr kommen zu können, immer fadenscheiniger. Als sie schließlich erfuhr, daß die „Geschäfte“ Lady Esme Meldrum hießen, kannten die Empörung und die Eifersucht der Marquise keine Grenzen.
Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen Menschen so abgrundtief hassen gelernt wie Lady Esme.
Stundenlang pflegte sie sich im Spiegel zu betrachten und sich das Hirn zu zermartern, warum ihre Schönheit nicht ausgereicht hatte, den Grafen an sich zu fesseln. Die meisten ihrer Verehrer fanden, daß sie mit ihrem dunklen Haar, den blitzenden Augen und den ebenmäßigen Zügen viel anziehender war als ihre Rivalin.
Schließlich hatte sie sich damit abfinden müssen, den Grafen verloren zu haben, und sie waren sich einen Monat lang nicht mehr begegnet, Bis man sie heute beide nach Alchester Castle eingeladen hatte.
Es hatte ihr einen Schock versetzt, als er kurz vor dem Dinner den Salon betreten hatte. Ihr törichtes Herz hatte bis zum Hals geklopft, und ihre Kehle war wie zugeschnürt gewesen.
In den letzten Wochen war sie streng mit sich ins Gericht gegangen. Ihr Stolz hatte ihr verboten, zu klagen und zu jammern, wie andere Frauen das getan hatten, als der Graf sie verlassen hatte, und sie war fest entschlossen, den Anschein zu erwecken, sie habe die Affäre beendet, weil er sie nicht mehr amüsiert habe.
Die Marquise mochte viele Fehler haben, aber sie gehörte nicht zu den Frauen, die ein Schicksalsschlag umwarf, oder die heulten und wehklagten, weil sie etwas verloren hatten, das ihnen mehr als alles andere in ihrem Leben bedeutete.
Sie nahm sich vor zu kämpfen, so lange, bis sie den Grafen zurückgewonnen hatte und er bereute, sie so schändlich behandelt zu haben.
Früher oder später, das schwor sie sich, würde sie sich an Esme Meldrum rächen und sie genauso leiden lassen, wie sie gelitten hatte.
Möglich, daß einer der Vorfahren der Marquise italienischer oder spanischer Herkunft gewesen war und wußte, was Vendetta bedeutete.
Alle ehemaligen Mätressen des Grafen hatten sich die Augen ausgeweint, als es vorbei war, jedoch nichts dagegen unternommen.
Die Marquise war entschlossen, sich nicht so ohne weiteres damit abzufinden.
„Ich werde ihn bestrafen“, schwor sie ihrem Spiegelbild, „und wenn es das letzte ist, was ich tue.“
Nächtelang lag sie wach und überlegte, was sie dem Grafen antun könnte, damit er auf Knien zu ihr zurückgekrochen kam und um Gnade winselte.
Zumindest vorübergehend gelang es ihr so, ihren Schmerz über den Verlust zu betäuben, ihr verwundetes Herz zum Schweigen zu bringen.
Doch als sie ihn den Salon betreten sah und ihn beobachtete, wie er den Prinzen begrüßte, wurde ihr bewußt, daß kein Mann einen solchen Aufruhr der Gefühle in ihr ausgelöst hatte, wenn er sie küßte, wie er.
Sie schämte sich, zugeben zu müssen, daß er nur die Arme nach ihr auszustrecken brauchte und sie an seine Brust flattern würde wie eine dem Ziel zustrebende Brieftaube.
Statt dessen gab sie sich einen Ruck und bemerkte leichthin: „Guten Abend, Osmond! Nett, daß man sich wiedersieht.“
„Sicher brauche ich dir nicht zu sagen, daß du schöner bist denn je“, gab er im Plauderton zurück, doch seine Augen verrieten ihr, daß es nur eine Phrase und sein Interesse an ihr völlig erkaltet war.
Es kostete sie große Anstrengung, ihre Stimme unter Kontrolle zu bringen und sachlich fortzufahren: „George freut sich auch auf ein Wiedersehen mit dir. Darf ich dir übrigens Georges Nichte, die Tochter des unglücklichen Peter, vorstellen, die wir bei uns aufgenommen haben?“
Sie wies auf das Mädchen an ihrer Seite, das sehr jung und bescheiden wirkte.
„Forella“, wandte sich die Marquise an ihre Nichte, „das ist Graf Sherburn, der die besten Rennpferde in England besitzt und als einer der besten Reiter gilt.“
Wie sie das sagte, klang es beinahe wie eine Beleidigung, und der Graf, der die Ironie ihrer Worte spürte, verbeugte sich nur stumm vor dem jungen Mädchen und gesellte sich zu Lady Esme, die sich am anderen Ende des Raumes befand.
Die Art, wie sie ihm die Hand reichte, der Ausdruck ihrer Augen, als sie zu ihm aufblickte, verriet der Marquise nur allzu deutlich, was sie längst geahnt hatte.
Mit Mordgedanken im Herzen wandte sie sich ab und begrüßte den nächstbesten Gast übertrieben liebenswürdig.
Forella fragte sich, weshalb ihre Tante so wütend war. Im Verlauf des abenteuerlichen Lebens, das sie an der Seite ihres Vaters geführt hatte, hatte sie gelernt, Menschen nicht nach dem zu beurteilen, was sie sagten oder wie sie aussahen, sondern welche Ausstrahlung sie hatten.
Ihr war gleich nach ihrer Ankunft vor einer Woche in Park Lane bewußt geworden, daß ihre Tante alles andere als erfreut war, sie bei sich aufnehmen zu müssen. Mit jeder Faser ihres Körpers widerstrebte es der Marquise, ihr Unterschlupf zu gewähren.
Forella konnte sich vorstellen, welche Auseinandersetzungen es zwischen ihrem Onkel und der Marquise gegeben hatte, bis er sich durchgesetzt hatte.
Von dem Augenblick an, als sie aus Italien in England eingetroffen war, nachdem ihr Vater einer Typhus-Epidemie in Neapel zum Opfer gefallen war, hatte sie gespürt, daß sie ihrer Tante höchst lästig war.
„Soll das heißen, George“, hatte die Marquise fassungslos gefragt, „daß das Kind deines Bruders, den ich nur flüchtig kennengelernt habe, für immer bei uns wohnen, daß ich sie als Debütantin bei Hofe vorstellen soll?“
„Uns bleibt gar nichts anderes übrig, Kathie“, hatte der Marquis scharf erwidert. „Da Peter tot ist, bin ich der Vormund des Mädchens. Sie ist fast neunzehn und hätte schon vor einem Jahr in die Gesellschaft eingeführt werden müssen.“
„Das war bei dem wilden Herumtreiberleben, das sie mit ihrem exzentrischen Vater geführt hat, wohl nicht gut möglich!“ hatte die Marquise höhnisch entgegnet.
„Dessen bin ich mir bewußt“, sagte der Marquis. „Wenn Peter dieses Leben gefallen hat, steht es uns nicht zu, ihn noch nach seinem Tod zu kritisieren, sondern es ist unsere Pflicht, uns seiner Tochter anzunehmen.“
„Sie muß doch noch andere Verwandte haben, die sicher entzückt wären, sich um sie zu kümmern, wenn du sie angemessen dafür bezahlst.“
„Sie bekleiden keine so hohe gesellschaftliche Stellung wie wir“, erwiderte der Marquis. „Ich fühle mich bis zu ihrer Vermählung für sie verantwortlich.“
Sie schwiegen eine Weile, dann rief die Marquise gereizt aus: „Mit anderen Worten, ich soll jemand für sie suchen, der sie heiratet!“
„Warum nicht?“ fragte der Marquis spöttisch. „Du kennst doch genügend heiratsfähige Einfaltspinsel, die ständig bei uns herumhängen, meinen Wein trinken und meine Gastfreundschaft mißbrauchen. Einer von ihnen wird sich schon bereitfinden, meine Nichte zu heiraten.“
„Ohne Mitgift?“ fragte die Marquise spöttisch. „Außerdem dürfte sie bei dem Leben, das sie mit deinem Bruder geführt hat, keinerlei Manieren gelernt haben.“
„Sie ist ein ausnehmend hübsches Mädchen“, erwiderte der Marquis, „und dir wird es sicher gelingen, ihr ein wenig Schliff beizubringen und sie zu lehren, wie sie sich entsprechend benehmen muß.“
Seine Frau schwieg verstockt, und nach einer Weile sagte er in versöhnlichem Ton: „Hab doch ein Einsehen, Kathie. Wir können das Mädchen doch nicht in den Slums von Neapel verkommen lassen, wo außer Peters Diener niemand ist, der sich um sie kümmern würde.“
„Du willst ihn doch nicht etwa auch herholen?“ fragte die Marquise.
„Nein, ich werde ihm eine angemessene Pension zahlen“, erwiderte der Marquis. „Er ist ein braver Mann und hat sich ein Häuschen auf dem Lande redlich verdient.“
Wieder trat Stille ein, dann wollte die Marquise wissen: „Und was wird aus dem Mädchen?“
„Sie wird in drei Wochen hier eintreffen. Ich habe eine Nonne und einen Reisebegleiter engagiert, die sie durch Frankreich geleiten werden. Man muß ihr Zeit lassen, um über den Tod ihres Vaters hinwegzukommen.“
Als die Rede auf den Toten kam, witterte die Marquise Morgenluft.
„Wenn Forella in Trauer ist, kann sie auch keine Bälle besuchen, und bei Gesellschaften ist man sicher auch nicht scharf auf eine kleine schwarze Krähe.“
„Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen“, entgegnete der Marquis. „Peter, der, wie du weißt, immer sehr unkonventionell war, hat in seinem Letzten Willen verfügt, daß niemand in schwarzer Kleidung um ihn trauern soll und er in aller Stille und ohne viel Aufwand beerdigt werden möchte.“ Der Marquis schwieg eine Weile, dann fuhr er fort: „Mein Bruder hat mir folgendes geschrieben:
Ich habe ein verdammt gutes Leben geführt und jeden Augenblick genossen. Sollte mich jemand vermissen, dann mag er ein Glas Champagner auf mein Wohl leeren und mir dort, wohin ich gegangen bin. Glück wünschen.“
Seine Stimme schwankte ein wenig, als er die Worte seines Bruders zitierte, doch die Marquise rümpfte verächtlich die Nase.
„Solchen Unsinn konnte auch nur dein Bruder von sich geben“, sagte sie, „aber es erleichtert mir wohl meine Aufgabe, mich um seine Tochter zu kümmern. Trotzdem wird es immer noch schwierig genug für mich sein.“
„Du willst damit sagen“, warf der Marquis ein, „daß dir der Gedanke, eine Debütantin als Anstandsdame zu begleiten, mißfällt? Das beste wäre also, sie so schnell wie möglich zu verheiraten, dann sind wir die Sorge um sie los.“
Er schwieg einen Augenblick, bevor er fortfuhr: „Ich gebe ihr dreihundert im Jahr, und du kannst für ihre Aussteuer aufwenden, was du für nötig hältst.“
Zum erstenmal seit Beginn dieser Unterhaltung blickten die Augen der Marquise freundlicher. „Das ist ungemein großzügig von dir, George!“
„Ich mochte Peter sehr gern“, sagte der Marquis gedankenverloren, „und ob dus glaubst oder nicht, ich habe ihn manchmal beneidet.“ Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und ließ die Marquise in sprachloser Verwunderung zurück.
Wie konnte George, der alles hatte, was ein Mann sich nur wünschten konnte, einen angesehenen Titel, großen Reichtum und eine hohe Stellung bei Hofe und in der Gesellschaft, seinen Bruder beneiden?
Sie war Peter Claye nicht oft begegnet, aber sie hatte ihn nie recht verstanden und vielleicht deshalb nie gemocht.
Peter war der dritte Sohn des alten Marquis und hatte deshalb nie eine Chance gehabt, den Titel zu erben. Nach Georges Heirat und der Geburt ihres ersten Sohnes hatte Peter ein völlig neues Leben fernab von der Familie begonnen.
Die Tradition gebot es, daß der jüngste Sohn sehr wenig bekam, während Geld und Besitz auf den Erben übergingen.
Er hatte also von vornherein gewußt, daß er niemals ein amüsantes, aufwendiges gesellschaftliches Leben führen konnte wie seine beiden Brüder und hatte sich daher auf seine Weise auf Forschungsreisen kreuz und quer durch die Welt begeben.
Sein knapp bemessenes Erbe hatte er bald aufgebraucht und war auf die Zuwendung angewiesen, die ihm alle sechs Monate von den Anwälten der Familie überwiesen wurde.
Das Geld genügte ihm für seine Reisen und seine kleine Familie. Er war sehr glücklich gewesen mit seiner Frau, die seinen Hang zu einem unsteten Leben geteilt hatte.
Ihr einziges Kind, Forella, war, bevor sie überhaupt laufen konnte, schon auf einem Kamel durch die Wüste geritten. Später kletterte sie mit ihren Eltern auf Berge, segelte mit knarrenden Schiffen über die Weltmeere und lernte Länder kennen, in denen Engländer eine Seltenheit waren und von den Eingeborenen angestarrt, wenn nicht gar bedroht wurden.
Hin und wieder ließ Peter Claye sich von seiner Frau dazu überreden, für die Königliche Gesellschaft für Geographie ihre Erlebnisse niederzuschreiben. Gewöhnlich redete er nur immer davon, einmal ein Buch darüber zu schreiben, hatte es aber vorgezogen, immer neue Eindrücke zu sammeln und seine Zeit nicht am Schreibtisch zu vertrödeln.
„Die Niederschrift hebe ich mir für die Zeit auf, wenn ich kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen kann“, pflegte er lachend zu sagen. Dann waren sie wieder zu irgendeinem neuen Ziel aufgebrochen, das Peter unbedingt kennenlernen wollte.
Für Forella waren diese Exkursionen ein Kaleidoskop von Farben, exotischen Menschen, fremdartigen Gebräuchen und Sitten gewesen, und sie war davon ebenso angetan gewesen wie ihr Vater.
Niemals in seinem ganzen Leben hatte Peter Claye sich Sorgen darum gemacht, was morgen sein könnte.
Seine Philosophie lautete: ‚Genieße die Gegenwart, denn du weißt nie, was die Zukunft bringen wird!’
Das Schicksal ereilte ihn, als sie fast völlig mittellos in den Slums von Neapel gelandet waren. Man hatte sie vor der Typhus-Epidemie gewarnt, aber er hatte alle Warnungen lachend in den Wind geschlagen.
„Es könnte gefährlich sein, Papa“, hatte Forella gesagt.
„Ich bin unverwüstlich“, hatte er sich gebrüstet. Eine Woche später war er tot.
Jackson, Peters Diener, war auf den rettenden Einfall gekommen, an den Marquis zu schreiben. Forella war wütend auf ihn gewesen, als sie es erfahren hatte.
„Warum hast du das getan“, fragte sie ihn. „Onkel George hat sich seit Jahren nicht mehr um uns gekümmert. Warum sollte er mich jetzt bei sich aufnehmen?“
„Weil es seine Pflicht ist als Ihr Vormund, Miß Forella“, belehrte sie Jackson. „Seine Lordschaft hat sich als Familienoberhaupt um Sie zu kümmern.“
Forella sah ihn beunruhigt an. „Ich will aber nicht, daß sich jemand um mich kümmert“, begehrte sie auf.
„Jetzt hören Sie mir bitte zu. Miß Forella“, sagte Jackson. „Nachdem Ihr verehrter Vater uns verlassen hat, müssen wir das tun, was richtig und schicklich ist und was Ihre Mutter auch gewollt hätte, würde sie noch unter den Lebenden weilen.“
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, sagte Forella, aber sie wußte es sehr wohl und fürchtete sich davor.
Tatsächlich war der Marquis zwei Wochen nach Erhalt von Jacksons Brief in Neapel eingetroffen. Da er ihrem Vater äußerlich sehr ähnlich sah und sich ungewöhnlich verständnisvoll gab, hatte Forella das erste Mal seit dem Tod ihres Vaters geweint.
„Ich vermisse ihn schrecklich, Onkel George“, schluchzte sie. „Es war immer so aufregend und lustig, mit ihm zusammenzusein. Nichts wird mehr so sein wie früher.“
„Ich weiß, meine Liebe“, erwiderte der Marquis, „aber du wirst jetzt ein anderes Leben führen und dazu mit mir nach England kommen.“
„O nein!“ entfuhr es Forella.
„Du kannst dich nicht mit dem Gedanken anfreunden?“
„Es … es macht mir angst“, versuchte Forella ihm zu erklären. „Papa pflegte sich immer über dieses Leben lustig zu machen und mir zu erzählen, welche angesehenen und bekannten Persönlichkeiten du und Tante Kathie seid. Manchmal haben wir in der Zeitung, die meistens schon Wochen alt war, Berichte über euch gelesen, wenn wir uns in Singapur oder Hongkong oder sonstwo aufhielten. Papa pflegte dann zu sagen: ‚Da siehst du’s mal wieder, Forella. Mein Bruder George steckt sie alle in die Tasche, und ich bin mächtig stolz auf ihn. Dem Himmel sei Dank, daß ich nicht ein solches Leben führen muß wie er, und wenn er zehnmal wie ein kleiner König über sein Reich herrscht.“
Der Marquis lachte. „Typisch Peter. Für ihn war die ganze Gesellschaft ein Witz.“
Schweigend hatten sie ihren Gedanken nachgehangen. Dann hatte Forella sich mit dünner, schüchterner Stimme erneut zu Wort gemeldet: „Bitte, Onkel George, könnte ich nicht hier bei Jackson bleiben?“
Der Marquis hatte ihre Hand in die seine genommen. „Jetzt hör mir mal gut zu, Forella“, sagte er ernst. „Jackson ist ein sehr netter, freundlicher Mensch, aber er kommt in die Jahre, während du blutjung bist und dein ganzes Leben noch vor dir hast.“
Der Druck seiner Hand verstärkte sich, als er fortfuhr: „Du mußt jetzt im wahrsten Sinne des Wortes eine junge Dame werden. Dein Vater hätte das auch gewollt.“
Da Forella das unbestimmte Gefühl hatte, daß dies der Wahrheit entsprach, waren ihr die Argumente dagegen ausgegangen.
Obwohl sie sich krampfhaft bemühte, nicht daran zu denken, erinnerte sie sich sehr wohl der Worte ihrer Mutter, wenn sie wieder einmal in irgendeinem primitiven, obskuren Winkel der Welt gelandet waren. „Wenn Forella achtzehn Jahre alt ist, müssen wir nach England zurück, Liebster, um ihr Gelegenheit zu geben, sich an all den Dingen zu erfreuen, die du aufgegeben hast und die ich nie vermißt habe.“
Forella hatte erwartet, daß ihr Vater diesen Vorschlag absurd finden und ablehnen würde. Tatsächlich hatte er erwidert: „Kannst du dir uns aufgeputzt im Buckingham Palace vorstellen und Forella mit einem dieser lächerlichen weißen Federbüschel auf dem Kopf bei dem mißglückten Versuch zu knicksen, ohne dabei über die Schleppe ihres Kleides zu stolpern?“
„Ja, das kann ich allerdings!“ hatte ihre Mutter mit Nachdruck erwidert.
Ihr Vater hatte geseufzt und gesagt: „Wenn ich mich schon dieser üblen Maskerade unterziehen muß, dann habe ich wenigstens die Genugtuung, die beiden schönsten Frauen weit und breit in den Thronsaal zu geleiten.“
Forella fiel diese Unterhaltung in diesem Augenblick wieder ein, als der Marquis mit ähnlichen Argumenten aufwartete, und sie hatte sich nicht länger gesträubt.
Sobald sie aus der Quarantäne entlassen worden waren, die wegen der Epidemie über Neapel verhängt worden war, hatte der Marquis Vorkehrungen getroffen, um sie und Jackson nach London zu holen.
Drei Wochen später war sie in Park Lane eingetroffen und hatte vom ersten Augenblick ihrer Begegnung an gespürt, daß ihre Tante sie als lästigen Eindringling betrachtete.
Trotzdem war die Marquise ihren Verpflichtungen ihr gegenüber nachgekommen, ohne daß es Forella bewußt geworden war, und hatte vor allem ein Ziel im Auge: ihre Nichte so rasch wie möglich zu vermählen.
Sie hatte mit Forella die besten Modegeschäfte aufgesucht und sie mit Roben ausgestattet, von denen sie bisher nur geträumt hatte. Ihr Haar war vom teuersten Coiffeur in London modisch geschnitten und frisiert worden. Alles, was sie aus Italien mitgebracht hatte, wurde weggeworfen oder verbrannt.
Ich bin nicht mehr ich selbst, mußte Forella immer wieder denken. Ich bin nur Tante Kathies Marionette, die von ihr gegängelt und daran gehindert wird, eigene Gedanken zu entwickeln oder gar etwas auszusprechen, was sie vorher nicht gutgeheißen hat.
Ihre Erziehung war ungewöhnlich vielseitig gewesen. In allen Teilen der Welt hatte sie Sprachen gelernt, konnte in fremden Währungen rechnen und besser kochen als mancher Küchenchef.
Was ihre Tante unter Erziehung verstand, erschöpfte sich in Äußerlichkeiten. Sie lernte tanzen, wie man als junge Dame ein Zimmer betritt, den Fächer hielt, sich verneigt, einen Hofknicks macht oder die Hand zum Handkuß reicht.
Sie lernte auch, wie man sich setzt, ohne daß die Knöchel unter dem Kleidersaum hervorlugten.
Der Tanzunterricht machte ihr am meisten Spaß. Sie hatte viele Tänze des Ostens auf ihren Reisen gelernt und ihrem Vater oft zu dessen Belustigung den Tanz der sieben Schleier oder andere exotische Tänze vorgeführt, deren Bedeutung sie nicht kannte.
Der Tanzlehrer fand in ihr eine gelehrige Schülerin mit rascher Auffassungsgabe und einer Grazie, die sich vorteilhaft von dem oft steifen, linkischen Gehopse abhob, das die meisten von ihm unterrichteten Debütantinnen veranstalteten.
Auch die Anstandsregeln und guten Manieren begriff sie rasch. Dabei sorgte sie auf ihre Weise für eine Auflockerung des strengen Unterrichts.
„Soll ich Ihnen mal zeigen, wie die Japaner ihre Gäste begrüßen?“ fragte sie ihren Tanzlehrer und machte es ihm vor. „Und so ist es bei den Südseeinsulanern Sitte.“
Zunächst zuckte er schockiert zurück, und sein entsetztes Gesicht löste bei ihr ein silberhelles Lachen aus, in das er schließlich einstimmte. Sofort tauchte die Marquise im Zimmer auf und verbat sich den unschicklichen Lärm.
Als Forella ihren ersten Ball besuchte, hatte sie das Gefühl, aus einem Rohdiamanten in einen Schmuckstein mit prächtiger Fassung verwandelt worden zu sein, ebenso ausdrucksarm und uninteressant, wie sie in Gedanken hinzusetzte.
Sie wurde den zahlreichen Bekannten ihrer Tante vorgestellt und tat das, was man von ihr erwartete: Sie hielt den Mund. Es schien ohnehin niemand ernsthaft an ihr interessiert zu sein.
Ihrer Tante ging Forella möglichst aus dem Weg, denn sie gab ihr bei jeder Gelegenheit zu spüren, wie lästig sie ihr war. Ihr Onkel hingegen war stets freundlich zu ihr. Oft stahl sie sich nach seiner Rückkehr aus dem Oberhaus in sein Arbeitszimmer, wo er in Ruhe seine Zeitung zu lesen und sich zu entspannen pflegte, um mit ihm zu plaudern.
Es überraschte sie immer wieder, wie sehr er sich für ihre mit ihrem Vater unternommenen Reisen in alle Welt interessierte. Sie mußte ihm ganz genau schildern, wie ihr Vater versucht hatte, die Quelle des Nils aufzuspüren, oder wie sie mit den wilden Stämmen im Sudan ausgekommen waren, die Weißen gegenüber als sehr feindselig galten.
„Ich möchte nur wissen, woher er diese Gabe hatte“, überlegte der Marquis dann. „Mir fiel selbst das bißchen Französisch, das ich lernen mußte, ziemlich schwer.“
Forella lachte. „Papa konnte sich mit allen möglichen Menschen verständigen“, sagte sie. „Mama fielen Sprachen ohnehin nicht schwer.“
„Als Ausländerin war sie ja zweisprachig aufgewachsen“, erinnerte sich der Marquis.
Ihre Tante hatte es weniger taktvoll formuliert. Die Nationalität ihrer Mutter dürfte auf keinen Fall bekannt werden, wenn Forella von der vornehmen Londoner Gesellschaft akzeptiert werden sollte, hatte sie ihrer Nichte eingeschärft.
„Ausländer, die nicht aus Frankreich kommen und nicht königlichen Geblüts sind, haben zu den höchsten Kreisen keinen Zugang“, erklärte sie in herablassendem Ton. „Bei Königen oder Prinzen ist das natürlich etwas anderes. Wir müssen einen englischen Gemahl für dich finden, damit in Vergessenheit gerät, daß du keine reine Engländerin bist.“
„Ja, Tante Kathie“, hatte sie gehorsam erwidert, weil es sinnlos gewesen wäre, ihr in diesem Punkt zu widersprechen.
„Du kannst von Glück sagen“, fuhr ihre Tante fort, „daß du als Nichte des Marquis eine bevorzugte Stellung einnimmst. Bedauerlicherweise hast du jedoch kein Vermögen. Nun, wir werden das Beste daraus machen, da du eine Claye bist und einer der berühmtesten Aristokratenfamilien des Landes angehörst.“
Forella mußte unwillkürlich daran denken, wie ihr Vater sich über den Snobismus seiner Landsleute lustig gemacht hatte, antwortete jedoch artig, wie es von ihr erwartet wurde, mit: „Ja, Tante Kathie.“
Auch während des Dinners antwortete sie ihren Tischnachbarn nur mit „ja“ oder „nein“, was diese wohl zu dem Schluß verleitete, es mit einer langweiligen jungen Dame zu tun zu haben. Jedenfalls wandten sie ihre Aufmerksamkeit bald anderen Damen zu, die zu einem Flirt nur allzugern bereit waren.
Ohne daß Forella es bewußt wurde, wunderten sich die meisten Gäste des Prinzen, daß eine so junge Person von ihm eingeladen worden war. Sonst nahmen an seinen Gesellschaften immer nur seine ganz speziellen Freunde teil, die alle ungefähr in seinem Alter waren.
Die Damen waren entsprechend jünger, aber alle verheiratet.
Man hatte die gleichen Interessen, lachte über die gleichen Scherze und bewegte sich stets in den gleichen Kreisen, in die gewöhnlich kein Außenseiter Zugang fand.
Die einzige Ausnahme bei den Einladungen des Prinzen bildete gewöhnlich eine ältere Dame, die stellvertretend für seine Gemahlin die Rolle der Gastgeberin spielte.
Die Gemahlin des Prinzen war noch nie in Erscheinung getreten, und er sprach auch niemals von ihr. Man nahm allgemein an, daß sie es vorzog, in Ungarn zu leben, obwohl einige aus dem Bekanntenkreis bereits dort gewesen waren und nichts über sie hatten erfahren können.
Diesmal hatte die geistreiche und charmante Lady Roehampton die Pflichten der Gastgeberin übernommen. Sie erfreute sich allgemeiner Beliebtheit und kannte sich in allen gängigen Intrigen und in Sympathien und Antipathien unter den Gästen aus, wie man es von einer perfekten Gastgeberin erwartete.
Tatsächlich hatte Lady Roehampton auch ihrem Entsetzen Ausdruck verliehen, als der Prinz ihr mitgeteilt hatte, die Marquise habe ihn gebeten, ihre Nichte mitbringen zu dürfen.
„Ein junges Mädchen? Mein lieber János, du bist von allen guten Geistern verlassen! Sie wird sich wie ein Fremdkörper vorkommen.“
„Das ist mir auch klar“, erwiderte der Prinz, „aber ich kann Claydon nichts abschlagen. Schließlich war es George, der mich in den White’s Club eingeführt hat, als ich nach England kam, und er war auch mein Gönner, als ich den Wunsch äußerte, Mitglied des Jockey-Club zu werden.“ Der Gedanke, wie erfolgreich er seitdem gewesen war, entlockte ihm ein Lächeln, und er fügte hinzu: „Ich fühlte mich ihm immer schon zu Dank verpflichtet und kann auf diese Weise etwas von meiner Schuld abtragen.“
„Alles gut und schön“, erwiderte Lady Roehampton, „trotzdem gibt uns die Anwesenheit eines so jungen Mädchens Probleme auf. Was sollen wir denn mit ihr anstellen?“
„Wie ich von George erfuhr, ist sie gerade aus dem Ausland angekommen und kennt sich in England überhaupt nicht aus. Vermutlich wird sie mit staunenden Kinderaugen um sich blicken und alles, was sie sieht, völlig unverständlich finden, wie es dir in diesem Alter auch ergangen wäre.“
„Das ist zu lange her, als daß ich mich noch daran erinnern könnte“, erwiderte Lady Roehampton und legte ihm die Hand begütigend auf den Arm. „Du hast ganz recht, János, du konntest George die Bitte nicht abschlagen. Ganz sicher ist Kathie außer sich, ein junges Mädchen um sich dulden zu müssen.“
„Dann kann einem die Kleine eigentlich nur leid tun“, bemerkte der Prinz.
„Dir ist hoffentlich bekannt“, warf Lady Roehampton ein, „daß Kathies Affäre mit Osmond beendet ist?“
Der Prinz zuckte zusammen. „Gütiger Himmel! Warum hast du mir das nicht vorher gesagt? Sie werden in meinem Haus wieder zusammentreffen. Wer ist seine neue Favoritin?“
Lady Roehampton sagte es ihm und fügte hinzu: „Mach dir keine unnötigen Sorgen. Irgendwann wären sie ohnehin wieder zusammengetroffen, und so haben die anderen etwas zu tratschen.“
Der Prinz seufzte. „Hoffentlich behältst du recht. Ich hätte nicht übel Lust, Esme Meldrum und Richard einzuladen.“
„Das würde sie sicher sehr kränken“, gab Lady Roehampton zu bedenken. „Im übrigen steht gar nicht fest, daß zwischen den beiden wirklich etwas ist. Man tuschelt nur darüber, und es ist wohl unvermeidlich, daß Osmonds schönheitsdurstiges Auge auf die Meißner Porzellanschönheit fällt und sie unwiderstehlich findet.“
„Natürlich – unwiderstehlich“, pflichtete der Prinz ihr bei.
Lady Roehampton sah ihn forschend an. „Willst du damit etwa sagen, János …“
„Nein, nein!“ entgegnete der Prinz. „Nur keine unnötigen Komplikationen.“
Lächeln^ entfernte er sich. Lady Roehampton sah ihm nachdenklich nach und fragte sich, ob es überhaupt jemals einer Frau gelingen würde, das Herz von János Kovác zu erobern.
Obwohl sie ihn gut kannte, blieb er ihr doch in vielem ein Rätsel, unberechenbar und so anziehend wie noch nie ein Mann in ihrem langen Leben.
Sie machte sich jedoch nicht die Mühe, hinter sein Geheimnis kommen oder ihn verstehen zu wollen, zumal sie das merkwürdige Gefühl hatte, daß er das selbst nicht vermochte.