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Sobald sich die Herren wieder zu den Damen gesellt hatten, machte der Graf kein großes Geheimnis daraus, daß er sich um Esme Meldrum bemühte.
Er fand sie vor dem exotischen Blütenmeer stehend und auf die untergehende Sonne blickend hinreißend schön.
Im Gegensatz zu anderen Gastgebern wäre es dem Prinzen nicht im Traum eingefallen, die Vorhänge vor Einbruch der Nacht zuziehen zu lassen.
Die Kerzen in den Kandelabern waren angezündet und entfachten am Diamantcollier um Esmes Nacken ein sprühendes Feuer, das sich jedoch nicht mit dem Glanz ihrer Augen messen konnte, fand der Graf.
Da er sich mit Frauen auskannte, sah er, daß ihr Strahlen ihm galt und das leise Lächeln um ihre Lippen eine unmißverständliche Aufforderung war.
Einen Augenblick lang sah er sie nur an. Bevor sie das Schweigen brechen konnte, sagte er dann: „Wir beide wissen, daß der Sonnenuntergang, den wir in diesem Augenblick bewundern, uns einen noch schöneren Sonnenaufgang verheißt.“
„Bist du sicher, daß du dir das wünschst?“
„Eine völlig unnötige Frage, die ich dir später beantworten werde“, erwiderte er.
Es entstand eine kleine Pause, dann fragte er: „Welches Zimmer wurde dir zugewiesen?“
Ihr Blick verriet ihm, daß sie das gleiche ersehnte wie er, und er dankte den Göttern, daß Richard Meldrum nicht vor morgen mittag erwartet wurde.
Bevor sie antworten konnte, sagte er rasch: „Da man in diesem Haus ein Regiment unterbringen könnte, sollten wir am besten dem Beispiel des Kronprinzen folgen, um uns zu finden.“
Esme lachte, und er stimmte ein. Ihnen war beiden bekannt, daß der Kronprinz jedesmal, wenn er sich einem hübschen Mädchen in einem Haus nähern wollte, mit dessen Räumlichkeiten er nicht vertraut war, darum bat, sie möge eine Rose vor ihre Tür legen, damit er ihr Boudoir nicht verfehlte.
„Das wäre vielleicht ratsam“, pflichtete Esme ihm bei. „Ich nehme zwar an, daß wir auf demselben Flur untergebracht sind, aber es gibt so viele Gästezimmer, daß du dich leicht verirren könntest.“
Die Art, wie sie das sagte, verriet dem Grafen, was er wissen wollte und daß es ratsam wäre, sich nun von ihr zu entfernen und sich den anderen Herren anzuschließen, die an den Spieltischen Platz nahmen. Da er, der von den Damen Verwöhnte, jedoch immer das tat, was er wollte, blieb er bei dem einzigen Menschen, mit dem zu unterhalten ihn reizte, stehen.
Prinz János hatte seinen Gästen bekanntgegeben, daß die Kartenspieltische im angrenzenden Salon bereitstünden und warf einen prüfenden Blick in die Runde, um festzustellen, ob all seine Gäste sich gut unterhielten. Dabei entdeckte er die Marquise von Claydon, die in eine schimmernde grüne Seidenrobe gehüllt am Kamin stand.
Ihre Aufmerksamkeit galt nicht ihm, als er auf sie zuging, sondern zwei Personen, die sich am Fenster miteinander unterhielten. Ihr Gesichtsausdruck und das Blitzen ihrer Augen verrieten dem Prinzen nur allzu deutlich, was sie bedrückte.
Entgegen seiner gewohnten Zurückhaltung und seines Takts, für den der Prinz berühmt war, erging er sich in überschwenglichen Komplimenten. „Ich brauche dir sicher nicht zu sagen, Kathie“, schmeichelte er ihr und griff nach ihrer Hand, „daß du die schönste Frau des Abends bist.“
Die Augen der Marquise weiteten sich vor Überraschung. Der Prinz war stets von ausgesuchter Höflichkeit und sehr charmant zu ihr gewesen, aber er hatte sie nie vor anderen Damen bevorzugt. Da man bei ihm ohnehin nie recht wußte, woran man war, hatte sie niemals ernsthaft in Erwägung gezogen, ihn als Liebhaber zu gewinnen.
Natürlich hätte es sie gereizt. Das Herz des Prinzen János Kovác erobert zu haben, wäre für jede Dame eine Bereicherung ihrer Liebhabersammlung gewesen, doch die Chance erschien ihr viel zu gering, als daß sie sich wirklich ernsthaft damit befaßt hätte.
Offenbar fand er sie jedoch anziehend, und das brachte sie zum erstenmal auf den Gedanken, er könne ein würdiger Nachfolger des Grafen werden.
Scheu senkte sie die Lider und blickte ihn aus halbgeschlossenen Augen an. „Liebster János“, sagte sie kokett, „du bist zu liebenswürdig. Ich wünschte, ich könnte deinen Komplimenten glauben.“
„Wie kannst du nur an meiner Aufrichtigkeit zweifeln?“ erwiderte der Prinz. „Übrigens habe ich gerade ein Gemälde erstanden, das du dir unbedingt anschauen solltest, Kathie. Sicher wirst du mit Vergnügen feststellen, daß die abgebildete Schöne viel Ähnlichkeit mit dir hat.“
Ohne ihre Erwiderung abzuwarten, geleitete er sie aus dem Salon und führte sie quer durch die Halle in ein bezauberndes Wohnzimmer. Über dem Kamin hing das von ihm erwähnte Porträt einer unbekannten Venezianerin, das aus dem frühen 18. Jahrhundert stammte.
Sie war nicht nur von ausgesuchter Schönheit, sondern hatte, wie die Marquise zugeben mußte, mit ihrem dunklen Haar und den großen dunklen Augen tatsächlich eine entfernte Ähnlichkeit mit ihr.
Während sie das Gemälde betrachtete, reckte sie den Kopf, um den sanften Schwung ihrer Nackenlinie zur Geltung zu bringen und sich am bewundernden Blick des Prinzen zu weiden.
„Danke, János“, sagte sie leise. „Der Vergleich schmeichelt mir.“
„Keineswegs“, widersprach der Prinz. „Du bist die Königin jedes Balles, den du mit deiner Anwesenheit verschönst. Neulich am Abend in Marlborough House hörte ich Prinz Albert eine ähnliche Bemerkung machen.“
„Soll ich vorgeben, daß du mich verlegen machst“, entgegnete die Marquise, „oder dich bitten, fortzufahren?“
„Nur zu gern würde ich das tun“, versicherte der Prinz, „aber als Gastgeber muß ich mich auch um die anderen Gäste kümmern. Doch wir haben schließlich noch ein ganzes Wochenende vor uns, Kathie.“
Damit griff er nach ihrer Hand, drehte sie um und küßte die Handfläche. Der Prinz beherrschte diese huldvollen Gesten meisterhaft, und die Marquise hielt unwillkürlich den Atem an, als sie Hand in Hand zur Tür gingen. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich völlig verändert und hatte nichts mehr mit der verdrossenen Miene gemein, die sie vorhin im Salon zur Schau getragen hatte.
Der Prinz geleitete sie in den Spielsalon und nahm am Bakkarat-Tisch Platz, wo bereits zahlreiche Gäste darauf warteten, daß er die Bank übernahm und das Spiel führte.
Er bat die Marquise, zu seiner Rechten Platz zu nehmen. „Ich habe das Gefühl, daß du mir Glück bringen wirst“, sagte er dabei.
Die Marquise war entzückt. Diese Auszeichnung bedeutete, daß er für ihre Spielverluste aufkommen würde, während alle Gewinne ihr gehörten.
So reich die Angehörigen der vornehmen Gesellschaft auch sein mochten, sie hatten nie etwas dagegen, diesen Reichtum noch zu vermehren.
Die Marquise überlegte bereits, ob sie sich vom möglichen Spielgewinn die Zobelstola kaufen sollte, die George ihr verweigert hatte, weil sie angeblich zu teuer war.
Da der Prinz als sehr wohlhabend galt und die meisten seiner Gäste ebenfalls über beträchtliche Reichtümer verfügten, waren die Einsätze am Bakkarat-Tisch sehr hoch.
Als perfekter Gastgeber sorgte Prinz János unauffällig dafür, daß diejenigen, die sich keine hohen Spielverluste leisten konnten, unversehens am Bridgetisch landeten.
Erst zwei Stunden später kehrten die Gedanken der Marquise wieder zum Grafen und zu Esme Meldrum zurück. Mittlerweile stapelten sich die Goldmünzen vor ihr auf dem Spieltisch. Erst als sie die nächste Runde verlor und befürchten mußte, daß ihr Glück sich gewendet hatte, beschloß sie, aufzuhören, solange sie noch über einen beträchtlichen Gewinn verfügte.
„Sicher würdest du gern ein Glas Champagner trinken?“ schlug der Prinz vor, der ihre Gedanken zu erraten schien. „Besorgen wir uns eins, bevor ich die nächste Runde eröffne.“
„Das fände ich reizend“, erwiderte die Marquise.
„Du steigst doch nicht aus, Kovác?“ rief einer der Spieler ihnen nach, als sie die Tür zum Salon erreichten.
„Nein, natürlich nicht“, erwiderte der Prinz. „Ich will mir nur mal die Beine vertreten und meinen Durst stillen.“
„Meinetwegen kannst du einen Toast auf dich ausbringen“, lautete die Erwiderung, „aber beeil dich bitte. Ich brenne darauf, meine Revanche zu bekommen.“
„Sollst du haben“, gab der Prinz gutgelaunt zurück.
An der Seite der Marquise betrat er den Salon und nahm das Paar auf dem Sofa am anderen Ende des Raumes wahr, das sich sehr angeregt zu unterhalten schien. Es waren der Graf und Esme Meldrum.
Zur Überraschung der Marquise hielt sich noch ein weiteres Paar im Salon auf, das ebenfalls in ein lebhaftes Gespräch verwickelt schien. Es waren ihr Mann und Forella, die in dem Augenblick, als der Prinz und seine Begleiterin sich ihnen näherten, über etwas, das ihr Onkel gesagt hatte, in helles Lachen ausbrach.
Da sie dabei reizend aussah und die Marquise sich außerdem des Interesses, das der Graf ihrer Rivalin entgegenbrachte, schmerzhaft bewußt war, mußte sie ihre üble Laune an irgend jemandem auslassen.
Sie trat zu den beiden und sagte zu Forella: „Ich hatte gehofft, du wärst vernünftig genug, beizeiten zu Bett zu gehen und deinen armen Onkel nicht länger zu behelligen und davon abzuhalten, am Kartenspiel teilzunehmen.“
„Da täuschst du dich gewaltig“, erwiderte der Marquis, bevor seine Nichte etwas sagen konnte. „Forella und ich hatten ein höchst interessantes Gespräch, das mir sehr viel Spaß gemacht hat.“
„Freut mich“, sagte die Marquise zerstreut, die aus dem Augenwinkel den Grafen in der Sitzecke beobachtete.
Der Prinz holte zwei Gläser Champagner von einem Tablett und reichte der Marquise ein Glas.
„Was ist mit dir, George? Soll ich dir etwas zu trinken besorgen?“
„Nicht nötig“, wehrte der Marquis ab. „Deine Weine bei Tisch waren so erlesen, daß ich keinen Durst verspüre.“
„Es freut mich, deinen Geschmack getroffen zu haben.“
In diesem Augenblick schien die Marquise erst zu bemerken, daß Forella neben ihrem Onkel stand und gute Nacht sagen wollte. Ostentativ wandte sie ihr den Rücken zu und unterhielt sich mit dem Prinzen.
„Ich danke dir, Onkel George“, hörte sie Forella sagen. „Du warst so lieb, und es war ein herrlicher Abend für mich.“ Sie küßte ihn auf die Wange und entfernte sich dann rasch, als wollte sie sich weiterer Rügen ihrer Tante entziehen.
Die Marquise, beschloß in diesem Augenblick, das Mädchen so schnell wie möglich an den Mann zu bringen.
Wie aus heiterem Himmel kam ihr blitzartig eine Idee, wie sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könnte.
In der Halle angelangt, hatte Forella es nicht mehr eilig, sondern stieg langsam die geschwungene Treppe mit dem kunstvoll verzierten Geländer hoch und genoß die gepflegte Atmosphäre des Schlosses. Ganz gleich, was die anderen morgen unternehmen würden, sie würde sich jemand suchen, der ihr die Räumlichkeiten und vor allem die Gemäldegalerie zeigte.
Von ihrer Mutter hatte sie die Vorliebe für die bildende Kunst geerbt und in jeder Stadt, in der sie Station gemacht hatten, die Museen besucht. Auch die Schönheiten fremder Länder und Kulturen hatte sie schätzen und lieben gelernt.
„Überall gibt es schöne Dinge zu sehen. Kleines“, hatte ihre Mutter einmal gesagt. „Man braucht sie nicht zu besitzen, um sich daran erfreuen zu können, sondern behält sie in Erinnerung. Das kann dir keiner nehmen, ob du nun arm bist oder reich.“
Forella hatte das stets beherzigt, und während sie jetzt den Gang entlangschlenderte und sich an den kostbaren Möbeln, den reichverzierten Wandspiegeln und den gemalten Werken alter Meister an den Wänden erfreute, bildete sie sich ein, dies alles zu besitzen.
Wenn ich das nächste Mal in einem Zelt inmitten der Wüste hocke, dachte sie, oder in einer winzigen Koje auf einem übelriechendem Dampfer nächtige, werde ich von all diesen schönen Dingen träumen.
Es versetzte ihr einen Stich, als ihr bewußt wurde, daß es für sie keine Reisen ins Unbekannte, keine Entbehrungen und Abenteuer mehr geben würde. Statt dessen mußte sie sich in das gesellschaftliche Leben einfügen, das ihr Onkel und ihre Tante führten und sie selbst ungemein langweilig und zuweilen unverständlich fand.
Sie essen und reden, reden und essen, Tag für Tag, dachte sie. Kein Wunder, wenn die Männer alle dick und die Frauen giftig werden.
Sie war viel zu intelligent und vielseitig interessiert, als daß sie Sinn für die bissigen Bemerkungen gehabt hätte, mit denen ihre Tante in Gegenwart von Freunden oder ihrem Mann über andere herzog. Ihr war auch nicht entgangen, daß die Stimme der Marquise einen ganz anderen Klang bekam, wenn sie sich mit gutaussehenden Herren unterhielt, die in ihrem Haus ein und aus gingen.
Forella verstand deren Scherze nicht und wußte auch mit ihren Anspielungen nichts anzufangen. Sie erfaßte nur, daß das alles unwichtig war, und sehnte sich nach den Gesprächen mit ihrem Vater über die Sitten der Berber, der Bedeutung von Mekka für die Moslems oder die nächste Expedition, die sie unternehmen würden, zurück.
„O Papa“, weinte ihr Herz. „Warum hast du mich verlassen?“
In ihrem Zimmer wartete eine Zofe auf sie, um ihr beim Auskleiden behilflich zu sein. Dieser Luxus wurde ihr im Hause ihres Onkels in der Park Lane nicht gewährt.
„Tut mir leid“, sagte sie entschuldigend. „Ich hätte Ihnen sagen sollen, daß Sie meinetwegen nicht aufzubleiben brauchen.“
„Das ist meine Pflicht, Miß“, erwiderte das Mädchen.
„Ist das nicht sehr ermüdend?“ erkundigte sich Forella teilnahmsvoll.
„Manchmal finde ich Gelegenheit, mich nachmittags ein Stündchen auszuruhen, Miß. Nur an Wochenenden, wenn das Haus voller Gäste ist, müssen wir so lange Dienst tun.“ Bevor Forella etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: „Sie sind früh dran, Miß. Die übrigen Damen werden kaum vor Morgengrauen ihre Zimmer aufsuchen.“
Forella fand das sehr rücksichtslos, besonders der Zofe ihrer Tante gegenüber, die nebenan wachbleiben mußte, obwohl sie nicht mehr die Jüngste war.
Doch dann sagte sie sich, daß es ihr nicht zukäme, Kritik zu üben*. Während die Zofe ihre Robe in den Wandschrank hängte, vergewisserte sich Forella, daß die Verbindungstür zum Nebengemach verschlossen war. Dabei lächelte sie ein wenig, weil Tante Kathie nun beim besten Willen keinen Grund finden würde, um sich über sie zu beschweren, weil sie zu laut schnarchte oder im Zimmer umherging.
Das Gästezimmer, in dem Forella untergebracht war, wirkte sehr geräumig mit dem breiten, mit Seidenvorhängen umgebenen Bett.
„Sehr aufmerksam von Lady Roehampton, dir das Zimmer neben uns anzuweisen“, hatte die Marquise bei ihrer Ankunft geäußert. „Gewöhnlich werden alleinstehende junge Mädchen in einem anderen Flügel des Schlosses untergebracht.“
Das klang weniger anerkennend als vorwurfsvoll, war sie doch nach wie vor der Meinung, ein junges Mädchen habe auf einer Hausparty mit überwiegend älteren Gästen nichts zu suchen.
„Prinz János pflegt sonst nie so junge Leute zu sich einzuladen“, hatte sie hinzugefügt.
Darauf wußte Forella beim besten Willen nichts zu erwidern und hatte geschwiegen.
In dem harten Ton, den ihre Tante ihr gegenüber anzuschlagen pflegte, hatte sie abschließend gesagt: „Du solltest dich glücklich schätzen, daß er uns zuliebe in deinem Falle eine Ausnahme gemacht hat.“
„Ich bin euch sehr dankbar dafür, Tante Kathie.“
„Dazu hast du auch allen Grund. Nun, äußerlich machst du uns zumindest keine Schande, obwohl dein Onkel sicher einen schönen Schreck bekommen wird, wenn ihm die Rechnungen präsentiert werden.“
Solche und ähnliche Anspielungen hatte Forella sich schon so oft anhören müssen, daß sie nicht mehr so stark darunter litt wie anfangs.
„Danke, Onkel George“, sagte sie, als sie mit dem Marquis allein war. „Du bist so lieb und großzügig und hast mir so viele schöne Kleider gekauft. Dabei wäre ich auch mit weniger ausgekommen.“
. Ihr Onkel hatte ihr lächelnd auf die Schulter geklopft. „Du siehst reizend aus, meine Liebe. Schöne Kleider sind sehr wichtig für eine Frau.“
„Mag schon sein, aber sie sind so schrecklich teuer!“
„Du wirst mich nicht gleich ruinieren“, versicherte er ihr lachend. „Und es wird mir ein Vergnügen sein, dich eines Tages zum Altar zu geleiten, wenn du dich mit einer bedeutenden Persönlichkeit vermählst.“
Forella wußte, daß die „bedeutende Persönlichkeit“ jemand aus seinen Kreisen sein sollte, damit es eine standesgemäße Verbindung war.
Am liebsten hätte sie ihm klargemacht, daß sie viel lieber einen Forscher oder einen Ausländer heiraten würde, unterließ es aber, um ihre Tante nicht zu schockieren.
Seit sie in London eingetroffen war, hatte ihre Tante ihr ständig vorgehalten, die Lebensweise ihres Vaters sei unschicklich, um nicht zu sagen empörend gewesen, und sie könne sich glücklich preisen, davor bewahrt worden zu sein.
Es war sinnlos, ihr zu widersprechen, ihr klarzumachen zu versuchen, daß sie nächtelang wach lag, weil sie das viel zu weiche Bett haßte und das Gefühl, zwischen vier Wänden eingesperrt zu sein, als beklemmend empfand und sich statt dessen nach den Nächten in der freien Natur unter blinkendem Sternenhimmel sehnte, nach dem wogenden Meer unter ihrer Koje.
Tante Kathie könnte das nicht verstehen, dachte sie verzweifelt und hielt es auch für sinnlos, irgendeinem anderen Menschen anzuvertrauen, wie ihr ums Herz war.
Sie zog die schweren Brokatvorhänge auf und öffnete beide Fensterflügel, um die frische Nachtluft hereinzulassen.
Sterne blinkten am Himmel, aber sie waren nicht so hell und so zahlreich wie im Fernen Osten. Der Mond spiegelte sich im See vor dem Schloß und tauchte die uralten Eichen am anderen Ende des Parks in sichtbar silbernes Licht.
Wenn Papa bei mir wäre, sagte sie sich, würde er mit mir die Geschichte des Schlosses erforschen und mich lehren, seinen Wert zu erkennen. Über die Menschen, die sich darin aufhalten, würde er sich lustig machen.
Sie nahm sich vor, zu der gleichen Einstellung zu gelangen.
Ihre Niedergeschlagenheit war nur darauf zurückzuführen, daß sie das ungewohnte neue Leben bei ihren Verwandten zu ernst genommen hatte.
Ich sollte es lediglich als eine unangenehme Phase meines Lebens betrachten, machte sie sich weiter Mut, wie etwa eine Bergtour mit Blasen an den Füßen oder die Übernachtung in einer dieser Elendshütten in Indien, die gelegentlich von Schlangen heimgesucht wurden.
Sie erinnerte sich an einen Aufenthalt in der Türkei, als sie mit ihren Eltern in einen gefährlichen Sturm geraten war und sie in einer Höhle Unterschlupf gesucht hatten, in der es streng nach wilden Tieren roch. Schon nach kurzer Zeit hatten sie sich kratzen müssen, weil das Ungeziefer, das die vierbeinigen Höhlenbewohner zurückgelassen hatten, sie gebissen hatte.
Ihr Vater hatte herzhaft geflucht über den Juckreiz und war von ihrer Mutter gerügt worden. „Ein paar ordentliche englische Flüche haben noch keinem geschadet“, hatte er lachend erwidert. „Hoffentlich verstehen die verdammten Flöhe unsere Sprache.“
Darüber hatten sie herzhaft gelacht und danach alles mit heiterer Gelassenheit ertragen.
Ich muß über alles, was mit mir geschieht, mit einem Lachen hinweggehen, nahm sie sich vor.
Sie ging zu Bett und schlief, den Blick auf den Sternenhimmel gerichtet, kurz darauf ein.
Forella träumte, mit ihrem Vater zusammen zu sein, als das Geräusch einer sich öffnenden Tür sie weckte. Da sie häufig an fremden Orten genächtigt hatte, hatte sie einen sehr leichten Schlaf. Das leise Rascheln einer Kobra auf dem Lehmboden oder das Schnaufen eines wilden Tieres vor der Hüttentür hatte sie sofort hellwach gemacht.
Zu ihrer Bestürzung stellte sie fest, daß jemand in ihr Zimmer eingedrungen war. Sie konnte die Gestalt in dem spärlichen Mondlicht, das durchs Fenster eindrang, nicht erkennen. Doch Angst verspürte sie nicht.
Erst als sich die Gestalt auf ihr Bett zu bewegte, hielt sie erschrocken den Atem an und flüsterte: „Wer sind Sie? Was wollen Sie?“
Es war eine Männerstimme, die leise fragte: „Esme?“
Gerade wollte sie einen Schreckensschrei ausstoßen, als die Verbindungstür geöffnet wurde und ihre Tante mit einem Kerzenleuchter mit brennenden Kerzen in der Hand auftauchte.
Sie trug ein spitzenbesetztes Seidennegligé und sah hinreißend aus. Ohne Forella zu beachten, wandte sie sich an den Mann neben ihrem Bett, der mit dem Rücken zum Fenster stand.
Im Kerzenlicht erkannte Forella, daß es Graf Sherburn war, der sie erschreckt hatte. Fassungslos starrte er sie an und schien wie versteinert.
Der Blick der Marquise kreuzte sich mit dem seinen, dann sagte sie mit lauter Stimme: „Unglaublich, Osmond! Wie kannst du nur etwas so Geschmackloses tun, ein junges Ding wie Forella verführen zu wollen?“
Einen Augenblick lang schien der Graf Mühe zu haben, seine Sprache wiederzufinden. Schließlich stieß er hervor: „Natürlich habe ich mich in der Zimmertür geirrt!“
„Du erwartest doch nicht im Ernst, daß ich dir das glaube?“ gab die Marquise zurück.
Ihre Stimme klang spöttisch, und Forella glaubte einen triumphierenden Zug um ihre Mundwinkel zu entdecken, der wenig Gutes verhieß.
Sie wandte den Kopf und rief nach hinten: „George, komm bitte sofort hierher. Es ist tatsächlich jemand in Forellas Zimmer eingedrungen.“
Ihre Worte schienen den Grafen aus seiner Erstarrung zu lösen. Er trat vom Bett weg in die Mitte des Zimmers und zwang die Marquise, ihn anzusehen. Obwohl er die Stimme senkte, konnte Forella verstehen, was er sagte.
„Du kennst den wahren Sachverhalt genau, Kathie, und solltest in deinem eigenen Interesse keine Szene machen.“
„Ich halte mich genau an das, was ich sehe“, gab die Marquise ebenfalls in gedämpftem Tonfall zurück. Dann schien sie zu spüren, daß ihr Mann hinter ihr stand, denn sie sagte laut und vernehmlich: „Es ist eine Schande, daß du dich ins Schlafzimmer eines jungen Mädchens eingeschlichen hast, um deine Gelüste zu befriedigen.“
„Was hat das alles zu bedeuten? Was geht hier vor?“ wollte der Marquis wissen.
„Das fragst du noch, George?“ entgegnete die Marquise. „Ich sagte dir doch, daß ich nebenan ein Geräusch gehört habe. Ich schaute sofort nach und sah Osmond neben Forellas Bett stehen.“
Für einen Augenblick war der Marquis wie betäubt. „Was hat das alles zu bedeuten, Sherburn?“ fragte er dann. „Du hast das Mädchen doch erst heute abend kennengelernt!“
Die Marquise lachte spöttisch. „Woher sollen wir wissen, ob sie sich nicht von London her kennen oder Osmond plötzlich eine Vorliebe für Junggemüse entwickelt hat? Jedenfalls solltest du sofort etwas dagegen unternehmen.“
„Was denn?“ fragte der Marquis noch immer reichlich verstört, schien dann aber zu spüren, daß mehr von ihm erwartet wurde, und fügte hinzu: „Du solltest dich auf jeden Fall entschuldigen, Sherburn.“
„Ich habe bereits alles erklärt“, erwiderte der Graf. „Ich bin versehentlich ins falsche Zimmer geraten. Du wirst mir das doch glauben, George, wenn deine Frau es schon nicht tut.“
„Nun, wenn das so ist …“, murmelte der Marquis, wurde aber sofort von seiner Frau unterbrochen.
„Mein lieber George, du mußt doch zugeben, daß unter den gegebenen Umständen unser lieber Freund, der Graf, die Pflicht hat, die Ehre unserer Nichte auf die einzig mögliche Weise wiederherzustellen.“
„Gütiger Himmel, du meinst doch nicht etwa …?“ fragte der Marquis bestürzt.
„Ich finde“, sagte die Marquise entschlossen, „daß Osmond als Ehrenmann handeln und um Forellas Hand anhalten sollte!“
Stille trat ein, als sie es ausgesprochen hatte. Dem Grafen stockte der Atem.
Dann rief Forella, die sich unwillkürlich im Bett aufgerichtet hatte, entsetzt aus: „Nein, nein! Das nicht! Es war … ein Versehen, Tante Kathie. Bestimmt war es ein Versehen!“
Sie erinnerte sich, wie intensiv sich der Graf mit der schönen Lady Meldrum auf dem Ecksofa unterhalten hatte und daß die beiden ihr wie der Held und die Heldin in einem Theaterstück vorgekommen waren, die heftig miteinander flirteten, mit den Augen, einem Zucken der Lippen, kleinen Gesten mit den Händen.
Forella hätte ihnen stundenlang zuschauen können, hätte sie nicht befürchtet, dabei aufzufallen. Deshalb hatte sie sich auf das Gespräch mit ihrem Onkel konzentriert und ihm ihre Aufmerksamkeit zugewandt.
Ihr war klar, daß der Graf mit Lady Esme allein sein wollte, was unten im Salon nicht möglich gewesen war. Er hatte sie in ihrem Schlafgemach aufsuchen wollen, wo er zweifellos von ihr erwartet wurde, und war irrtümlich an die falsche Tür geraten.
Ihr Protest bewirkte, daß die Marquise sie böse anfunkelte und schroff beschied: „Sei du doch still! Zweifellos bist du für dieses zügellose Benehmen ebenso verantwortlich wie er. Kein Mann hätte gewagt, in dein Schlafzimmer einzudringen, wenn du ihn nicht dazu ermutigt hättest!“
Diese ungeheuerliche Anschuldigung ihrer Tante verschlug ihr die Sprache. Bevor sie etwas erwidern und ihre Unschuld beteuern konnte, ließ ihr Onkel sich vernehmen.
„Du solltest dich ehrenvoll aus der Affäre ziehen, Sherburn“, sagte er. „Ich kann nicht dulden, daß du den Ruf meiner Nichte durch einen solchen Skandal zerstörst.“
Wieder trat Stille ein. Ängstlich blickte Forella den Grafen an. Noch nie hatte sie einen so grimmigen und verächtlichen Gesichtsausdruck bei einem Mann gesehen wie bei ihm.
Er sah nicht ihren Onkel an, sondern wandte sich an ihre Tante.
„Also gut, du hast gewonnen! Ich werde deine Nichte heiraten und hoffe, es macht ihr Spaß, mit mir verheiratet zu sein!“
Seine Worte, der verächtliche Ton, den er anschlug, schienen im Zimmer widerzuhallen.
Mit langen Schritten ging er zur Tür, riß sie auf und schlug sie wenig später mit lautem Knall hinter sich zu.
Forella fand ihre Stimme wieder. „Nein, bitte, Onkel George! Das alles ist ein schreckliches Mißverständnis …“, stammelte sie.
„Das ist sicher wahr“, unterbrach sie der Marquis, „doch deine Tante hat recht. Du kannst es dir nicht leisten, deinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen, bevor du überhaupt in die Gesellschaft eingeführt worden bist.“
Damit verschwand er durch die Verbindungstür in sein Schlafgemach. Forella sah ihm voller Verzweiflung nach.
„Warte bitte …, Onkel George, warte doch!“ rief sie.
Ihre Tante trat ans Bettende und bedachte sie mit vernichtendem Blick.
„Halt den Mund und sei keine Närrin! Ich habe dir so zu einem Ehemann verholfen, nach dem sich andere Mädchen die Finger lecken würden. Obwohl er dir zweifellos das Leben nicht leichtmachen wird, wirst du immerhin die Gräfin Sherburn sein.“
Diese Worte spie sie Forella förmlich ins Gesicht, und dann, als könnte sie den Anblick ihrer Nichte nicht länger ertragen, machte sie auf dem Absatz kehrt, nahm den Kerzenleuchter auf und folgte ihrem Mann ins gemeinsame Schlafgemach.
Forella hatte immer noch das Gefühl, einen bösen Traum zu haben, aus dem sie jeden Augenblick erwachen mußte. Eines wußte sie jedoch in diesem Augenblick mit Sicherheit: Sie konnte diesen Mann, den sie eben erst kennengelernt hatte und der zudem eine andere liebte, nicht heiraten. „Bitte, Papa!“ betete sie. „Rette mich!“ Vom Fenster aus blickte sie auf den Sternenhimmel.
Den Grafen bewegten ähnliche Empfindungen wie Forella, als er in sein Schlafgemach zurückkehrte. Ihm war, als sei er in einem Alptraum gefangen, von dem er sich nicht befreien konnte.
Wie er in diese mißliche Lage geraten war, wußte er nur zu genau. Nachdem sich alle zur Ruhe begeben hatten, war Kathie auf den Gang geschlichen und hatte die Rose vor Esmes Zimmertür liegen sehen. Früher einmal hatten sie sich über die Marotte des Kronprinzen lustig gemacht, auf diese Weise die Tür zum Gemach der gerade in seiner Gunst stehenden Dame zu kennzeichnen. Kathie mußte sich daran erinnert und angenommen haben, daß er auf die gleiche Weise zu Esme gelangen wollte.
Ihr bösartiger Racheakt überbot alles, was er bisher mit seinen Mätressen erlebt hatte. Seine Affären waren alle von kurzer Dauer, aber noch nie hatte eine seiner verlassenen Geliebten mehr getan, als ihm bittere Tränen nachzuweinen. Im Gegensatz zum Kronprinzen, dem es stets gelang, freundschaftlich mit seinen ehemaligen Geliebten zu verkehren, hatte der Graf jedoch manche Szene oder gar Drohung über sehr ergehen lassen müssen.
Doch noch niemals war eine solche Drohung, und mochte sie noch so dramatisch ausgefallen sein, in die Tat umgesetzt worden.
Die Marquise konnte den zweifelhaften Ruhm für sich in Anspruch nehmen, sich als erste bitter an ihm gerächt zu haben, und er hatte keine Ahnung, wie er sich aus der Affäre ziehen sollte.
Er hatte keineswegs die Absicht, sich in absehbarer Zeit zu vermählen, schon gar nicht mit einem blutjungen Ding, das vielleicht ein gehorsames Weib sein, aber ihn bereits nach einem Monat Ehe tödlich langweilen würde.
Alles in ihm sträubte sich dagegen, zu einer Ehe gezwungen zu werden, sich auf diese infame Weise einfangen zu lassen.
„Ich tue es nicht!“ nahm er sich vor. „Ich will verdammt sein, wenn ich es tue!“
Wütend warf er sich aufs Bett und suchte nach einem Ausweg. Die Marquise hatte alle Trümpfe in der Hand und würde sie auch ohne Zögern ausspielen. Wenn er etwas dagegen unternehmen wollte, mußte er rasch handeln. Kathie würde morgen schon Lady Roehampton, wenn nicht gar den Prinzen, davon unterrichten. daß er um Forellas Hand angehalten habe. Um das Mädchen zu schützen, würde sie sich nicht über die näheren Umstände auslassen, die zu diesem überraschenden Antrag geführt hatten. Wie er sie einschätzte, würde sie andeuten, sie hätten sich gleich nach Forellas Ankunft aus Neapel in London kennengelernt und er habe die Gelegenheit wahrgenommen, ihren Onkel und ihre Tante anläßlich der Zusammenkunft auf dem Schloß von seinen Absichten zu unterrichten.
Nicht wenige der anwesenden Gäste würden diese Darstellung angesichts der Art und Weise, wie er sich um Lady Meldum bemüht hatte, anzweifeln, doch man würde sich daran ergötzen, daß es ihn, der bisher geschickt einer festen Bindung ausgewichen war, endlich auch erwischt hatte.
Er hörte förmlich, wie sie ihn überschwenglich und mit boshaftem Unterton zu seiner bevorstehenden Vermählung beglückwünschten.
Was zum Teufel, soll ich dagegen tun?, fragte er sich.
Der Gedanke, sich ins Ausland abzusetzen, durchzuckte ihn, aber das würde ihm auch nicht helfen, denn er konnte nicht ewig von England wegbleiben. Es würde auch nichts helfen, Forella zu bitten, sich dem Wunsch ihrer Tante zu widersetzen. Das junge Mädchen würde von ihren Verwandten sicher überstimmt werden.
Kathie würde froh sein, das junge Mädchen loszuwerden. Der Graf kannte sich in der Psyche der Frauen aus und hatte sofort gewußt, daß diese junge Nichte der Marquise ein Dorn im Auge war.
„Ich hasse junge Mädchen!“ hatte Kathie einmal zu ihm gesagt. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie sie jemals zu amüsanten und charmanten Frauen werden.“
„Du bist doch auch einmal so jung gewesen“, hatte er mit leichtem Spott erwidert.
„Niemals!“ hatte Kathie sich ereifert. „Ich bin erfahren und weise geboren worden und war von klein auf die verführerische Hexe, der auch du verfallen bist.“
„Allerdings“, hatte der Graf erwidert. „Du hast mich vom ersten Augenblick an verhext.“
Das wollte sie hören. Ihre Arme umschlangen seinen Hals, er spürte die Wärme ihres Körpers und konnte ihrem Zauber nicht widerstehen.
Daß Hexen auch gefährlich sein konnten, hatte er jetzt erfahren müssen, und er wünschte, er hätte sich niemals mit Kathie eingelassen.
Im Grunde waren ihm hellhaarige Frauen mit blauen Augen ohnehin immer lieber gewesen, weil sie gewöhnlich etwas beschränkt waren.
Die Marquise war zweifellos eine der schönsten und aufregendsten Frauen, die ihm je begegnet waren, aber ihr schwarzes Haar und ihre schwarzen Augen hätten ihn warnen sollen. Er hätte wissen müssen, daß sie zu den Frauen gehörte, die rachsüchtig und gefährlich werden konnten, wie er es jetzt am eigenen Leibe zu spüren bekommen hatte.
Aber diese Erkenntnis kam zu spät. Er war in die Falle getappt, die sie ihm gestellt hatte, und würde sich trotz heftigen Sträubens nicht daraus befreien können.