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»Ja«, bestätigte der Schichtleiter im Kontrollturm der Kühkopf-Anflugkontrolle. »Von 19 Uhr 25 bis 19 Uhr 50 wird kein Flugzeug landen oder starten. Wir halten den abrollenden Verkehr an den Gates, den anfliegenden im Warteraum Nierstein.«
Also keine Gefährdung des Luftverkehrs, falls es zu einem Kampf kommen sollte! Befriedigt stieg Querholz in den zweiten Schützenpanzerwagen, der zusammen mit einem dritten in Deckung und Reserve gehalten wurde, während der erste langsam vorwärtskroch. Die Deckung war ausgezeichnet: Sie bestand aus dem hohen Lärmschutzwall, hinter dem die Triebwerke abgebremst wurden. Zwischen diesem Wall und dem Funkhaus an der Landebahn lagen rund vierhundert Meter Grasfläche, Rollbahnen und Zufahrtsstraßen für den Verkehr auf dem Platz.
Neben Querholz stand der hessische Innenminister. Er trug eine zünftige Lederjoppe in Kampfjackenschnittart. Um seinen Hals hing das gleiche 8 x 60-Glas, das auch Querholz benutzte. Wegen der zu großen Entfernung von den Flughafenbauten hatte man auf das Postieren von Scharfschützen auf Dächern und Aussichtsgärten verzichten müssen. Aber dadurch, überdachte Querholz bruchstückhaft die Lage, waren die Terroristen nicht durch übermäßige Aktivität der Polizei mißtrauisch geworden.
Alles kam jetzt auf einen geschickten Sprechverkehr an, während der erste Wagen sich zögernd vorwärts schob. Querholz hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn selber aus dem Hinterhalt zu führen.
»Hallo, Gruppe ›Fall Lilienthals‹! Hier spricht der Polizeipräsident! Hören Sie mich?«
»Wir hören!«
»Wir sind gekommen, Ihre Bedingungen zu erfüllen!«
»Wo sind Sie?«
»Kampinsky und das Geld sind in dem Wagen, der sich jetzt Ihnen nähert.«
»Nicht doch, Alter! Wo stecken Sie selber?«
»Ich? Auf dem Flughafen …«
»Geben Sie sich zu erkennen! Wir haben starke Gläser!«
»Verdammt!« fluchte Querholz, während sein Assistent einen Stopp für den vorgleitenden, schon hundert Meterentfernten Wagen befahl. »Das sind Berufsgangster, wie sie im Buche stehen!« Ins Walkie-talkie rief er: »Ich stehe mit meinem Stab am Südostende, rund fünfzig Meter vor der äußersten Werft der ›Lufthansa‹!« Schon war er aus dem Wagen gesprungen und zeigte sich neben dem Schutzwall, das Walkie-talkie in der linken Hand.
Dieser mutige Entschluß sollte ihm später Anerkennung und Bewunderung einbringen; schließlich hätten die Terroristen auf ihn schießen können.
»Wir hätten Sie gern im Wagen, der soeben vierhundert Meter vor uns gestoppt hat. Und ohne Sie keinen Schritt näher! Wir haben Panzermunition bei uns!«
Querholz seufzte. Die erste Runde hatte er verloren.
Der Schützenpanzerwagen kam zurück; Querholz stieg ein und deponierte sich deutlich sichtbar neben dem Fahrer. Der Polizist, der Kampinsky darstellen sollte, stand auf der hinteren Plattform. Nur sein wilder Haarschopf ragte über die Panzerbrüstung.
Das nächste wird sein, daß sie statt des Schützenwagens einen verglasten Passagierbus anfordern! dachte Querholz. Dann können wir einpacken! Hatte er vorher nicht an diese Möglichkeit gedacht? Natürlich hatte er! Aber er war nicht allmächtig! Sein Aktionsradius war durch die aktuelle Situation beengt und ohnehin schon zum Zerreißen gedehnt. Aus drei Backsteinen ließ sich kein Schloß bauen!
Langsam fuhr der erste Wagen wieder an. Der hessische Innenminister war froh, nicht mit von der Partie sein zu müssen.
»Hier bin ich!« sprach der Polizeipräsident wohlgemut ins Walkie-talkie. Der Wagen holperte übers Gras.
»Wir sehen dich!« hörte er eine zweite Stimme. »Ab jetzt möchten wir nicht mehr durch irgendein Fernglas angeglotzt werden. Sonst knallt's!«
Diese Stimme klang radikaler und verzichtete auf jeden Anflug von Höflichkeit, selbst in ironisch-hämischer Form. Zu spät erkannte Querholz, daß er ohne Fernglas wie ein Blinder war – unfähig, konkret den Einsatz zu leiten. Auch die zweite Runde ging an die Terroristen!
»Wir bringen zweieinhalb und Kampinsky! Wir wünschen dafür: die Flugzeugskizze mit dem Bombenversteck – oder eine eindeutige, unmißverständliche Angabe! Sofort!«
Drüben schwieg man sich aus. Querholz beging nicht den Fehler, ungeduldig nachzuhaken. Im Gegenteil, während der Funkstille schob sich der Wagen dichter an die Gruppe heran. Jeder Meter war Gold wert!
Jetzt, in der Stille des Abends, hörte er die Hubschrauber, die hinter der Platzgrenze und den Pappeln warmdrehten. Sie konnten unmöglich Verdacht erregen: Bis vor einer halben Stunde waren die Amerikaner um den Platz gekurvt. Die Zusammenarbeit mit ihnen hatte ausgezeichnet geklappt.
Die Pappelgardine war kaum noch zu erkennen. Leichte Nebelschlieren zogen über den Platz; der Himmel blutete wie aus tausend Wunden. Er war überzogen mit den Kondensstreifen der wartenden Flugzeuge, die Schleife um Schleife auf der Westseite des Rheins zogen. In der FDZ mußte Ulla ein halbes Dutzend Extrameldungen wegen der Verspätungen entgegennehmen, notieren und ohne Kommentar bestätigen.
»Stopp!«
Der Schützenpanzerwagenfahrer bremste so plötzlich, daß Querholz mit dem Kopf gegen die dicke Scheibe prallte. Er blickte den Präsidenten erwartungsvoll an.
»Das war nicht ich! Das waren die drüben!« schimpfte Querholz.
»Keinen Meter weiter!« Die gleiche harte Stimme. »Wir möchten Kampinsky sehen!«
»Okay!« Querholz wuchs jetzt über sich selber hinaus, sofern das möglich war. Seine große Stunde war gekommen. Ein Star vor dem Bühnenauftritt, der das Auditorium zu Boden wirft! »Ihr könnt Kampinsky sehen! Wir sehen den Plan, auf dem das Versteck eingezeichnet ist! Vertrauen gegen Vertrauen!«
Wieder Funkstille. Dann eine weibliche Stimme. Ira.
»Okay, Alter! Zeig Kampinsky! Hier ist die Skizze!«
»Darf ich mit dem Fernglas kontrollieren?« schlug Querholz zu.
»Natürlich! Wir haben nichts zu verbergen!«
Schlechte Gruppenkoordination! dachte es in Querholz. Erst darf ich nicht; jetzt darf ich! Großartig! Er hatte das Glas schon an den Augen, winkte flüchtig zurück zum Beamten, der Kampinsky darstellen sollte. Seine Blicke registrierten: alle fünf mit einer Waffe im Anschlag. Zwei M-16, zwei MP, eine … war das eine Art Panzerfaust? Die Frau unter ihnen war am wenigsten einsatzbereit. Sie hatte die MP umgehängt, das Papier in der Hand. Kein Zweifel!
»Hier ist Kampinsky!«
Kampinsky II beugte sich vor; Querholz bemühte sich mit auffälliger Unauffälligkeit, ihn möglichst durch seine eigene Kontur den Fernglasblicken der Terroristen zu entziehen.
Der Wagen war noch immer rund 250 Meter entfernt. Und plötzlich pries sich Querholz glücklich, nicht dichter am Funkhaus zu sein. Der Betrug wäre dann offensichtlicher gewesen. An diese Möglichkeit freilich hatte er nicht gedacht. Endlich eine Runde, die an ihn ging.
»Laß unseren alten Max mal ein paar Worte durchs Mikrofon sprechen!«
Querholz' Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Kampinsky war vor über zwei Jahren in Untersuchungshaft genommen worden. Mit einem Dutzend Tricks am äußersten Rande der Legalität war es der deutschen Justiz gelungen, die U-Haft auf rund zwei Jahre zu strecken; die hatte er schon mal weg, selbst wenn er freigesprochen werden sollte. Auch seine Stimme also war sozusagen über zwei Jahre alt … Niemand im Schmink- und Friseurstab hatte sich allerdings Sorgen um die stimmliche Identität gemacht! Eine Pleite, natürlich! Hätte man sich etwa auch noch um eine Urinprobe Kampinskys bemühen müssen?
»Ich werde ihn sofort dazu auffordern!« Auf den Kampinsky-Beamten kamen harte Sekunden zu. Er bewältigte seine Improvisation halbwegs gelungen:
»Alles in Ordnung, Leute! In drei Minuten bin ich wieder bei euch!«
»Das alte Kennwort!« befahl eine eiskalte Stimme aus dem Terroristenquartier.
Mit einer Geistesgegenwart, die ihm später die Sympathien aller Hörer, Fernsehzuschauer und ›Spiegel‹-Leser sicherte, erwiderte der Beamte: »Aber nicht hier! Vor den Bullen!«
Das rettete die Situation. Querholz atmete auf.
»Okay! Steig aus, Max!«
Er stieg aus. Jetzt ging es für Querholz um Bruchteile von Sekunden.
»Stopp!« befahl er ins Mikrofon mit einer Seelenruhe, die später alle Spezialisten, die dieses Tonband immer und immer wieder zurückspulten, verblüffte. »Wir liegen nicht mehr fifty-fifty! Wer garantiert uns, daß ihr wirklich den Plan habt? Vor allem aber den Plan, ihn uns mitzuteilen?« Neckisches Wortspiel, das von der Bierruhe des Polizeipräsidenten zeugte. (So die FAZ zwei Tage später im Leitartikel.) »Jetzt ist die Runde an euch!«
»Okay. Es scheint Max zu sein. Moment!«
Eine Gestalt trat drei, fünf, zehn Schritte vor. Im Fernglas sah Querholz, daß es Ira war. In der rechten Hand hielt sie ein Papier, das wie der Plan aussah.
»Beeilt euch!« drängte Querholz, psychologisch hervorragend.
»Hört zu, Bullen! Keinen Meter weiter für euren Panzer. Ihr schickt uns Max entgegen. Ira kommt euch mit dem Plan entgegen. Wo sie sich treffen, legt sie den Plan ab. Max kommt inzwischen zu uns. Gleichzeitig schickt ihr jemand mit den Zweieinhalb. Er nimmt den Plan, deponiert das Geld. Wir schicken einen von uns hin, der es zählt. Wenn der Zaster stimmt, geht er unbehelligt, kommt unser Mann unbehelligt zurück. Glaubt aber nicht, ihr braucht uns die Maschine nicht mehr zu schicken! Wir nehmen alle Maschinen an den Rampen unter Feuer, die gerade da stehen. Es sind mehr als ein Dutzend!«
Querholz' Hirn rotierte. Hatten die Terroristen nicht soeben einen dicken Fehler gemacht? Er wußte es nicht. Es blieb keine Zeit, ihre Logik nachzuprüfen. Er gab dem Kampinsky-Beamten einen Wink, loszulaufen. Gleichzeitig ließ er auf der Geheimfrequenz des UKW-Senders die Hubschrauber starten, die restlichen zwei Panzerwagen in Alarmbereitschaft gehen. Sofort schaltete sich einer der Terroristen ein. »Mit wem redest du da? Wir hören nichts!«
Querholz schüttelte demonstrativ sein Walkie-talkie.
»Ich habe gesagt: Kampinsky kommt!«
»Wir sind nicht blind, du Bulle!«
So ruhig der Kampinsky-Mann losging – er lief um sein Leben. Eine unnatürliche Bewegung – in den unbarmherzigen Ferngläsern der im Anschlag liegenden Terroristen würde er als Feind identifiziert werden.
»Wo bleibt der Plan – sonst stoppen wir den Austausch!«
Eine Gestalt löste sich aus der Gruppe. Querholz identifizierte sie als Ira. Hatte sie irgendein Papier bei sich? Sie trug es unter dem linken Arm; unter dem rechten klemmte eine schußbereite MP.
In diesen entscheidenden Sekunden bestürmten den Polizeipräsidenten die abstraktesten Gedanken. Was eigentlich ging in den Gehirnen dieser jungen Leute vor, die eine derartige Aktion vom Zaun brachen? Er hatte nie einen echten Krieg mitgemacht. Aber was er wußte, war: Es hatte Zehntausende, Hunderttausende von Gefangenen gegeben. Ihm war nie eine Aktion bekanntgeworden, die wegen eines einzelnen Gefangenen inszeniert worden war. Es sei denn wegen Szorny oder ähnlich hoher Führer.
Der Kampinsky-Mann und die ehemalige Studentin Hanna Mertz, die sich Ira Hagenow nannte, hatten sich bis auf weniger als fünfzig Meter genähert. Querholz brauchte die Einsatzbereitschaft seiner Männer nicht zu überprüfen. Er wußte, daß sie jetzt jeden der Bande, insbesondere Ira mit ihrem Papier, im Visier ihrer Waffen hatten.
Die Sicht betrug noch knapp hundert Meter. Unmerklich hatte sich hinter dem Fußgänger auf einen Wink des Präsidenten der Wagen wieder in Bewegung gesetzt. Jeder Meter zählte jetzt.
»Halt. Nur Max geht weiter! Sonst knallt's! Wir haben Panzersprengmunition!«
»Stopp!« befahl Querholz über UKW und Walkie-Talkie gleichzeitig.
Jetzt hatten sich die beiden bis auf zwanzig Meter genähert. In den nächsten Sekunden mußte sich der Ausgang entscheiden. Niemand hatte den exakten Zeitpunkt voraussehen können. Jetzt ging es darum, daß jeder im gleichen Atemzug ohne Kommando seine Pflicht tat.
Im Fernglas füllte das Gesicht des Mädchens jetzt den ganzen Kreis aus. Dunkle Augenschatten, aber ein hübsches Gesicht. Was wichtiger war: Sie trug das Walkie-Talkie umgehängt und war die einzige, die jetzt unmittelbar mit ihm sprechen konnte. Er versuchte, sie abzulenken.
»Ira? Oder Hanna? Wie möchten Sie angesprochen werden?«
Sie antwortete nicht. Ihm wurde der Vorteil bewußt, daß der Kampinsky-Beamte nicht mit der Bande sprechen konnte. Endlich wieder eine Runde, die an ihn ging!
»Er kommt!« Er ließ seinen Panzerwagen wieder unmerklich vorschleichen. Jetzt mußten die Scharfschützen jeden einzelnen der Bande haarscharf im Visier haben! Sonst waren es Scheißer! »Da ist er!«
Aber Ira reagierte sofort.
»Stopp, verdammt, sofort!« Ihre Stimme klang nervös. »Stopp deinen Arschwagen, oder es ballert!«
Der Wagen stoppte. Querholz spürte förmlich am Luftdruck, wie seine Scharfschützen sich einrichteten.
Jetzt ging der Kampinsky-Beamte zaghaft vor. Er wußte, daß er im Augenblick der Wahrheit die erste Zielscheibe sein würde.
Er war der wahre Held dieses Tages. Tatsächlich kam er ohne Verletzungen davon – ein Mirakel, das die Presse in den nächsten Tagen gebührend hervorhob.
»Max ist da! Wo bleibt die Skizze? Wir sehen nichts!« Sie schwenkte sie jetzt über ihrem Kopf; man merkte, sie wollte die Angelegenheit hinter sich bringen.
»Ich lege sie hier ab!«
Ihm war, als knisterte die Luft. Monoton dröhnten die Hubschrauber hinter der Pappelgardine, unsichtbar. Über dem Rhein kreisten die Flugzeuge und zeichneten Limniskaten, verkrümmte Kreise. Nebelfelder trieben langsam von Norden über den Platz.
Der Kampinsky-Beamte und die Terroristin standen sich jetzt fast gegenüber. Plötzlich stutzte das Mädchen und rief den Beamten an.
»Max?«
»Ja?«
»Das Kennwort!«
»Nicht hier!«
»Niemand hört dich!«
»Doch!«
Querholz ließ den Wagen noch einmal zehn Meter vorrücken. Wieder mußten sich die Scharfschützen neu justieren; aber zehn Meter waren zehn Meter.
»Max?«
Obwohl Max kein Walkie-Talkie trug, sendete Ira jede Anfrage über das Sprechgerät – ein Zeichen ihrer Erregung.
»Ja?« rief der Beamte. In der Dämmerung, in der Stille des Abends klang jedes Wort überlaut. »Gib ihnen endlich den Plan! Ich möchte frei sein!«
Und jetzt riß das Mädchen ihre Maschinenpistole hoch, zielte, schoß noch nicht, schrie, die Sprechtaste noch immer gedrückt: »Du bist nicht Max, du Verräter! Du hast mal gesagt: Ich bin erst frei, wenn die Schweine mich packen!«
Er brauchte keinen Schießbefehl zu geben. Aus fünf Scharfschützengewehren knallte es trocken durch den trügerischen Frieden des Abends. Der Schützenpanzerwagen preschte nach der ersten Salve vor. Der Kampinsky-Beamte warf sich auf den Boden. In wenigen Sekunden hatte Querholz ihn erreicht, schob sich mit dem Wagen quer vor ihn, bot Deckung.
Dann setzte heftiges Feuer von allen Seiten ein.
Plötzlich waren Hubschrauber da.
Wie Riesenspinnen an unsichtbaren Netzen hingen sie über den Auwäldern des Kühkopfes, torkelten wipfelpeitschend über die Baumgardinen näher, verharrten am Flughafenrand, sacht schwankend, mit bösartigen Cockpitscheibenaugen auf das winzige Lager starrend, als wollten sie die Insassen hypnotisieren.
Dann stürzten sie sich vorwärts und hinunter. Ohrenbetäubendes Dröhnen, Staubfontänen, scheinbares Chaos. Schon waren vier Mann hinausgestürmt, schon schwieg das Feuer aus den Panzerspähwagen, von denen die beiden in Reserve gehaltenen Wagen mit Vollgas vorwärts gejagt waren.
Im Feuer der ersten Treffer brachen drei Menschen zusammen. Dann wirbelten Fetzen der Eingangstür in die Luft; Handgranaten detonierten. Funken stoben auf, kaltes, elektrisches Licht, das sofort erlosch.
Querholz beobachtete, wie einer der Scharfschützen sich an die Stirn griff, als käme ihm ein großartiger Gedanke. Sich sanft um sich selber drehend, brach er zusammen, als lasse jemand Luft aus ihm ab.
Im Splitterwirbel der Handgranaten starben zwei weitere Männer. Einer der Terroristen wurde schwer verletzt und blieb drei Tage bewußtlos.
Er war der einzige Überlebende der Gruppe ›Fall Lilienthals‹.
Zwanzig Minuten nach Beendigung des Massakers landeten die ersten Flugzeuge – eine DC-9 aus Amsterdam, eine Boeing 747 aus Nairobi, zwei DC-10 aus Teneriffa und Bombay. Die Passagiere, die über die Vorgänge auf dem Flughafen nicht informiert worden waren, beobachteten während des Aufsetzens und Ausrollens zu ihrem Entsetzen die Ansammlung von Krankenwagen, in die im Licht fahrbarer Scheinwerfer die Bahren mit den Toten geschoben wurden.
Der Polizeipräsident erfuhr als erster den genauen Ausgang: sechs Tote – vier Terroristen, zwei Polizeibeamte, ein Schwerverletzter – der fünfte Terrorist. Als erstes Opfer war Ira Hagenow zu beklagen gewesen: Sie war durch eine Handgranate gestorben, die einer aus der Gruppe auf den Schützenpanzerwagen geworfen und zu kurz gezielt hatte.
Die schwerste Nachricht aber stand Querholz noch bevor. In fiebernder Eile ließ er das Gelände um die Einschlagstelle der ersten Handgranate absuchen. Aber einer der Scharfschützen, der den Auftrag hatte, sich lediglich mit dem Mädchen zu befassen, klärte ihn unmißverständlich auf.
Es gab keine Flugzeugskizze mehr. Sie war zusammen mit dem Mädchen in der Detonation zerrissen worden.
»Das war's!« sagte Thomas Gundolf tonlos.
Sie hatten zusammen mit Quandt das Massaker von der Zentrale aus verfolgt; Quandts Direktorenzimmer bot keinen Ausblick auf jenen Teil des Platzes.
Der negative Ausgang war Quandt durch den Flughafendirektor mitgeteilt worden. Tiefe Niedergeschlagenheit hatte sich aller bemächtigt.
Thomas brütete dumpf vor sich hin. Er überhörte zum drittenmal die Meldung einer anfliegenden Maschine. Ulla war durch das Gemetzel so geschockt, daß sie kein Wort herausbrachte. Allermann flüsterte leise mit Quandt.
»Was meinen Sie, Gundolf«, fragte der Direktor, »sollen wir die Besatzung über den Ausgang informieren?«
Thomas dachte nur kurz nach.
»Auf jeden Fall. Sie müssen wissen, daß sie von der Erde nichts mehr zu erwarten haben.«
»Übernehmen Sie diese traurige Mission?«
Thomas nickte.
»Je eher, um so besser!«
Allermann drückte bereits die ›Selcal‹-Taste. Der Direktor hatte es eilig, sich zu verabschieden:
»Sie hören von mir! Ich treffe mich mit dem Flughafendirektor und dem Polizeipräsidenten!«
Thomas schickte sich an, die trostloseste Aufgabe seiner bisherigen Tätigkeit zu erfüllen.
»AVI 2000? Hier FDZ, Gundolf!«
Bloch war sofort selber am Mikrofon. Er hatte einen Riecher für besondere Meldungen, dachte Thomas. Als er sie losgeworden war, seufzte er hörbar auf. Bloch reagierte mit bemerkenswert kurzem Kommentar.
»Roger für die Information! Ich fürchte, wir kriegen jetzt ein kleines Problem zur Lösung vorgelegt! Ich melde mich, wenn ich einen guten Einfall habe.«
Wortlos legte Thomas auf.
Es gab keine lösbaren Probleme mehr. Die ›Steppenadler‹ war todgeweiht. Unaufhaltsam flog sie ihrer letzten Stunde entgegen.