12

Es dauerte einen Augenblick, bis Monk überhaupt begriff, was Rathbone gesagt hatte.

»William!«, flüsterte Hester ängstlich.

Monk stand auf. Sicher bemerkte er die Feindseligkeit im Saal. Hester konnte sie förmlich in der Luft spüren, sah sie in den Augen und Mienen derjenigen, die sich umdrehten und zusahen, wie er durch den Saal stolperte und langsam die Stufen zum Zeugenstand hinaufging.

Rathbone sah ihn ausdruckslos an, als kontrollierte er sich mit sehr viel Mühe, damit ihm nicht auch gewöhnliche Verachtung anzusehen war.

»Ich habe nur wenige Fragen an Sie, Mr. Monk. Ich möchte, dass Sie dem Gericht sagen, wie Katrina Harcus gekleidet war, wenn Sie sie bei den verschiedenen Gelegenheiten trafen, bei denen Sie ihr von Ihrem Fortschritt auf der Suche nach Beweisen für einen Betrug berichteten.«

»Euer Ehren!«, sagte Fowler in einem Wutausbruch. »Das ist absurd!«

Auch Monk war völlig verwirrt. Sein Gesicht war so weiß wie das von Dalgarno in der Anklagebank, und die Geschworenen starrten ihn an, als würden sie ihn gerne dort neben dem Angeklagten sitzen sehen.

»Wenn ich bitten darf!«, sagte Rathbone eindringlich, am Ende brach seine wachsende Panik sich doch Bahn. »War sie gut gekleidet oder ärmlich? War sie jedes Mal gleich angezogen?«

»Nein!«, sagte Monk schnell, als erwachte er endlich aus seiner Erstarrung. »Sie war sehr gut gekleidet. Ich wünschte, ich könnte meiner Frau solche Kleider kaufen.«

Hester schloss die Augen, innerlich völlig zerknirscht vor Zorn, Mitleid und Hilflosigkeit. Weil er sich um so etwas Banales sorgte und es auch noch öffentlich sagte, war sie wütend auf ihn. Das ging niemanden etwas an.

»Und sie hat Sie angemessen für Ihre Arbeit bezahlt?«, fuhr Rathbone fort.

Jetzt blickte Monk überrascht auf. »Ja.«

»Haben Sie eine Ahnung, woher sie das Geld hatte?«

»Nein … nein.«

»Vielen Dank. Das ist alles. Mr. Fowler?«

»Ich finde mich ebenso wenig zurecht wie alle anderen«, sagte Fowler mit wachsendem Unmut.

Der Richter sah Rathbone grimmig an. »Dies wirft weitere unbeantwortete Fragen auf, Sir Oliver, aber ich sehe nicht, welche Relevanz es für den Tod der armen Frau haben sollte.«

»Es wird deutlich, Euer Ehren, wenn wir die Aussage meiner letzten Zeugin hören. Ich rufe Hester Monk auf.«

Sie glaubte es nicht. Es ergab keinen Sinn. Was, um alles in der Welt, hatte Rathbone vor? Monk sah sie an. Auf der anderen Seite saß Margaret, ganz blass vor Angst, die Lippen rot, da sie draufgebissen hatte. Ihre Loyalität war einer schweren Zerreißprobe ausgesetzt, und sie konnte sich kaum noch beherrschen.

Hester erhob sich mit zitternden Knien. Sie ging unsicher zwischen den Reihen der Menschen hindurch und spürte deren vernichtende Blicke, weil sie Monks Frau war. Sie war wütend auf die Leute wegen ihres vorschnellen Urteils, aber sie hatte nicht die Macht, sie zurechtzuweisen oder ihn zu verteidigen.

Sie durchquerte den Saal und ermahnte sich ein ums andere Mal, Rathbone zu vertrauen. Niemals würde er Freunde hintergehen, nicht für Dalgarno, nicht, um einen Fall zu gewinnen, für gar nichts.

Aber was, wenn er Dalgarno wirklich für unschuldig hielt und Monk für schuldig? Ehre ging vor Freundschaft. Einen Unschuldigen lässt man nicht für einen anderen Mann hängen.

Sie ging die Stufen hinauf und hielt sich dabei am Handlauf fest wie Rider. Als sie oben war, rang sie nach Luft, aber nicht wegen der körperlichen Anstrengung, sondern wegen des Erstickungsgefühls in ihrer Brust. Ihr Herz klopfte heftig und viel zu schnell, und der Saal verschwamm vor ihren Augen.

Sie hörte Rathbone ihren Namen sagen und zwang sich, sich zu konzentrieren und zu antworten, zu sagen, wer sie war und wo sie wohnte, und zu schwören, dass sie die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen würde. Sie richtete den Blick auf Rathbones Gesicht. Er sah genauso aus wie immer, mit seiner langen Nase, seinen ruhigen dunklen Augen, seinem sensiblen, humorvollen Mund und dem klugen Gesicht, das jeder Grausamkeit entbehrte. Noch vor kurzem hatte er sie sehr geliebt. Das tat er doch sicher als Freund immer noch.

Er sagte etwas. Sie musste zuhören.

»Ist es wahr, Mrs. Monk, dass Sie in der Gegend um den Coldbath Square ein wohltätiges Haus für die medizinische Behandlung von Prostituierten führen, die krank oder verletzt sind?«

»Ja …« Warum, um alles in der Welt, fragte er das?

»Sie sind vor kurzem umgezogen, aber in der Nacht, als Mr. Nolan Baltimore starb, lag Ihr Haus direkt am Coldbath Square?«

»Ja …«

»Haben Sie und Miss Ballinger an diesem Abend gearbeitet?«

»Ja.«

Fowler wurde unruhig. Rathbone ignorierte ihn ganz bewusst – er wandte ihm den Rücken zu.

»Mrs. Monk«, fuhr er fort, »kamen in dieser Nacht Verletzte zu Ihnen?«

Sie hatte keine Ahnung, warum er sie danach fragte. Glaubte er am Ende doch, dass Nolan Baltimores Tod etwas mit dem Eisenbahnbetrug zu tun hatte? Etwas, was Monk übersehen hatte?

Alle beobachteten sie und warteten.

»Ja«, antwortete sie. »Drei Frauen kamen, und später noch einmal zwei.«

»Schlimm verletzt?«

»Weniger als viele andere. Eine hatte sich das Handgelenk gebrochen.« Sie versuchte, sich genau daran zu erinnern. »Die anderen hatten blaue Flecken und Schnittwunden.«

»Wissen Sie, wie sie sich ihre Verletzungen zugezogen hatten?«

»Nein. Ich frage nicht danach.«

»Wissen Sie, wie sie heißen?«

Fowler konnte seine Ungeduld nicht mehr im Zaum halten. »Euer Ehren, das ist alles gut und schön, aber es vergeudet die Zeit des Gerichts! Ich …«

»Es ist wesentlich für die Verteidigung, Euer Ehren!«, schnitt Rathbone ihm das Wort ab. »Um alles verständlich zu machen, kann ich nicht schneller vorgehen.«

»Verständlich!«, explodierte Fowler. »Dies ist das größte Kauderwelsch, das ich in zwanzig Jahren je in einem Gerichtssaal gehört habe …« Er hielt abrupt inne.

Der Richter zog die Augenbrauen hoch. »Sie sollten diese Beobachtung vielleicht anders ausdrücken, Mr. Fowler. So klingt sie ein wenig unglücklich. Andererseits möchten Sie Sir Oliver vielleicht erlauben fortzufahren, in der Hoffnung, dass wir zu einem Schluss kommen, bevor es Abend wird.«

Fowler setzte sich.

»Wissen Sie, wer die Frauen sind, Mrs. Monk?«, fragte Rathbone noch einmal.

»Nell, Lizzie und Kitty«, antwortete Hester. »Ich bitte sie nur um einen Vornamen, mit dem ich sie ansprechen kann.«

»Und erzählen Sie ihnen mehr über sich selbst?«, fragte er.

Der Richter runzelte die Stirn.

»Tun Sie das?«, hakte Rathbone nach. »Wissen diese Frauen zum Beispiel, wer Sie sind oder wo Sie wohnen? Bitte, beantworten Sie diese Frage sehr genau, Mrs. Monk!«

Sie versuchte, sich darauf zu besinnen, und erinnerte sich an Nells Neckerei und ihre Bewunderung für Monk. »Ja«, sagte sie laut und deutlich. »Nell wusste es. Sie sagte etwas über meinen Mann, sein Auftreten, seinen Charakter, und sie nannte mich beim Namen.«

Erleichterung überzog Rathbones Gesicht wie ein Sonnenstrahl. »Vielen Dank. Wussten sie vielleicht auch, zumindest ungefähr, in welcher Gegend Sie wohnen?«

»Ja .. in etwa.«

»Hat eine von ihnen zufällig Mr. Monks Beruf erwähnt?«

»Ja … ja, Nell. Sie … findet ihn interessant.«

Der Richter schaute Rathbone an. »Kommen Sie bald zur Sache, Sir Oliver? Ich sehe das bislang noch nicht. Endlos lasse ich das nicht zu.«

»Das tue ich, Euer Ehren. Ich bitte um Verzeihung für die Zeit, die es braucht, aber wenn ich nicht die ganze Geschichte darlege, ergibt sie keinen Sinn.«

Der Richter verzog ein wenig das Gesicht und lehnte sich zurück.

Rathbone wandte seine Aufmerksamkeit wieder Hester zu. »Haben Sie in Ihrem Haus am Coldbath Square auch weiterhin verletzte Frauen aufgenommen, Mrs. Monk?«

»Ja.« Wollte er die Tatsache ans Licht bringen, dass Baltimore Squeaky Robinsons Partner gewesen war? Aber warum? Sein Tod hatte nichts mit Dalgarno zu tun. Und auch nicht mit Katrina Harcus.

»Gab es besonders schwer verletzte Frauen?«, wollte Rathbone wissen.

Das war es wohl, worauf er hinauswollte. »Ja«, antwortete sie. »Es gab zwei Frauen, bei denen wir uns nicht sicher waren, ob sie es überleben würden. Eine hatte eine Stichwunde im Bauch, die andere war so brutal geschlagen worden, dass sie vierzehn Knochenbrüche erlitten hatte. Wir fürchteten, sie würde an inneren Blutungen sterben.« Sie hörte die Wut und das Mitleid in ihrer Stimme.

Im Gerichtssaal erhob sich empörtes Murmeln, etliche rutschten unbehaglich auf ihren Plätzen hin und her, peinlich berührt von einem Leben, über das sie gar nicht so viel wissen wollten und das sie doch unwillkürlich emotional aufwühlte.

Der Richter sah Rathbone stirnrunzelnd an. »Das ist entsetzlich, aber dieses Gericht ist nicht der Ort für einen moralischen Kreuzzug, Sir Oliver, so gerechtfertigt dieser auch sein mag.«

»Es geht mir nicht um einen moralischen Kreuzzug, Euer Ehren, es geht um den Tod von Katrina Harcus und wie es dazu kam«, antwortete Rathbone. »Ich bin bald am Ziel.« Ohne abzuwarten, wandte er sich wieder an Hester. »Mrs. Monk, haben Sie erfahren, wie diese Frauen sich ihre schlimmen Verletzungen zugezogen haben?«

»Ja. Es waren ehrbare Frauen gewesen, eine von ihnen war Gouvernante, sie hatte einen Mann geheiratet, der sie in Schulden gestürzt und sie dann verlassen hatte. Sie liehen sich Geld bei einem Wucherer, um ihre Schulden zu begleichen, und als sie ihre Verpflichtungen nicht durch ehrliche Arbeit zurückzahlen konnten, zwang er sie in das Bordell, an dem er beteiligt war, wo sie sich um die etwas abnormen Gelüste bestimmter Männer kümmern mussten …« Sie konnte nicht fortfahren, denn im Gerichtssaal wurden Empörung und Entrüstung immer lauter.

Der Richter klopfte mehrmals mit seinem Hammer auf den Tisch. Allmählich wurde es ruhiger, aber der Zorn hing noch knisternd in der Luft.

»Ehrbare junge Frauen mit einiger Bildung, einiger Würde und dem Wunsch, rechtschaffen zu sein?«, sagte Rathbone, und seine Stimme war rau vor Gefühlen.

»Ja«, antwortete Hester. »Es passiert vielen, wenn sie verlassen werden, ihre Arbeit verlieren und keine Empfehlung …«

»Ja«, unterbrach er sie. »Hat sie dies bewogen, Schritte zu unternehmen, Mrs. Monk?«

»Ja.« Sie wusste, dass der Richter bald die Geduld verlieren würde. »Ich habe zwar herausgefunden, wo dieses Bordell liegt, erfahren, wer der Geldverleiher war, aber nicht, wer den Frauen die Schläge und Stichwunden zugefügt hat.« Sie wusste nicht, ob er das auch wissen wollte, aber sie fügte hinzu: »Es hat inzwischen ein Ende gefunden. Wir haben das Bordell schließen können, um dort einen besseren Zufluchtsort als am Coldbath Square einzurichten.«

Er zeigte ein winzig kleines Lächeln. »Tatsächlich. Was ist mit dem Wucherer geschehen?«

»Er wurde umgebracht.« Wollte er hören, dass es Baltimore war? Sie sah ihn an, brachte es aber nicht heraus.

»Aber die Schuldscheine?«

»Die haben wir vernichtet.«

»Wussten Sie damals, dass er umgebracht worden war?«

»Ja … er verlieh nicht nur das Geld, er war auch ein Freier. Er ging zu weit, und eine der Frauen, die neu im Geschäft war, empörte sich dermaßen über das, was er von ihr verlangte, dass sie nach ihm schlug und er rückwärts aus dem Fenster auf das Pflaster in den Tod stürzte.«

In den Besucherreihen wurden starke Gefühlsbekundungen laut. Jemand klatschte sogar.

»Ruhe!«, sagte der Richter laut. »Ich verlange Ruhe! Ich verstehe Ihre Empörung – ja, ich teile sie –, aber ich verlange Respekt vor dem Gesetz! Sir Oliver, diese Geschichte ist furchtbar, aber ich sehe immer noch keinen Zusammenhang mit dem Tod von Katrina Harcus und Mr. Dalgarnos Schuld oder Unschuld in der Sache.«

Rathbone drehte sich noch einmal zu Hester um. »Mrs. Monk, haben Sie unter den Schuldscheinen die der jungen Frau gefunden, Kitty, die in der Nacht, in der Nolan Baltimores Leiche in der Leather Lane in der Nähe des Coldbath Square gefunden wurde, mit Schnittwunden und blauen Flecken zu Ihnen kam?«

»Ja.«

»Gehörte sie zu den einst ehrbaren jungen Frauen, die darauf reduziert wurden, ihren Körper für eine besonders widerwärtige Art von Missbrauch zu verkaufen, um ihre durch hohe Wucherzinsen stets wachsenden Schulden zurückzuzahlen, auch wenn ihnen dies nie gelingen würde?«

»Ja.«

»Könnten Sie sie für das Gericht beschreiben, Mrs. Monk? Wie sah sie aus?«

Jetzt begriff sie. Es war so schrecklich, dass ihr übel wurde. Der Saal um sie herum schwankte, als wäre sie auf See, die wogende Stille dröhnte ihr in den Ohren. Sie hörte Rathbones Stimme nur aus der Ferne.

»Mrs. Monk? Geht es Ihnen gut?«

Sie klammerte sich an das Geländer und griff so fest zu, dass der körperliche Schmerz sie wieder in die Gegenwart zurückbrachte.

»Mrs. Monk?«

»Sie war …« Sie schluckte und fuhr sich mit der Zunge über ihre trockenen Lippen. »Sie war ziemlich groß und recht hübsch. Sie hatte dunkles Haar und goldbraune Augen … sehr hübsch. Sie nannte mir den Namen Kitty … und auf dem Schuldschein stand Kitty Hillyer …«

Rathbone drehte sich sehr langsam zum Richter um. »Euer Ehren, ich glaube, wir wissen jetzt, woher Katrina Harcus das Geld hatte, um sich so zu kleiden, wie es für eine hübsche, aber mittellose junge Frau notwendig war, die unehelich geboren wurde und, als ihr Vater starb und das versprochene Legat ausblieb, verarmte. Sie reiste nach Süden, um sich in London einen Mann zu suchen und eine glückliche Ehe einzugehen. Innerhalb von zwei Monaten starb ihre Mutter, ihr Verlobter verließ sie wegen einer reicheren Braut, und ihre Schulden wuchsen so an, dass sie in die abstoßendste Form der Prostitution gezwungen wurde, um den Wucherer zufrieden zu stellen. Dieser stellte sich als der Kollege ihres Vaters heraus, den sie als Kind gekannt hatte, an den sie sich in der fremden Stadt um Hilfe gewandt hatte und der sie nun so schändlich behandelte. Seine Forderungen empörten sie dermaßen, dass sie ihn von sich stieß und er in den Tod stürzte.«

»Ruhe!«, befahl Richter den lauten, zornigen Zuschauern im Saal, aber es dauerte eine Weile, bevor er sich durchsetzte, so heftig waren die Gefühle. Mit einem Nicken bat er Rathbone fortzufahren.

»Und als sie an diesem Abend von zwei anderen Prostituierten zum Coldbath Square gebracht wurde, um ihre Verletzungen behandeln zu lassen«, fuhr Rathbone fort und sah jetzt die Geschworenen an, »entpuppte sich die hilfreiche Krankenschwester ausgerechnet als die Frau des Mannes, der ihrer Auffassung nach der Urheber all der seit ihrer Kindheit erlittenen Ungerechtigkeit und ihres Kummers war. Sie hörte den Namen von Mrs. Monk und die Beschreibung von Mr. Monks äußerer Erscheinung, seines Charakters und seines neuen Berufes. Ich glaube, von diesem Augenblick an plante sie eine furchtbare Rache.«

Ein abscheulicher, unglaublicher Gedanke schlich sich in Hesters Kopf.

Fowler stand auf, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Zudem hörte ihm sowieso niemand zu.

Hester konnte nur an Monk denken. Dalgarno, die Geschworenen und sogar Rathbone verschwammen vor ihren Augen. Monk saß reglos da, seine Augen waren groß und lagen tief in ihren Höhlen, aus seiner Haut war jegliche Farbe gewichen. Margaret war näher an ihn herangerückt, aber sie wusste nicht, wie sie ihm ein Wort oder eine Geste des Trostes bieten sollte.

»Katrina Harcus hatte nichts mehr zu verlieren«, sagte Rathbone leise, aber in der jetzt eingetretenen Stille war jedes Wort deutlich zu hören. »Ihre Mutter war tot, der Mann, den sie liebte, hatte sie verlassen, und sie hatte nicht die Hoffnung, ihn je wiederzugewinnen, denn bei ihr war allzu offensichtlich nichts zu holen. Sie war so tief verschuldet, dass sie es nie im Leben hätte zurückzahlen können, und sie hatte ihren Körper auf so erniedrigende Art verkauft, dass sie glaubte, den Schmutz nie mehr abschütteln zu können. Und jetzt war sie auch noch schuld am Tod eines Mannes. Sie war welterfahren genug, um zu wissen, dass die Gesellschaft es als Mord betrachten würde, ungeachtet der erlittenen Provokation und der Tatsache, dass sie ihn nicht hatte umbringen wollen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei sie fand, und sie würde den Rest ihres Lebens in Angst vor der Entdeckung leben.«

Er breitete die Arme aus. »Das Einzige, was ihr noch blieb, war Rache. Und das Schicksal legte ihr die perfekte Gelegenheit dazu vor die Füße, als sie am Coldbath Square Mrs. Monk kennen lernte. Sie wusste alles über den ursprünglichen Betrug in Liverpool, für den ihr Vater, Arrol Dundas, verurteilt worden war. Sie erweckte den Eindruck, als sei der gleiche Betrug noch einmal begangen worden, denn sie wusste, Monk würde der Versuchung nicht widerstehen können, der Sache nachzugehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sie wiedererkannte, war sehr gering. Wenn er sie überhaupt jemals gesehen hatte, dann nur als achtjähriges Mädchen.«

Er schaute vom Richter zu den Geschworenen. »Sie sorgte dafür, dass sie sich in der Öffentlichkeit trafen, wo sie von vielen Menschen gesehen wurden. Sie sorgte zudem dafür, dass Monk an diesem Abend zu dem Haus in der Cuthbert Street kam, wo sie wohnte. Wir können Mr. Monk nötigenfalls in den Zeugenstand rufen, um das zu bezeugen.« Er holte tief Luft und sah wieder den Richter an. »Nun, Euer Ehren, folgt die Erklärung für Mr. Garstangs sehr ausführliche Zeugenaussage. Er sah ihr Gesicht, als sie stürzte. Inspector Runcorn sagte, sie habe auf der Erde gelegen, auf der Seite … nicht auf dem Rücken. Niemand sah zwei einzelne Gestalten, und der Umhang wurde auf dem Dach zurückgelassen, Euer Ehren, weil sie nicht gestürzt oder geschubst wurde. Sie sprang!«

Der Tumult aus Verblüffung, Unglauben und Entsetzen, der im Saal entstand, hinderte ihn vorübergehend daran fortzufahren. Aber es wurde rasch wieder still, als die schreckliche Wahrheit den Menschen allmählich ins Bewusstsein drang.

Als er fortfuhr, erklang seine Stimme in vollkommener Stille.

»Euer Ehren, Michael Dalgarno ist des Mordes unschuldig, weil es keinen Mord gab … zumindest nicht, als Katrina Harcus vom Balkon ihrer Wohnung in den Tod stürzte. Was die Nacht betrifft, in der sie Nolan Baltimore umbrachte, sollten wir …«

Er wurde von Livia, die jetzt mit aschfahlem Gesicht aufsprang, daran gehindert, das zu sagen, was er hatte sagen wollen.

»Das ist nicht wahr!«, schrie sie. »So etwas zu behaupten ist sündhaft! Es ist eine Lüge!« Ihre Stimme erstickte in einem Schluchzen. »Eine böse … schreckliche Lüge! Mein Vater …« Sie schlug links und rechts mit den Armen aus, als kämpfte sie gegen ein Hindernis. »Mein Vater hätte nie so etwas … Ekelhaftes getan! Einfach abscheulich! Ich habe diese Frauen gesehen … sie waren …« Tränen strömten ihr übers Gesicht. »Sie hatten gebrochene Knochen, Blutungen … wer immer das getan hat, war ein Ungeheuer!«

Rathbone sah unglücklich drein. Er wollte etwas sagen, seinem Kummer Luft machen, aber es gab nichts mehr zu sagen.

»Er kann nicht so gestorben sein!«, fuhr Livia fort, indem sie sich dem Richter zuwandte. »Er hatte sich an diesem Abend schrecklich mit Michael und Jarvis gestritten!«, sagte sie verzweifelt. »Es ging wieder um die Eisenbahn, die große Bestellung für die Bremsen, die sie entwickelt haben. Michael und Jarvis haben das zusammen gemacht, und Papa hat es an diesem Abend erst erfahren, Euer Ehren! Er geriet furchtbar in Wut und sagte, sie würden die Firma ruinieren, weil Mr. Monk ihn vor Jahren gezwungen hatte, einen Brief zu unterschreiben, in dem er sich verpflichtete, diese Bremsen niemals wieder zu bauen. Er hatte ein Vermögen bezahlt, um jemanden zum Schweigen zu bringen, aber der Preis war, dass niemand jemals diese Bremsen benutzen würde …«

Monk sprang auf. »Wo ist Jarvis Baltimore?«, rief er Livia zu. »Wo ist er?«

Sie starrte ihn an. »Im Zug«, sagte sie. »Die Eröffnungsfahrt.«

Monk sagte etwas zu Margaret und warf Hester, die noch im Zeugenstand stand, einen Blick zu, dann kletterte er an den Leuten vorbei, lief den Gang hinunter und verschwand durch die Tür.

Der Richter blickte Rathbone an. »Verstehen Sie das, Sir Oliver?«

»Nein, Euer Ehren.« Er wandte sich zum Zeugenstand um. »Hester?«

»Der Eisenbahnzusammenstoß vor sechzehn Jahren«, antwortete sie. »Ich glaube … Ich glaube, er weiß jetzt, was ihn ausgelöst hat.« Sie blickte Livia an. »Es tut mir Leid … Ich wollte es Ihnen nicht sagen. Ich wünschte, Sie hätten es nicht erfahren müssen. Die meisten Menschen können ihre Geheimnisse bewahren.«

Livia stand noch einen Augenblick da, während ihr Tränen über die Wangen liefen, dann sank sie langsam auf ihren Platz und vergrub das Gesicht in den Händen.

»Es tut mir so Leid …«, sagte Hester noch einmal. Sie verabscheute Nolan Baltimore ebenso sehr für das, was er seiner Familie angetan hatte, wie für die Verletzungen, die er Katrina, Alice, Fanny und den anderen Frauen beigebracht hatte. Diese heilten vielleicht. Ob Livia sich von dieser Wahrheit je erholen würde, war fraglich.

Rathbone sah Dalgarno an, weiß und bitter in der Anklagebank, dann den Richter. »Euer Ehren, ich beantrage, dass die Anklage fallen gelassen wird. Katrina Harcus wurde nicht umgebracht. In dem verzweifelten Versuch, das Einzige, was ihr ihrer Meinung nach noch geblieben war, zu erreichen – nämlich Rache –, nahm sie sich das Leben.«

Der Richter sah zu Fowler hinüber.

Fowler wirbelte herum, um die Geschworenen anzuschauen, dann blickte er wieder den Richter an. »Ich gebe mich geschlagen«, sagte er achselzuckend. »Gott steh ihr bei …«

Die Straße vor dem Gericht war fast leer, und Monk brauchte nur fünf Minuten, um einen Hansom zu finden, einzusteigen und dem Kutscher zuzurufen, er solle ihn, so schnell das Pferd laufen könnte, zur Euston Station fahren. Er würde ein Pfund extra bekommen, wenn er den Eröffnungszug auf der neuen Strecke nach Derby noch erwischte. Monk hätte ihm gerne noch mehr gegeben, aber das ging nicht. Womöglich musste er sich den Zugang zum Zug durch Bestechung verschaffen.

Der Kutscher nahm ihn beim Wort und fuhr mit einem anspornenden Ruf und einem Schnalzen mit der Peitsche los, als wäre er auf der Rennbahn.

Es war eine haarsträubende Fahrt, mehrmals kamen sie nur knapp davon, etliche Fahrzeuge streiften sie um Haaresbreite, und mehr als einmal sprangen Fußgänger um ihr Leben und riefen ihnen Flüche hinterher. Der Kutscher fuhr am Bahnhof vor und hielt an. Monk steckte ihm das Geld zu – er hatte es sich verdient, ob er den Zug noch bekam oder nicht – und lief zum Bahnsteig.

Er hatte noch fünf Minuten. Also strich er sich die Jacke glatt, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und schlenderte zur Tür des letzten Waggons, als hätte er jedes Recht dazu.

Ohne sich umzublicken, um zu sehen, ob er beobachtet worden war – wodurch er womöglich verraten hätte, dass er gar keine Einladung besaß –, zog er am Griff, schwang die Tür weit auf und stieg ein.

Das Innere des Waggons war aufwändig möbliert. Es war ein langer Zug, nur mit Waggons erster und zweiter Klasse. Dies war die zweite Klasse, und doch von einem bewundernswerten Luxus. Zweifellos saß Jarvis Baltimore in der ersten Klasse. Da sein Vater tot war, war dies sein Zug, sein ganzes Unternehmen. Er unterhielt sich sicher mit den verschiedenen Würdenträgern, die auf dieser Fahrt dabei waren, und prahlte mit der neuen Strecke, den neuen Waggons und vielleicht auch dem neuen Bremssystem, die tödliche Schwachstelle. Obwohl er das vermutlich nicht wusste.

Der Zug würde entlang der Strecke mehrmals halten. Monk würde jedes Mal einen Waggon weiter nach vorne gehen, bis er Jarvis fand.

Er nickte den anderen Leuten in seinem Abteil zu, dann setzte er sich auf einen der polierten Holzsitze.

Es gab einen Ruck. Irgendwo vorne ertönte ein Pfiff, und der Zug setzte sich in Bewegung und nahm Fahrt auf. An den Fenstern strichen Dampfschwaden vorbei. Draußen wurde gerufen, aufgeregte und jubelnde Schreie drangen aus den anderen Abteilen, und durch die offenen Fenster des Waggons vorne rief jemand einen Toast aus und schrie: »Hurra!«

Monk machte es sich für die Reise bequem, da er erwartete, dass es knapp eine Stunde dauern würde, bis er die Gelegenheit bekam, Baltimore zu suchen. Aber bis dahin war die Strecke die ganze Zeit zweigleisig. Er kannte sie wahrscheinlich so gut wie Baltimore selbst.

Der Zug wurde schneller. Die grauen Straßen und Dächer der Stadt glitten vorbei. Dann mehr Bäume und offene Landschaft.

Es gab Fußwärmer in dem Abteil, einen sogar ganz in seiner Nähe, aber Monk fror so sehr, dass er anfing zu zittern. Bis zum ersten Halt konnte er wegen Baltimore nichts tun. Doch er konnte sich gedanklich mit den neuen Erkenntnissen beschäftigen, die er, als ihm die Sache mit den Bremsen klar geworden war und er erkannt hatte, dass es wieder passieren konnte, erst einmal beiseite geschoben hatte.

Es hatte keinen Mord an Katrina Harcus gegeben, zumindest war sie in der Cuthbert Street nicht vom Balkon gestoßen worden. Er sah ihr Gesicht mit den strahlenden Augen vor sich, als säße sie ihm gegenüber. Aber nichts war so, wie es ausgesehen hatte. Jetzt war es klar: Sie hatte die ganze Sache mit Leidenschaft und außerordentlicher Raffinesse eingefädelt, bis dahin, dass sie ihm den Knopf von der Jacke riss, um ihn dann bei ihrem Fall – Sprung – in der Hand zu halten.

Der Gedanke, dass sie ihn so gehasst hatte, dass sie in die Dunkelheit gesprungen war, in den Abgrund des Todes, unten aufgeschlagen war und sich auf dem Pflaster die Knochen gebrochen hatte, einzig wegen der Gewissheit, dass er mit ihr ruiniert werden würde, trieb ihm die Kälte bis ins Mark.

Und beinahe hätte sie es geschafft!

Von einem anderen Menschen derart gehasst zu werden, das war beängstigend. Es konnte niemals wieder gutgemacht werden, denn sie war tot. Er konnte sich ihr nicht erklären und ihr nicht mehr sagen, warum er damals so gehandelt hatte.

Sie war Arrol Dundas' Tochter! Die Wunde hatte sich für immer eingebrannt und würde niemals heilen.

Er saß zusammengekauert da und wich dem Blick seiner Mitreisenden aus. Beim ersten Halt stieg er wie alle anderen aus. Als der Pfiff zum nächsten Abschnitt der Reise ertönte, stieg er in einen der Erste-Klasse-Waggons und ging von Abteil zu Abteil – poliertes Holz, Wärme und weiche Sitze –, aber Baltimore war nicht da.

Am nächsten Bahnhof stieg er wieder aus und ging weiter nach vorn, und auch am übernächsten. Die Zeit wurde knapp. Er spürte einen Anflug von Panik. Schließlich fand er Baltimore im ersten Waggon. Er war wohl ebenfalls nach vorne gegangen, um mit all seinen Gästen zu sprechen. Im Augenblick unterhielt er sich mit einem stattlichen Herrn, der ein Glas Champagner in der Hand hielt.

Monk musste seine Aufmerksamkeit auf sich lenken, möglichst so, dass es kein Aufsehen erregte. Er schob sich unauffällig weiter, bis er nah genug stand, um Baltimore am Ellenbogen zu packen, und zwar so fest, dass der ihn nicht abschütteln konnte.

Baltimore drehte sich verdutzt zu Monk um, da dieser ihm wehtat. Er erkannte Monk nach kurzem Zögern, und seine Züge verhärteten sich.

»Mr. Baltimore«, sagte Monk ruhig und sah ihn, ohne zu blinzeln, an. »Ich habe Nachrichten für Sie aus London, die Sie sich so schnell wie möglich anhören sollten. Ich glaube, am besten unter vier Augen.«

Baltimore verstand, er legte keinen Wert darauf, seinen Triumph durch eine peinliche Unterredung schmälern zu lassen. »Entschuldigen Sie mich, meine Herren«, sagte er mit einem Lächeln, an dem seine Augen nicht beteiligt waren. »Es dauert nur einen kurzen Augenblick. Bitte amüsieren Sie sich. Genießen Sie unsere Gastfreundschaft.« Er drehte sich zu Monk um und flüsterte ihm etwas zu, während er ihn zur Tür hinaus-und in ein leeres Abteil schob.

»Was, zum Teufel, machen Sie hier?«, wollte er wissen. »Ich dachte, man würde Sie gerade befragen, was mit Dundas' Geld passiert ist! Sind Sie etwa auf der Flucht?« Seine Züge verhärteten sich wieder. »Also, ich will verdammt sein, wenn ich Ihnen helfe. Mein Vater hat mir in der Nacht seines Todes verraten, wie Sie ihn aus dem Geschäft zu drängen versuchten. Wozu? Aus Rache, weil er Dundas entlarvt hat?«

»Ich habe versucht, Hunderte von Leben zu retten … ohne Sie aus dem Geschäft zu drängen!«, presste Monk zwischen den Zähnen hervor. »Halten Sie um Gottes willen den Mund, und hören Sie mir zu. Wir haben nicht viel Zeit. Falls …«

»Lügner!«, stieß Baltimore hervor. »Ich weiß, dass Sie meinen Vater einen Brief unterschreiben ließen, dass er niemals wieder solche Bremsen herstellen würde. Womit haben Sie ihm gedroht? Er ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen … was haben Sie mit ihm gemacht?« Er riss sich aus Monks Griff los. »Also, mir jagen Sie keine Angst ein. Eher sorge ich dafür, dass Sie im Gefängnis landen.«

»Warum, glauben Sie wohl, war Ihr Vater einverstanden?«, fragte Monk, dem es nur mit äußerster Mühe gelang, sein Temperament zu zügeln, während er in Baltimores arrogantes, wütendes Gesicht schaute und spürte, wie der Zug unter ihren Füßen schaukelte und rüttelte, als er Geschwindigkeit aufnahm und auf das lange Gefälle und den dahinter liegenden Viadukt zuraste. »Nur, weil ich ihn darum gebeten habe?«

»Keine Ahnung«, antwortete Baltimore. »Aber ich gebe nicht klein bei!«

»Ihr Vater hat nie jemandem einen Gefallen getan«, sagte Monk mit zusammengebissenen Zähnen. »Nach dem Unfall in Liverpool hat er den Bau der Bremsen eingestellt, weil ich, um die Gesellschaft vor dem Ruin zu retten, dafür bezahlt habe, dass die Ermittlungen menschliches Versagen ergeben – aber nur unter der Bedingung, dass er diesen Brief unterschrieb.« Er war verblüfft über die Klarheit, mit der er sich daran erinnerte, wie er in Nolan Baltimores prächtigem Büro mit Blick auf den Mersey gestanden hatte. Baltimore hatte an seinem Tisch gesessen und mit hochrotem Gesicht, schockiert und wütend, den Kopf geschüttelt, während er den Brief schrieb, den Monk ihm diktierte, und ihn schließlich unterschrieb. Sonnenstrahlen hatten die abgetragenen Stellen des üppigen grünen Teppichs hervorgehoben. Die Bücher auf den Regalen waren in Leder gebunden, der Schreibtisch aus poliertem Walnussholz. Das war endlich das fehlende Stück! Das war es! Jetzt ergab alles einen Sinn.

Jarvis Baltimore blickte ihn mit großen, runden Augen erstaunt an, sein Brustkorb hob und senkte sich, er rang nach Luft. Er schluckte und wollte sich räuspern. »Was … was sagen Sie da? Dass der Unfall in Liverpool …« Er unterbrach sich, da er die Worte nicht über die Lippen brachte.

»Ja«, sagte Monk barsch. Er hatte keine Zeit, die Gefühle seines Gegenübers zu schonen. »Der Unfall wurde dadurch ausgelöst, dass Ihre Bremsen versagten. In diesem Sonderzug waren zweihundert Kinder!« Er sah, dass Baltimore das Blut aus den Zügen wich, bis er weiß war. »Und in diesem Zug hier sitzen bestimmt rund hundert Leute. Befehlen Sie dem Lokführer anzuhalten, solange Sie noch können.«

»Welches Geld?«, fragte Baltimore, der es nicht wahrhaben wollte und den Kopf schüttelte. »Woher sollten Sie genug Geld haben, um eine Untersuchung zu beeinflussen? Das ist absurd. Sie versuchen … ich weiß nicht, warum … etwas zu vertuschen. Sie haben Dundas' Geld gestohlen. Sie hatten alles in Verwahrung! Sie haben nicht mal seiner Witwe etwas übrig gelassen – verdammt!«

»Dundas' Geld!« Monk hatte Mühe, ihn nicht anzubrüllen. Sie schaukelten beide vor und zurück. Der Zug wurde immer schneller. »Er war einverstanden. Sie glauben doch nicht, dass ich es sonst angerührt hätte. Der Mann war im Gefängnis, nicht tot. Ich habe ihnen alles gegeben, was da war, bis auf das wenige für seine Frau, zum Teufel – es war nicht viel! Ich musste fast alles Geld darauf verwenden, damit sie die Wahrheit verschwiegen.«

Baltimore kämpfte immer noch dagegen an. »Dundas war ein Hochstapler. Er hatte die Gesellschaft bereits betrogen …«

»Nein, hat er nicht!« Da war die Wahrheit endlich, klar und deutlich wie der Sonnenaufgang. »Er war unschuldig! Er hat Ihren Vater gewarnt, dass die Bremsen nicht ausreichend getestet waren, aber niemand hat auf ihn gehört. Er hatte keinen Beweis, aber er hätte ihn beschaffen können, doch dann hat man ihm den Betrug angehängt, und danach hat ihm niemand mehr geglaubt. Er hat es mir gesagt … aber ich konnte nichts tun. Sein Wort zählte nicht mehr, denn er war schon gebrandmarkt.«

Baltimore schüttelte den Kopf, aber der Widerspruch erstarb ihm auf den Lippen.

»Alles Geld, das ich zusammenkratzen konnte, ging dafür drauf«, fuhr Monk fort. »Aber es hat den Ruf der Gesellschaft gerettet. Und Ihr Vater drohte, er würde mit mir genauso verfahren wie mit Dundas, wenn ich es nicht schaffen würde. Den Zugführer konnte man nicht mehr verklagen. Also besser, es ihm anzuhängen, als dass alle anderen ihre Arbeit verloren. Im Gegenzug kümmerten wir uns um seine Familie.« Er schämte sich. »Aber richtig war es nicht. Es war ja nicht seine Schuld … es war Ihr Vater. Und jetzt sind Sie dabei, das Gleiche zu tun … außer, Sie halten den Zug an.«

Baltimores Kopfschütteln wurde heftiger, sein Blick war wie irr, seine Stimme schrill. »Aber wir liefern diese Bremsen nach ganz Indien! Es gibt Bestellungen in Höhe von mehreren zehntausend Pfund!«

»Rufen Sie sie zurück!«, schrie Monk ihn an. »Aber zuerst sagen Sie dem Lokführer, er soll den verdammten Zug anhalten, bevor die Bremsen versagen und wir vom Viadukt stürzen!«

»Tat… tatsächlich?«, fragte Baltimore heiser. »Beim Test haben sie wunderbar funktioniert. Ich bin doch kein Idiot!«

»Sie versagen nur bei Gefälle und bei einiger Belastung«, erklärte ihm Monk, für den sich mehr und mehr Teile zu einem Erinnerungsbild zusammensetzten. Diese Dringlichkeit hatte er doch schon einmal empfunden, das Rattern der Räder über die Schwellen gehört, die brausende Bewegung gespürt, das bevorstehende Unheil im Voraus geahnt.

»Die meiste Zeit funktionieren sie ausgezeichnet«, fuhr er fort. »Aber wenn das Gewicht und die Geschwindigkeit ein bestimmtes Maß überschreiten und wenn dann noch eine Kurve hinzukommt, dann halten sie nicht. Dieser Zug ist um einiges schwerer als gewöhnlich, und vor dem Viadukt ist eine solche Stelle. Wir können nicht mehr weit davon entfernt sein. Um Gottes willen, stehen Sie nicht herum! Gehen Sie zum Zugführer, und sagen Sie ihm, er soll langsamer fahren und dann anhalten! Los!«

»Ich glaube Ihnen nicht …« Es waren Protest und Lüge in einem, das war Baltimores verzweifeltem Blick und seinen trockenen Lippen deutlich anzusehen.

Der Zug wurde immer schneller. Es wurde immer schwieriger, aufrecht zu stehen, selbst für Baltimore, der mit dem Rücken an der Abteilwand lehnte.

»Sind Sie sich dessen so sicher, dass Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen?«, fragte Monk unbarmherzig. »Ich nicht. Ich gehe, mit Ihnen oder ohne Sie.« Damit wich er zurück und verlor fast das Gleichgewicht, als er sich umdrehte und an den anderen Abteilen vorbei auf die Spitze des Zuges zueilte.

Baltimore drehte sich um und stürzte hinter ihm her.

Monk stürmte durch das nächste Abteil, scheuchte die wenigen Firmenmitarbeiter, die an der Eröffnungsfahrt teilnahmen, auseinander. Sie waren zu verblüfft, um ihn aufzuhalten.

Er durchlebte ein euphorisches Hochgefühl, wie er es seit vielen Jahren nicht gehabt hatte. Er konnte sich erinnern! So furchtbar einige Erinnerungen auch waren, voller Schmerz und Kummer, Hilflosigkeit und dem Wissen, dass Dundas unschuldig gewesen war und er ihn nicht gerettet hatte, so war es doch kein Durcheinander mehr. Es war so klar wie die Realität des gegenwärtigen Augenblicks. Er hatte Dundas im Stich gelassen, aber er hatte ihn nicht betrogen. Er war ehrlich gewesen. Er wusste es, und zwar nicht auf Grund der Worte anderer, sondern weil er sich daran erinnerte.

Jetzt war er im nächsten Abteil, schob sich zwischen den Männern hindurch, die sich über sein Eindringen empörten. Der Zug, der auf das Gefälle und das einzelne Gleis auf dem Viadukt zusauste, erinnerte ihn an einen anderen Zug, als wäre es erst wenige Wochen her. Er erinnerte sich daran, dass Dun-das ihm anvertraut hatte, er habe versucht, Nolan Baltimore davon zu überzeugen, noch zu warten und die Bremsen sorgfältiger zu testen. Baltimore hatte sich geweigert. Es gab keinen Beweis, nur Dundas' Angst.

»Verzeihung! Verzeihung!«, rief er immer lauter. Sie machten ihm Platz.

Einer packte ihn am Ärmel. »Was ist denn los?«, fragte er ängstlich, während der Zug von einer Seite zur anderen schwankte.

»Nichts!«, log Monk. »Entschuldigen Sie mich!« Er riss sich los und eilte weiter, Baltimore ihm dicht auf den Fersen.

Damals hatte man Dundas des Betrugs angeklagt, und Monk hatte in dem bangen und aufgeregten Versuch, seine Unschuld zu beweisen, die Bremsen vergessen. Aber es gab zu viele sorgfältig platzierte Beweise. Dundas wurde vor Gericht gestellt, verurteilt und ins Gefängnis geschickt.

Keinen Monat später war es zu dem Unfall gekommen … an einem Tag wie diesem donnerte ein Zug, Dampf und Funken ausstoßend, durch die friedliche Landschaft und raste blindlings in den Tod aus zerfetztem Stahl, Blut und Flammen.

Monk hatte die Zusammenhänge klar erkannt, aber für ihn gab es nur noch eines: zu retten, was noch zu retten war, und Baltimore an einer Wiederholung zu hindern. Dundas war sogar bereit gewesen, alles, was er besaß, dafür wegzugeben.

Das war es! Das letzte Teilstück fiel an seinen Platz. Monk wurde übel, und er blieb da stehen, wo er stand, am Anfang des Waggons hinter der Lok. Baltimore, nur einen Schritt hinter ihm, stieß mit ihm zusammen und drückte ihm fast die Luft ab.

Als er Baltimore damals das Geld gegeben hatte, um den Untersuchungsausschuss zu bestechen, hatte er es nicht gewusst, er hatte es hinterher erfahren, als es nicht mehr ungeschehen gemacht werden konnte. Es war nicht um Dundas' Ruf oder den der Baltimore'schen Eisenbahngesellschaft gegangen, obwohl das wichtig war, bei tausend Arbeitern und ihren Familien. Nolan Baltimore hatte gedroht, er würde Monk in die Sache mit den fehlerhaften Bremsen mit hineinziehen. Seine Unterschrift war auf den Bankformularen, mit denen das Geld für ihre Entwicklung angewiesen wurde. Um Monk zu retten, war Dundas bereit, alles, was ihm noch geblieben war, herzugeben.

Als Monk weiterstürzte, die Waggontür gegen den Fahrtwind aufdrückte, sich am Türrahmen festhielt und auf den schmalen Sims hinaustrat, waren es nicht nur der Wind, der Rauch und die Rußflocken, die seine Haut und seine Augen brennen ließen, es war der Schmerz der Erinnerung, ein Opfer, ein Verlust, der Preis dafür, dass er vor Ruin und Gefängnis gerettet worden war.

Er drehte sich um, um zu sehen, wie weit er sich zentimeterweise an dem Waggon entlangschieben musste, bis er auf die Plattform zwischen dem Waggon, dem Kohlewagen und der Lok springen konnte.

Baltimore schrie ihm etwas hinterher.

Bis dahin hatte Dundas begriffen, wie hoch der Preis war. Er hatte womöglich sogar schon die Gefängniskrankheit in seinen Knochen gespürt und gewusst, dass er dort sterben würde. Sicher wusste er um den Hass der Verletzten und Hinterbliebenen nach dem Unfall. Die Verantwortung dafür hätte jeden Mann zerstört, ihn für den Rest seines Lebens verfolgt. Armut war noch der geringste Preis. Vielleicht vertraute er darauf, dass seine Frau leichter als Monk einen drohenden Ruin ertrug. Womöglich hatte er sogar mit ihr darüber gesprochen.

Vielleicht hatte sie deswegen gelächelt, als sie Monk unter Tränen von seinem Tod erzählt hatte.

Er musste weiter. Der Zug wurde immer schneller. Wenn seine Hand abrutschte, wenn er den Halt am Türrahmen verlor, war er in Sekunden tot. Er durfte die Tür nicht zumachen. Die Landschaft verschwamm wie hinter einem regennassen Fenster.

Er schob sich zentimeterweise vor, erst die Hände, dann die Füße. Es war nicht weit zur Spitze des Waggons, vielleicht zwei Meter, aber es waren die längsten Meter auf Erden.

Er hatte keine Zeit zu verlieren, keine Zeit, um nachzudenken. Er schob eine Hand, so weit er es wagte, vor und streckte das Bein aus, bis er Halt fand. Dann löste er die andere Hand von der Stange und warf sich mit dem ganzen Körper nach vorne. Der Waggon schaukelte, und er glitt aus und griff zu. Er stürzte fast auf das Trittbrett hinter dem Kohlewagen, und ihm brach am ganzen Körper der Schweiß aus.

Er drehte sich um und sah Baltimore auf der Ecke schwanken und die Hand nach ihm ausstrecken, damit er ihn herüberzog. Baltimores Knie gaben nach, als er auf die Plattform sank.

Der Lärm war unbeschreiblich. Monk deutete auf den Kohlewagen.

Baltimore kletterte auf die Füße und winkte.

»Er hört uns nie im Leben!«, schrie er verzweifelt. Das Haar wehte ihm um den Kopf, in seinen Augen stand die Panik, und sein Gesicht war vom Wind gerötet und bereits mit Rußflecken verschmiert.

Monk winkte wieder in Richtung Kohlewagen und ging darauf zu.

»Das können Sie nicht!«, schrie Baltimore und wich gegen die Waggonwand zurück.

»Das kann ich verdammt gut!«, brüllte Monk. »Und Sie auch! Kommen Sie schon!«

Allein der Gedanke, an dem Wagen hinaufzuklettern und auf Händen und Füßen durch den erstickenden Rauch über die lose Kohle zu kriechen, während der Zug über die Schienen ratterte und immer schneller wurde und von einer Seite zur anderen schuckelte, versetzte Baltimore in Angst und Schrecken. Das lange Gefälle vor ihnen wurde steiler, und Monk konnte schon die Kehre dahinter ahnen, die zum Viadukt führte.

Er drehte sich um und sah Baltimore an. »Fährt auf dieser Strecke noch ein anderer Zug?«, schrie er und fuchtelte mit den Händen in die andere Richtung, um anzuzeigen, was er meinte.

Baltimore fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht, das jetzt aschgrau war. Er senkte leicht den Kopf. Wie ein Mann in einem Albtraum trat er vor, taumelte, richtete sich auf und legte die Hände an den Kohlewagen. Diese Antwort war mächtiger und schrecklicher als jedes gesprochene Wort.

Monk folgte ihm und kletterte auf die raue Kohle und spürte, wie der Wind ihm entgegenschlug und der Wagen unter ihm schwankte wie ein Schiff auf hoher See.

Der Heizer drehte sich um, die Schaufel in der Hand. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, staunte er mit offenem Mund. Baltimore, dem das Haar nach hinten wehte, sein Gesicht eine einzige Maske des Entsetzens, kam über die Kohlen auf die Lok zugeklettert. Einen Meter hinter ihm folgte Monk.

Der Heizer warf die Schaufel zur Seite und stürzte sich auf Baltimore. Dieser schrie ihm etwas zu, aber der Fahrtwind riss ihm die Worte von den Lippen.

Der Heizer streckte die Hände nach ihm aus.

Der Zug wurde immer schneller, je steiler das Gefälle wurde.

Monk bemühte sich verzweifelt, Baltimore einzuholen. Die Kohlen kullerten unter ihm weg. Ein großer Klumpen löste sich und rollte zur Seite, und er rutschte hinterher, wobei er sich beinahe die Schulter verletzt hätte.

Er stemmte sich hoch, ohne auf seine aufgeschürften Hände zu achten, und warf sich mit dem ganzen Gewicht nach vorne.

Baltimore hatte den Heizer schon fast überzeugt.

Monk schrie ihm etwas zu, aber seine Stimme wurde von dem metallischen Dröhnen und dem Heulen des Windes übertönt.

Baltimore stürzte nach vorn und riss den Heizer mit sich zu Boden.

Monk zog sich hoch und schwang herum, um auf den Füßen zu landen.

Der Bremser starrte ihn an, Schweiß lief ihm über das Gesicht, als er sich mit dem Hebel abmühte und spürte, dass er nachgab. Der Lokführer kam ihnen winkend entgegen.

Plötzlich wusste Monk, was zu tun war. Er hatte es schon einmal getan, hatte sich mit seinem ganzen Gewicht und aller Kraft auf die Bremsen geworfen und gespürt, wie sie rissen, genau wie jetzt. Er wusste genau, was los war, und bei der Erinnerung daran wurde ihm übel vor Entsetzen. Damals hatte er sich allerdings im letzten Waggon des Zugs befunden und war durch den Zusammenprall hinausgeschleudert worden. Er hatte sich mehrmals überschlagen und war, voller blauer Flecken und Abschürfungen, aber lebend, die Böschung hinuntergerollt – während die anderen umgekommen waren. Das war die Schuld, die er so schmerzlich empfand – er hatte überlebt und sie nicht. Sie waren alle in diesem Inferno aus Flammen und Stahl zermalmt worden.

»Heizen!«, schrie er, so laut er konnte. Er schwang die Arme. Er hatte begriffen, was sie tun mussten, es war ihre einzige Chance. »Die Bremsen haben versagt! Sie sind nutzlos! Fahren Sie schneller!«

Hinter ihm erhoben sich Baltimore und der Heizer auf die Füße. Er drehte sich um. »Heizen!« Diesmal formte er das Wort unhörbar mit den Lippen. »Schneller!« Er schwang die Arme.

Baltimore war völlig verängstigt. Der Heizer machte Anstalten, auf Monk zuzukommen, ihn zu packen und festzuhalten. Baltimore stürzte sich auf ihn. Die beiden schwankten und wankten, während der Zug durch die einbrechende Dämmerung toste und taumelte wie ein Schiff im Sturm.

Monk hob die Schaufel auf und machte sich daran, mehr Kohle in den Kessel zu schaufeln. In der Mitte war das Feuer schon gelb, und die Hitze versengte ihm das Gesicht, aber er warf eine Schaufel Kohle nach der anderen hinein. Sie mussten den Viadukt passieren, bevor der andere Zug kam; es war ihre einzige Chance. Nichts auf der Welt konnte ihre Fahrt jetzt noch verlangsamen.

Baltimore schrie etwas hinter ihm, winkte mit den Armen. Dem Heizer hatte es die Sprache verschlagen. Verrückte waren plötzlich in sein Reich eingefallen, sein Zug kreischte durch die Abenddämmerung, der eingleisige Viadukt lag vor ihnen, und jeden Augenblick konnte ihnen ein Zug entgegenkommen.

Endlich begriff der Bremser. Er hatte gespürt, dass die Bremsen gerissen waren, und er wusste, wie sinnlos es war, sein Gewicht oder seine Kraft weiter dagegenzuwerfen. Er griff nach der anderen Schaufel und tat es Monk nach.

Sie fuhren schneller und schneller. Der Lärm war ohrenbetäubend, die Hitze versengte ihnen die Haut und die Augenbrauen, und trotzdem schaufelten sie weiter Kohlen ins Feuer, bis der Heizer Monk am Arm griff und wegzog. Er schüttelte den Kopf. Erst kreuzte er die Arme vor der Brust, dann streckte er sie weit auseinander.

Monk begriff. Noch mehr, und der Kessel würde explodieren. Jetzt konnten sie nur noch warten und allenfalls beten. Sie fuhren so schnell, wie eine Maschine auf der Welt nur fahren konnte. Funken flogen durch die Luft, Dampf riss wie Wolken vom Schornstein ab und zerfetzte im Wind. Unaufhörlich donnerten die Räder über die Gleise.

Der Viadukt kam in Sicht, und im nächsten Augenblick waren sie schon darauf.

Monk sah zu Baltimore hinüber und sah das Entsetzen in dessen Miene – und eine Art Jubel. Jetzt konnten sie nur noch warten. Entweder erreichten sie rechtzeitig das Ende der eingleisigen Streckenführung, oder es würde einen Zusammenstoß geben, eine Explosion, die Wrackteile tausend Kilometer in alle Richtungen schleuderte, bis auf den Felsen unter ihnen nichts Lebendes mehr zu finden war.

Der Atem wurde ihnen von den Lippen gerissen, und der Wind brannte und stach mit Asche, Rußflocken und roten Funken wie Hornissen. Ihre Kleider waren zerrissen und angesengt.

Der Lärm war wie eine niedergehende Lawine.

Aber Monk hatte Recht gehabt: Dundas war unschuldig, die Bremsen waren nicht ausgereift gewesen, wie er gesagt hatte. Er hatte ganz bewusst einen schrecklichen Preis dafür bezahlt, um einen jungen Mann zu retten, der ihn selbstlos und uneingeschränkt liebte. Seine Liebe war größer gewesen als Katrinas Hass, und er würde sie für immer in seinem Herzen bewahren.

Sein Name war gerettet!

Es wurde dunkel und noch lauter, und etwas rauschte so schnell an ihnen vorbei, dass es fort war, bevor Monk überhaupt erkannte, dass sie wieder auf dem zweigleisigen Streckenabschnitt waren. Sie waren in Sicherheit.

Die Männer um ihn herum jubelten, aber er hörte sie nicht, er sah nur ihre vom Feuerschein erleuchteten hochgerissenen Arme und den Triumph in ihren geschwärzten Gesichtern. Der Zugführer taumelte rückwärts gegen die Wand, ließ beinah die Steuerung los. Der Heizer und der Bremser umarmten einander.

Auch Jarvis Baltimore streckte die Hand aus, und Monk griff danach.

»Vielen Dank!«, flüsterte Baltimore. »Vielen Dank, Monk! Für damals und für heute!«

Monk stellte fest, dass er nur idiotisch grinsen konnte und ihm nichts einfiel, was er sagen könnte. Er hätte sowieso nicht sprechen können, denn seine Stimme war tränenerstickt.