Kapitel 12

Als sie dann endlich Burg Tillek erreichten, war Robinton es von Herzen Leid, sich ständig die Geschichte von der Beilegung des Streits anzuhören, die Groghe in jeder Herberge erneut zum Besten gab. Und die Küstenstraße nach Tillek war lang.

Lord Melongel freute sich, dass die leidige Situation bereinigt war, und er betrachtete Robinton mit dessen nachgewiesenen Fähigkeiten als Vermittler als einen Gewinn für seinen Mitarbeiterstab. Um nicht allzu hohe Erwartungen zu wecken, fühlte sich Robinton verpflichtet, Melongel über die näheren Umstände aufzuklären, die ihn gezwungen hatten, Burg Benden zu verlassen.

»Der junge Raid wird noch dazulernen«, meinte Melongel, nachdem Robinton ihm seine Erlebnisse dargelegt hatte. »Sein Verlust gereicht Tillek zum Vorteil. Komm jetzt mit und lerne meine Gemahlin kennen. Bei der Gelegenheit mache ich dich mit unseren Kindern bekannt. Meister Minnarden ist unterwegs, um einen Streit zu schlichten, deshalb musst du noch ein Weilchen warten, bis er dich in deine Pflichten einweist. Aber ich sage dir von vornherein, dass ich alle drei bis vier Planetenumläufe neue Gesellen anfordere. Nimm es also nicht persönlich, wenn entweder Minnarden oder ich dir mitteilen, dass wir einen Wechsel wünschen.«

Robinton lächelte den Lord an. Melongel gefiel ihm. Seine erfrischende Offenheit unterschied sich sehr von dem gesetzten Gebaren der älteren Burgherren, denen Rob gedient hatte, ganz zu schweigen von dem autoritären Führungsstil, den Raid sich zu eigen machte.

Melongel stand in der Blüte seiner Jahre. Er wirkte vital, energiegeladen, und sah auf eine robuste Art gut aus. Trotz seiner mannigfachen Pflichten nahm er sich die Zeit, hin und wieder mit der Fischereiflotte auszufahren. Da sich in Burg Tillek die Halle der Fischereizunft befand und hier die meisten Schiffe gebaut wurden, kannte sich Melongel mit sämtlichen Belangen der seefahrenden Berufe bestens aus. Die Werftarbeiten und die Fangflotte trugen neben der Land- und Forstwirtschaft zu Tilleks nicht unbeträchtlichem Reichtum bei.

Melongel besaß sogar das Kapitänspatent, hatte aber nie selbst ein Kommando übernommen. Während einer Seefahrt durch das Südmeer lernte er die Tochter eines wohlhabenden Grundbesitzers kennen, ehelichte sie und kehrte mit ihr in seine Festung zurück. Er pflegte sich damit zu brüsten, dies sei seine glücklichste Fangfahrt überhaupt gewesen.

Als Meister Minnarden zwei Tage später zurückkehrte, hieß er seinen neuen Gesellen überschwänglich willkommen. Er erinnerte sich an die schönen Tage, die er vor vielen Jahren in der Harfnerhalle verbracht hatte, wo er mit der Meistersängerin Merelan Duette sang. Robinton hielt den Atem an, aber der Meisterharfner brachte ihn vor den beiden anderen Gesellen nicht in Verlegenheit, indem er ihnen Geschichten von Merelans kleinem Buben erzählte.

»Ich weiß, dass du sehr viel Geduld für die weniger begabten Schüler aufbringst, und hier gibt es ein paar Jungen, die du fördern könntest. Bei einem wird es vielleicht nicht viel Zweck haben, doch seine Eltern und ich sind dir dankbar, wenn du ihm überhaupt etwas Wissen vermittelst.«

Robinton murmelte eine zustimmende Antwort.

»Außerdem möchte ich, dass du mit dem Chor probst. In letzter Zeit war ich so oft als Friedensstifter unterwegs, dass ich die Proben vernachlässigt habe. Dann wären da noch die regulären Stunden im Trommelturm.« Minnarden zog eine Grimasse. Die langen, meist ereignislosen Wachen in der Trommelstube waren eine Qual für die meisten Harfner, die von Natur aus ein lebhaftes Temperament besaßen. »Es wäre schön, wenn du ein paar jungen Burschen die Trommelsprache beibringen könntest. Je mehr Leute sie beherrschen, umso kürzer werden die einzelnen Schichten. Ich hatte keine Zeit, um neue Trommler auszubilden, und weder Mumolon noch Ifor sind geschickt genug, um andere zu instruieren. Dir hingegen hat der Meistertrommler der Halle ja ein erstklassiges Zeugnis ausgestellt.«

Robinton nickte. Dadurch, dass er in der Harfnerhalle aufgewachsen war, hatte er das Entziffern einer getrommelten Botschaft gelernt, noch ehe er den vorgeschriebenen Unterricht erhielt.

»Abends gibt es hier die übliche musikalische Unterhaltung.« Meister Minnarden blickte ihn fragend an. »Hast du ein paar neue Lieder mitgebracht?« Als Robinton zustimmend lächelte, seufzte Minnarden erleichtert auf. »Mumolon und Ifor sind gute Harfner und engagierte Lehrer, aber vom Komponieren und Lieder schreiben verstehen sie nicht das Geringste. Das ist deine Spezialität, wie man hört … und bitte keine falsche Bescheidenheit.«

Robinton schmunzelte.

»Bist du gut untergebracht?«

Robinton neigte dankbar den Kopf. Man hatte ihm ein Quartier an der Außenseite der Festung zugeteilt. Das Zimmer war klein, aber ruhig gelegen, und das Fenster ging nach Osten. Nebenan befand sich das Bad.

»Brauchst du noch etwas?«

Robinton schüttelte den Kopf.

»Gut. Tillek ist nicht so labyrinthartig verzweigt wie viele der größeren Burgen. Dieses Klippenmassiv besitzt nämlich nicht viele natürliche Höhlen. Deshalb hat man mit dem hier vorkommenden Gestein feste, fädensichere Häuser gebaut.«

Robinton blickte ihn scharf an. Zum ersten Mal seit langer Zeit erwähnte jemand die Fäden.

»Du hast richtig gehört, Harfner. Ich glaube daran, dass wir noch einen Fädenfall erleben werden«, bekräftigte Minnarden ernst. »Ich habe zu viel darüber gelesen, um diese Gefahr leugnen zu können. Pern wird von den Fäden heimgesucht werden – wenn die Zeit dafür gekommen ist. Teilst du meine Ansicht? Nicht jeder glaubt an eine Bedrohung, die vom Himmel regnet, und leider gehört auch Melongel zu diesen Skeptikern, obwohl er sehr belesen ist.«

»Die Drachen haben es mir erzählt. Und ich habe Freunde im Benden Weyr …« gestand Robinton zögernd ein. Doch wenn Minnarden an eine Rückkehr der Fäden glaubte, hatte er sicher nichts gegen Robintons Freundschaft mit einem Drachenreiter einzuwenden.

»Diese Freundschaften musst du pflegen«, riet Minnarden ihm. Dann legte er den Kopf schräg. »Ist das vielleicht der Grund, weshalb Lord Raid dich nicht länger in seiner Burg haben wollte?« Er hob eine Hand, als Robinton nervös auf seinem Stuhl hin und her rutschte. »Ich weiß, ich weiß. Aber bewahre dir deinen Glauben.« Er erhob sich von seinem Platz. »Falls du irgendwelche Fragen hast, dann wende dich ruhig an mich. Für Beschwerden habe ich auch ein offenes Ohr. Wenn meinen Harfnern etwas nicht passt, dann sollen sie direkt damit zu mir kommen und sich nicht gegenseitig ihr Leid klagen. Da wäre noch etwas. Die Haupteinnahmequelle dieser Burg ist die Fischerei. Deshalb solltest du so viel wie möglich über diesen Berufszweig lernen. Neues Wissen kann niemals schaden. Auch eine Schiffswand hat zwei Seiten.«

Robinton stöhnte leise. Dieser Vorfall würde ihn wohl noch lange verfolgen. Doch er lächelte Minnarden zu, der sich offensichtlich über das Abenteuer seines gewitzten neuen Harfners freute.

Minnarden fasste in das Bücherregal, zog ein dickes, in Leder gebundenes Buch heraus und legte es vor Robinton auf den Tisch. »Wenn du die Charta bis jetzt noch nicht auswendig kennst, dann wird es höchste Zeit, dass du sie dir einprägst. Und mach dich mit den am häufigsten vorkommenden Rechtsverletzungen vertraut.« Minnarden stieß einen Seufzer aus. »Dieser Aspekt unseres Berufs kann mitunter sehr interessant sein. Aber auch ziemlich lästig, wenn man es mit Leuten zu tun hat, die zu dumm oder zu stur sind, um Einsicht zu zeigen.

***

Einige von Melongels Kindern – er hatte neun – gehörten dem Chor an, mit dem Robinton probte. Die beiden Jungen und das Mädchen waren intelligent, aufgeweckt und wissbegierig. Außerdem so musikalisch, dass sie in der Harfnerhalle eine Lehre hätten absolvieren können. Der älteste Sohn, er war um eine Planetenumdrehung jünger als Robinton, hieß Oterel. Dieser hoch aufgeschossene, schlaksige Bursche wirkte so linkisch, als könne er sein langes Knochengestell noch nicht richtig koordinieren. Oterel freute sich darüber, dass Groghe sein Zimmer und seine Pflichten mit ihm teilte, denn er wirkte bereits in der Verwaltung der Burg mit und hatte viel zu tun.

Und dann war da noch Kasia, Lady Juvanas jüngste Schwester. Sie wohnte erst seit kurzem in Tillek.

Gleich bei ihrem ersten Zusammentreffen fühlte sich Robinton stark zu der attraktiven jungen Frau hingezogen. Einen Planetenumlauf zuvor hatte sie ihren Liebsten in einem Sturm auf hoher See verloren. Das Unglück passierte vor der Küste von Nerat, zwei Siebenspannen vor ihrer geplanten Vermählung. Ihre Eltern hatten sie zu Juvana geschickt, um sich ein wenig von ihrem Kummer abzulenken.

Robinton fiel auf, wie traurig das Mädchen oft dreinblickte, er erkannte den Schmerz, der in ihren wunderschönen meergrünen Augen lag. Nur wenn sie lachte, schien für eine kurze Weile die Schwermut von ihr abzufallen. Doch sie gab sich heiter, war hilfsbereit und freundlich und liebte ihre jüngeren Neffen und Nichten von Herzen. Nicht nur Lady Juvana, auch deren Kinder schienen Kasia als ihre zuverlässige Vertraute und enge Freundin zu betrachten.

Kasia besaß ein vorzügliches Gedächtnis, das sie fast nie im Stich ließ. Robinton staunte, wie viel sie behielt.

»Ich erinnere mich halt an solche Sachen«, erklärte sie ihm, als sie ihm einmal eine alte Lehrballade wortgetreu zitierte. »Warum ich ausgerechnet den Text dieser Ballade kenne, weiß ich auch nicht. Aber falls du die Notenblätter suchst, sie liegen auf dem zweitobersten Brett des Regals gleich links neben der Tür zur Bibliothek.«

Sie behielt Recht. Und Kasia lächelte, als er die Blätter genau an der angegebenen Stelle fand. In Augenblicken wie diesen blitzten ihre Augen fröhlich, und kein Schatten umwölkte ihre Stirn. Robinton nahm sich vor, ihre Niedergeschlagenheit für immer zu verscheuchen. Sehr zu seinem Bedauern stellte er fest, dass er nicht der einzige junge Mann in der Burg war, der diesen Wunsch hegte. Selbst die beiden anderen Harfnergesellen hatten ein Auge auf Kasia geworfen.

Robinton war erst zwanzig. Er versuchte, dies zu vertuschen, und da er älter aussah und bereits auf fünf Planetenumläufe aktiven Harfnerdienstes zurückblicken konnte, gelang es ihm auch. Weder Mumolon noch Ifor wussten, dass er bereits mit fünfzehn die Tische gewechselt und sein Gesellenabzeichen entgegengenommen hatte. Minnarden war natürlich im Bilde, desgleichen vermutlich Melongel, doch seine Jugend hielt die beiden Männer nicht davon ab, ihm schwierige Aufgaben zuzuweisen. Vor allen Dingen seine geschickte Beilegung der Differenzen um die Mauer hatte ihr Vertrauen in seine Fähigkeiten gestärkt. Ifor und Mumolon akzeptierten seine bevorzugte Stellung, denn er erfüllte seine Pflichten so gut, dass er über jede Kritik erhaben war.

Kasia war mehrere Planetenumläufe älter als Robinton, sah aber jünger aus. Lediglich der Kummer ließ sie reifer erscheinen. Aber ihre Trauer und der Altersunterschied hemmten Robinton, zu erkunden, ob sie seine Gefühle erwiderte. In der Erfüllung ihrer alltäglichen Pflichten kamen sie oft zusammen. Und darum beneideten ihn Kasias andere Verehrer, die sie nur aus der Ferne anhimmeln konnten.

Robinton genoss ihre Gesellschaft, ihren Sinn für Humor, ihr liebes Wesen und nicht zuletzt ihre hohe Musikalität. Oft sangen sie im Duett. Sie besaß eine ausgebildete Stimme, einen klaren Sopran, spielte Geige und Flöte. In aller Freimütigkeit bewunderte sie seine Harfe. Da sie nicht auf einem eigenen Instrument üben konnte, waren ihre Fertigkeiten in dieser Hinsicht nur mittelmäßig. Deshalb nahm Robinton sich vor, ihr in seiner Freizeit eine Harfe zu bauen.

Im Hafen von Tillek gab es massenhaft gut abgelagertes Holz von bester Qualität. Robinton machte sich mit dem örtlichen Meisterschreiner bekannt, einen geschickten Holzschnitzer namens Marlifin. Er erbot sich, ihm geeignetes, exotisches Holz für die Harfe auszusuchen. Burg Tillek verfügte über gut ausgestattete Werkstätten – wie die meisten Festungen – und Robinton konnte seine Arbeit unverzüglich in Angriff nehmen.

Marlifin sollte die Baronstange mit einem Muster aus Kasias Lieblingsblumen verzieren. Diese filigrane Schnitzerei traute sich Robinton nicht zu, und die Harfe sollte ein ganz besonders schönes Stück werden. Nach etlichen Anläufen und mancherlei Schnittwunden an den Händen, formte er den Resonanzkörper und den Hals, an dem die Stimmwirbel befestigt wurden.

Außerdem befolgte er Minnardens Ratschlag, sich über das Fischereiwesen zu informieren. Dafür erntete er großes Lob von Melongel und schließlich auch von Kasia. Kurzerhand meldete er sich freiwillig für eine Fangfahrt unter Leitung von Kapitän Gostol, den er bereits in der Harfnerhalle kennen gelernt hatte. Kasia heuerte auf demselben Schiff als Smutje an. Gleichzeitig leistete sie Gostols Tochter Vesna Gesellschaft, die im Begriff stand, ihr Patent als Erster Maat zu erwerben.

In der aus vierzehn Leuten bestehenden Besatzung der Maid des Nordens befanden sich zwei weitere Frauen. Robinton wunderte sich, dass weibliche Matrosen auf dem Trawler dienten, der ungefähr so lang war wie eine Drachenkönigin. Frauen konnten in der Musik Berufe ausüben, die sie mit Männern gleichstellten, doch er hatte nicht gewusst, dass andere Zünfte weibliche Mitglieder mit anspruchsvollen Posten ausstatteten, die ein hohes Maß an Fachkenntnissen und Verantwortung erforderten. Und sein Erstaunen wuchs, als er sah, dass diese Frauen genauso beim Fischfang mit anpackten wie die Männer. Die Arbeit war schwer und schmutzig. Wie schwer und schmutzig, erlebte er selbst auf dieser Reise.

Zum Glück litt er nicht unter Seekrankheit. Er half, die Netze einzuholen, nahm Fische aus und lachte, wenn er über und über mit blutigem Schleim bedeckt war und man ihn aufzog, weil er entsetzlich stank. Man traute ihm nicht zu, im Krähennest Ausguck zu halten, dafür durfte er in der Kombüse Suppe aufwärmen oder frisches Klah brühen.

Kasias Reich war natürlich die Küche, obwohl sie auch Fische ausnahm und einsalzte. Auf diese Weise fanden sie und Robinton viel Zeit, miteinander zu sprechen. Er verhielt sich möglichst diskret, versuchte indessen, die junge Frau ein wenig aufzuheitern. Eines Abends rückte er ganz dicht an sie heran, während sie gemeinsam Lieder sangen. Sein Bariton passte wunderbar zu ihrem ausdrucksstarken Sopran. Er lernte auch ein paar der beliebten Shanties, die den Fahrensleuten die Arbeit kurzweiliger machten.

Seine wohl interessanteste Erinnerung an die auf See verbrachte Siebenspanne war eine Begegnung mit den Geleitfischen. Kapitän Gostol erzählte ihm, sie würden oft die Trawler begleiten.

»Da vorne schwimmt das alte Narbengesicht«, rief der Schiffsführer und zeigte auf einen Fisch, dessen flaschenhalsförmige Nase ein Zickzackmuster aus Narben aufwies. »Muss sich irgendwo verfangen haben.«

»Singen sie?« staunte Robinton, als er die Geräusche hörte, die die Fische beim Hochschnellen aus dem Wasser von sich gaben.

»Nein, diese Laute entstehen, wenn sie durch ihr Blasloch die Atemluft ausstoßen«, erklärte Gostol. »Manch ein Mann, der über Bord ging, wurde von diesen Fischen gerettet.« Mit dem Kinn deutete er in Richtung Kombüse. »Kasias Verlobter hatte großes Pech. Der Sturm tobte zu heftig. Eine Schande. Er war ein guter Fischer, und sie ist ein nettes Mädchen. Höchste Zeit, dass sie sich einen neuen Liebsten sucht. Meinst du nicht auch, Robinton?« Ein listiges Lächeln erschien auf Gostols derbem, wind- und wettergegerbtem Gesicht.

Robinton lachte. »Wenn man bedenkt, wie viele Burschen sich um ihre Gunst bewerben, dürfte sie nicht mehr lange allein bleiben.«

»Hoffentlich.« Gostol zeigte mit dem Finger auf einen Geleitfisch. »Die da hat ein Junges bekommen, seit ich sie das letzte Mal sah. Siehst du den Fisch mit dem gesprenkelten Kopf?«

Der Geleitfisch sprang aus dem Wasser und schien eine Weile in der Luft zu schweben, ehe er anmutig wieder in die Fluten tauchte. Mit quietschenden, schnalzenden und klickenden Lauten begrüßte er die Menschen. Das Jungtier gab sein Bestes, um der Mutter nachzueifern.

»Sind es immer dieselben Fische, die in diesen Gewässern schwimmen?«

»Ich glaube schon. Einige sieht man immer wieder und kann sie an bestimmten Merkmalen gut erkennen.« Der Schiffsführer stieß einen Seufzer aus. »Ich beobachte sie für mein Leben gern. Manchmal«, fügte er hinzu und stützte sich mit den Armen auf der Reling ab, »könnte man glatt den Eindruck gewinnen, sie würden uns dorthin führen, wo sich die großen Fischschwärme versammeln.«

»Tatsächlich?« Auch Robinton lehnte sich über die Reling und bewunderte die springenden Geleitfische, die unentwegt Quietschtöne und knarzende Laute ausstießen, als wollten sie ihm etwas in einer Sprache mitteilen, die er nicht verstand.

»Angeblich bringen sie den Seeleuten Glück«, sagte Gostol. »Kein Fischer ignoriert sie. Von jedem Fang bekommen sie etwas ab.« Der Kapitän richtete sich auf und spähte angestrengt in die Ferne. »Aufgepasst! Na endlich! Wir segeln geradewegs in einen Schwarm Bordos hinein! Erstklassiger Speisefisch. Lässt sich gut einsalzen.« Befehle brüllend, eilte er zum Bug, und die Mannschaft machte sich bereit, die Fangnetze herunter zu lassen.

An Steuerbord konnte Robinton tatsächlich den Fischschwarm sehen. Die fetten, glatten Leiber waren grau gestreift, so lang wie sein Unterarm und mit stumpfen, glotzäugigen Köpfen bedacht. So viele Fische auf einmal hatte er noch nie gesehen. Sicher, als Kind hatte er während seines Aufenthalts in Burg Pierie geangelt, doch eine derartige Anhäufung von Fischen war ihm neu.

Wie konnten sie die Richtung ändern, ohne zusammenzustoßen? Hatten sie einen Anführer, wie manche Herdentiere? Oder besaßen sie einen Instinkt wie die Drachen, die niemals gegeneinander prallten, selbst wenn sie in dichtem Formationsflug aus dem Dazwischen auftauchten. Er fand das Ganze faszinierend.

Dann wurden unter lautem Getöse die Netze ausgefahren, und Robinton beeilte sich, den Seeleuten zu helfen.

Dies war der letzte schöne Tag der Fangfahrt, denn von nun an türmten sich wahre Wolkengebirge auf, und sie mussten in strömendem Regen schuften. Robinton war erschöpft. Seine Muskeln schmerzten von der ungewohnten Anstrengung, und seine Hände waren wund gescheuert. Als er einmal nach der Abendmahlzeit zum Musizieren aufgefordert wurde, zog er seine Flöte hervor, um seine schrundigen Finger zu schonen.

Er atmete auf, als sie schließlich in den tiefen natürlichen Hafen von Tillek segelten, dem sichersten Ankerplatz an der lang gestreckten Westküste. In die hohen Steilklippen hatte man terrassenförmig abgestufte Reihen von Behausungen entweder in den massiven Fels gehauen oder aus dem regionalen Stein gebaut. Manche Fischer konnten mit ihren Booten direkt vor ihrer Hütte anlegen. Landebrücken, die sich mit Ebbe und Flut bewegten, gewährten einen bequemen Zugang zu den Treppen, von denen manche tief in die felsige Steilküste eingeschlagen waren.

Als die Maid des Nordens an den Wellenbrechern vorbei glitt, die die U-förmige Hafeneinfahrt verlängerten, winkten die Menschen den Seeleuten zu, die dabei waren, die Segel aufzugeien. Gostol überließ das Andocken seiner Tochter, und Robinton wusste, was für Vesna dabei auf dem Spiel stand. Mit Kasia an seiner Seite, schaute er mit angehaltenem Atem dem Anlegemanöver zu.

Kasia hatte ihre wetterfeste Kleidung gegen einen langen Rock und einen dicken Wollpullover eingetauscht, um sich vor der frischen Brise zu schützen. Ihr Haar war zu einem ordentlichen Zopf geflochten. Robinton fand, sie sähe längst nicht mehr so traurig aus wie früher. Vielleicht hatte sie diese Fangfahrt mitgemacht, um endlich ihre Trauer um Merdine zu überwinden. Tatsächlich hatte sie seinen Namen sogar einmal erwähnt.

»Du kannst wieder atmen, Rob«, sagte sie lachend und hängte sich bei ihm ein.

Dass sie ihn mit »Rob« anredete, fasste er als ein gutes Zeichen auf. Es konnte bedeuten, dass sie ihn sympathisch fand.

»Ob sie es schafft?« fragte er. Kasia verstand eine Menge vom Segeln.

»Es sieht ganz danach aus. Das Schiff hat gerade genug Fahrt, um den Anleger zu erreichen und zu stoppen.«

Die Maid des Nordens schob sich so sachte durch das Wasser, dass ihr Bug kaum Wellen erzeugte.

Kasia lächelte und lehnte sich gegen Robinton. Ihren Landesteg hatten sie fast erreicht. Auf Deck standen Matrosen, die Festmacheleinen in den Händen. Die Fender waren bereits über Bord gehängt. Am Pier drängten sich Männer und Frauen, um die Leinen aufzufangen und sie an den Pollern zu befestigen. Dann galt es, die verderbliche Ladung möglichst rasch zu löschen.

Die Zeit schien still zu stehen, als die Maid des Nordens langsam vorrückte, bis sie das Dock touchierte. Die Leinen wurden herüber geworfen und um die Poller geschlungen.

Kasia ließ Robintons Arm los und klatschte der erfolgreichen Vesna begeistert Beifall. Anerkennende Zurufe wurden laut, und Robinton lachte, als Vesna sich in einer theatralischen Geste den Schweiß von der Stirn wischte und dabei strahlend lächelte.

»Gostol ist ein strenger Lehrmeister, aber ich glaube, sie hat den Test bestanden«, meinte Kasia. »Komm mit. Das Ausladen wird Stunden dauern, und ich sehne mich nach einem ausgiebigen heißen Bad. Meine Haare müssen schrecklich nach Fisch und Bratenfett stinken.«

Da sie während der Fahrt mit keiner Silbe über mangelnden Komfort geklagt hatte, wunderte sich Robinton, dass sie auf einmal so heikel war. Obwohl er sich genauso dringend säubern musste wie sie.

Bei Gostol hatten sie sich schon vor der Einfahrt in den Hafen bedankt, deshalb konnten sie nun ohne viel Umstände von Bord gehen, die Packsäcke mit der feuchten und schmutzigen Kleidung geschultert.

»Gib Acht, wo du hintrittst, Rob«, warnte Kasia ihn. »Die Bretter des Anlegers sind an manchen Stellen morsch.«

»Minnarden sagt, sie seien bloß mehrere hundert Planetenumläufe alt«, ergänzte er.

»Das ist ja nicht viel, oder?« zog sie ihn auf und blickte ihn mit blitzenden Augen schelmisch an.

Sie lavierten an den Arbeitern der Fischfabrik vorbei, die mit ihren Karren auf das Schiff zusteuerten, und kletterten dann die steile Treppe hinauf, die zur Burg führte.

Der Tag war verhangen, und es drohte zu regnen. Doch auf dem Weg zur Festung wimmelte es von Menschen, die ihren Alltagsbeschäftigungen nachgingen. Viele grüßten den Harfner und Kasia im Vorbeigehen. Gelegentlich streifte Robintons Hand die von Kasia, und er war sich jeder Berührung bewusst. Er wagte es nicht, sie anzusehen um zu ergründen, ob auch sie den körperlichen Kontakt bemerkte, aber er fand, die Seereise habe dazu beigetragen, ihre Freundschaft zu stärken. Das Gefühl, etwas Nützliches geleistet zu haben und eine echte Beziehung zu Kasia aufbauen zu können, versetzte ihn in beste Laune.

»Lass uns bald wieder eine Fangfahrt mitmachen, Rob«, schlug Kasia vor. Ihre Wangen glühten. »Du bist ein guter Seemann, und Kapitän Gostol sagte, er nähme dich jederzeit wieder mit.«

»Mit dir segle ich überall hin, wann immer du willst«, entgegnete er. Kühn griff er nach ihrer Hand und drückte sie, gespannt, wie sie auf diese Intimität reagieren würde.

Sie erwiderte den Druck seiner Hand. »Ich kann es gar nicht abwarten, in die Wanne zu steigen«, rief sie und rannte die Burgtreppe so flink hinauf, dass er ihr mit mehr Hast als Würde folgen musste.

In der Tat schien sie mit ihm einen Wettlauf veranstalten zu wollen. Sie stürmte in die Halle und flitzte die erste Treppenflucht hoch. Noch zwei weitere Treppen, erst dann erreichten sie ihr Stockwerk. Sie blieb ihm immer ein paar Stufen voraus, bis sie endlich auf dem obersten Absatz anlangten, außer Atem vor Anstrengung und Lachen. Droben wirbelte sie herum, stolz auf ihren Sieg, und als er eine Stufe unter ihr stehen blieb, befanden sich ihre Gesichter auf gleicher Höhe. Ohne nachzudenken, fasste er sie um die Taille, zog sie an sich und küsste sie.

Als sie ihn nicht zurückwies, sondern sich an ihn schmiegte und die Arme um seinen Hals schlang, war er außer sich vor Glück. Leider fiel ihr Kuss nur kurz aus, denn sie hörten Schritte drunten in der Halle und fuhren auseinander. Kasia schwenkte kokett herum, bedachte ihn mit einem verführerischen Lächeln und hastete in ihr Quartier. Zurück blieb Robinton, nach Luft schnappend, aber selig.

Während er in der Badewanne lag, gab er sich Phantasien über eine eventuelle gemeinsame Zukunft mit Kasia hin. Selbst für eine Frau von Stand war ein Harfner, der einen Meisterrang anstrebte, keine schlechte Partie. Und Petiron stammte aus dem Geschlecht von Telgar. Seine Mutter, eine Meistersängerin, war über jeden Tadel erhaben.

Er selbst konnte mit dem Bau von Musikinstrumenten immer ein paar Marken dazu verdienen. Der Lohn, den er in Tillek erhielt, reichte für einen Junggesellen aus, doch er vertraute darauf, dass Lord Melongel einem verheirateten Mann eine Zulage gewähren würde, vor allem, wenn es sich bei dessen Gemahlin um eine Anverwandte der Burgherrin handelte. Bei seinem nächsten Vertrag konnte er darauf achten, sich finanziell zu verbessern. Und da Kasia Lady Juvanas Schwester war, würde man ihnen nach ihrer Heirat bestimmt ein größeres Quartier geben. Freie Räume gab es genug. Einerseits schalt er sich für diese Gedanken, zum anderen kostete er seine Vorfreude aus.

Da er annahm, dass Kasia sich die Zeit für ein ausgiebiges Bad nehmen würde, blieb auch er lange in der Wanne sitzen. Das schmutzige Badewasser verriet ihm, dass er gut daran tat, sich richtig einzuweichen. Seine Hände brannten ein bisschen von dem Seifensand, mit dem er sie schrubbte. Ein paar Fingernägel waren abgebrochen, und überall hatte er Schnittwunden und Abschürfungen. Sie würden rasch abheilen, denn Salzwasser reinigte Verletzungen und desinfizierte sie.

Nach dem Bad zog er sich warme Kleidung an. Er fand, er müsse sich unbedingt eine neue Garderobe zulegen. Alle seine Sachen waren alt. Praktisch, aber nicht besonders schick. Clostan, der Heiler der Burg, ging immer so gut angezogen, dass er sich vornahm, ihn nach seinem Schneider zu fragen. Als Robinton sauberes Zeug trug, bemerkte er den Gestank, den sein Packsack verströmte. Er wollte ihn gleich hinunter in den Waschraum bringen, damit die üblen Gerüche nicht seine Wohnung verpesteten. Es war immerhin möglich, dass Kasia … er wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.

Er entschuldigte sich bei der Wäscherin, einer alten Frau, für den Zustand seiner Sachen, und sie grinste ihn mit ihrem zahnlosen Mund unbekümmert an. Auf einmal hörte er leichtfüßige Schritte auf der Treppe. Kasia kam mit ihrem eigenen Bündel an schmutziger Wäsche. Ihre Blicke begegneten sich, und er merkte, wie er rot wurde. Auch ihre Wangen brannten. Ein gutes Zeichen, fand er.

»Juvana möchte wissen, wie es uns ergangen ist, Robinton«, sagte Kasia in beinahe förmlichem Ton. Wie beiläufig reichte sie der Wäscherin ihren Packsack. Die Alte grinste breit, und ihre neugierigen Blicke huschten zwischen Kasia und Robinton hin und her.

»Dann wollen wir ihr von unseren Abenteuern berichten«, gab er zurück. Mit einer kavalierhaften Geste nahm er Kasias Arm – was der Alten ein meckerndes Lachen entlockte – und führte seine Angebetete die Treppe hinauf.

Dieses Mal rannten sie nicht nach oben, sondern zogen den Weg in die Länge. Wenn ihre Beine sich streiften, tauschten sie vielsagende Blicke. Droben angelangt, bekam Robinton vor Aufregung weiche Knie. Gewiss, er hatte Liebeslieder gesungen und wusste um die Macht der Leidenschaft, wie jeder andere Harfner auch. Doch selbst die Gefühle zu erfahren, die in den Balladentexten beschrieben wurden, war etwas ganz anderes. Und dass Kasia ihn genauso zu begehren schien wie er sie, mutete ihn fast wie ein Wunder an.

***

Sie blieben eine Stunde lang bei Juvana, halfen ihr, Stopfgarne zu sortieren, und nahmen dies als Vorwand, dass ihre Hände sich immer wieder berührten. Robinton erzählte witzig, was ihm als unerfahrenem Laien an Bord des Fischtrawlers alles widerfahren war, doch wenn er seine Rolle zu sehr herunterspielte, behielt Kasia es sich vor, ihn zu korrigieren.

»Mein Respekt vor diesem Berufszweig ist gewaltig gewachsen, Lady Juvana«, beteuerte er, als die Glocke sie zum Mittagsmahl rief.

»Glaubst du, Gostol wird Vesna das Maats-Patent geben?« fragte Juvana ihre Schwester, während sie auf den Speisesaal zusteuerten.

»Ihr Anlegemanöver ließ nichts zu wünschen übrig. Besser hätte er es auch nicht gekonnt«, erwiderte Kasia. »Sie beherrscht ihr Handwerk.«

»Das ist gut so. Jetzt, da du wieder daheim bist, könntest du mir beim Nähen der neuen Kinderkleidung helfen.«

»Hast du die Sachen schon zugeschnitten?«

»Ich habe mich nützlich gemacht, derweil ihr euch auf einer Kreuzfahrt vergnügt habt …«

»Kreuzfahrt? Vergnügt?« protestierte Kasia und bedachte ihre Schwester mit einem tadelnden Blick. »Und das bei diesem Wetter!«

Robinton fühlte sich bei diesem scherzhaften Wortwechsel ein bisschen ausgeschlossen, doch er sagte sich, er dürfe nicht töricht sein. Nur weil er bis über beide Ohren in Kasia verliebt war, hatte er keinen Anspruch auf ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Und vielleicht hatte er ihrem Kuss auch zu viel Bedeutung beigemessen. Mit sinkendem Mut gestand er sich ein, dass Kasia ihn vielleicht nur im Überschwang wegen ihrer geglückten Heimkehr geküsst hatte. Es gab viele Bewerber um ihre Gunst, wie er es schon Gostol gesagt hatte. Was konnte er, ein Harfnergeselle, einem Mädchen ihrer vornehmen Herkunft schon bieten?

Also stürzte er sich wieder in seine Arbeit und bemühte sich, Kasia nicht unentwegt irgendwo in der Burg aufzulauern. Doch die Zurückhaltung fiel ihm schwer, und tatsächlich begegneten sie sich jeden Tag mehrere Male – in den Hallen, auf den Treppen, im Schulzimmer und dann natürlich bei den Mahlzeiten.

Bei Tisch saß sie genauso gern neben ihm wie neben Valden, der bald eine neue Burg in den ausgedehnten Waldgebieten oberhalb von Tillek übernehmen sollte. Robinton hoffte inständig, die abgeschiedene Lage dieser Siedlung möge Kasia davon abhalten, eine Bindung mit Valden ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Dann war da noch Kalem, ein Schiffsbauergeselle mit einem eigenen Anwesen ganz in der Nähe, sodass Kasia im Falle einer Heirat einen ständigen Kontakt mit ihrer Schwester aufrechterhalten konnte.

Emry sah ungemein attraktiv aus und arbeitete für Melongel als Verwalter der Docks und Warenlager. Seiner Kleidung nach schien er sehr gut zu verdienen. Selbst die Gewänder, die er für Botengänge anzog, waren besser als Robintons Festtagszeug. Und an den Abenden, wenn der unterhaltsame Teil begann, musste Robinton singen und spielen und konnte sich seiner Angebeteten nicht widmen. Wenn Mumolon oder Ifor ihn ablösten, musste er sich beeilen, um ein, zwei Tänze mit Kasia zu ergattern. Die anderen Männer hingegen hatten den ganzen Abend lang Zeit, sich von ihrer besten Seite zu zeigen.

Er fand die Situation frustrierend. In seinen Mußestunden arbeitete er an der Harfe. Im Frühling hatte Kasia Geburtstag, und bis dahin musste sie fertig sein. Doch trotz der gebotenen Eile durfte er nichts überstürzen. Der Leim musste trocknen, die Stimmwirbel akribisch genau geschnitzt und die Gabeldrehscheiben geformt werden. Diese Harfe war so konstruiert, dass man die Modulation und sogar die Tonart ändern konnte. Er beabsichtigte, sie in C-Dur zu stimmen. Die Saiten ließ er in der Schmiedehalle von Fort herstellen, die auf solche Feinarbeiten spezialisiert war. Oftmals, wenn er die Harfe versonnen anschaute, stellte er sich vor, wie Kasia sie auf ihrem Schoß hielte und mit ihren zarten Fingern die Saiten zupfte.

***

Jeder in der Burg schien bestrebt, Kasias Geburtstag mit ihr zu feiern, doch Robinton wollte ihr die Harfe geben, wenn er allein mit ihr war. Er hoffte, dieses Geschenk würde ein emotionales Band zwischen ihnen knüpfen. Dieses Musikinstrument ließ sich nicht mit den üblichen Geburtstagsgaben vergleichen. Und wenn er ihr die Harfe in der Öffentlichkeit schenkte, würden sowohl er als auch Kasia zu Zielscheiben von Neckereien und Anspielungen. Natürlich würde man auf eine tiefe Zuneigung seinerseits tippen. Zuneigung? Es war Liebe! Die Harfe war ihm hervorragend gelungen. Er wusste, dass er ein guter Instrumentenbauer war, vor allem, wenn er sich mit ganzem Herzen dieser Aufgabe widmete.

Zum Gratulieren erschien er indessen nicht mit leeren Händen. Im Wald oberhalb der Burg fand er ein paar frühe Beeren. Kasia machte viel Aufhebens um dieses originelle Geschenk und lobte überschwänglich das Körbchen, das er als Behälter für die Beeren geflochten hatte. Heimlich flüsterte er ein paar Worte in ihr Ohr, denn zum Glück verlangte es die Sitte, ein Mädchen an ihrem Geburtstag zu umarmen und ihr einen Kuss zu geben – wenn man es wollte.

Für Robintons Geschmack wollten viel zu viele junge Burschen das Geburtstagskind küssen. Er passte auf, wie lange die Umarmungen dauerten, und bildete sich ein, dass er Kasia ein Weilchen länger in den Armen halten durfte als alle anderen Gratulanten. Und bei dieser Gelegenheit wisperte er ihr zu, er habe ein ganz besonderes Geschenk für sie, das er ihr aber nicht vor aller Augen geben wolle. Ob sie ihn in der Werkstatt treffen könnte?

Sie nickte mit funkelnden Augen und murmelte: »Gleich nach dem Essen.« Dann ließ sie ihn los und nahm die anderen Präsente entgegen. Kasia war sehr beliebt. Von allen Seiten gab es Geschenke, sogar Vesna beglückte sie mit einem wunderschönen Kamm, den sie selbst angefertigt hatte. Damit wollte sie sich für Kasias moralische Unterstützung an Bord der Maid des Nordens bedanken. Sie hätte wesentlich dazu beigetragen, dass sie so problemlos den Test für ihr Maats-Patent bestand.

Die Leute schenkten Kasia Kleiderstoffe, Schals und Armbänder. Valden überreichte ihr ein schmales kleines Messer in einer Scheide aus blauem Leder, die am Gürtel getragen wurde. Das beeindruckendste Geschenk stammte von Kasias Eltern – ein Festkleid aus hellgelbem Stoff mit silbernen Stickereien am Halsausschnitt, am Saum und an den Manschetten. Mehrere Schiffsführer hatten es von Burg Mardela in Nerat bis nach Tillek transportiert. Drei Tage vor Kasias Geburtstag traf es ein, und Lady Juvana hatte es so lange in ihrem Schrank versteckt.

»Du musst es heute Abend tragen«, beharrte Juvana.

»Nein, heute nicht«, widersprach Kasia und fuhr mit dem Finger die wunderschöne Stickerei entlang. »Ich hebe es mir für die nächste Versammlung auf.«

»Probiere es wenigstens an, damit wir sehen, wie es dir steht.«

»Später, jetzt nicht«, lehnte Kasia resolut ab und reihte ihre Geschenke ordentlich auf, ehe sie sich zum Mittagsmahl an den Tisch setzte. An diesem Tag gab es nur ihre Lieblingsgerichte.

»Alle machen so viel Aufhebens über einen Geburtstag«, meinte sie verlegen.

»Aber es ist dein Geburtstag«, betonte ihre älteste Nichte.

Robinton bekam kaum einen Happen hinunter. Endlich war das Mahl vorbei, und er konnte sich diskret in die Werkstatt zurückziehen. Nervös marschierte er in dem Raum auf und ab und wartete ungeduldig auf Kasia.

Als sie eintraf, wirkte sie sehr aufgeregt. »Ich konnte nicht eher kommen. Was hast du – oh

Ihm waren keine passenden Worte eingefallen, um das Geschenk zu überreichen, deshalb hatte er sich einfach vor die Harfe gestellt. Nun trat er zur Seite und deutete mit einer galanten Geste auf das Instrument.

»Ach, Robie …«

Die Art und Weise, wie sie seinen Namen aussprach, entschädigte ihn für die harte Arbeit, die er in den Bau der Harfe investiert hatte. Kasias Augen weiteten sich vor Staunen, dann füllten sie sich mit Tränen. Sie trat vor und strich mit einer Hand beinahe andächtig über den elegant geschwungenen Hals und die verzierte Baronstange, ehe sie vorsichtig ein paar Saiten anschlug.

»Ach!« hauchte sie noch einmal, als die ersten melodischen Töne erklangen.

Robinton brannte darauf zu sehen, wie sie die Harfe spielte, ihr Stimme verlieh. Ohne viel Federlesens zog er einen Stuhl heran, setzte Kasia darauf und hob die Harfe auf ihre Knie.

»Ach, Robie, so etwas Schönes habe ich noch nie gesehen. Die Harfe ist das wundervollste Geschenk, das ich in meinem Leben je bekommen habe. Sogar …« Sie brach ab. Er nahm an, sie hatte auf ein Geschenk von Merdine anspielen wollen. Ihr Blick huschte zu Robinton, und er lächelte ihr aufmunternd zu, obwohl sein Mund plötzlich trocken wurde und ein mulmiges Gefühl sich in seinem Magen breit machte.

Dann begann sie die Saiten der Harfe zu zupfen, wie er es sich so oft in seinen Träumen vorgestellt hatte. Die Harfe war exzellent gestimmt, und die Töne vibrierten klangvoll in der stillen Werkstatt. »Es ist nicht nur ein Geburtstagsgeschenk, nicht wahr, Rob?« Mit ihren sanften, meergrünen Augen sah sie ihn fragend an. Kein Schatten verbarg sich mehr in ihren Tiefen. Als er keine Antwort gab – weil er kein Wort heraus brachte, hakte sie freundlich nach: »Hat es meinem sonst so eloquenten Harfner plötzlich die Sprache verschlagen?«

Er schluckte und nickte heftig. »Absolut«, stieß er heiser hervor und breitete in einer hilflosen Geste die Arme aus. Zu seinem Verdruss bemerkte er, dass er sich wie ein Einfaltspinsel gebärdete.

Kasia strahlte ihn an. »Ach, Robie«, seufzte sie. »Habe ich mich nicht ständig bemüht, dir zu zeigen, wie sehr ich dich mag? Um in deiner Nähe zu sein, trotzte ich sogar Wind und Wellen auf einem Fischkutter.«

Endlich löste er sich aus seiner Starre und zog sie an sich. Sie legte ihre Arme um seinen Hals, grub die Finger in seinen dichten Haarschopf und zog sein Gesicht zu sich herunter. »Und jetzt wünsche ich mir einen Kuss von dir, Harfner Robinton. Aber einen richtigen, keinen höflichen Schmatz auf die Wange.«

Er küsste sie so leidenschaftlich, wie es sein Gefühl für Schicklichkeit gerade noch zuließ. Dann ergriff sie die Initiative, und ehe bei ihm Zweifel an seinen Qualitäten als Liebhaber aufkommen konnten, reagierte sie so ungezügelt auf seine Zärtlichkeiten, dass sie ihn mitriss. Später erinnerte ihn der Duft von Firnis und abgelagertem Holz immer wieder an diesen beseligenden Augenblick.

Während ihres zärtlichen Nachspiels vertraute Kasia ihm an, dass Juvana ihre Verbindung guthieß und ein Wort bei ihren Eltern einlegen wollte.

»Woher weiß sie von uns?« erkundigte sich Robinton. Es war ihm peinlich, dass Lady Juvana mit Kasia und vermutlich auch mit Lord Melongel über ihn sprach.

»Weil ich ihr unentwegt von dir vorgeschwärmt habe«, erklärte Kasia lächelnd.

Kasia war alt genug, um sich ihren Gemahl selbst auszusuchen, und ihre Eltern hatten sie nach Tillek geschickt, weil sich ihr dort eine größere Auswahl an möglichen Ehemännern bot – und dieser Ort nicht mit Erinnerungen an ihren verstorbenen Verlobten belastet war.

»Bin ich ein bisschen wie er?« wollte Robinton wissen. Diese Frage beschäftigte ihn schon seit langem.

Sie betrachtete ihn mit einem leisen Lächeln und zog mit dem Finger die Linie seines Mundes nach. »Ja und nein. Vom Aussehen her gleicht ihr euch gar nicht. Er war kleiner als du. Zwar sah er sehr gut aus, doch in deinem Gesicht liegt mehr Charakter. Du wirst mit zunehmendem Alter attraktiver werden … und ich muss dich vor dem Ansturm der anderen Frauen schützen.« Sie küsste ihn. »Merdine hatte ein sehr bestimmendes Wesen, aber als Schiffsführer muss er Kommandos geben, während ein Harfner sich eher auf seine Diplomatie verlassen sollte.«

»Findest du?«

»Nun ja, du besitzt beide Eigenschaften, Rob. Du kannst sehr energisch auftreten, wenn es darauf ankommt, aber du besitzt auch eine ganze Menge Takt und Feingefühl.«

Ihm kam ein Gedanke. »Haben deine Eltern auch nichts gegen einen Harfner als Schwiegersohn einzuwenden? Ich habe die Absicht, in den Rang eines Meisters aufzusteigen, aber mein Beruf bringt es mit sich, dass wir beide viel unterwegs sind.«

»Ein Schiffsführer ist doch auch nie zu Hause. Und ein Harfner ist längst nicht so vielen Gefahren ausgesetzt wie ein Seemann …« Sie brach ab. Der kummervolle Ausdruck trat wieder in ihre Augen.

»Du hast sicher Recht«, räumte er ein. Ihre leichtherzige Stimmung war wie verflogen.

»Es tut mir Leid, Rob.«

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Liebste.«

»Das ist es ja, was ich an dir so schätze, Rob. Dein Verständnis und deine Sensibilität. Merdine war kein einfühlsamer Mensch. Und ich finde, für eine gute Ehe ist es sehr wichtig, dass man Rücksicht auf die Gefühle des Partners nimmt.«

Sie hätten das Thema noch weiter verfolgt, doch draußen vor der Werkstatt erklangen Stimmen. Hastig richteten sie ihre zerdrückte Bekleidung und nahmen eine schickliche Pose ein. Robinton tat so, als würde er eine Saite an der Harfe neu einstellen. Die Stimmen wurden leiser, als die Leute an der Werkstatt vorbeigingen, doch der Zauber des Augenblicks war verflogen.

»Ich trage die Harfe«, erbot sich Robinton.

»Und dann gehen wir beide zu meiner Schwester und erklären ihr die Bedeutung dieses Geschenks«, bestimmte Kasia. »Obwohl sie keine Erklärung brauchen wird, sowie sie die wundervolle Harfe sieht.«

Juvana war entzückt und meinte, ein schöneres Geburtstagsgeschenk hätte Robinton Kasia nicht präsentieren können. Bis jetzt gäbe es noch keinen Harfner in der Familie, also wäre es höchste Zeit, dass ein Angehöriger dieses Berufsstandes in den Clan einheiratete.

»Melongel hat sich schon gefragt, wann du endlich um Kasias Hand anhalten würdest«, schloss sie.

»Und wie kam er darauf, ich könnte an ihr interessiert sein?« wunderte sich Robinton. Er hatte geglaubt, seine Gefühle unter Kontrolle zu haben.

»Ich gab ihm einen leisen Wink und erzählte ihm, meine kleine Schwester würde nur noch von dir reden. Melongel hat gegen diese Verbindung nichts einzuwenden.«

***

Melongel billigte das Bündnis von ganzem Herzen. Er wusste, dass Petiron aus dem Telgar-Clan stammte, und Merelan, die Meistersängerin von Pern, hätte wohl jeder gern in seiner Familie gehabt.

»Doch vor uns liegt noch der ganze Sommer«, gab Melongel zu bedenken. »Die arbeitsreichste Zeit für jeden Harfnergesellen.« Er setzte eine ernste Miene auf, denn für ihn kam die Erfüllung von Pflichten immer an erster Stelle. »Deshalb schlage ich vor, das Ehegelöbnis auf die Herbst-Tagundnachtgleiche zu verschieben. Heute Abend werden wir jedoch die Verlobung bekannt geben, damit es Robinton künftig erspart bleibt, mit den vielen jungen Burschen in Konkurrenz zu treten, die sich um einen Tanz mit seiner Kasia reißen.«

Melongel konnte Robinton nicht vor der Eifersucht und den Sticheleien schützen, mit denen die Ankündigung des Bündnisses quittiert wurde. Trotzdem machte die Verlobung manches leichter.

Auf Juvanas Drängen hin hatte Robinton seinen Eltern von seiner geplanten Heirat mit Kasia geschrieben.

»Mütter müssen über solche Dinge Bescheid wissen, Robinton«, sagte sie lächelnd. »Du bist alt genug, um dir deinen Ehepartner selbst auszusuchen, aber auch wenn du dich mit deinem Vater nicht gut verstehst, solltest du ihn in dein Leben einbeziehen.«

Verdutzt blickte Robinton sie an. Seinen Vater hatte er niemals erwähnt.

»Genau das ist es ja, Rob«, wandte Kasia freundlich ein. »Du sprichst nie über Petiron. Dafür erzählst du unentwegt von deiner Mutter.«

»Das ist doch wohl übertrieben«, erwiderte er lahm. »Glaubt bitte nicht, dass ich Petirons Musik nicht zu schätzen wüsste …«

»Siehst du!« trumpfte Juvana auf. »Für dich ist er nicht dein Vater, sondern Petiron.« Sie brach ab, als sie seine erschrockene Miene sah. »Das ist sehr aufschlussreich für die, die nur dein Bestes wollen, Rob. Im übrigen finde ich auch, dass dein Vater ein hervorragender Komponist ist. Allerdings sind es deine Lieder, die jedermann singt oder spielt.«

Darauf fiel Robinton keine passende Antwort ein. Er war peinlich berührt, wie sehr er seine innersten Gefühle verraten hatte, und das nur, indem er über bestimmte Dinge schwieg.

Kasia versuchte, die Situation ein wenig aufzulockern. »Ich kann verstehen, dass es jedem Harfner schwer fallen muss, einem so berühmten Komponisten wie Petiron nachzueifern.«

»Und wenn schon«, fiel Juvana ein. »Mir ist Musik, die ich summen oder pfeifen kann, allemal lieber als diese … diese manierierten, hochtrabenden Werke.«

Robinton unterdrückte ein nervöses Lachen.

»Wenn ich Petiron kennen lerne«, fuhr Kasia fort, »werde ich betont höflich zu ihm sein. Und deine Mutter ist ein sehr gütiger, warmherziger Mensch.«

Robinton starrte sie an. »Wie kommst du darauf? Kennst du sie etwa?«

»Ich habe sie singen hören. Und ihr liebes Gesicht verrät einem, dass sie eine sympathische Frau sein muss.« Sie umarmte ihn und gab ihm einen Kuss, ehe sie sich dicht an ihn schmiegte. Er nahm ihre Hand in die seine.

»Ob ich mir die Erlaubnis des Meisterharfners einholen sollte?« überlegte er laut.

»Du bist Geselle«, erwiderte Juvana achselzuckend. »Der Burgherr, bei dem du unter Vertrag stehst, hat dem Bündnis zugestimmt, und die Verlobung wurde bereits offiziell verkündet. Trotzdem wäre es angebracht, Meister Gennell zu informieren.«

»Am liebsten würde ich es in die ganze Welt hinausposaunen«, entgegnete Robinton und strahlte Kasia an. Noch immer konnte er es nicht recht fassen, dass er der Glückliche war, den sie auserwählt hatte. Und in diesem Moment kam ihm die Inspiration zu einem Musikstück, mit dem er seiner Hochgestimmtheit Ausdruck verleihen konnte. »Sonate an meergrüne Augen« wollte er es nennen.

»Als Kasias Schwester und deine Burgherrin erwarte ich von euch, dass ihr euch mit allen Problemen, die euer zukünftiges gemeinsames Leben betreffen, an mich wendet«, erklärte Juvana. »Ich habe es bereits mit Kasia besprochen, und sie wird empfängnisverhütende Mittel nehmen, bis ihr soweit seid, euch Kinder anzuschaffen.«

Robinton wurde rot. Er und Kasia hatten nicht über die möglichen Folgen ihrer Zärtlichkeiten nachgedacht, und er fand, sie seien in dieser Hinsicht sehr leichtsinnig gewesen.

Aber Juvana hatte ihnen noch mehr zu sagen. »Ich schlage vor, ihr solltet die nächsten Jahre noch kinderlos bleiben und zuerst eure Partnerschaft festigen.« Sie bediente sich eines sachlichen, nüchternen Tonfalls, und Robinton wusste, dass sie Recht hatte. »Ihr seid beide noch sehr jung. Nehmt euch mit der Familiengründung Zeit. Und wie ich Kasia bereits sagte, bin ich bereit, eure künftigen Kinder in meinen Haushalt aufzunehmen, solltet ihr aus beruflichen Gründen nicht dazu in der Lage sein, an einem bestimmten Ort sesshaft zu werden.«

Robinton stotterte ein paar Dankesworte angesichts dieses großzügigen Angebots. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ihm diese Ehre zuteil würde. Normalerweise kümmerten sich die Großeltern um die Nachkommenschaft, wenn die Eltern verhindert waren, oder gute Freunde sprangen ein. Ein Kind nach Tillek in Pflege zu geben, war ein Privileg ohnegleichen.

»Es klingt sehr verlockend, Juvana«, entgegnete er, sowie er einen klaren Gedanken fassen konnte. »Aber ich möchte ein so guter Vater sein, dass meine Kinder sich überall dort wohlfühlen, wo ich bin. An Liebe und Aufmerksamkeit soll es ihnen nicht fehlen.«

Juvana blickte ihn versonnen an. »Ja, aus dir wird einmal ein guter Vater, Robinton. Davon bin ich fest überzeugt. Ich habe gesehen, wie geduldig du die schwächeren Schüler unterrichtest. Und manche Rangen sind so frech, dass ich lieber in einem lecken Boot auf See wäre, anstatt mich ihren dummen Streichen auszusetzen.«

Kasia lachte. »Juvana wird bereits seekrank, wenn sie ein schaukelndes Boot nur anschaut.«

Robinton seufzte. »Ich wusste gar nicht, was man alles bedenken muss, wenn man heiratet.«

»Dafür gibt es ja weise Frauen wie mich, die euch jungen Eheleuten mit Rat und Tat zur Seite stehen«, gab Juvana mit einer Spur Hochnäsigkeit zurück. »Eure Hochzeit soll also zur Herbst-Tagundnachtgleiche stattfinden. Unsere Eltern werden wohl nicht zur Feier kommen können …«

»Wenn es ihnen nichts ausmacht, auf einem Drachen zu reiten, kann ich für ihren Transport sorgen«, fiel Robinton ihr ins Wort. Dabei war er froh gewesen, dass seine zukünftigen Schwiegereltern im weit entfernen Nerat wohnten und ein Zusammentreffen höchst unwahrscheinlich schien. Doch dann schalt er sich für seine Feigheit, und er verließ sich auf Juvanas und Kasias Zusicherung, man würde ihn freudig in den Schoß der Familie aufnehmen.

»Kannst du das wirklich?« staunte Juvana.

»O ja, liebe Schwester.« Stolz sah Kasia ihren Verlobten an. »Rob und seine Mutter weilten einmal eine Zeit lang in Benden, und seitdem ist er mit dem Bronzereiter F'lon befreundet, dessen Drache Simanith heißt.«

»Na so was! Und wie praktisch!«

»Du hast nichts gegen Drachenreiter einzuwenden?«

»Wer wäre so töricht und unvernünftig, einen Drachenreiter nicht zu tolerieren?« fragte Juvana.

Robinton dachte an Fax. Und gelegentlich wurde er mit der Ansicht konfrontiert, die Weyr und ihre Drachenreiter seien ein überflüssiger Ballast für die Gesellschaft und hätten ihre Nützlichkeit längst verloren. Allerdings waren es meistens recht ungebildete Leute, die diese Meinung vertraten.

»Ich werde nachfragen, ob F'lon die Beförderung übernimmt. Und eine Einladung zu unserer Hochzeit schlägt er sicher nicht aus.«

»Unsere Eltern werden es genießen, eine Reise auf dem Rücken eines Drachens zu unternehmen«, versicherte Juvana. »Ich habe gehört, es soll sehr aufregend sein. Stimmt das, Rob?«

Robinton ließ sich nicht lange bitten und stürzte sich in ausführliche Schilderungen seiner eigenen Erlebnisse mit Drachen.

***

Er und Kasia genossen die nächsten zwei Siebenspannen, ehe seine Pflichten als Harfner sie wieder trennten. Es ging auf den Sommer zu, das Wetter besserte sich, und die Tage wurden länger. Die Gesellen mussten die entlegenen Siedlungen aufsuchen und die Lehrballaden verbreiten. Mumolon und Ifor waren nicht so gut beritten wie Robinton mit seinem Renner aus der Zucht von Ruatha, deshalb übernahm er freiwillig die weitesten Wege.

»Wenn mein Reittier schneller ist und eine weichere Gangart hat als eure Zossen, gehört es sich einfach, dass ich die längeren Strecken abreite«, erklärte er. Unterwegs arbeitete er an seiner Sonate. Bis jetzt hatte er nur die Eröffnungstakte niedergeschrieben, und die Melodie, die in seinem Kopf Gestalt annahm, gab ihm keine Ruhe.

»Ich werde nicht dagegen protestieren«, entgegnete Mumolon.

»Aber dann bist du ein paar Tage mehr von deiner Kasia getrennt«, hänselte Ifor ihn.

Robinton verbiss sich eine scharfe Bemerkung und sagte sich, dass Kasia jetzt für die anderen interessierten Bewerber tabu war. Er zwang sich zu einem Lächeln und nahm sich vor, sich nicht mehr über die Sticheleien zu ärgern. Dann begab er sich in sein Quartier und hielt die nächsten Takte der Sonate auf einem Stück Pergament fest.

Ehe er zu seiner Runde aufbrach, erhielt er einen langen und begeisterten Brief von seiner Mutter. Sie schrieb, sie freue sich über die gute Nachricht, verlangte ein Bild von Kasia und wollte so viele Details über sie wissen, dass Robinton seiner Verlobten vorschlug, sie solle das Antwortschreiben an Merelan abfassen.

Kasia fing sofort an zu schreiben und fügte dem Brief ein Porträt bei, das Marlifin von ihr zeichnete. Meister Gennell gratulierte ihnen zu ihrem Verlöbnis und trug sich mit dem Gedanken, Merelan nach Tillek zu begleiten, damit sie auch wohlbehalten und sicher dort ankäme. Petiron hüllte sich in Schweigen, was niemanden verwunderte.

Kasias Eltern, Bourdon und Brashia, äußerten sich positiv über die Verbindung und nahmen die Einladung zu einem Ritt auf einem Drachen gern an.

Und endlich schickte F'lon eine getrommelte Nachricht, in der er mitteilte, dass er den Transport übernehmen würde.

Nach einem liebevollen und ausgedehnten Abschied von Kasia ritt Robinton in Richtung Nordosten zum Piro Fluss, der Tillek von dem Gebiet trennte, das zur Burg Hochland gehörte. Von dort aus überquerte er die Ebene und gelangte an den Greeney Fluss, dessen Lauf er folgte. Längs der Ufer gab es etliche neue Festungen, die buchstäblich aus dem Boden zu schießen schienen. Jedenfalls äußerten sich so die bereits seit längerem in diesem Gebiet ansässigen Grundbesitzer.

Die Tour dauerte bis in den Herbst hinein, wenn die Nächte kühler und die Tage merklich kürzer wurden. Gelegentlich erhielt Robinton durch Kuriere Briefe von Kasia, die er jedes Mal sogleich beantwortete und in den meisten Fällen demselben Eilläufer mitgab.

Ermüdet von einem langen Ritt war Robinton dankbar, als er eine Bergfestung gleich unterhalb der Grenze zum Hochland erreichte. Er blieb vier Tage dort und unterrichtete die Kinder, die anfangs scheu waren, aber nach und nach auftauten, als er ihnen die Lehrballaden beibrachte und zur Abwechslung lustige Weisen mit ihnen sang. Mit diesen Scherzliedern hatte er schon manchem schüchternen Schüler die Hemmungen genommen.

An seinem letzten Abend ging Chochol, der Pächter, mit ihm hinaus, um das Aufgehen der beiden Monde zu beobachten. Dazu tranken sie den herben TillekWein.

»Ein paarmal kann so etwas vorkommen, Harfner«, raunte Chochol mit seiner rauen Stimme so leise, dass niemand sie belauschen konnte. »Darüber würde ich mir überhaupt keine Gedanken machen. Jeder überwirft sich mal mit seinem Burgherrn. Aber bis jetzt trafen acht Gruppen bei uns ein, und die Leute waren so verängstigt, dass sie sich vor ihrem eigenen Schatten fürchteten. Manche hatten Verletzungen, und die ansehnlichsten Frauen waren schändlich misshandelt worden.« Er schwieg eine Weile, auf Details verzichtend. »Man hatte ihnen auf gemeinste Weise Gewalt angetan.« Zur Bekräftigung nickte er mit dem Kopf. »Ein paar Frauen waren sich sicher, dass Lord Faroguy tot sein müsse, weil zu seinen Lebzeiten solche Gräuel nie hätten passieren können. Mein Eheweib hat es mit der Angst gekriegt. Ich sage ihr dauernd, dass wir zu Tillek gehören, wo Lord Melongel das Sagen hat, und der ist ein gerechter Herr. Und so weit sind wir noch nicht gekommen, dass sich jemand mit brutaler Gewalt Land aneignet, das seit Menschengedenken im Besitz ein und derselben Sippe ist.«

Bei diesen Worten lief es Robinton eiskalt über den Rücken.

»Um meine Frau zu beruhigen, habe ich uns ein Stück weiter weg eine Hütte gebaut«, fuhr er fort und deutete mit seiner schwieligen Hand in eine bestimmte Richtung. »Dorthin können wir uns flüchten, falls doch jemand kommt, der es nicht gut mit uns meint. Aber ich muss schon sagen, das, was sich im Hochland abspielt – ob mit oder ohne Lord Faroguys Wissen – gefällt mir ganz und gar nicht.«

»Mir gefällt es ebensowenig, Chochol. Und sei versichert, dass ich Lord Melongel darüber berichten werde.«

An diesem Abend schrieb Robinton nicht an seiner Sonate weiter, denn die Lust zum Komponieren war ihm vergangen. Er hatte Chochol gefragt, ob die missbrauchten Frauen die Namen ihrer Peiniger genannt hätten, und wohin sie gegangen seien. Aber Chochol hatte sie nicht nach näheren Einzelheiten gefragt, und die Frauen waren nicht sehr gesprächig gewesen. Er brachte sie lediglich zu dem Weg, der längs des Flusses ans Meer führte, und gab ihnen an Proviant mit, was er entbehren konnte.

In den meisten Nächten verbrauchte Robinton jedoch eine Menge Leuchtkörbe, wenn er seine Sonate komponierte. Er schrieb auch andere Musikstücke an Kasia, Liebeslieder, die ihm auf seinen ausgedehnten Ritten durch einsame Landstriche einfielen. Es handelte sich um private Lieder, ausschließlich für sie beide gedacht, die sie auf ihrer neuen Harfe spielen konnte.

Er vollendete seine Sonate, ehe er zur Herbstversammlung und ihrer Vermählung nach Tillek zurückkehrte.

***

Kasia begrüßte ihn so herzlich, dass sie die ganze Nacht lang zusammenblieben. Eine Wonne für den jungen Harfner, der des Reisens überdrüssig war und seine Angebetete viel zu lange vermisst hatte.

Sie unterhielten sich und tauschten Zärtlichkeiten aus. Hauptsächlich sprachen sie von ihrer gemeinsamen Zukunft. Hin und wieder schilderte er ihr ausführlich bestimme Erlebnisse, die er in seinen Briefen nur angedeutet hatte. Denn meistens hatte er von seinen Sehnsüchten und seiner Liebe zu ihr geschrieben, und Kasia beteuerte, dass sie seine Briefe hüten würde wie einen kostbaren Schatz. Das Abenteuer mit der Mauer war für die Kuriere, die auch geflissentlich Klatsch weitertrugen, ein wahrer Leckerbissen gewesen.

»Diese Geschichte wird mir wohl mein Leben lang anhängen«, meinte er und wickelte eine Strähne ihres dichten schwarzen Haares um seinen Finger.

»Was stört dich daran, Rob?« Sie kicherte. »Sie verdeutlicht doch deine Fähigkeiten als Schlichter.«

»Na ja, ich musste doch die in mich gesetzten Erwartungen erfüllen«, erwiderte er.

»Du hast ausgezeichnete Arbeit geleistet, sagt Melongel.«

Er seufzte. »Hoffentlich stimmt das. Jede Siedlung, in die ich kam, schien irgendein uraltes Problem zu haben, das offenbar nur ich zu lösen vermochte.«

»Und wie ich dich einschätze, hast du jeden Streit zur allseitigen Zufriedenheit beigelegt.«

»Wie kannst du so sicher sein?«

»Weil ich dich kenne, Rob. Du bist scharfsichtig, hast einen klugen Kopf und kannst überzeugend reden.« Sie küsste ihn auf den Mund und beendete damit die Diskussion.

Als er am nächsten Tag gähnend und geistesabwesend durch die Festung ging, erntete er von allen Seiten verständnisvolle und freundliche Blicke.

Während seiner Unterredung mit Lord Melongel erwähnte er, was Chochol ihm erzählt hatte. »Eine sehr gut geführte Bergfestung. Der Pächter heißt Chochol«, begann er, ehe er mit den beunruhigenden Nachrichten herausrückte.

Melongel warf einen Blick auf die Landkarte und nickte, als er den Ort gefunden hatte.

»Er hat ein paar Flüchtlingen aus dem Hochland Obdach gewährt, ehe sie in Richtung Tillek weiterzogen.«

»Tatsächlich?«

Robinton rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. Er wollte keinen unnötigen Alarm schlagen, gleichzeitig musste er seine Befürchtungen offen und ehrlich zum Ausdruck bringen. »Ich bekleidete drei Planetenumläufe lang im Hochland die Stelle eines Harfners. Für Lord Faroguy hege ich den allergrößten Respekt. Das letzte Mal sah ich ihn, als er in Burg Benden weilte, um über Lord Raids Eignung als Burgherr abzustimmen, und bei der Gelegenheit fiel mir auf, wie krank er aussah.«

Melongel nickte zustimmend. »Hmm. Ich hab's auch bemerkt.«

»Nun ja, möglicherweise ist Lord Faroguy mittlerweile gestorben, und wir sind nicht davon in Kenntnis gesetzt worden.«

Erschrocken blickte Melongel ihn an. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«

»Ich offen gestanden auch nicht, aber Chochol schloss es nicht aus, weil viele der Flüchtlinge, die er aufnahm, zu Anverwandten nach Tillek wollten. Und dort auch zu bleiben gedachten.«

Melongel furchte die Stirn. »Ein paar meiner Pächter haben um eine Verringerung ihrer Tributzahlung gebeten, weil sie für Angehörige zu sorgen hätten, die von ihnen abhängig seien.« Er stöberte in einem Stapel von Häuten. »Ich wusste natürlich nicht, aus welchen Gründen die Familien auf einmal größer waren, und hatte auch keine Ahnung, dass die Neuzugänge aus dem Hochland stammten.«

Robinton räusperte sich. »Die Frauen erzählten dem Pächter Chochol, man hätte sie aus ihren Wohnstätten vertrieben. Und die jungen, hübschen Weibsbilder seien vergewaltigt worden. Sie glauben, solche Abscheulichkeiten könnten nur geschehen, wenn Lord Faroguy nicht mehr lebte.«

Melongel fixierte Robinton mit einem durchdringenden Blick. »Glaubst du, dass Chochol die Wahrheit sagt?«

»Ja. Zufällig weiß ich, dass es im Hochland einen sehr ehrgeizigen jungen Mann gibt, der auf jeden Fall versuchen wird, nach der Macht zu greifen … wenn Lord Faroguy stirbt.«

»Hat dieser ehrgeizige junge Mann einen Namen?«

Der Ausdruck in Melongels Augen verriet Robinton, dass er die Antwort bereits kannte.

»Fax.«

»Faroguys Neffe?« Melongel schaute an Robinton vorbei ins Leere. »Ich denke, ich sollte Faroguy zu unserer nächsten Versammlung einladen. Da du bei ihm gedient hast, möchte er vielleicht gern kommen.«

Etwas Besseres hätte sich Robinton gar nicht wünschen können. Chochols Bericht hatte die ärgsten Befürchtungen in ihm geweckt.

»Da ist es ja!« Melongel fischte ein Stück Pergament aus dem Stapel und überflog den Text. »Mal sehen, was ich feststellen kann. Zwei dieser Pächter, die Verwandte bei sich aufgenommen haben, wohnen in der Nähe.« Er faltete die Hände über seinem Bauch und senkte kurz den Blick. Dann sah er Robinton wieder an und lächelte. »Du hast sehr gute Arbeit geleistet, Robinton. Ich kenne diesen Neffen, und offen gestanden kam er mir auch recht ehrgeizig vor. Was glaubst du – ist Farevene ihm gewachsen?«

Robinton räusperte sich und suchte nach ehrlichen Worten, ohne Farevene herabzusetzen. »Nun ja, wenn es hart auf hart kommt, würde ich nicht unbedingt auf Farevene setzen.«

»Ich übrigens auch nicht. Aber ich weiß, dass Farevene ausgebildet wurde, die Nachfolge seines Vaters anzutreten. Und für Fax als neuen Burgherrn werde ich ganz gewiss nicht stimmen.«

Robinton atmete erleichtert auf.

Melongels Lächeln vertiefte sich. »Und nun geh, Robinton. Ich weiß, dass du deine Zeit lieber mit Kasia verbringen möchtest, ihr wart ja lange genug getrennt. Da wäre noch etwas. Am Tag der Versammlung wirst du mit mir und Minnarden die Gerichtsverhandlung leiten.«

Innerlich stöhnte Robinton – wieder einmal hing ihm das Ereignis mit der Mauer nach, obwohl ihm soeben eine große Ehre zuteil geworden war. Minnarden freute sich, wie eifrig er die Charta studierte und sich mit dem System der Schlichtung und Rechtsprechung befasste. Bei der Versammlung würde er zum ersten Mal als Richter tätig werden – bis jetzt hatte sich seine Einmischung in Rechtsstreitigkeiten auf eine Vermittlerrolle beschränkt. Kasia würde stolz auf ihn sein, auch wenn ihm die Tätigkeit bei Gericht keine Freude bereitete.

»Es dauert sicher nicht lange, Rob, und am Nachmittag kann dann wie geplant eure Vermählung stattfinden.«

Mit einem freundschaftlichen Schulterklopfen verabschiedete sich Melongel von ihm.

***

»Du sollst zu Gericht sitzen? Ach, Rob, was für eine hohe Auszeichnung!« rief Kasia und bekam große Augen. »Melongel scheint dich ja wirklich zu mögen.«

»Auf diese Beschäftigung kann ich gut verzichten«, grollte Robinton, ernsthaft verstimmt. »Den ganzen Vormittag muss ich mir die Tiraden irgendwelcher Störenfriede anhören und Strafen für Bagatellvergehen festlegen.«

»Dann hast du wenigstens deine Nervosität abreagiert, wenn wir am Nachmittag heiraten«, neckte sie ihn.

»Ha! Sie wird höchstens noch schlimmer, wenn ich stundenlang mit Halbwahrheiten und falschen Alibis konfrontiert bin.« Er zog sie in seine Arme und küsste sie. Derart abgelenkt, kam er wieder nicht dazu, ihr von seiner Sonate an meergrüne Augen zu erzählen.

Doch je länger er dies hinausschob, umso weniger Zeit blieb, sie vor dem Hochzeitstag zu proben. Und auf einmal befielen ihn Zweifel, ob das Werk überhaupt gut genug war. Eine so ernste Musik hatte er noch nie geschrieben. Vielleicht überschätzte er sein Talent. Aber jedes Mal, wenn er die Noten im Geist hörte, überkam ihn eine euphorische Stimmung, die sich in dem furiosen Finale zu einer regelrechten Ekstase steigerte. Es glich einem Liebesakt. Und genau das sollten die Zuhörer empfinden – das Crescendo als einen erlösenden Orgasmus auffassen.

Am Tag vor der Versammlung traf seine Mutter mit Meister Gennell ein. Im allgemeinen Begrüßungstrubel dauerte es ein Weilchen, bis er mit seiner Mutter allein sprechen konnte. Er war beunruhigt, weil die lange Reise sie ziemlich entkräftet hatte.

»Ich konnte nicht anders, zu deiner Vermählung musste ich hier sein!« beschied sie ihn energisch. »Dein Vater hat eigens für dich und Kasia ein kurzes Musikstück geschrieben, das ich singen werde.«

»Tatsächlich?« Robinton war über alle Maßen verblüfft, als seine Mutter ihm das Notenblatt reichte.

»Es ist nicht in seinem üblichen Stil gehalten. Mir scheint, das Alter stimmt deinen Vater allmählich milder.«

Robinton merkte sofort, dass diese Musik in der Tat angenehm, geradezu erquicklich war. Und gemessen an seinen sonstigen Kompositionen haftete ihr eine Schlichtheit an, die ans Herz rührte.

»Minnarden wird mich begleiten, da du ja anderweitig beschäftigt bist …« Merelan umarmte ihn stürmisch. »Deine Kasia gefällt mir, und sie liebt dich aufrichtig. Du wirst sehr glücklich mit ihr werden, das weiß ich.«

»Ich bin jetzt schon glücklich«, erwiderte er mit verschämtem Lächeln. »Mutter, ich habe ein Musikstück geschrieben, das du dir unbedingt ansehen musst.«

»Wie in alten Zeiten?« Sie wartete, während er in einer Schublade nach der Sonate kramte. »Ich bin beinahe eifersüchtig, weil jetzt andere Leute deine Kompositionen zuerst begutachten dürfen.«

»Aber ich schicke dir immer …«

»Natürlich, Junge, aber es hat mir Spaß gemacht, deine Musik …« Sie hatte die Partitur aufgerollt und las die ersten Takte. Dann fing sie an zu summen. Den Kopf schräg geneigt, schritt sie im Zimmer auf und ab, während sie halblaut sang und eine Hand im Takt der Tempi bewegte.

Sein Herz krampfte sich zusammen, als er seiner Mutter zuschaute. Zum Glück war er in sein neues Quartier gezogen, das im Obergeschoss der Burg lag. Die Wohnung umfasste zwei Räume mit einem kleinen Bad. Es würde seiner Mutter gut tun zu sehen, dass er es bequem hatte.

Jählings blieb Merelan stehen, blickte ihren Sohn nachdenklich an und griff nach seiner Gitarre.

Das Stück war arrangiert für eine Erste Geige oder Gitarre, Harfe, Flöten und Trommel. Die Sonate bestand lediglich aus drei Sätzen. Auf einen vierten Satz hatte er verzichtet – was sein Vater unverzeihlich gefunden hätte – aber er fand, mit dem Allegro, Adagio und Rondo habe er alle Gefühle, die er zum Ausdruck bringen wollte, erschöpfend behandelt. Ein Scherzo hätte nur gestört.

Nachdem seine Mutter die letzten Takte gesungen und gespielt hatte, schwieg sie eine geraume Zeit lang. Dann blickte sie ihn mit Tränen in den Augen an.

»Ach, Robie, das ist die schönste Musik, die du je geschrieben hast. Was sagt Kasia dazu? Ich weiß natürlich, dass die Sonate an sie gerichtet ist.«

Robinton schluckte. »Sie kennt sie noch gar nicht. Ich war mir nicht sicher, ob sie wirklich so gut ist.«

»Meine Güte, Robie!« Mit einer ärgerlichen Geste legte seine Mutter die Gitarre auf den Tisch zurück. »Du hast kein einziges Stück geschrieben, das man als schlecht bezeichnen könnte, und diese Komposition ist ein wahres Meisterwerk! Wieso diese plötzliche Unsicherheit? Du sagst, Kasia spielt Harfe. Nun, ein romantischeres Stück als diese Sonate habe ich noch nie gehört. Sie ist sogar noch besser als …« Sie brach ab und biss sich auf die Lippe. »Nein, es gibt keinen Vergleich. Du besitzt eine viel sensiblere Seele, mein Sohn.« Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich. »Wenn du ihr die Sonate nicht noch heute zeigst …«

»Dazu fehlt mir die Zeit, Mutter. Der heutige Tag ist bald zu Ende.« Er erwiderte ihre Umarmung, atmete den zarten Duft ein, der von ihrer Kleidung ausging, und wunderte sich, wie gleich sich die beiden Frauen anfühlten, wenn er sie in den Armen hielt.

»Dann musst du dich halt beeilen«, bestimmte Merelan. »Sie wird ungehalten sein, wenn du ihr das Stück so lange vorenthältst, es sei denn, du bist gerade erst damit fertig geworden.«

»O nein. Ich hab's bereits im Sommer geschrieben.«

»Na so etwas!« schimpfte sie. »Wenn du dir wegen seiner Qualität solche Sorgen machtest, warum hast du es mir dann nicht zur Prüfung geschickt? Ich hätte deine Bedenken zerstreuen können.«

Beide wussten, wieso er dies nicht getan hatte, doch nach dem positiven Urteil seiner Mutter fühlte er sich wieder zuversichtlich. Und auf ihre ehrliche Meinung konnte er sich verlassen, auch wenn er ihr Sohn war.

»Gibt es eine Kopie davon, Rob? Meister Gennell wird sich dafür interessieren. Die Sonate ist so herrlich lyrisch. Der Inbegriff von Romantik. Genau das richtige Musikstück für eine Vermählung. Ach, Robinton, ich bin ja so froh, dass ich dich habe.« Jählings schlug ihre Stimmung um. »Jetzt fühle ich mich sehr erschöpft. Begleitest du mich in mein Quartier? Allein würde ich mich bestimmt verlaufen.«

***

Nachdem er seine Mutter in das Gästequartier gebracht hatte, wollte er selbst zu Bett gehen. Es war spät, und morgen erwartete ihn ein ereignisreicher Tag. Er zog sich aus und machte es sich auf dem breiten Ruhelager bequem, das er demnächst mit Kasia teilen würde. Für ein Nachtgewand war es viel zu warm, und er dachte bei sich, dass er fortan nur noch nackt schlafen sollte, um Kasias weiche Haut an seinem Körper voll auszukosten. Er atmete tief durch und stellte nach einer Weile fest, dass er zum Einschlafen viel zu aufgekratzt war.

Er schlug die leichte Felldecke zurück und stand wieder auf. Seine neue Garderobe für die Vermählung hing an der Schranktür. Mit der Hand strich er über den feinen Brokat, den Clostan für ihn ausgesucht hatte. Es war wirklich ein schöner Anzug, der tadellos an ihm saß.

»Wieso muss ein Harfner in ausgebeulten Sachen herumlaufen?« hatte Clostan zynisch gefragt, als sich Robinton in der Halle der Tuchmacher für das erstbeste Gewand, das ihm passte, entscheiden wollte. Der Meisterheiler war so groß wie Robinton, hatte dunkles Haar und schöne Gesichtszüge. Seine langen, schmalen Hände konnten die schlimmsten Wunden nähen und die kompliziertesten Knochenbrüche richten. Seit sieben Planetenumläufen wirkte Clostan in Tillek. Er stand im Range eines Meisters, denn die Festung brauchte einen erstklassigen Mediziner. Clostan war darauf spezialisiert, die für eine Fischereisiedlung typischen Verletzungen zu behandeln.

»Beim Ersten Ei, Mann, warum legst du so wenig Wert auf dein Äußeres? Dabei hast du breite Schultern, ein schmale Taille und lange Beine. Du musst deine Vorzüge betonen, zeigen, was du hast.« Clostans Beinkleider lagen so eng an, dass es beinahe die Grenzen der Schicklichkeit überschritt. »Besonders am Tage deiner Hochzeit. Die anderen Mädchen sollen sehen, was ihnen entgangen ist, und Kasia wird stolz auf dich sein.«

»Weil ich ein Angeber bin?« versetzte Robinton leicht pikiert.

»Dich wird niemand für einen Angeber halten, Rob«, hatte Clostan erwidert und dazu leicht den Kopf geschüttelt. Er lächelte, dass seine ebenmäßigen weißen Zähne blitzten. Dann wurde er wieder ernst und prüfte die verschiedenen Stoffe, die der Schneider ihnen vorlegte. Er hielt die Muster gegen Robintons Gesicht, um zu sehen, wie sich die Farben mit seinem Teint vertrugen. Durch die Herumreiserei während des ganzen Sommers war Robinton von der Sonne gebräunt. »Hmm, ja. Ich weiß, was Kasia trägt, und ihre Farben müssen wir berücksichtigen. Die Töne dürfen sich auf gar keinen Fall beißen. Hmm. Dieser rostbraune Brokat wäre nicht schlecht …«

»Brokat?« Robinton war entsetzt. Er geizte mit seinen Marken, und er hatte nur so viel Geld dabei, wie er für den neuen Anzug eingeplant hatte. Aber Brokat … »Na ja, zu deiner Hochzeit musst du schon etwas Besonderes anhaben, oder?« kanzelte Clostan ihn ab. »Sieh es mal so«, fuhr er einlenkend fort. »Ein Gewand aus einem wirklich hochwertigen Material kannst du immer wieder zu Versammlungen anziehen.« Er rieb den Stoff zwischen den Fingern und zog dann an beiden Enden, um die Robustheit zu demonstrieren. »Du braucht dir nicht ständig etwas Neues zu kaufen, und hast im Grunde noch gespart. Gute Bekleidung ist eine Kapitalanlage.«

»Und wie man sieht, befolgst du deinen eigenen Rat.«

Clostan lächelte süffisant. »Genau. Aber ich treffe immer eine kluge Wahl, und ich besitze für jede Gelegenheit und jedes Wetter die passende Garderobe. Außerdem erfreut es meine Patienten, wenn ihr Heiler einen erquicklichen Anblick bietet.«

Halbwegs überzeugt, und weil er sich vor Kasia schließlich nicht blamieren durfte, hielt Robinton sich den rostbraunen Brokat gegen die Wange und betrachtete sich im Spiegel. Die Farbe schmeichelte wirklich seinem Teint.

»Du wirst deinen Entschluss nicht bereuen«, behauptete Clostan. »Und wenn du schon mal dabei bist, dich neu einzukleiden, könnten ein paar neue Hemden auch nicht schaden. Du hast nur drei.«

Robinton streckte die Arme aus, damit der Schneider Maß nehmen konnte. Er überlegte, ob er Clostan für seine dreiste Einmischung maßregeln sollte, doch dann fing er an zu lachen. Er erkannte das Komische an der Situation.

»Und was du dringend benötigst, sind neue Hosen. Deine sind schrecklich fadenscheinig – noch dazu an peinlichen Stellen, weil du so häufig im Sattel gesessen hast.« Clostan zeigte auf Robintons Hinterteil.

Robinton sah ein, dass Clostan Recht hatte, und bestellte beim Schneider ein paar Hemden und gleich zwei neue Hosen. Eine aus Leder, das beim Reiten nicht so schnell durchscheuerte. Insgeheim hatte er die Beinkleider aus weich gegerbtem Leder bewundert, die Mumolon und Ifor trugen.

Als er zur ersten Anprobe zurückkehrte, war er mit dem Ergebnis sehr zufrieden und bestaunte sich in dem langen Spiegel. Die Sachen saßen so vortrefflich und trugen sich so bequem, dass er es bereute, nicht schon eher eine maßgeschneiderte Garderobe besessen zu haben. Aber früher war ihm sein Aussehen ziemlich gleichgültig gewesen. Auf Versammlungen hatte er sich an den Ständen mit Bekleidung einfach etwas ausgesucht, was ihm einigermaßen passte und preiswert war.

Er war Clostan so dankbar, dass er ihm einen Schlauch mit erstklassigem Benden-Wein schenkte.

»Sei bedankt«, sagte Clostan und nahm das Geschenk erfreut an. »Der einzige Nachteil an dieser Burg sind die sauren Weine.« Eine Meinung, die Robinton voll und ganz mit ihm teilte.

***

In der Erinnerung an diese Episode musste er lächeln. Er öffnete den Leuchtkorb über dem neuen Arbeitstisch, den Kasia und er für ihr neues Heim ausgesucht hatten. Dann schickte er sich an, die Sonate für seine Mutter zu kopieren. Vielleicht bekäme Petiron sie zu Gesicht. Viel konnte er an diesem Werk nicht auszusetzen haben, denn sie war im klassischen Stil geschrieben. Doch als seine Finger nur so über das Pergament flogen, setzte die Ernüchterung ein. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Petiron irgendetwas lobenswert fand, das sein Sohn komponiert hatte.

Zum Schluss prüfte er, ob ihm beim Abschreiben kein Fehler unterlaufen war, und überlegte, wie Kasia wohl reagieren würde, wenn sie die Sonate zum ersten Mal hörte. Wenn sie nur halb so begeistert wäre wie seine Mutter … Er schenkte sich ein Glas Wein ein, wanderte im Zimmer auf und ab und trank im Gehen ein paar Schluck. Dann setzte er sich wieder an den Tisch und begann, seine anderen Lieder an Kasia zu kopieren. Seiner Mutter würden sie gewiss gefallen. Vielleicht nahm sie ein paar davon sogar in ihr Repertoire auf.

Beim Arbeiten kostete er immer wieder von dem Wein. Schließlich rollte er die Blätter zusammen und verschnürte sie vorsichtig mit einer Kordel. Dieses Päckchen wollte er seiner Mutter mitgeben. Nach einem weiteren Glas Wein merkte er, dass es bis zur Morgendämmerung nicht mehr weit war. Er legte sich ins Bett und schlief im Nu ein.