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Nun, sollten sie ihrer Art treu bleiben, wenn ihnen das ein Gefühl der Überlegenheit verschuf! Aber F’nor vertrat wie F’lar die Meinung, daß man den jungen Drachen eine möglichst große Zahl von Bewerbern bieten sollte. Und in den unteren Höhlen des Benden-Weyrs gab es einfach nicht genug Nachwuchs für die Gegenüberstellung.
Eine Brise kam auf, und F’nor stöhnte. Er hatte vergessen, daß die Frauen Salbe einkochten, das Universalmittel gegen die Ätzwunden der Fäden und andere schmerzhafte Verletzungen. Das war mit der Grund für seinen Ausflug vom Vortag gewesen. Der Gestank des Gebräus durchdrang alles. Selbst sein Frühstück hatte nach Medizin geschmeckt. Die meisten Drachenreiter machten sich rar, wenn sie das Zeug rochen. F’nor warf einen Blick hinüber zur Schlafhöhle der Drachenkönigin. Ramoth befand sich natürlich an der Brutstätte und wachte eifersüchtig über ihr Gelege, aber auch Mnementh, F’lars Bronzedrache, saß nicht wie sonst auf dem Felsensims. F’lar und er hatten zweifellos die Flucht vor dem Salbengestank und Lessas schlechter Laune ergriffen. Die Weyrherrin erfüllte zwar gewissenhaft auch die unangenehmsten Pflichten, aber das hieß nicht, daß sie es mit Begeisterung tat.
Salbe hin oder her, F’nor war hungrig. Er hatte seit dem Spätnachmittag des Vortags nichts mehr gegessen. Da sich zwischen dem Südlichen Boll an der Westküste und dem Benden-Weyr im Osten eine Zeitverschiebung von gut sechs Stunden befand, war er zu spät zum Mittagessen gekommen.
Er verabschiedete sich mit einem Klaps von Canth und machte sich auf den Weg zu den Unteren Höhlen. Je näher er der Küche kam, desto penetranter wurde der Duft. Seine Augen begannen zu tränen. Er wollte sich nur einen Becher Klah, dazu etwas Brot und Obst besorgen und dann wieder verschwinden.
F’nor holte tief Atem und tastete sich in das große Küchengewölbe. Das weibliche Gesinde wimmelte umher. Auf sämtlichen Herdplatten dampften Riesenbottiche. Frauen saßen an den breiten Tischen und zerkleinerten das Wurzelwerk, aus dem die Salbe gewonnen wurde. Andere schöpften die heiße Flüssigkeit in Tongefäße. Diejenigen, die in den Bottichen rührten, hatten sich Masken umgebunden, aber sie wechselten einander ständig ab. Die älteren Kinder liefen mit Brennmaterial und neuen Töpfen hin und her. Alle hatten zu tun.
Zum Glück entdeckte er auf einem Herd nahe am Eingang einen Kessel mit Klah. Er hatte sich eben einen Becher vollgeschenkt, als jemand nach ihm rief. F’nor drehte sich um. Manora, die Aufseherin der unteren Höhlen und zugleich seine leibliche Mutter, winkte ihn zu sich. Ihre sonst so heitere Miene verriet Besorgnis.
F’nor trat zu ihr an den Herd, wo sie sich mit Lessa und einer anderen jungen Frau über einen kleinen Kessel beugte.
»Guten Tag, Lessa, Manora und …« Er sah das Mädchen fragend an.
»Willst du etwa sagen, daß du Brekke nicht mehr kennst?« meinte Lessa mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Bei dem Qualm ist das kein Wunder«, entgegnete F’nor und wischte sich mit dem Ärmel umständlich über die Augen. »Wir haben uns kaum gesehen, Brekke, seit Wirenth sich bei der Gegenüberstellung für dich entschied.«
»F’nor, du bist keinen Deut besser als F’lar«, tadelte Lessa ihn. »Den Namen eines Drachen vergißt du nie!«
»Was macht Wirenth, Brekke?« erkundigte sich F’nor, ohne auf Lessas Einwurf zu achten.
Das Mädchen sah verwirrt aus, aber ein Lächeln stahl sich über ihre Züge. Dann deutete sie, wie um von sich abzulenken, auf Manora. Für F’nors Geschmack war sie ein wenig zu dünn, kaum größer als Lessa, die sich jedoch trotz ihrer Zierlichkeit gut zu behaupten wußte. Brekke hatte etwas Scheues, Zurückhaltendes an sich, aber etwas in ihrem ernsten, von dunklen Locken umrahmten Gesichtchen rührte F’nor. Er machte sich Gedanken darüber, wie sie mit Kylara, der aufbrausenden Weyrherrin vom Südkontinent zurechtkam, doch in diesem Augenblick deutete Lessa auf den leeren Kessel.
»Sieh dir das an, F’nor! Der Innenbelag ist gesprungen, und die Heilsalbe hat sich verfärbt.«
F’nor stieß einen Pfiff aus.
»Weißt du, womit der Schmied sein Metall überzieht?« erkundigte sich Manora. »Ich möchte natürlich keine verdorbene Salbe benutzen, aber es wäre schade, den Inhalt eines ganzen Kessels wegzuschütten, wenn es nicht unbedingt nötig ist.«
F’nor hielt das Gefäß ans Licht. Auf einer Seite liefen feine Risse durch den dunkelbraunen Überzug.
»Da, und so sieht die Salbe aus!« Lessa schob ihm eine kleine Schale hin. Das Mittel, normalerweise kremiggelb, zeigte nun eine rotbraune Farbe. F’nor roch dran, tauchte einen Finger hinein und spürte, wie die Haut gefühllos wurde.
»Sie wirkt«, meinte er mit einem Achselzucken.
»Ja, aber was geschieht, wenn man die Salbe mit dieser Fremdsubstanz auf eine offene Wunde streicht?« erkundigte sich Manora.
»Ein wichtiger Gesichtspunkt. Was meint F’lar dazu?«
»Ach der!« Lessa schnitt eine Grimasse. »Er hat sich nach Lemos verzogen, angeblich um den Holz-Gildemeister von Baron Asgenar nach einem neuen Zellstoff zu fragen, den der Mann herstellen wollte.«
F’nor grinste. »Nie in der Gegend, wenn man ihn braucht, was?«
Ihre grauen Augen blitzten, und sie wollte eine scharfe Antwort geben, als sie erkannte, daß F’nor sie nur neckte.
»Du bist nicht besser als er«, meinte sie lachend. Sie mochte den braunen Reiter. Er hatte äußerlich starke Ähnlichkeit mit F’lar und war doch ganz anders als sein Halbbruder, weniger in sich gekehrt und verschlossen. Lessa kam im allgemeinen gut mit ihm aus.
F’nor stimmte in ihr Lachen ein. »Gut, wenn ihr wollt, bringe ich das Ding zum Schmied. Ich habe ohnehin den Auftrag, mich nach Kandidaten für die Gegenüberstellung umzusehen, und das kann ich in Telgar ebenso tun wie anderswo.« Er nahm den Kessel vom Haken, warf noch einen Blick auf die Sprünge und deutete dann auf das geschäftige Treiben in der Küche. »Findet ihr nicht, daß wir bereits Heilsalbe genug haben, um sämtliche Drachen der sechs… Verzeihung, sieben Weyr von Kopf bis Fuß damit einzuschmieren?«
Er lächelte Brekke zu, denn das Mädchen schien sich hier nicht sonderlich wohl zu fühlen. Kein Wunder. Lessa konnte eklig sein, wenn sie viel Arbeit hatte. Er fand es überhaupt merkwürdig, daß die Jung-Weyrherrin vom Südkontinent hier in Benden beim Salbenkochen mitmachte.
»Ein Weyr kann nie genug Heilsalbe haben«, erklärte Manora ruhig.
»Das ist außerdem nicht der einzige Kessel, der Sprünge aufweist«, warf Lessa scharf ein. »Und wenn wir noch einmal Wurzeln sammeln müssen, um das verdorbene Zeug zu ersetzen …«
»Da ist noch die zweite Ernte vom Südkontinent«, schlug Brekke vor. Sie senkte schüchtern den Blick.
Aber Lessas Stimme verriet Dankbarkeit. »Ich möchte euch nicht berauben, Brekke. Ihr seid ohnehin voll damit ausgelastet, jeden Idioten gesund zu pflegen, der den Fäden nicht ausweichen kann.«
»Gut, gut, ich tue alles, was ihr wollt«, rief F’nor mit gespielter Zerknirschung. »Aber zuerst brauche ich etwas mehr für meinen Magen als nur einen Becher Klah.«
Lessa warf einen Blick zum Eingang. Die Strahlen der Spätnachmittagssonne fielen schräg ein.
»In Telgar ist es jetzt kurz nach Mittag«, erklärte er geduldig. »Und gestern befand ich mich im Südlichen Boll auf der Suche. Dort versäumte ich das Essen ebenfalls.«
»Das hatte ich ganz vergessen. Glück gehabt?«
»Canth zuckte nicht einmal mit einem Ohr. Ich flehe euch an, gebt mir etwas zu essen, damit ich diesem Gestank entfliehen kann. Ich begreife nicht, wie ihr das aushaltet.«
»Euer Gestöhne, wenn ihr keine Heilsalbe habt, ist noch schwerer auszuhalten«, fauchte Lessa.
F’nor grinste die Weyrherrin an. Er mochte sie gern, und er freute sich ehrlich, daß sie eine feste Verbindung mit F’lar, seinem Halbbruder, eingegangen war. Die beiden paßten großartig zusammen, und der Benden-Weyr profitierte davon, ebenso wie die drei Burgen, die unter seinem Schutz standen. Dann fiel F’nor wieder ein, mit welcher Feindseligkeit man ihm am Vortag im Südlichen Boll begegnet war. Er wollte Lessa schon davon erzählen, als Manora seine Gedankengänge unterbrach.
»Diese Verfärbung bereitet mir wirklich große Sorgen, F’nor«, sagte sie. »Hier, zeig Fandarel das da!« Und sie stellte zwei kleinere Töpfe in den Kessel. »Da kann er den Unterschied genau erkennen. Brekke, könntest du F’nor etwas zu essen richten?«
»Nicht nötig«, wehrte F’nor hastig ab. Seine Mutter schien immer noch in dem Wahn zu leben, daß er sich nicht allein versorgen konnte. Ihren Pflegekindern hatte sie von frühester Jugend an beigebracht, auf eigenen Füßen zu stehen, aber ihm traute sie das wohl nicht zu.
F’nor lachte vor sich hin. Diese Mütter waren alle gleich. Auch Lessa wachte wie eine Gluckhenne über Felessan, das einzige Kind, das sie geboren hatte. Ein Glück, daß der Junge nicht von ihr großgezogen wurde. Mit seiner ruhigen, gemütlichen Pflegemutter kam er prächtig aus.
Das Klah schmeckte so stark nach Medizin, daß er keinen Schluck herunterbrachte. Er löffelte den Eintopf, den ihm Brekke gebracht hatte, rasch in sich hinein. Vielleicht konnte er in der Gildehalle der Schmiede etwas Anständiges bekommen.
Kurz danach verließ er die unteren Höhlen und berichtete Canth von dem Auftrag, den er erhalten hatte. Der braune Drache knurrte erleichtert, denn auch ihn hinderten die penetranten Dämpfe am Einschlafen.
Die Burg von Telgar lag in der hellen Vormittagssonne unter ihnen. F’nor steuerte Canth durch ein langgezogenes Tal. Ein dreifach geteilter Wasserfall tauchte auf, und links davon drängten sich die Schuppen und Werkstätten der Schmiede-Gilde zusammen.
Licht glitzerte auf den Wasserrädern, die ohne Unterlaß von den mächtigen Fällen angetrieben wurden. Eine dicke schwarze Rauchsäule über der Gildehalle verriet, daß die Arbeit in vollem Gange war.
Canth stieß einen Schrei aus, als sie in die Tiefe kreisten, und er erhielt Antwort von einem Grünen und einem Braunen, die sich auf einem schmalen Felsensims über der Gildehalle sonnten.
Beth und Seventh vom Fort-Weyr, berichtete Canth, aber die Namen sagten F’nor nichts.
»Willst du bei ihnen landen?« fragte er den großen Braunen.
Ich würde stören, entgegnete Canth so trocken, daß F’nor lachen mußte.
Aber seine Miene verdüsterte sich, als er die glänzenden Schuppen des grünen Drachen bemerkte. Der Reiter von Beth hätte sein Tier besser in der Nähe des Stamm-Weyrs gelassen. Es konnte jeden Moment zum Paarungsflug aufsteigen.
Canth landete, und F’nor sprang rasch ab. Die Schwingen des Drachen wirbelten kleine Staubfahnen auf. Der braune Reiter schlenderte an den offenen Werkstätten vorüber und sah hier und da einer Gruppe bei der Arbeit zu, bis ihm auffiel, daß die Gesichter der Männer merkwürdig hart und verschlossen waren.
Allmählich bereute er, daß er Manora versprochen hatte, Fandarel aufzusuchen. Aber der Gildemeister der Schmiede war der einzige, der sich gründlich mit Metallen auskannte und ihm sagen konnte, weshalb sich die lebenswichtige Salbe plötzlich verfärbt hatte.
Ein mächtiges Portal führte in die Gildehalle selbst. Die Flügel standen weit offen, und der Eingang bot Platz für ein doppeltes Gespann von Landtieren. Was früher die eigentliche Schmiede gewesen war, beherbergte heute die Graveure und Schleifer, die Goldschmiede und Juweliere, die letzte Hand an die bereits fertiggestellten Geräte und Waffen legten.
Anfangs dachte F’nor, daß sein Eintreten die Männer in ihrer Arbeit einhalten ließ, aber dann fiel sein Blick auf die beiden Drachenreiter, die in drohender Haltung vor Terry standen. Der braune Reiter schüttelte verwirrt den Kopf. Was wollten sie ausgerechnet von Terry? Der Mann war Fandarels Stellvertreter, ein kluger Kopf, der schon eine Menge Erfindungen gemacht hatte.
F’nors Schritte hallten auf den Fliesen wieder, als er auf die Gruppe zuging.
»Ich wünsche einen guten Tag, Terry.«
F’nor verbeugte sich lässig vor den beiden Drachenreitern.
»F’nor, Canths Reiter von Benden.«
»B’naj, Sevenths Reiter von Fort«, stellte sich der größere der beiden Männer vor.
Er ärgerte sich sichtlich über die Unterbrechung. Seine Finger spielten nervös mit einem kostbar verzierten Gürtelmesser.
»T’reb, Beths Reiter, ebenfalls von Fort. Und wenn Canth ein Bronzedrache ist, lassen Sie ihn nicht in Beths Nähe.«
»Canth weiß, was sich gehört«, entgegnete F’nor.
T’reb zählte offenbar zu den Reitern, die bei den Amouren ihrer Tiere selbst unruhig wurden.
»Man weiß nie, was auf Benden gelehrt wird«, erklärte T’reb mit kaum verhehlter Verachtung.
»Unter anderem, wie man sich benimmt, wenn man dem Stellvertreter eines Geschwaderführers gegenübersteht«, sagte F’nor, immer noch liebenswürdig. Aber T’reb warf ihm einen scharfen Blick zu; er spürte den feinen Unterton, der in den Worten des braunen Reiters mitschwang.
»Meister Terry, kann ich bitte Fandarel sprechen?«
»Er ist in seinem Arbeitszimmer …«
»Und uns hast du gesagt, er sei nicht hier«, warf T’reb ein und packte Terry an der schweren Schürze aus Wherleder.
F’nor reagierte sofort. Seine Finger legten sich um T’rebs Handgelenk und bohrten sich so hart in die Sehnen, daß die Hand des grünen Reiters schlaff wurde.
Terry trat ein paar Schritte zurück. Seine Augen funkelten vor Zorn, und er preßte die Lippen zusammen.
»Mit Manieren scheint man es auf Fort nicht genau zu nehmen«, sagte F’nor mit einem harten Lächeln. Aber nun mischte sich der andere Reiter ein.
»T’reb! F’nor!«
B’naj trennte die beiden.
»Sein Grüner ist in Hitze, F’nor. Er leidet darunter.«
»Dann sollte er im Weyr bleiben!«
»Was erdreistet sich Benden, Fort Ratschläge zu erteilen?« fuhr T’reb auf. Er versuchte sich an seinem Gefährten vorbeizuschieben. Seine Hand ruhte auf dem Messergriff.
F’nor trat zurück. Er zwang sich zur Ruhe. Der ganze Vorfall war lächerlich. Drachenreiter stritten nicht in der Öffentlichkeit. Ohne auf T’reb zu achten, sagte F’nor zu B’naj: »Geht jetzt besser! Der Grüne steht dicht vor dem Paarungsflug.«
Aber T’reb ließ sich nicht zur Vernunft bringen.
»Ich weiß selbst, wie ich meinen Drachen zu behandeln habe, Sie …«
Die Kränkung ging im Gebrüll der Drachen unter.
»Sei kein Narr, T’reb«, sagte B’naj. »Komm jetzt!«
»Vergiß nicht, daß ich nur hier bin, weil du es auf dieses Messer abgesehen hast! Hol es dir – dann verschwinden wir!«
Das Messer, das B’naj zuvor in der Hand gehalten hatte, lag nun auf dem Boden zu Terrys Füßen. Der Schmiedemeister nahm es so rasch an sich, daß F’nor verstand, weshalb bei seinem Eintreten eine so angespannte Stille geherrscht hatte. Die Drachenreiter waren im Begriff gewesen, sich das Messer anzueignen. Leider häuften sich in letzter Zeit solche Übergriffe.
»Ihr geht jetzt auf der Stelle!« erklärte er und stellte sich vor Terry.
»Das Messer lassen wir nicht hier«, rief T’reb. Mit einer unerwarteten Bewegung schob er sich an F’nor vorbei und riß Terry die Klinge aus der Hand. Ein Schnitt klaffte in der Handfläche des Schmiedemeisters.
Wieder packte F’nor den grünen Reiter am Handgelenk und zwang ihn, das Messer fallen zu lassen.
T’reb stieß einen erstickten Wutschrei aus, und bevor F’nor ausweichen oder B’naj eingreifen konnte, hatte er sein eigenes Messer aus dem Gürtel gerissen und stieß es dem braunen Reiter in die Schulter.
Plötzlich erfaßte F’nor ein Schwindel. Er begann zu schwanken.
Draußen trompetete Canth los. Der Grüne kreischte, und der fremde Braune stimmte in den Höllenlärm ein.
»Bringen Sie ihn hinaus!« keuchte F’nor. Er sah B’naj an. Terry war neben ihn getreten und stützte ihn.
»Hinaus!« wiederholte der Schmied mit harter Stimme. Er winkte seinen Leuten zu, die nun entschlossen auf die Drachenreiter zukamen. Aber B’naj zerrte T’reb wütend aus der Halle.
F’nor wehrte ab, als Terry ihn zur nächsten Bank bringen wollte. Es war schlimm genug, daß Drachenreiter einander angriffen, aber es entsetzte ihn, daß ein Reiter sein Tier über einem armseligen Messer vergaß. In dem schrillen Toben des Grünen klang jetzt echte Not auf. F’nor zwang die beiden Fort-Reiter, ihre Drachen zu besteigen und aufzubrechen. Ein Schatten fiel über das große Portal. Es war Canth, der ängstlich summte.
»Sind sie weg?« fragte er seinen Drachen.
Zum Glück, entgegnete Canth und reckte den Hals nach seinem Reiter. Du bist verletzt.
»Nur ein Kratzer«, log F’nor, doch dann wurde ihm schwarz vor den Augen. Er spürte, daß er hochgehoben und auf eine Bank gebettet wurde. Sein letzter Gedanke war, daß Manora ärgerlich sein würde, weil er Fandarel nicht aufgesucht hatte.
Als Mnementh das Dazwischen verließ, schwebte er hoch über den Klippen des Fort-Weyrs, ein schwacher dunkler Fleck gegen den Abendhimmel. Die dünne kalte Luft brannte in F’lars Lungen.
Du mußt ruhig und kühl bleiben, ermahnte der Bronzedrache seinen Reiter. Übernimm bei diesem Treffen von Anfang an die Hauptrolle!
Mnementh glitt in einer weiten Spirale auf den Weyr zu.
F’lar wußte, daß nichts half, wenn Mnementh einmal diesen strengen Ton anschlug. Außerdem – der Bronzedrache hatte recht.
F’lar konnte kaum etwas erreichen, wenn er mit zornerfüllten Anklagen über T’ron und die übrigen Weyrführer der Vergangenheit herfiel und Rache für seinen verletzten Reiter forderte. Oder wenn er sich über den Termin des Treffens beschwerte. T’ron hatte die Zusammenkunft absichtlich auf die erste Abendwache festgelegt, denn das bedeutete für Benden tiefste Nacht. Auch die übrigen östlichen Weyr – Igen, Ista und auch Telgar – hatten unter dieser ungünstigen Stunde zu leiden.
T’ron setzte also alles daran, um F’lar aus der Fassung zu bringen. Deshalb nahm sich der Drachenreiter fest vor, die Freundlichkeit selbst zu bleiben. Er wollte sich bei D’ram von Ista, R’mart von Telgar und G’narish von Igen dafür entschuldigen, daß er ihnen solche Ungelegenheiten bereitete, aber gleichzeitig durchblicken lassen, daß T’ron die Verantwortung trug.
Es ging nicht in erster Linie um F’nor. Weit wichtiger war die Tatsache, daß einer von T’rons Reitern gegen die Weyr-Gesetze verstoßen hatte.
Grundsätzlich durfte sich kein Drachenreiter aus dem Weyr entfernen, wenn sein Tier dem Paarungsflug nahe war. Dabei spielte es nicht die mindeste Rolle, daß die grünen Drachen unfruchtbar waren, weil sie Feuerstein fraßen. Aber sie übertrugen ihre Hitze auf die gesamte Umgebung. Herdentiere in der Nähe gerieten in Stampede, das Wild reagierte mit Hysterie. Selbst Menschen waren anfällig, und unter den jungen Bewohnern der Burgen oder Handwerkersiedlungen konnte es zu den peinlichsten Zwischenfällen kommen.
Nur das Weyrvolk blieb unberührt von diesem besonderen Aspekt des Paarungsfluges, eine Folge davon, daß es auf den Weyrn in sexuellen Dingen weit mehr Freiheit gab, als anderswo. Nein, wenn ein Drache in der Hitze war, durfte er den Weyr nicht verlassen. F’lar fand es unwichtig, daß der zweite Verstoß von T’reb mit dem ersten in Zusammenhang stand. Von dem Augenblick an, da ein Reiter sein Tier ins Dazwischen steuern konnte, bleute man ihm ein, unbedingt Situationen zu vermeiden, die zu einem Duell führten, besonders da das Duell auf den Burgen durchaus erlaubt war. Jede Meinungsverschiedenheit zwischen Drachenreitern wurde innerhalb des Weyrs ausgetragen, ohne Waffen und in Gegenwart eines Schiedsrichters. Drachen begingen Selbstmord, wenn ihre Reiter starben. Und gelegentlich geriet ein Tier schon in Panik, wenn sein Reiter für längere Zeit das Bewußtsein verlor. Ein in Zorn geratener Drache war nicht zu halten, und der Tod eines Drachens brachte den gesamten Weyr in Aufruhr. So war das bewaffnete Duell, bei dem ein Reiter verletzt oder getötet werden konnte, streng verboten.
Und nun hatte ein Reiter aus dem Fort-Weyr diese beiden Grundsätze in voller Absicht verletzt. Für F’lar bedeutete es keine persönliche Befriedigung, daß T’reb von Fort stammte, obwohl es T’ron in eine sehr peinliche Lage brachte. Der Weyrführer aus der Vergangenheit war nämlich stets der erste, der sich gegen irgendwelche Neuerungen von Benden sträubte und F’lars Vorschläge kategorisch ablehnte. Und er beschwerte sich am lautesten über die laxen – sprich: weniger servilen – Manieren, welche die Barone und Gildeangehörigen den Drachenreitern gegenüber an den Tag legten.
F’lar war gespannt, wie der traditionsbewußte T’ron das Verhalten seiner Drachenreiter rechtfertigen würde.
Mnementh glitt auf den Rand des Weyrkessels zu. Ein Wachtposten hob sich dunkel gegen die sinkende Sonne ab. Auf den Felsvorsprüngen kauerten drei Bronzedrachen, einer davon eine halbe Schwanzlänge größer als die beiden anderen. Das war sicher Orth; also hatte sich T’bor aus dem Südkontinent bereits, eingefunden. Aber nur drei Bronzedrachen? Wer fehlte noch?
S’lath vom Hochland und Branth mit R’mart von Telgar, informierte Mnementh seinen Reiter.
Keine Vertretung vom Hochland und von Telgar?
Nun, T’kul kam vielleicht absichtlich zu spät. Merkwürdig allerdings, denn dieser Abend war sicher ganz nach dem Geschmack des sarkastischen Alten. Er würde Gelegenheit bekommen, Hiebe an T’bor und F’lar zu verteilen, und sich gleichzeitig an T’rons Niederlage weiden. F’lar hatte noch nie ein freundliches Wort von dem dunklen, mürrischen Weyrführer des Hochlandes gehört. Er überlegte, ob Mnementh T’kuls Namen deshalb nicht erwähnt hatte. Drachen ignorierten Menschen, die sie nicht mochten. Aber daß sie einen Weyrführer übergingen, war höchst ungewöhnlich.
F’lar hoffte, daß R’mart noch kam. R’mart von Telgar und G’narish von Igen waren die jüngsten unter den Weyrführern der Vergangenheit. Obwohl sie sich in den meisten Dingen gegen F’lar und T’bor auf die Seite ihrer Gefährten stellten, war F’lar doch aufgefallen, daß sie einige seiner Vorschläge guthießen.
Würde es ihm gelingen, diesen Vorteil heute auszubauen?
Schade, daß Lessa ihn nicht begleiten konnte, denn sie besaß die Gabe, einen leichten Druck auf seine Gegner auszuüben. Allerdings mußte sie vorsichtig sein; Drachenreiter merkten rasch, wenn man sie zu manipulieren versuchte.
Mnementh hatte den Weyrkessel erreicht und steuerte den Felsensims an, der zur Schlafhöhle der Drachenkönigin gehörte. T’rons Fidranth war nirgends zu sehen; vermutlich bewachte er seine Gefährtin. Oder Mardra, die Weyrherrin, war ausgeritten. Die Frau mäkelte und tadelte an allen Dingen herum wie T’ron. Anfangs war das anders gewesen. Es hatte sogar eine Zeit gegeben, da sie sich sehr eng an Lessa anschloß.
Aber diese Zuneigung war bald in Haß umgeschlagen. Mardra war eine hübsche Frau mit einer üppigen, noch straffen Figur, und sie ließ sich von den Bronzereitern gern den Hof machen. Nicht sonderlich intelligent aber sehr egozentrisch, störte es sie, daß Lessa durch ihren Ritt ins Dazwischen zu einer Art Legende geworden war. Und obwohl Lessa niemals den Versuch machte, einen von Mardras Günstlingen für sich zu gewinnen, begann Mardra doch eine Nebenbuhlerin in ihr zu sehen. Dazu kam, daß sie beide dem Ruatha-Geschlecht entstammten und Mardra es der Jüngeren nicht verzeihen konnte, daß sie ihr Erbe an Jaxom, den Sohn des getöteten Baron Fax, abgetreten hatte.
So war es nur gut, daß keine Frauen an dem Treffen teilnahmen. Mardra und Lessa in einem Raum, das hätte zu Schwierigkeiten geführt. Dazu dann noch Kylara vom Südkontinent, die oft genug nur einen Wirbel veranstaltete, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und das Chaos war vollkommen. Nadira von Igen mochte Lessa, aber auf ihre passive, zurückhaltende Art. Bedella von Telgar war einfältig und Fanna von Ista sehr verschlossen. Merika vom Hochland unterschied sich in ihrer Verdrießlichkeit kaum von ihrem Gefährten T’kul.
Nun, diese Angelegenheit ging ohnehin nur die Männer etwas an.
F’lar schwang sich von Mnemenths warmer Schulter und betrat den Felsenpfad, der ins Innere des Weyrs führte. Er stolperte, als sich sein Stiefelabsatz in den tiefen Rillen verfing, welche die Drachen mit ihren Krallen in den Fels schürften. T’ron hätte ruhig für besseres Licht sorgen können, dachte er verärgert.
Die Drachenkönigin Loranth warf ihm einen ernsten Blick aus ihren riesigen Augen zu, als er ihre Schlafhöhle betrat. Er begrüßte sie. Ein Glück, daß Mardra nicht in der Nähe war. Wenn Loranth schon ernst war, hatte Mardra garantiert eine gräßliche Laune. Vermutlich trotzte die Weyrherrin irgendwo jenseits des Vorhangs, der ihr Gemach von den anderen Kammern trennte. Vielleicht stammte die Idee mit dem ungünstigen Zeitpunkt sogar von ihr. Sie entzog sich damit ihrer Aufgabe als Gastgeberin.
Lessa würde niemals solche hinterhältigen Tricks anwenden. F’lar wußte, wie oft seine impulsive Gefährtin sich eine heftige Bemerkung verbiß, wenn Mardra sie wieder einmal von oben herab behandelte. Lessa zeigte eine kaum verständliche Geduld mit der hochmütigen Weyrherrin. F’lar nahm an, daß sie gewisse Schuldgefühle hegte, weil sie die Alten aus der Vergangenheit geholt und entwurzelt hatte. Dabei hatten die Drachenreiter letzten Endes ihre Entscheidung selbst getroffen.
Nun, wenn Lessa Mardras Herablassung aus Dankbarkeit ertragen konnte, dann mußte er zumindest versuchen, mit T’ron auszukommen. Der Mann war wirklich tüchtig, wenn es darum ging, die Fäden zu bekämpfen, und F’lar hatte in der ersten Zeit eine Menge von ihm gelernt.
So betrat er den Beratungsraum mit dem festen Vorsatz, freundlich und gelassen zu bleiben.
T’ron, der am oberen Ende der großen Tafel Platz genommen hatte, begrüßte ihn mit einem steifen Nicken. Das Licht in den Wandschalen warf ungünstige Schatten auf das grobe, faltige Gesicht des Alten. Mit einemmal kam F’lar zu Bewußtsein, daß der Mann nie etwas anderes gekannt hatte als den Kampf gegen die Silberfäden. Als er geboren wurde, begann der Rote Stern gerade seine Bahn um Pern. T’ron hatte fünfzig Jahre lang Fäden ausgerottet, bis der Stern endlich wieder in den Raum hinauswanderte. Dann war er Lessa in die Zukunft gefolgt. Schon nach sieben Planetendrehungen konnte ein Mann den Kampf gegen die Fäden satt bekommen. F’lar verdrängte diese Gedankengänge.
D’ram vom Ista-Weyr und G’narish von Igen begnügten sich ebenfalls mit einem kurzen Nicken. T’bor hingegen schüttelte F’lar herzlich die Hand.
»Guten Abend, Freunde«, wandte sich F’lar an die Männer. »Es tut mit leid, daß ich euch von eurer Arbeit oder euren wohlverdienten Mußestunden weggerufen habe, aber es geht um ein Problem, das nicht bis zur Sonnwend-Versammlung warten kann.«
»Ich leite diese Zusammenkunft auf Fort, Benden«, wies ihn T’ron kühl zurecht. »Wir warten auf T’kul und R’mart, bevor wir uns näher mit Ihrer Beschwerde befassen.«
»Einverstanden.«
T’ron starrte F’lar an, als habe er nicht mit dieser Antwort gerechnet. Der Weyrführer von Benden nahm neben T’bor Platz.
»Lassen Sie sich jedoch eines gesagt sein, Benden«, fuhr T’ron fort. »Falls Sie wieder einmal die Absicht haben sollten, aus heiterem Himmel sämtliche Weyrführer zusammenzutrommeln, dann wenden Sie sich zuerst an mich. Fort ist der älteste Weyr auf Pern. Schicken Sie nicht einfach auf eigene Faust Boten los!«
G’narish sah überrascht auf. Er war ein untersetzter junger Mann, einige Planetendrehungen jünger als F’lar.
»Jeder Weyrführer hat das Recht, eine Versammlung einzuberufen, wenn es die Umstände rechtfertigen. Und das ist hier unbedingt der Fall.«
Der Fort-Weyrführer sah ihn mit gerunzelter Stirn an, und er zuckte die Achseln.
»Ihr Drachenreiter trägt die Schuld an allem, T’ron«, warf D’ram mit harter Stimme ein. Er war ein drahtiger Bursche, der jetzt im Alter fast ein wenig hager und knochig wirkte, aber seine erstaunlich dichte rote Haarmähne zeigte erst an den Schläfen einen leichten Grauschimmer.
»F’lar befindet sich durchaus im Recht.«
»Die Wahl von Zeit und Treffpunkt lag bei Ihnen, T’ron«, betonte F’lar.
T’rons Miene verdüsterte sich zusehends.
»Wann kommt Telgar endlich?« murrte er verärgert.
»Einen Becher Wein, F’lar?« fragte T’bor mit einem boshaften Lächeln, denn eigentlich hätte T’ron dem Drachenreiter etwas anbieten müssen.
»Natürlich, er stammt nicht von Benden, aber er ist wirklich nicht schlecht.«
F’lar warf T’bor einen langen, warnenden Blick zu, als er den Becher entgegennahm. Aber der Weyrführer vom Südkontinent beobachtete T’rons Reaktion. Es war allgemein bekannt, daß die Burg Benden bei ihren Tributabgaben den eigenen Weyrs reichlicher mit ihrem berühmten Wein versorgte als die anderen.
»Wann bekommen wird endlich die Weine aus dem Süden zu kosten, mit denen Sie so prahlen, T’bor?« fragte G’narish, der instinktiv versuchte, die aufkommende Feindseligkeit abzumildern.
»Wir fangen bald mit dem Keltern an«, erklärte T’bor.
»Wenn uns etwas übrigbleibt, verteilen wir es an euch Nordländer.«
»Wie ist das gemeint – wenn euch etwas übrigbleibt?« fragte T’ron und warf T’bor einen prüfenden Blick zu.
»Nun, wir vom Südkontinent pflegen sämtliche verwundeten Drachenreiter. Wir brauchen genügend Vorräte, damit sie ihren Kummer ertränken können. Wie Sie wissen, erhält sich der Südkontinent-Weyr selbst.«
F’lar trat T’bor hart auf die Zehen, als er sich D’ram zuwandte und fragte, wie es auf Ista ging.
»Ich kann nicht klagen«, erwiderte D’ram freundlich. F’lar wußte, daß auch dem alten Mann die Entwicklung des Gesprächs nicht gefiel.
»Fannas Mirath hat fünfundzwanzig Eier gelegt, und ich garantiere, daß ein halbes Dutzend Bronzedrachen darunter sind.«
»Istas Bronzedrachen sind die schnellsten auf Pern«, sagte F’lar ernst. Er spürte, daß T’bor neben ihm unruhig wurde, und gab rasch eine Botschaft an Mnementh weiter: »Orth soll T’bor ausrichten, daß jedes Wort genau überlegt werden muß. Wir dürfen uns D’ram und G’narish nicht zu Feinden machen.«
Laut sagte er: »Ein Weyr kann nie genug gute Bronzedrachen haben, und sei es nur, um die Königin bei guter Laune zu halten.«
Er lehnte sich zurück und beobachtete T’bor aus dem Augenwinkel. Der Weyrführer aus dem Süden zuckte leicht zusammen und warf dann F’lar einen rebellischen Blick zu.
F’lar wandte sich wieder an D’ram: »Wenn Sie Kandidaten für grüne Drachen brauchen …«
»D’ram hält sich an die Tradition, Benden«, warf T’ron ein. »Die Weyrbewohner sind die besten Partner für die Drachen. Besonders für die Grünen.«
»Oh?«
T’bor zog die Augenbrauen hoch.
D’ram räusperte sich hastig und sagte ein wenig zu laut: »Zum Glück haben wir in den unteren Höhlen ein paar vielversprechende Jungen. G’narish half uns aus, als bei der letzten Gegenüberstellung in seinem Weyr einige übrigblieben. Aber vielen Dank für Ihr Angebot, F’lar. Es ist um so großzügiger, da in Benden auch Eier heranreifen.
Und eine Königin, nicht wahr?«
D’ram verriet keine Spur von Neid. Dabei hatte Fannas Mirath seit dem Sprung in die Zukunft kein goldenes Ei mehr gelegt.
»Wir alle kennen Bendens Großzügigkeit.«
T’rons Stimme verriet Spott.
Seine Blicke schweiften durch den Raum, aber er vermied es, F’lar anzusehen.
»Er bietet überall seine Hilfe an. Und mischt sich dabei oft in Dinge, die ihn nichts angehen.«
»Das, was in der Gildehalle der Schmiede geschah, kann man wohl kaum als Einmischung bezeichnen«, widersprach D’ram mit ernster Miene.
»Ich dachte, wir wollten auf T’kul und R’mart warten.« G’narish warf einen nervösen Blick zum Eingang.
Mit Befriedigung stellte F’lar fest, daß die Ereignisse des Tages D’ram und G’narish aufgewühlt hatten.
»T’kul glänzt bei den meisten Treffen durch Abwesenheit«, bemerkte T’bor.
»Aber R’mart hat noch nie gefehlt«, sagte G’narish.
»Nun, ich sehe keinen von ihnen. Und ich habe keine Lust, noch länger auf sie zu warten.« T’ron erhob sich. D’ram seufzte. »Also schön, dann rufen Sie B’naj und T’reb her.«
»Die beiden sind kaum in der Lage, einem Treffen beizuwohnen.« T’ron schien sich über D’rams Aufforderung zu wundern. »Ihre Drachen kehrten erst bei Sonnenuntergang vom Paarungsflug zurück.«
D’ram starrte T’ron an. »Weshalb haben Sie uns dann für heute abend herbestellt?«
»Es geschah auf F’lars Drängen.«
T’bor sprang auf, bevor F’lar ihn daran hindern konnte, aber D’ram gab ihm durch eine Geste zu verstehen, daß er wieder Platz nehmen sollte.
Er erinnerte T’ron in scharfen Worten, daß er und nicht der Weyrführer von Benden die Zeit festgesetzt habe.
»Warum fangen wir nicht endlich an?«
T’bor schlug zornig mit der Hand auf den Tisch.
»Auf dem Südkontinent herrscht jetzt tiefste Nacht. Ich würde gern …«
»Ich führe die Verhandlungen hier auf Fort, T’bor«, unterbrach ihn T’ron mit fester Stimme.
An seinen blitzenden Augen und dem geröteten Gesicht konnte man erkennen, daß er sich nur mühsam beherrschte.
»Dann tun Sie es doch!« fauchte T’bor.
»Erklären Sie uns, wie es dazu kam, daß sich ein grüner Reiter mit seinem Drachen aus Ihrem Weyr entfernte, obwohl das Tier bereits in der Hitze war!«
»T’reb wußte nicht, daß der Paarungsflug so dicht bevorstand …«
»Unsinn«, unterbrach ihn T’bor mit einem zornfunkelnden Blick. »Sie reiben uns ständig unter die Nase, wie sehr Sie die Traditionen achten und wie gut ausgebildet Ihre Reiter sind.
Machen Sie mir also nicht weiß, daß ein Reiter in T’rebs Alter den Zustand seines Tieres nicht richtig einschätzen kann!«
F’lar kam allmählich zu der Ansicht, daß dieser Verbündete ihm mehr schadete als nutzte.
»Ein Grüner wechselt die Farbe recht auffällig«, meinte G’narish nach einem Zögern, das F’lar nicht entging. »Gewöhnlich bereits einen Tag vor dem Flug.«
»Nicht im Frühling«, widersprach T’ron rasch. »Und nicht, wenn er vom Kampf gegen die Fäden erschöpft ist. Es kann ganz plötzlich kommen wie in diesem Fall…«
T’ron hob seine Stimme, als könnte er damit seiner Behauptung noch wesentlich mehr Gewicht verleihen.
»Möglich.«
D’ram nickte langsam und sah dann F’lar fragend an.
»Ich akzeptiere das«, erwiderte F’lar mit ruhiger Stimme.
Er sah, daß T’bor schon wieder aufspringen wollte, und versetzte ihm unter dem Tisch einen Tritt.
»Aber wie Schmiedemeister Terry bezeugen kann, forderte mein Reiter T’reb mehrmals auf, den Drachen wegzubringen. T’reb ließ sich dadurch nicht in seinem Vorhaben stören, das Gürtelmesser zu beschlagnahmen.«
»Und Sie geben mehr auf das Wort des gemeinen Volkes als auf das eines Drachenreiters?« rief T’ron mit Entrüstung.
»Was hätte der Schmiedemeister« – und F’lar betonte den Titel – »von einer falschen Aussage?«
»Diese Gilde ist auf ganz Pern für ihren Geiz bekannt«, fuhr T’ron auf. »Sie sträuben sich dagegen, ihren Tribut zu entrichten.«
»Ein edelsteinbesetztes Gürtelmesser fällt nicht unter die Tributpflicht.«
»Welchen Unterschied macht das, Benden?« fragte T’ron.
F’lar sah den Weyrführer von Fort ruhig an.
T’ron versuchte also, Terry die Schuld an dem Vorfall in die Schuhe zu schieben!
Dann wußte er, daß sich sein Reiter im Unrecht befand. Weshalb konnte er das nicht einfach zugeben und den Mann bestrafen?
F’lar wollte ja nur, daß sich solche Dinge in Zukunft nicht wiederholten.
»Einen ganz gewaltigen, T’ron.
Baron Larad von Telgar hatte das Messer in Auftrag gegeben, als Hochzeitsgeschenk für Baron Asgenar von Lemos. Es hatte also bereits einen Besitzer. Deshalb war der Reiter …«
»Ich verstehe, daß Sie Ihren Mann verteidigen, Benden«, warf T’ron mit einem boshaften Lächeln ein.
»Aber schickt es sich, daß ein Reiter, obendrein ein Weyrführer, sich gegen das Drachenvolk wendet und Partei für einen Burgherrn ergreift…?«
Und T’ron sah kopfschüttelnd zu D’ram und G’narish hinüber. »Wenn R’mart hier wäre …«, begann T’bor.
D’ram brachte ihn durch eine Handbewegung zum Schweigen.
»Es geht hier nicht um die Besitzverhältnisse des Messers, sondern um einen, wie es scheint, schwerwiegenden Verstoß gegen die Weyrdisziplin«, sagte er mit einer Stimme, die T’bors Protest untergehen ließ.
»F’lar, Sie geben jedoch zu, daß ein geschwächter Grüner ganz plötzlich in Hitze geraten kann?«
F’lar spürte, daß ihn T’bor gern dazu veranlaßt hätte, diese Möglichkeit zu leugnen. Er hatte einen Fehler begangen, als er für einen Baron Partei ergriff, der nicht zu seinem Weyr gehörte.
Wenn nur R’mart gekommen wäre, um Baron Larad zu verteidigen! So hatte F’lar seiner Sache nur geschadet. Der Vorfall hatte D’ram so aus dem Gleichgewicht gebracht, daß der Mann seine Augen absichtlich vor den Tatsachen verschloß und sich an mildernde Umstände zu klammern versuchte. Würde es etwas nützen, wenn F’lar ihn zwang, die Ereignisse so zu sehen, wie sie waren, oder hielt der Weyrführer daran fest, daß Drachenreiter unfehlbar waren?
F’lar holte tief Atem. »Ich gebe zu, daß unter diesen Umständen ein Grüner auch ohne Vorzeichen in Hitze geraten kann.«
T’bor neben ihm stieß einen leisen Fluch aus.
»Aber aus genau diesem Grund hätte T’reb seinen Drachen im Weyr halten müssen.«
»Aber T’reb ist ein Fort-Reiter«, rief T’bor und sprang auf.
»Und ich habe oft genug gehört …«
»Ruhe, T’bor vom Südkontinent!« donnerte T’ron. Er wandte sich wutentbrannt an F’lar: »Können Sie Ihre Reiter nicht im Zaum halten, Benden?«
»Nun reicht es aber, T’ron«, rief D’ram und erhob sich.
Während die beiden Alten einander mit Blicken maßen, flüsterte F’lar seinem Nachbarn zu: »Begreifen Sie denn nicht, daß er uns aus der Ruhe zu bringen versucht? Sie dürfen die Beherrschung nicht verlieren!«
»Wir versuchen die Angelegenheit zu regeln, T’ron«, fuhr D’ram eindringlich fort.
»Es hat keinen Sinn, sie durch lächerliche Streitereien zu komplizieren. Mit Ihrer Erlaubnis übernehme ich den Vorsitz, da Sie befangen sind, Fort.«
In F’lars Augen war das ein stillschweigendes Eingeständnis, daß D’ram den Ernst der Lage erkannt hatte. Der Weyrführer wandte sich F’lar zu, und seine braunen Augen waren dunkel vor Besorgnis. F’lar begann schon zu hoffen, daß D’ram T’rons Ausweichmanöver durchschaut hatte, aber die nächsten Worte des Alten belehrten ihn eines Besseren.
»Ich kann Ihre Meinung nicht teilen, F’lar, daß der Gildeangehörige klug gehandelt hat.
Nein, lassen Sie mich fortfahren.
Wir kamen euch in der Bedrängnis zu Hilfe, erhofften aber auch, daß man uns dafür entsprechend belohnen und unterstützen würde. Die Abgaben jedoch, die uns die Burgen und Gilden liefern, lassen viel zu wünschen übrig. Pern hat eine blühendere Wirtschaft als vor vierhundert Planetendrehungen, und doch spiegelt sich sein Reichtum nicht im Tribut wieder. Die Bevölkerung ist um das Vierfache angestiegen, und es gibt weit mehr bebautes Land als früher.
Eine große Verantwortung für die Weyr …«
Er unterbrach sich mit einem wehmütigen Lachen.
»Ich schweife ab. Aber soviel sei gesagt: Sobald Terry merkte, daß ein Drachenreiter Gefallen an dem Messer gefunden hatte, wäre es seine Pflicht gewesen, es ihm anzubieten. So wie es die Gildeangehörigen früher taten, ohne zu zögern oder Fragen zu stellen.«
Er sah die Männer der Reihe nach an. T’bor erwiderte seinen Blick nicht, sondern scharrte mit der Stiefelspitze geräuschvoll über den Steinboden.
D’ram holte erneut tief Atem. »Es darf sich natürlich nicht wiederholen, daß ein Drache in Paarungshitze seinen Weyr verläßt. Ebensowenig, daß sich Drachenreiter zu einem bewaffneten Duell gegenübertreten…«
»Es war kein Duell!« fuhr T’bor auf.
»T’reb griff F’nor ohne Warnung an und stieß ihm das Messer in die Schulter! F’nor kam gar nicht dazu, die eigene Waffe zu ziehen.«
»Ein Mann, dessen Drache in Hitze ist, kann für sein Tun nicht verantwortlich gemacht werden«, rief T’ron.
»Ein Drache, der niemals den Weyr hätte verlassen dürfen – so sehr Sie von dieser Tatsache abzulenken versuchen, T’ron«, entgegnete T’bor aufgebracht.
»Das eigentliche Versagen liegt bei T’reb, nicht bei Terry.«
»Ruhe!« donnerte D’ram, und Loranth wälzte sich erschreckt in ihrer Schlafhöhle.
»Jetzt reicht es«, erklärte T’ron empört.
Er stand auf.
»Ich lasse nicht zu, daß meine Drachenkönigin aufgeregt wird. Sie hatten Ihr Treffen, Benden, und konnten Ihrem Kummer Luft machen.
Die Sitzung ist geschlossen.«
»Geschlossen?« wiederholte G’narish überrascht. »Aber – aber es wurde doch überhaupt nichts erreicht.«
Der Weyrführer von Igen sah verwirrt von T’ron zu D’ram.
»Und F’lars Reiter erlitt eine Verletzung. Wenn der Angriff von …«