6

Ramoth wartete auf ihren Gefährten, und gemeinsam überflogen sie die Seengebiete. Hinter ihnen fiel das Gelände langsam zum Meer hin ab; der Fluß, der von den Seen gespeist wurde, schlängelte sich durch weites Acker-und Weideland, bis er sich mit dem Dunto vereinigte und ins Meer floß.

Als sie vor der Gildehalle landeten, kam ihnen Terry aus einem der Nebengebäude entgegengelaufen. Er verbeugte sich tief und grinste dabei von einem Ohr zum anderen.

»Herzlich willkommen!«

F’lar und Lessa erwiderten die Begrüßung. »Nun, hat Fandarel schon ein Fernrohr hergestellt?« fragte der Bronzereiter lachend.

»Noch nicht ganz – aber er hat uns die ganze Nacht herumgehetzt.«

Terry unterdrückte ein Gähnen. Dann jedoch fuhr er lebhaft fort: »Faszinierend, was dieses Gerät alles sichtbar macht! Wansor ist abwechselnd selig und zutiefst niedergeschlagen. Er ärgert sich, daß er nicht das Geschick seiner Vorfahren besitzt.«

Sie hatten den Eingang fast erreicht, als Terry noch einmal stehenblieb. Seine Miene war ernst.

»Ich wollte Ihnen noch sagen, wie leid mir die Sache mit F’nor tut. Hätte ich ihnen das Messer doch gegeben! Aber es war als Hochzeitsgeschenk für Baron Asgenar bestimmt, und ich wußte, daß ich keine Zeit mehr haben würde, ein neues zu schmieden …«

»Das Recht war eindeutig auf Ihrer Seite«, sagte F’lar ruhig und legte dem Mann die Hand auf die Schulter.

Die Halle mit ihren hohen Fenstern bestand praktisch aus einem einzigen Saal. An einer der beiden Feuerstellen befand sich eine kleine Esse. Die schwarzen Steinwände, glatt und fugenlos, waren mit Skizzen und Zahlen bedeckt. Ein langgestreckter Tisch beherrschte den Raum. An den beiden Stirnseiten waren tiefe Sandgruben eingelassen, die Platte bedeckten Papiere, Aufzeichnungen und alle möglichen Geräte.

Der Schmied stand in der Nähe der Tür, die Fäuste in die Hüften gestemmt, das Kinn vorgeschoben, ein paar senkrechte Falten über der Nasenwurzel. Sein Unmut galt einer Skizze auf dem schwarzen Stein.

»Es muß eine Frage des Blickwinkels sein, Wansor«, murmelte er. »Wansor?«

»Wansor ist so gut wie im Dazwischen, Meister«, sagte Terry leise und deutete auf die schlafende Gestalt in einer Ecke des Raumes. Jetzt erst bemerkte F’lar, daß entlang der Wände eine Reihe von Pritschen standen, die man notfalls als Schlaflager benutzen konnte. Der Schmied knurrte ärgerlich vor sich hin. Dann sah er F’lar und Lessa, und seine Miene erhellte sich.

»Ihr kommt früh. Dabei hatte ich gehofft, ich könnte bereits die ersten Erfolge vorweisen.« Er deutete auf die Zeichnung. F’lar und Lessa betrachteten gehorsam die Linien und Ovale an der Wand.

»Tut mir leid …«

»Aber es ist doch erst Vormittag«, entgegnete F’lar mit gespieltem Ernst. »Ich gebe Ihnen noch bis heute abend Zeit, bevor ich Sie einen Stümper nenne.«

Fandarel lachte dröhnend, und die anderen stimmten ein. Allmählich löste sich die Spannung.

Nur Lessa betrachtete den Schmied besorgt. Sie wandte sich an Terry: »Er ist todmüde, das sieht man ihm an. Und wie ich ihn kenne, hat er seit gestern abend nichts mehr gegessen. Der Mann setzt seine Gesundheit aufs Spiel. Ich hole ihm jetzt eine kräftige Mahlzeit. Wo ist die Küche?«

»Nicht nötig.« Terry winkte ab und führte sie an einen kleinen Wandkasten. Er drückte auf den Knopf an der Unterseite und bestellte Essen für den Schmied und die anderen.

»Was war das?« fragte F’lar aufmerksam.

»Oh, ein Lautsprecher«, erklärte Terry grinsend. »Sehr nützlich, wenn man keine so kräftige Stimme wie unser Gildemeister hat. Wir haben die Dinger in jeder Halle angebracht. Das erspart uns manche Lauferei.«

Fandarel führte sie vor ein kompliziertes Gewirr aus Drähten und Keramiktiegeln.

»Mein Fernschrift-Apparat«, erklärte er stolz.

Lessa und F’lar sahen einander skeptisch an. Schließlich meinte Lessa zaghaft: »Dieser Lautsprecher hat mir besser gefallen.«

F’lar beugte sich über das Gerät und wollte den Finger in einen der Tiegel tauchen. Fandarel riß ihm die Hand zurück.

»Vorsicht!« warnte er.

»Diese Wannen enthalten Blöcke aus Zink und Kupfer in einer Schwefelsäurelösung, die das Metall zersetzt. Dabei erhalten wir eine Form von Aktivität, die ich chemische Reaktionsenergie genannt habe. Diese Energie kann hier gesteuert werden …«

Er fuhr mit dem Finger einen Metallhebel entlang, der über einer dünnen grauen Schicht schwebte. Man konnte erkennen, daß diese Schicht über zwei Walzen gespannt war. Der Schmied drehte an einem Knopf. Die Tiegel begannen leise zu blubbern. Er betätigte den Hebel, und eine Reihe roter Zeichen von verschiedener Länge zeigten sich auf dem grauen Stoff, der langsam nach vorne abrollte.

»Sehen Sie, das ist eine Botschaft. Der Harfner änderte seinen Trommelkode für uns ab, ein anderer Rhythmus und eine andere Länge für jeden Laut. Ein wenig Übung, und man kann das Zeug ebensogut wie eine normale Schrift lesen.«

F’lar deutete kopfschüttelnd auf die Rolle. »Aber welchen Vorteil hat es, wenn Sie Ihre Botschaft hierherschreiben …?«

Der Schmied grinste breit. »Hah, während ich hier Zeichen für Zeichen auftrage, werden sie von einer Nadel in der Gildehalle von Crom oder Igen wiederholt.«

»Das wäre schneller als eine Drachenbotschaft«, meinte Lessa. beeindruckt. »Und was bedeuten diese Zeilen?«

Sie berührte das graue Material mit dem Finger. Ein roter Abdruck blieb zurück. Sie sah erschrocken ihre Hand an, entdeckte aber nichts.

Der Schmied lachte gutmütig. »Harmloses Zeug. Reagiert lediglich auf die Säure Ihrer Haut.«

»Eine schöne Partnerin habe ich mir da ausgesucht!« neckte F’lar sie.

»Pah! Ich möchte nicht wissen, was geschieht, wenn du deine Finger hinhältst!«

»Das gleiche«, erklärte Fandarel.

»Die Rolle ist mit Lackmus überzogen, einer Substanz, die sich bei Säureeinwirkung verfärbt.«

»Sagten Sie nicht etwas von einer Drahtverbindung? Wie war das gemeint?«

Der Schmied nickte und deutete auf einen dünnen Draht, der vom Apparat weg ins Freie führte. Jetzt erst bemerkten F’lar und Lessa die Steinpfosten, die in einer langen Kette die Landschaft durchschnitten. Sie verloren sich am Horizont.

»Dieser Draht hier verbindet uns mit Crom, der andere führt nach Igen. Wir können Botschaften zu den beiden Stationen senden, wenn ich diese Wählscheibe, die im Moment auf Empfang gestellt ist, herumdrehe. Sie sehen, es ist an alles gedacht.«

»Dann ist das Drähtelegen wohl die Hauptschwierigkeit«, sagte F’lar nachdenklich.

Terry zuckte mit den Schultern.

»Nicht so schlimm. Die ersten Pfosten wurden von den Lehrlingen beider Gildehallen errichtet, und später schickten uns einige Barone Helfer. Aber wir mußten erst Draht auf die richtige Stärke und Länge ausziehen, und das war eine zeitraubende Angelegenheit.«

»Haben Sie mit Baron Larad gesprochen? Vielleicht stellt er Ihnen auch ein paar Leute zur Verfügung.«

Terry schnitt eine Grimasse.

»Larad interessiert sich höchstens dafür, wie viele Flammenwerfer wir ihm liefern können.«

»Glauben Sie, es gelingt Ihnen dennoch, in zwei Tagen so einen Apparat in Telgar aufzubauen?«

»Vielleicht, wenn wir die Produktion von Flammenwerfern für diese Zeit ruhen lassen. Und ich kann die Lehrlinge von den Schmiedewerkstätten in Igen, Telgar und Lemos zusammentrommeln.«

Fandarel warf F’lar einen Blick zu. »Wenn man ein paar Drachen zum Transport einsetzen könnte …«

»Abgemacht!« versprach F’lar.

Terry seufzte erleichtert. »Sie ahnen nicht, wie angenehm es ist, mit dem Benden-Weyr zusammenzuarbeiten.«

»Schwierigkeiten mit R’mart?« fragte F’lar besorgt.

»Das nicht, Weyrführer«, erwiderte Terry und beugte sich ernst vor. »Aber Sie kümmern sich noch um die Dinge, die auf Pern geschehen. Ihnen ist nicht alles gleichgültig.«

»Ich verstehe nicht…«

Der Gildemeister knurrte etwas, aber Terry ließ sich nicht einschüchtern.

Er fuhr fort: »Ich habe mit Drachenreitern aus allen Weyrn zu tun, und ich sehe die Sache so: Die Alten bekämpfen seit ihrer Geburt die Fäden. Etwas anderes kennen sie nicht. Sie sind müde, und das nicht nur von ihrem Sprung in die Zukunft. Sie sind ausgelaugt, völlig am Ende. Zu oft mußten sie aufsteigen, wenn die Wächter Alarm schlugen, zu viele ihrer Gefährten starben beim Kampf gegen die tückischen Sporen.

Sie stützen sich auf das Hergebrachte, die Tradition, weil das am sichersten ist und nur wenig Energie kostet. Und sie sind überzeugt davon, daß sie auf Pern jedes Vorrecht für sich beanspruchen dürfen.

Soweit es sie betrifft, hat es immer Fäden gegeben. Eine Spanne von vierhundert Planetendrehungen ohne Fäden können sie sich einfach nicht vorstellen.

Wir wissen es anders. Unsere Vorfahren lebten frei von der alten Furcht und entwickelten daher ein neues Verhältnis zu den Weyrn. So etwas läßt sich nicht über Nacht abstreifen. Wir existieren nur, weil die Alten in ihrer und in unserer Zeit lebten. Weil sie für uns kämpften. Wir haben ein Ziel vor Augen, ein Leben ohne Fäden. Sie dagegen kennen nur eines, und das haben sie uns beigebracht, wie man die Sporen bekämpft. Sie sehen einfach nicht ein, daß man einen Schritt weitergehen kann, daß man versucht, die Gefahr für immer zu verbannen.«

F’lar erwiderte Terrys ernsten Blick.

»Von dieser Seite habe ich die Alten noch nie gesehen«, sagte er langsam. »Und Sie haben recht. Uns stecken schon die sieben Planetendrehungen Kampf tief in den Knochen.«

»Durch Reden geschehen keine Wunder«, meinte Fandarel ungeduldig.

»Terry, Sie holen jetzt Wansor, und wir arbeiten das Problem noch einmal in aller Ruhe durch.«

Als F’lar sich mit Lessa erhob, um wieder aufzubrechen, raschelte F’nors Brief in seiner Tasche.

»Einen Augenblick, Lessa. Ich möchte noch rasch einen Blick auf F’nors Botschaft werfen.«

Er öffnete die eng beschriebenen Seiten und überflog sie.

»Feuerechsen!« rief er schließlich aus. »Verhalten sich ebenso wie Drachen!«

Er reichte Lessa die Zeilen.

»Bisher ist es keinem Menschen gelungen, eine Feuerechse zu fangen«, sagte Fandarel.

»F’nor augenscheinlich doch«, entgegnete F’lar.

»Ebenso Brekke und Mirrim.«

»Wer ist Mirrim?«

»Brekkes Pflegetochter«, erklärte Lessa geistesabwesend, während sie den Brief las.

»Ein Kind von L’trel, wenn ich mich nicht täusche. Na, ich kann mir denken, daß das Kylara nicht gepaßt hat.«

F’lar reichte die Seiten an Fandarel weiter, der neugierig geworden war.

»Sind Feuerechsen mit den Drachen verwandt?« erkundigte sich Terry.

»Offenbar stärker, als wir ahnten.«

F’lar sah Fandarel an.

»Was sagen Sie dazu?«

Der Schmied zog die Stirn kraus, doch mit einemmal grinste er breit.

»Fragen Sie den Herdenmeister. Er züchtet Tiere. Ich züchte Maschinen.«

Er winkte Lessa zum Abschied zu und trat wieder vor die Skizze, an der er bei ihrem Eintreten gearbeitet hatte.

»F’lar?« meinte Lessa, als sie draußen waren. »Erinnerst du dich an das Metallplättchen mit dem sinnlosen Text? Darauf waren auch Feuerechsen erwähnt. Eines der wenigen Worte, die man verstehen konnte.«

»Und?«

»Es ist schade, daß wir das Ding an den Fort-Weyr zurückgegeben haben. Es war wichtiger, als wir ahnten.«

»Auf Fort könnte es noch mehr wichtige Aufzeichnungen geben.«

F’lar sah düster vor sich hin.

»Es war der erste Weyr. Wer weiß, was man finden würde, wenn man ihn einmal richtig durchsuchte!«

Lessa dachte an T’ron und Mardra und schnitt eine Grimasse.

»Mit T’ron werde ich vielleicht fertig«, meinte sie.

»Nein, Rannelly, ich habe Kylara den ganzen Vormittag nicht gesehen«, erklärte Brekke der alten Amme geduldig. Sie kam schon zum viertenmal mit ihrer Frage.

»Sie haben bestimmt noch keinen Blick auf Ihre arme Königin geworfen«, murmelte die Alte im Hinausgehen.

»Alles wegen dieser… dieser lästigen kleinen Biester!«

Brekke hatte endlich Zeit gefunden, sich um Mirrims verletzten Braunen zu kümmern. Er war so mit Leckerbissen vollgestopft, daß er kaum ein Lid hob, als Brekke ihn untersuchte. Zum Glück half die Heilsalbe auch bei den Echsen.

»Es geht ihm ausgezeichnet, Liebes«, erklärte Brekke dem besorgten Mädchen.

Sie warf einen Blick auf die beiden Grünen, die wie angewachsen auf den Schultern ihres Zöglings saßen.

»Aber du darfst die Tiere nicht überfüttern, sonst bekommt ihre Haut Risse.«

»Glaubst du, daß sie bei mir bleiben werden?«

»Bei der Pflege ganz bestimmt, Herzchen. Aber vergiß deine anderen Pflichten nicht! Ich kann es nicht verantworten, daß du …«

»Alles wegen Kylara!«

»Mirrim!«

Beschämt ließ die Kleine den Kopf hängen. Aber sie konnte es nicht ändern, daß sie die Weyrherrin haßte. Immer kommandierte Kylara nur herum, ohne selbst einen Finger zu rühren. Brekke mußte die ganze Arbeit tun. Es war einfach ungerecht.

»Was meinte die alte Rannelly vorhin? Wirenth fehlt doch nichts. Es gibt selten eine Drachenkönigin, die besser gepflegt wird als sie.«

»Ich sehe gleich einmal nach. Als ich sie verließ, schlief sie noch.«

»Rannelly ist nicht besser als Kylara. Sie hält sich für besonders klug und versucht, allen am Zeug zu flicken.«

Brekke wollte ihren Zögling schon schelten, als draußen F’nor nach ihr rief.

»Was gibt es?«

»War kein Reiter von Benden hier?« fragte er.

»Nein. Ich hätte Ihnen sofort Bescheid gegeben.«

Dann bemerkte sie, daß die kleine goldene Königin nicht wie sonst in F’nors Armschlinge saß.

»Wo ist…?«

»Grall hat sich zwischen Canths Augenwülsten zusammengerollt und schläft. Sie ist so vollgefressen, daß sie sich nicht einmal rühren würde, wenn wir ins Dazwischen gingen. Gute Lust dazu habe ich ohnehin. Glauben Sie, dieser G’nag könnte meinen Brief verschlampt oder verloren haben?«

»Wenn er sagt, daß er ihn abgeliefert hat, dann stimmt das auch. Sie gehen mir mit dieser Wunde nicht ins Dazwischen, F’nor!«

Sie zuckte mit den Schultern. »Irgend etwas wird ihn davon abgehalten haben, sofort zu antworten. Ein neuer Fädeneinfall vielleicht. Oder Schwierigkeiten mit den Baronen. Ihre Schuld ist es nicht, daß Sie ihm keine Unterstützung geben können. Diese Fort-Reiter besitzen einfach keine Disziplin. Ein Grüner, der sich in Hitze befindet…«

Brekke schwieg erschrocken.

»Kylaras Prideth – aber Rannelly sprach von Wirenth …«

Das Mädchen war so blaß, daß F’nor den gesunden Arm ausstreckte, um sie zu stützen.

»Was ist los? Hat Kylara etwa mit Prideth den Weyr verlassen? Die Königin steht dicht vor der Paarung …«

»Ich weiß nicht. Ich muß nach Wirenth sehen. Sie wird doch nicht…«

F’nor folgte Brekke durch die Abgrenzung aus Fellisbäumen zur Sandkuhle der Drachenkönigin.

»Wirenth ist doch eben erst ausgeschlüpft«, rief er ihr nach, doch dann fiel ihm ein, daß das schon eine ganze Weile her war. Es hing vielleicht damit zusammen, daß Brekke so jung wirkte.

Lessa war nicht älter, als Mnementh zum erstenmal mit Ramoth zum Paarungsflug aufstieg, erklärte Canth.

»Ist Wirenth denn schon bereit?« fragte der braune Reiter.

Bald. Bald.

Die Bronzedrachen werden es merken.

F’nor ging im Geiste die Bronzereiter des Südkontinent-Weyrs durch. Das Ergebnis gefiel ihm gar nicht. Gewiß, es gab genug Bronzedrachen für die junge Königin, aber ihre Reiter hatten sich immer um Kylaras Gunst beworben, ob Prideth nun in der Hitze war oder nicht. Und der Gedanke, daß jemand, der Kylaras Bett geteilt hatte, nun Brekke bekommen sollte, verärgerte den braunen Reiter.

Canth war ebenso groß wie die kräftigsten Bronzedrachen hier im Süden, dachte F’nor. Aber dann unterdrückte er diesen Gedankengang. Er führte zu nichts.

F’nor blieb am Rande der Sandkuhle stehen und sah zu, wie Brekke sich mit Wirenth beschäftigte.

»Sie wird bald aufsteigen«, sagte er knapp.

»Ja, es sieht so aus.«

Brekke strich dem Drachen zärtlich über die Augenwülste. Doch dann veränderte sich ihre Miene. Sie deutete auf die kleine Bronzeechse, die sich an Wirenths Vorderpfote geschmiegt hatte.

»Ich möchte wissen, wie der kleine Bursche darauf reagiert.«

»Schwer zu sagen.«

F’nor räusperte sich.

»Wer wird der glückliche Reiter sein?«

Es war nicht unhöflich, diese Frage zu stellen. Als F’lars Stellvertreter hatte er durchaus das Recht, sich nach solchen Dingen zu erkundigen.

»Sie wissen, daß Sie auch die Bronzedrachen der anderen Weyr zu dem Wettbewerb auffordern dürfen?«

Einen Moment lang schloß sie die Augen, und er legte die Hand auf ihre Schulter.

»Sehen Sie, das wäre vielleicht besser.

N’ton von Benden und B’dor von Ista besitzen prachtvolle Tiere. Und beide sind tapfere Männer. Dann könnten Sie den Südkontinent verlassen …«

»Nein, nein«, entgegnete sie leise. »Ich gehöre hierher.«

»N’ton könnte sich zu T’bors Geschwader melden.«

»Nein, N’ton soll nicht in den Südkontinent kommen.«

»Er mag Kylara nicht. Es gibt tatsächlich Männer, die sie verabscheuen. Und – Sie werden ihm gefallen. Sie sehen nämlich entzückend aus.«

Unvermittelt sah Brekke zu ihm auf und lächelte.

»Ja? Es ist schön, das zu wissen.«

Er wechselte das Thema, beschloß aber, insgeheim N’ton und B’dor zu verständigen.

»Haben Sie Ihrer Echse schon einen Namen gegeben?«

»Berd. Wirenth und ich entschieden uns dafür. Sie liebt den Kleinen.«

Brekke deutete auf das ungleiche Paar.

In diesem Augenblick tauchte ein Drache über dem Weyr auf und trompetete laut zur Begrüßung.

»F’lar!«

Diese Flügelspanne besaß nur Mnementh, F’nor lief seinem Halbbruder entgegen.

»Kein Mensch hier?« begrüßte F’lar den braunen Reiter.

»Wo ist Kylara? Mnementh kann Prideth nirgends entdecken.«

»Sämtliche Weyrbewohner versuchen Feuerechsen einzufangen«, berichtete F’nor.

»Ausgerechnet jetzt, da die Fäden so unregelmäßig fallen? Das ist doch der Gipfel! Der Südkontinent ist keineswegs immun. Und wo treibt sich T’bor herum? Hat der Mann denn kein Verantwortungsgefühl?«

Der Ausbruch paßte so gar nicht zu dem ruhigen, ausgeglichenen F’lar. F’nor starrte den Weyrführer aufmerksam an.

F’lar fuhr sich mit der Hand über die Schläfen. Die Kälte im Dazwischen hatte erneut seine Kopfschmerzen geweckt.

»Entschuldige, F’nor. Ich bin wohl ein wenig übermüdet.«

»Laß nur. Da kommt Orth gerade.«

F’nor beschloß eine Weile zu warten, bevor er F’lar fragte, was ihn wirklich bedrückte. Er konnte sich vorstellen, wie Raid von Benden oder Sifer von Bitra die Forderung nach Wachtposten aufgenommen hatten. Vermutlich betrachteten sie die Verschiebung im Fädeneinfall als persönliche Kränkung, die ihnen der Weyr zufügte.

T’bor landete und trat auf die wartenden Männer zu.

»Orth hat mir von Ihrer Ankunft berichtet, F’lar. Was bringt Sie in den Süden? Sie haben die Neuigkeit von den Feuerechsen gehört?« Im Gehen klopfte sich T’bor den Sand aus den Kleidern.

»Ja, allerdings«, entgegnete F’lar so formell, daß T’bors Begrüßungslächeln verschwand.

»Und ich dachte, Sie hätten die unsere gehört – daß die Fäden sich nicht mehr an den Zeitplan halten.«

»Ich habe sämtliche Reiter entlang der Küste verteilt, F’lar. Es gibt also keinen Grund zu Vorwürfen.«

Seine Miene hellte sich wieder auf.

»Die Drachen müssen nicht unbedingt am Himmel kreisen, um die Fäden zu erspähen. Man hört das Zeug zischen, wenn es ins Wasser taucht.«

»T’bor, an Ihrer Stelle würde ich mich nicht unbedingt darauf verlassen, daß die Fäden vom Meer her kommen.«

»Aber das haben sie bisher immer getan – die wenigen, die uns erreichten.«

»Das ist keine Garantie. In Keroon fielen sie bisher auch immer im Süden – und diesmal mußten wir sie im Norden bekämpfen. Die alten Richtlinien gelten nicht mehr.«

T’bor sah ihn betroffen an. Dann sagte er gepreßt:

»Ich lasse sofort Wachen aufstellen und schicke die Geschwader auf Patrouillenflug in den Süden, bis an die Grenze der erforschten Gebiete.«

Der Weyrführer schwang sich auf Orth, und das Tier hob sich in die Lüfte. F’lar sah den beiden nach, bis sie verschwunden waren.

»Orth sieht gut aus«, meinte F’lar. Dann klopfte er seinem Halbbruder auf die gesunde Schulter.

»Du übrigens auch. Was macht dein Arm?«

»Danke, er heilt.«

F’nors Stimme klang geistesabwesend.

»Fallen die Fäden tatsächlich so unregelmäßig?«

»Was weiß ich?«

Der Bronzereiter sah finster vor sich hin.

»Aber lassen wir das jetzt!

Erzähle mir lieber von den Feuerechsen! Sind sie es tatsächlich wert, daß sämtliche erwachsenen Reiter des Weyrs ihre Zeit opfern? Komm, zeig mir rasch so ein Tier! Ich muß gleich wieder nach Benden zurück.«

»Beim Ei, der Weyr fällt nicht auseinander, wenn du einmal eine Stunde fort bist!« fauchte F’nor.

F’lar starrte ihn verblüfft an, dann brach er in Gelächter aus. Er entspannte sich ein wenig.

»So ist es besser«, fuhr F’nor fort.

»Wir trinken jetzt einen Becher Klah und sehen uns die Echsen an. Oder ist dir der hiesige Wein lieber?«

»Pah!«

F’lar winkte verächtlich ab.

Als sie die Halle betraten, stand Mirrim allein am Herd und rührte in den dampfenden Kesseln. Die beiden Grünen beobachteten sie vom Kaminsims aus. Den verwundeten Braunen trug sie auf dem Arm. Als sie die Männer näher kommen hörte, drehte sie sich ängstlich um und knickste.

»Du bist die junge Dame, die gleich drei Echsen für sich gewann?« fragte F’lar freundlich.