5
»Ich wollte Ihnen Bericht erstatten, sobald ich den Flügel geschient hatte«, erwiderte Brekke ruhig, aber F’nor spürte, wie sie sich versteifte.
Kylara trat so drohend auf das Mädchen zu, daß F’nor sich neben Brekke stellte.
»Es ging alles ganz rasch, Kylara«, erklärte er mit einem Lächeln.
»Wir hatten Glück, daß wir noch so viele retten konnten. Zu schade, daß Prideth die Botschaft von Canth nicht hörte. Sie hätten selbst eines der Tierchen für sich gewinnen können.«
Kylara blieb mit einem Ruck stehen. Der Saum ihres weiten Rocks wirbelte. Ärgerlich zog sie ihre Ärmel über die Handgelenke, aber nicht, bevor er die dunkle Druckstelle an ihrem Arm gesehen hatte. Da sie Brekke nicht angreifen konnte, wandte sie sich Mirrim zu. Das Mädchen sah hilfesuchend Brekke an. Im gleichen Moment spürten die kleinen Echsen ihre Anspannung. Die Grünen begannen zu fauchen, und das Bronzegeschöpf auf G’sels Schulter stieß einen hellen Schrei aus. Kylara drehte sich um.
»Ich nehme den hier! Natürlich. Er paßt ausgezeichnet zu mir.« Das Glitzern in ihren Augen war so abstoßend, daß F’nor ein Kribbeln im Nacken spürte.
»Eine Bronzeechse auf meiner Schulter macht sich sicher hübsch«, fuhr Kylara fort und griff nach dem Tierchen.
G’sel hob warnend die Hand.
»Kylara, die Tiere haben eine feste Bindung zu ihren Besitzern, ähnlich wie die Drachen«, sagte F’nor und munterte den Reiter durch ein Zeichen auf, hart zu bleiben. G’sel war ein grüner Reiter und neu im Weyr; gegen Kylara konnte er sich nicht durchsetzen.
»Es ist Ihr Risiko, wenn Sie die Echse anrühren!«
Kylara lachte spöttisch, aber sie zögerte.
»Eine feste Bindung? Aber es sind doch nur Feuerechsen!«
»Und von welchen Geschöpfen stammen Ihrer Meinung nach die Drachen ab?«
»Verschonen Sie mich mit diesem Ammenmärchen!«
Sie näherte sich erneut der kleinen Bronzeechse. Das Tier zischte und schnappte nach ihr.
»Wenn es Sie beißt, geben Sie G’sel nicht die Schuld!« meinte F’nor leichthin, obwohl es ihn große Mühe kostete, sich zu beherrschen. Am liebsten hätte er die Weyrherrin windelweich geprügelt. Das war genau die Behandlung, die sie brauchte.
»Sie haben keine Beweise, daß die Verwandtschaft mit den Drachen derart eng ist«, widersprach Kylara und sah die anderen mißtrauisch an.
»Bisher gelang es noch nie, diese Echsen zu fangen …«
»Natürlich haben wir keine Beweise.«
Allmählich machte es F’nors Spaß, die Weyrherrin zu reizen. »Aber sehen Sie sich die Ähnlichkeit an! Meine kleine Königin …«
»Sie? Eine Königin?« Kylara wurde bleich, als F’nor lässig die Schlinge zur Seite schob und ihr die schlafende goldene Echse zeigte.
»Sie ging ins Dazwischen, als sie sich ängstigte. Wir spürten ihre erregten Gedanken, und es gelang uns, sie zu beruhigen und zur Rückkehr zu bewegen. Canth erklärte mir, daß sie eben erst ausgeschlüpft sei. Ich fütterte sie, und sie blieb bei mir. Es handelte sich wohl um eine Art Gegenüberstellung. Deshalb gelang es uns auch nicht, mehr als die sieben hier zu retten. Die anderen brachten sich gegenseitig um. Wie lange die kleinen Echsen bei uns bleiben werden, läßt sich nicht vorhersagen. Aber die Drachen leugnen die Blutsverwandschaft nicht, und sie sind klüger als wir.«
»Wie spielt sich diese Gegenüberstellung denn ab?« fragte Kylara scheinheilig.
F’nor durchschaute sie, aber wenn eine Suche am Strand sie davon abhielt, Brekke zu quälen, gab er ihr gern Auskunft.
Kylara hörte ihm aufmerksam zu. Dann wandte sie sich arrogant zum Gehen. In der Tür drehte sie sich noch mal um und sah Mirrim an.
»Hier auf dem Weyr wird gearbeitet. Wir haben keinen Platz für Schoßtiere, die niemandem nützen. Ich lasse es nicht zu, daß meine Leute am Strand herumlungern und nach Echsen suchen …«
Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
»… bevor Sie eine besitzen, Kylara?« meinte F’nor grinsend.
»Ich habe Besseres zu tun!«
Sie rauschte hinaus.
»Vielleicht sollten wir die Echsen warnen«, sagte er trocken, nachdem sie gegangen war.
»Es gibt keinen Schutz vor jemandem wie Kylara«, erwiderte Brekke und händigte den bandagierten Blauen seinem Besitzer aus. »Man lernt, mit ihr zu leben.«
G’sel prustete los.
»Wie kannst du das sagen, Brekke, wo sie so häßlich und gemein zu dir ist?« rief Mirrim.
Die junge Drachenreiterin warf ihrer Pflegetochter einen strafenden Blick zu.
»Urteile nie, wo du kein Mitgefühl hast!« entgegnete Brekke. »Und damit du es nur weißt – auch ich kann nicht dulden, daß du deine Pflichten über den Tieren vernachlässigst. Ich weiß nicht, weshalb wir sie überhaupt herbrachten.«
»Urteile nie, wo du kein Mitgefühl hast!« ahmte F’nor sie nach.
»Sie brauchten uns«, sagte Mirrim so heftig, daß sie über ihre eigene Kühnheit erschrak und sich rasch über den verletzten Braunen beugte.
»Ja, da hat sie recht«, kam F’nor ihr zu Hilfe.
Er spürte, wie sich die kleine goldene Echse an ihn schmiegte. »Es ist die Aufgabe des Drachenvolks, Schwächere zu schützen.«
»Mirrim stammt nicht aus dem Weyr«, erklärte Brekke trocken. »Aber wenn auch das gewöhnliche Volk die Gunst der Tiere gewinnen kann, dann lohnt es sich vielleicht, so viele wie möglich zu retten.«
»Wie meinen Sie das?«
Brekke schüttelte ungeduldig den Kopf.
»Begreifen Sie denn nicht, F’nor? Sein Leben lang wünscht sich jeder, der nicht im Weyr lebt, eine dieser kleinen Feuerechsen zu besitzen, einfach, weil sie so starke Ähnlichkeit mit den echten Drachen aufweisen.
Nein, unterbrechen Sie mich nicht! Sie wissen recht gut, daß erst in den letzten acht Planetendrehungen die Bewohner von Burgen und Handwerksdörfern zur Gegenüberstellung zugelassen werden. Ich erinnere mich noch recht gut, daß meine Brüder Nacht für Nacht Pläne schmiedeten, wie sie eine Feuerechse fangen könnten. Ich glaube nicht, daß sie die alten Legenden kannten, nach denen die Drachen von den Echsen abstammen.
Aber Drachen waren für das gemeine Volk tabu, während uns niemand verbieten konnte, nach Echsen zu jagen.«
Sie streichelte liebevoll das Bronzetierchen auf ihrem Arm. »Merkwürdig, daß die Leute seit Generationen auf der rechten Spur waren, ohne es zu ahnen.
Diese Geschöpfte haben das gleiche Talent wie die Drachen, unsere Zuneigung zu gewinnen. Ich weiß, daß eine Menge Arbeit auf mich wartet, aber nichts könnte mich dazu bewegen, das kleine Wesen hier wieder herzugeben.«
Sie lächelte zärtlich.
»Es wäre gut, wenn das einfache Volk diese Liebe auch zu spüren bekäme. Es könnte uns dann besser verstehen.«
»Brekke, Sie glauben doch nicht, daß der Besitz einer Feuerechse Männer wie Vincet von Nerat oder Meron von Nabol verändern würde? Sie hassen uns Drachenreiter und werden uns immer hassen.«
»Verzeihung, F’nor, wenn ich mich einmische«, sagte G’sel, »aber ich glaube, Brekke hat recht.
Ich stamme selbst aus einer Burg. Sie kennen von Geburt an nur das Leben im Weyr und können sich nicht vorstellen, welche Gefühle wir Drachenreitern gegenüber hegen. Der Neid fraß mich auf – bis ich bei der Gegenüberstellung Roth für mich gewann.«
Seine Augen leuchteten auf.
»Es wäre einen Versuch wert. Sehen Sie sich die kleine Echse an, F’nor! Sie war bereit, sich auf die Weyrherrin zu stürzen, um bei mir bleiben zu können. Begreifen Sie nicht, was für ein erhebendes Gefühl das für einen Menschen wäre, der sein Leben lang zu den Drachenreitern aufschaut?«
F’nor sah Brekke und Mirrim an und zuckte dann mit den Schultern.
»Vielleicht sollte T’bor seine Reiter dazu anhalten, bei Patrouillenflügen nach Echsen Ausschau zu halten«, meinte er.
»Dann hätte Kylara das Nachsehen«, murmelte Mirrim schadenfroh.
Jaxoms Freude über die Einladung nach Benden wurde durch die finstere, mißbilligende Miene seines Vormunds empfindlich getrübt. Der kleine Baron wußte natürlich nicht, daß der Verwalter von Ruatha gegen schmerzhafte Erinnerungen ankämpfen mußte, wenn er dem Weyr einen Besuch abstattete.
Ein Drachenreiter, der sein Tier verloren hatte, blieb für den Rest seines Lebens ein halber Mensch … Jaxom schlüpfte in seine Sonntagskleider. Dann zog er seine Schaftstiefel und die Jacke aus Wherleder an. Ein angenehmer Schauder lief ihm über den Rücken, wenn er an die beißende Kälte im Dazwischen dachte. Es war, als schwebte man im Nichts, und die Kehle schnürte sich zusammen, und der Magen verkrampfte sich, und man hatte Angst, daß man nie wieder das Licht des Tages sehen würde. Er war auf Felessan ein wenig neidisch, obwohl keineswegs feststand, daß sein Freund später einen Drachen fliegen würde. Aber Felessan lebte auf Benden, und er hatte einen echten Vater und eine echte Mutter und ständig Drachenreiter um sich … »Baron Jaxom!« rief Lytol vom Außenhof, und der Junge sprang auf, plötzlich von der Angst erfaßt, sein Vormund könnte allein aufbrechen.
Nur ein Grüner, dachte Jaxom ein wenig enttäuscht, als er den Drachen entdeckte. Er hatte zumindest erwartet, daß man für den Verwalter von Ruatha einen Braunen schickte. Doch dann wehrte er den Gedanken zerknirscht ab.
Lytol hatte einen Braunen besessen … Der grüne Reiter grinste breit, als er Jaxom entdeckte.
»Guten Morgen, Jeralte«, rief er, ein wenig verwirrt, denn er hatte noch vor zwei Planetendrehungen mit dem jungen Mann in den unteren Höhlen gespielt. Jetzt war er ein fertig ausgebildeter Drachenreiter.
»J’ralt, bitte, Baron Jaxom«, korrigierte Lytol seinen Schützling.
»Oh, das macht doch nichts«, meinte J’ralt lachend, während er Jaxom beim Aufsteigen half und ihn mit dem Reitgurt festschnallte.
Jaxom wäre am liebsten im Erdboden versunken.
Wie konnte er so etwas vergessen! Erst als der Drache über dem Tal von Ruatha schwebte, gewann er wieder Freude an dem Ausflug.
Ein Drachenreiter zu sein, war sicher das Schönste auf der ganzen Welt. Jaxom fühlte mit einemmale heftiges Mitleid für Lytol, der das Glück besessen und wieder verloren hatte. Sicher bereitete es ihm Qualen, auf einem fremden Tier zu sitzen. Jaxom sah auf den starren Rücken vor sich und wünschte, er könne seinen Vormund trösten.
Dann tauchten sie ins Dazwischen.
Man muß langsam bis drei zählen, dachte Jaxom aufgeregt. Er sah und hörte nichts mehr, spürte nicht mehr die weiche Haut des Drachens unter sich. Er versuchte zu zählen und konnte es nicht. Sein Verstand schien zu gefrieren, aber eben, als er aufschreien wollte, wandelte sich die Szene. Sie kreisten über Benden, das sich golden in der Spätnachmittagssonne ausbreitete.
Als sie tiefer gingen, entdeckte Jaxom Mnementh, den größten Bronzedrachen von ganz Pern, auf dem Felsensims vor der Schlafhöhle der Drachenkönigin. Sie befand sich sicher an der Brutstätte und wachte über die Eier, die im warmen Sand allmählich eine harte, spröde Schale bekamen.
Lessa, die Weyrherrin, und F’lar waren jetzt auf den Sims hinausgetreten. Der grüne Drache stieß einen hellen Schrei aus, und Mnementh antwortete ihm. Ein gedämpftes Grollen aus der Tiefe drang an Jaxoms Ohr. Ramoth hatte ihre Ankunft zur Kenntnis genommen.
Jaxom atmete auf, als er die winzige Gestalt entdeckte, die von den unteren Höhlen heraufgerannt kam.
Felessan.
Sein Freund.
Er hatte ihn seit Monaten nicht mehr gesehen.
Jaxom wußte Lytols kritische Blicke auf sich gerichtet, als er die Weyrherrin und den Weyrführer begrüßte. Er hatte die Worte und Verbeugungen of genug geübt. Dennoch geriet er ins Stammeln und kam sich wie ein Schwachkopf vor.
»Da bist du ja, da bist du ja! Ich habe Gandidan gesagt, daß du kommen würdest!« keuchte ihm Felessan entgegen.
Er nahm zwei Stufen auf einmal, um schneller zu seinem Freund zu gelangen. Felessan war drei Planetendrehungen jünger, aber er gehörte dem Drachenvolk an, und obgleich F’lar und Lessa ihn einer Pflegemutter übergeben hatten, hätte er doch bessere Manieren an den Tag legen müssen. Vielleicht stimmte es tatsächlich, was Mardra immer behauptete. Die modernen Drachenreiter besaßen keinen Anstand.
In diesem Augenblick, als spürte der Junge die Mißbilligung seines Freundes, blieb er vor Lytol stehen und verbeugte sich tief.
»Einen angenehmen Nachmittag, Lytol von Ruatha. Ich danke Ihnen vielmals, daß Sie Jaxom mitgebracht haben. Dürfen wir beide nun gehen?«
Bevor einer der Erwachsenen antworten konnte, hatte Felessan seinen Freund an der Hand gepackt und zerrte ihn zur Treppe.
»Keine Dummheiten, Baron Jaxom!« rief Lytol seinem Schützling nach.
»Hier können sie kaum etwas anstellen«, beruhigte ihn Lessa lachend.
»Wir durchsuchten heute die ganze Burg nach ihm, und wissen Sie, wo wir ihn schließlich entdeckten? In der Felskammer! Ein Steinschlag und …«
Jaxom stöhnte innerlich. Mußte Lytol das Lessa wirklich erzählen?
»Hast du etwas entdeckt?« fragte ihn Felessan, sobald sie außer Hörweite waren.
»Entdeckt?«
»Ja – in den Felskammern!« Felessan sah ihn mit großen Augen an.
Jaxom stieß mit dem Fuß gegen einen Stein.
»Och, nur leere Räume, voll von Staub und Unrat. Und einen alten Tunnel, der aber nach einem Stück von Felsbrocken versperrt wurde. Nichts Besonderes.«
»Los, dann komm, Jax!«
Etwas in Felessans Tonfall machte Jaxom stutzig.
»Wohin?«
»Ich zeig’s dir.«
Der Weyr-Junge führte Jaxom in die Unteren Höhlen; es roch nach frisch gebackenem Brot und brutzelndem Fleisch. Die Mädchen und Frauen richteten bereits alles zum Abendessen her. Als Felessan an einem der Tische vorbeikam, stahl er sich eine Handvoll Rüben. Eine Magd drohte ihm lachend mit dem Kochlöffel.
»Du hast es gut«, seufzte Jaxom.
»Warum?« fragte der Jüngere erstaunt.
»Einfach so.«
Felessan zuckte mit den Schultern und kaute zufrieden. Sie verließen das Küchengewölbe. Ein paar Jungen in Felessans Alter spielten in einer Ecke, und einer machte eine spöttische Bemerkung. Die anderen lachten gehorsam.
»Komm, Jaxom«, sagte Felessan laut, »bevor uns einer dieser Knilche nachschnüffelt.«
»Wohin gehen wir denn?«
Felessan legte den Finger auf die Lippen und sah sich verstohlen um. Niemand schien sie zu beobachten. Er nahm den Freund an der Hand und beschleunigte seine Schritte.
»He, ich möchte nicht schon wieder Krach mit Lytol kriegen«, protestierte Jaxom, als er merkte, daß Felessan immer tiefer in das Höhlenlabyrinth eindrang.
»Krach? Die erwischen uns nicht. Alle sind mit dem Abendessen beschäftigt.«
Er grinste breit.
»Ich hätte helfen müssen, wenn du nicht gekommen wärst.«
Sie hatten eine Stelle erreicht, wo ein schwach erleuchteter Gang rechts vom Hauptkorridor abzweigte.
Jaxom zögerte.
»Was ist?« fragte Felessan mit gerunzelter Stirn. »Hast du etwa Angst?«
»Angst?« Jaxom trat neben seinen Freund. »Darum geht es nicht.«
»Dann komm! Und sei leise!«
»Warum?«
Jaxom hatte bereits die Stimme gesenkt.
»Du wirst gleich sehen. Nimm das da!«
Aus einer Nische holte Felessan zwei Korblampen, in denen Kerzenstummel steckten. Er drückte Jaxom eine davon in die Hand. Schnell betrat Jaxom als erster den Gang. Die Fußspuren im Staub, die alle in die gleiche Richtung führten, beruhigten ihn ein wenig, auch wenn sie von Kindern zu stammen schienen. Es war kein einziger Stiefelabdruck darunter.
Sie kamen an versperrten Türen und vernagelten Eingängen vorüber, an Nischen, die im tanzenden Licht der Kerzenstummel gespenstisch aussahen. Warum hatte Felessan keine neuen Lichter genommen? Die hier reichten bestimmt nicht mehr lange. Und Jaxom hatte wirklich keine Lust, im Dunkeln durch unbenutzte Korridore zu tappen. Aber er konnte nicht fragen, wie weit es noch war. Ein riesiges schwarzes Rechteck tauchte zur Linken auf, und er schluckte ängstlich, aber Felessan ging unbekümmert daran vorbei. Es war wieder nur ein Nebenkorridor.
»Beeil dich!« zischte Felessan.
»Warum?«
Es gelang Jaxom, seiner Stimme einen lässigen Klang zu geben.
»Weil sie um diese Tageszeit immer zum Badesee geht. Das ist unsere einzige Chance.«
»Sie?«
»Ramoth, du Schwachkopf!«
Felessan blieb so abrupt stehen, daß Jaxom gegen ihn stieß, und der Kerzenrest zu flackern begann.
»Ramoth?«
»Klar! Oder hast du Angst, einen Blick auf ihre Eier zu werfen?«
»Ihre Eier? Ehrlich?«
Ihm stockte der Atem. Er wurde zwischen Angst und Neugier hin und her gerissen. Schließlich siegte der Gedanke, daß er den Jungen auf der Burg mächtig imponieren konnte, wenn er ihnen von seinem Abenteuer erzählte.
»Ganz ehrlich! Nun komm schon!«
Jetzt, da Jaxom sein Ziel kannte, verloren die düsteren Nischen und Nebengänge viel von ihrem Schrecken. Und Felessan schien sich gut auszukennen. Ihre Schritte wirbelten Staub auf, und die Kerzen brannten allmählich nieder, aber weiter vorn schimmerte ein dünner Lichtspalt.
»Da müssen wir hin!«
»Hast du schon mal eine Gegenüberstellung erlebt, Felessan?«
»Klar. Eine ganze Meute von uns sah bei der letzten zu, und es war sagenhaft. Erst schaukelten die Eier hin und her, und plötzlich erschienen große Sprünge in der Schale.«
Felessan fuchtelte mit seiner Korblampe.
»Dann«, und er senkte die Stimme zu einem geheimnisvollen Flüstern, »platzte eines, und ein Drachenkopf schob sich durch. Willst du wissen, welche Farbe der erste hatte?«
»Erkennt man das nicht an der Schale?«
»Nein. Nur bei einem Königinnen-Ei. Das ist größer als die anderen und glänzt irgendwie. Du wirst schon sehen!«
Jetzt hätte Jaxom nichts mehr davon abhalten können, den Weg fortzusetzen. Keiner seiner Spielkameraden auf der Burg, nicht einmal die anderen jungen Barone, hatten ein Drachenei oder gar eine Gegenüberstellung gesehen. Vielleicht konnte er ein wenig schwindeln … »He, steig mir nicht auf die Fersen!« fauchte Felessan.
Der Lichtspalt verbreiterte sich, zeichnete auf die glatte gegenüberliegende Wand ein Rechteck. Als sie näher kamen, erkannte Jaxom, daß der Korridor dicht hinter dem Schlitz zu Ende war. Felsbrocken deuteten darauf hin, daß hier vor langer Zeit die Decke eingebrochen war und den restlichen Gang verschüttet hatte. Aber es stimmte, sie konnten tatsächlich die gesprenkelten Eier auf dem dampfenden Sand erkennen. Gelegentlich schaukelte sogar eines davon.
»Wo ist das Königinnen-Ei?« wisperte Jaxom.
»Du kannst ruhig laut reden. Du siehst ja selbst – alles leer. Ramoth ist am See.«
»Wo ist das Königinnen-Ei?« wiederholte Jaxom, und er ärgerte sich, weil seine Stimme zitterte.
»Etwas weiter seitlich. Man kann es von hier aus nicht erkennen.«
Jaxom reckte den Hals, um wenigstens einen einzigen Blick auf das goldene Ei zu werfen.
»Möchtest du es so gern sehen?«
»Klar. Talina von unserer Burg gehört zu den Kandidaten. Alle Mädchen aus Ruatha werden Weyrherrinnen.«
Felessan zuckte mit den Schultern. Dann ging er an den Spalt und zwängte sich seitlich durch, bis er in der Bruthöhle stand.
»Komm!« flüsterte er dem Freund zu.
Jaxom musterte skeptisch den Schlitz. Er war kräftiger gebaut und größer als Felessan. Er holte tief Luft und ahmte das Beispiel des Freundes nach. Kopf und Schulter gingen glatt durch, aber mit der Brust blieb er an dem groben Stein hängen. Felessan packte seinen Arm und zerrte. Mannhaft unterdrückte Jaxom einen Aufschrei, als der Stein ihm die Haut aufschürfte.
»Beim Ei, das wollte ich nicht, Jaxom!«
Der junge Baron biß die Zähne zusammen.
»Ist schon gut.«
Und dann sah er das goldene Ei, ein wenig abseits von den anderen.
»Es… es ist so groß!« flüsterte er scheu. Er wußte, daß er etwas Unrechtes tat. Nur die Weyrgeborenen hatten das Recht, die Eier zu sehen.
»Und es glitzert.«
»Hm.«
Felessan nickte.
»Weit größer als das von Fort.«
»Mardra behauptet, daß die Drachen von Benden überfüttert sind und deshalb schlechter fliegen als die anderen«, entgegnete Jaxom.
»Pah! N’ton sagt, daß Mardra ein blödes Frauenzimmer ist und T’ron das Leben zur Hölle macht!«
Jaxom versuchte abzulenken. Er mochte Mardra zwar auch nicht aber Ruatha gehörte schließlich zu Fort, und da durfte er solche Reden nicht dulden.
»Sieh mal, das hier ist ganz winzig. Fast wie ein Wherry-Ei.« Und er berührte ein Ei, das ein Stück von den anderen entfernt lag, dicht neben der Felswand.
»He, laß das Ei stehen!« rief Felessan sichtlich erschrocken.
»Warum? Es ist hart wie Leder!«
Und Jaxom klopfte vorsichtig mit dem Knöchel dagegen.
»Und warm«, fügte er hinzu.
Felessan riß ihn von dem Ei weg.
»Man darf Eier nicht anrühren. Niemals. Nur wenn man zu den Kandidaten gehört.«
Jaxom sah ihn verächtlich an.
»Du hast Angst!«
Und um zu beweisen, daß er tapferer war, strich er noch einmal über die harte Schale.
»Ich habe keine Angst! Aber Eier rührt man nicht an!«
Und Felessan schlug dem Frevler auf die Hand.
»Du bist kein Kandidat!«
»Nein, ich bin Baron«, erwiderte Jaxom und richtete sich stolz auf.
»Das würde dir nichts nützen, wenn Ramoth plötzlich zurückkehrte«, erinnerte ihn Felessan und zog ihn zu dem Schlitz hin.
Ein dumpfes Grollen am anderen Ende der Brutstätte erschreckte sie plötzlich.
»Da!« zischte Felessan und schlüpfte wieselflink zurück in den Korridor.
Diesmal hatte Jaxom nichts dagegen, daß der Freund ihn mit aller Kraft durch den engen Spalt zerrte. Sie warteten nicht ab, ob es wirklich Ramoth war, die zurückkehrte. Sie packten ihre Lampen und rannten los.
Als das Licht des Felsenspalts nicht mehr zu sehen war, blieb Jaxom stehen. Er blutete, und das Herz schlug ihm bis zum Halse.
»Komm doch!« drängte Felessan.
»Ich kann nicht. Meine Brust…«
»Tut es weh?« Felessan hielt die Lampe hoch. »Hm, das sieht scheußlich aus. Machen wir, daß wir zu Manora kommen!«
»Ich brauche … erst mal … eine Verschnaufpause.«
Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, als seine Lampe erlosch.
»Dann gehen wir eben langsam«, meinte Felessan. Seine Stimme klang unsicher.
Jaxom erhob sich, fest entschlossen, die Angst, die in ihm aufkeimte, zu unterdrücken. Die Wunde brannte wie Feuer; gleichzeitig stand ihm kalter Schweiß auf der Stirn.
Er umklammerte die nutzlos gewordene Lampe.
»Nein, wir müssen uns beeilen«, sagte er mühsam.
Sie tasteten sich entlang der Korridorwände. Ganz schwach zeichneten sich am Boden Fußspuren ab. Das gab ihnen Mut.
»Es ist nicht mehr weit, oder?« fragte Jaxom, als auch die zweite Lampe bedrohlich zu flackern begann.
»Äh ich hoffe es.«
»Was ist denn los?«
»Ich… ich sehe keine Fußabdrücke mehr.«
Sie kehrten um, aber nach wenigen Schritten erlosch die zweite Lampe.
»Was machen wir nun, Jaxom?«
Jaxom holte tief Atem, um seiner Stimme einen festen Klang zu geben.
»Also, wenn ich auf Ruatha nicht rechtzeitig heimkomme, schicken sie Suchtrupps aus.«
»Hm. Lytol wird dein Verschwinden bemerken, sobald er aufbrechen möchte. Er bleibt nie lange hier.«
»Sag das nicht! Sicher lädt man ihn zum Abendessen ein, und da kann er nicht gut ablehnen.«
Eine gewisse Bitterkeit über Felessans Leichtsinn klang durch. »Hast du denn gar keine Ahnung, wo wir uns befinden?«
»Nein«, mußte Felessan zugeben.
»Ich bin immer den Fußspuren gefolgt. Du hast sie auch gesehen.«
Darauf antwortete Jaxom nichts, weil es eine Art Schuldgeständnis gewesen wäre.
»Wohin führen denn die Nebenkorridore?« fragte er nach einer kleinen Pause.
»Ich weiß nicht. Es gibt so viele unbenutzte Räume im Weyr. Ich… ich kam bisher nie weiter als zur Brutstätte.«
»Und die anderen? Wie weit drangen sie vor?«
»Gandidan erzählte immer, was er hier unten alles gesehen hätte, aber – aber so richtig aufgepaßt habe ich dabei nicht.«
»Beim Ei, nun heul nicht gleich!«
»Ich heule nicht. Mir knurrt der Magen.«
»Mann, das ist die Lösung! Ich erinnere mich, daß der Bratenduft aus dem Küchengewölbe ziemlich weit in den Korridor eindrang. Riechst du jetzt etwas?«
Sie sogen prüfend die Luft ein. Nichts. Nur Moder. Jaxom preßte die Hand gegen den kalten, glatten Stein. Das tröstete ihn irgendwie und ließ ihn seine Schmerzen vergessen. Mit einem Plumps rutschte er zu Boden.
»Jaxom?«
»Es ist nichts weiter. Ich muß nur ein wenig ausruhen.«
»Ich auch.«
Und mit einem Seufzer der Erleichterung setzte sich Felessan neben ihn.
»Ich möchte wissen, wie es früher war«, meinte Jaxom nach einer Weile nachdenklich.
»Früher?«
»Als in den Weyrn und Burgen noch mehr Leben herrschte. Als die Korridore alle beleuchtet waren und benutzt wurden.«
»Es wurden nie alle benutzt.«
»Unsinn! Man gräbt doch nicht zum Spaß Gänge in den Fels!«
Sie schwiegen wieder.
»Felessan …«, fing Jaxom wieder an.
»Was… was gibt es?«
»Du, die Wand hinter uns ist ganz glatt.«
»Ja, und?«
»Sie ist glatt! Sagt dir das nichts?«
»Rede doch nicht um den Brei herum!«
Felessans Stimme klang ärgerlich.
»Wir müssen uns in einem ganz alten Teil des Weyrs befinden! Heutzutage gibt es solche glatten Flächen nicht mehr.«
Jaxom stand auf.
»He!«
Felessan tastete nach ihm.
»Bleib bei mir, Jaxom! Ich kann dich nicht sehen.«
Jaxom zog den Freund zu sich.
»Halte dich an mir fest! Wenn es sich tatsächlich um einen alten Gang handelt, kann er nicht so lang sein. Früher oder später wird er in den Hauptkorridor münden.«
»Oder in einer Sackgasse enden! Woher weißt du, daß wir nicht in die falsche Richtung gehen?«
»Irgend etwas müssen wir tun. Oder willst du hier unten verhungern?«
Jaxom tastete sich vorwärts. Sie waren noch keine zwanzig Schritte gegangen, als der junge Baron abrupt stehenblieb. Felessan war nicht darauf gefaßt und stolperte.
»He, kannst du nichts sagen?«
»Ich habe etwas entdeckt.«
»Was?«
»Einen senkrechten Schlitz in der Wand!«
Aufgeregt streckte Jaxom beide Arme aus und suchte weiter. Es schien sich um ein Türsegment zu handeln. In Schulterhöhe stieß er auf eine quadratische Vertiefung. Er drückte dagegen, und mit einem dumpfen Stöhnen schwang die Tür auf. Licht flutete in den Korridor.
Die Jungen hatte keine Gelegenheit mehr, die Wunder jenseits der Schwelle zu bestaunen. Das Schutzgas, mit dem man den Raum überflutet hatte, strömte aus und überwältigte sie. Aber das Licht brannte weiter, und es lockte die Suchenden herbei.
Harfner Robinton erhob sich, um Lytol zu begrüßen, und Fandarel, der Gildemeister der Schmiede, reichte ihm mit einem breiten Grinsen die klobige Hand. Als sie alle Platz genommen hatten, schenkte Lessa Wein ein.
»Es freut mich, daß Sie gekommen sind, meine Herren, obwohl ich Sie erst so spät verständigte«, begann F’lar.
»Ich bin immer gern auf Benden«, meinte Robinton und hob den Becher.
»Und ich habe ohnehin ein paar Neuigkeiten für Sie«, erklärte Fandarel mit seinem grollenden Baß.
»Ich auch.«
Lytols Wangenmuskel begann zu zucken, ein Zeichen dafür, daß er erregt war.
»Ich brauche Ihren Rat«, fuhr F’lar ernst fort.
»In Lemos sind Fäden gefallen – zu früh …«
»Nur in Lemos?« unterbrach ihn Robinton.
»Meine Trommler berichteten von der gleichen Erscheinung in Tillek und Crom.«
»Ich wollte, ich hätte auch so zuverlässige Boten wie Sie«, meinte F’lar ein wenig bitter.
»Und Sie fanden es in Ordnung, daß die Weyr schwiegen, Robinton?«
Er hatte den Harfner immer zu seinen Freunden gezählt.
»Meine Gilde untersteht Fort, mein lieber F’lar«, erwiderte der Harfner mit einem kleinen Lächeln, »und T’ron hält nicht viel von der alten Sitte, wichtige Nachrichten an den Meisterharfner weiterzugeben. Offiziell wußte ich nichts, und es ergab sich keine Gelegenheit heimlich mit Ihnen zu sprechen.«
F’lar holte tief Atem. Robintons Aussage bestätigte, daß T’ron keine Ahnung von den Vorfällen gehabt hatte. »T’kul hielt es nicht für nötig, die übrigen Weyrführer zu verständigen.«
»Das überrascht mich keineswegs«, murmelte Robinton.
»Wir erfuhren erst heute, daß R’mart beim Kampf gegen die Fäden verletzt wurde und keine Boten mehr ausschicken konnte, um uns zu warnen.«
»Du meinst, diese dämliche Bedella vergaß seinen Auftrag!« warf Lessa ein.
F’lar nickte und fuhr fort: »Benden war deshalb völlig ahnungslos, als morgens im Nordosten von Lemos Fäden zu fallen begannen. In den Zeitplänen war der Südwesten eingetragen, für den Spätnachmittag. Zum Glück schicke ich immer einen Reiter in das gefährdete Gebiet voraus. So kamen wir gerade noch rechtzeitig, um größeres Unheil zu verhindern.«
Robinton pfiff durch die Zähne.
»Heißt das, daß die Zeitpläne nicht mehr stimmen?«
Lytol war grau vor Entsetzen.
»Ich wollte den Gerüchten keinen Glauben schenken.«
F’lar zuckte mit den Schultern.
»Sobald wir mehr über die Verschiebung wissen, werden wir die Karten ändern.«
Lytol starrte ihn verständnislos an.
»Aber wie lange benötigen Sie dazu? Ruatha besitzt eine Menge Jungpflanzungen. Ich kann sie nur schützen, wenn ich den genauen Verlauf des Fädeneinfalls kenne!«
Er beherrschte sich mühsam.
»Entschuldigen Sie, F’lar, aber das – sind schreckliche Nachrichten. Ich weiß nicht, wie die anderen Burgherren sie aufnehmen werden, zu allem übrigen.«
»Wie meinen Sie das – zu allem übrigen?« fragte F’lar verwirrt.
»Nun, wie sich die Weyr verhalten. Die Katastrophe im Esvay-Tal von Nabol oder die Sache mit Baron Sangel…«
»Erzählen Sie!«
»Das wissen Sie auch nicht?« fragte Robinton überrascht.
»Sprechen denn die Weyrführer nicht miteinander?«
Er sah von F’lar zu Lessa.
»Die Weyr sind autonom«, erwiderte F’lar.
»Wir mischen uns nicht ein …«
»Anders ausgedrückt, die Alten beschränken den Nachrichtenaustausch mit uns Radikalen auf ein Minimum«, sagte Lessa mit blitzenden Augen.
»Sieh mich nicht so an, F’lar! Du weißt genau, daß ich recht habe. So, und was geschah nun im Esvay-Tal und auf Baron Sangels Besitz?«
Robinton berichtete, mit leiser, ausdrucksloser Stimme.
»Vor einigen Wochen weigerte sich T’kul, Meron von Nabol bei der Beseitigung von Fäden zu helfen, die sich in die bewaldeten Hänge oberhalb des Esvay-Tals gegraben hatten. Sagte, das sei Aufgabe der Bodenmannschaften, und er habe keine Lust, die Faulheit von Merons Leuten zu unterstützen. Das ganze Tal mußte abgebrannt werden, um die Ausbreitung der Fäden zu verhindern. Lytol schickte Hilfe; er weiß es. Ich sprach mit einigen Familien, die obdachlos wurden und ihre Ländereien verloren. Sie hegen bittere Gefühle gegenüber den Drachenreitern.«
Er machte eine Pause.
»Ein paar Wochen später verließ T’ron Süd-Boll, ohne Baron Sangels Leuten bei den letzten Patrouillen zu helfen. Drei Äcker fielen diesem Leichtsinn zum Opfer. Als Sangel sich bei T’ron beschwerte, erhielt er zur Antwort, daß die Drachenreiter das Gebiet als frei von Fäden bezeichnet hätten.
Und noch etwas beunruhigt das Volk.
Immer wieder kommt es vor, daß Mädchen unter dem Vorwand der Suche verschleppt werden …«
»Die Mädchen reißen sich darum, in den Weyr zu kommen«, warf Lessa ein.
»In Benden vielleicht«, erwiderte Robinton.
»Aber meine Harfner berichten von jungen Frauen, die gegen ihren Willen von Gatten und kleinen Kindern weggerissen wurden, um schließlich als Dienstmägde in einem Weyr zu enden.
Tiefer Haß keimt auf, Lady Lessa!
Gewiß, es gab schon immer Vorurteile und Neid, weil das Weyrleben leicht und frei erscheint und die Drachenreiter so hoch über dem gemeinen Volk stehen…«
Der Harfner winkte ab.
»Die Alten glauben in der Tat, daß sie besondere Vorrechte besitzen. Das beweist schon der Vorfall mit dem Messer. Die Gilden sind nicht kleinlich mit ihren Abgaben, aber Weber Tyrg und Färber Belesden haben sich bitter beklagt, weil die Weyrführer nie genug bekommen können.«
»Deshalb fiel der Empfang so kühl aus, als ich nach neuen Stoffen fragte!« rief Lessa. »Aber Zurg beriet mich dann persönlich bei der Auswahl…«
»Er weiß, daß Benden seine Rechte nicht mißbraucht«, erwiderte Robinton. Er ahmte T’rons Stimme nach: »Benden hat die alten Sitten und Gebräuche vergessen. Die Burgen in seinem Schutzbereich sind viel zu reich und mächtig. So etwas steigt dem Gesindel in den Kopf!« Robinton schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Aber Benden ist in ganz Pern geachtet!«
»Als Drachenreiter müßte ich mich von Ihren Worten gekränkt fühlen«, meinte F’lar leichthin. Er versuchte seine Verwirrung zu überdecken.
»Als Bendens Weyrführer sollten Sie sich an die Spitze setzen!« entgegnete Robinton mit dröhnender Stimme.
»Damals, vor sieben Planetendrehungen, als Benden allein dastand, sagten Sie, die Barone und Gildenangehörigen seien viel zu engstirnig, um das Problem in seinem Kern zu erfassen. Nun, sie haben aus ihren Fehlern gelernt.
Die Alten hingegen bleiben starr. Sie können und wollen sich nicht anpassen. Alles, was wir in vierhundert Planetendrehungen erreicht haben, wird als Unsinn abgetan.
Und die Kluft zwischen ihnen und den Baronen wird immer tiefer. Ich habe Angst vor dieser neuen Krise.«
»Sie müssen sich umstellen, wenn die Fäden weiterhin so unberechenbar fallen«, sagte Lessa.
»Wer muß sich umstellen?
Die Weyrführer?
Die Barone?
Verlassen Sie sich nicht darauf, Lady Lessa!«
»Ich muß Robinton beipflichten«, sagte Lytol müde.
»Die Weyr tun herzlich wenig für uns. Ihre Führer sind überheblich, verbohrt und herrschsüchtig. L’tol, der ehemalige Drachenreiter, ist zu der Erkenntnis gelangt, daß Lytol, der Burgverwalter, ihre Unvernunft nicht mehr lange erträgt. Was beispielsweise geschieht in der augenblicklichen Krise? Sind sie überhaupt bereit, etwas zu tun?«
»Ich verspreche Ihnen, daß die Lage so nicht bleibt«, sagte F’lar.
Er versuchte Lytol aus seiner dumpfen Niedergeschlagenheit zu reißen.
»Heute morgen zeigten die Alten echte Besorgnis. T’ron, dessen Weyr Sie unterstehen, beabsichtigt, regelmäßig Patrouillen fliegen zu lassen. Allerdings verlangt er, daß die Burgherren Wachfeuer auf den Höhen entzünden, sobald sich die Fäden nähern.«
»Verunsicherte Weyrführer und Wachfeuer – darauf soll ich mich verlassen?« fragte Lytol ungläubig.
»Die Feuer nützen nichts«, erklärte Fandarel in seiner schroffen Art.
»Der Regen löscht sie, und der Nebel hüllt sie ein.«
Er räusperte sich.
»Ich befasse mich seit langem mit dem Problem einer wirksameren Nachrichtenübermittlung. Und meine Gilde arbeitet nun an einem Gerät, das einiges verspricht. Das ist meine Neuigkeit.«
»Was?«
Lytol war aufgesprungen.
»Warum sagen Sie das nicht gleich, Sie wandelnder Berg?« rief der Harfner lachend.
»Und wie lange würde es dauern, alle Burgen und Weyr damit auszurüsten?«
Tiefes Schweigen folgte auf F’lars Frage.
Fandarel sah dem Weyrführer in die Augen.
»Meine Männer hatten bisher alle Hände voll zu tun, Flammenwerfer zu schmieden und auszubessern.
Es blieb ihnen kaum Zeit, sich mit meinen kleinen Spielereien zu befassen …«
»Wie lange?«
»Die Instrumente, die Schriftzeichen senden und aufnehmen, lassen sich rasch zusammensetzen, aber dazwischen muß Draht gezogen werden. Dazu benötigt man Zeit.«
»Und Helfer, nicht wahr?« fügte Lytol hinzu. Man merkte ihm seine Enttäuschung an.
»Nicht mehr als für die Wachfeuer«, entgegnete Fandarel ruhig. »Das heißt, wenn alle Burgherren und Weyrführer zusammenarbeiten. Einmal gelang das bereits«, er sah F’lar herausfordernd an, »als Benden dazu aufrief!«
Lytols Züge erhellten sich. Er umklammerte F’lars Arm.
»Auf Sie hören die Barone, F’lar von Benden! Ihnen vertrauen sie.«
»Die anderen Weyrführer würden es als Einmischung betrachten«, widersprach Lessa, aber auch in ihren Zügen spiegelte sich Hoffnung wider.
»Was sie nicht wissen …«, meinte Robinton lächelnd.
»F’lar! Wir können jetzt keine Rücksicht auf Prinzipien nehmen besonders, wenn sie sich als unhaltbar erwiesen haben. Denken Sie an ganz Pern, nicht nur an einen Weyr! Das haben Sie schon einmal getan, vor sieben Planetendrehungen, und damals siegten wir. Nun gilt es, eine neue Krise zu überwinden.«
»Die ich heraufbeschworen habe«, murmelte Lessa.
Robinton wandte sich ihr zu.
»Nur einfältige Menschen verschwenden ihre Zeit mit Selbstzerfleischung, Lessa!
Sie wagten den Ritt in die Vergangenheit, um Pern zu retten. Heute stehen wir vor einem anderen Problem. Wir müssen es mit vereinten Kräften lösen.
Vor uns liegt die Hochzeit von Telgar. Der Termin hätte nicht günstiger fallen können. Die meisten Barone und Gildemeister haben ihr Kommen zugesagt. Nutzen wir die Gelegenheit, um sie mit Bendens Denkweise vertraut zu machen. Wenn Benden mit gutem Beispiel vorausgeht…«
Robinton lehnte sich zurück und lächelte versonnen.
F’lar entgegnete ruhig: »Überall herrscht Unzufriedenheit. Wir werden mehr als Worte und ein gutes Beispiel brauchen, um die anderen umzustimmen.«
»Die Gilden stehen auf Ihrer Seite, Weyrführer, bis zum letzten Mann«, sagte Fandarel.
»Man weiß, daß Sie Bendareks Antrag unterstützen. Und F’nor hat Terry gegen Drachenreiter verteidigt, die im Unrecht waren.«
Der Schmied wandte sich fragend an Lessa: »Wie geht es F’nor eigentlich?«
»Nächste Woche soll er heimkommen.«
»Wir brauchen ihn sofort«, erklärte Robinton. »Seine Anwesenheit in Telgar käme uns sehr gelegen. Das Volk verehrt ihn wie einen Helden.
Nun, was sagen Sie, F’lar? Wir stehen wieder einmal unter Ihrem Kommando!«
Alle wandten sich ihm zu. Lessa drückte unauffällig seine Hand. Ihre Augen leuchteten. Das war es, was sie gewollt hatte, daß er die Führung übernahm. Als er sie damals an die Alten abtrat, hatte er geglaubt, sie seien besser dafür geeignet als er. Ein Irrtum, wie sich immer deutlicher herausstellte … »Fandarel, glauben Sie, in der kurzen Zeit eine Ihrer Fernschrift-Maschinen auf Telgar errichten zu können?« fragte F’lar.
Der Schmied grinste breit und nickte.
»Wie geht das Ganze eigentlich vor sich? Ich kann mir keine Vorstellung davon machen.«
Fandarel deutete auf den Meisterharfner.
»Durch Robinton besitzen wir einen Kode, der es uns gestattet, lange und komplizierte Botschaften zu senden. Man muß ein paar Leute ausbilden, diesen Kode richtig anzuwenden. Wenn Sie eine Stunde Zeit haben …«
»Für Sie immer«, versicherte ihm F’lar.
»Wir kommen morgen zu Ihnen«, rief Lessa. »Ich glaube nicht, daß Benden von Fäden bedroht ist.«
»Gut, dann bereite ich alles vor.«
»Ich spreche mit Baron Sangel von Süd-Boll und mit Baron Groghe von Fort«, warf Lytol ein.
»Vertraulich, das ist klar.«
Er erhob sich.
»Ich war Drachenreiter und Gildeangehöriger und verwalte nun eine Burg. Aber die Fäden machen keinen Unterschied. Wo sie hinfallen, versengen sie alles.«
»Ja, daran müssen wir das Volk erinnern«, sagte Robinton.
Lytol verbeugte sich vor Lessa.
»Für mich wird es höchste Zeit zum Aufbruch. Darf ich Baron Jaxom holen und mich verabschieden …?«
»Möchten Sie nicht zum Abendessen bleiben?«
Lytol schüttelte bedauernd den Kopf. »Es gibt jetzt soviel in die Wege zu leiten.«
Aber dazu kam er nicht, denn Jaxom und Fellessan waren spurlos verschwunden. Eine von Manoras Frauen erinnerte sich, daß sie durch die Küche gekommen waren, und schließlich meldeten sich die Kinder, welche die beiden auf dem Wege zu den hinteren Korridoren gesehen hatten.
»Gandidan«, fragte Manora den ältesten der Jungen streng, »hast du Felessan wieder wegen des Gucklochs gehänselt?«
Der senkte den Kopf.
Manora wandte sich F’lar und Lessa zu.
»Hmm. Mir fehlen in letzter Zeit oft Kerzen. Ich nehme an, daß sie versucht haben, sich zur Brutstätte zu schleichen und einen Blick auf Ramoths Eier zu werfen.«
»Was!« rief Lessa erschrocken aus.
Aber F’lar lachte nur gutmütig.
»Das haben wir in unserer Jugend alle mal getan, nicht wahr, Lytol? Kein Grund zur Aufregung!«
»Sie wußten von diesen Ausflügen, Manora?« fragte Lessa wütend.
»Natürlich, Weyrherrin«, entgegnete Manora, ohne sich einschüchtern zu lassen.
»Und ich paßte auf, daß sie alle heil zurückkehrten. Wann brachen sie auf, Gandidan? Spielten sie vorher noch mit euch?«
»Kein Wunder, daß Ramoth so aufgeregt war; und ich dachte, sie bildete sich alles nur ein. Wie konnten Sie so etwas zulassen?«
»Aber, Lessa!« besänftigte F’lar sie. »Es gehört zum Stolz eines jeden Jungen, sich nicht vor dunklen, staubigen Gängen zu fürchten. Eine weitere Mutprobe ist es, möglichst kleine Kerzenstummel mitzunehmen, bei denen man nie sicher weiß, wann sie endgültig verlöschen.«
Der Harfner grinste, während die Jungen mit offenen Mäulern zuhörten. Lytols Wangenmuskel hatte wieder zu zucken begonnen.
»Wann brachen sie auf, Gandidan?« wiederholte Manora. Sie hob das Kinn des Jungen und sah ihm in die Augen. Als er nur ängstlich schluckte, drehte sie sich entschlossen um.
»Wir schauen besser nach! Man kann sich leicht verirren, wenn man nicht genau den Fußspuren folgt.«
Es bildeten sich rasch Suchtrupps, die in die Korridore eindrangen und Stück für Stück des Labyrinths durchforschten. Aber F’lar und Lytol waren es, die das helle Licht schließlich entdeckten. Sobald sie die kleinen Gestalten am Boden liegen sahen, schickte F’lar nach Hilfe.
»Was ist denn los mit Ihnen?« fragte Lytol.
Er stützte seinen Zögling und fühlte nach seinem Puls.
»Blut?«
Entsetzt sah er auf seine klebrigen Finger.
F’lar richtete seine Lampe auf die Brust des Jungen. Das Leinenhemd war zerrissen, und darunter kamen die Schürfwunden zum Vorschein.
»Nur ein paar Kratzer. Sieht nicht weiter schlimm aus. Hat jemand Heilsalbe mitgenommen? Nun regen Sie sich doch nicht auf, Lytol! Sein Herzschlag ist kräftig.«
»Aber er wacht nicht auf!«
Lytol schüttelte Jaxom.
»Felessan fehlt äußerlich überhaupt nichts«, meinte der Weyrführer, der sich nun über seinen Sohn beugte.
Manora und Lessa kamen herbeigerannt und gaben zwei Männern den Auftrag, Jaxom und Felessan nach oben zu tragen.
Eine Menschenmenge hatte sich inzwischen angesammelt. Die Verwalterin der unteren Höhlen warf einen Blick auf F’lar und Fandarel, die sich dem geheimnisvollen Eingang näherten, gefolgt von Lessa und Lytol. Sie begann energisch die Zuschauer zu verscheuchen.
»Los, hinauf mit euch! Die Jungen sind gefunden. Und das Abendessen wartet, Herrschaften!«
Allmählich leerte sich der Korridor.
»Das Licht kommt nicht von Kerzen«, verkündete der Schmied, der vorsichtig in den hell erleuchteten Raum schaute.
»Und den glatten Wänden nach zu urteilen, handelt es sich um ein Stück des ursprünglichen Weyrs.«
Er sah F’lar mit gerunzelter Stirn an.
»Wußten Sie, daß es hier solche Räume gab?« Es war fast eine Anklage.
»Man hörte natürlich allerlei Gerüchte«, entgegnete F’lar und betrat den Raum, »aber ich drang nie sehr weit in die unbenutzten Korridore vor. Sie, Lytol?«
Der Burgverwalter schüttelte den Kopf. Auch er konnte nicht widerstehen und warf einen Blick in den Raum. Jetzt, da sein Schützling gefunden war, wirkte er sichtlich ruhiger.
»Vielleicht sollten Sie ihm auf Ruatha mehr Freiheit geben«, meinte Robinton mit einem Blinzeln.
»Wenn der Bursche solche Schatzkammern aufspürt…«
Er verstummte und deutete mit dem Finger auf ein Wandgemälde, das aus bunten Stäben und Kugeln zusammengesetzt war und sich leiterähnlich vom Boden bis zur Decke erstreckte.
»Was mag das bedeuten? Lessa, Sie sind unsere Expertin für Wandbehänge. Was sagen Sie dazu?«
»Ich halte es nicht für ein Kunstwerk, auch wenn die Farben recht hübsch sind«, meinte sie und fuhr vorsichtig mit dem Finger über die Wand.
»Und sehen Sie hierher! Da wurde etwas über das Original gepinselt. Eine Art Schrift. Der Farbton stimmt nicht genau.«
Fandarel trat dicht vor die Wand und musterte die Malerei mit zusammengekniffenen Augen.
»Merkwürdig, sehr merkwürdig«, murmelte er. Dann wandte er sich den anderen Wundern zu. Seine klobigen Finger strichen ehrfürchtig über die Borde und Hängeregale aus Metall. Lessa mußte ein Kichern unterdrücken, als sie seinen verzückten Gesichtsausdruck bemerkte.
F’lar rührte sich keinen Schritt von der Wanddarstellung weg. Etwas an der Schrift kam ihm quälend vertraut vor.
»Lessa, ich könnte schwören, daß ich so etwas schon einmal gesehen habe.«
»Aber das ist doch Unsinn! Seit Hunderten von Planetendrehungen hat kein Mensch die Räume hier benutzt.«
»Halt! Erinnerst du dich an die Metallplatte, die F’nor im Fort-Weyr fand? Da … dieses Wort…« Er deutete auf ein paar Schriftzeichen, die seine Vorfahren als »Heureka« gelesen hätten.
»Es ist das gleiche, ich weiß es genau. Und es wurde nachträglich eingefügt.«
»Hm, du könntest recht haben«, entgegnete Lessa.
»Aber weshalb kreisten sie diesen Teil der Leiter – und den dort – mit einer Schrift ein?«
»Es gibt so viele Geheimnisse in diesem Raum«, warf Fandarel ein. Er spielte mit dem Magnetverschluß einer Schranktür. Erst nach geraumer Zeit bemerkte er, daß sich im hintersten Winkel des Schrankes ein Gegenstand verbarg.
Verwundert schüttelte er den Kopf, als er das unförmige Gerät ans Licht geholt hatte. Zuerst sah man nur ein Metallrohr, etwa von der Länge eines Männerarms.
»Völlig nahtlos hergestellt«, sagte der Schmied ehrfürchtig.
»Und mit der gleichen Schicht überzogen wie die großen Kessel. Wohl eine Art Schutz.«
Er drehte es hin und her und zuckte zusammen, als er die Deckplatte sah.
»Glas, feines Glas. Das ist doch …«
Fandarel streckte sich.
»Erst vor kurzem brachte mir Wansor eine Skizze mit, die leider halb vermodert war. Ein Gerät, das Gegenstände hundertfach vergrößert zeigt. Aber dazu benötigt man Linsen und Spiegel, und es dauert so lange, sie zu schleifen. Hmm.«
Er beugte sich über das Instrument und verstellte vorsichtig die beiden Drehknöpfe seitlich des Zylinders. Dann schaute er durch das Rohr auf das kleine Glasplättchen, das sich an der Unterseite befand.
»Faszinierend. Ich kann jede Unebenheit erkennen.«
Fandarel merkte gar nicht, daß ihm die anderen wie gebannt zusahen. Er riß sich eines seiner kräftigen Haare aus und legte es auf das Glasplättchen, direkt unter die winzige Öffnung im Zylinder. Wieder drehte er an den Knöpfen. Er stieß einen Schrei aus.
»Da! Seht doch! Mein Haar! Wie groß es jetzt ist. Jede Schuppe kann man erkennen …«
Lessa beugte sich über das Rohr und zuckte zurück. Bevor F’lar ihrem Beispiel folgen konnte, hatte sich Robinton vorgedrängt und starrte die Vergrößerung an.
»Aber das ist ja einzigartig«, murmelte er.
»Darf ich?« fragte F’lar so betont, daß Robinton sich lachend entschuldigte.
Auch F’lar konnte kaum glauben, was er sah. Das Haar hatte sich in einen groben Strick verwandelt, an dem man sogar die feinen Wachstumslinien beobachten konnte.
Als der Weyrführer sich an Fandarel wandte, klang seine Stimme unterdrückt.
»Wenn man kleine Dinge durch Linsen vergrößern kann, besteht dann auch die Möglichkeit, daß man ferne Dinge näher heranholt um sie zu beobachten?«
Lessa hielt den Atem an, ebenso wie Robinton.
Nach einer Pause, die ihnen endlos erschien, erwiderte der Schmied: »Ja, ich glaube, das müßte gehen.«
»F’lar?«
Er drehte sich um. In Lessas blassem Gesicht brannten riesige, angsterfüllte Augen.
»Du kannst nicht zum Roten Stern gehen!«
Ihre Stimme war kaum hörbar.
Er nahm ihre Hände und spürte, daß sie eiskalt waren. Aber seine Worte waren mehr für die anderen als für Lessa bestimmt.
»Unser Hauptproblem waren und sind die Silberfäden. Weshalb sollen wir sie nicht von der Wurzel her bekämpfen, im Ursprung ausrotten?
Ein Drache kann jedes Ziel ansteuern, wenn er die Koordinaten kennt.«
Als Jaxom erwachte, merkte er sofort, daß er sich nicht auf der Burg befand. Er öffnete die Augen. Statt der erwarteten Dunkelheit war über ihm eine gewölbte Steindecke, an deren höchstem Punkt ein Korblicht hing. Der Junge seufzte erleichtert.
»Wie fühlst du dich?« Manora beugte sich über ihn.
»Hast du noch Schmerzen?«
»Ihr habt uns gefunden! Was macht Felessan?«
»Der verschlingt bereits sein Abendessen.«
Manora wiederholte ihre Frage: »Hast du noch Schmerzen?«
»Schmerzen?« Das Herz blieb ihm fast stehen, als ihm einfiel, wo er sich die Schürfwunden an der Brust geholt hatte.
Aber Manora beobachtete ihn.
»Nein, nicht mehr.«
Sein Magen dagegen machte sich laut bemerkbar.
»Ich glaube, du solltest auch etwas essen.«
»Dann ist mir Lytol nicht böse? Oder der Weyrführer?«
Manora lächelte begütigend und strich ihm über das wirre Haar. »Keine Sorge, kleiner Baron. Aber ich würde dir raten, in Zukunft keine verbotenen Ausflüge zu machen. Lytol war außer sich vor Angst.«
Jaxom überlegte, ob sie von dem Spalt wußte … ob sie wußte, daß die Weyr-Jungen heimlich die Drachenkönigin und ihr Gelege beobachteten.
Aber sie hatte gesagt, daß Lytol ihm nicht böse war. Auf Manora konnte man sich verlassen. Wenn sie Bescheid wußte und nicht wütend war …?
Wenn sie jedoch erst durch seine Fragen von dem Spalt erfuhr, wurde sie vielleicht ärgerlich.
»Schließlich hast du die alten Kammern entdeckt, Jaxom. Du kannst dich auf deinen Lorbeeren ausruhen.«
»Kammern?«
Sie streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. »Ich dachte, du seist hungrig.«
Ihre Finger waren weich und kühl. Sie führte ihn an den Schlafräumen des Gesindes vorbei zur Küche. Es mußte bereits spät sein, denn die meisten Vorhänge waren zugezogen. Das Feuer in der Küche brannte niedrig. An einem Tisch saßen ein paar Frauen und nähten. Sie sahen lächelnd auf, als Manora mit Jaxom vorüberkam.
»Sie sagten Kammern?« beharrte Jaxom.
»Jenseits des Raumes, den du geöffnet hattest, lagen zwei weitere, dazu die Ruine einer nach oben führenden Treppe.«
Jaxom pfiff durch die Zähne.
»Und was befand sich in den Kammern?«
Manora lachte leise.
»Ich habe den Schmied noch niemals so erregt gesehen. Er entdeckte ein merkwürdig geformtes Instrument und ein paar Glasplättchen, aus denen ich nicht recht klug werde.«
»Ein Raum aus der Vorzeit?«
Jaxom bedauerte nur, daß er keine Gelegenheit bekommen hatte, die Kammern zu durchstöbern.
»Aus der Urzeit«, verbesserte ihn Manora.
Als sie den Speisesaal betraten, stockte die Unterhaltung der Drachenreiter und ihrer Begleiterinnen. Jaxom war die Blicke anderer gewohnt. Er streckte sich, hielt die Schultern gerade und ging mit gemessenen Schritten weiter. Ebenso gemessen nickte er den Reitern zu, die er kannte.
Draußen herrschte jetzt Dunkelheit. Der Sternstein auf der Klippe hob sich schwarz gegen den etwas helleren Himmel ab. In der Tiefe des Kessels schimmerte der Badesee, Mnementh lag auf dem Felsensims, der zur Schlafhöhle der Drachenkönigin führte. Sein riesiges leuchtendes Auge schien sich mit einem Blinzeln auf Jaxom zu richten.
Besitzen die Drachen etwa Sinn für Humor? dachte er. Bei den Wachwheren hatte er diese Eigenschaft bis jetzt nicht feststellen können, obwohl sie der gleichen Rasse angehörten.
Die Verwandschaft ist sehr entfernt.
»Wie bitte?«
Jaxom sah verwirrt zu Manora auf.
»Ich habe nichts gesagt.«
»Ich dachte …«, murmelte Jaxom.
Er warf einen Blick auf den mächtigen Schatten auf dem Felsvorsprung, aber Mnementh hatte den Kopf abgewandt. Dann stiegen Jaxom Essensdüfte in die Nase, und er ging schneller.
Manora brachte ihn in Lessas Wohnraum. An der Schwelle stockte sein Fuß plötzlich. Seinen Vormund hatte er erwartet, ebenso F’lar und Lessa.
Aber was machten Fandarel und der Meisterharfner hier?
Manora stupste ihn leicht an, und er trat mit einer Verbeugung ein. Lessa drückte ihn auf den leeren Platz neben Felessan.
»Kein Wort, Lytol, bevor das Kind gegessen hat«, sagte die Weyrherrin energisch.
Sie stellte dem Jungen einen Teller mit dampfendem Fleisch und Gemüse hin.
Felessan versuchte, dem Freund durch Grimassen etwas mitzuteilen, aber Jaxom begriff den Sinn nicht. Und dann beugte er sich über sein Essen und vergaß die Umwelt.
Eine modrige alte Wherhaut lag ausgebreitet auf dem Tisch, und die Männer beugten sich darüber. Der Schmied sagte: »Wenn ich diesen Plan richtig auslege, müßte über den Kammern, welche die Jungen entdeckten, noch eine Reihe von Räumen liegen.«
F’lar schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie etwas von einem Landzugang auf dieser Seite des Weyrs gehört.«
»Es gab einen Eingang zur Kesselsohle«, sagte Fandarel. »Wir fanden ihn. Er war versiegelt, vielleicht wegen jenes Bergrutsches.«
Jaxom sah ängstlich zu Felessan hinüber, der sich jedoch abgewandt hatte. Was bedeuteten die Grimassen? Das der Freund nichts verraten hatte? Oder daß sie alles wußten?
»Die Fuge war kaum sichtbar«, fuhr der Schmied fort.
»Und die Versiegelungssubstanz erwies sich als äußerst wirksam.«
»Man konnte sie nicht einmal mit einem Messer anritzen«, knurrte Fandarel kopfschüttelnd.
»Weshalb versiegelten sie wohl den Eingang?« fragte Lessa.
»Weil sie diesen Teil des Weyrs nicht benutzten«, entgegnete F’lar.
»Die Korridore waren in Vergessenheit geraten, bis die Kinder sie wieder entdeckten.«
Jaxom wagte nicht von seinem Teller aufzuschauen. Jetzt mußte das Donnerwetter kommen.
Aber der Weyrführer strich ihm über das Haar und fuhr fort: »Wir müssen ihnen dafür dankbar sein.«
Jaxom riskierte einen Blick. Lytols Miene verriet Strenge, aber in seinen Augen war ein ganz sonderbarer Ausdruck, eine Mischung aus Erleichterung und Stolz.
»Hoffentlich bleiben das nicht die einzigen Schätze, die wir ausgebuddelt haben«, meinte der Schmied mit seinem tiefen Baß.
Geistesabwesend tätschelte er das glatte Metall des Vergrößerungsgerätes.
Der Sand juckte auf ihrer Haut, und sie schwitzte; aber das merkte sie in diesem Augenblick des Triumphs nicht. Kylara starrte auf das Gelege, das sie an der Küste aufgestöbert hatte.
»Sollen sie ihre sieben Biester behalten«, murmelte sie mit einem Blick zum Weyr hin. »Ich habe ein ganzes Nest. Und ein goldenes Ei dazu!«
Sie lachte auf. Meron von Nabol würde Augen machen, wenn sie mit den Dingern ankam. Sie war sich völlig im klaren darüber, daß er die Drachenreiter um ihre stolzen, mächtigen Tiere beneidete. Mehr als einmal hatte er gesagt, daß die Gegenüberstellungen eine Ungerechtigkeit seien, da nur jene eine Chance bekämen, die zuvor von den Drachenreitern ausgewählt worden waren.
Mal sehen, ob es dem mächtigen Meron gelang, eine Feuerechse für sich zu gewinnen.
Sie war nicht sicher, was ihr mehr Spaß machen würde – wenn er es schaffte oder wenn er versagte. Für ihre Zwecke konnte sie sowohl das eine wie auch das andere ausnützen. Aber angenommen, er holte sich eine Bronzeechse, und sie bekam die Königin, und die beiden paarten sich … Ein sinnliches Lächeln spielte um Kylaras Lippen.
»Enttäuscht mich nicht!« sagte sie leise.
Sie packte die Eier zwischen Schichten von Feuerstein und hüllte sie in dicke Wolldecken. Das Ganze umschnürte sie mit Wherlederstücken. Sie wußte, daß der kurze Augenblick im Dazwischen ihre Pläne zunichte machen konnte, wenn sie nicht alle Vorsichtsmaßnahmen traf.
Über Nabol war eben die Morgendämmerung hereingebrochen, als Kylara mit Prideth auftauchte und den Wachwher kreischend auf sein Lager scheuchte. Der Wachtposten kannte die Weyrführerin zu gut, als daß er sie zurückgewiesen hätte. Er ließ seinem Herrn Meldung machen. Kylara übersah arrogant Merons ärgerlich gerunzelte Stirn, als er auf den Stufen des inneren Hofes erschien.
»Ich habe die Eier von Feuerechsen für dich, Meron«, sagte sie und deutete auf die Bündel neben sich. »Ich brauche sofort ein paar Zuber mit heißem Sand, sonst schlüpfen sie nicht.«
»Zuber mit heißem Sand?« wiederholte Meron mit sichtlicher Verärgerung.
Er schlief also nicht allein, was? Kylara hatte einen Moment lang Lust, mit ihren Schätzen umzukehren.
»Ja, du Schwachkopf! Ich habe ein Gelege mit Feuerechsen-Eiern entdeckt. Die Schalen sind bereits hart. Die Chance deines Lebens!«
Kylara wirbelte herum.
»He, du!« fuhr sie Merons Wirtschafterin an, die verschlafen und nur halb angezogen herbeigeeilt war.
»Schütte kochendes Wasser über sämtliche Scheuersandvorräte, die du auf der Burg hast, und bringe das Zeug hierher!«
Sie stammte selbst aus einer Burg und wußte, mit welchem Tonfall man das Gesinde einschüchterte. Die Frau huschte hinaus, ohne Merons Zustimmung abzuwarten.
»Eier von Feuerechsen?
Wovon redest du eigentlich?«
»Man kann die Tiere durch eine Gegenüberstellung an sich binden wie Drachen!«
Kylara legte die Eier vorsichtig auf die warmen Herdsteine.
»Und ich habe sie gerade noch rechtzeitig hergebracht«, fuhr sie triumphierend fort.
»Hol deine Männer zusammen, rasch! Wir wollen so viele wie möglich für uns gewinnen.«
»Ich versuche zu begreifen, wozu das gut sein soll«, erwiderte Meron unwirsch.
»Mann, streng dein Gehirn an!« fauchte Kylara, ohne darauf zu achten, daß der Baron sehr verletzlich war.
»Feuerechsen sind die Vorfahren unserer Drachen, und sie besitzen alle ihre Fähigkeiten!«
Es dauerte noch einen Moment, bis Meron die Bedeutung ihrer Worte verstand. Doch dann scheuchte er seine Leute auf und half Kylara, die Eier auf die Steine zu legen.
»Sie gehen ins Dazwischen? Sie stehen in Kontakt mit ihrem Besitzer?«
»Ja, ja.«
»Da – ein goldenes Ei!« Merons Augen glitzerten habgierig, als er die Hand danach ausstreckte.
Sie schlug ihm leicht auf die Finger.
»Das gehört mir. Du siehst zu, daß du eine Bronzeechse erwischst. Das Ei hier – nein, das daneben – könnte das richtige sein.«
Der erhitzte Sand wurde hereingebracht und auf die Herdsteine geschüttet, Merons Männer strömten zusammen, zum Kampf gegen die Fäden gerüstet. Kylara befahl ihnen, die Flammenwerfer wegzulegen, und erklärte ihnen kurz, wie sie sich bei der Gegenüberstellung zu verhalten hatten.
»Keiner kann eine Feuerechse fangen«, murmelte einer im Hintergrund.
»Ich habe es geschafft, aber du bist vermutlich zu dämlich dafür«, fauchte Kylara.
Es stimmte schon, was die Alten sagten: die Bewohner der Burgen wurden arrogant und aggressiv. Keiner hätte es gewagt, den Mund aufzutun, wenn ihr Vater Befehle erteilte.
»Ihr müßt rasch sein«, sagte sie.
»Die Tiere schlüpfen hungrig aus und fressen sich gegenseitig, wenn man sie nicht daran hindert.«
»Ich möchte die meinen festhalten, bis die Jungen ausschlüpfen«, flüsterte Meron Kylara zu. Er hatte drei Eier auf die Seite gelegt.
»Die Handwärme reicht nicht aus«, erwiderte Kylara ruhig.
»Wir brauchen rohes Fleisch, am besten frisch geschlachtetes.«
Meron gab den Befehl, einen Bock zu töten, und bald darauf wurden Schüsseln mit dampfendem rohem Fleisch hereingetragen. Der Blutgeruch vermischte sich mit dem Leder-und Fleischgestank der Männer. Die Erregung wuchs.
»Ich habe Durst, Meron«, beklagte sich Kylara.
Jemand brachte Wein und Obst und einen Korb mit Brot. Die Männer standen herum und wußten nicht recht, was sie tun sollten.
Die Zeit verstrich langsam.
»Ich dachte, die Echsen seien kurz vor dem Ausschlüpfen«, meinte Meron unruhig. Er hatte immer noch seine Zweifel an Kylaras Vorhaben.
Kylara lächelte spöttisch.
»Sie sind es, verlaß dich drauf! Ihr Burgbewohner solltet Geduld lernen. Die braucht man nämlich im Umgang mit Drachen. Man kann sie nicht schlagen, wie ihr es mit euren Landtieren tut.«
Eines der Eier begann leicht zu schaukeln, und Meron sprang von seinem Stuhl auf. Er winkte die Männer näher.
»Sag ihnen noch einmal, was sie tun müssen!«
Kylara legte den Finger auf die Lippen und winkte ab. Sie konnte einem Mann wie Meron nicht klarmachen, daß die Tiere die Auswahl trafen und keineswegs die Menschen.
»Man lockt sie zu sich heran, mit Gedanken der Zärtlichkeit und Zuneigung. Das ist eigentlich alles.«
»Ihr habt die Weyrherrin gehört! Macht eure Sache gut! Der Mann, der versagt…«
Meron sprach den Satz nicht zu Ende, aber der Tonfall genügte.
Kylara lachte. Sie lachte über die Angst der Männer, über Merons finsteren Blick und seine Unsicherheit. Sie lachte, bis der Baron sie am Arm packte und heftig schüttelte.
»Hör auf damit! Du störst sie beim Ausschlüpfen.«
»Lachen ist besser als drohen!«
Sie senkte ihre Stimme.
»Und wenn du nun selbst versagst? Die Tiere sind unberechenbar.
Willst du dich dann auch bestrafen?«
Meron umkrampfte ihren Arm. Feine Risse zeigten sich jetzt in den Eierschalen. Er ließ die Weyrherrin abrupt los und holte sich eine Schüssel mit Fleisch. Er kniete neben den Eiern nieder, die er auserwählt hatte.
Die übrigen Männer folgten seinem Beispiel. Kylara trat betont lässig in den Kreis. Sie spürte, wie die Erregung in ihr hochstieg. Sie mußte eines dieser kleinen Geschöpfe besitzen, das hatte sie sich fest vorgenommen. Sie würde nie verstehen, daß ihre herrische Natur sich unterbewußt gegen die Gefühls-Symbiose mit der Drachenkönigin sträubte. Instinktiv hatte Kylara gewußt, daß eine Frau auf Pern nur als Weyrherrin uneingeschränkte Macht und Freiheit besaß.
Aber sie verschloß die Augen vor der Tatsache, daß Prideth das einzige Lebewesen war, das sie beherrschen konnte und auf dessen Meinung sie etwas gab. In der Feuerechse sah Kylara einen Miniaturdrachen, den sie dominierte.
Das goldene Ei geriet in Bewegung, und ein breiter Spalt zeigte sich an der Längsseite. Ein winziger goldener Schnabel tauchte auf.
»Gib ihr etwas zu fressen!« flüsterte Meron Kylara heiser zu. »Beeil dich!«
»Sag du mir nicht, was ich tun muß, du Narr! Kümmere dich um deine eigenen Eier!«
Der Kopf schob sich ins Freie, dann der zappelnde kleine Körper. Kylara zwang sich zu freundlichen, liebevollen Gedanken. Sie hieß das winzige Geschöpf willkommen, übermittelte ihm ihre Freude und Bewunderung, ohne auf die Schreie und Ermunterungen ringsum zu achten.
Die kleine Königin, kaum größer als ihre Hand, stolperte ins Freie und sah sich sofort nach Nahrung um. Kylara legte ihr einen Fleischbrocken zu Füßen, und das Tier stürzte sich gierig darauf. Das nächste Stück Fleisch behielt sie in der Hand.
Mit einem schrillen Kreischen kam das Geschöpf näher. Die Flügel trockneten allmählich, und die Pfoten knickten nicht mehr bei jedem Schritt ein.
Hunger, Hunger, Hunger, strömten ihr die Gedanken der goldenen Königin entgegen.
Der Kontakt war geschaffen.
Kylara nahm das Tierchen auf die Hand und entfernte sich vom Herd und dem dort herrschenden Chaos.
Die Männer machten so ziemlich alles falsch, trotz ihrer eindringlichen Ermahnungen. Die drei Eier, die Meron beiseite gelegte hatte, platzten beinahe gleichzeitig. Zwei der Jungtiere gerieten sofort aneinander, während der Baron ungeschickt versuchte, Kylaras Handeln zu imitieren. In seiner Gier verliert er noch alle drei, dachte sie mit boshaftem Vergnügen.
Dann sah sie, daß weitere Bronzeechsen auftauchten. Gut so. Noch war nicht alles verloren.
Zwei Männern war es gelungen, Echsen an sich zu locken, und sie traten nun zu Kylara.
»Wieviel fressen sie, Weyrherrin?« fragte einer. Seine Augen leuchteten vor Freude.
»Gebt ihnen, soviel sie wollen«, erwiderte sie.
»Dann schlafen sie ein und bleiben bei euch. Sobald sie aufwachen, füttert ihr sie wieder. Falls sie sich über Hautjucken beklagen, badet ihr sie und reibt sie mit Öl ein. Eine schuppige Haut reißt im Dazwischen auf, und die Kälte kann die Tiere töten.«
Wie oft hatte sie das den Jungreitern eingebleut? Nun, zum Glück nahm ihr Brekke diese Aufgabe jetzt ab.
»Aber was geschieht, wenn sie ins Dazwischen gehen? Wie halten wir sie zurück?«
»Einen Drachen besitzt man nicht. Er bleibt freiwillig. Anketten wie einen Wachwher kann man ihn nicht.«
Allmählich langweilte sie sich. Die Fragen der Männer gingen ihr auf die Nerven. Und es störte sie, daß so viele der kleinen Echsen zugrunde gingen. So betrat sie die Stufen zum inneren Hof. Sie beschloß, in Merons Suite zu warten – und wehe, die Schlampe, die er bei sich gehabt hatte, befand sich noch dort!
F’lar erhielt F’nors fünf Seiten langen Brief, als er eben im Begriff war, Fandarels neuen Fernschrift-Mechanismus zu besichtigen. Ramoth kreiste bereits über dem Weyr.
»F’nor sagte, es sei dringend. Es ist wegen …«, begann G’nag.
»Ich lese seine Zeilen, sobald ich dazukomme«, unterbrach ihn F’lar. Der Mann redete wie ein altes Waschweib.
»Vielen Dank und verzeihen Sie meinen raschen Aufbruch.«
»Aber, F’lar …«
Mehr hörte er nicht, denn Mnementh hob mit mächtigen Flügelschlägen vom Felsensims ab. Der Bronzedrache nahm die Kurven betont vorsichtig, aber das besserte F’lars Laune nicht. Verdammt, Lessa hatte recht. Wenn Robinton zu Besuch kam, war an Schlaf nicht zu denken. Der Schmied war gegen Mitternacht aufgebrochen und hatte das Vergrößerungsgerät mitgenommen. Aber Robinton dachte gar nicht daran, seinem Beispiel zu folgen, auch nicht, nachdem Lessa sich zurückgezogen hatte.
Der Mann soff wie ein Loch, aber er wußte soviel über die Burgen und anderen Weyr, und das war wichtig, wenn F’lar tatsächlich eine Revolution durchführen wollte.
Die kühle Morgenluft war gut gegen die Kopfschmerzen, aber sie erinnerte ihn gleichzeitig an die Ätzwunden, die er am Vortag davongetragen hatte. Er beugte sich dicht über Mnemenths Hals. Dabei spürte er F’nors Brief in der Brusttasche. Nun, er hatte im Moment keine Lust, sich mit Kylaras Eskapaden zu befassen.
Er warf einen Blick in die Tiefe. Ja, ein paar Männer unter N’tons Führung waren schon dabei, den versiegelten Eingang aufzubrechen. Wenn mehr Licht und frische Luft in die verlassenen Korridore strömte, konnte man sie besser erforschen. Hoffentlich regte sich Ramoth nicht darüber auf, daß die Leute ihrem Gelege zu nahe kamen.
Sie weiß Bescheid, informierte Mnementh seinen Reiter.
»Und?«
Sie ist neugierig.
Sie befanden sich jetzt über den Sternsteinen.
F’lar runzelte die Stirn, als er die fingerförmige Spitze und darüber das Felsenöhr sah. Wenn man eine gute Linse in dieser Öffnung befestigte, würde man dann den Roten Stern sehen? Nein, denn zu dieser Jahreszeit hatte er einen anderen Winkel. Hm … Mnementh setzte zum Sprung ins Dazwischen an. Die Kälte nahm ihm den Atem, und dann kreisten sie über Telgar mit seinen Terrassenseen, die herrlich blau in der Morgensonne glitzerten. Ramoth glitt in die Tiefe – ein prachtvoller Anblick. Sie war jetzt doppelt so groß wie jede andere Königin.
Je besser der Reiter, desto besser das Tier, unterbrach Mnementh seine Gedankengänge.