9

»Und auf Igen regnet es Fäden!« rief er den erstarrten Zu schauern entgegen.

»Auf Igen regnet es Fäden!«

Er sah an sich herunter. So konnte er nicht kämpfen. Sein Festgewand war zerrissen, und er hatte keine Ahnung, wo sich sein Wherleder-Umhang befand. Er beugte sich zu T’ron herunter. Der Mann trug ein Lederwams … Jemand warf sich kreischend auf ihn. Es war Mardra.

»Sie haben ihn getötet! Reicht das noch nicht? Lassen Sie ihn in Ruhe!«

F’lar starrte sie mit gerunzelter Stirn an.

»Er ist nicht tot, sonst wäre Fidranth ins Dazwischen gegangen.«

Das Wissen, daß der Mann am Leben geblieben war, verlieh ihm irgendwie neue Kraft.

»Holt Wein und einen Heiler!«

Jemand reichte ihm seinen Umhang. Als er ihn festschnallte, bemerkte er die Menschenmenge, die sich um ihn scharte. Alle starrten ihn erwartungsvoll an.

»Nun?« rief er. »Steht ihr auf der Seite von Benden?«

Tiefes Schweigen. Die Blicke der Gäste richteten sich auf die Barone, die immer noch am Fußende der Treppe standen.

»Jene, die es nicht tun, verkriechen sich am besten tief in ihre Burgen!« rief Larad von Telgar und trat herausfordernd einen Schritt nach vorn.

»Die Schmiede unterstützen F’lar von Benden!« dröhnte Fandarels Baß über den Hof.

»Und die Harfner!« erklärte Robinton vom Wachpfad her.

»Die Bergwerksleute!«

»Die Weber!«

»Die Färber!«

Die Barone riefen den Namen ihrer Burg und nahmen neben Larad von Telgar Aufstellung. Die Gäste begannen zu jubeln, aber F’lar hob die Hand und wandte sich den anderen Weyrführern zu.

»Ista!« erklärte D’ram trotzig.

G’narish nickte ihm zu.

»Igen!«

»Der Südkontinent!«

Baron Asgenar trat auf F’lar zu.

»Was können wir tun?« fragte er besorgt.

»Hat es noch Sinn, wenn ich meine Läufer und Suchtrupps nach Igen schicke?«

F’lar wehrte ab.

»Sie feiern heute Hochzeit, Mann! Kümmern Sie sich um Ihre Braut, alles andere übernehmen wir! D’ram, Sie, fliegen voraus. Ramoth hat bereits die Geschwader von Benden verständigt. T’bor, Sie holen Ihre Kämpfer aus dem Südkontinent. Jeder Drachenreiter, der kämpfen kann, kommt mit!«

T’bor spürte, daß F’lar mehr verlangte als eine völlige Mobilisierung, und er zögerte.

Lessa war an F’lars Seite getreten und warf einen Blick auf sein blutdurchtränktes Gewand. Er schob sie sanft weg.

»Sieh ein wenig nach Mardra! Robinton, ich brauche Ihre Hilfe! Verkünden Sie in ganz Pern«, er hob die Stimme, »daß diejenigen Reiter, die mir die Gefolgstreue verweigern, auf den Südkontinent verbannt werden. Das gleiche gilt für Burgen, Höfe und Gilden, die meine Herrschaft nicht anerkennen. Im Süden fallen kaum Fäden, so daß ihre Gleichgültigkeit dem Allgemeinwohl gegenüber niemanden in Gefahr bringen wird.«

Er wandte sich an den Reiter von Igen, der immer noch am Tor wartete.

»Wo wurden die Fäden gesehen?«

»Im Süden.« Die Stimme des Mannes enthielt eine unausgesprochene Bitte.

»Jenseits der Bucht von Keroon. Über dem Wasser.«

»Wann?«

»Ich bringe Sie zurück zu dem genauen Zeitpunkt.«

Die Menge begann zu jubeln. Viele der Gäste hatten vergessen, daß es den Drachenreitern möglich war, nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit zu überbrücken, wenn sie die nötigen Koordinaten besaßen.

Auf dem Außenhof entwickelte sich eine fieberhafte Aktivität. Jungreiter schleppten Säcke mit Feuerstein an. Die Mägde verteilten Wherleder-Umhänge. Flammenwerfer wurden herbeigebracht. D’ram und seine Gefährtin Fanna kreisten auf ihren Drachen bereits über der Burg. Sie warteten auf Mnementh.

»Du kannst mich nicht begleiten, Mädchen«, sagte F’lar zu Lessa, als er merkte, daß sie ihm folgte. Sie allein kam mit Mardra zurecht. Er konnte nicht überall gleichzeitig sein.

»Mnementh startet erst, wenn ich Heilsalbe auf deine Wunde gestrichen habe«, erklärte sie fest und öffnete seinen Gürtel. F’lar starrte sie an. Sie meinte es ernst.

»Aber – er kann doch nicht…«

O doch.

Dann schwieg F’lar und biß die Zähne zusammen, als er die eiskalte Salbe auf der Wunde spürte.

»So, nun kannst du gehen«, erklärte Lessa, nachdem sie ihm einen provisorischen Verband angelegt hatte.

»Der Schnitt ist lang, aber zum Glück nicht sehr tief.«

Damit wandte sie sich rasch ab und mischte sich unter die Gäste.

Sie macht sich Sorgen, aber sie ist zu stolz, um es einzugestehen. Starten wir!

Als F’lar mit Mnementh aufstieg, hörte er die Ballade, die Robintons Harfner angestimmt hatten: Rührt die Trommeln für den Krieg, Schlagt die Harfe für den Sieg, Feuer, friß dich tief ins Land, Bis der Rote Stern gebannt.

Stunden später kehrten sie nach Telgar zurück. Lessa erwartete F’lar mit besorgter Miene und brachte ihn sofort in die Gäste-Suite, die man ihnen zugewiesen hatte. In der Wanne dampfte bereits heißes Wasser.

Der Weyrführer zog die Augenbrauen hoch.

»Was ist los? Du behandelst mich wie einen Schwerkranken. Hast du etwa wieder Mnementh ausgehorcht?«

Lessa nickte.

Während er badete, berichtete sie ihm, was inzwischen alles vorgefallen war. Man hatte T’ron in warme Filzdecken gehüllt und auf den Südkontinent gebracht, noch bevor er das Bewußtsein wiedererlangte. Mardra hatte sich zwar gesträubt und erklärt, F’lar besitze nicht das Recht, sie ins Exil zu schicken, aber ihre Proteste waren auf taube Ohren gestoßen.

Insgeheim hatte sie wohl gehofft, daß sie ihre Drachenreiter zum Kampf gegen die übrigen Weyr aufstacheln könnte, aber als sie, begleitet von Lessa und Kylara, in Fort auftauchte, mußte sie erkennen, daß sie kaum noch Anhänger besaß. So war sie schließlich freiwillig zum Südkontinent gegangen.

»Robinton konnte gerade noch einen Kampf zwischen Kylara und Mardra verhindern; Kylara zeigte allzu deutlich, daß sie sich bereits als Herrin von Fort betrachtete.«

F’lar stöhnte.

»Keine Sorge«, beruhigte ihn Lessa.

»Sie änderte ihre Meinung in dem Augenblick, als sie erfuhr, daß T’kul und seine Leute den Hochland-Weyr verlassen wollten. Es ist günstiger, wenn T’bor mit seinen Südkontinent-Reitern den Hochland-Weyr übernimmt, vor allem, da die Mehrzahl der Fort-Reiter hier blieb.«

»Ich weiß nicht. Das bringt Kylara in gefährliche Nähe von Nabol.«

»Gewiß, aber dadurch wird für P’zar, Roths Reiter, der Weg zum Weyrführer von Fort frei. Er ist zwar nicht allzu stark, aber er wird den Burgen in seinem Schutzbereich nicht so viel Kummer bereiten wie T’ron.«

Lessa lächelte.

»Ich schlug P’zar N’ton als Geschwader-Zweiten vor, und er hatte keine Einwände.«

F’lar schüttelte den Kopf über so viel Eigenmächtigkeit, aber in diesem Moment löste sie die Heilsalbe von seiner Wunde, und er preßte die Zähne zusammen.

»Weißt du, daß Mardra insgesamt nur zwanzig Reiter folgten?« fuhr Lessa fort, als bemerkte sie seine Schmerzen nicht.

»Leider nahm T’kul die Mehrzahl seiner Leute mit. Die vierzehn, die zurückblieben, sind junge Reiter …«

»Wir müssen einen klaren Trennungsstrich zwischen uns und dem Südkontinent ziehen.«

»Aber wenn sie ihre Feindseligkeiten fortsetzen?«

»Lessa, wie viele Königinnen befinden sich jetzt im Süden?«

»Loranth vom Hochland und die beiden… oh!«

»Genau. Alles alte Tiere, die kaum noch für Nachwuchs sorgen. Ich bezweifle, daß Loranth noch einmal zum Paarungsflug aufsteigt. Und wie ich Pilgra kenne, blieb sie mit Segrith hier. Sie hatte genug unter Mardra zu leiden.«

Lessa nickte.

»Wie ist die Stimmung bei Baronen und Gildeangehörigen?«

»Sie scheinen erleichtert. Ich gebe zu, daß in ihrem Lachen noch ein wenig Hysterie mitklang, aber Lytol und Robinton hatten recht. Pern wird Benden folgen …«

»Wenn du das nächstemal die soziale und politische Struktur des Planeten umstößt, könntest du mich ruhig warnen«, sagte F’nor, als er am nächsten Morgen F’lars Wohnraum in Benden betrat. Sein lachendes, gebräuntes Gesicht verriet jedoch keinerlei Mißbilligung. »Wer ist jetzt wo?«

»T’bor hat das Hochland übernommen …«

»Kylara dort oben?« warf F’nor zweifelnd ein.

»Ja, gewiß, das hat seine Nachteile. Aber von T’kuls Reitern blieben nur vierzehn zurück, während die meisten Fort-Bewohner sich weigerten in den Süden zu ziehen.«

F’nor lachte vor sich hin. »Sicher eine böse Überraschung für Mardra! Dann führt F’zar also den Fort-Weyr, bis eine der Königinnen zum Paarungsflug aufsteigt?« Er machte eine Pause und sah F’lar fragend an. »Du hoffst wohl auf N’tons Bronzedrachen?«

F’lar zuckte vielsagend mit den Schultern.

»Nun, du scheinst alles zu deiner Zufriedenheit geregelt zu haben«, stellte F’nor fest..

»Mir paßt es allerdings ganz und gar nicht, daß ich den Südkontinent verlassen mußte. Ich hatte nämlich in einer Bucht ein vielversprechendes Feuerechsen-Gelege entdeckt. Leider waren die Schalen noch nicht hart genug, so daß ich die Eier zurücklassen mußte. Ein paar Tage …«

Er unterbrach sich.

»Sag mal, du hörst ja gar nicht zu!«

»Er hat eine ziemlich scheußliche Wunde an der Hüfte und kann sich kaum aufrechthalten, aber das würde er nie im Leben zugeben«, entgegnete Lessa energisch.

»Er gehört ins Bett!«

F’lar winkte ab. F’nor betrachtete ihn besorgt.

»Wenn du …«

»Wenn ich was?« fauchte F’lar.

Der braune Reiter lehnte sich lachend zurück.

»Und da behauptet Brekke, ich sei ein widerspenstiger Patient! Seht mal her …«

Und er beugte vorsichtig den Arm.

»Meine Pflegerin hat mir erlaubt, wieder ins Dazwischen zu fliegen. Ich werde also deine Aufgaben übernehmen, solange du im Bett liegst.«

F’lar lachte über den Eifer seines Halbbruders.

»Hast du T’kul gesehen, als er im Südkontinent ankam?«

»Nein, aber gehört!«

F’nor ballte die Rechte zur Faust.

»Die Geschwader waren ausgeflogen, um in Igen mitzuhelfen. T’kul befahl, daß alle, einschließlich der Verwundeten, den Südkontinent binnen einer Stunde verlassen müßten. Was sie nicht sofort mitnehmen konnten, beschlagnahmte er. Er hat den gesamten Südkontinent zu seinem Machtbereich erklärt. Seine Patrouillen erhielten den Befehl, jeden fremden Drachenreiter anzugreifen, der sich in sein Territorium wagt!«

»Kamen die Bewohner des Fort-Weyrs ebenfalls an?«

»Ja. Brekke untersuchte T’rons Wunde.«

»Wird er durchkommen?«

»Ja, aber …«

»Gut. Offen gestanden, ich rechnete damit, daß T’kul auf diese Weise reagieren würde.«

Er machte eine Pause.

»Glaubst du, daß es dir gelingen könnte, seine Patrouillen zu überlisten?«

»Kein Problem. Es gibt in T’kuls Geschwader nicht einen Bronzedrachen, der es mit Canth aufnimmt.

Da fällt mir ein …«

»Wunderbar. Dann habe ich zwei Aufgaben für dich. Erstens holst du dir das Gelege, das du entdeckt hast. Laß dir von Manora warme Decken geben! Wir benötigen im Moment jedes Ei, das wir bekommen können. Zum zweiten – erinnerst du dich an die Koordinaten des letzten Fädeneinfalls?«

»Natürlich, aber ich wollte dich bitten …«

»Du hast die vielen Würmer im Boden gesehen?«

»Ja …«

»Nimm ein fest verschließbares Gefäß mit! Ich möchte, daß du mir ein paar Exemplare davon besorgst. Kein angenehmer Auftrag, ich weiß, aber ich kann hier nicht weg, und das Projekt soll vorläufig geheim bleiben.«

»Würmer! Ein Projekt?«

Mnementh stieß einen Begrüßungsschrei aus.

»Ich erkläre es dir später«, entgegnete F’lar und deutete zum Weyr-Eingang.

F’nor erhob sich achselzuckend. »Deine Gedanken sind unerforschlich, großer Bruder, aber ich beeile mich, deinen Befehlen Folge zu leisten!« Mit einem Grinsen verabschiedete er sich.

An der Schwelle stieß er fast mit T’bor zusammen. Der neue Weyrführer des Hochlands sah aus, als hätte er in dieser Nacht kein Auge zugetan. Dennoch versuchte er seinen Kummer zu verbergen.

»Kylara …«, begann F’lar, denn er erinnerte sich, daß sie und Meron den ganzen Abend unzertrennlich gewesen waren.

»Nicht Kylara. T’kul.«

Er schüttelte müde den Kopf.

»Der große Weyrführer, hah!

Sobald meine Geschwader vom Süden eingetroffen waren, schickte ich sie auf einen Erkundungsflug, damit sie das neue Gelände rasch kennenlernen. Beim Ei, es gefällt mir nicht, daß die Bewohner von Pern vor Drachenreitern die Flucht ergreifen. Oder sich verstecken.«

T’bor setzte sich und nahm geistesabwesend den Becher mit Klah, den Lessa ihm reichte.

»Es gibt nirgends Wachfeuer oder Warnposten. Aber eine Menge Spuren von Fäden, die in den Boden eingedrungen sind. Ich verstehe nicht, wie die Sporen so viel Schaden anrichten konnten. Selbst Jungreiter müssen besser aufpassen. Also landete ich auf Tillek und bat um eine Unterredung mit Baron Oterel.«

T’bor pfiff leise durch die Zähne.

»Das war ein Empfang!

Beinahe hätte ich einen Pfeil in die Rippen bekommen, bevor ich den Anführer der Wache davon überzeugen konnte, daß ich nicht T’kul war.«

T’bor holte tief Atem.

»Es dauerte eine Zeit, bis Baron Oterel sich soweit beruhigt hatte, daß ich ihm die veränderten Verhältnisse erklären konnte.«

Er warf F’lar und Lessa einen nervösen Blick zu.

»Irgendwie mußte ich sein Vertrauen gewinnen, und so – so ließ ich ihm einen Bronzedrachen dort und stationierte zwei Grüne in den beiden kleinen Burgen an der Bucht. Zu den Feuergruben auf den Tillek-Höhen schickte ich ein paar Jungreiter.

Dann bat ich Oterel, mich zu Baron Bargen zu begleiten. Der eine Empfang hatte mich gewarnt. Nun hatten wir noch sechs Eier vom Gelege übrig, das Toric uns gebracht hatte. Ich gab Oterel und Bargen je zwei und die beiden restlichen dem Gildemeister der Fischer. Es schien die einzige Lösung. Sie wußten, daß Baron Meron eine Feuerechse besaß.«

T’bor richtete sich auf, als er den Namen des Burgherrn von Nabol erwähnte.

»Sie haben völlig richtig gehandelt«, versicherte ihm F’lar.

»Ich beabsichtige noch heute, auch auf den übrigen Burgen Drachen zu stationieren.«

»Und D’ram und G’narish haben nichts dagegen?« T’bor warf Lessa einen ungläubigen Blick zu.

»Nun …«, begann Lessa, aber die Ankunft der übrigen Weyrführer enthob sie einer Antwort.

D’ram, G’narish und der Geschwaderzweite von Telgar traten ein, dicht gefolgt von P’zar, dem augenblicklichen Weyrführer von Fort. Der Telgar-Vertreter stellte sich als M’rek, Zigeths Reiter, vor. Er war ein schlaksiger, blonder Mann mit ernsten Gesichtszügen, etwa in F’lars Alter. Als sie um den großen Tisch Platz nahmen, versuchte F’lar, D’rams Stimmung zu erkennen. Von ihm konnte immer noch die Entscheidung abhängen. Er war der Älteste der zurückbleibenden Weyrführer, und wenn er die Sache überschlafen und seine Meinung geändert hatte, bestand die Gefahr, daß er F’lars Vorschläge ablehnte. F’lar setzte sich zu den Männern. Er strahlte eine Ruhe aus, die er nicht empfand.

»Ich habe Sie hierhergebeten, weil wir gestern abend kaum Gelegenheit zu einem klärenden Gespräch hatten. M’rek, wie geht es R’mart?«

»Er erholt sich rasch, besonders seit die Reiter von Ista und Igen ihm den Großteil seiner Sorgen abnehmen.« M’rek warf D’ram und G’narish einen dankbaren Blick zu.

»Wie viele Leute von Telgar wollen in den Süden?«

»An die zehn, aber es handelt sich durchwegs um alte Reiter. Schaden mehr, als sie nützen, da sie den Jungreitern nur Unsinn beibringen. Übrigens, da wir gerade von Unsinn reden – Bedella kam mit ein paar merkwürdigen Neuigkeiten heim. Von Feuerechsen und sprechenden Drähten und daß wir zum Roten Stern fliegen könnten. Ich befahl ihr, über diese Dinge zu schweigen. Der Telgar-Weyr kann im Moment Gerüchte solcher Art schlecht vertragen.«

D’ram lachte ein wenig verächtlich, und F’lar warf ihm einen raschen Blick zu, aber der Weyrführer von Ista hatte sich M’rek zugewandt. F’lar nickte Lessa unauffällig zu.

»Es war tatsächlich die Rede von einer Expedition zum Roten Stern«, erwiderte F’lar beiläufig. »Aber es gibt im Moment wichtigere Dinge. Die Barone und Gildemeister werden bald herkommen, um mit uns über die veränderte Lage zu sprechen. D’ram, sagen Sie mir offen: Haben Sie etwas dagegen, daß wir Drachenreiter in den Burgen und Gildehallen stationieren, solange wir kein Schema für den Fädeneinfall kennen?«

»Nein, F’lar«, entgegnete der Weyrführer von Ista langsam, ohne die anderen anzusehen.

»Seit gestern abend …«

Er hob ruckartig den Kopf.

»Ich glaube, ich habe gestern erkannt, wie groß Pern ist und wie engstirnig ein Mensch werden kann, wenn er ständig über die Dinge nachdenkt, die er haben will, und darüber vergisst, was er hat.

Und was er tun muß.

Die Zeiten haben sich geändert, und das wollten wir nicht wahrnehmen, vielleicht, weil wir ein wenig Angst vor all dem Neuen hatten. Vierhundert Planetendrehungen sind nicht so einfach zu überbrücken.«

D’ram nickte vor sich hin.

»Vermutlich klammerten wir uns an das Hergebrachte, weil alles, was wir sahen, von den ausgedehnten Wäldern zu den zahllosen neuen Gilden und Höfen, vertraut und doch – so anders war.

T’ron besaß früher den Ruf eines tüchtigen Weyrführers, F’lar. Ich kann nicht sagen, daß ich ihn gut kannte. Während der kurzen Pausen, in denen wir keine Fäden zu bekämpfen hatten, blieben wir am liebsten auf unseren Weyrn.

Aber Drachenreiter sind und bleiben Drachenreiter. Daß einer versucht, seinen Gefährten umzubringen …«

D’ram schüttelte langsam den Kopf, dann sah er F’lar in die Augen.

»Sie hätten ihn töten können. Sie taten es nicht. Und nach dem Duell ritten Sie mit Ihrem Geschwader nach Igen, obgleich Sie verwundet waren.«

Mnementh informierte seinen Reiter, daß ganz Pern auf dem Wege nach Benden sei und der Landevorsprung allmählich nicht mehr ausreiche.

Insgeheim fluchte F’lar. Ihm blieb zu wenig Zeit, um das neue Einverständnis mit D’ram auszubauen.

Wenn er den Mann nun wieder vor vollendete Tatsachen stellen mußte… »Ich glaube nicht, daß die Weyr heutzutage autonom bleiben können«, entgegnete er knapp. Die glatten, wohlklingenden Worte, die er sich zurechtgelegt hatte, waren vergessen.

»Vor sieben Planetendrehungen ging Pern beinahe zugrunde, weil Drachenreiter den Kontakt zur übrigen Welt verloren hatten. Und wir haben gestern erlebt, was geschieht, wenn Drachenreiter den Kontakt zu ihresgleichen verlieren.

Wir brauchen offene Paarungsflüge, den Austausch von Königinnen und Bronzedrachen zwischen den einzelnen Weyrn, um das Blut aufzufrischen und den Nachwuchs zu kräftigen. Wir brauchen Geschwader, die von Weyr zu Weyr wechseln, um das ganze Land kennenzulernen. Nichts ist gefährlicher für eine Patrouille als allzu vertrauter Grund. Wir brauchen öffentliche Gegenüberstellungen…«

Sie alle hörten jetzt die Stimmen und Schritte draußen im Felskorridor.

»Ista hat sich gestern auf die Seite von Benden gestellt«, unterbrach ihn D’ram mit einem schwachen Lächeln.

»Aber achten Sie genau darauf, welche Traditionen Sie über den Haufen werfen. Gewisse Dinge sind unantastbar …«

Sie erhoben sich, als die Barone und Gildemeister hereinstömten. Es herrschte eine fieberhafte, hektische Atmosphäre; jeder versuchte die Fragen zu klären, die am Vorabend unbeantwortet geblieben waren. Erst als die Männer den Beratungsraum betraten, glätteten sich die Wogen der Erregung.

Als erster meldete sich Baron Larad von Telgar zu Wort: »Weyrführer, wo und wann müssen wir mit dem nächsten Fädeneinfall rechnen?«

»Aller Voraussicht nach auf Ruatha und den Westgebieten von Telgar«, entgegnete F’lar. »In ein paar Stunden vielleicht. Keine Sorge, ich bin hier bald fertig …«

»Und wie lange bleiben die Drachenreiter, die auf unseren Burgen stationiert sind?« erkundigte sich Corman von Keroon. Er sah dabei D’ram an, der links von F’lar saß.

»Bis wir sie durch ein besseres Nachrichtensystem ersetzen können.«

»Ich brauche mehr Leute«, meldete sich der Schmied zu Wort. »Benötigt ihr wirklich alle diese Flammenwerfer, die ihr in Auftrag gegeben habt?«

»Nicht, wenn uns die Drachenreiter in der Gefahr tatkräftig unterstützen!« Baron Sangels Stimme klang verbittert.

Larad hatte immer noch nicht Platz genommen.

»Sind die Geschwader von Telgar schon wieder einsatzbereit?«

M’rek warf F’lar einen zögernden Blick zu. Dann nickte er.

»Der Hochland-Weyr hilft Telgar gern aus«, sagte T’bor.

»Ista ebenfalls!« fügte D’ram hinzu.

Die Einigkeit schien die Barone zu verblüffen. Larad von Telgar setzte sich wortlos.

»Stimmt es, daß wir unsere Wälder niederbrennen müssen?« Baron Asgenar sah die Weyrführer beinahe flehend an.

»Drachenreiter vernichten Fäden, aber keine Wälder«, entgegnete F’lar ruhig. »Wir haben genug Leute, um Perns kostbares Holz zu schützen …«

»Wir reden am Kern vorbei, und ihr alle wißt es!« rief Groghe von Fort und sprang erregt auf. »Es ist genug Zeit verschwendet worden. Weshalb bekämpfen wir die Fäden nicht auf dem Roten Stern selbst? Ihr behauptet doch, daß die Drachen euch überall hinbringen, wenn ihr es ihnen befehlt!«

»Ein Drache muß sein Ziel kennen, bevor er es ansteuert!« widersprach G’narish.

»Speisen Sie mich nicht damit ab, junger Mann! Man kann den Roten Stern in diesem Fernrohr sehen – so deutlich wie meine Hand!«

Er hob die Pranke und ballte sie zur Faust.

»Vernichtet die Fäden an ihrem Ursprung! Jawohl, an ihrem Ursprung!«

D’ram war ebenfalls aufgesprungen und wehrte sich zornig gegen dieses Ansinnen. Ein Drache auf dem Landevorsprung brüllte so laut, daß man einen Moment lang kein Wort verstand.

»Wenn das der Wunsch der Barone und Gildeangehörigen ist«, sagte F’lar, »dann rüsten wir sofort eine Expedition aus.«

D’ram und G’narish saßen wie vom Donner gerührt da. Baron Groghe versteifte sich mißtrauisch. F’lar fuhr rasch fort, solange die Stille anhielt: »Sie haben den Roten Stern gesehen, Baron Groghe? Könnten Sie mir die Landmassen beschreiben?

Welches Ausmaß besitzen die Gebiete, die freizuräumen sind? Lassen sie sich in etwa mit dem Nordkontinent vergleichen? Hmm.

Um solche Flächen zu überqueren, benötigt ein Drache an die sechsunddreißig Stunden, nicht wahr, D’ram?

Oder mehr? Wir müßten viele Geschwader einsetzen, da wir keine Boden-Suchtrupps zur Verfügung haben. Welche Feuersteinvorräte besitzen wir, Bergwerksmeister? Auf jedem Weyr lagern an die fünf Drachengewichte. Das reicht natürlich nicht aus.

Dann wäre es wichtig, sämtliche Flammenwerfer von Pern zu konfiszieren …«

»Genug!« schrie Groghe. Sein Gesicht war zorngerötet, und die Augen schienen ihm aus den Höhlen zu treten.

»Wenn so ein Unternehmen Erfolg bringen soll, Baron Groghe, müssen wir sämtliche Kräfte einsetzen. Das bedeutet aber, daß in der Zwischenzeit Pern ungeschützt bleibt.

Eine schwerwiegende Entscheidung, die ich nicht zu treffen wage!«

Er machte eine Pause.

»Vielleicht sollten wir einen Kompromiß schließen. Ich möchte mir den Roten Stern genau ansehen, bevor ich Pern aufs Spiel setze. Sobald wir vernünftige Koordinaten besitzen, Baron Groghe, senden wir eine Forschungsgruppe aus. Ich habe mich schon oft gefragt, weshalb unsere Vorfahren den Sprung nicht wagten. Oder, wenn sie ihn wagten, was aus ihnen wurde.«

Bei den letzten Worten senkte er die Stimme. Eine Zeitlang herrschte im Raum vollkommene Stille.

Die Feuerechse auf Merons Arm flatterte nervös.

»Vor sieben Planetendrehungen rief ich euch schon einmal zum Kampf gegen die Fädenplage zusammen«, fuhr F’lar fort.

»Mit vereinten Kräften und unter verzweifelten Anstrengungen gelang es uns damals, die Gefahr zu überleben. Unsere Lage hat sich seither weit gebessert, aber Mißverständnisse brachten es mit sich, daß die Einheit wieder zerfiel und wir von unserem eigentlichen Ziel abgelenkt wurden.

Wir besitzen nicht mehr das Wissen und die handwerklichen Fähigkeiten unserer Vorfahren; deshalb hat es wenig Sinn, wenn wir unsere Hoffnung auf Geräte setzen, die sie entwickelt haben. Sehr viel wichtiger ist es, daß wir erneut die Schranken überwinden, die Weyr und Burgen, Gildehalle und Hof willkürlich trennen. Wir können so viel voneinander lernen …«

Die Männer waren von ihren Plätzen aufgesprungen und jubelten ihm begeistert zu. D’ram zupfte an seinem Ärmel und versuchte sich verständlich zu machen. G’narish redete auf den Geschwader-Zweiten von Telgar ein, der immer noch düster und unentschlossen wirkte. Groghe von Fort schien ein wenig unsicher und ängstlich, aber das war besser als offene Feindseligkeit. In diesem Moment bemerkte F’lar, daß Lessa hinausging, offenbar, um einen verspäteten Besucher zu empfangen.

Es war F’nor.

»Ich habe Feuerechsen-Eier!« rief er in den Lärm. »Feuerechsen-Eier!« Man machte ihm eine Gasse frei.

Triumphierend legte er das unförmige Bündel auf den Tisch. Mit einemmal war es still im Raum.

»Ich habe sie T’kul direkt vor der Nase weggeschnappt«, erzählte der braune Reiter lachend. »Zweiunddreißig Stück!«

»Nun, Benden«, fragte Sangel von Süd-Boll in das angespannte Schweigen, »wer soll sie bekommen?«

F’lar sah ihn mit gespielter Überraschung an.

»Diese Entscheidung überlasse ich selbstverständlich Ihnen.« Seine Geste umschloß alle Anwesenden.

Und während die Barone und Gildeangehörigen um die kostbaren Eier zu streiten begannen, verließ F’lar den Beratungsraum. Niemand würde seine Abwesenheit bemerken und er hatte eine Ruhepause dringend nötig.

Sobald es ihm möglich war, holte F’nor das dicht verschlossene Gefäß aus einer Korridornische und machte sich auf die Suche nach F’lar.

Er ist in seinen Räumen, informierte ihn Canth.

Grall, die zwischen den Pfoten des Braunen geschlafen hatte, flatterte hoch und setzte sich auf seine Schulter.

Der Weyrführer kam ihm entgegen.

»Du hast die Würmer! Wunderbar! Komm mit!«

»Moment mal!«

F’nor hielt seinen Halbbruder zurück.

»Wohin willst du?«

»Rasch! Bevor uns jemand sieht…«

Er strebte auf die Rampe zu, die in die unteren Höhlen führte. Sie gelangten ungesehen hin. F’lar betrat den alten Korridor, der an Ramoths Brutstätte grenzte.

»Nun, wie wurden die Eier verteilt?« fragte er grinsend.

F’nor lachte ebenfalls.

»Groghe führte das große Wort, wie es nicht anders zu erwarten war. Die Barone von Ista und Igen, Warbret und Laudey, verzichteten freiwillig, weil sie meinten, daß es an ihren Küstengebieten genug Echsen-Gelege gäbe. Sangel von Soll nahm zwei, Lytol dagegen keines.«

F’lar schüttelte seufzend den Kopf.

Sie befanden sich jetzt am Ende des Felsenkorridors. Der Spalt, durch den die Jungen Ramoths Gelege beobachtet hatten, war frisch vermauert.

»Das ist gemein«, stellte F’nor fest.

»Was?«

F’lar sah ihn verwirrt an.

»Ach so. Lessa sagte, daß die Kinder Ramoth unnötig aufregen, und Mnementh pflichtete ihr bei.«

Er wies auf den Eingang, den Felessan und Jaxom entdeckt hatten.

»Da hinten befindet sich eine Kammer, die sich für meine Zwecke hervorragend eignet…«

»Das klingt so geheimnisvoll. Willst du dich nicht deutlicher ausdrücken?«

»Gleich.«

F’lar ließ seinem Halbbruder keine Zeit, das Wandgemälde oder die herrlichen Schränke und Regale aus der Vergangenheit genauer zu betrachten. Er zerrte ihn durch mehrere Räume zu einer Kammer. Rechteckige Steintröge standen auf dem Boden, und darin befanden sich normale Feldpflanzen und Sträucher. F’nor entdeckte sogar einen jungen Hartholzbaum.

F’lar nahm das Gefäß mit den Würmern an sich.

»Ich werde die Dinger jetzt in allen Trögen bis auf einen verteilen.«

»Und was möchtest du damit beweisen?«

»Zum ersten, daß diese Würmer aus dem Südkontinent auch in unserem Erdreich gedeihen …«

»Und zweitens?«

»Daß sie Fäden vernichten – wie sie es in den Sumpfgebieten dort unten taten!«

Sie beobachteten beide mit einer Mischung aus Ekel und Faszination, wie die glitschigen Tiere sich in das Erdreich schlängelten.

»Aber woher weißt du das?«

»Ich bin in die Zeit vor dem Fädeneinfall zurückgekehrt. Er dauerte vier Stunden, daran besteht kein Zweifel. Du hast außerdem selbst die durchlöcherten Blätter und Grashalme gesehen. Und du hast gesehen, wie es zwischen den Wurzeln von Würmern wimmelte. Wetten, daß es dir heute schwerfiel, überhaupt welche zu finden. Sie kommen nämlich nur nach oben, wenn Sporen fallen.«

F’nor nickte langsam.

»Und woher willst du die Fäden holen, um deine Theorie zu beweisen?«

»Das ist deine Aufgabe«, sagte F’lar.

»Du wirst dich heute nachmittag in Telgar einfinden, wo man den nächsten Sporenregen erwartet. Mnementh hat Canth und Grall bereits alles erklärt.«

»Das hilft«, entgegnete F’nor bissig.

»Ich würde dich nicht darum bitten, wenn ich es selbst tun könnte!« fuhr F’lar auf.

»Ist ja gut, aber wie hast du dir die Sache vorgestellt? Ich halte es nicht für ratsam, zu nahe an die Fäden heranzukommen.«

»Du fliegst etwa in Höhe des Königinnen-Geschwaders. Halte nach einem kräftigen Fädenknäuel Ausschau und verfolge es nach unten! Canth ist geschickt genug, um dich in seine Nähe zu bringen, so daß du es mit einer langstieligen Pfanne auffangen kannst. Und falls sich wirklich ein Teil davon in den Boden bohrt, ist immer noch Grall da, um die Gefahr zu beseitigen.«

»Also schön, nehmen wir einmal an, ich könnte ein paar lebende Sporen erwischen«, unwillkürlich schüttelte sich der braune Reiter, »und hierherbringen. Nehmen wir weiterhin an, daß die Würmer sie vernichten. Was dann?«

»Dann, Sohn meines Vaters, züchten wir uns Unmengen dieser anmutigen Tierchen und verteilen sie auf ganz Pern.«

F’nor stemmte die Arme in die Hüften und schüttelte den Kopf. »Bist du wahnsinnig geworden?«

»Nein, F’nor. Bei dieser Art von Schutz könnten die Fäden fallen, wo und wann sie wollten, ohne gleich eine Katastrophe anzurichten.

Weißt du, ich habe mir oft die Frage stellt, warum es so lange dauerte, bis wir uns auf diesem Kontinent ausbreiteten. Nimm einmal unseren normalen Bevölkerungszuwachs und wende ihn auf eine Spanne von einer paar tausend Planetendrehungen an!

Warum gibt es nicht mehr Menschen? Und warum, F’nor, hat noch nie zuvor jemand versucht, auf den Roten Stern zu gelangen? Zumindest gibt es keine Aufzeichnungen davon.«

»Lessa erzählte mir von Baron Groghes Forderung«, meinte F’nor langsam.

»Unsere Vorfahren besaßen die Instrumente, um den Roten Stern sichtbar zu machen«, fuhr F’lar fort. »Sie waren also in der Lage, ihren Drachen die nötigen Koordinaten zu geben. Sie bewahrten diese Instrumente sorgfältig auf. Für uns vielleicht? Für eine Zeit, in der es möglich sein würde, das letzte Hindernis zu überwinden?«

Er machte eine Pause und fuhr ein wenig unsicher fort: »Könnte es sein, daß wir auf dem Höhepunkt einer langen, langen Entwicklung angekommen sind? Vieles deutet darauf hin. Die Bevölkerung wächst; Männer wie Fandarel erleichtern uns das Leben durch ihre Erfindungen; wir entdecken Vermächtnisse unserer Vorfahren; wir stoßen auf Würmer, die Fäden fressen …«

»Du vergißt eines, Bruder«, warf F’nor langsam ein.

»Was?«

Der braune Reiter holte tief Atem. Es fiel ihm nicht leicht seine Gedanken auszusprechen. »Was wird aus den Drachenreitern, wenn es keine Fäden mehr zu bekämpfen gibt?«

Brekke schrak aus dem Schlaf. Es war tiefe Nacht im Hoch-land-Weyr, aber der Südkontinent lag jetzt im ersten Frühlicht da, und ihr Körper hatte sich auf den veränderten Rhythmus noch nicht eingestellt.

Berd beobachtete sie mit glitzernden Augen, und sie streichelte das Tierchen. Wirenth schlief noch fest. Mit einem Seufzer erhob sich Brekke und ging zu dem kleinen Badeteich neben ihrem Schlafgemach. Berd begleitete sie. Die kleine Echse spritzte vergnügt im warmen Wasser umher und flog dann auf einen Sims, um sich zu putzen.

Eigentlich war es gut, daß sie jetzt schon mit der Arbeit anfangen konnte, wo niemand sie störte. Denn zu tun gab es mehr als genug. T’kul hatte kaum etwas Brauchbares zurückgelassen. Es fehlte an frischer Kost, Möbeln, Stoffen, Leder und Wein. Da er die Bewohner des Südkontinents gezwungen hatte, auf der Stelle den Weyr zu verlassen, war es ihnen auch nicht möglich gewesen, Vorräte mitzunehmen. Wenn sie wenigstens zwei Stunden vorher Bescheid gewußt hätte … Sie schüttelte den Kopf. Offensichtlich war Merika eine noch schlechtere Weyrherrin als Kylara gewesen, denn der Hochland-Weyr befand sich in einem vernachlässigten Zustand. Auf die Höfe und Burgen konnte sie nicht zählen – die Leute waren heilfroh, daß sie nicht mehr so hohe Abgaben wie unter T’kul entrichten mußten.

Vielleicht ein kleiner Wink F’nor gegenüber – nein, das war verfrüht. Zuerst wollte sie eine Bestandsaufnahme machen, feststellen, was am dringendsten fehlte und was sie selbst beschaffen konnten.

Selbst beschaffen?

Brekke seufzte. Sie befanden sich nicht mehr auf dem Südkontinent, wo die Natur sie freigebig versorgt hatte. Hier waren sie auf den Tribut der Landbesitzer und Gilden angewiesen… Mit einem Achselzucken streifte Brekke ihre Reitkleider über. Sie mußte sich an die Kälte des Nordens erst wieder gewöhnen. Die unteren Höhlen kamen ihr wie Eiskeller vor.

Wirenth zuckte mit dem Schwanz, als Brekke an ihr vorüberging, aber sie wachte nicht auf. Das Tier hatte gestern schwer gearbeitet. War das wirklich alles erst einen Tag her?

Berd summte so selbstzufrieden, als sie an Wirenth vorbeiflatterte, daß Brekke lächeln mußte. Die Gedanken des Tierchens waren klar wie Quellwasser – halt, was hatte Rannelly über den Weyr-See gesagt? Daß er verschmutzt war, absichtlich? Sie mußte das nachprüfen.

Als vier Stunden später allmählich Leben in den Weyr kam, war Brekke voller Verachtung für Merikas Haushaltsführung, aber auch sehr erleichtert, denn sie hatte einige Höhlen mit Vorräten entdeckt, die T’kuls Leuten in der Eile wohl entgangen waren. An Tuch, Leder und Weinen herrschte zumindest kein Mangel.

Aber der See war tatsächlich verunreinigt und mußte abgelassen werden. Das bedeutete, daß sie während der nächsten paar Tage kein Wasser hatten. Sie berichtete T’bor und Kylara davon.

»Ich hole ein paar Fässer von Nabol«, verkündete Kylara, sobald sie sich einigermaßen beruhigt hatte.

Brekke sah deutlich, daß T’bor diese Lösung nicht paßte, aber er hatte so viele andere Dinge zu entscheiden, daß er keine Einwände machte. Zumindest erweckte Kylara den Eindruck, als sei sie wieder bereit, einen Teil ihrer Pflichten zu übernehmen.

So verließ sie den Weyr, und bald danach brach auch T’bor mit seinem Geschwader auf, um das neue Gelände zu erforschen und für die Patrouillen aufzuteilen. Brekke und die beiden anderen Jung-Weyrherrinnen, Vanira und Pilgra, begannen mit vereinten Kräften, im Weyr für Ordnung zu sorgen. Brekke war so darin vertieft, die Mehlsäcke zu zählen, daß sie Wirenths ersten Schrei nicht hörte. Erst Berd machte sie darauf aufmerksam. Die kleine Echse schnarrte erregt und flatterte hoch.

Als Brekke ihre Gedanken zu Wirenth aussandte, war sie verwirrt über die widersprüchlichen, heftigen Gefühlsregungen, die ihr entgegenströmten. Was mochte geschehen sein?

Brekke rannte nach oben.

Unterwegs kam ihr Pilgra entgegen. »Wirenth steigt zum Paarungsflug auf, Brekke!« stammelte das Mädchen. »Sie ist schon auf dem Wege zur Futterstelle. Du weißt doch, was du zu tun hast, oder?«