10

Brekke war wie betäubt. Sie ließ sich von Pilgra zur Futterstelle zerren. Wirenth kreiste mit lautem Geschrei über der Herde, bis sich die Tiere verängstigt in einer Ecke zusammendrängten.

»Los, Brekke!« rief Pilgra und schob sie vorwärts.

»Sieh zu, daß sie nur Blut trinkt! Sie darf nichts fressen, sonst fliegt sie nicht hoch genug!«

»Hilf mir doch«, bat Brekke.

Pilgra legte ihr beruhigend den Arm um die Schultern.

»Keine Angst«, sagte sie mit einem versonnenen Lächeln.

»Es ist wunderbar.«

»Ich – ich kann nicht…«

Pilgra schüttelte sie.

»Natürlich kannst du! Du mußt! Ich habe die Reiter bereits verständigt. Und jetzt ziehe ich mich mit Segrith zurück. Vanira hat ihr Tier bereits weggebracht.«

»Weggebracht?«

»Stell doch keine so einfältigen Fragen! Die Königinnen würden im Moment nur stören. Ein Glück, daß sich Kylara in Nabol befindet. Prideth wird nämlich selbst bald in der Hitze sein.«

Damit ließ Pilgra sie stehen.

Plötzlich war Rannelly neben Brekke und schlug nach der Feuerechse, die aufgeregt umherflatterte.

»Weg da! Husch! Los, Mädchen, kümmere dich um deine Königin, sonst bist du keine Weyrherrin! Laß nicht zu, daß sie sich vollfrißt!«

Schwingen peitschten plötzlich die Luft auf die Bronzedrachen kehrten zurück. Und unvermittelt spürte Brekke den Drang in sich, Wirenth zu beschützen. Das Summen der Bronzedrachen erregte sie.

Und dann sah sie, daß Wirenth sich mit einem herausfordernden Kreischen auf einen Bock gestürzt hatte. Die Königin war in ihrem Taumel, in ihrem Blutrausch, nicht wiederzuerkennen.

»Sie darf nicht fressen!« schrie jemand Brekke zu.

»Sie darf nicht fressen!«

Aber Brekke war jetzt bei Wirenth, fühlte das gierige Verlangen nach rohem, rauchendem Fleisch, den Geschmack von Blut. Sie merkte nicht, was rings um sie vorging.

Wirenth hatte jetzt den Bock gerissen, und Brekke zwang sie mit ganzer Willenskraft, nur das Blut auszusaugen. Als die Königin endlich von dem Kadaver abließ und erneut über der Futterstelle kreiste, bemerkte Brekke die Bronzereiter, die sie in einem dichten Rang umstanden. Sie warteten auf Wirenths Entscheidung.

Sie stöhnte. F’nor! Er hatte gesagt, daß er kommen würde. Er hatte versprochen, daß nur Canth Wirenth fliegen würde … Canth! Canth!

Wirenth stürzte sich auf den zweiten und dritten Bock.

Wieder siegte Brekkes eiserner Wille. Nach dem vierten Bock begann Wirenths Haut plötzlich zu glänzen. Mit einem mächtigen Satz schnellte sie in die Luft und stieg auf. Die Bronzedrachen folgten ihr. Ihre Schwingen wirbelten den Sand am Boden des Weyrkessels auf.

Brekke verschmolz mit ihrer Königin. Sie verachtete die Bronzedrachen, die sie einzuholen versuchten; sie jagte nach oben, immer höher, über die Berggipfel, wo die Luft dünn und kalt war.

Und dann schoß aus der Wolkendecke unter ihr eine Rivalin. Eine Königin. Wollte sie ihr die Bronzedrachen streitig machen?

Kreischend warf sich Wirenth der Nebenbuhlerin entgegen, kampfbereit, mit ausgestreckten Krallen.

Die andere Königin – es war Prideth – wich mühelos aus und hieb ihre Klauen in Wirenths Weichteile. Wirenth fiel, fing sich wieder und flog tapfer höher, bis die Wolkenschicht sie einhüllte. Die Bronzedrachen waren herangekommen und schrien hilflos. Sie wollten sie paaren. Prideth glaubte, daß ihre Gegnerin geschlagen war. Sie begann die Verfolger zu locken.

Diese Demütigung konnte Wirenth nicht ertragen. Ohne auf ihre Schmerzen zu achten, jagte sie aus der Wolkendecke, die Flügel eng an den Körper gelegt. Der Angriff kam so unerwartet, daß Prideth den Zusammenprall nicht mehr vermeiden konnte. Die junge Königin verkrallte sich mit dem Mut der Verzweiflung in ihre Rivalin. Gemeinsam stürzten sie in die Tiefe, auf die Berggipfel zu.

In diesem Augenblick tauchten die anderen Königinnen auf. Sie teilten sich in zwei Gruppen. Unerbittlich rissen sie Wirenth und Prideth auseinander und kreisten sie ein wie eine lebende Mauer. Wirenth dachte nur daran, daß man ihr die Rache versagen wollte. Und während die Königinnen sie abzudrängen versuchten, erkannte sie die einzige Fluchtmöglichkeit. Sie ließ sich ein Stück in die Tiefe sacken und griff ihre Rivalin dann von unten her an. Sie riß Prideth aus dem Kreis ihrer Beschützerinnen und schlug ihre Fänge in den ungeschützten Nacken der feindlichen Königin.

Wirenth achtete nicht auf die Schreie der Bronzedrachen, nicht auf die Befehle der anderen Königinnen. Sie zerrte Prideth immer tiefer.

Doch plötzlich wurde sie grob gepackt und nach oben gerissen. Sie blinzelte durch einen roten Schleier.

Über ihr – Canth! Canth?

Sie fauchte ihn an, ohne zu erkennen, daß er sie vor dem Sturz auf die gefährlich nahen Klippen bewahren wollte. Auch Ramoth war da und versuchte Prideth zu stützen.

Aber die Hilfe kam zu spät. Spitze Zähne gruben sich in Wirenths Schulter, dicht neben der Hauptschlagader. Sie schrie auf. Verwundet von der Gegnerin, behindert von den Freunden, gab es für sie keine andere Wahl, als ins Dazwischen zu verschwinden. Sie nahm Prideth mit sich.

F’nor war eben auf dem Weg zu den Geschwadern im Westen von Telgar, als Berd, die kleine Bronze-Echse Brekkes, auftauchte. Der braune Reiter war über ihr plötzliches Erscheinen so verblüfft, daß er ihre erregten Gedanken nicht sofort verstand.

Wirenth ist aufgestiegen! erklärte Canth.

Das genügte.

F’nor rannte mit Canth zum Landevorsprung. Seinen Auftrag hatte er vergessen. Es vergingen kostbare Sekunden, bis er Grall und Berd verstaut hatte. Unterwegs versuchte er abzuschätzen, wie lange die Bronzeechse für ihren Weg benötigt hatte, wie lange Wirenth sich an der Futterstelle aufhalten würde und wir stark die Bronzedrachen vom Hochland waren.

Als sie über dem Hochland-Weyr kreisten, sah F’nor seine Befürchtungen bestätigt. An der Futterstelle lagen die gerissenen Kadaver der Böcke herum, aber von Wirenth entdeckte er keine Spur.

Auch die Bronzedrachen hatten den Weyr verlassen.

Berd weiß, wo Wirenth ist. Er bringt mich hin, beruhigte ihn Canth.

Der Braune landete, und F’nor sprang in aller Hast ab. Berd klammerte sich an Canths Nacken fest.

Prideth steigt ebenfalls auf. Der Gedanke und der Angstschrei des Braunen kamen zur gleichen Zeit. Von den Höhen antworteten die anderen Drachen.

F’nor war wie erstarrt. »Verständige Ramoth«, rief er.

Aus den unteren Höhlen strömte das Weyrvolk, und Reiter zeigten sich auf den Landevorsprüngen.

»Kylara! T’bor! Wo ist Pilgra? Kylara! Varena!«

F’nor schob die Umstehenden rücksichtslos zur Seite und rannte auf Brekkes Suite zu.

Prideth stieg auf!

Wie konnte das geschehen?

Jede Weyrherrin wußte, daß sie ihre Königin wegbringen mußte, wenn eine andere in der Hitze war.

Wie konnte Kylara … Er raste mit langen Sätzen die Stufen hinauf, durchquerte den Korridor und erreichte außer Atem Wirenths Schlafhöhle.

Bereits jetzt konnte er Brekkes schrille Schreie hören.

»Was tut sie hier?

Wie kann sie es wagen!

Das sind meine Drachen!

Ich bringe sie um!«

Brekke krümmte sich, stöhnte und hielt die Arme schützend vor den Kopf, als müßte sie einen Feind abwehren.

»Ich bringe sie um! Nein! Nein! Sie kann mir nicht entkommen. Geht weg!«

Die Ekstase der Bronzereiter war längst verschwunden. Ihre Mienen verrieten Angst, Zweifel, Unsicherheit.

»Prideth ist aufgestiegen, T’bor! Die Königinnen kämpfen!« schrie F’nor.

Ein Reiter begann leise zu fluchen. Die anderen starrten immer noch wie betäubt Brekke an, die sich jetzt stöhnend auf dem Boden wand.

»Rührt sie nicht an!« sagte F’nor und schob T’bor und einen anderen Mann zur Seite. Er trat in ihre Nähe, aber sie nahm ihn nicht wahr.

Brekke sprang hoch, haßerfüllt, die Zähne gefletscht. Ihr Körper spannte sich an. Und dann faßte sie ungläubig nach ihrer Schulter. Sie zuckte wie im Krampf, und ein Todesschrei entrang sich ihren Lippen. F’nor lief auf sie zu. Er konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie zusammenbrach.

Die Steine des Weyrs schienen von der Totenklage der Drachen widerzuhallen.

»T’bor, stehen Sie nicht herum! Holen Sie Manora!« fauchte F’nor den Weyrführer an, während er Brekke zu ihrem Lager trug.

T’bor setzte sich schwerfällig auf eine Wäschetruhe. Seine Hände zitterten.

»Sie sind beide tot, beide«, murmelte er.

»Wo ist Kylara? Wo ist sie?«

»Weiß ich nicht. Ich brach gleich heute morgen mit meinen Geschwadern auf.«

Der Weyrführer war leichenblaß.

»Der See war verschmutzt…«

F’nor hüllte Brekkes schlaffen Körper mit Fellen ein. Ihr Herz schlug, aber ganz schwach.

F’nor?

Es war Canth. Sein Ruf klang so leise, so schmerzerfüllt, daß der Mann einen Augenblick lang die Augen schloß.

Jemand legte ihm die Hand auf die Schulter. Es war T’bor.

»Sie können im Augenblick nichts für sie tun, F’nor!«

»Sie wird sterben wollen«, flüsterte F’nor.

»Laßt das nicht zu! Laßt nicht zu, daß Brekke stirbt!«

Canth landete auf dem Felsensims. Er schwankte vor Erschöpfung. F’nor umarmte den großen, keilförmigen Kopf seines Gefährten.

Es war zu spät. Prideth hatte sich erhoben. Zu nahe für Wirenth. Nicht einmal die Königinnen konnten die beiden trennen. Ich habe alles versucht, F’nor. Sie – sie stürzte so rasch. Und sie wandte sich gegen mich. Dann ging sie ins Dazwischen. Ich konnte sie dort nicht finden.

Sie standen reglos auf dem Felsvorsprung.

»Die beiden werden darüber hinwegkommen«, sagte Manora leise, als sie Lessas ängstlichen Blick auffing.

»Sie sind sich jetzt näher als je zuvor.«

Ramoth landete, und die Frauen betraten den Weyr. Während Manora sofort zu Brekkes Lager eilte, blieb Lessa im Vorraum, wo die neun Bronzereiter des Hochlands immer noch wie erstarrt herumstanden. Mitleid überkam die Weyrherrin von Benden. Gleich zwei Königinnen zu verlieren – die Männer brauchten dringend einen kräftigen Schluck, der ihre Lebensgeister wieder weckte. Besaß denn in diesem verdammten Weyr kein Mensch den Verstand … Sie unterbrach diese Gedankengänge. Bisher hatte sich Brekke um alles gekümmert.

Lessa wollte sich eben auf die Suche nach etwas Trinkbarem machen, als sie unsichere Schritte und ein unterdrücktes Schluchzen hinter sich hörte. Sie drehte sich um. Ein kleines Mädchen kam den Korridor entlang, mit einem Tablett, das sie kaum schleppen konnte.

Zwei grüne Feuerechsen umflatterten sie mit aufgeregtem Gepiepse. Als die Kleine Lessa sah, wischte sie mit dem Ärmel hastig die Tränen ab und machte einen Knicks.

»Du bist ein vernünftiges Kind«, sagte Lessa anerkennend und nahm ihr das Tablett ab.

Sie deutete auf die Tonflaschen.

»Schnaps?«

Die Kleine nickte.

»Alles, was ich finden konnte.«

»Hier!«

Lessa füllte einen Becher und drückte ihn dem erstbesten Reiter in die Hand. Das Mädchen stand reglos neben ihr, das Gesichtchen vor Angst und Kummer verzerrt. Sie starrte den Vorhang an, der Brekkes Schlafgemach verschloß. Tränen liefen ihr über die Wangen, ohne daß sie es merkte.

»Du bist Mirrim?«

»Ja.«

Das Kind wandte den Blick nicht vom Vorhang ab.

»Manora ist bei Brekke, Mirrim.«

»Aber – aber Brekke wird sterben. Sie wird sterben. Die anderen sagen, wenn ein Drache …«

»Die anderen sagen viel zuviel«, unterbrach Lessa sie. In diesem Augenblick trat Manora zu ihnen.

»Sie lebt. Schlaf ist jetzt der beste Trost für sie.«

Die Heilerin zog den Vorhang zu und warf einen Blick auf die Männer.

»Die hier sollten sich auch hinlegen. Sind ihre Drachen schon wieder zurückgekehrt?«

Sie strich dem Mädchen sanft über die Wange.

»Mirrim, nicht wahr? Ich hörte, daß du zwei grüne Feuerechsen besitzt.«

»Mirrim dachte als einzige daran, dieses Tablett hier zu bringen«, warf Lessa ein. Sie tauschte einen raschen Blick mit Manora.

»Brekke – Brekke würde erwarten …« Das Mädchen begann wieder zu schluchzen.

»Brekke ist eine vernünftige Person«, sagte Manora fest. Sie drückte Mirrim einen Becher in die Hand und schob die Kleine auf einen Reiter zu.

»Hilf uns jetzt! Diese Männer brauchen uns.«

Mechanisch begann Mirrim die Becher zu verteilen.

»Weyrherrin«, murmelte Manora, »vielleicht sollten wir F’lar herholen. In Ista und Telgar bekämpfen sie zu dieser Stunde die Fäden, und …«

»Ich bin schon da«, sagte F’lar vom Eingang her.

»Und ich könnte auch einen ordentlichen Schluck gebrauchen. Die Kälte des Dazwischen sitzt mir in den Knochen.«

»Als ob wir hier nicht genug Narren hätten«, rief Lessa, aber ihre Miene hellte sich auf.

»Wo ist T’bor?«

Manora deutete auf Brekkes Gemach.

»Hmm. Und Kylara?«

Seine Stimme klang eisig.

Gegen Abend herrschte im Hochland-Weyr, wenigstens nach außen hin, wieder Ordnung und Ruhe. Die Bronzedrachen waren alle zurückgekehrt, hatten gefressen und befanden sich nun in ihren Höhlen. Die Reiter schliefen.

Auch Kylara war gefunden. Der grüne Reiter, der Meron als Bote diente, hatte sie gebracht.

»Schicken Sie einen Ersatz nach Nabol«, sagte der Mann hart. »Ich gehe nicht mehr hin.«

»Berichten Sie, S’goral!« F’lar nickte dem Reiter zu; er konnte seine Gefühle verstehen.

»Sie kam am frühen Vormittag in die Burg und erzählte etwas von ungenießbarem Trinkwasser. Sie wollte, daß Meron ihr ein paar Fässer zur Verfügung stellte. Ich erinnere mich genau, daß Prideth bereits verdächtig glänzte. Aber da sie sich mit meinem Grünen ganz friedlich auf dem Feuerhang niederließ, sagte ich nichts. Sie verschwand in den Räumen des Barons. Später sah ich, daß die beiden Echsen sich auf dem Schlafzimmersims sonnten. Nach einiger Zeit hörte ich plötzlich meinen Grünen schreien. Eine Drachenschar zog in großer Höhe vorüber. Mir war sofort klar, daß es sich um einen Paarungsflug handelte.

Und dann begann Prideth schrill zu kreischen und stürzte sich auf Merons kostbare Zuchtherde. Ich wartete noch ein wenig, in der Hoffnung, sie würde merken, was sich abspielte. Aber sie rührte sich nicht. Also machte ich mich auf die Suche. Merons Leibwächter wollten mich abweisen, doch ich kümmerte mich nicht darum und störte ihr Schäferstündchen.«

Er schüttelte den Kopf.

»Mein Grüner und ich konnten nichts tun. Wir alarmierten die Königinnen vom Fort-Weyr. Aber …« Er zuckte mit den Schultern.

»Sie haben vollkommen richtig gehandelt, S’goral«, beruhigte ihn F’lar.

»Und was geschieht nun – mit ihr?« Einen Moment lang verzerrte Haß die Züge des Reiters.

»Ist der Verlust eines Drachen nicht Strafe genug?« warf T’bor ein.

»Brekke hat ihren Drachen ebenfalls verloren«, fuhr S’goral auf. »Durch die Schuld der anderen …«

»Nichts sollte im ersten Zorn entschieden werden, S’goral.«

F’lar erhob sich.

»Und der Fall ist ohne Beispiel – zumindest in unserer Zeit.«

Er warf D’ram und G’narish einen fragenden Blick zu.

»Nichts sollte im ersten Zorn entschieden werden«, wiederholte D’ram.

»Aber in unseren Tagen gab es solche Vorkommnisse.«

Seltsamerweise errötete er.

»Ich halte es für ratsam, ein paar Bronzereiter hier zu stationieren, F’lar, zumindest solange, bis sich die Weyrbewohner von ihrem Schock erholt haben.«

Robinton fühlte sich erschöpft und ausgelaugt, und nicht einmal der Ritt auf dem Drachenrücken konnte ihn aufmuntern. Im Gegenteil, er wünschte fast, daß er an diesem Abend dem Fort-Weyr fernbleiben könnte.

Die letzten sechs Tage, in denen jeder auf seine Weise die Hochland-Tragödie verarbeitet hatte, waren schwer gewesen. Noch hatten sich die Gemüter nicht beruhigt. Er wußte nicht, ob es richtig war, das Fernrohr schon so kurz nach dem furchtbaren Ereignis vorzuführen.

Andererseits half es vielleicht, die tiefe Niedergeschlagenheit zu vertreiben, die sich nach dem Tod der beiden Königinnen breitgemacht hatte. F’lar wollte die geplante Expedition zum Roten Stern beschleunigen, um den Baronen zu beweisen, daß es den Drachenreitern ernst damit war, Pern für immer von den Fäden zu befreien.

Der Harfner schüttelte besorgt den Kopf. Es gab im Moment so viele andere Probleme.

Die Wunde, die T’ron dem Weyrführer von Benden zugefügt hatte, wollte nicht heilen. Kein Mensch wußte, wie T’kul sich im Süden zurechtfand und ob er überhaupt die Absicht hatte, für immer dort zu bleiben. Dazu kamen die unregelmäßigen Fädeneinfälle, welche die Feldarbeit ungeheuer erschwerten.

Der Drache setzte zur Landung in der Nähe des Sternsteins an. Wansor, Fandarels Glasexperte, hatte das Fernrohr dort aufgebaut.

»Haben Sie schon einen Blick durch das Instrument geworfen?« fragte Robinton den Reiter, der ihn abgeholt hatte.

»Ich? Nein, Meisterharfner. Ich kann abwarten, bis der Andrang nicht mehr so groß ist. Der Rote Stern bleibt noch eine ganze Weile am Himmel.«

»Hat Wansor das Fernrohr fest auf Fort errichtet?«

»P’zar hielt es für das Beste. Schließlich wurde das Gerät hier entdeckt.« Es klang ein wenig, als würde sich der braune Reiter verteidigen.

»Und Fandarel pflichtete ihm bei. Dieser Wansor meint, daß es aus gutem Grund hier aufbewahrt wurde. Irgendwie hat es mit der Höhe und dem Sehwinkel zu tun. Ich verstand nicht genau, was er meinte.«

Der Braune landete auf den Klippen. Fackeln säumten den schmalen Grat, der zu den Sternsteinen führte. Die Felsenumrisse hoben sich schwarz gegen den etwas helleren Nachthimmel ab.

Auf den ersten Blick war Robinton enttauscht, als er das Stativ mit dem plumpen, langgestreckten Zylinder sah. So primitiv hatte er sich das Instrument nicht vorgestellt. Dann jedoch, als er sah, mit welch streitbarer Miene Fandarel das Gerät bewachte, mußte er lächeln. Dem Schmied kribbelte es sicher in den Fingern, das Ding zu zerlegen und in allen Einzelheiten zu studieren.

»Robinton, wie geht es Ihnen?« Lessa kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.

»Ich weiß noch nicht.« Er bemühte sich um einen leichten Tonfall. Aber er konnte nicht umhin, nach Brekke zu fragen, und er spürte, wie Lessas Finger in seiner Hand zitterten.

»F’nor hat darauf bestanden, sie zu sich zu holen. Die beiden stehen sich sehr nahe. Er, Manora und Mirrim wechseln sich in der Pflege ab. Sie ist keinen Augenblick allein.«

»Und Kylara?«

Lessa löste ihre Hand aus der seinen.

»Sie lebt.«

Robinton schwieg, und nach einer kleinen Pause fuhr Lessa fort: »Wir wollen Brekke nicht gern als Weyrherrin verlieren. Und da wir zumindest bei den Feuerechsen die Erfahrung gemacht haben, daß eine Person mehr als ein Tier für sich gewinnen kann, werden wir versuchen, sie bei der nächsten Gegenüberstellung auf Benden noch einmal als Kandidatin zu präsentieren.«

»Sie sagen das so kategorisch. Dieses Abweichen von der Tradition wird wohl nicht von allen gebilligt?«

Er konnte ihr Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen, aber er spürte, daß sie ihn ansah.

»Diesmal geht es nicht um den Widerstand der Alten. Sie sind felsenfest davon überzeugt, daß der Versuch mißlingen wird, und kümmern sich deshalb gar nicht darum.«

»Aber…?«

»F’nor und Manora wollen es nicht zulassen.«

»Und Brekke?«

Lessa seufzte. »Brekke sagt gar nichts. Sie öffnet nicht einmal die Augen, obwohl wir von den Drachen wissen, daß sie wach ist.«

»Sie braucht Zeit, um sich von dem Schock zu erholen …«

»Ich weiß, ich weiß«, fuhr Lessa auf. »Aber wir haben so wenig Zeit. Wie kann man ihr klarmachen, daß es besser wäre, zu handeln, anstatt passiv dazuliegen …«

»Lessa…«

»Diesen Ton kann ich nicht mehr hören, Robinton!«

Im Schein der Fackeln sah er, daß ihre Augen zornig blitzten. »F’nor benimmt sich wie ein dummer Jungreiter, Manora grämt sich halb zu Tode über Brekke und ihn, und Mirrim heult ununterbrochen und regt dadurch die Echsen auf. Dazu noch F’lar …«

»Was ist mit F’lar?« Robinton trat einen Schritt näher.

»Er hat Fieber. Es war verrückt von ihm, mit der offenen Wunde ins Dazwischen zu gehen und den Hochland-Weyr aufzusuchen.«

»Und ich hatte gehofft, ihn hier anzutreffen.«

Lessa lachte, aber es klang ein wenig bitter.

»Ich mischte ihm ein Schlafmittel in sein Klah, als er gerade nicht herschaute.«

Plötzlich versteifte sie sich und starrte an ihm vorbei ins Dunkel.

»Das ist der Gipfel der Unverschämtheit!« flüsterte sie.

»Meron – was sucht der Kerl hier?«

Robinton stockte einen Moment der Atem, aber er flüsterte ihr zu: »Ruhig bleiben, Lessa!«

Der Baron von Nabol trat, anmaßend wie immer, in den Kreis der Versammelten. Die Bronzeechse auf seinem Arm begann erregt zu flattern und zu zischen. Sie spürte wohl die Haßwelle, die ihm entgegenschlug.

»Und dieses – dieses unscheinbare Rohr ist das vielgerühmte Instrument, das den Roten Stern zeigt?« fragte Meron spöttisch.

»Ich bitte Sie, rühren Sie es nicht an!«

Wansor hob abwehrend die Hand, als der Burgherr an das Gerät trat.

»Was soll das heißen?« herrschte Meron ihn an.

Fandarel trat ruhig neben Wansor.

»Das Instrument ist bereits auf den Roten Stern ausgerichtet. Wenn Sie etwas verschieben, machen Sie die Arbeit von Stunden zunichte.«

»Worauf warten wir dann noch, wenn alles vorbereitet ist?«

Der Baron von Nabol sah sich im Kreise um.

»Los, fangen Sie an!«

Wansor warf dem hünenhaften Schmiedemeister einen fragenden Blick zu. Fandarel entließ ihn mit einem unauffälligen Wink. Mit zwei Fingern umfaßte er das winzige Okular am Ende des Zylinders.

»Halten Sie das Auge, mit dem Sie am besten sehen, an diese Öffnung!«

Meron registrierte genau, daß Fandarel es unterließ, ihn mit seinem Titel anzusprechen, aber er sagte nichts. Mit einem spöttischen Lächeln beugte er sich über das Okular. Und dann zuckte er zurück. Seine Miene verriet einen Moment lang Verwirrung und Entsetzen. Dann beugte er sich erneut über das Instrument.

»Wenn Sie Schwierigkeiten haben …«, begann Wansor zögernd, als Meron keine Anstalten traf, den Platz freizugeben.

»Halten Sie den Mund!« herrschte Meron ihn an, ohne sich von der Stelle zu rühren.

»Meron, nun reicht es aber«, rief Groghe aus der Menge. »Wir wollen auch etwas sehen.«

Der Baron von Nabol schaute kurz auf, musterte Groghe von oben bis unten, und wandte sich wieder dem Fernrohr zu. »Interessant!« murmelte er.

»Gehen Sie endlich, Meron!« sagte Lessa mit schneidender Stimme. Sie konnten es nicht zulassen, daß der Mann sich Sonderrechte herausnahm. Die Stimmung war ohnehin gereizt.

Er betrachtete sie wie ein widerwärtiges Insekt.

»Weshalb, Weyrherrin?«

Robinton wäre dem Mann am liebsten an die Kehle gefahren.

In diesem Augenblick trat der Schmiedemeister an den Baron von Nabol heran, preßte ihm die Arme gegen den Körper, daß er das Instrument nicht mehr berühren konnte, und trug ihn wie eine Puppe hinüber zum Felsgrat, wo er ihn unsanft abstellte. Die kleine Echse flatterte erschreckt auf und kreischte.

»Bitte, Lady Lessa«, sagte Fandarel mit einer leichten Verneigung, als er an das Fernrohr zurückkehrte.

Lessa mußte sich auf die Zehenspitzen stellen, um das Okular zu erreichen. Einen Moment lang ärgerte sie sich, daß niemand daran gedacht hatte, einen Schemel oder zumindest einen großen Stein herbeizuschaffen. Doch diese Äußerlichkeiten waren vergessen, als sie den Roten Stern sah, scheinbar nur eine Armlänge von ihr entfernt.

Er schwamm wie eine riesige vielfarbige Kindermurmel am dunklen Himmel. Die sonderbaren rosaweißen Schlieren – das mußten Wolkenfelder sein. Dazwischen konnte sie graue Massen erkennen, ein kräftiges, sattes Grau, das an manchen Stellen glitzerte. Die Pole des leicht ovalen Himmelskörpers waren weiß und frei von Wolken. Sie erinnerten Lessa an die Eisregion im hohen Norden von Pern. Dunkle Flecken durchsetzten das Grau. Landgebiete? Meere?

Verwirrt wandte sie sich von dem Fernrohr ab und warf einen Blick auf den winzigen roten Punkt am Horizont… Baron Groghe spielte sich wieder als Vermittler auf.

»Sangel, Sie sind an der Reihe!«

Lessa zog sich zu Robinton zurück. Die Nähe des Harfners beruhigte sie immer.

»Ich sehe nichts!« beschwerte sich Sangel.

»Einen Augenblick, Sir!«

Wansor trat vor und verstellte einen winzigen Drehknopf.

»Sagen Sie mir Bescheid, sobald das Bild klar wird!«

»Was für ein Bild?« Sangel war sichtlich nervös. »Da ist doch nur ein heller oh!« Er zuckte zurück, als hätte er in ein Fädengespinst gegriffen. Aber dann beugte er sich eifrig über das Okular.

Lessa bereitete es fast ein wenig Schadenfreude, als sie die Angst der Barone sah. Mit kühnen Worten waren sie schnell bei der Hand, besonders wenn es nicht um ihre eigene Haut, sondern um die der Drachenreiter ging … Als nächster kam Oterel an die Reihe.

»Einen Moment«, murmelte Wansor, »ich muß die Schärfe noch verändern.«

»Tun Sie das«, spöttelte der Baron von Tillek. »Ich bin nicht halbblind wie Sangel.«

Auch er konnte sich kaum von dem Instrument lösen.

»Welches sind nun die Landgebiete – die grauen oder die dunkleren Massen?«

»Das wissen wir noch nicht«, erklärte Fandarel ruhig. Zum erstenmal meldete sich P’zar, der Weyrführer von Fort.

»Wenn man mit den Drachen hoch über Pern schwebt, verändert sich die Landschaft auch. Aber sie hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem da!« Und er deutete zum Okular hin.

»Weil die Entfernungen viel, viel größer sind«, entgegnete Wansor. Er winkte den nächsten Mann an das Fernrohr.

Lessa stieß Robinton an und deutete unauffällig zu Meron hinüber, der seinen Platz abseits der Gruppe verlassen hatte und langsam näherschlenderte. Die Verachtung, welche die anderen ihm entgegenbrachten, schien ihn nicht zu stören.

»Warum verschwindet er nicht«, flüsterte sie dem Harfner zu. »Seine Nähe macht mich nervös.«

Robinton zuckte mit den Schultern.

»Er kann nicht viel Schaden anrichten.«

Aber Lessa merkte, daß der Harfner den Baron von Nabol scharf im Auge behielt.

Und dann war er selbst an der Reihe. Lessa beobachtete ihn, sah, daß auch er beim Anblick des Erzfeindes leicht zusammenzuckte. Robinton blieb nicht lange an dem Instrument. Als er sich aufrichtete, warf er einen nachdenklichen Blick zum Horizont hinüber.

»Nun, Harfner?« fragte Meron arrogant. »Sie sind doch sonst nie um ein passendes Wort verlegen?«

Robinton starrte den Baron durchdringend an. Dann deutete er auf den roten Punkt am Nachthimmel und sagte: »Ich halte es für klüger, wenn wir diesen Abstand wahren.«

»Hah!« triumphierte Meron. »Das dachte ich mir fast.«

»Ich wußte gar nicht, daß Sie denken«, stellte Robinton ruhig fest.

»Was meinen Sie mit dieser Bemerkung, Meron?« fragte Lessa. Ihre Stimme klang schneidend.

»Ist das nicht offensichtlich?«

Wieder streifte der Herr von Nabol sie mit einem geringschätzigen Blick.

»Der Harfner tut, was Benden anordnet. Und da Benden sich nicht bereit zeigt, das Übel an der Wurzel zu packen …«

»Woher wissen Sie das?« fragte Lessa kalt.

»Und worauf, Baron Meron, gründen Sie Ihre Behauptung, daß der Harfner von Pern tut, was Benden anordnet? Entweder Sie beweisen Ihre Worte, oder Sie nehmen sie auf der Stelle zurück!« Robintons Hand lag auf dem Gürtelmesser.

Die Bronzeechse auf Merons Arm begann zu fauchen und zu zischen. Meron streichelte sie, bis sie wieder ruhig war.

»Wir warten auf Ihre Antwort, Meron!« sagte Oterel.

»Aber seid ihr denn alle blind?« entgegnete der Baron mit gespielter Überraschung.

»Der Mann besitzt eine glühende Leidenschaft für die Weyrherrin von Benden.«

Einen Moment lang stand Lessa wie betäubt da. Es stimmte, daß sie Robinton achtete und bewunderte, daß sie gern in seiner Gesellschaft war und sich vor ihm nie zu verstellen brauchte. Aber was Meron da andeutete, war absurd!

Er versuchte, den Glauben an die Drachenreiter durch bösartige Gerüchte zu untergraben. Erst Kylara … Robintons schallendes Gelächter riß sie aus ihren Gedanken.

»Bendens Weyrherrin besitzt längst nicht so viel Anziehungskraft für mich wie Bendens Wein.«

Erleichterung spiegelte sich auf den Gesichtern ringsum. Lessa erkannte, daß die Barone durchaus geneigt gewesen waren, Merons Anschuldigung Glauben zu schenken.

Es machte sie elend. Aber zugleich bewunderte sie die Reaktion des Harfners. Jeder kannte seine Vorliebe für Wein, besonders für den Wein von Benden, so daß seine Antwort glaubwürdiger klang als Merons Verleumdung.

»Darüber hinaus«, fuhr Robinton fort, »hat der Meisterharfner von Pern für den Roten Stern wirklich keine Worte – auch keinen Vers. Denn dieses Ding am Himmel jagt ihm eine heillose Angst ein, die er am liebsten in Unmengen jenes Benden-Weines ertränken möchte.«

Robintons Stimme war vollkommen ernst.

»Ich kenne die Geschichte und die Legenden unseres geliebten Pern besser als die meisten anderen. Ich habe zu viele Balladen über den unheilvollen Roten Stern gesungen, als daß ich näher mit ihm in Berührung kommen möchte. Selbst das hier«, er deutete auf das Fernrohr, »bringt ihn mir zu nahe. Aber die Männer, die Tag für Tag die Fäden bekämpfen müssen, betrachten ihn vielleicht mit geringerer Furcht als ein armseliger Harfner.

Und, Meron von Nabol, Sie können Ihre nicht unbeträchtliche Habe darauf setzen, daß die Drachenreiter lieber heute als morgen die Verpflichtung abgeben würden, Ihre teure Haut vor Fäden zu schützen, selbst wenn sie jeden Quadratzentimeter jenes Sterns durchkämmen müßten!«

Meron war einen Schritt zurückgetreten.

Robinton sah sich im Kreis um.

»Ihr habt erlebt, wie der ständige Kampf gegen die Fäden einen Menschen zermürben kann. Ihr habt gesehen, was aus einst so tüchtigen Männern wie T’kul und T’ron wurde. Ihr wißt, was geschieht, wenn ein Drache stirbt.

Oder muß ich euch auch daran erinnern? Glaubt ihr im Ernst, daß die Drachenreiter freiwillig diese Lebensbedingun gen aufrechterhalten? Was haben sie davon? Nicht besonders viel! Sind die Wunden, die sie sich holen, nicht mehr wert als ein paar Säcke Korn oder ein neues Messer?

Kann man den Tod eines Drachen wirklich durch einige dürre Herdentiere oder einen Ballen Tuch bezahlen?

Unsere Vorfahren schufen Instrumente, mit deren Hilfe sie den Roten Stern näher heranholten. Wenn es wirklich nur darum ginge, die Koordinaten zu finden und den Sprung zu wagen – hätten wir dann heute noch Fäden?

Ich glaube es nicht. Ich glaube vielmehr, daß die Drachenreiter der Vergangenheit den gleichen Plan faßten wie wir und… scheiterten. Scheiterten, weil jene grauen Massen vielleicht kein Land sind, sondern unzählige Fäden, weil jene hellen Schichten nicht aus Wasserdampf bestehen wie Perns Wolken, sondern aus einer fremden, tödlichen Substanz!

Wir wissen so wenig über den Roten Stern, und deshalb mahne ich zur Vorsicht!

Aber mir ist auch klar, daß irgendwann die Zeit der Vorsicht vorbei ist und daß wir uns dann auf die Tollkühnheit einzelner verlassen müssen. Denn ich glaube, auch wenn es mein Herz schwermacht, daß die Drachenreiter von Pern den Roten Stern aufsuchen werden.«

»Das ist F’lars Absicht«, erklärte Lessa laut.

»Ja.«

Fandarel nickte langsam.

»Er hat mir und Wansor den Auftrag erteilt, den Roten Stern zu beobachten und Messungen durchzuführen.«

»Und wie lange wird es dauern, bis er eine Expedition ausrüstet?« fragte Meron, als hätte er die Worte des Harfners nicht gehört. Lessa hätte ihm am liebsten das Gesicht zerkratzt.

Wansor trat einen Schritt vor.

»Es wäre Wahnsinn, etwas zu unternehmen, solange wir den Stern nicht von allen Seiten beobachtet haben. Darüber hinaus müssen wir Karten anlegen, die Stärke und Verschiebung der Wolkenfelder eintragen, die …«

»Ich verstehe«, unterbrach ihn Meron mit einem höhnischen Grinsen. »Ein Lebenswerk also.«

»Da kennen Sie F’lar von Benden schlecht«, warf Robinton ein.

»Er betrachtet das Abweichen der Fädeneinfälle von seinen sorgfältig ausgearbeiteten Zeitplänen als eine persönliche Beleidigung, die nicht ungestraft bleiben darf.«

Oterel lachte, während Sangel erstaunt den Kopf schüttelte. »Aber das ist doch Unsinn! F’lars Schema stimmte über Planetendrehungen auf die Sekunde genau! Er kann sich wirklich keine Vorwürfe machen.«

Meron stampfte mit dem Fuß auf.

»Ihr seid alle Narren! Merkt ihr nicht, daß der Harfner euch mit seinem Gerede um den Finger wickelt? Wir werden nie das Ende der Fädeneinfälle erleben.

Wir werden unser Leben lang Abgaben an die Weyr entrichten. Keiner von euch, kein einziger, hat den Mut, die Entscheidung herbeizuführen! Wir brauchen die Drachenreiter nicht. Ich wiederhole es: Wir brauchen sie nicht! Wir haben jetzt Feuerechsen, die Fäden fressen …«

»Dann kann ich T’bor vom Hochland mitteilen, daß er seine Patrouillen zurückholen soll?« fragte Lessa ruhig.

»Er ist sicher erleichtert darüber.«

Der Burgherr von Nabol warf ihr einen haßerfüllten Blick zu. Die Bronzeechse richtete sich auf und zischte. Von den Klippen her kam der helle Schrei Ramoths. Die Feuerechse verschwand mit einem verängstigten Fauchen.

Meron drehte sich ruckartig um und stapfte zum Felsenpfad hinüber. Der grüne Reiter, der ihn hergebracht hatte, kam ihm bereits entgegen. Lessa war sicher, daß Ramoth das Tier verständigt hatte.

Nessel von Crom wandte sich ängstlich an Lessa. »Werden Sie wirklich veranlassen, daß T’bor seine Patrouillen zurückholt, Weyrherrin?« fragte er.

»Mein Gebiet grenzt direkt an die Ländereien von Nabol…«

»Baron Nessel«, entgegnete Lessa mit einem Lächeln, »Sie haben sicher bemerkt, daß der Herr von Nabol nicht darauf bestand. Obwohl wir gute Lust hatten, ihn zu bestrafen. Schließlich war er nicht unbeteiligt am Tod der beiden Königinnen. Aber auf seiner Burg leben Hunderte von unschuldigen Menschen, die nicht unter seinem – nun, unvernünftigen Verhalten leiden sollen.«

Groghe räusperte sich. »Äh, darf man erfahren, was nun mit dieser – dieser Kylara geschieht?«

»Nichts«, entgegnete Lessa entschieden, in der Hoffnung, daß der Baron das Thema fallenlassen würde.

»Nichts?« wiederholte Groghe erbost. »Sie bringt zwei Drachenköniginnen um, und ihr tut nichts?«

»Haben die Barone die Absicht, Meron zu bestrafen?« fragte sie ernst.

Es entstand ein langes Schweigen.

»Ich muß jetzt zurück zum Benden-Weyr. Es ist bald Morgen, und wir halten Fandarel und Wansor nur bei ihrer Arbeit auf. Je eher sie ihre Beobachtungen abschließen, desto schneller können wir zum Roten Stern fliegen.«

Lessa war erschöpft, als sie Ramoth zu sich rief. Und sie machte sich Sorgen um F’lar. Gewiß, Mnementh war bei ihm … »Lessa«, hörte sie die leise Stimme des Harfners neben sich, »sind Sie für diese Expedition?«

Sie sah zu ihm auf.

»Ich habe Angst davor. Angst, weil es mir beinahe sicher erscheint, daß bereits jemand dort war. Irgendwann …«

Am nächsten Morgen hatte F’lar immer noch Fieber. Er war schlecht gelaunt und zeigte sich unzufrieden mit ihrem Bericht.

»Was hast du denn erwartet?« fragte sie ein wenig gereizt, nachdem sie ihm zum viertenmal geduldig beschrieben hatte, wie der Rote Stern durch das Fernrohr aussah.

»Liegt das nicht auf der Hand? Irgendeinen markanten Punkt, ein charakteristisches Merkmal, nach dem sich die Drachen richten können, wenn sie ins Dazwischen gehen.«

Er schob sich mit einer ärgerlichen Handbewegung die dunklen Locken aus der Stirn.

»Wir müssen das Versprechen halten, das wir den Baronen gegeben haben.«

»Warum? Um zu beweisen, daß Meron im Unrecht ist?«

»Nein. Um herauszufinden, ob sich die Fäden für immer beseitigen lassen oder nicht.«

»Bestimmt hat das vor uns schon jemand versucht«, widersprach sie müde. »Und wir haben die Fäden immer noch.«

»Das besagt gar nichts«, erklärte er so heftig, daß er zu husten begann. Mit schmerzverzerrter Miene preßte er die Hand gegen die Wunde. Sofort war Lessa bei ihm und hielt ihm einen Becher Wein an die Lippen.

»Ich muß mit F’nor sprechen«, sagte er schwach, nachdem er sich von seinem Anfall erholt hatte.

Lessa zuckte mit den Schultern. »Wenn es mir gelingt, ihn von Brekke wegzuholen …«

F’lar preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

»Du denkst, daß nur du gegen die Tradition verstoßen kannst?« fragte sie.

»Das ist es doch nicht…«

»Du machst dir Gedanken über dein neuestes Projekt? Nun, ich bat N’ton, einen Klumpen Fäden zu besorgen …«

»N’ton?« F’lar sah sie überrascht an.

»Ja. Ein tüchtiger Junge, der immer da hilft, wo man ihn gerade braucht, ohne viel Aufhebens davon zu machen.«

»Und …?«

Lessa schüttelte sich unwillkürlich, als sie an das Experiment dachte.

»Wie du vermutet hattest, kamen die Würmer nach oben, sobald sich die Fäden in das Erdreich fraßen. Nach kurzer Zeit waren auch die letzten Sporen verschwunden.«

F’lars Augen leuchteten triumphierend. »Warum hast du mir das nicht früher gesagt?«

Lessa hob die Hände und sah ihn an.

»Weil ich auch noch an andere Dinge zu denken habe, ob du es glaubst oder nicht!«

»Wie reagierte N’ton? Begreift er, was ich vorhabe?«

Lessa betrachtete ihren Weyrgefährten nachdenklich.

»Ja. Deshalb wählte ich ihn auch als Ersatz für F’nor.«

Ihre Antwort schien F’lar zu erleichtern, denn er ließ sich mit einem tiefen Seufzer in die Kissen sinken und schloß die Augen.

»Wir brauchen Männer wie ihn. Männer, die nicht aufgeben. Männer, die selbständig denken. Nur sie können uns weiterhelfen. Wie spät ist es jetzt in Fort-Weyr?«

Lessa rechnete rasch nach. »Noch etwa vier Stunden bis zur Morgendämmerung.«

»Oh. Ich möchte, daß N’ton so schnell wie möglich herkommt!«

»Moment, F’lar, er untersteht immerhin P’zar von Fort-Weyr!«

F’lar umklammerte ihre Hand.

»Begreifst du denn nicht?« sagte er heiser. »Er muß Bescheid wissen. Er muß alles erfahren. Meine Pläne. Wenn mir wirklich etwas zustößt…«

Lessa starrte ihn verständnislos an. Was sollte das Selbstmitleid? Oder ging es ihm schlechter, als sie ahnte?

»F’lar, nun nimm dich zusammen!« sagte sie unsicher. Seine Finger fühlten sich so heiß an.

Lioth kommt und ein Grüner von Telgar, verkündete Mnementh.

F’lar warf Lessa einen verwirrten Blick zu.

»Sieh mich nicht so an! Ich habe N’ton nicht holen lassen. Ich reiße andere Leute nicht gern aus dem Schlaf.«

Der Grüne kommt mit einer Botschaft. Sein Reiter ist sehr erregt. Mnementh verriet leise Neugier, Ramoth, die sich nach Lessas Erwachen zur Brutstätte begeben hatte, begrüßte den Bronzedrachen mit einem mächtigen Schrei.

N’ton kam den Felskorridor entlang. In seiner Begleitung befand sich Wansor, der kleine, untersetzte Geselle Fandarels. Ihn hatte Lessa zuallerletzt hier erwartet. Der Mann zitterte vor Aufregung, und seine Augen blitzten.

»Weyrherrin, das ist unglaublich. Eine Sensation!« stotterte Wansor und hielt ihr ein Blatt unter die Nase, auf dem sich eine Reihe von Kreisen befand. Dann entdeckte er F’lar. »Ich – ich wußte nicht, daß Sie krank sind, Sir …«

»Unsinn, Mann«, wehrte F’lar verärgert ab.

»Was bringt Sie hierher? Was haben Sie entdeckt? Koordinaten für die Drachen?«

Wansor schien nicht recht zu wissen, was er tun sollte. So nahm Lessa ihn am Arm und führte ihn zu F’lars Bett.

»Was bedeutet dieses Blatt? Ah, da ist Pern, und das ist der Rote Stern – aber was wollen Sie mit den übrigen Gestirnen ausdrücken?«

»Ich bin noch nicht sicher, Lady Lessa, aber ich entdeckte sie heute nacht, oder besser gesagt, gegen Morgen, als ich den Himmel absuchte. In unserer Nachbarschaft befindet sich nicht nur der Rote Stern! Da ist einmal diese Sphäre – sie zeigte sich gegen Morgen, nicht wahr, N’ton?«

Der junge Bronzereiter nickte ernst, aber in seinen blauen Augen blitzte der Schalk. Wansor wirkte in seinem Eifer fast ein wenig komisch.

»Und ganz schwach, aber immer noch deutlich als Kugel zu erkennen, sieht man hier im Nordosten, dicht über dem Horizont, einen weiteren Himmelskörper. Schließlich, direkt im Süden – es war N’tons Idee, das Fernrohr in alle Richtungen zu schwenken – fanden wir dieses besonders große Gestirn. Eine Reihe kleinerer Objekte umkreisen es. Man kann die Bewegung deutlich erkennen.

Unglaublich!«

Lessa unterdrückte mühsam ein Kichern.

F’lar nahm das Blatt in die Hand und betrachtete es genauer, während Lessa Fandarels Glas-Experten einen Hocker zuschob. Der Weyrführer zog die Kreise mit dem Finger nach.

»Verstehen Sie mich recht, F’lar«, fuhr Wansor etwas ruhiger fort, »es gibt natürlich viel mehr Sterne am Himmel von Pern, aber sie sind nur helle Lichtpunkte, keine Sphären. Man muß annehmen, daß die drei sich im Anziehungsbereich unserer Sonne befinden und sie umkreisen, wie Pern es tut. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß es ihnen gelingt, dieser gewaltigen Kraft zu entfliehen …«

Als F’lar endlich von der Zeichnung aufsah, verriet seine Miene fast so etwas wie Verzweiflung.

»Wenn diese Welten so nahe sind, können wir dann mit Bestimmtheit sagen, daß die Fäden vom Roten Stern kommen?«

»Ach, du meine Güte!« stöhnte Wansor leise und rang die Hände.

»Unsinn!« sagte Lessa so entschieden, daß die drei Männer sie erstaunt ansahen.

»Machen wir die Dinge nicht komplizierter, als sie ohnehin sind. Unsere Vorfahren besaßen weit mehr Wissen als wir, und sie lassen keinen Zweifel daran, daß der Rote Stern der Ursprung allen Übels ist. Zudem fallen die Fäden nur dann, wenn sich der Rote Stern unserer Welt nähert.«

»Ihr kennt das Wandgemälde im Beratungsraum des Fort-Weyrs«, meinte N’ton nachdenklich.

»Es enthält ein Diagramm mit Kugeln und Kreisbahnen. Insgesamt sind es, glaube ich, sechs. Und eine dieser Kugeln, die zweite von außen, ist von Trabanten umgeben.«

»Und weshalb sagen Sie das so ehrfürchtig?« fragte Lessa trocken.

»Weil wir die Bedeutung der Skizze erst jetzt erkennen.«

Lessa zuckte mit den Schultern und reichte Becher mit Klah herum.

»Die eigene Erfahrung zählt weit mehr als übernommenes Wissen.«

F’lar stützte sich auf einen Ellbogen.

»Ich nehme an, ihr beide habt die ganze Nacht am Fernrohr verbracht?«

Als die Männer nickten, fuhrt er fort: »Was ist mit dem Roten Stern! Habt ihr einen Bezugspunkt für die Drachen entdeckt?«

N’ton zögerte ein wenig.

»Hm, da war ein merkwürdig geformter Vorsprung, der mich an die Landspitze von Nerat erinnerte. Nur wies er nach Osten anstatt nach Westen. Ich kann allerdings nicht sagen, ob wir ihn heute nacht wieder sehen werden.«

»Was bedeutet das nun wieder?«

Wansor mischte sich ein. »Der Rote Stern dreht sich um seine eigene Achse, Weyrführer, genau wie Pern.«

»Ich finde, er ist noch viel zu weit entfernt, als daß man Einzelheiten ausmachen könnte«, erklärte Lessa.

F’lar warf ihr einen verärgerten Blick zu.

»Wenn ich ihn nur selbst sehen könnte …«

»Hmm.« Wansor schien nachzudenken. »Es wäre vielleicht möglich, die Linsen des Vergrößerungsgerätes für ein zweites Fernrohr zu verwenden. Wenn wir es genau durch das Felsenöhr des Sternsteins legen, haben wir gleich den richtigen Winkel.

Aber nein, der Rote Stern zeigt sich nur zur Wintersonnenwende an dieser Stelle …«

»Sie sind sicher völlig erschöpft«, warf Lessa ein, bevor F’lar die nächste Frage stellen konnte.

»Oh, es geht«, stammelte Wansor, aber er unterdrückte nur mühsam ein Gähnen.

»Kommen Sie!« entgegnete Lessa fest. »Ich lasse Ihnen ein Gästezimmer herrichten.«

Der Glasschleifer protestierte schwach, aber er folgte Lessa willig nach draußen.

»Er hat die vorletzte Nacht auch schon durchgearbeitet«, meinte N’ton kopfschüttelnd.

F’lar hörte nicht, was er sagte. »Es muß einen Weg zum Roten Stern geben«, murmelte er.

»Ich bin überzeugt davon, daß Sie ihn finden werden, Sir, sobald Sie wieder gesund sind.«

F’lar schnitt eine Grimasse. Der junge Mann verstand es, einem Wahrheiten an den Kopf zu werfen, ohne dabei unhöflich zu werden. »Gut, lassen wir das Thema einstweilen ruhen. Vielleicht kommen wir in einer anderen Richtung vorwärts. Lessa erzählte mir, daß Sie die Würmer aus dem Südkontinent besorgten. Sahen Sie, wie sie die Fäden vernichteten?«

N’ton nickte langsam. Seine Augen leuchteten.

»Es wäre wichtig, zu erfahren, ob es die Würmer nur in den Sümpfen oder auch in anderen Gebieten des Südkontinents gibt.«

»Soll ich der Sache nachgehen, Sir?« fragte N’ton eifrig.

»Ich kenne den Süden ziemlich genau. Und mit T’kul nehme ich es auf. Die Aktionen des Mannes sind lächerlich durchsichtig.«

F’lar nickte. »Also schön. Wenn ich gesund wäre, würde ich es selbst tun, aber so … Ich verlasse mich auf Sie.«

»Das ehrt mich, Sir.« Er wandte sich zum Gehen.

»Einen Augenblick noch!« rief F’lar ihn zurück. »Wird man Sie auf Fort nicht vermissen?«

»Nicht während der nächsten Stunden, Sir. Im Weyr herrscht noch tiefe Nacht.«

F’lar entließ den jungen Bronzereiter mit einem Gemisch aus Eifersucht und Dankbarkeit. N’ton gab ihm mehr als alle anderen das Gefühl, ein Invalide zu sein. Andererseits konnte er froh sein, daß die Arbeit nicht liegenblieb, jetzt, da F’nor als sein Stellvertreter vollkommen ausfiel.

Seufzend ließ sich F’lar in die Kissen sinken.

Jaxom empfand keine rechte Freude, als nach Ruatha die Kunde kam, daß noch an diesem Tage auf Benden die Gegenüberstellung stattfinden sollte. Seit der Tragödie mit den beiden Drachenköniginnen waren zehn Tage vergangen, aber Lytol lief immer noch so düster umher, daß Jaxom in seiner Gegenwart nicht den Mund aufzutun wagte.

Und der Junge hatte das Gefühl, daß noch schlimmere Ereignisse auf sie zukamen. Trug er die Schuld daran, weil er damals den Frevel begangen hatte, mit Felessan in die Brutstätte einzudringen? Alle Logik sprach dagegen. Das Unglück hatte sich weder auf Ruatha noch auf Benden ereignet. Er war nie mit Kylara oder Brekke zusammengetroffen. F’nor kannte er, und der Mann tat ihm leid, wenn die Gerüchte, die man über ihn hörte, stimmten – daß er Brekke zu sich genommen und seine Pflichten als Geschwader-Zweiter aufgegeben hatte, um sie zu pflegen. Sie war sehr krank. Komisch, alle bemitleideten Brekke, aber keiner erwähnte Kylara. Dabei hatte sie doch auch eine Königin verloren.

Jaxom überlegte hin und her, aber er wußte, daß er nicht fragen konnte.

»Baron Jaxom«, rief eine der Mägde atemlos vom Eingang her, »Verwalter Lytol läßt ausrichten, daß Sie Ihr Feiertagsgewand anlegen sollen!

Die Gegenüberstellung auf Benden beginnt. Oh, Sir, glauben Sie, daß Talina es schaffen wird?«

»Bestimmt«, versicherte Jaxom. Seine Stimme klang heiser vor Aufregung. »Schließlich hat sie Ruatha-Blut in den Adern.«

Er zog sich in aller Hast um, suchte verzweifelt nach seinen Handschuhen, bis er sie unter dem Bett fand, und rannte hinunter in den Großen Hof, wo der blaue Drache bereits wartete.

Unwillkürlich mußte er daran denken, daß Baron Groghe seinem ältesten Sohn eines der Feuerechsen-Eier geschenkt hatte, die ihm zugeteilt worden waren. Lytol dagegen hatte die beiden, die ihm zustanden, einfach zurückgewiesen. Eine Ungerechtigkeit! Schließlich war Jaxom Baron von Ruatha, und alle Barone hatten eine Feuerechse.

»Alles Gute für Talina!« rief ihm D’wer, der Reiter des blauen Drachen, zu.

»Danke.«

Jaxom merkte selbst, daß sein Tonfall alles andere als freundlich war.

»Kopf hoch, Junge«, ermunterte ihn D’wer. »Es könnte schlimmer sein.«

»Wirklich?«

D’wer lachte, und obwohl Jaxom sich gekränkt fühlte, konnte er einen Drachenreiter nicht gut zur Rede stellen.

»Guten Morgen, Trebith«, begrüßte er den blauen Drachen, der ihn aufmerksam betrachtete.

Lytol erteilte die letzten Anweisungen und trat dann zu ihnen. Er musterte prüfend seinen Schützling und nickte dem Drachenreiter kurz zu. Sobald sie den Blauen bestiegen, begann sein Wangenmuskel wieder zu zucken.

Der Drache flog auf und war im Nu ein Stück über Ruatha. Jaxom hielt den Atem an, als sie ins Dazwischen tauchten. Er konnte sich immer noch nicht an die eisige Kälte gewöhnen, die einem durch Mark und Bein drang. Aber dann hatten sie es geschafft und kreisten über dem Benden-Weyr. D’wer landete in der Nähe der Brutstätte.

»Jaxom! Da bist du ja!«

Felessan rannte auf ihn zu. Seine Kleider waren so neu, daß sie noch nach Farbe und Stärke rochen.

»Vielen Dank, daß du ihn mitgebracht hast, D’wer! Guten Tag, Lytol. Der Weyrführer und die Weyrherrin lassen Sie grüßen und Ihnen ausrichten, daß sie nach der Gegenüberstellung gern ein paar Worte mit Ihnen sprechen würden.«

Der Junge sprudelte das so schnell hervor, daß der blaue Reiter lachen mußte. Lytol verbeugte sich so feierlich, daß sich Jaxom für seinen pedantischen Vormund fast schämte.

Felessan jedoch hatte gar kein Auge für solche Feinheiten. Er zerrte den Freund mit sich, weg von den Erwachsenen. Man hatte rings um die Brutstätte Tribünen errichtet, und die beiden Jungen drängten sich in die vorderste Reihe. Jaxom warf seinem Vormund noch einen verstohlenen Blick zu, aber Lytol war ganz damit beschäftigt. Bekannte zu begrüßen.

»Ich dachte gar nicht, daß so viele Leute kommen würden«, flüsterte Felessan erregt, »nach alldem, was geschehen ist.«

Seine Blicke huschten hierhin und dorthin.

»Sieh dir die an!« Er deutete auf drei Jungen, die das Wappen von Nerat trugen.

»Weshalb rümpfen sie die Nase so? Findest du, daß Drachen stinken?«

»Aber nein, natürlich nicht! Ich mag ihren Geruch sogar sehr gern. Sind das die Kandidaten?«

Auch Jaxom war entrüstet über das Benehmen der drei.

»Wo denkst du hin! Alle Kandidaten tragen Weiß.«

Felessan schüttelte den Kopf über Jaxoms Unwissenheit.

»Sie kommen erst später. He! Hast du das Ei schaukeln gesehen?«

Auch den Drachen war die Bewegung nicht entgangen. Sie lauerten auf den Felsvorsprüngen rings um die Brutstätte. Nun begannen sie leise zu summen. Ein paar Nachzügler drängten sich auf ihre Plätze.

Und dann erfüllte ein mächtiges Rauschen den Weyrkessel.

Die Bronzedrachen brachten die Kandidaten herbei.

Gleichzeitig begannen die Eier auf dem heißen Sand wie wild zu schaukeln. Alle – bis auf eines. Das winzige Ei, das Jaxom damals berührt hatte, lag immer noch abseits. Es regte sich nicht.

»Meinst du …«, begann Jaxom beklommen, ohne den Freund anzusehen.

»Ich habe dir ja gesagt, daß du es nicht anrühren sollst«, stellte Felessan fest.

»Aber vom Berühren allein kann es doch keinen Schaden davontragen?«

Die Stimme des jungen Barons klang unsicher.

»Hm, eigentlich nicht. Die Kandidaten haben die anderen Eier auch angerührt.«

»Warum bewegt sich dann nur dieses hier nicht?«

Jaxom konnte sich kaum verständlich machen, denn das Summen der Drachen erfüllte die ganze Brutstätte.

»Weiß ich nicht.«

Felessan zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Vielleicht lebt das Drachenjunge im Innern gar nicht mehr. Das sagen die Großen jedenfalls.«

»Aber ich habe nichts getan«, beharrte Jaxom.

»Sieh doch, da kommen die Kandidaten!« rief Felessan aufgeregt. Er beugte sich vor und flüsterte Jaxom etwas ins Ohr. Er mußte es dreimal wiederholen, bevor der junge Baron verstand.

»Brekke wird noch einmal gegenübergestellt?«

Jaxom sagte es lauter als beabsichtigt. Er warf Lytol einen furchtsamen Blick zu.

»Psst!« zischte der Freund.

»Du weißt aber auch gar nichts. Sie haben entdeckt, daß man mehr als eine Feuerechse für sich gewinnen kann. Und weil die Echsen doch mit den Drachen verwandt sind, wollen sie den Versuch wagen. Sie meinen, daß es Brekke vielleicht gesund macht.«

Felessan senkte die Stimme noch mehr.

»Weißt du, sie und F’nor lieben sich. Und ich habe gehört, daß F’nors Canth ihre neue Königin fliegen wird!«

Jaxom starrte den Freund entsetzt an. »Du bist verrückt! Braune können keine Königinnen fliegen!«

»Wenn es F’nor aber versuchen will!«

»Aber – aber …«

»Du kannst es mir ruhig glauben«, versicherte Felessan.

»Ich habe gelauscht, als F’lar und F’nor darüber sprachen. Und Lessa sagte, daß Brekke zu schade sei, dahinzuvegetieren.«

»Und du glaubst, daß sie es schafft?«

Felessan zuckte mit den Schultern.

»Das werden wir bald sehen. Da kommen sie!«

Jaxom reckte den Hals, als die Bronzedrachen die Kandidaten absetzten.

»Da ist Talina!« rief er und sprang auf.

»Lytol, da ist Talina!«

Er packte seinen Vormund am Arm. Lytol achtete nicht darauf. Er hatte nur Augen für das Mädchen, das jetzt die Brutstätte betrat. Zwei Gestalten, ein Mann und eine Frau, blieben dicht am Eingang stehen, als könnten sie ihr dadurch Unterstützung geben.

»Brekke!« flüsterte Felessan.

Sie schien den heißen Sand unter ihren Sohlen kaum zu bemerken. Langsam, geistesabwesend, ging sie auf die fünf Mädchen zu, die in der Nähe des goldenen Eies warteten. Sie stellte sich neben Talina, die ein Stück zur Seite gerückt war.

Das Summen der Drachen hörte abrupt auf. In der Stille hörte man ein Knistern und Knacken.

Die jungen Drachen schoben sich feucht und ungeschickt aus den Schalen. Die keilförmigen Köpfe wirkten viel zu groß für die dünnen, biegsamen Nacken. Starr vor Aufregung standen die Kandidaten im Halbkreis. Jaxom sah, wie Lytol die Augen schloß.

»Da!« rief Felessan.

»Das Königinnenei! Es schaukelt.«

Die Zuschauer beugten sich angespannt vor. Alles hielt den Atem an.

Ein Riß klaffte mit einemmal in der goldenen Schale, verbreiterte sich. Ein kräftiger kleiner Schnabel hackte sich den Weg ins Freie. Talina und zwei andere traten vor, doch dann blieben sie unschlüssig stehen. Sie wollten Brekke eine Chance geben.

Brekke merkte nicht, was um sie vorging. Jaxom hatte den Eindruck, daß es ihr gleichgültig war. Sie wirkte kraftlos, gebrochen. Erst als ein Drache auf dem Felsensims leise zu summen begann, schien sie ihre Umgebung wahrzunehmen.

Die kleine Königin wandte Brekke den Kopf zu, starrte sie mit riesigen glitzernden Augen an. Die Schale zerbrach. Das Tierchen stolperte auf Brekke zu.

In diesem Augenblick schwirrte eine Feuerechse über die Brutstätte. Die kleine Königin barg ihren Kopf schutzsuchend in Talinas Röcken.

»Sie wollte die Königin nicht«, murmelte Felessan entgeistert. »Sie hat es nicht einmal versucht.«

»Die Feuerechse ließ es nicht zu«, verteidigte Jaxom die ehemalige Weyrherrin.

»Es wäre ein entsetzliches Unrecht gewesen«, sagte Lytol mit erloschener Stimme.

Einige der Kandidaten führten ihre Drachen bereits von der Brutstätte. Für Jaxom spielte sich alles viel zu schnell ab. Er wandte sich wieder dem Geschehen auf dem dampfenden Sand zu. In ein paar Minuten war sicher alles vorbei.

»Hast du gesehen, Jaxom?«

Felessan stieß ihn aufgeregt an. »Hast du gesehen? Birto erwischte einen Bronzedrachen und Pellomar nur einen Grünen. Geschieht ihm recht, dem Angeber! Bravo, Birto!«

Felessan winkte seinem Kameraden.

»Das kleine Ei rührt sich immer noch nicht.«

Jaxom warf Lytol einen bekümmerten Blick zu.

»Könnte man die Schale nicht ein Stück öffnen und dem kleinen Drachen heraushelfen – so wie eine Hebamme bei der Geburt eines Menschen hilft?«

Lytols Miene verfinsterte sich.

»Was weiß ein Junge deines Alters von einer Geburt?« fuhr er Jaxom an.

Der junge Baron hob trotzig das Kinn.

»Ich wäre bei meiner Geburt beinahe gestorben. Lessa hat es mir erzählt, und sie war dabei. Kann ein kleiner Drache sterben?«

»Ja«, gab Lytol schweren Herzens zu, denn er log den Jungen nie an. »Manchmal ist es sogar besser so, sonst würde er mißgestaltet zur Welt kommen.«

Jaxom sah an sich herunter. Er war vollkommen normal gebaut. Und dann sprang er hoch.

»Sieh mal! Es bewegt sich.«

»Du hast recht«, bestätigte Felessan. »Aber die Schale springt nicht.«

»Weshalb gehen die anderen?« fragte Jaxom plötzlich. Niemand befand sich in der Nähe des schaukelnden kleinen Eies. Drachenreiter halfen den Jungen, die eben ausgeschlüpften Tiere wegzubringen.

Die Brutstätte leerte sich.

»Da ist F’lar! Man muß es ihm sagen, Lytol. Bitte!«

»Er weiß Bescheid«, entgegnete Lytol, den F’lar hatte mehrere braune Reiter zu sich gerufen, und sie beobachteten das kleine Ei.

»Geh hin, Lytol! Sie müssen etwas tun.«

»Unsinn! Sie werden selbst zu einer Entscheidung kommen.«

Er wandte sich ab und verließ die Tribüne, wohl in dem Glauben, daß die Jungen ihm folgen würden.

»Komm!« drängte Felessan. »Es gibt bald Abendessen. Ich möchte es nicht versäumen.«

Er lief hinter Lytol drein.

Jaxom starrte immer noch das Ei an, das jetzt heftig schaukelte. »Das ist nicht fair! Sie lassen dich hier einfach liegen. Um diese Brekke kümmern sie sich, aber um dich nicht. Los, zeig es ihnen! Ein Riß, und du hast es geschafft!«

Mit einemmal schwang er sich über das Geländer und lief auf die heiße Sandfläche hinaus.

»Ich helfe dir!« rief er. Mit beiden Fäusten trommelte er auf die harte Schale ein.

Ein Spalt zeigte sich und wurde breiter. Im Innern konnte er jetzt ein klägliches Schreien hören. Er brach ein paar Stücke von der Schale ab. Sie war weit dicker als bei den übrigen Eiern.

»Jaxom, was tust du da?« schrie jemand, aber es war bereits zu spät.

Die zähe innere Membran zeigte sich, und sie hatte eigentlich verhindert, daß der kleine Drache ins Freie gelangte. Jaxom zerschlitzte sie mit seinem Gürtelmesser. Ein winziger weißer Körper fiel ihm entgegen, nicht viel größer als er selbst. Instinktiv half Jaxom dem kleinen Geschöpf auf die Beine. Bevor F’lar oder sonst jemand eingreifen konnte, richtete der weiße Drache seine glänzenden Augen auf den Baron von Ruatha.

Jaxom wandte sich freudestrahlend den erstarrten Drachenreitern zu: »Er sagt, daß er Ruth heißt!«

Es ist wie ein Auftauchen aus den tiefsten Gewölben des Weyrs, dachte Brekke schaudernd. Und Berd hatte ihr den Weg gewiesen … Berd hatte sie von der Brutstätte weg zu F’nor und Manora geführt. Es überraschte sie, wie müde und verhärmt die beiden aussahen. Sie wollte etwas sagen, aber F’nor hob sie wortlos hoch und trug sie in seine Räume, wo er sie vorsichtig auf ihr Lager bettete und mit Fellen zudeckte.

Sie sah lächelnd zu ihm auf.

F’nors Blicke streiften sie ungläubig. Doch dann riß er sie mit einem Aufschrei in die Arme und preßte sie so hart an sich, daß sie kaum noch atmen konnte.

»Wir dachten, wir hätten dich auch verloren, Brekke«, flüsterte er immer wieder.

»Ich war eine Gefangene meiner Gedanken«, sagte sie mit einer Stimme, die ihr selbst fremd vorkam.

»Oh, F’nor – ich haßte sogar Canth!«

Tränen liefen ihr über die Wangen, und ihr Körper wurde von einem heftigen Schluchzen geschüttelt. F’nor versuchte sie zu besänftigen, aber sie hörte nicht zu weinen auf.

Manora legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Laß sie ruhig, F’nor! Es ist eine Erleichterung für sie.«

Die Feuerechsen begannen aufgeregt im Zimmer umherzuflattern, und Canth brummte bekümmert. Brekkes Hände verkrampften sich auf seinen Schultern. Sie weinte und weinte.

»Sie kann nicht aufhören, Manora, sie kann einfach nicht.«

Die Heilerin trat neben ihn und versetzte Brekke ein paar harte Schläge ins Gesicht, bevor F’nor eingreifen konnte.

»Bist du wahnsinnig?« fuhr der braune Reiter sie an, aber sie brachte ihn mit einer knappen Handbewegung zum Schweigen.

»Und nun in den Badeteich mit ihr«, befahl sie.

»Das Wasser ist gerade warm genug, um ihre Muskeln zu entspannen.«

Sie half dem Mädchen beim Ausziehen. Zähneklappernd saß Brekke im warmen Wasser, aber ganz allmählich ließ ihre Verkrampfung nach, und ihr Schluchzen wurde leiser. Manora packte sie in vorgewärmte Handtücher und rieb sie kräftig ab. Dann trug F’nor sie wieder auf ihr Lager.

»Nun müssen wir nur noch dafür sorgen, daß sie kräftig ißt«, stellte Manora fest. »Das gilt übrigens auch für dich, Junge.«

Sie warf ihm einen strengen Blick zu.

Brekke nahm lächelnd seine Hand. »Ich glaube, du bist in all den Tagen keine Sekunde von mir gewichen.«

»Canth und ich wußten, daß du uns brauchtest«, erwiderte er.

»Ich habe gespürt, daß ihr da wart, selbst in den schlimmsten Stunden, als ich nichts als den Tod herbeisehnte.«

Zwei scharfe Falten gruben sich in ihre Stirn. »Aber wie konntet ihr mich dazu zwingen, noch einmal die Brutstätte zu betreten, einer anderen Königin gegenüberzustehen?«

Canth knurrte gekränkt.

»Wir taten alles, um es zu verhindern. Die Idee stammte von F’lar und Lessa. Sie hatten Angst, dich zu verlieren, und dachten, es könnte vielleicht gelingen.«

Wieder spürte sie die schmerzhafte Leere in ihrem Innern, wie einen Abgrund, der sie zu verschlingen drohte. Sie schloß die Augen.

Nein, rief Canth.

Die beiden Feuerechsen schmiegten sich an ihren Hals, überschütteten sie mit Gedanken der Zärtlichkeit und Zuneigung.

Ich bin doch hier, beruhigte Canth sie, und die Echsen wiederholten seine Worte.

In diesem Augenblick trat Mirrim mit einem schwerbeladenen Tablett ein.

»Manora muß sich um die Küche kümmern, Brekke«, sagte die Kleine in einem bestimmten Ton.

»Du weißt, wie genau sie alles nimmt. Hier, die Suppe ist für dich. Du sollst keinen Tropfen übrig lassen. Und dann habe ich dir einen Schlaftrunk mitgebracht. Wenn du ausgeruht bist, fühlst du dich sicher wieder besser.«

Brekke starrte das junge Mädchen erstaunt an. Mirrim schob F’nor zur Seite, schüttelte die Kissen der Kranken auf und strich die Decken glatt. Dann wandte sie sich an den braunen Reiter.

»Kümmern Sie sich um Canth, F’nor«, herrschte sie ihn an, »anstatt über mich zu lachen. Der arme Kerl ist verwahrlost wie ein Wachwher. Und hier hat mir Manora ein Stück Brustfleisch für Sie mitgegeben.«

Brekke und F’nor aßen gehorsam. Dann begab sich der braune Reiter zu seinem Tier. Es stimmte, was Mirrim gesagt hatte. Canths Schuppen glänzten nicht mehr, und er wirkte mager und erschöpft. Schuldbewußt brachte F’nor ihn zur Futterstelle.

Mirrim ging inzwischen in Brekkes Gemach umher und stellte die Korblampen so, daß ihr Schein die Kranke nicht blendete.

»F’nor sagt, daß du nicht gerne allein bist. Also werde ich warten, bis er wiederkommt.«

Aber ich bin nicht allein, wollte Brekke erwidern. Statt dessen schloß sie die Augen und schlief ein.

Lessa hätte zufrieden mit dem Verlauf des Banketts sein können. Das Lachen der Gäste hallte durch den ganzen Weyr. Die Jungreiter verhätschelten die kleinen Drachen.

Brekke war zwar noch schwach, aber immerhin bei klarem Verstand. F’nor hatte sie sogar eine Weile allein gelassen, um die Anwesenden zu begrüßen. F’lar erholte sich von seiner Wunde und kam allmählich zu der Erkenntnis, daß es besser war, einige seiner Pflichten an N’ton abzugeben.

Und Lytol – das schlimmste Problem, seit Jaxom den kleinen weißen Drachen für sich gewonnen hatte – befand sich in höheren Gefilden. Mit Robintons tatkräftiger Unterstützung hatte er sich betrunken, und die beiden Männer sangen jetzt eine Ballade nach der anderen.

Dennoch gelang es Lessa nicht, eine gewisse Unruhe zu unterdrücken. Sie stocherte nervös in ihrem Essen herum und hielt immer wieder Ausschau nach F’lar und N’ton. Die beiden steckten, wie so oft in den letzten Tagen, bei ihren Pflanzenversuchen. Ob es auffiel, wenn sie ebenfalls ging? Sie beschloß, noch eine Weile abzuwarten. Die meisten Gäste befanden sich ohnehin im Aufbruch.

Die Weyrherrin warf einen Blick hinüber zum See, wo die stolzen Jungreiter ihren Tieren Wasser gaben. Jaxom und sein weißer Drache war bei ihnen. War es richtig gewesen, was der junge Baron da getan hatte? Man wußte nicht, ob der Drache durchkommen würde, und dann war der Schmerz für das Kind um so größer.

Ruth wird gedeihen, erklärte Ramoth zuversichtlich.

Mnementh pflichtete der Königin bei. Wußten die Drachen etwas, das ihr verborgen blieb? Lessa hatte in diesen Tagen des öfteren den Eindruck.

»Warum sollte es mich stören? Warum?« fuhr Lytol plötzlich streitsüchtig auf.

Der Harfner grinste ihn stupide an. »Sage ich doch die ganze Zeit! Warum?«

»Warum soll der Junge den kleinen weißen Kerl nicht behalten? Beim ersten Ei, die anderen kümmerten sich nicht um ihn. Dabei ist er etwas Besonderes, das sage ich euch – etwas ganz Besonderes!«

Raid von Benden war aufgestanden und schlenderte an Lytols Tisch. »Aber was wird nun aus Ruatha, Lytol?« fragte er. »Der Junge muß mit seinem Tier in den Weyr ziehen.«

Der Burgverwalter schüttelte den Kopf.

»Ruth ist kein richtiger Drache«, erklärte er fest. Man merkte ihm in diesem Augenblick nicht an, daß er betrunken war.

»Es hat noch nie einen weißen Drachen gegeben. Nie!«

Er hob seinen Becher und fand ihn leer. Geschickt schenkte er sich nach. Der Harfner schob ihm mit unsicheren Fingern den eigenen Becher entgegen.

»Hat noch nie einen weißen Drachen gegeben – prost!« murmelte er.

»Vielleicht kommt er nicht durch«, fügte Lytol hinzu und nahm einen langen Zug.

»Vielleicht nicht!«

»Deshalb«, Lytol richtete sich hoch auf, »bleibt der Junge auf seiner Burg! Auf Ruatha!«

»Unbedingt!« Robinton schwenkte seinen Becher vor Raids Nase.

Lytol ließ sich schwerfällig auf seinen Stuhl fallen.

»Wenn der Drache stirbt, kann ich Jaxom helfen. Ich weiß, was es heißt, sein Tier zu verlieren. Ich weiß es genau. Der Unterschied ist nur, daß Ruths Tage von vornherein gezählt sind.«

»Gezählt!« pflichtete der Harfner ihm bei und legte plötzlich den Kopf auf die Tischplatte. Er begann leise zu schnarchen.

»He, du sollst nicht schlafen!« Lytol beugte sich über ihn.

»Erst trinken wir die Flasche leer!«

Als Robinton sich nicht rührte, zuckte der Burgverwalter von Ruatha mit den Schultern und nahm einen langen Zug. Er starrte Raid durchdringend an, dann sackte sein Oberkörper nach vorn, und er fing zu schnarchen an.

Raid von Benden kehrte zu seinem Platz zurück.

»Der Junge muß mit seinem Drachen im Weyr bleiben«, sagte er zu Sifer und Larad.

»Vergessen Sie nicht, daß er der zukünftige Herr von Ruatha ist«, erwiderte Larad. »Ein Streit um die Nachfolge würde uns jetzt gerade noch fehlen. Nein, Jaxom muß auf der Burg bleiben. Es sieht wirklich nicht so aus, als hätte der weiße Drache große Überlebenschancen.«

»Ich weiß nicht, ich weiß nicht.« Raid blieb hartnäckig. »Es verstößt gegen jede Tradition.«

»Wir haben ja erlebt, wohin die Tradition führen kann«, meinte Larad bitter.

»Sollte man nicht auch den Jungen nach seiner Meinung fragen?« warf Baron Asgenar ein. Seine Miene wirkte sehr ernst.

»Ich sah sein Gesicht, als er die Brutstätte verließ. Ihm schien eben zu Bewußtsein zu kommen, was er getan hatte. Er war ebenso weiß wie sein Drache.«

Asgenar deutete zu Lytol hinüber.

»Jaxom ist sich über die Folgen seines Tuns im klaren.«

»Seit wann läßt man Kinder entscheiden?« protestierte Raid, als sich Asgenar seiner jungen Frau zuwandte und sie bat, Jaxom zu holen.

Lessa, die das Gespräch mitangehört hatte, sah, wie Famira ein paar Worte mit dem jungen Baron wechselte. Jaxom nickte und folgte ihr, den Arm schützend um den Nacken von Ruth gelegt.

»Warum trägt er das Biest nicht?« fragte Raid verärgert.

»Dadurch käme er zwar leichter und schneller voran, aber es wäre unklug«, warf Lessa ein.

»Selbst ein so winziges Tier besitzt schon seinen Stolz.«

Raid murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. Im gleichen Augenblick hörte Lessa Flügelrauschen über dem Weyr.

Lioth bringt den Saatmeister, erklärte Ramoth.

Der Bronzedrache landete vor dem neuentdeckten Weyreingang. Lessa konnte sich nicht vorstellen, wozu Andemon hier gebraucht wurde. Sie wollte sich schon erheben, um nachzusehen, als Raids Stimme sie erreichte: »Ist dir auch klar, Junge, was für Probleme du heraufbeschworen hast?«

Jaxom stand mit trotzig vorgeschobenem Kinn da. Seine Augen glänzten.

»Ja, Baron Raid, ich kenne die Folgen meines Handelns.«

Das kam ohne eine Spur von Reue. Jaxom ließ in seiner Haltung deutlich erkennen, daß er sich gleichberechtigt im Kreis der Barone fühlte.

Der alte Raid sah aus, als ob … Lessa erhob sich, trat auf ihn zu.

»Nicht…«

Die Warnung kam so leise, daß Lessa anfangs dachte, sie habe sich getäuscht. Dann jedoch sah sie die Blicke des Harfners auf sich gerichtet. Der Mann war vollkommen nüchtern.

Mit einem Ruck war Baron Raid aufgestanden. Er hatte im Laufe der Jahre Fett angesetzt, und seine Schultern fielen schlaff nach vorn. Neben dem hochaufgerichteten schlanken Jungen wirkte er wie eine Karikatur.

»Du kennst die Folgen, sagst du? Weißt du auch, daß du nun im Benden-Weyr bleiben mußt wie alle anderen Jungreiter? Weißt du, daß Ruatha seinen Herrn verloren hat?«

»Mit Verlaub, Sir, die hier anwesenden Barone können das nicht entscheiden. Dazu wäre eine Zweidrittel-Mehrheit aller Burgherren von Pern nötig«, entgegnete Jaxom ruhig.

»Ich bin jedoch gern bereit, meinen Fall dem Konklave vorzutragen. Es steht fest, daß Ruth kein normaler Drache ist. Man sagte mir von Anfang an, daß er nur geringe Überlebenschancen besitzt. Der Weyr dagegen kann nur gesunde Drachen aufziehen, da er sie zum Kampf gegen die Fäden benötigt. Vielleicht sollte man Ruth nicht als einen zu kleinen Drachen, sondern als eine zu große Feuerechse betrachten.«

Jaxom lächelte Ruth zu, als wollte er sich für seine Worte entschuldigen, und tätschelte liebevoll seinen Kopf.

»Meine erste Pflicht gilt der Burg, in der ich aufgezogen wurde. Hier auf Benden wären Ruth und ich nur eine Last. Aber wir können Ruatha helfen, wie es die übrigen Feuerechsen tun.«

»Gut gesprochen, Baron von Ruatha, gut gesprochen!« rief Asgenar von Lemos. Larad von Telgar nickte ernst.

»Hmmh. Der Junge hat eine glatte Zunge«, knurrte Raid.

»Dennoch ich muß dir den Vorwurf machen, daß du zuerst gehandelt und dann gedacht hast!«

»Das mag stimmen, Baron Raid«, gab Jaxom zu. »Aber ich mußte rasch handeln – um das Leben eines Drachen zu retten. Mein Lehrmeister«, er deutete auf den schlafenden Lytol, »hat mir von frühester Kindheit an eingeschärft, die Drachen über alles zu ehren.«

Damit verbeugte er sich vor den Baronen und ging. Lessa atmete erleichtert auf. Der Junge hatte sich prachtvoll geschlagen. Nicht einmal der starre, alte Raid konnte sich seinen Argumenten verschließen. Er brummte zwar immer noch mißmutig vor sich hin, aber die Weyrherrin erkannte, daß er von Jaxoms Auftreten beeindruckt war.

Mit einem Seufzer wandte sie sich zum Gehen – und stieß beinahe mit F’nor zusammen. Die Sorgen der letzten Woche zeichneten sich noch in seinem Gesicht ab, aber er wirkte ruhig und gelöst.

»Wie geht es Brekke?« fragte Lessa.

»Sie schläft. Ich bin so froh, daß sie den Schock überwunden hat.«

»Ich auch.«

Erleichterung schwang in Lessas Stimme mit. Sie hatte sich ernste Vorwürfe gemacht, weil der Gedanke, Brekke noch einmal zur Gegenüberstellung zu bringen, von ihr stammte.

»Kommst du mit zu F’lar? N’ton hat Andemon, den Saatmeister, geholt, und ich möchte wissen, warum.«

Sie raffte ihre Röcke zusammen und eilte über den Sandboden.

»Nehmen Sie mich auch mit?« fragte der Harfner.

»Sie? Können Sie überhaupt noch so weit gehen?«

Robinton lachte.

»Lytol trinkt mich nicht unter den Tisch, Lady Lessa. Das schafft nur der Schmied.«

Als sie die Kammer betraten, in der F’lar die Pflanzenkästen aufgestellt hatte, beugte sich der Saatmeister gerade über die Blätter des jungen Fellisbaums. Der Weyrführer beobachtete ihn angespannt, während N’ton ein wenig abseits stand.

Beim Anblick seines Halbbruders hellte sich F’lars Miene auf. Er ging F’nor rasch entgegen und drückte ihm die Hand.

»Manora sagte mir, daß Brekke sich wieder gefangen hat. Ein Glück für uns alle! Schade nur, daß die Gegenüberstellung nicht geklappt hat…«

»Sie hätte niemandem genützt«, unterbrach ihn F’nor so schroff, daß der Bronzereiter das Thema wechselte.

»N’ton gelang es, ein paar Sporenklumpen herzubringen. Wir verteilten sie auf drei der großen Kästen«, sagte er und deutete auf die Pflanzen.

»Die Würmer verschlangen sie bis zum letzten Faden. Und die Blätter des Fellisbaums, die wir ein wenig verätzten, heilen bereits wieder. Ich hoffe, Meister Andemon kann uns den Vorgang erklären.«

Der Saatmeister richtete sich auf und wischte seine Finger an der fleckigen alten Schürze sauber. Offensichtlich hatte N’ton ihn mitten von seiner Arbeit weggeholt.

»Nein, Weyrführer«, sagte er langsam.

»Ich habe keine Erklärung.«

Er nahm eine Handvoll Erde auf, betrachtete die Würmer, die sich darin schlängelten, und schleuderte sie mit einer Mischung aus Furcht und Ekel von sich.

»Was ist denn?« F’lar sah ihn verwirrt an.

»Begreifen Sie denn nicht?« Irgendwie klang die Stimme des Saatmeisters hilflos.

»Diese Würmer sind Parasiten. Seit Jahrhunderten versuchen wir nun, den südlichen Teil unseres Kontinents davon zu befreien. Sie sind ebenso hartnäckig wie die Sandwürmer von Igen und nur halb so nützlich. Sobald sie in ein Feld eindringen, beginnen die Pflanzen zu welken und abzusterben.«

»Sehen Sie hier irgendwo auch nur einen kranken Halm?«

F’lar deutete auf die Kästen mit ihrem üppigen Wachstum.

Andemon stocherte in der Erde herum.

»Es ist unmöglich«, murmelte er.

»F’lar«, warf Lessa ein, »erinnerst du dich nicht, daß die Pflanzen ziemlich schlaff wirkten, kurz nachdem wir die Würmer ausgesetzt hatten?«

»Ihnen fehlte Wasser, das war alles. Sie erholten sich rasch.«

Andemon trat mißtrauisch auf einen der Kästen ein.

»Weshalb sind diese Gewächse kleiner als die anderen? Wurden sie später eingesetzt?«

»Nein. Das ist der einzige Kasten, der von Anfang an keine Würmer enthielt. Ich finde auch, daß die Pflanzen schlechter gedeihen als die übrigen.«

Andemon starrte zu Boden. »Diese Würmer sind Ungeziefer. Wir rotten sie seit undenklichen Zeiten aus, wo wir sie antreffen.«

F’lar lächelte schwach. »Es sieht so aus, als hätten die Farmer gegen das Wohl von Pern gearbeitet.«

Der Saatmeister protestierte empört. Robinton mußte seine ganze Diplomatie aufwenden, um den Mann zu besänftigen.

»Und Sie wollen behaupten, daß diese Larven und Würmer absichtlich auf Pern verteilt wurden?« fragte Andemon den Harfner. Robinton schien im Moment der einzige, dem er vertraute.

»Sie wurden von unseren Vorfahren gezüchtet – den gleichen Leuten, die auch die Drachen züchteten?«

»Wir nehmen es an«, sagte Robinton.

»Oh, ich verstehe Ihre Zweifel sehr gut. Ich selbst brauchte mehrere Nächte, bis ich es fassen konnte. Aber bedenken Sie eines: In den Aufzeichnungen ist nie die Rede davon, daß die Drachenreiter uns von der Plage des Roten Sterns befreien werden. Immer wieder taucht jedoch die Hoffnung auf, daß eines Tages die Silberfäden keine Gefahr mehr darstellen werden …«

Andemon sah auf seine lehmigen Stiefelspitzen.

»Die alten Schriften unserer Gilde weisen ausdrücklich darauf hin, daß wir auf die Würmer achten sollen.« Er zuckte hilflos mit den Schultern.

»Das haben wir getan. Wir hielten es für unsere Pflicht. Wo wir sie fanden, rotteten wir sie aus, mit Säure und Feuer. Sie schadeten den Pflanzen, ließen sie welken …«

Der Mann schlug plötzlich beide Hände vors Gesicht. Seine Schultern begannen zu zucken. Lessa warf F’lar einen fragenden Blick zu, aber dann erkannte sie, daß der Saatmeister lachte, hysterisch lachte.

»Achtet auf die Würmer, sagen die Schriften. Achtet auf sie! Und wir dachten, das sei gleichbedeutend mit vernichten! Beim Ei, was haben wir da angerichtet?«

Der Harfner drückte Andemon eine Weinflasche in die Hand.

»Danke, Robinton, das hilft«, sagte der Mann, nachdem er einen tiefen Zug genommen hatte.

»Unsere Vorfahren vergaßen also zu erwähnen, weshalb wir auf die Würmer achten sollten«, meinte F’lar.

»Wahrscheinlich war es für sie so selbstverständlich, daß sie gar nicht auf den Gedanken kamen, jemand könnte das mißverstehen. Dann breiteten sich die Burgen und Höfe aus. Aufzeichnungen wurden verloren oder vernichtet, Männer starben, bevor sie das Geheimnis weitergeben konnten.«

Er warf einen Blick auf die Steinkästen.

»Vielleicht entwickelten sie die Würmer hier in Benden. Vielleicht will dieses Diagramm an der Wand darauf hinweisen. Wir können es nicht sagen. Es ist so viel Wissen verlorengegangen.«

Andemon beugte sich über die Pflanzen und begann sie erneut gründlich zu untersuchen. Er bezwang seinen Ekel und betrachtete auch die Würmer aus der Nähe. Er war sehr nachdenklich, als er wieder aufschaute.

»Es gibt keinen sehnlicheren Wunsch für uns, als endlich von der Last der Fäden befreit zu werden«, meinte er. »Aber irgendwie will es mir nicht einleuchten, daß diese – diese …«

»… abstoßenden kleinen Geschöpfe unsere Retter sind?« fragte Robinton.

Der Saatmeister nickte.

»Es erniedrigt, daß man einem Wurm dankbar sein muß. Lieber würde man zu den Drachen aufsehen.«

Er grinste ein wenig verlegen.

»Sie sind kein Baron, das merkt man«, entgegnete Lessa trocken und erntete einen Lacherfolg.

»Und doch …«

Er ließ etwas Erde durch seine Finger rieseln.

»Wir sind ein Teil dieses Bodens und werden von ihm ernährt. Warum sollte er uns nicht auch schützen?«

Er wischte die Hände an seiner Schürze ab und wandte sich entschlossen F’lar zu.

»Ich würde gern selbst ein paar Experimente durchführen. Daß die Tiere im Erdreich des Nordens gedeihen, haben Sie ja bereits bewiesen. Aber ich muß jetzt vor allem herausfinden, wie lange es dauert, bis sie sich auf einer gewissen Fläche, sagen wir, einem normalen Acker, ausgebreitet haben.«

»Das heißt, daß wir bis zum nächsten Frühjahr warten müssen«, meinte Lessa.

»Weshalb?« entgegnete F’nor. »Wir importieren sie aus dem Süden.«

»Und wo setzen wir sie aus?« wollte der Harfner wissen.

»Die Bauern werden erst einmal den gleichen Ekel davor empfinden wie unser Saatmeister. Schließlich hat man ihnen seit Generationen eingebleut, die Tiere auszurotten.«

»Oh, das ist kein Problem.« F’lar winkte ab. »Sie kennen die dichten Wälder um Lemos. Diese riesigen Gebiete sind vor den Fäden am schwersten zu schützen. Asgenar und Bendarek jedoch wollen um jeden Preis verhindern, daß die kostbaren Holzbestände verlorengehen. Beide zeigen sich aufgeschlossen für Neuerungen. Ideale Bedingungen für Sie, Andemon!«

Der Saatmeister hob abwehrend die Hand. »Erst muß ich genaue Studien treiben und …«

Man sah ihm an, daß er am liebsten an Ort und Stelle mit der Arbeit begonnen hätte.

Lessa lachte. »Kommen Sie, zuerst trinken wir einen Becher Wein auf das Gelingen dieses Vorhabens!«

Andemon zögerte, aber Robinton nahm ihn einfach am Arm und schleppte ihn aus der Kammer.

Unterwegs blieb der Saatmeister ein paar Schritte zurück und wandte sich ein wenig verlegen an Lessa.

»Brekke, die junge Frau, die ihren Drachen verloren hat – darf man fragen, wie es ihr geht?«

Lessa zögerte nur eine Sekunde.

»Diese Frage kann Ihnen F’nor am besten beantworten. Die beiden sind Weyrgefährten.«

Der braune Reiter nickte.

»Sie war sehr krank. Der Verlust eines Drachen bedeutet für seinen Partner immer einen schweren Schock. Aber sie hat ihn nun überwunden. Sie wird keinen Selbstmord mehr begehen.«

Der Saatmeister atmete erleichtert auf.

»Sie müssen wissen, Brekke gehörte zu meiner Gilde. Ihr Los hat uns alle erschüttert.«

Seine Stimme wurde hart. »Und was geschah mit der anderen?«

»Kylara lebt«, entgegnete Lessa ruhig, »Sie lebt?«

Der Saatmeister blieb stehen und starrte sie mit zornblitzenden Augen an.

»Sie lebt? Die Kehle sollte man ihr durchschneiden…«

»Sie lebt, Andemon, aber ihr Verstand gleicht dem eines neugeborenen Kindes. Sie vegetiert im Gefängnis ihrer Schuld dahin. Das Drachenvolk tötet nicht.«

Der Saatmeister sah Lessa einen Moment lang prüfend an, dann nickte er zustimmend. Sie setzten ihren Weg schweigend fort.

F’nor begleitete die anderen nicht in den Festsaal. Die Ereignisse des Tages hatten ihn aufgewühlt, und er fühlte sich erschöpft und niedergeschlagen.

Brekke schlief, als er seine Räume betrat. Er spürte die liebevollen Gedanken der beiden Feuerechsen, die nicht von ihrer Seite wichen.

F’nor lehnte sich an Canths Nacken und dachte nach. Wenn diese Würmer tatsächlich die Rettung von Pern bedeuteten, dann kehrten sich die Rollen um – dann wurden die Drachenreiter zu Parasiten.

Warum hatte F’lar mit keinem Wort erwähnt, welche Aufgabe in Zukunft die Weyr übernehmen sollten?

Oder verschloß er die Augen vor den Tatsachen?

Mit einem Seufzer erhob sich der braune Reiter. Vielleicht war es noch zu früh, sich über diese Dinge Gedanken zu machen. Es dauerte sicher Planetendrehungen, bis die Würmer auf dem gesamten Nordkontinent verteilt waren. Dennoch, er hätte gern gewußt, was F’lar plante.

Während der nächsten Tage kam F’nor nicht dazu, das Thema anzuschneiden. Brekke erholte sich allmählich von ihrem Schock, und sie bestand darauf, daß er seine Pflichten als Geschwader-Zweiter wieder übernahm. Sie selbst half Manora in den unteren Höhlen. Die beiden Feuerechsen, Berd und F’nors Grall, ließen sie selten allein.

F’lar hatte richtig vermutet daß Asgenar und Bendarek jede Lösung akzeptieren würden, die dazu beitragen konnte, ihre Wälder zu erhalten.

Aber der anfängliche Widerstand, auf den er selbst bei diesen beiden stieß, ließ ihn ahnen, welche gewaltige Aufgabe er sich vorgenommen hatte. Man begann das Experiment schließlich bei den Weichholzpflanzungen, die am empfindlichsten gegen den Einfall von Fäden waren.

Leider ließ Famira, Asgenars junge Frau, während eines Besuchs auf Telgar eine unvorsichtige Bemerkung über das Projekt fallen. Larad sprach sofort von einem »häßlichen Betrug und Treuebruch« der Drachenreiter.

Auch als ihn sein Schwager Asgenar nach Lemos holte und die prachtvoll gedeihenden Bäume zeigte, blieb der Baron von Telgar skeptisch. Sein Zorn legte sich erst einigermaßen, als N’ton ihm vorführte, wie radikal die winzigen Tiere mit einem Fädenklumpen aufräumten.

Telgars breite Täler waren von dem nahezu ununterbrochenen Sporenregen am schlimmsten betroffen, und die Bodenmannschaften befanden sich ständig auf der Suche nach eingenisteten Fäden.

»Zeit – gerade das fehlt uns!« hatte Larad ausgerufen, als er hörte, daß es sich bei dem Projekt mit den Würmern um ein langfristiges Experiment handelte.

»Wir verlieren jeden Tag neue Felder und Weidegebiete. Meine Männer sind am Ende ihrer Kräfte. Wenn es so weitergeht, befürchte ich das Schlimmste.«

»Ja, es ist bedrückend, Hilfe so greifbar nahe zu sehen und zu wissen, daß sie vom Lebenszyklus eines daumengroßen Insekts abhängt«, sagte Robinton, der F’lar jetzt oft begleitete. Er streichelte die kleine Bronzeechse, die er wenige Tage zuvor für sich gewonnen hatte.

Larad zog die Stirn kraus.

»Da wir gerade von greifbar nahe sprechen, wurde schon etwas wegen des Roten Sterns unternommen?«

»Ja«, entgegnete F’lar geduldig.

»Wansor und seine Helfer beobachten ihn Nacht für Nacht.

Webermeister Zurg und der Harfner haben ihre besten Zeichner und Schreiber zur Verfügung gestellt, und sie fertigen unzählige Skizzen von seiner Oberfläche an …«

»Und?« fragte Larad unerbittlich.

»Bis jetzt gibt es noch keine Bezugspunkte, die deutlich genug sind, um die Drachen bei einem Sprung ins Dazwischen zu leiten.«

Der Baron von Telgar seufzte resigniert.

N’ton, der junge Bronzereiter, meldete sich zu Wort. Er war ebenso häufig am Fernrohr anzutreffen wie Wansor selbst.

»Eine Hoffnung gibt es. Es sieht so aus, als würde der unregelmäßige Sporeneinfall in ein paar Monaten abklingen.«

»Abklingen? Woran erkennen Sie das?«

»Sie müssen wissen, daß unsere Sonne mehr Planeten besitzt als Pern. Insgesamt sind es drei, und sie liegen im Moment alle in unmittelbarer Nähe des Roten Sterns – eine seltene Konstellation. Wansor ist überzeugt davon, daß sie seine Bewegung beeinflussen, ihn verlangsamen. Und er hofft, daß sich der alte Rhythmus wieder einpendelt, sobald sich die Gestirne voneinander entfernen.«

»In ein paar Monaten? Ist das ganz sicher?«

»Nein«, entgegnete F’lar, »deshalb haben wir Wansors Theorie auch noch nicht an die Öffentlichkeit gebracht.«

Er hob beschwichtigend die Hand, als Larad protestieren wollte.

»Sicher ist Ihnen schon aufgefallen, daß sich die hellsten Gestirne, unsere Schwesterplaneten, im Laufe des Jahres von West nach Ost bewegen. Betrachten Sie heute nacht einmal den Himmel! Sie werden dicht über dem Roten Stern zwei gleißende Punkte erkennen, einen grünlichen und einen blauen. Vergleichen Sie diese Anordnung mit dem Diagramm im Beratungsraum des Fort-Weyrs! Wir glauben fest, daß es sich um eine schematische Darstellung unseres Sonnensystems handelt.«

Robinton skizzierte die Konstellation auf einem Blatt und reichte es Larad. Der betrachtete die Linien und Kreise kritisch. »Das muß ich mir an Ort und Stelle ansehen«, sagte er.

»Ich rate dir unbedingt dazu«, entgegnete Asgenar mit leuchtenden Augen.

»Es ist ein herrlicher Anblick, von dem ich mich kaum losreißen kann.« Er lachte. »Und es ergeht nicht nur mir so. Jedesmal, wenn ich mich nach Fort begebe, versucht mir Meron von Nabol den Platz am Fernrohr streitig zu machen.«

»Nabol?«

Asgenar war ein wenig verwirrt über die Reaktion, die seine beiläufige Bemerkung hervorrief.

»Ja. Er schleicht ständig auf Fort herum. Offensichtlich ist er fester als jeder Drachenreiter entschlossen, Koordinaten aufzuspüren.«

Niemand teilte seine Belustigung. F’lar warf N’ton einen fragenden Blick zu.

»Ja, das stimmt. Es dauert oft lange, bis er den Platz am Fernrohr freigibt…« Und N’ton zuckte mit den Schultern.

»Warum? Nennt er einen Grund?«

Wieder zuckte N’ton mit den Schultern. »Er erklärt, er suche nach Bezugspunkten. Aber das tun wir auch. Die Struktur ist einfach nicht klar genug. Formlose graue Massen und dazwischen dunklere Flecken. Sie verändern sich nicht, aber wir haben keine Ahnung, was sie darstellen.

Land?

Oder Wasser?«

N’ton hatte das Gefühl, daß alle im Raum ihm anklagend entgegenstarrten. »Dazu kommt, daß die Oberfläche oft genug von Wolken verdeckt wird. Entmutigend.«

»Offenbar nicht für Meron«, meinte F’lar leichthin.

»Benden, mir gefällt Ihre Einstellung nicht«, sagte Larad finster. »Ihnen scheint nicht viel daran zu liegen, Koordinaten zu entdecken.«

F’lar wirbelte herum. »Ich dachte, dieses Problem hätten wir zur Genüge besprochen. Wir müssen wissen, was wir am Ziel vorfinden, bevor wir die Drachen hinschicken. Unsere Vorfahren, die immerhin das Fernrohr bauten und die Planetenbahnen unseres Sonnensystems aufzeichneten, deuten in keiner der Schriften darauf hin, daß jemand von ihnen zum Roten Stern ging. Wenn sie den Sprung vermieden, dann müssen sie einen Grund dafür gehabt haben, einen triftigen Grund. Was verlangen Sie eigentlich von mir, Larad?«

F’lar ging erregt auf und ab.

»Daß ich Freiwillige aufrufe? He, Leute, wer wagt den Sprung zum Roten Stern? Nein, Koordinaten kann ich euch keine geben. Eure Drachen müssen sich das Ziel eben genau ansehen. Und wenn ihr nicht zurückkommt, werden wir unsere Totenklage zum Roten Stern richten. Aber, Leute, haltet euch eines vor Augen: Euer Sterben bringt uns die Gewißheit, daß es keinen Weg zum Roten Stern gibt.«

Einen Moment lang herrschte vollkommene Stille.

»Aber es muß etwas geschehen!« fuhr Larad schließlich auf. »Ihre Versprechen und Ihre Würmer überzeugen mich nicht!«

Damit stürmte er aus dem Raum.

Asgenar wollte ihm folgen, aber F’lar hielt den jungen Baron zurück.

»In seiner augenblicklichen Stimmung werden Sie ihn kaum zur Einsicht bringen, Asgenar«, meinte er.

»Er macht sich Sorgen wegen der Sommerernte«, erklärte Asgenar.

»Viele der Grenzfarmer sind auf sein Gebiet übergewechselt, weil sie unzufrieden mit Nerat, Crom und Nabol waren. Wenn die Ernte vernichtet wird, hat er im Winter mehr hungrige Menschen zu versorgen, als er bewältigen kann.«

»Aber was sollen wir noch alles tun?«

Verzweiflung schwang in F’lars Stimme mit. Das Fieber hatte ihn mehr geschwächt, als er sich eingestehen wollte. Er ermüdete so leicht. Und die ständigen Fehlschläge raubten ihm die letzte Energie.

»Ich weiß, daß es unmöglich ist, einen Drachen ohne Koordinaten loszuschicken«, meinte Asgenar.

»Ich habe versucht, meine kleine Echse zu Botenflügen abzurichten. Wenn sie das Ziel nicht genau erkennen kann, wird sie jedesmal ganz erregt. Warten Sie nur, bis Larad damit beginnt, sein Tierchen zu dressieren. Dann wird er Sie besser verstehen. Was ihn wohl am meisten beunruhigt, ist die Tatsache, daß man einen Angriff auf den Roten Stern nicht planen kann.«

»Ihr größter Fehler, mein lieber F’lar«, meinte Robinton gedehnt, »war es, daß Sie vor sieben Planetendrehungen zu rasch einen Ausweg fanden. Nun erwartet Pern erneut ein Wunder von Ihnen.«

»Zeit ist alles, was wir brauchen«, beharrte F’lar.

»Und Zeit ist das einzige, was wir nicht haben«, entgegnete Asgenar müde.

»Dann nutzen wir jede Sekunde, die uns zur Verfügung steht!« F’lars entschlossener Tonfall verriet, daß er seine Schwäche überwunden hatte.

»Wir beginnen mit Telgars Feldern. F’nor, erkundige dich bei T’bor, wie viele Reiter er entbehren kann. Ich möchte sie zum Sammeln der Larven einsetzen, da sie den Südkontinent am besten kennen.« Der Weyrführer ging nervös auf und ab. »Dann brauche ich noch jemanden, der Nabol im Auge behält.«

»Insekten und Meron von Nabol – eine gute Zusammenstellung«, meinte der Harfner spöttisch. Dann zuckte er mit den Schultern. »Wer weiß, vielleicht ist es sogar von Nutzen für uns, wenn er den Roten Stern beobachtet. Solange er damit beschäftigt ist, wissen wir, daß wir noch Zeit haben. Den Augen eines Rachsüchtigen entgeht sicher wenig.«

»Kein schlechter Gedanke, Robinton.«

F’lar nickte.

»N’ton, Sie nehmen sich den Mann vor! Achten Sie auf jedes Wort und jede Reaktion. Wir dürfen nicht noch einmal den Fehler begehen, Meron zu unterschätzen.«

Als F’nor Brekke von der Begegnung mit Larad erzählte, war sie sichtlich beunruhigt.

»Larad täuscht sich«, erklärte sie mit Entschiedenheit.

»Die Würmer bedeuten die Lösung des Problems – die einzige Lösung. Eine Expedition zum Roten Stern bringt nichts, auch wenn die Bewohner von Pern das nicht einsehen wollen.«

Sie machte eine kleine Pause.

»Es erleichtert mich irgendwie, daß F’lar Meron von Nabol überwachen läßt. Der Mann ist krankhaft veranlagt.«

Plötzlich keuchte sie und krallte ihre Finger um F’nors Handgelenk.

»Was ist los?« Er legte schützend die Arme um sie.

Brekke sah ihn mit angsterfüllten Augen an.

»Daß ich nicht früher daraufgekommen bin! Meron besitzt eine Bronzeechse, etwa so alt wie Grall und Berd. Weiß jemand, ob er sie abgerichtet hat?«

»Wir haben allen Baronen gezeigt, wie man …«

F’nor unterbrach sich, als er erkannte, worauf Brekke hinauswollte.

»Nein, nein, Brekke. Das schafft er nicht! Es fällt den kleinen Geschöpfen außerordentlich schwer, sich zu orientieren. Asgenar erzählte mir, daß sich sein Rial nur zu kurzen Botenflügen innerhalb der Burg gebrauchen ließe.«

»Aber Meron hat sein Tier schon länger. Es könnte weiter entwickelt sein …«

F’nor blieb skeptisch.

»Der Mann wird es nie lernen, richtig mit den Echsen umzugehen. Er verhält sich ihnen gegenüber viel zu herrisch.«

»Weshalb zeigt er sich dann so fasziniert vom Roten Stern? Was könnte er sonst im Sinn haben, als eine Bronzeechse hinzuschicken?«

»Aber er weiß doch, daß die Drachenreiter es nicht wagen, ihren Tieren den Sprung zu befehlen.

Und eine winzige Echse …«

»Er traut den Drachenreitern nicht. Weshalb sollte er ihren Erklärungen Glauben schenken? F’nor, du mußt F’lar Bescheid sagen!«

Der braune Reiter versprach es ihr, schon um sie zu beruhigen. Sie wirkte immer noch zerbrechlich dünn, und er wußte, daß es wichtig war, jede Aufregung von ihr fernzuhalten.

Am nächsten Tag hatte er genug damit zu tun, sein Geschwader unbemerkt in den Südkontinent zu bringen, und so dachte er erst am Abend an sein Versprechen.

Um seine Vergeßlichkeit wiedergutzumachen, ließ er Canth Brekkes Theorie an Lioth weitergeben. Falls N’ton das Gefühl hatte, daß etwas Wahres an der Sache war, konnten sie F’lar immer noch verständigen.

Er traf den Bronzereiter von Fort am Tag darauf, als er in einem von Larads Tälern Larven aussetzte. Mit einem Anflug von Neid sah F’nor, daß die gesamte Anbaufläche mit einer neuen Gemüsesorte bepflanzt war, die als Delikatesse galt und nur auf Telgar – und dem Hochland gedieh.

»Brekke hat vielleicht gar nicht so unrecht«, gab N’ton zu. »Die Wachtposten erzählen, daß Meron oft lange Zeit durch das Fernrohr schaut und dann plötzlich seiner Echse in die Augen starrt, bis das Tierchen scheu wird und aufzuflattern versucht. Gestern floh das arme Ding sogar ins Dazwischen. Meron hatte eine fürchterliche Laune, als er Fort verließ, und er verfluchte das ganze Drachenvolk.«

»Konnten Sie erkennen, was er betrachtet?«

N’ton zuckte mit den Schultern.

»Schwer zu sagen. Gestern gab es wieder viele Wolken. Für kurze Zeit deutlich sichtbar war nur dieser Ausläufer, der an Nerat erinnert.«

F’nor wußte genau, was er meinte – eine graue Masse, die sich entgegen der Rotationsrichtung zungenförmig verjüngte.

»Manchmal«, fuhr der Bronzereiter mit einem leisen Lachen fort, »bilden die Wolken bessere Bezugspunkte als das, was darunter liegt. Vor kurzem entdeckte ich eine, die genau die Umrisse eines Mädchenkopfes mit langem, wallendem Haar hatte. Faszinierend.«

F’nor nickte. Er hatte sich selbst mehr als einmal vom Spiel der Wolken ablenken lassen, wenn er den Roten Stern beobachtete.

N’tons Bericht über das Verhalten der Feuerechse beruhigte ihn ein wenig. Die kleinen Geschöpfe schienen keinen so engen Kontakt zu den Menschen zu besitzen wie die Drachen. Wenn sie sich langweilten oder einen Befehl erhielten, der ihnen mißfiel, verschwanden sie im Dazwischen, um erst wieder aufzutauchen, wenn sie hungrig waren. Dennoch, F’nor hielt es für besser, Meron weiterhin genau zu beobachten. Der Baron war, wie Brekke sagte, krankhaft veranlagt, und vielleicht brachte er es irgendwie fertig, sich die Echse gefügig zu machen.

Als F’nor an diesem Abend den Korridor zu seinen Räumen betrat, hörte er erregte Stimmen.

Lessa macht sich Sorgen, berichtete Canth seinem Reiter.

»Wenn man sieben Planetendrehungen mit einem Menschen zusammenlebt, weiß man, was in seinem Kopf vorgeht«, sagte Lessa eben, als F’nor den Vorhang zurückschob. Sie drehte sich mit schuldbewußter Miene um. Auch Brekke wirkte irgendwie verlegen.

»Was geht in wessen Kopf vor, Lessa?« fragte er, während er seinen Wherlederumhang abstreifte. Er warf seine Reithandschuhe auf den Tisch und nahm den Becher Wein, den Brekke ihm reichte.

Lessa sah ihn nicht an.

»Sie befürchtet, daß F’lar zum Roten Stern aufbrechen wird«, erklärte Brekke. Sie ließ kein Auge von ihm.

F’nor nahm langsam einen Schluck Wein.

»F’lar ist kein Schwachkopf, meine Lieben. Ein Drache muß das Ziel kennen, das er ansteuert. Und noch können wir unseren Tieren keine genaue Auskunft geben. Mnementh ist auch kein Schwachkopf.«

Aber als F’nor Brekke den leeren Becher reichte, sah er plötzlich die Wolkenformen vor sich, von denen N’ton gesprochen hatte.

»Er darf nicht gehen«, sagte Lessa hart.

»Er allein hält Pern zusammen. Er ist der einzige, der das Vertrauen von Baronen, Gildemeistern und Drachenreitern besitzt. Selbst die Alten achten ihn. Ihn und keinen anderen!«

Sie legte F’nor erregt die Hand auf den Arm.

»Ich hörte, was der Harfner sagte! Daß Pern ein Wunder von F’lar erwartet!«

Ihre Stimme klang bitter.

»Der Sprung zum Roten Stern bringt uns nicht die Rettung, Lessa!«

»Das nehmen wir an, weil unsere Vorfahren das Unternehmen nicht wagten. Aber wir wissen es nicht hundertprozentig. Und solange wir den Baronen keinen Beweis dafür erbringen, werden sie andere Lösungen nicht akzeptieren.«

»Larad?« fragte F’nor vorsichtig.

»Larad ist schlimm genug«, entgegnete sie. »Aber ich ziehe ihn Raid und Sifer noch lange vor. Die beiden haben irgendwelche Gerüchte aufgeschnappt und verlangen jetzt, daß F’lar handelt. Auf der Stelle!«

»Führt ihnen die Würmer vor!«

Lessa schüttelte verzweifelt den Kopf. »Wenn wir damit nicht einmal Larad von Telgar überzeugen konnten …«

Sie sprach den Satz nicht zu Ende.

»Es muß etwas geschehen, F’nor. Ich weiß genau, was F’lar vorhat. Er wird versuchen, irgendwie zum Roten Stern zu gelangen, und sei es nur, um den Baronen zu beweisen, daß sie im Unrecht sind. Oh, ich könnte Robinton erwürgen. F’lar denkt immer wieder über seine Bemerkung nach. Aber diesmal geht nicht er – nicht er…«

Sie schien über ihre eigenen Worte erschrocken und warf Brekke einen ängstlichen Blick zu.

Brekke sah ihr ruhig in die Augen.

»Ich verstehe Sie, Lessa«, sagte sie langsam. »Ja, ich verstehe Sie gut.«

F’nor spürte mit einemmal ein Prickeln im Nacken.

»Ach was«, wehrte Lessa ab, »ich glaube, ich bin überreizt. Ich sehe Gespenster. Diese Unsicherheit macht mich nervös. Vergeßt, was ich gesagt habe!« Sie erhob sich und verließ fluchtartig den Raum.

F’nor starrte ihr kopfschüttelnd nach. Als er sich endlich Brekke zuwandte, sah er, daß sie Tränen in den Augen hatte. Er zog sie an sich.

»Paß auf, ich ruhe mich jetzt eine Weile aus, und dann sehe ich auf dem Fort-Weyr selbst nach dem Rechten. Wenn es dich nicht stört, nehme ich Grall mit. Sie ist die älteste Feuerechse, die wir besitzen, und ich habe sie gut abgerichtet. Wenn jemand den Sprung schafft, dann sie. Nun, was hältst du davon?«

Sie klammerte sich an ihn und küßte ihn so leidenschaftlich, daß er für kurze Zeit alle Probleme vergaß.

Der Felsenpfad zu den Sternsteinen des Fort-Weyrs wurde von Fackeln erhellt, und F’nor erkannte die Silhouetten der Wachreiter.

Lioth ist hier und der Grüne, der Nabol zugeteilt wurde, berichtete Canth, als er zur Landung ansetzte.

N’ton trat aus dem Schatten und begrüßte den braunen Reiter mit sichtlicher Erleichterung. Unauffällig deutete er zum Fernrohr hinüber.

»Er hat sich wieder mit seiner Echse eingefunden. Ich wollte Sie schon verständigen.«

Im gleichen Moment klang ein ängstliches Kreischen auf. Grall, die auf F’nors Schulter saß, spreizte nervös die Flügel und fauchte.

F’nor streichelte sie, aber sie ließ sich nicht beruhige n.

»Wer ist da?« fragte Meron von Nabol herrisch. Er war gegen den dunklen Sternstein kaum auszumachen.

»F’nor, der Geschwader-Zweite von Benden«, erwiderte der braune Reiter kühl.

»Sie haben hier in Fort nichts zu suchen«, fuhr ihn Meron an. »Verschwinden Sie!«

»Baron Meron«, entgegnete N’ton und stellte sich vor F’nor, »der Drachenreiter von Benden genießt auf Fort die gleiche Gastfreundschaft wie Sie.«

»Sie scheinen zu vergessen, daß Sie einen Burgherrn vor sich haben!«

»Kann er etwas entdeckt haben?« flüsterte F’nor dem Bronzereiter zu.

N’ton zuckte mit den Schultern und trat auf den Baron zu. Die kleine Echse begann zu schreien. Grall spreizte erneut die Flügel.

Ihre Gedanken verrieten Abscheu und Zorn, vermischt mit Furcht.

»Baron Nabol, Sie benutzen das Fernrohr nun seit Einbruch der Dunkelheit!«

»Und ich werde es weiterhin benutzen, solange es mir Spaß macht! Gehen Sie, und lassen Sie mich in Ruhe!«

Damit drehte sich Meron um und trat erneut an das Fernrohr. Er schien es für selbstverständlich zu halten, daß die beiden Drachenreiter seinem Befehl nachkamen. F’nors Augen hatten sich jetzt an die Dunkelheit gewöhnt. Er konnte erkennen, daß der Mann die kleine Echse festhielt, obwohl sie sich sträubte und zu entkommen suchte. Ihre Klagen wurden immer schriller.

Die Kleine ist außer sich vor Furcht, erklärte Canth seinem Reiter. Der Mann behandelt sie grausam.

F’nor hatte noch nie zuvor ein so hartes Urteil von seinem Braunen gehört.

Mit einemmal stieß Canth einen Schrei aus, der von den Klippen widerhallte. Die Reiter zuckten zusammen, und Grall flatterte auf. Meron ließ vor Schreck die Feuerechse los, und sie verschwand im Dazwischen.

Zornerfüllt stürmte Meron auf die Reiter zu, aber plötzlich fand er den Weg von Canths mächtigem Schädel versperrt.

»Der Reiter, den man Ihnen zugewiesen hat, Baron Meron, bringt Sie jetzt zurück nach Nabol«, erklärte N’ton.

»Auf Fort wird man Sie in Zukunft nicht mehr empfangen.«

»Dazu haben Sie kein Recht! Sie können mir den Zutritt zu diesem Fernrohr nicht verwehren! Sie sind nicht der Weyrführer. Ich werde ein Konklave einberufen und euch Drachenreiter zum Handeln zwingen. Mich könnt ihr nicht betrügen. Ein Nabol fällt auf eure Ausreden nicht herein! Feiglinge! Ein Pack von Feiglingen seid ihr allesamt! Ich wußte es immer. Jeder kann zum Roten Stern gelangen. Jeder! Ich werde euch zwingen, Farbe zu bekennen!«

Der grüne Reiter half Meron wortlos beim Aufsteigen. Kaum kreiste der Drache über den Sternsteinen, als F’nor sich auch schon über das Fernrohr beugte und einen Blick auf den Roten Stern warf.

Was konnte Meron gesehen haben? Oder schrie er ihnen unbegründete Anschuldigungen entgegen, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen?

Immer wenn er den Roten Stern mit seinen finsteren, rötlichgrauen Wolkenmassen betrachtete, durchzuckte ihn einen Moment lang Furcht. Doch an diesem Abend wollte ihn das Grauen, das ihn erfaßt hatte, nicht mehr loslassen. Das Fernrohr enthüllte den grauen Schweif, der an die Halbinsel von Nerat erinnerte. Und dicht darüber sah er Wolken – Wolken, die sich zu einer Faust zusammenballten und nach dem Ausläufer zu greifen schienen. Noch während er sie beobachtete, lösten sie sich auf und bildeten ein Drachenauge.

»Was könnte er gesehen haben?« N’ton klopfte F’nor auf die Schulter, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.

»Wolken«, sagte F’nor und trat einen Schritt zurück. »Wie eine Faust. Dann verwandelten sie sich in ein Drachenauge. Wolken – das ist alles.«

N’ton seufzte erleichtert.

»Damit kommt er nicht weiter.«

F’nor streckte die Hand nach Grall aus. Sie hüpfte gehorsam von seiner Schulter. Er begann sie zu streicheln, ihren Kopf, dann ihre Flügel. Er hielt sie in Augenhöhe, und ohne sein sanftes Streicheln zu unterbrechen, strahlte er das Bild aus, das er gesehen hatte – die rötlichgrauen Wolken mit dem weißen Saum, die sich wie eine Faust über der Nerat-Halbinsel schlossen.

Dann übermittelte er den Gedanken, daß Grall den langen Sprung ins Dazwischen wagte, mitten in die Wolkenfaust.

Blankes Entsetzen, wirbelnde Eindrücke von Hitze, heftigen Stürmen, Atemnot – das alles strömte auf F’nor ein und ließ ihn zurücktaumeln. Grall riß sich mit einem wilden Kreischen von ihm los und verschwand.

N’ton stützte den braunen Reiter.

»Was ist mit ihr geschehen?«

F’nor holte tief Atem. Es dauerte eine Weile, bis er sein inneres Gleichgewicht wiedergefunden hatte. »Ich machte ihr den Vorschlag zum Roten Stern zu fliegen.«

»Na, das bringt uns einen Schritt weiter. Meron wird also mit seinen Versuchen kaum Erfolg haben.«

»Aber weshalb reagierte sie derart heftig? Canth?«

Weil sie Angst hatte, entgegnete Canth trocken. Aber auch er schien ein wenig überrascht. Du hast sehr klare Koordinaten übermittelt.

»Ich habe klare Koordinaten übermittelt?«

Ja.

»Aber dich scheinen sie nicht so erschreckt zu haben wie Grall?«

Die Kleine ist jung und einfältig. Canth machte eine Pause und schien etwas zu überlegen. Du hast unangenehme Erinnerungen in ihr geweckt. Das klang fast verwirrt.

»Erinnerungen? Aber sie ist doch erst vor wenigen Wochen ausgeschlüpft!«

»Was sagt Canth?« erkundigte sich N’ton, der dem raschen Gedankenaustausch nicht folgen konnte.

»Einen Augenblick, N’ton!« F’nor legte dem Bronzereiter die Hand auf die Schulter. Ihm war plötzlich ein Gedanke gekommen. »Canth«, begann er vorsichtig, »du sagst, daß ich klare Koordinaten übermittelt habe? Klar genug für dich? Du könntest mich zu dieser Wolkenfaust bringen?«

Ja, ich erkenne, welchen Punkt du meinst, erwiderte Canth so zuversichtlich, daß F’nor der Atem stockte. Aber er hatte jetzt keine Zeit für lange Überlegungen. Er mußte handeln.

Er streifte seinen Umhang und die Reithandschuhe über.

»Sie brechen schon auf?« fragte N’ton.

»Der Spaß hier ist ohnehin vorbei«, entgegnete F’nor leichthin. »Und ich möchte nachsehen, ob Grall in den Weyr zurückgefunden hat. Andernfalls muß ich sie auf dem Südkontinent suchen.«

»Seien Sie vorsichtig«, riet ihm N’ton. »Zumindest haben wir heute ein Problem gelöst: Meron kann seine Feuerechse nicht zwingen, zum Roten Stern zu fliegen.«

F’nor hatte sich auf Canths Rücken geschwungen. Er schnallte die Halteriemen so eng, daß sie ihm das Blut abzuschüren drohten. Mit einer lässigen Geste verabschiedete er sich von N’ton und dem Wachreiter. Der braune Drache kreiste hoch über dem Fort-Weyr. Erst als F’nor sicher war, daß N’ton ihn nicht mehr sehen konnte, legte er auch die Handriemen an. Er mußte sich gegen einen Sturz im Dazwischen absichern.

F’nor zeichnete erneut das Bild der Wolkenfaust, deren Nebelfinger sich um die graue Spitze schlossen.

»Nimm Verbindung mit Ramoth auf! Sie wird das, was wir sehen, an alle weitergeben, Drachen, Reiter und Feuerechsen. Wir müssen übrigens auch ein Stück in die Vergangenheit gehen, zu dem Zeitpunkt auf dem Roten Stern, als ich die Faust entdeckte. Sag Brekke Bescheid!«

Und dann erkannte er plötzlich, daß Brekke es bereits wissen mußte, daß sie ihn unauffällig selbst dazu gedrängt hatte, in dem Versuch, Lessa die Verantwortung abzunehmen. Er konnte Lessa wegen ihrer List nicht böse sein. Sie hatte sieben Planetendrehungen zuvor den Mut zu einem ähnlichen Risiko aufgebracht, als sie die Drachenreiter aus der Vergangenheit zu Hilfe holte.

Atme tief durch! riet ihm Canth, und F’nor spürte, wie der Braune seine Lungen ebenfalls mit Luft füllte.

Und dann hüllte ihn die Kälte des Dazwischen ein. Er fühlte nichts, weder den weichen Nacken Canths an seiner Wange, noch die Riemen, die ihm tief ins Fleisch schnitten. Nur die Kälte … Unvermittelt tauchten sie in eine Feuerglut, die sie zu ersticken drohte. Sie fielen durch die Wolkenfinger auf die graue Zunge zu, die mit einemmal so nahe erschien wie Nerat während eines Patrouillenflugs.

Canth wollte die Flügel ausbreiten und bäumte sich vor Schmerz auf, als sie abrupt nach hinten gerissen wurden. Heiße Windböen hüllten sie ein, wirbelten sie umher. Sie fielen Hunderte von Drachenlängen und wurden dann mit brutaler Gewalt wieder nach oben geschleudert. Einen Moment lang schob sich der dunkle Ausläufer durch die Wolken – ein nasses, glitschiges Grau in blubbernder, träger Bewegung. Dann verschwand er wieder. Orangerote Blitze spalteten die Wolkenbänke. Glühende Nadeln drangen auf F’nor ein, zerfleischten ihn, zerfetzten Canths empfindliche Lider.

Dann wehte der Sturm sie in einen heißen Trichter, und sie trudelten in die Tiefe, hilflos, zerschlagen.

F’nor hatte nur einen Gedanken, bevor er ins Nichts glitt: Der Weyr! Der Weyr muß gewarnt werden!

Grall kehrte, außer sich vor Furcht, zu Brekke zurück und suchte zitternd Schutz in ihren Armen. Die Bilder, die sie ausstrahlte, waren jedoch so wirr, daß Brekke den Grund ihres Entsetzens nicht zu erkennen vermochte.

Sie streichelte das kleine Ding, versuchte es zu besänftigen… vergebens. Zu allem Übel ließ sich Berd von Gralls Angst anstecken und begann jämmerlich zu kreischen. Brekke betrachtete hilflos die beiden Tiere.

Mit einemmal stand Mirrim auf der Schwelle. Die beiden Grünen und die Bronzeechse umflatterten sie nervös, offensichtlich angesteckt von dem merkwürdigen Verhalten der kleinen Königin.

»Was haben sie? Fühlst du dich nicht wohl, Brekke?«

Mirrim legte ihr die Hand auf die Stirn.

Brekke wehrte ab. »Es ist alles in Ordnung«, versicherte sie. »Etwas scheint sie erregt zu haben. Aber nun geh wieder schlafen!«

»Etwas hat sie erregt?« Mirrim preßte die Lippen zusammen, wie immer, wenn sie das Gefühl hatte, daß man ihr etwas verheimlichte. »Wo ist Canth? Weshalb hat F’nor dich allein gelassen?«

»Mirrim!« wies Brekke sie scharf zurecht. Das Madchen sah sie trotzig an. Einen Moment lang schloß Brekke die Augen. Sie mußte jetzt die Ruhe bewahren.

»Bring mir bitte etwas Klah – aber stark …«

Brekke erhob sich und streifte ihre Reitkleider über. Die fünf Echsen stießen nun langgezogene Klagelaute aus und jagten im Zimmer umher, als versuchten sie, einer unsichtbaren Gefahr zu entrinnen.

»Ich brauche Klah«, wiederholte sie, als Mirrim sich nicht von der Stelle rührte.

Das Madchen ging, begleitet von ihren Tieren. Zu spät erkannte Brekke, daß die Echsen das ganze Gesinde in den unteren Höhlen rebellisch machen würden. Sie rief nach Mirrim, aber die Kleine hörte sie nicht mehr.

Canth würde den Sprung nicht wagen, wenn er F’nor dadurch in Gefahr brachte. Canth war vernünftig. Immer wieder redete Brekke sich das ein.

Doch dann klang Ramoths schrilles Trompeten auf, und im gleichen Moment übermittelte Canth Brekke die Botschaft von F’nor.

Unterwegs zum Roten Stern!

Eine Wolkenformation als Bezugspunkt! Sie fühlte sich mit einemmal so elend, daß sie sich hinsetzen mußte. Mit zitternden Händen schenkte sie sich einen Becher Wein ein und trank ihn leer. Das half ein wenig.

Die übrigen Drachen nahmen nun Ra moths Schrei auf.

Brekke zwang sich, auf den Landevorsprung hinauszutreten. Ein Höllenlärm herrschte im Weyrkessel. Ramoth und Mnementh kreisten über den Sternsteinen, und ihre Augen glühten orangerot im Zwielicht. Das Weyrvolk lief aufgescheucht hin und her.

Plötzlich rannten F’lar und Lessa auf sie zu.

»Was ist mit Canth und F’nor?« rief der Weyrführer atemlos. »Die Drachen sind außer sich!«

Brekke warf Lessa einen Blick zu. Die Weyrherrin wandte sich schuldbewußt ab.

»Sie befinden sich auf dem Weg zum Roten Stern.«

F’lar versteifte sich. Er starrte Brekke mit einem Gemisch aus Furcht und Ekel an, so daß sie zurücktaumelte.

Im gleichen Moment verstummte das gellende Trompeten. Alle spürten die Warnung, welche die Echsen zu übermitteln versucht hatten.

Peitschende, gnadenlose Stürme; ein tödlicher Druck; saugende, schmatzende Schlickmassen; Hitzewogen. Angst, Entsetzen. Ein undeutliches Sehnen … Ein Schrei.

»Laßt mich nicht allein!«

Ramoth schnellte wie ein Pfeil in die Höhe, gefolgt von Mnementh. Die anderen Drachen schlossen sich an. Sogar die Feuerechsen stiegen mit ihren großen Brüdern auf.

Brekke sah nichts. Der gewaltsame Schrei hatte die Blutgefäße in ihren Augäpfeln platzen lassen. Aber sie wußte, daß weit oben ein winziger Punkt war, der schneller und immer schneller in die Tiefe stürzte. Unaufhaltsam. Ein Sturz, so todbringend wie jener, den Canth über dem Hochland aufzuhalten versucht hatte.

Die Drachen jagten dem Punkt entgegen, in einer dichten Phalanx. Ihre Körper bildeten ein Dreieck, eine Treppe. Sie bremsten den Fall ab, geleiteten den leblosen Braunen und seinen Reiter in die Tiefe, bis er sanft im Kessel des Weyrs landete.

Brekke war als erste neben dem blutüberströmten Tier. F’nor hing schlaff in den Halteriemen. Seine Haut fühlte sich kalt an.

»Er atmet nicht mehr«, rief jemand. »Seine Lippen sind ganz blau.«

Brekkes Finger tasteten nach der Halsschlagader.

»Er lebt!« rief sie.

»Er lebt!«

Da war es, das schwache Pochen! Sie hatte sich nicht getäuscht.

Brekke lockerte F’nors Kiefer, preßte ihren Mund auf seine Lippen und begann kräftig auszuatmen.

»So ist es gut, Brekke!« rief jemand. »Das hilft vielleicht. Langsam und gleichmäßig! Durch die Nase einatmen!«

Jemand umfaßte ihre Taille. Sie wurde zusammen mit F’nor hochgehoben und auf Decken gelegt. Jemand sprach drängend und ermutigend auf Canth ein.

»Canth! Bleib!«

Der Schmerz des Drachen durchdrang Brekke. Sie atmete ein und aus. Ein und aus. Für F’nor. Für sich selbst. Für Canth. Ein und aus.

»Brekke! Brekke!«

Harte Hände zerrten sie hoch. Sie umklammerte F’nors Wherlederumhang.

»Brekke! Er atmet wieder allein. Brekke!«

Sie versuchte sich zu wehren, aber sie war zu schwach.

Brekke.

Pein durchdrang den Ruf, der aus weiter Ferne zu kommen schien.

Brekke?

Die Sporen lösten sich aus dem blubbernden Schlamm des Roten Sterns, wirbelten durch die heiße Atmosphäre und fielen durch die Leere des Raumes auf Pern zu.

Drachen stiegen auf und vernichteten sie mit ihrem Flammenatem. Die wenigen Fäden, die ihnen entgingen, wurden von den Bodenmannschaften aufgespürt und zerstört. Die Feuerechsen halfen ihnen dabei.

Anders an einem der Osthänge, wo sich dichte Laubwälder ausbreiteten. Dort beobachteten Männer mit einer Mischung aus Faszination und Grauen, wie die silbernen Gespinste niedergingen und sich in den Boden bohrten. Eine Stunde später gruben sie mit den Spitzen ihrer Flammenwerfer das Erdreich auf.

»Keine Fäden, F’lar!« sagte Asgenar mit einem breiten Grinsen. »Keine Fäden, Corman!«

Der Weyrführer von Benden nickte ruhig.

»Und das ist der vierte Fädeneinfall, den Ihre Wälder ohne jeden Schaden überstanden haben, Asgenar?«

Der Baron von Lemos bejahte.

»Das gleiche gilt für Keroon und die Täler von Telgar.«

Er wandte sich an den weißhaarigen Alten, der immer noch zu zweifeln schien.

»Welche Beweise brauchen Sie noch, Baron Groghe? Selbst Vincet von Nerat hat nachgegeben.«

Groghe von Holt winkte ab. Er hatte keine sehr hohe Meinung von Vincet.

»Ich – ich bringe es einfach nicht fertig, einer Handvoll Würmern dankbar zu sein …«

»Übermäßig dankbar waren Sie auch den Drachenreitern nicht«, erinnerte ihn Asgenar boshaft.

»Ich traue diesen Würmern nicht!«

Groghe schob das Kinn vor. Die goldene Feuerechse auf seiner Schulter rieb den Kopf an seine Wange.

»Mein Leben lang habe ich mich auf die Drachenreiter verlassen. Ich bin zu alt, um mich jetzt noch zu ändern.«

Er wandte sich an F’lar.

»Aber Sie haben jetzt Pern in der Hand. Machen Sie, was Sie wollen!«

Damit wandte er sich ab und ging.

Corman von Keroon schneuzte kräftig durch die Finger.

»Alter Narr! Er wird sich umstellen, verlassen Sie sich darauf! Es dauert nur eine Weile, bis er sich an den Gedanken gewöhnt hat, daß wir nicht zum Roten Stern selbst können, um die Sporen zu vernichten. Groghe ist ein Kämpfer. Sitzt nicht gern herum, ohne etwas zu unternehmen.« Er machte eine Pause.

»Wie geht es übrigens F’nor und Canth?«

Die Tage, in denen F’lar einer Antwort auf diese Frage ausgewichen war, gehörten zum Glück der Vergangenheit an.

»Er ist wieder auf den Beinen«, meinte er lächelnd. »Auch Canths Flügel heilen, obwohl die neue Membran nur langsam wächst.«

»Dann wird das Tier wieder fliegen?«

»Und Fäden bekämpfen – solange es nötig ist.«

Corman sah F’lar prüfend an. »Sicher dauert es noch Generationen, bis die Würmer über ganz Pern verteilt sind. Aber eines Tages, ist es dann soweit.

Was werden die Drachenreiter dann anfangen, F’lar?«

F’lar erwiderte ruhig den Blick des Barons.

»Es gibt viele neue Aufgaben für uns, Corman. Sobald der Rote Stern sich wieder abwendet und wir Zeit zum Entspannen haben, wollen wir den Südkontinent erforschen. Und die fremden Planeten locken. Nicht alle können so unwirtlich sein wie der Rote Stern.«

»Die Drachenreiter gehören nach Pern!«

Zur Bekräftigung schneuzte sich Corman noch einmal.

»Gewiß, und die Weyr werden nie leerstehen, das versichere ich Ihnen, Baron. Pern ist und bleibt die Heimat der Drachen.«