2. Rocko Schamoni und Hormonstress im Frühling
Es wird überhaupt keine Lösung geben. Wie denn auch? Er ist schwul. Er ist schwul. Er. Ist. Schwul.
Vier Tage später. Ich bin wieder in Hamburg und denke seit vier Tagen an genau diesen Satz. Ob ich wohl auch noch in ein paar Jahren vollkommen zusammenhangslos »Er ist schwul« vor mich hin murmeln werde? Man wird mich einweisen.
Das darf wirklich nicht wahr sein. Der erste Mann ist ein Traummann. Und schwul. Es ist hoffnungslos.
Pia findet alles gar nicht so schlimm.
»Überleg mal, es ist doch nicht deshalb nichts zwischen euch geworden, weil du ihm nicht gefällst. Es liegt nur an deinem Geschlecht.«
Ich finde ja, dass das die Sache nicht besser macht. Ich hätte nicht gedacht, dass meine nur im Ansatz vorhandenen Brüste einmal dermaßen im Weg stehen würden.
»Und weißt du, was das Beste ist?« Pia strahlt mich an. »Ich weiß schon, welcher Traummann der Nächste sein wird.«
Sie sieht so glücklich aus, dass es nur eins bedeuten kann: Während ich in Oberhausen bei Kevin Tarte kläglich scheiterte, hat Pia irgendwie die Nummer von Hugh Jackman herausbekommen. Sie hat sogar schon mit ihm Kontakt aufgenommen, und er hat ihr hoch und heilig versprochen, für mich seine Frau und Kinder zu verlassen.
»Also, ich höre?«
»Denk doch mal nach. In wen warst du letztes Jahr im Mai furchtbar verliebt?«
Letztes Jahr im Mai? Da muss ich gar nicht lange nachdenken. Das war Jens.
»Das kann nicht dein Ernst sein. Ich werde nicht wieder zu Jens Kontakt aufnehmen. Wahrscheinlich hat er auch schon längst seine dumme Franziska geschwängert. Das kannst du vergessen, außerdem haben wir abgemacht, dass ich Traummänner ...«
Pia unterbricht meinen Redeschwall.
»Ich rede doch nicht von Jens. Dieser Langweiler ist ja zum Glück für immer abgeschrieben. Aber wer hat dir damals über Jens hinweggeholfen? Na, fällt der Groschen?«
Natürlich, Pia ist wirklich Gold wert. Rocko Schamoni! Das ist er! Und: Er ist garantiert nicht schwul und wohnt auch noch in Hamburg. Gefällt mir sowieso besser als Oberhausen.
Ich verliebte mich in Rocko Schamoni, als ich wegen Jens furchtbaren Liebeskummer hatte. Pia kam sofort mit einem Erste-Hilfe-Koffer vorbei, nachdem ich »Jens hat Schluss ... mit Franziska wieder ...« in den Hörer geschluchzt hatte. Der Erste-Hilfe-Koffer bestand aus einem Aufkleber für den Badezimmerspiegel mit der Aufschrift »Ich bin schön«, einer Algen-Gesichtsmaske sowie dem Hörbuch »Dorfpunks« von Rocko Schamoni. Ich solle mich gar nicht erst mithilfe von Schokolade oder Rotwein in mein Elend hineinsteigern. Nach vorne blicken, sagte Pia. Immer nach vorne blicken. Um dann selbstbewusster denn je (Aufkleber), porentiefreiner denn je (Maske) und witziger denn je (Hörbuch) den nächsten Traummann zu erobern. »Verschwende deine Energien doch nicht mit Jens«, sagte Pia und schob die CD in meine Stereoanlage.
Zehn Minuten später waren meine verweinten Augen unter einer grünen Maske verschwunden und ich lauschte der Stimme des »Dorfpunks«-Verfassers und gleichzeitigen Vorlesers. Er hieß Rocko Schamoni, wie mir das CD-Booklet verriet, und war witzig. Sehr witzig sogar. Doch das wollte ich zunächst nicht wahrhaben. Ich befand mich schließlich in einer Trauerphase. Mir ging es doch schlecht, da darf man nicht lachen. Das wäre ja fast so, als ob man auf einer Beerdigung am Grab plötzlich einen hysterischen Kicheranfall bekommt und dann auch noch feststellt, dass man ein kurzes, rotes Minikleid trägt. Nein, das geht nicht. Ich blieb also standhaft und lachte nicht. Sondern dachte an Jens. Irgendwann aber konnte ich nicht anders und fing an zu schmunzeln. Und dann lachte ich plötzlich laut.
Die Trauerphase war vorbei. Sollen Jens und Franziska doch glücklich werden. So viel Spaß, wie ich in der letzten Stunde mit einer CD hatte, hatten Jens und ich nicht in neun Monaten gehabt. Ich rief Pia an.
»Wer ist Rocko Schamoni!?!«
Pia redete irgendwas von »Rockstar«, »hat einen Nachtclub in Hamburg«, und ich befürchte, das Wort »Frauenvernichter« fiel in diesem Zusammenhang auch. Egal, er hat sicher nur noch nicht die Richtige getroffen, dachte ich. Und sah mich schon bei meinen Eltern auf dem Sofa vor der Eichenschrankwand sitzen: »Das ist Rocko. Mein Neuer. Er ist ein Rockstar.« Sichtlich entspannt ging ich irgendwann ins Bett. Ließ Liebeskummer Liebeskummer sein und träumte von Rocko Schamoni. Rocko Schamoni, welch ein Name. Sicher hat der italienische Vorfahren, war mein letzter Gedanke, bevor ich seufzend einschlief.
Am nächsten Morgen rief Jens an. Er wollte fragen, wie es mir ging.
»Du«, sagte ich betont locker, »mach dir keine Vorwürfe, mit uns hätte es sowieso nicht geklappt, das ist mir inzwischen auch klar geworden.« Für einen kurzen Moment überlegte ich, »Ich bin sowieso schon wieder vergeben« hinterherzuschieben, aber wenn man es genau nahm, wusste mein Auserwählter noch nichts von seinem Glück.
Ich sagte also mit fester Stimme: »Leb wohl, vielleicht sieht man sich ja mal zufällig wieder.«
Wenn ich darüber nachdenke, habe ich Rocko Schamoni wirklich den würdevollsten Abgang zu verdanken, den ich jemals hingelegt habe. (Normalerweise falle ich eher in die Kategorie »hysterisch«. Stefan habe ich noch wochenlang nach unserer Trennung mit nächtlichen Anrufen tyrannisiert, und ich gebe zu, dass auch die zerstochenen Reifen nach der Uni-Party auf mein Konto gingen.)
Ohne Rocko Schamoni hätte ich den Liebeskummer wegen Jens in der Tat nicht heil überstanden.
»Und du meinst, den soll ich jetzt suchen?«
»Natürlich. Du wolltest ihn doch damals schon ausfindig machen. Woran ist es eigentlich gescheitert? Du warst doch so voller Tatendrang und hast eine Zeit lang sogar mit seinem Buch unter dem Kopfkissen geschlafen.« Pia lacht.
»Haha, sehr witzig. Ich war eben anlehnungsbedürftig. Aber du hast recht. Ich hatte auch schon alles über ihn herausgefunden und wollte tatsächlich Kontakt aufnehmen. Aber irgendwas kam dazwischen. Lass mich überlegen.« Auf einmal fällt es mir wieder ein. »Oh nein, ich weiß es: Wegen der Steuererklärung habe ich es total vergessen, mich bei ihm zu melden.«
Gott, wie unangenehm. Sollten Rocko und ich uns in meiner groß angelegten Traummannsuche nun doch noch kennen (und lieben) lernen, würde es mir im Rausch der Gefühle sicher irgendwann rausrutschen: »Das alles hätten wir schon Jahre vorher haben können.« Und zur Erklärung müsste ich ihm dann noch sagen, dass ich ihn damals nur nicht gesucht hatte, weil Frau Stein vom Finanzamt Hamburg Mitte mehrmals anrief, weil ich das Formblatt 6 b immer noch nicht nachgereicht hatte.
Nun, er wird es mir verzeihen. Hoffe ich doch.
»Also, ich bin bereit«, sage ich feierlich. Außerdem dürften die Suche und die Eroberung nicht allzu schwer werden, schließlich hatte ich schon damals alle nötigen Informationen über diesen gewissen Rocko Schamoni recherchiert und in einem roten (natürlich!) Schnellhefter zusammengestellt. Wo aber ist dieses einzigartige Dokument der Liebe?
Während Pia es sich auf meinem Sofa gemütlich macht (sie denkt anscheinend, dass die Suche länger dauert), wühle ich mich durch alle Schubladen sämtlicher Schränke meiner Wohnung. Und es sind viele! Als ich die Hoffnung schließlich aufgeben will, fällt mein Blick auf einen kleinen weißen Rollschrank, der neben meinem Schreibtisch steht. Für gewöhnlich bewahre ich da all die Dinge auf, die sonst keinen Platz in meiner Wohnung haben, die ich aber auch nicht wegschmeißen möchte. Seit Monaten habe ich dieses Schränkchen nicht mehr geöffnet, mit etwas zitternden Händen klappe ich die Tür auf. Ich finde zwei gebrauchte Taschentücher (warum ich die anscheinend behalten wollte, ist mir ein Rätsel), ein altes Lebkuchenherz »Ich liebe Dich« und – oh Gott – eine verschimmelte Banane.
Wenn RTL irgendwann eine Reportage über einen Messie in Deutschland drehen sollte, könnten sie den Beitrag problemlos mit mir und meinem weißen Rollschrank beginnen. »Deutschland verwahrlost – wir decken die schlimmsten Fälle auf.«
Aber all das interessiert mich nicht. Denn in der untersten Ablage sehe ich plötzlich Rocko Schamoni, na ja, zumindest schon einmal etwas von ihm: den roten Schnellhefter.
Ich ziehe ihn heraus und klappe den Deckel um. Da sind sie, die brisanten Informationen: