Ro­se-Ma­rie Lie­ben­fels
Per aspera ad astra

Or­bi­ter-Nr.: 138

Na­me: CA­RI­NA

Flug­num­mer: 89

Über­mitt­lung: Funk­te­lex

Leit­weg: Space-Spie­gel

Ort: Um­lauf­bahn geo­sta­tio­när

Da­tum: 17.10.2.007

G.er­Zeit: 12 Uhr 34’

Art: Bild­schirm-Schnel­l­aus­druck

Text:

Lie­be Mut­ter,

heu­te ist Dein Ge­burts­tag. Vor zwei Jah­ren hast Du mich ver­las­sen. Ein au­ßer­plan­mä­ßi­ger Zwi­schen­fall im Raum­fäh­ren­ver­kehr mit To­des­fol­gen, lau­te­te die un­per­sön­li­che Mel­dung. Was Dir wirk­lich zu­ge­sto­ßen ist, ha­be ich nie her­aus­fin­den kön­nen. Die Bon­zen von der Astro-Ver­si­che­rung schwei­gen wie to­te Fi­sche.

Viel­leicht wärst Du heu­te stolz auf mich. Ha­be in­zwi­schen als Astro­lan­tin in ei­nem or­bi­ta­len Phar­ma-La­bor an­ge­mus­tert. Me­di­ka­men­te aus dem All; ein al­ter Hut, aber im­mer noch loh­nend. Frü­her ha­ben in ei­nem sol­chen Pro­duk­ti­ons­mo­dul sie­ben Er­wach­se­ne ge­ar­bei­tet. Jetzt schaf­fen wir hier zu zwölft. Un­ten nen­nen sie uns Astro-Bie­nen. Aber das ist nur der Neid, weil wir nach sie­ben Ar­beits­ta­gen – Start und Lan­dung in­klu­si­ve – sie­ben Re­lax-days ver­gü­tet be­kom­men. Au­ßer­dem er­zie­len wir der­zeit die höchs­ten Fleisch­prei­se – mit Kno­chen, ver­steht sich. Stell Dir vor, un­se­re Fir­ma muß 700 Dol­lar pro Ki­lo­gramm Kör­per­ge­wicht für uns be­zah­len. So­viel kos­tet es näm­lich, wenn wir auf einen Missi­ons­ein­satz in den Or­bit ge­schos­sen wer­den. Der Nutz­last­ex­per­te stell­te mich als idea­len Astro­lan­tin­nen­ty­pus hin, weil ich bei 1.52 m Kör­per­grö­ße 39 Ki­lo­gramm wie­ge und da­mit ex­trem öko­lo­gisch funk­tio­nie­re.

Nach je­weils zwei Ar­beits­stun­den mit ab­so­lu­tem Re­de­ver­bot ha­ben wir 30 Mi­nu­ten Quatsch­pau­se wie eben jetzt. Die Un­ter­hal­tun­gen krei­sen fast im­mer um das glei­che The­ma: Soll man sich spä­ter ein­mal einen Kerl an­la­chen oder lie­ber zur Sa­men­bank ge­hen; ein Re­tor­ten­ba­by ad­op­tie­ren oder sich ei­ne Miet­mut­ter leis­ten? Du hast mich selbst aus­ge­tra­gen und ge­bo­ren. Und einen leib­li­chen Va­ter ha­be ich auch. Ich mei­ne, einen Va­ter, der nicht an­onym ist. Dar­auf bin ich mäch­tig stolz. Als ich Dich ein­mal frag­te, was mein Pa für Dich ei­gent­lich be­deu­tet, hast Du geant­wor­tet: Er sei Dein ge­sun­des Ver­hält­nis. So et­was möch­te ich auch ein­mal ha­ben. Jetzt ist Pa­pa lei­der nicht mehr ge­sund. Falls Du von dort, wo Du nun bist, die Ge­schich­te nicht mit­be­kom­men ha­ben soll­test, hier ist sie …

Zu­letzt ar­bei­te­te Pa an ei­nem Fließ­band in ei­ner so­ge­nann­ten bun­ten Rei­he, wo spe­zia­li­sier­te Ro­bo­ter Sei­te an Sei­te mit ro­bo­ten­den Spe­zia­lis­ten wer­ken. „Von der Zeu­gung bis zum Schrott – Elek­tro­nik heißt der Gott“, sag­te Paps im­mer. Die paar Män­ne­kens, die zwi­schen den Ro­bo­tern ar­bei­ten durf­ten, hiel­ten sich na­tür­lich für et­was Bes­se­res als ih­re Ma­schi­nen­kol­le­gen. Da­bei hat­ten die Ar­bei­ter den Ro­bo­tern nur ei­nes vor­aus – auch wenn es bei ih­rem Job nicht viel zu la­chen gab, ver­moch­ten sie we­nigs­tens zu la­chen. Sie konn­ten stumm in sich hin­ein­grin­sen, mun­ter aus sich her­aus­brül­len, ja so­gar Trä­nen la­chen. Und sei es über den dümms­ten al­ler Wit­ze. Al­les, was die hoch­s­pe­zia­li­sier­ten Ma­schi­nen­brü­der zu­we­ge brach­ten, be­stand hin­ge­gen aus ein paar Öl­trä­nen, die ei­ne Funk­ti­ons­stö­rung si­gna­li­sie­ren. Mein Va­ter moch­te dre­cki­ge Sprü­che nie lei­den. Und weil er da­bei nicht mit­misch­te, ver­such­ten ihn sei­ne Ge­nos­sen selbst zur Ziel­schei­be für ih­re Wit­ze zu ma­chen. Er aber pfiff dar­auf. Das fiel dem Ober­bon­zo der Ro­bo­ter auf. Es ent­wi­ckel­te sich zwi­schen ihm und Pa ei­ne Art Freund­schaft. Ei­nes Ta­ges ver­such­te Va­ter zwi­schen al­len Ro­bot­niks und Fach­ar­bei­tern Frie­den und Freund­schaft zu stif­ten. Er or­ga­ni­sier­te ei­ne klei­ne Ver­brü­de­rungs­fei­er. Sie be­gann mit ge­gen­sei­ti­gem Schul­ter­ge­klop­fe – Ro­bots be­rüh­ren Men­schen sonst nie. Dann folg­ten ein paar freund­li­che Rippen­knuf­fe … Va­ter um­arm­te den großen stäh­ler­nen Bon­zo … der große stäh­ler­ne Bru­der um­arm­te Va­ter … und dann mach­te es lei­se knacks! Va­ters Wir­bel­säu­le war hin. Ei­ner von den Scherz­bold­kol­le­gen hat­te sich ein dre­cki­ges, mör­de­ri­sches Witz­chen er­laubt: Im Au­gen­blick der Um­ar­mung drück­te er die Tas­te für die Pa­ni­k­re­flex-Blo­ckie­rung, die dem Ro­bo­ter die Sen­so­ren lähmt. Und der Ro­bo­ter, der sich mü­he­los dar­auf pro­gram­mie­ren läßt, mit ro­hen Ei­ern Ball zu spie­len, brach Pa die Wir­bel­säu­le. Nun fährt Va­ti an sei­nen Ar­beits­platz mit ei­nem Roll­stuhl­ro­bo­ter, der ihm pünkt­lich al­le nö­ti­gen Arz­nei­en ver­ab­reicht, ihn füt­tert, ra­siert, in­stru­iert, ka­the­te­ri­siert usw. Seit­her ha­be ich Pa­pa nie mehr la­chen se­hen. Die Ro­bo­ter­crew aber be­hü­tet und ver­tei­digt ihn wie ein Ru­del Lö­win­nen ihr Jun­ges. Er ist der letz­te mensch­li­che Ar­beit­neh­mer an der bun­ten Fließ­band­stra­ße, den die Ro­bo­ter dul­den. Ich schme­cke das Salz ei­ner Trä­ne. (Til­ge den Satz per Lösch­tas­te.) Du hast mich zu­wei­len ei­ne sen­ti­men­ta­le Gans ge­schol­ten, Ma­mi. Weil ich aber Gän­se nur als Tief­kühl­kost und nicht le­ben­dig ken­ne, ver­ste­he ich bis heu­te nicht ge­nau, was Du da­mit mein­test.

Der Com­pu­ter er­mahnt mich, mich kür­zer zu fas­sen. Aber ich muß mich we­nigs­tens ein­mal im Jahr mit je­man­dem aus­spre­chen dür­fen – und sei es per Te­lex in die Un­end­lich­keit.

Zu­rück zu mei­nem Job. Je­de vier­te Frei­schicht müs­sen wir ab­wech­selnd in das Trimm-Mo­bil klet­tern, von we­gen Mus­kel­trai­ning. Fit für ‚Ma­de in Or­bit’ heißt die De­vi­se. Ei­ni­ge Kol­le­gin­nen las­sen – ge­gen einen Bo­nus – an­de­re für sich stram­peln und klet­tern lie­ber für 30 Mi­nu­ten in ih­ren Schlaf­sack. Dann se­hen man­che aus, als hät­ten sie sich er­hängt. Aber in un­se­ren Fle­der­m­aus­bet­ten hän­gen wir ja tat­säch­lich in Reih und Glied wie an ei­nem Flei­scher­ha­ken. Und all das, wäh­rend wir mit 28.500 km/h über dem Äqua­tor nach Os­ten ra­sen … und, von un­se­rem blau­en Pla­ne­ten aus ge­se­hen, doch im­mer nur lang­wei­lig an ei­nem Punkt her­um­hän­gen.

Der Com­pu­ter warnt mich aber­mals, daß ich zu vie­le Wor­te ma­che. Für Wor­te gibt es eben noch kein ver­nünf­ti­ges Re­cy­cling-Sys­tem. Mein In­put lau­tet: Ich will Dir mit die­sem lan­gen Funk­te­lex ei­ne Freu­de ma­chen. Des­halb las­se ich es auch nicht via Nach­rich­ten­sa­tel­li­ten wei­ter­sen­den, son­dern zu den am höchs­ten schwe­ben­den Re­flek­tor-spie­geln, dem su­per­neu­en Space-Spie­gel-Sys­tem, ab­strah­len. Viel­leicht kom­me ich Dir da­mit ein biß­chen nä­her.

Du hast heu­te Ge­burts­tag, lie­be Mut­ter. Ich wün­sche mir für uns al­le, daß je­der Mensch zwei En­gel zur Sei­te hät­te, einen schwar­zen und einen wei­ßen. Von hier oben se­he ich, daß in un­se­rem Uni­ver­sum selbst für zwölf Mil­li­ar­den En­gel Platz wä­re. Und in­mit­ten ei­ner Milch­stra­ße vol­ler En­gel­kom­mu­nen und all der im ei­si­gen Welt­raum da­h­in­ja­gen­den See­len stel­le ich mir ein irr­wit­zi­ges Schwar­zes Loch vor – die Ga­la­xie Got­tes. Der elek­tro­ni­sche Seel­sor­ger hat sich auch schon ein­zu­schal­ten ver­sucht. Aber er hat im­mer die­sel­ben Ol­die-Trost­sprü­che auf der Ton­schlei­fe. Au­ßer­dem lei­det er an Ma­schi­nen­asth­ma, das sich ek­lig an­hört. So hal­te ich ihm ein­fach mit der Lin­ken die Laut­sprecher­klap­pe zu.

Ich möch­te so alt wer­den wie Du, Ma­mi, al­so min­des­tens sie­ben­und­drei­ßig. Falls es ein Wie­der­se­hen gibt … wirst Du Dich hof­fent­lich an mich er­in­nern kön­nen – nach so lan­ger Zeit.

Dei­ne Tocht-

Für die feh­len­de Sil­be ‚ter’ und die Un­ter­schrift reich­te der Wo­chen­lohn der Astro­lan­tin nicht mehr aus. Wie die Ge­werk­schafts­bank für ju­gend­li­che Ar­beit­neh­mer mit­teilt, wer­den so­ge­nann­te Über­zie­hungs­kre­di­te erst nach Vollen­dung des vier­zehn­ten Le­bens­jah­res ge­währt.