Freitag, Frankfurt
Logo und Sascha trafen eine halbe Stunde nach der Meldung des Fundes im Zoo ein. Es hatte sich mittlerweile herumgesprochen, dass sie den Fall mit den Leichenteilen bearbeiteten. Der Kollege vom zuständigen 5. Revier hatte ihnen lapidar mitgeteilt: „Noch´n Teil für euer Puzzle.“
Tatsächlich handelte es sich um mehr als eins. Als die Spurensicherung eintraf und das Gelände absuchte, tauchten die Reste eines Oberschenkels und eines kompletten Beins auf. Das Bein war fein säuberlich abgenagt. Den Oberschenkel hatten die Tiger für später verbuddelt. Alle Spuren, die eventuell vorhanden gewesen waren, hatten die Tiere zerstört. Der Prof bemühte sich gar nicht erst, er ließ ausrichten, man möge ihm „das Zeugs“ vorbeibringen.
Logo und Sascha standen vor dem Gehege und sahen sich um. „Ob das einer reingeworfen hat?“, überlegte Logo. Sascha kniff die Augen zusammen. „Könnte gehen. So weit ist das nicht.“
„Jedenfalls wahrscheinlicher, als dass jemand zu den Tigern rein gegangen ist. Aber hätte das nicht jemand sehen müssen?“
„Nicht unbedingt. Warst du schon mal abends hier? Ist meistens völlig leer. Nur ein paar Besucher des Exotariums sind noch unterwegs. Das hat länger auf als der eigentliche Zoo. Man könnte unbemerkt abbiegen und hierher kommen. Das bekommt keiner mit, wenn man hier was auspackt und da rüber wirft.“
„Wir sollten unbedingt die Mülleimer in der Umgebung absuchen. Falls derjenige die Tüte weggeworfen hat.“
Sascha nickte. „Ich geb´s gleich in Auftrag. Ist die Leiche jetzt eigentlich komplett?“
Logo zählte an den Fingern ab. „Kopf, Torso, eine Hand, zwei Beine, zwei Füße, ein Arm. Fehlen noch der andere Arm und eine Hand. Vorausgesetzt, das stammt alles von ein und demselben.“
Sascha starrte ihn ungläubig an. „Erwartest du Teile von mehreren Toten?“
„Alles möglich“, meinte Logo trocken. „Lass uns zurückfahren. Ich bin auf das Ergebnis des Fingerabdruckabgleichs gespannt.“
Im Präsidium fanden sie die Berichte der Spusi und der Gerichtsmedizin vor. Lange konnte der Tote nicht im Wasser gelegen haben. Der Prof schätzte die Liegedauer vorläufig auf einen bis höchstens drei Tage, Montagabend konnte also hinkommen. Die Fingerabdrücke waren nicht in der Datenbank und auch sonst gab es keinen neuen Hinweis auf die Identität des Opfers.
Logo legte die Akte hin. „Ich geh zu Biederkopf. Wir brauchen unbedingt mehr Leute, um den Zoo abzusuchen und die Angestellten zu befragen. Vielleicht hat der Täter ein Taxi von oder zum Zoo genommen oder einen Strafzettel in der Nähe kassiert. Kümmer dich drum. Leider haben wir noch kein Foto des Toten, das Gesicht ist durch die Zeit im Wasser zu aufgequollen. Die Technik versucht es mithilfe einer speziellen Software zu rekonstruieren. Ich frage mich, wieso der nicht in den Vermisstenmeldungen auftaucht.“
„Vielleicht vermisst ihn noch keiner. Wenn er hier Urlaub macht oder auf Geschäftsreise ist …“
Logo ignorierte ihn. „Ich frag mich außerdem, wo der Zusammenhang zwischen den Fundorten ist. Ein Apfelwein-Lokal in Sachsenhausen, der Main und der Zoo.“
„Wir wissen nicht, wo die Teile in den Main geworfen wurden.“
Logo seufzte. „Wird Zeit, dass Jenny wiederkommt.“
Etwa eine Stunde später kam ein Kollege herein und wedelte mit einem Umschlag. „Hier, euer Portrait. Ist ganz gut geworden, etwa so müsste er aussehen. Ich hab´s auch gleich auf CD gebrannt.“
Logo nahm den Umschlag und zog es heraus. „Sieht wie ein Geschäftsmann aus. Korrekter Haarschnitt. Glatt rasiert.“ Sascha beugte sich über seine Schulter. „Kommt mir irgendwie bekannt vor.“
„Dann überleg schleunigst, woher.“
„Kann mich auch irren.“
„Sehr hilfreich.“ Logo schüttelte den Kopf. „Kopier das und gib es weiter an die Kollegen. Sie sollen es jedem zeigen, der mit dem Fall in Zusammenhang steht. Biederkopf setzt es in Facebook auf die Fahndungsseite. Das geht am schnellsten.“
Er sollte recht haben. Es dauerte weniger als zwei Stunden, bis die ersten Hinweise eintrafen.
Logos Telefon klingelte. Er schnappte sich den Hörer und meldete sich.
Eine aufgeregte Stimme erklang. „Moin. Ich kenne den Mann in Facebook!“
„Mit wem spreche ich?“
„Neuberger, Frankfurter Wochenblatt. Hab erst vor ein paar Monaten ein Foto von ihm gemacht.“
„Und um wen handelt es sich?“
„Ammerland heißt er und ist Mitarbeiter einer Firma Frosti. Es ging damals um den Grüne Soße-Prozess.“
„Was für ein Prozess?“
„Ich schicke Ihnen den Artikel per Email. Dann können Sie sich einlesen.“
„Gut, vielen dank.“
Sascha kam ein paar Minuten später die Tür herein, beladen mit Essen aus der Kantine. Logo schaute von seinem PC auf. „Hast dich nicht geirrt. Möglich, dass du das Opfer in der Zeitung gesehen hast.“
„Das gibt’s nicht. In welchem Zusammenhang?“
„Ich werd noch nicht ganz schlau aus dem Artikel. Was soll das sein, ein Grüne-Soße-Prozess?“
„Gehört der zu dieser Tiefkühlfirma? Ich wusste, ich hab ihn schon gesehen.“
„Keine Ahnung, wovon du sprichst.“
„Grüne Soße kennst du doch, oder?“
„Klar, das ist das grüne Zeug, das es hier überall mit Eiern oder Rindfleisch gibt.“
„Genau. Grüne Soße wird traditionell aus sieben Kräutern hergestellt, die im Raum Frankfurt vor allem in den Oberräder Gärtnereien angebaut werden. Jetzt hat eine Firma in Ostdeutschland tiefgefrorene Kräuter unter der gleichen Bezeichnung auf den Markt gebracht. Die kommen aber nicht von hier. Und darum gibt's einen Prozess. Die Frankfurter Gärtner haben in erster Instanz gewonnen. War groß in der Zeitung.“
„Sowas les ich nicht. Unser Toter, Alfred Ammerland heißt er übrigens, arbeitet tatsächlich für diese Firma. Dann war er wohl geschäftlich hier. Such die Adresse der Firma raus. Ich kümmere mich drum, ob er Angehörige hat, die ihn identifizieren können.“
Eine Stunde später hatten sie alle Informationen beisammen. Der Firmensitz befand sich in Brandenburg, in der Nähe von Cottbus. Alfred Ammerland hatte eine Frau und zwei halbwüchsige Kinder. Die Kollegen vor Ort waren schon unterwegs, um ihnen die traurige Nachricht zu überbringen.
Logo telefonierte mit der Firma und fragte sich zu Ammerlands Vorgesetztem durch. Nach kurzer Zeit warf er wütend den Hörer auf den Tisch. „Die stellen sich quer. Keine Auskunft am Telefon. Es handelt sich hier, ich zitiere, um eine höchste sensible Angelegenheit. Die spinnen wohl. Schließlich geht es um Mord. Was soll denn an Grüner Soße sensibel sein?“
Sascha legte den Kopf schief. „Vielleicht bist du dir der Tragweite dieser Sache nicht ganz bewusst. Hier geht’s um ein Riesengeschäft. Was aber noch wichtiger ist: Hier geht’s um die Ehre Frankfurts! Außerdem fahr ich gerne mal in den Osten. Da war ich noch nie.“
„Ich fahr doch nicht durch halb Deutschland, weil die nicht am Telefon mit mir reden wollen.“
Sascha schaute ihn irritiert an. „Werden wir wohl müssen, oder? Um sie herzubestellen, haben wir zu wenig. Vielleicht liegt da irgendwo das Motiv? Haben sie dir wenigstens gesagt, wen er hier besuchen wollte und wo er abgestiegen ist?“
„Kein Wort.“
„Siehst du. Ich bring gleich mal den Antrag rüber.“
„Wenn du so scharf drauf bist, fährst du eben allein. Ich bleib hier und mach die richtige Arbeit.“
„Meine Güte, warum bist du denn so grantig?“
Logo schnappte sich einen Stift und gab keine Antwort.
Sascha kam bald zurück und schwenkte ein Blatt Papier. „Genehmigt! Wir können sogar übernachten. Das hast du nicht ernst gemeint, dass ich alleine fahren soll, oder?“
„Sicher. Schaffst du ja wohl auch ohne mich. Morgen ist zwar Samstag, aber versuch einen Termin zu bekommen. Mach ihnen ordentlich Druck. Das kann nicht warten! Danach klapperst du Familie und etwaige Freunde ab. Ruf die Kollegen vor Ort an, damit dich einer zu der Firma begleitet.“
Logo blätterte einige Zeit in der Akte und schloss sie mit einem Knall. „Ich hau ab. Ich halt´s hier nicht aus. Hab genug Überstunden. Wenn was ist, kannst du mich über mein Handy erreichen.“
Sascha nickte verblüfft und starrte ihm nach, wie er fast aus dem Zimmer rannte. Was war mit Logo los? Passte gar nicht zu ihm, dass er sich mitten in den Ermittlungen freinahm und ihn hier hängen ließ. Gerade jetzt, wo Jenny nicht da war. Hoffentlich gab das keinen Ärger. Wenn ihr Urlaub nur bald vorbei wäre …
Den Rest des Tages koordinierte er die neuen zugeteilten Beamten. Fragen nach Logo wiegelte er geschickt ab, ohne zu lügen, aber auch ohne deutlich zu sagen, dass er abgehauen war.