Joe Haldeman
Zähes
Handeln
Raumhafenbars sind in der Regel in zwei deutlich unterschiedliche Gruppen aufgeteilt: in die für Nutzlast und die für Mannschaften. Ich war zwar dieses Mal Nutzlast, hatte aber keine Lust, die Preise zu bezahlen, die die Leute sich leisten können, die zum Spaß im Weltraum umherreisen. In der Branchenauskunft waren in der Rubrik „Essen und Trinken“ vier Lokale verzeichnet: Der Hartford-Club (natürlich), Zum Silbernen Schuh, Antoine’s und Slim Joans Bar und Grill.
Ich ging zu einer Geldwechselkabine, weil ich annahm, daß Slim Joan auch nicht besser rechnen konnte als die meisten Wirte. Dort wechselte ich einen Hundertstel-Anteil von Hartford um und nahm einen Sturzlift zur untersten Ebene. Die Tatsache, daß der Eingang zu der Bar direkt bei dem Sturzlift zum Ausgang lag, hätte mir auch dann alles verraten, wenn sie „Zur Linde“ geheißen hätte. Nutzlast fällt im allgemeinen nicht gern zehn Stockwerke, ganz gleich, wie langsam das geht.
Es roch richtig, nach Bratfett und abgestandenem Bier, und die dunkle Beleuchtung sprach eher für Sparsamkeit als für Stimmung. Slim Joan entpuppte sich als ungefähr hunderttausend Gramm schwerer Transvestit. Na ja, wegen der schönen Aussicht war ich schließlich nicht hergekommen.
Die Kundschaft bestand zu ungefähr gleichen Teilen aus Menschen und anderen, und da ich hier auf Alberio III war, waren die meisten Fremden !Tang. Ich habe nichts gegen die Gesellschaft von Fremden, aber wenn ich mir schon die gesamte nächste Woche mit !Tangisch die Kiefern ausrenken mußte, wollte ich wenigstens beim Trinken eine menschliche Sprache hören.
„Sprechen Sie Englisch?“ fragte ich Slim Joan.
„Etwas“, knurrte er/sie/es. „Sie wollen etwas trinken.“ Ich hatte noch nie einen russischen Brooklyn-Akzent gehört. Ich bestellte einen kalten doppelten Saki in Russisch und ging damit zu einer leeren Kabine.
Es gehört zu den Vorteilen, die man als Dolmetscher für Hartford genießt, daß man einen Drink in hundert verschiedenen Sprachen und Dialekten bestellen kann. Man spart Geld dabei; sie nehmen wohl an, daß man auch das Wechselgeld zählen kann, wenn man die Sprache spricht.
Bei dieser Gelegenheit arbeitete ich allerdings als freier Mitarbeiter für ein Grundstückskartell, das den !Tang einige tausend Quadratkilometer nutzlosen Meeresstrand abschwindeln wollte. Sie würden natürlich nicht nutzlos bleiben.
Alberio III ist als Planet ein wahrer Garten, aber die meisten Leute bekommen ihn nie zu Gesicht. Die Tachyonen-Verbindung liegt bei Alberio I, der von uns Profis als „Achselhöhle“ bezeichnet wird, und es gibt nicht viele Leute, die den lokalen Sprung zu III machen (Achselhöhle ist die Zwischenstation auf der Erde-Sammler-Route). Sternenheim G.m.b.H. hoffte darauf, diese Situation zu ändern.
Zwangsläufig belauschte ich das Gespräch der !Tangs hinter mir. (Ich bin kein Schnüffler; das ist ein Nebenprodukt des hypnotischen Lernprozesses.) Eine von ihnen brach heute zur Erde auf, und der andere erteilte ihm eine Menge nützlicher Ratschläge. „Er“ – es gibt bei ihnen sieben Klassen von Personalpronomina, die von Alter und sexuellem Zustand des Individuums abhängig sind – riet „ihr“, nie menschlichen Körpergeruch zu erwähnen, so ekelhaft er auch sein mochte. Er hätte ihr vielleicht auch sagen sollen, sie solle niemanden anschnaufen. Eines der Nebenprodukte ihres Stoffwechsels ist Butylnitrit, und das riecht wie steinalte Socken und ruft bei Menschen Schwächeanfälle und Schielen hervor.
Ich habe schon früher einige Male mit !Tangs zusammengearbeitet, und sie gehören zu meinen Lieblingsvölkern. Sehr ernst, sehr ehrlich, und ihre Logik ist der der Menschen näher als die der meisten anderen, aber sie sehen wirklich merkwürdig aus. Stellen Sie sich einen umherlaufenden Heuhaufen vor, aus dem ein Elefantenrüssel ragt. Unter ihrer Masse von gelbem Haar besitzen sie zwei Arme, aber es ist unhöflich, sie in der Öffentlichkeit herauszustrecken, wenn man nicht mit körperlicher Arbeit beschäftigt ist. Sex allerdings praktizieren sie öffentlich, und zwar ständig, aber ein Zoologe mit einer Lupe wäre nötig, um herauszufinden, wann das der Fall ist.
Sie sollte ihm Kentucky-Bourbon und Schweizer Schokolade mitbringen. Bei Proteinen und Fetten trennt sich ihr Stoffwechsel von unserem, aber unsere Kohlehydrate und Alkohol lieben sie. Der Alkohol wirkt bei ihnen psychedelisch, und von Zucker werden sie blau.
Ein Mensch kam herein und blieb in dem trüben Licht blinzelnd stehen. Ich erkannte ihn und zog mich in meine Kabine zurück. Zu spät.
Er kam zu mir herüber und streckte seine Hand aus. „Dick Navarro!“
„Hallo, Pete.“ Ich schüttelte ihm einmal die Hand. „Was führt dich hierher? Geschäfte mit Hartford?“ Pete war ebenfalls Dolmetscher.
„Oh nein“, sagte er in Arabisch. „Ich bin nur auf der Durchreise.“
„Erzähl mir nichts“, sagte ich in Serbokroatisch. „Ist deine Muttersprache nicht auch Englisch?“ fügte ich noch in Griechisch hinzu.
„Allerdings! Und deine?“
„Englisch oder Spanisch. Setz dich.“ Ich schnalzte zweimal mit den Lippen zu Slim Joan hinüber, und sie kam mit einer Speisekarte zu uns. „Sie essen wollen?“
„Njet“, sagte er. „Wodka.“ Auch ich bestellte Nachschub.
„Und was machst du hier?“ fragte Pete.
„Geschäfte.“
„Hartford?“
„Nein.“
„Geheim?“
„Ganz richtig.“ Eigentlich hatten sie mir nichts davon gesagt, daß es geheim sei, aber ich kannte Peter Lafitte. Er war nicht nur auf der Durchreise.
Wir blieben eine Minute lang still sitzen und hörten den !Tangs zu. Wir mußten lächeln, als er ihr erklärte, welche öffentliche Toilette sie im Bedarfsfall aufsuchen solle. Das sei wichtig für Menschen, sagte er. Slim Joan kam mit den Drinks, und Pete zahlte für beide. Ein schlechtes Zeichen.
„Wie ist es denn mit der Spica-Sache ausgegangen?“ fragte er.
„Schlecht.“ Lafitte und ich hatten auf Spica IV bei einer Anhörung zu Rechtsaufteilung zusammengearbeitet, in der die Confederación Hartford tatsächlich angegriffen hatte. „Ich konnte es den Menschen nicht begreiflich machen, daß die Mineralien Seelen besaßen, und die Eingeborenen wollten nicht glauben, daß der Abbau der Mineralien an ihrem seelischen Zustand nichts änderte. Es kam dann zu einer Kraftprobe, und die Eingeborenen gaben nach. Ich möchte allerdings in zwanzig Jahren nicht dort sein.“
„Stimmt. Ich war froh, als man mich zurückgerufen hat. Arkturus in Neuauflage.“
„Genau das habe ich ihnen zu sagen versucht.“ Arkturus war keine reguläre Station mehr, seit ein Schiff dort gelandet war, um jeden einzelnen Menschen kunstgerecht zerlegt vorzufinden. „Und du bist nur zum Vergnügen unterwegs?“
„Das hier war schon immer einer meiner Lieblingsplaneten.“
„Nichts zu tun.“
„Für euch Stadtleute nicht. Fischen kann man hier aber ausgezeichnet.“
Aha. „Im Meer?“
„Die besten Bedingungen in der ganzen Confederación.“
„Das könnte ich einmal versuchen. Wo bekommst du ein Boot her?“
Er lächelte und sah mich direkt an. „Kleines Dorf an der Küste. Pa’an!al.“
Genau in der Mitte des Stammesgebiets, um das ich verhandelt hatte. Ich wiederholte die Information pflichtgemäß in meinen Ring.
Ich wechselte das Thema, und eine Zeitlang unterhielten wir uns über nichts Besonderes. Dann entschuldigte ich mich und sagte, daß mir die Zeitverschiebung zu schaffen mache und ich etwas Schlaf brauchte. Das stimmte sogar, denn die Fähre war bei Achselhöhlenzeit geblieben, und meine Zeit hatte sich für III um acht Stunden verschoben, aber ich eilte sofort in das Büro des Hartford-Kuriers.
Der diensthabende Kurier war Estelle Dorring, die ich oberflächlich kannte. Ich unterbrach die Höflichkeitsfloskeln. „Wie lange dauert es, bis eine Botschaft die Erde erreicht?“
Sie musterte die Uhren an der Wand. „Wenn sie von Hand übermittelt werden soll, haben Sie Pech. Ich gehe erst morgen wieder nach Achselhöhle. Die Fähre braucht zwei Tage, und das heißt, daß ich für den Flug zur Erde einen halben Tag zu spät ankomme.
Wenn Sie die Botschaft dem Funk anvertrauen können, senden Sie sie doch nach Achselhöhle, und von dort kann sie der Kurier auf dem Zweitagesflug mitnehmen. Abflug in 72 Minuten, also ungefähr 19 Minuten Funkzeit. Wissen Sie, was Sie sagen wollen?“
„Ja. Bereiten Sie alles vor.“ Ich setzte mich vor die Kundenkonsole.
Sternenheim G.m.b.H.
642 Eastriver
New York, New York 100992
Z. Hd.: Patrice Duval
Sie haben hier möglicherweise Konkurrenz. Bisher noch nichts Konkretes, aber ein Typ ist aufgetaucht, den wir Peter Rabbit nennen. Wenden Sie sich an die Dolmetschergilde und prüfen Sie nach, wer Peter Lafitte bezahlt. Veränderung der Verkaufsbedingungen? Antwort bitte per nächstem Sammler-Flug –
Ricardo Navarro/ZM 2048/Alberio Hilton
Ich war mir zwar nicht sicher, was mir diese Information nützen würde, wenn sie nicht auch herausbekamen, wie hoch sein Angebot war, und mich dazu autorisierten, mehr zu bieten. Es würde auf jeden Fall mindestens drei Tage dauern, bis sie von sich hören ließen. Schlafen.
Alberio III – der wahre Name ist !Ka’al – verfolgt eine niedrige, geschwungene Umlaufbahn um Alberio A, die hellere der beiden Sonnen im Alberio-System (Alberio A besteht aus zwei eng aneinanderliegenden Sternen, aber der zweite, ein weißer Zwerg, drängt sich so nahe an den ersten, daß er in dessen grellem Licht verschwindet). Zu dieser Tageszeit war Alberio B tief am Himmel als harter, blauer Diamant zu sehen, der zum Hinsehen zu hell war, und B hing direkt über mir als aufgeblähter Goldball. Der Gleiter warf zwei Schatten auf den Sandstrand unter uns, dunkelblau und leicht gelblich, die während unserer Landung aufeinander zurasten.
Pa’an!al, ein Tausende von Jahren altes Fischerdorf, lag an einem natürlichen Hafen, wo ein breiter Dschungelfluß in das Meer mündet. Hier am Strand standen nur einige vereinzelte Pfahlhütten mit Strohdächern, in denen die Fischer lebten, die in der Brandung und den flachen Becken dort fischten. Pa’an!al selbst lag hinter einer hohen Steinmauer, die es auf der einen Seite vor den Hurrikanen schützte, die manchmal auftraten, und auf der anderen Seite die interessante Dschungelfauna fernhielt.
Ich bezahlte meinen Piloten und sagte ihm, er solle beim zweiten Sonnenuntergang wiederkommen. Ich holte tief Luft und ging die Treppe hinauf. Neben der Treppe gab es einen offenen Otis-Fahrstuhl, aber den benutzten keine Leute, sondern nur Fische.
Die !Tang haben eine zwanghafte Beziehung zur Geometrie. Diese Mauer war ein Rechteck in einem präzisen 1:2-Verhältnis, und die Treppe stieg von einer Ecke in einem zufriedenstellenden euklidischen Winkel von dreißig Grad zur gegenüberliegenden hoch. Ein Treppengeländer hätte die Harmonie gestört. Die Treppe war gerade breit genug, um zwei !Tang nebeneinander Platz zu lassen, und jede Stufe war einen guten halben Meter hoch. Als ich oben angekommen war, war ich sowohl müde als auch in leichter Panik.
Ein Raumfahrer sollte vor Höhen keine Angst haben, und die habe ich auch nicht, solange ich in einem Fahrzeug sitze. Als ich aber die Spitze der Mauer erreicht hatte und die ebenso lange wie gefährliche Treppe hinuntersah, wäre ich fast in Ohnmacht gefallen. Warum konnten sie nicht einfach ein Tor in der Mauer lassen?
Ich saß eine Minute lang da und sah auf die kleine Ansiedlung hinunter. Die geometrische Regelmäßigkeit war tatsächlich angenehm. Jedes Gebäude war entweder ein Würfel oder ein Turm von Würfeln, und das Gestein, aus dem die Stadt gebaut worden war, hatte man sorgfältig sortiert, so daß die Gebäude eine gleichmäßige Farbgebung erhielten. Die Farben gingen von Marmorweiß über Sandgelb und Rotbraun bis zu Perlgrau und Obsidianschwarz. Die Straßen bestanden aus einem regelmäßigen Muster von Backsteinen. Ich drückte mich eng an die Wand und stieg hinunter.
Am Fuß der Treppe saß ein !Tang auf einer niedrigen Bank und schaute sich den Verkehr an, den es nicht gab. „Ich begrüße Sie“, klickte und schnarchte ich ihn an, „wirklich schönes Wetter heute.“
„Nicht überall“, grunzte und keuchte er zurück. Eine ungewöhnlich direkte Antwort.
„Warten Sie auf mich?“
„Wer mag das sagen? Ich warte.“ Sein Rüssel beschrieb einen philosophischen Kreis in der Luft. „Wenn Sie nicht gekommen wären, wer weiß, worauf ich dann gewartet hätte?“
„Nun, das ist richtig, das ist richtig.“ Er beschrieb einen Kreis in Gegenrichtung, was nach meiner Meinung ,Was sonst?‘ bedeuten sollte. Ich stand eine Minute lang da, während er auf mich, zu Boden oder in den Himmel sah. Das wußte man nie genau.
„Ich hoffe, das ist keine unhöfliche Frage“, sagte er. „Werden Sie mir verzeihen, wenn das eine unhöfliche Frage ist?“
„Ich werde es auf jeden Fall versuchen.“
„Heißen Sie !ica’o !va!o?“
Das war bewundernswert nahe. „Genau richtig.“
„Sie können mir folgen.“ Er stand auf. „Oder den schönen Tag genießen.“
Ich ging dicht hinter ihm her die enge Straße hinunter. Falls er in eine Menge geraten würde, ginge er mir auf jeden Fall verloren. Ich konnte ein weibliches Wesen im Sexualzustand vier nicht von einem Neutrum unterscheiden, weil ich keinen Sonar besitze. (Sie unterscheiden sich dadurch von uns, daß sie Körperhöhlungen erfassen können. Sehr romantisch.)
Wir gingen durch den Stadtmittelpunkt mit Brunnen und Marktplatz. Einige Dutzend !Tang handelten um Nahrungsmittel, Kunsthandwerk oder Abstraktionen. Sie waren die geschäftstüchtigste Rasse des Planeten, obwohl sie statt Geld Arbeitswert verwendeten: Für die beiden häßlichen Fische dort gebe ich Ihnen ein Originalsonett über Ihre Tochter und drei ekelhafte Limmericks für die nächste Begegnung Ihrer Affinitätsgruppe. Höchstens vier Limmericks.
Wir betraten ein großes weißes Gebäude, das vielleicht das Rathaus war. Es war offensichtlich bewacht, zumindest symbolisch, denn zwei !Tang mit entblößten Armen standen davor.
Es bestand aus einem einzigen großen Raum, der an eine Moschee auf der Erde erinnerte. Viereckige Säulen in regelmäßigem Muster stützten die Decke. Die Säulen trugen zu sauberen Quadraten angeordnete Regale bis in eine Höhe von ungefähr zwei Metern; auf den Regalen lagen saubere Stapel von Büchern nach dem Muster der Ziehharmonika. Obwohl in der Decke quadratische Glasscheiben eingelassen waren, die genügend Licht einließen, herrschte ein starker Geruch nach verbranntem Fischöl vor, was bedeutete, daß sie das Gebäude nachts benutzten. (Wir hatten die Elektrizität bei ihnen eingeführt, aber sie benutzten sie nur für schwere Maschinen und Spielzeuge.)
Der !Tang führte mich in die hinterste Ecke, in der ein Heuhaufen sich kritzelnd über ein Buch beugte. Sie waren gezwungen, sich beim Schreiben oder Lesen bis auf ein paar Zentimeter dem Buch zu nähern, denn ihre Lichtaugen taugten nur für die Nähe.
„Es ist so geschehen, wie du vorausgesagt hast, Onkel.“ (Als Prophezeiung nicht übermäßig verblüffend, weil ich gestern einen Boten hergeschickt hatte.)
Onkel wedelte mit seiner Nase in meine Richtung. „Sind Sie der gleiche, der vor vier Tagen hier war?“
„Nein. Ich war noch nie hier. Ich bin Ricardo Navarro vom Sternenheim-Stamm.“
„Ich winde mich vor Verlegenheit am Boden. Es ist wahrhaftig schwer, einen Menschen vom anderen zu unterscheiden. Für meine dürftigen Augen sehen Sie genau aus wie Peter Lafitte.“
(Peter Rabbit ist glatzköpfig und häßlich und hat scheußliche Ohren. Ich habe langes, lockiges Haar mit nur einer Spur von Grau darin, und Frauen haben mich als attraktiv bezeichnet.) „Seien Sie bitte nicht verlegen. Das ist oft der Fall, wenn verschiedene Völker aufeinandertreffen. Hat mein Bruder gesagt, welchen Stamm er vertritt?“
„Ich sterbe. Oh weh, mein Haar fällt aus, und mein Fleisch verwest, und meine Knochen werden von hungrigen Ta!a’an zersplittert. Er läßt mich hinter sich überall im Wald fallen, und dort, wo der Kot aus meinem Mark hinfällt, wächst nichts mehr. Im Verlauf der Jahre stirbt der Wald an dem Gift meiner Überreste. Der Boden wird in das Meer gespült und vergiftet die Fische, und sie sterben alle. Oh, wie peinlich.“
„Er hat es also nicht gesagt?“
„Doch, aber ich soll es Ihnen nicht weitersagen.“
Da war nichts zu machen. „Hat er zufällig gesagt, er sei an dem Stückchen Land interessiert, das ich vor langer Zeit über einen Kurier erwähnt habe?“
„Nein, an Land war er nicht interessiert.“
„Können Sie mir sagen, woran er interessiert war?“
„Er war daran interessiert, das Land zu kaufen.“
Worte. „Darf ich eine vielleicht peinliche Frage stellen?“
Er entblößte seine Arme. „Wir sind Geschäftsleute.“
„Was hat er geboten?“
„Ich sterbe. Ich atme ein und atme ein und kann nicht ausatmen. Ich explodiere auf meine Freunde. Sie vergessen meinen Namen und tun so, als sei ich Kot. Sie waschen ihn auf dem Marktplatz ab, und der Brunnen wird vergiftet. Alle sterben. Oh, wie peinlich.“
„Sie sollen es mir nicht sagen.“
„So ist es.“
„Haben Sie sich bereiterklärt, ihm das Land zu verkaufen?“
„Die Antwort auf diese Frage ist schwierig.“
„Ich darf die Frage umformulieren: Ist es möglich, daß Sie das Land an meinen Stamm verkaufen?“
„Es ist möglich, wenn Sie ein besseres Angebot machen, aber es ist auf jeden Fall nur möglich.“
„Das ist peinlich. Ich … äh … sterbe und … äh … mein letzter Atemzug ist eine entsetzliche Säure. Sie schmilzt die Mauer am Meer, die vor der Stadt steht, und ein Hurrikan spült sie fort. Alle sterben. Oh, wie peinlich.“
„Das können Sie viel besser als er.“
„Danke. Dürfte ich Sie aber vielleicht bitten, die Möglichkeit näher auszuführen?“
„Sicher. Land ist kein Fisch oder Fahrstuhl. Land ist etwas, das Sie daran hindert, ganz hinabzustürzen. Es gibt dem Meer eine Küste und hält die Luft auf. Verstehen Sie?“
„Bis dahin. Bitte fahren Sie fort.“
„Land ist wie Zeit, aber nicht in wirtschaftlicher Hinsicht. Ich kann sagen: ,Als Gegenleistung für die Zeit, die ich brauche, um zu entscheiden, wer von Ihnen schuldig ist, müssen Sie mir dieses oder jenes geben.’ Wie aber kann ich sagen: ,Als Gegenleistung für das Land, auf dem ich stehe, müssen Sie mir dieses oder jenes geben’? Niemand kann die Zeit verlassen, verstehen Sie, aber ich kann das Land verlassen, und was ist es dann? Existiert es überhaupt? In wirtschaftlicher Hinsicht? Diese und damit verwandte Fragen haben unsere klügsten Köpfe beschäftigt, seit Ihr Kurier vor langer Zeit eingetroffen ist.“
„Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?“
„Ich bitte darum. Alles kann weiterhelfen.“
„Warum verkaufen Sie es nicht einfach an den Stamm, der das höchste Angebot macht?“
„Nein, Sie verstehen es nicht. Verzeihen Sie mir, ihr Erdbewohner seid trotz eurer wunderbaren Otis-Fahrstühle und Sternenschiffe sehr einfältig. (Es ist mir nicht peinlich, Ihnen das zu sagen, denn es soll Ihnen dabei helfen, sich selbst besser zu verstehen; wenn Sie ein !Tang wären, müßten Sie dafür bezahlen.) Es gibt drei wirtschaftliche Klassen, verstehen Sie. Dinge oder Dienstleistungen können wertlos, von meßbarem Wert oder von unermeßlichem Wert sein. Land ist bisher noch nie klassifiziert worden, und es kann in jede der drei Kategorien gehören.“
„Aber Onkel! Der Lafitte und ich haben Ihnen angeboten, das Land zu kaufen. Damit ist die erste Klasse doch wohl ausgeschaltet.“
„O du armer Erdenmensch. Ich möchte dir wirklich ungern dabei zusehen, wie du versuchst, einen Fisch zu kaufen. Alle Implikationen müssen in Erwägung gezogen werden.“
„Ich sterbe. Ich … äh … trage ein schreckliches Fieber in meinem Kopf, und es steigt und steigt, bis mein Kopf ein Feuer, eine Schmiede, eine Sonne wird. Ich stecke die Welt in Brand, und alle sterben. Oh, wie peinlich. Welche Implikationen?“
„Hier ist die einfachste. Wenn Land einen bestimmten Wert hat und es bestenfalls dazu dient, alle Dinge daran zu hindern, daß sie ganz hinabstürzen, wieviel ist dann Luft wert? Luft ist zum Leben notwendig, und es bringt das Feuer zum Brennen. Wenn Sie für Land bezahlen, glauben Sie, daß wir Ihnen die Luft umsonst überlassen sollten?“
„Ein interessantes Argument“, sagte ich und überlegte hastig und !tangisch. „Aber Sie haben die Antwort darauf bereits selbst gegeben. Da die Luft lebensnotwendig ist, besitzt sie unermeßlichen Wert, und alle Reichtümer des Universums würden nicht ausreichen, um auch nur einen einzigen Atemzug zu bezahlen.“
„Sie Ärmster, wie konnten Sie je ohne Stolpern ihr Leben bestehen? Die Luft wäre nur dann von unermeßlichem Wert, wenn auch das Leben unermeßlich wertvoll wäre, und selbst die bescheidenen Kenntnisse, die ich über Ihre reiche und ruhmvolle Geschichte besitze, beweisen schlüssig, daß Leben Ihnen nur sehr wenig wert ist. Das Leben anderer zumindest. Ich muß Ihnen das traurige Eingeständnis machen, daß auch unsere Geschichte eine so blutdürstige Periode enthält.“
„Auch wir sind nicht mehr so, Onkel.“
„Ich sterbe. Mein Gehirn verwandelt sich in hungrige Maden …“
Ich unterhielt mich ungefähr eine Stunde lang mit Onkel, aber das brachte mir nichts ein als einen wunden Gaumen. Als ich in das Hotel zurückkam, erwartete mich eine Nachricht von Peter Lafitte, in der er mich bei Antoine’s zum Essen einlud, und ob ich dorthin kommen möchte. Nein, ich mochte nicht, aber unter den gegebenen Umständen schien es die klügste Politik zu sein. Ich mußte von dem Bedienungsrobot ein förmliches Gewand ausleihen.
Antoine’s ist ungefähr so voller Lebensfreude wie ein gefrorener Heilbutt, was es auf die Stufe jedes anderen französischen Restaurants außerhalb der Erde bringt. Der erste Gang war eine Artischocke in Sauce vinaigrette, die besser in dem hydroponischen Tank weitergefault wäre. Darauf folgte ein „Rinder“-Filet, das von einem lokalen Tier stammte. Es war meiner Ansicht nach noch nicht einmal ein Warmblütler gewesen. All das wurde von einem kanadischen Kellner mit einem nachgemachten Pariser Akzent serviert.
Wir tranken aber außerdem noch eine Flasche Pseudo-Pouilly-Fuisse, gefolgt von einer Flasche Ersatz-Burgunder, gefolgt von einer Flasche synthetischem Chateau-d’Yquem. Danach wurde der Tisch abgeräumt, sie stellten eine Flasche Cognac zwischen uns, und das wahre Duell begann. Ein kurzes Duell, wie sich zeigen sollte.
„Wie lange dauert dein Urlaub denn noch?“ fragte ich mit einer beeindruckend sparsamen Geste. „Bei den Preisen hier bestimmt nicht lange.“
„Na ja, es gibt ja immer noch Slim Joan.“ Er goß sich ein wenig und mir viel Cognac ein. „Wie steht es mit dir?“
„Es hat Schwierigkeiten gegeben“, sagte ich. „Ich muß auf Anweisungen von der Erde warten.“
„Nicht leicht, mit ihnen zusammenzuarbeiten, nicht wahr?“
„Terraner? Ich bin selbst einer.“
„Ich meine die !Tang.“ Er starrte in sein Glas und schwenkte die Flüssigkeit darin herum. „Terraner allerdings auch. Könnte ich dir einen hypothetischen Vorschlag machen?“
„Das sind mir die liebsten“, sagte ich. Der Cognac brannte in meiner Kehle.
„Nehmen wir einmal an, du wärst ein friedlicher Mensch.“
„Das bin ich.“ Etwas dumpf im Kopf, aber friedliebend.
„Und du wärst auf einem Planeten, um mit den Bewohnern eine Art Übereinkunft zu treffen.“
Ich nickte ernst.
„Es geht um Milliarden von Talern. Trillionen.“
„Das wäre wirklich ein Ding“, sagte ich.
„Genau. Jetzt nimm weiter an, daß es auf diesem Planeten noch einen Terraner gibt, der gern die gleiche … äh … Übereinkunft treffen möchte.“
„Kommt bestimmt dauernd vor.“
„Um Milliarden, Dick? Trillionen?“
„Hyp’thetische Trillionen.“ Schlechter Cognac, aber stark.
„Und die Leute, die dich angestellt haben, sind ab-so-lut skrupellos.“
„Ma!ryso’ta“, sagte ich. Das war das !Tang-Wort für „blutdürstig“. So ähnlich jedenfalls.
„Genau.“ Er fing langsam an, vor meinen Augen zu verschwimmen. Mehr Wein, als ich gedacht hatte. „Die schrecken vor nichts zurück. Wie würdest du es denn anstellen, den anderen Terraner zu warnen?“
Meine Finger waren eiskalt, und das Gefühl kroch langsam auf meine Ellbogen zu. Mein Kinn glitt mir aus der Hand, und mein Kopf war so schwer, daß ich ihn kaum noch hochhalten konnte. Ich starrte die beiden unscharfen Bilder auf der anderen Seite des Tischs an. „Peter.“ Die Worte kamen langsam heraus, und dann stockten sie ganz: „Du trinkst nichts …“
„Grauenhafter Cognac, nicht wahr?“ Ich sah nichts mehr, obwohl ich das Gefühl hatte, daß meine Augen noch offenstanden. Ich hörte, wie mein Kinn auf dem Tisch aufschlug.
„Herr Ober?“ Ich hörte, wie der Mann zu uns herankam und mitleidige Geräusche von sich gab. „Mein Freund hat ein wenig zuviel getrunken. Könnten Sie mir helfen, ihn zu dem Bedienungsrobot zu bringen?“ Ich spürte es nicht einmal, wie sie mich aufhoben. „Den Cognac nehme ich mit. Vielleicht will er morgen noch etwas davon trinken.“ Sehr nett.
Schließlich, während wir auf den Fahrstuhl warteten und der Bedienungsrobot mir Vorträge über Mäßigung hielt, versank ich vollständig in Bewußtlosigkeit.
Am nächsten Nachmittag wachte ich auf den kalten Kacheln des Bads in meinem Hotelzimmer auf. Ich hatte das Gefühl, als hätte mich ein Starchirurg zerlegt und ein Amateurmechaniker wieder zusammengesetzt. Lange Zeit sah ich mir die Kacheln an. Danach saß ich eine Weile da und untersuchte die interessanten Farbflecken, die zwischen meinen Augen und meinem Gehirn schwebten. Als ich dachte, daß ich das vielleicht überleben könnte, stand ich auf und nahm vier Kater-Ex.
Ich setzte mich hin und fing an zu zählen. Kater-Ex haut rein wie ein Dampfhammer. Bei achtzig kam der Adrenalinschock. Tunnelsicht und Millionen winziger Nadeln, die sich durch die Haut nach außen bohren. Ströme von Schweiß. Die Glocken einer Kathedrale dröhnen, und der Kopf ist der Klöppel. Dann trockenes Würgen, und es war vorbei.
Ich torkelte zum Telefon und bestellte etwas klare Suppe und zwei kalte Bier. Dann stellte ich mich unter die Dusche und spielte mit dem Gedanken an Selbstmord. Als die klare Suppe kam, spielte ich mit dem Gedanken an Mord.
Die Suppe blieb unten, und nach dem zweiten Bier fühlte ich mich fast wieder menschlich oder zumindest wie ein Neandertaler. Ich holte einige Auskünfte ein. Lafitte war weg. Es war keine Fähre gestartet, und deshalb mußte er entweder noch auf dem Planeten sein, oder er hatte sein eigenes Schiff. Das war durchaus möglich, wenn er wirklich für den Verein arbeitete, den ich im Verdacht hatte. Ich beschwor den heiligen Namen Hartford herauf und versuchte herauszubekommen, wem seine Spesen berechnet worden waren. Er hatte bar gezahlt.
Ich versuchte, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Wenn ich Lafittes Verhalten der Gilde melden würde, bedeutete das für ihn den Ausschluß. Entweder war ihm das egal, weil sie ihm soviel bezahlten, daß er sich in einen Ruhestand voller Luxus zurückziehen könnte – und das wäre ganz nach seinem Geschmack, das wußte ich –, oder er dachte tatsächlich, daß ich den Planeten nicht lebendig verlassen würde. Die dramatische zweite Lösung verwarf ich. Gestern abend hätte er mich leichter töten als warnen können. Oder er hatte wirklich versucht, mich umzubringen, und sein Gerede war nur eine Rückversicherung gewesen, falls ich eine Dosis schlucken sollte, die nicht ganz tödlich war? Ich hatte keine Ahnung, welche Art Gift das gewesen sein könnte. Diese Art von Wissen ist für meine Arbeit irrelevant.
Wahrscheinlich wäre es das einzig wirklich Vernünftige gewesen, wenn ich mich ganz still verhalten hätte, um ihm das Geschäft zu überlassen. Das Geschick von Sternenheim war für mich unendlich viel weniger wichtig als meine eigene Haut. Wahrscheinlich konnte er sowieso mehr als ich bieten.
Das Telefon klingelte. Ich drückte auf den Sichtknopf, und ein winziger Heuhaufen erschien über dem Tischende.
„Ich grüße Sie. Wie ist das Wetter?“
„Hier drinnen ist es schön. Sind Sie Onkel?“
„Zur Zeit nicht. Onkel bin ich nur im Rathaus.“
„Ich verstehe. Kann ich Ihnen einen wertlosen Dienst erweisen?“
„Eher sich selbst.“
„Bitte sprechen Sie weiter.“
„Unser Rat trifft sich heute abend in der Hoffnung mit dem Lafitte, die Frage der wirtschaftlichen Natur von Land zu klären. Es wäre mir peinlich, wenn Sie nicht auch kämen. Das Treffen findet um *Alang im Rathaus statt.“
„Ich möchte Ihnen keine Peinlichkeit bereiten, aber wäre es möglich, es zu verschieben?“
Er entblößte seine Arme. „Das Treffen findet statt.“
Er verschwand, und ich verbrachte einige Minuten damit, *Alang in menschliche Zeitangaben zu übertragen. Die !Tang teilen ihren Tag in eine komplizierte Reihe von verschieden langen Intervallen ein, die von dem Sonnenstand, dem Grad von Hunger und dem Sexualzustand abhängig sind. Ich kam auf kurz vor zehn Uhr, hatte also noch viel Zeit.
Ich konnte Lafitte melden, und wahrscheinlich hätte ich es auch tun sollen, aber ich kam zu dem Entschluß, daß es für mich sicherer wäre, wenn ich es nicht tat und mir die Drohung einer Enthüllung als Waffe für später aufhob. Ich schrieb eine kurze Beschreibung der Situation auf – und verspürte einen kurzen Anflug von Angst, als ich das Wort „Syndikat“ hinschrieb – und versiegelte sie in einem Umschlag. Ich schrieb die Adresse der Dolmetschergilde von Hartford über das Siegel und eilte zu dem Kurierbüro.
Estelle Döring starrte mich an, als ich in das Büro kam. „Ricardo! Sie sehen wie eine aufgewärmte Leiche aus.“
„Unruhige Nacht“, sagte ich. „Leichte Nahrungsmittelvergiftung.“
„Ich esse nie etwas von dem !Tang-Zeug.“
„Lobenswert.“ Ich legte den Umschlag vor sie hin. „Ich weiß nicht genau, ob ich das abschicken soll oder nicht. Wenn ich nicht vorbeikomme, um es abzuholen, bevor die nächste Fähre abgeht, bringen Sie es nach Achselhöhle und geben Sie es dem nächsten Kurier zur Erde.“
Sie nickte langsam und las die Anschrift. „Warum so geheimnisvoll?“
„Es geht nur um Gildenethos. Ich wollte es aufschreiben, solange es noch frisch war …“ Ich hatte bisher noch nie einen wirklich durchbohrenden Blick gesehen. „Es ist aber möglich, daß ich bis heute abend noch mehr Informationen bekomme, durch die es außer Kraft gesetzt wird.“
„Wenn Sie meinen, Ricardo.“ Sie schob den Umschlag in eine Schublade. Ich murmelte etwas Belangloses in mich hinein und zog mich zurück.
Hinunter zu Slim Joan für ein Sandwich aus syrischem Brot mit in Fett gebratenem Gemüse. Leicht ranzig und zuviel Curry, aber ich wagte es nicht, mit leerem Magen zu der Ratsversammlung zu gehen. Sie würden das mit !Tang-Sonar feststellen und mir symbolisch Brot anbieten, das ich nicht ablehnen konnte. Estelle hatte mit ihrer Bemerkung über !Tang-Nahrungsmittel teilweise recht: Ein Bissen von ihrem Brot enthält genug Meskalin, um jemanden stundenlang interessante Dinge sehen zu lassen. Davon hatte ich für eine Zeitlang genug.
Ich spielte mit der Idee, eine Waffe mitzunehmen. In der Apotheke gab es für abenteuerlustige Gemüter einen Verleih, und dort konnte ich mir einen Laser oder eine Beruhigungspistole holen. Es wäre allerdings unmöglich, sie vor dem !Tang-Sonar zu verstecken. Außerdem ist Lafitte nicht der Typ für direkte physische Gewalt.
Wenn aber tatsächlich das Syndikat hinter Lafitte stand, war es gut möglich, daß es mehr als eine Person hierhergeschickt hatte; leisten konnten sie es sich auf jeden Fall. Einen Killer. Warum sollte Lafitte aber dann die Vergiftung so mühsam in Szene setzen? Warum nicht einfach einen Unfall arrangieren?
Meine Füße trugen mich zu der Apotheke. Langsam. Realistisch bleiben. Du hast seit zwanzig Jahren keine Kanone mehr abgefeuert. Schon damals hast du es nicht geschafft, den Boden mit einem Stein zu treffen. Wenn es tatsächlich dazu kommt, daß die Sache ausgebrannt wird, dann wirst du geröstet. Du läßt ihnen besser alle Möglichkeiten.
Ich entschloß mich zu einem Kompromiß. Ich hatte ein großes Klappmesser in meinem Koffer, das mir zumindest psychologisch weiterhelfen würde. Ich ging zurück in mein Zimmer hinauf.
Ich drückte meinen Daumen auf das Schloß, und mir wurde klar, daß der Würfel, den ich da spielen hörte, mein eigener war. Die Tür glitt auf, und da lag Lafitte auf meinem Sofa und sah sich einen alten Film an.
„Dick. Du siehst gut aus.“
„Wie zum Teufel bist du hier hereingekommen?“
Er hob seinen Daumen und zog sich ein Stück Plastik von dem fleischigen Teil ab. „Wir haben unsere Hilfsmittel.“ Er richtete sich auf. „Ich habe gehört, daß du einen Gleiter für die Fahrt hinaus nach Pa’an!al gemietet hast. Sollen wir uns die Kosten teilen?“
Zu seinen Füßen stand eine Flasche Wein in einem Eiskübel. „Das hast du wahrscheinlich auf meine Rechnung schreiben lassen.“ Ich drehte den Würfel aus.
Er zuckte die Achseln. „Du hast mir gestern abend das Essen aufgehängt, mon frère. Einfach so umzufallen.“
Ich hob das Glas an meine Lippen, zuckte zusammen und stellte es unberührt wieder hin. „Da wir gerade von Hilfsmitteln sprechen, was war in dem Cognac? Und wer sind deine Freunde, die so viele Hilfsmittel haben?“
„Der Wein ist in Ordnung. Du hast einen aufgeregten Eindruck gemacht; ich habe dir ein Beruhigungsmittel gegeben.“
„Ein Beruhigungsmittel für Pferde! Ist es das Syndikat?“
Das wischte er mit einer Handbewegung zur Seite. „Das Syndikat ist eine Sage. Du …“
„Halte mich bitte nicht für einen Idioten. Ich bin fast so lange in diesem Geschäft wie du.“ Alle zehn Jahre oder so gab es ein Großreinemachen, aber das Geld und die Leichen häuften sich trotzdem ständig weiter an.
„Das ist allerdings richtig.“ Er konzentrierte sich auf einen abgebrochenen Fingernagel. „Wie hoch wollen die Leute von Sternenheim gehen?“
Ich versuchte, nicht zu reagieren. „Wie steht es mit dem Syndikat?“
„Wenn es das Syndikat gäbe“, sagte er vorsichtig, „und wenn es mich angestellt hätte, glaubst du nicht auch, daß ich diese Tatsache benutzen würde, um dich wegzugraulen?“
„Vielleicht nicht direkt – gestern abend hast du von ‚skrupellosen Leuten‘ gesprochen.“
„Ich war betrunken.“ Nein, nicht Peter Rabbit, nicht von zwei Flaschen Wein. Ich sah ihn nur an. „Also gut“, sagte er. „Ich soll alle Mittel außer Gewalt anwenden …“
„Und wenn du mich vergiftest, ist das keine Gewalt?“
„Beruhigen, nicht vergiften. Du hättest nicht sterben können.“ Er goß sich etwas Wein ein. „Darf ich dir zugießen?“
„Ich habe mich zum einsamen Trinker entwickelt.“
Er schüttete den Inhalt meines Glases in seines hinein. „Ich könnte dir möglicherweise Ärger ersparen, wenn du mir bloß sagen würdest, welche Bedingungen …“
„Eine Kiste Jack Daniels und soviel sie bei Slim Joan essen können.“
„Damit könntest du es schaffen“, sagte er, ohne zu lächeln, „aber ich kann 1500 Anteile von Hartford anbieten.“
Das waren 150 Millionen Dollar, um die Hälfte mehr, als das Angebot, zu dem ich autorisiert war. „Das ist für sie nur Papier.“
„Oder eine Million Kisten Schnaps, wenn ihnen das lieber ist.“ Er sah auf seine Uhr. „Wartet nicht schon unser Gleiter auf uns?“
Wahrscheinlich war es das beste, wenn ich ihn mitnahm. Dann konnte ich ihn im Auge behalten. „Wer das Geschäft abschließt, zahlt die Fahrt. Einverstanden?“
„In Ordnung.“
Während des einstündigen Gleiterflugs überlegte ich mir verschiedene Möglichkeiten, wie ich mein Angebot umgestalten könnte. Man hatte mir den Kopf mit den Großhandelspreisen verschiedener Maschinen, Alkoholika, Süßigkeiten und so weiter zusammen mit ihrer jeweiligen Masse und ihrem Gewicht vollgepfropft, damit ich die Verschiffungskosten von der Erde nach Achselhöhle und nach Alberio III hinzurechnen konnte. Lafitte verfügte sicher über ähnliches Wissen. Ich konnte nur hoffen, daß es sich bei den 1500 Anteilen, von denen er gesprochen hatte, um einen Bluff handelte.
(Ich hatte einen guten Anreiz dazu, gut zu feilschen. Sternenheim würde mir einen Bonus geben, der sich auf bis zu zehn Prozent der Differenz zwischen tausend Anteilen und dem endgültigen Verhandlungsergebnis belief. Wenn ich die Sache mit 900 unter Dach und Fach brachte, war ich Millionär.)
Wir wandten uns landeinwärts; die Stadtmauern hoben sich als rosa Rechteck gegen den hochragenden Dschungel ab. Ich tippte dem Piloten auf die Schulter. „Können Sie in der Stadt landen?“
„Nein, es sei denn, Sie wollen von einem Haus herunterspringen. Ich kann Sie aber auf der Mauer absetzen.“ Ich nickte.
„Du kannst wohl das Klettern nicht mehr ertragen, Dick? Du wirst doch nicht etwa alt?“
„Energieverschwendung ist nutzlos.“ Der Gleiter war etwas breiter als die Mauer, und er schwankte, als wir ausstiegen. Ich versuchte, nur auf meine Füße zu sehen.
„Schöne Aussicht hier oben“, sagte Lafitte. „Schau dir diesen Sonnenuntergang an.“ Die Hälfte der großen Sonnenscheibe war in einem dunkleren Rot als die Erdsonne an dem Dschungelhorizont zu sehen. Das blutrote Licht färbte die Brandung hinter uns purpurn. In der Stadt unter uns war es bereits dunkel; der Geruch von verbranntem Fischöl stieg zu uns herauf.
Lafitte gelang es, die Innenseite der Treppe zu erwischen. Ich versuchte, meine Augen auf ihn und die Wand zu richten, während wir uns mit den hohen Stufen abmühten.
„Glaub mir“, sagte er (eine Aufforderung, die auf jeden Fall Vertrauen einflößen sollte), „es würde die Aufgabe für uns beide leichter machen, wenn ich dir sagen könnte, wen ich vertrete, aber ich habe wirkliche Geheimhaltung geschworen.“
Eine verhüllte Drohung verdiente eine verhüllte Antwort. „Du weißt ja wohl, daß ich vor einem Prüfungsausschuß erhebliche Schwierigkeiten machen könnte. Einen Gildenbruder zu vergiften!“
„Da steht deine Aussage gegen meine. Und gegen das Wort des Bedienungsrobots, des Hauptkellners, des Weinkellners … du hast ja einiges getrunken.“
„Zwei Flaschen Wein hauen mich nicht vom Stuhl.“
„Deine Trinkfestigkeit ist wohlbekannt. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, daß du sie vor einem Ausschuß untersucht sehen willst, nicht in deinem Alter. Noch zwei Jahre bis zur Pensionierung?“
„Zwanzig Monate.“
„Ich habe aufgerundet“, sagte er. „Ja, ich habe das überprüft. Ich wollte wissen, ob du in der gleichen Lage bist wie ich. Meine Pensionierung kommt in weniger als zwei Monaten; das ist für mich der letzte Auftrag, in dem es um großes Geld geht. Du wirst meine Begeisterung deshalb verstehen.“
Ich gab ihm keine Antwort. Er war nicht gerade für mangelnde „Begeisterung“ bekannt.
Als wir uns dem Boden näherten, sagte er: „Nehmen wir einmal an, du wehrst dich nicht zu heftig gegen mich. Nehmen wir einmal an, ich schließe mit erheblich weniger als …“
„Sei nicht beleidigend.“
In dem düsteren Licht, das die unter uns unregelmäßig brennenden Fackeln verbreiteten, konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. „Zehn Prozent meiner Kommission wäre keine Beleidigung.“
Ich blieb stehen; er stieg eine Stufe weiter hinunter. „Ich kann es nicht glauben, daß sogar du …“
„Verdad. Nur ein Scherz.“ Er lachte ohne Überzeugungskraft. „Jeder weiß, wie unflexibel du bist. Ich weiß es besser als die meisten.“ Während der Jahre, in denen ich Vorsitzender des Prüfungsausschusses gewesen war, hatte ich ihm verschiedene Male Geldstrafen auferlegt.
Wir gingen mechanisch durch das Gewirr von Straßen. Unsere Führer hatten offensichtlich den gleichen Weg gewählt. Wir besaßen natürlich beide eidetisches Erinnerungsvermögen. Das gehörte zu den Mindestanforderungen für den Dolmetscherberuf. Ich überlegte angestrengt. Wenn ich Peter nicht überbieten konnte, dann mußte ich ihn irgendwie überlisten. Gab es etwas, das ich über das Wertsystem der !Tang wußte, er aber nicht? Vorausgesetzt, dieser Rat kam zu dem Entschluß, daß Land käuflich und verkäuflich war …
In meiner Tasche trug ich einige interessante Angebote, die ich während der zweiwöchigen Reise von der Erde aufgeschrieben hatte. Ich fragte mich, ob Lafitte sie gesehen hatte. An dem Schloß hatte sich anscheinend niemand zu schaffen gemacht, und es war eines von der altmodischen Art mit einem magnetischen Schlüssel. Man bekommt es auf, aber danach geht es nicht mehr zu.
Wir gingen um eine Ecke, und da stand das Rathaus beeindruckend in dem flackernden Licht am Ende der Straße vor uns. Seine oberen Stockwerke verloren sich in der Dunkelheit. Lafitte legte mir die Hand auf den Arm und blieb stehen. „Ich habe einen Vorschlag.“
„Kein Interesse.“
„Hör mich an; ich meine es ernst. Ich bin dazu ermächtigt, dir eine eingeschränkte Partnerschaft anzubieten.“
„Wie großzügig. Ich glaube nicht, daß das Sternenheim gefallen würde.“
„Ich meine Sternenheim. Du bist doch für sie unterschriftsberechtigt, oder?“
„Auf diesem Planeten ohne Einschränkung. Verschwende aber nicht deine Luft. Entweder bekommen wir einen Exklusivvertrag oder gar nichts.“ In Wirklichkeit hatte diese Möglichkeit nie zur Diskussion gestanden. Sie konnten nicht gewußt haben, daß ich hier auf Konkurrenz stoßen würde. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätten sie mich ganz sicher nicht mit einem langsamen Lastflug hergeschickt. Für fünfzig Anteile mehr hätte ich erster Klasse reisen können, und dann wäre ich eine Woche vor Peter Rabbit hiergewesen; ich hätte die Sache in der Tasche gehabt, und bei seinem Eintreffen in Achselhöhle wäre ich schon wieder auf dem Heimweg gewesen.
Sternenheim hatte einen Riecher dafür, sich Orte auszusuchen, die bald populär wurden – zusammen mit beeindruckendem Aufwand in den Massenmedien, um sicherzustellen, daß sie es tatsächlich wurden –, und auf Dutzenden von Welten besaßen sie buchstäblich Exklusivrechte auf Tourismus. Hartford besaß vielleicht ein Raumhafenhotel, aber das war eigentlich keine Konkurrenz, und gewöhnlich überließen sie es gern Sternenheim. Hartford hielt den Tachyonen-Antrieb in eisenharter Hand, und sie hatten es nicht nötig, sich auszubreiten.
Ich bezweifelte es keine Sekunde, daß Sternenheim für Alberio III dieses Muster im Sinn hatte. Die Verhältnisse dort waren perfekt, denn der Strand war eine geologische Anomalität: In einem Umkreis von zweitausend Kilometern um das Raumhafenhotel gab es keine andere annehmbare Stelle für ein Hotel, sondern nur kahle Berggipfel, die hier und da aus einem Dschungel voller großer und gefährlicher Raubtiere herausragten. Vielleicht konnte ich aber aus Peter etwas herausholen. Ich lehnte mich an einen Pfahl, der eine unregelmäßig brennende Fackel trug. „Außerdem käme es mir nie in den Sinn, einen Vertrag abzuschließen, solange ich nicht weiß, wen du repräsentierst.“
Er sah mich eine Sekunde lang mit unbewegtem Gesicht an. „Ein Verein namens A.W. Stoner Industrien.“
Ich lachte laut. „Ich meine den echten Namen.“ Von Stoner hatte ich noch nie etwas gehört, und ich behalte die allgemeine Entwicklung wirklich im Auge.
„Das ist der Name, unter dem ich sie kenne.“
„Kein Konzern, der nicht in Standard, Poor und Tueme verzeichnet ist, könnte mit neunstelligen Zahlen in eine Grundstücksspekulation einsteigen. Kein legitimer Konzern, meine ich.“
„Da, es geht schon wieder los“, sagte er milde. „Ich glaube, es ist ein Zusammenschluß kleinerer Firmen.“
„Ich nicht. Los, komm.“
In meinem Gepäck hatte ich ein Nasenspray, das den Geruchssinn abtötete. Schon bevor wir hineinkamen, wußte ich, daß ich es hätte benutzen sollen.
Die Luft war von Fischölrauch grau gefärbt, und mehr als hundert !Tang saßen in ordentlichen Reihen da. In Texas hatte ich einmal ein „Fischsterben“ erlebt, als eine plötzliche ökologische Katastrophe zur Folge hatte, daß breite Reihen verfaulender Fische sich am Strand anhäuften. Hier roch es so, als ginge ich an diesem Strand spazieren und hielt mir dabei eine alte Socke als Filter vor die Nase. Lafittes Gesichtsausdruck verriet mir, daß auch er sich nicht vorbereitet hatte. Wir traten beide mit einer leicht grünlichen Fröhlichkeit vor.
Ein !Tang in der Mitte der ersten Reihe stand auf und kam auf uns zu. „Onkel?“ riet ich, und er wedelte bestätigend mit seinem Rüssel.
„Wir haben eine vorläufige Entscheidung getroffen“, sagte er.
„Vorläufig?“ sagte Lafitte. „War mein Angebot nicht akzeptabel?“
„Ich sterbe. Meine Fußspuren sind verflucht. Ich gehe im Dorf umher und weiß nicht, daß alle, die meinen Weg kreuzen, in sexuellem Nullzustand bleiben und keine Kinder bekommen. Mit der Zeit sterben alle. Oh wie peinlich. Wir möchten das Angebot vom Stamm des Navarros hören. Dann können wir vielleicht eine endgültige Entscheidung treffen.“
Das war angsterregend direkt. Ich hatte eine Stunde lang versucht, ihm unsere Bedingungen zu nennen, aber er hatte immer wieder das Thema gewechselt.
„Darf ich das Angebot von Lafittes Stamm hören?“ fragte ich.
„Sicher. Möchte Lafitte es mitteilen, oder soll ich das tun?“
„Fahren Sie fort, Onkel“, sagte Lafitte und fügte dann in Spanisch hinzu: „Denke an die Möglichkeit einer Partnerschaft. Wenn es zum Handeln kommt …“
Ich hörte Rabbit nicht mehr zu, als Onkel eine lange Litanei von Stöhnen, Krächzen, Keuchen und Pfiffen begann. Ich rechnete mir dabei ständig die Gesamtsumme von Großhandelspreisen und Verschiffungskosten aus. Bourbon, Rum, Cognac, Gin. Süßigkeiten, Rohzucker, Honig, süßes Gebäck. Netze, Computer, Abfallaufbereiter, Wasseraufbereitungsanlagen, Jagdwaffen. Als er zu Ende kam, belief sich die Gesamtsumme auf nur 620 Anteile.
„Ihr Angebot, Navarro? Könnte es alle diese Dinge als Zusatz einschließen?“
Ich mußte mich vorsehen. Lafitte log zwar wahrscheinlich, was die 1500 Anteile anbetraf, aber ich wollte ihn nicht zu sehr in Bedrängnis bringen, falls er doch in der Lage war, in der nächsten Runde über 1000 zu gehen. Außerdem wollte ich meine großen Geschütze erst am Ende auffahren.
„Ich kann diese Dinge anbieten und dazu die dreifache Menge Rum, wie sie vorher genannt worden ist …“ – die größte Rum-Destille der Welt war eine Tochtergesellschaft von Sternenheim – „… und darüber hinaus kann ich Sie durch 26 voll programmierte mechanische Landarbeiter von den Lasten der Winterernte befreien.“ (Die Winter hier waren vom Standpunkt der Erde aus gesehen nicht einmal kühl, aber diese Jahreszeit hatte etwas an sich, das die lokalen Tiere unruhig genug machte, daß sie dann und wann über die Mauern sprangen, die das bebaute Land hier schützten.)
„Diese mechanischen Arbeiter wären nicht gut zu essen? Für die Tiere?“
„Nein, und es wäre für die Tiere sogar sehr schwer, sie zu beschädigen.“
Darauf folgte eine lange geflüsterte Unterhaltung. Onkel beriet sich mit dem !Tang am Anfang jeder Reihe, und danach kam er zurück.
„Ich sterbe. Bevor ich sterbe, wendet mein Körper die haarige Seite nach innen. Von überall her kommen Leute, um sich anzuschauen, wie sie innen aussehen, aber durch meinen Anblick verlieren sie ihre Willenskraft, und sie sterben alle. Oh, wie peinlich. Der Rum ist willkommen, aber die mechanischen Arbeiter können wir nicht akzeptieren. Wenn ein Tier jemanden frißt, schläft es und kann dann seinerseits getötet und gegessen werden. Wir wissen, daß das die Wahrheit ist.“
„Dann gestatten Sie mir, die Menge von Gin, Bourbon und Cognac zu verdreifachen. Weiter füge ich noch jeweils zwei Tonnen Vermuth und Hydrochlorsäure zum Würzen hinzu.“ Das belief sich insgesamt auf ungefähr 710 Anteile.
„Das ist dankbar angenommen. Lafitte, möchte Ihr Stamm das gleiche als Zusatz Ihrem endgültigen Angebot hinzufügen?“
„Endgültiges Angebot, Onkel?“
„Zwei Beine, zwei Arme, zwei Augen, zwei Angebote.“
„Ich sterbe“, sagte Lafitte. „Wo sie mich begraben, bricht der Boden ein und verschlingt die Stadt. Oh, wie peinlich. Hören sie mal, Onkel, das ist das Gesetz des Marktes für materielle Objekte. Land läßt sich nicht bewegen; sein Besitz ist eine Abstraktion.“
Onkel entblößte einen Arm – der Rat kicherte –, senkte ihn herab und schlug zweimal auf den Boden. „Das Land ist fest und damit Materie. Mit euren Maschinen kann man es bewegen; ich selbst habe in meiner Jugend gesehen, wie ihr das beim Bau eures Raumhafens getan habt. Das Marktgesetz gilt.“
Lafitte lächelte langsam. „Dann kann der Stamm des Navarros nicht mehr bieten. Er hat seine zwei Möglichkeiten gehabt.“
Onkel drehte sich zu dem Rat um und gestikulierte in Richtung Rabbit. Er sagte: „Steht er auf Füßen?“ Und sie knisterten und schnieften über den Witz. Zu Lafitte sagte er: „Das Angebot des Navarros wurde abgelehnt, und er lieferte einen Ersatz. Ihr Angebot wurde nicht abgelehnt. Möchten Sie sein verbessertes Angebot Ihrem Angebot hinzufügen?“
„Wenn meines abgelehnt wird, kann ich es verbessern?“
Das rief eine noch lautere Reaktion hervor. „Sie Armer“, sagte Onkel. „Keine Füße, keine Hände. Das wäre ein drittes Angebot. Das müssen Sie einsehen.“
„Also gut.“ Lafitte begann, hin und her zu gehen. Er sagte, er wolle mit meinem verbesserten Angebot beginnen und die folgenden Dinge hinzufügen. Die Liste war sehr lang. Sie fing mit einem hydroelektrischen Generator an und ging dann mit immer weniger wertvollen Gegenständen weiter, bis er bei einzelnen Flaschen von exotischen Likören angelangt war. Als er soweit gekommen war, wurde mir klar, daß er mir eine Botschaft schickte; er näherte sich dem genauen Betrag von tausend Hartfort-Anteilen, so genau er konnte. Als er fertig war, sah er mich direkt an und hob eine Augenbraue.
Sieg ist süß. Wenn Peter sich die Mühe gemacht hätte, ein paar Tage lang auf dem Markt die Geschäftspraktiken zu verfolgen, dann hätte er nicht versucht, mich durch Berechnungen zu besiegen; er hätte nicht versucht, mich mit einem finanziellen Übergewicht in eine Partnerschaft zu zwingen.
Onkel sah mich an und entblößte für den Bruchteil einer Sekunde seine Arme. „Ihr Stamm, Navarro? Würden Sie dieses Angebot als Zusatz Ihrem endgültigen Angebot hinzufügen?“
Was Rabbit offensichtlich nicht wußte, war, daß diese Verhandlungstechnik mit Angebotspaaren eine reine Formsache war: Wenn ich seinem letzten Angebot etwas hinzufügte, dann würde das Feilschen von neuem beginnen, und jedem von uns beiden würde ein weiteres Paar zugestanden. Und so weiter und so weiter. Ich schloß meine Tasche auf und holte zwei Dokumente heraus.
„Nein. Ich möchte zusätzlich zu meinem eigenen vorausgegangenen Angebot nur zwei Anreize geben.“ (Geräusche von Zustimmung und Erwartung.) Lafitte starrte mich mit einem unlesbaren Gesichtsausdruck an.
„Diese Verträge sind in Spanisch. Können Sie sie lesen, Onkel?“
„Nein, aber hier sind zwei von uns anwesend, die es können.“
„Ich weiß, wie sehr Sie es lieben zu reisen.“ Ich überreichte ihm eines der beiden Dokumente.
„Damit wird jedem einzelnen von fünfhundert !Tang eine Woche Ferien auf einem Planeten seiner Wahl ermöglicht; auf jedem Planeten, auf dem Hotels von Sternenheim stehen.“
„Was?“ fragte Lafitte in Englisch. „Wie zum Teufel könnt ihr das schaffen?“
„Mit toten Plätzen“, sagte ich.
Ein Ratsmitglied erhob sich abrupt. „Bitte entschuldigen Sie“, sagte er in einer äußerst merkwürdigen Parodie von Englisch, „müssen wir tot sein, wenn wir diesen Urlaub nehmen wollen? Das erscheint mir nur geringen Wert zu besitzen.“
Ich war etwas verblüfft, besonders unter Berücksichtigung der anderen Sonderleistungen, die ich noch anbieten wollte. Ich sagte ihm, das sei ein englischer Ausdruck, der mit Toten nichts zu tun habe. „Die meisten Transportmittel von Hartford, die von diesem Planeten abfliegen, sind fast leer. Es bedeutet für Hartford keinen großen materiellen Verlust, wenn nichtzahlende Gäste mitgenommen werden. Hartford wird letzten Endes von dem Anstieg des Tourismus nach !Ka’al profitieren, und daher waren sie gern bereit, mit meinem Stamm diese Übereinkunft zu treffen.“
„Das könnte einen recht hohen Marktwert besitzen“, sagte Onkel.
„Bis fünf- oder sechshundert Anteile“, sagte ich, „je nachdem, wie weit die Reise geht.“
„Sehr gut. Und was ist Ihr zweiter Anreiz?“
„Das sage ich nicht.“ (Ich mußte lachen.) „Es ist ein Geschenk.“
Der Rat zwitscherte und tschilpte zustimmend. Einige entblößten sogar kurz mit einer halb obszönen Geste von Zuneigung ihre Arme. „Welches Spiel spielst du eigentlich?“ fragte Peter Rabbit.
„Sie mögen Überraschungen und Rätsel.“ Ich gab ein höfliches Geräusch von mir, mit dem ich um Aufmerksamkeit bat, und sagte: „Eines will ich Ihnen über dieses Geschenk sagen: Es gehört allen drei wirtschaftlichen Klassen an. Es besitzt keinen Wert, einen begrenzten Wert und einen unbegrenzten Wert für alle.“
„Wenn man es als Gegenstand von begrenztem Wert betrachtet“, sagte Onkel, „wieviel Hartford-Anteile ist es dann wert?“
„Genau einhundert Anteile.“
Darauf raschelte er mich freundlich an und ging zu den anderen hinüber, um sich mit ihnen zu beraten. „Du bist ganz schön schlau, Dick“, sagte Rabbit. „Wie ist das – sie bekommen erst heraus, was dein letztes Angebot ist, wenn sie annehmen?“
„Ganz richtig. So machen sie das hier ständig; ich war ziemlich überrascht, daß du das nicht auch getan hast.“
Er schüttelte den Kopf. „Ich habe mit !Tang bisher nur außerhalb ihres Planeten verhandelt. Sie waren immer recht konventionell.“
Ich fragte ihn nicht nach der Fischerei, die er hier angeblich betrieben hatte. Onkel kam zurück und stellte sich vor uns auf.
„Es herrscht Einstimmigkeit. Das Land wird an Navarros Stamm gehen. Was ist nun bitte der geheime Anreiz? Wie kann er für alle zur gleichen Zeit allen Klassen angehören?“
Ich machte eine kurze Pause, um mir die Beschreibung richtig in !Tangisch zurechtzulegen. „Onkel, kennen Sie die Erdgesellschaft oder den Stamm Unsterblichkeit G.m.b.H.?“
„Nein.“
Lafitte gab ein seltsames Geräusch von sich. Ich sprach weiter: „Die Unsterblichkeit G.m.b.H. bietet solchen Menschen eine nützliche Dienstleistung an, die vor dem Tod Angst haben. Sie bieten die Möglichkeit der Wiederbelebung an. Ein Mensch, der diesen Service in Anspruch nimmt, wird sobald wie möglich nach seinem Tod völlig eingefroren. Der Stamm verspricht, den Körper so lange gefroren aufzuheben, bis die Wissenschaft eine Methode entwickelt, um ihn wiederzubeleben.
Dieser Service ist teuer. Man zahlt dem Stamm einen vollen Anteil an Hartford. Das investieren sie und nehmen für sich selbst ein Zehntel des Einkommens, den sie als Profit für sich behalten. Ein kleiner Teil wird dazu benutzt, um den Körper gefroren zu halten. Falls und wenn die Wiederbelebung möglich wird, wird die Person aufgetaut, von seiner Todesursache geheilt, und sie ist dann verhältnismäßig reich.
Das ist mit Nicht-Menschen noch nie getan worden, aber es spricht nichts dagegen. Daher habe ich hundert ‚Plätze‘ für !Tang gekauft; ich überlasse Ihnen die Entscheidung darüber, welche hundert davon profitieren sollen.
Sie sehen, daß das für niemand einen materiellen Vorteil bringt, denn man muß sterben, um das in Anspruch nehmen zu können. Es besitzt aber auch einen materiellen Wert, denn ein Platz kostet einen Hartford-Anteil. Außerdem ist es von unermeßlichem Wert, denn es bietet Leben nach dem Tode an.“
Der gesamte Rat applaudierte, ein Geräusch, als fiele ein Schwarm Heuschrecken ein. Peter gab das Geräusch von sich, mit dem man um Aufmerksamkeit bat, und dann gab er es noch einmal laut und unhöflich von sich.
„Das ist alles recht interessant, und ich beglückwünsche den Navarro zu seiner Schlauheit. Die Verhandlung ist jedoch noch nicht zu Ende.“
Darauf folgte ein leises, nervöses Surren. „Entschuldige dich besser zuerst, Rabbit“, flüsterte ich.
Er machte stur weiter. „Ich möchte Ihnen eine neue wirtschaftliche Klasse vorführen: Negativwert.“
„Rabbit, nicht …“
„Das ist ein Objekt oder eine Dienstleistung, die man nicht besitzen will. Ich biete Ihnen an, sie Ihnen nicht zu geben, wenn Sie mein Angebot annehmen und nicht das des Navarros. Viele Kilometer flußabwärts befindet sich ein Faß, gefüllt mit einem sehr starken Gift. Wenn ich den Knopf berühre, mit dem es geöffnet wird, werden alle Fische in dem Fluß und weit in das Meer hinaus sterben. Sie müssen entweder wegziehen oder …“
Seine Stimme erstarb.
Ein nackter Arm nach dem anderen schlängelte sich heraus. Jeder hielt ein langes, scharfes Messer.
„Schon wieder Gift, Rabbit? Du wirst vorausberechenbar auf deine alten Tage.“
„Dick“, sagte er heiser, „sie sind doch völlig friedlich. Oder etwa nicht?“
„Außer wenn es um Geschäfte geht.“ Onkel zog als letzter ein Messer. Sie kamen langsam auf uns zu. „Wenn du nicht schnell etwas unternimmst, wirst du meiner Ansicht nach gleich deine Füße verlieren.“
„Mein Gott! Ich dachte, das sei bloß eine Redewendung.“
„Ich meine, du solltest besser mit deinen Entschuldigungen anfangen. Sag ihnen, es war nur ein Witz.“
„Ich sterbe!“ brüllte er, und sie blieben stehen. „Ich … äh …“
„Du erlaubst dir mit deinen Freunden einen Scherz, und er geht nach hinten los“, sagte ich in Griechisch.
Hastig: „Ich erlaube mir mit meinen guten Freunden einen Scherz, und er geht nach hinten los. Ich … äh … um Gottes willen, Dick, hilf mir.“
„Erzähle einfach die Wahrheit und schmücke sie ein wenig aus. Sie kennen den Negativwert, aber das ist eine Obszönität.“
„Ich bin von einem Stamm angestellt worden, der von Geschäften nichts versteht. Sie haben ausgerechnet von mir verlangt, in eine unbedeutende Verhandlung einen Negativwert einzuführen. Meine Freunde wissen, daß es ein Scherz ist, und sie lachen. Sie lachen so sehr, daß sie vergessen zu essen. Alle sterben. Oh, wie peinlich.“
Onkel vollzog mit seinem Messer eine komplizierte Bewegung, und es verschwand in seinem heuähnlichen Pelz. Die anderen Messer blieben alle sichtbar, und die !Tang bildeten einen Kreis um uns.
„Diese Maschine in Ihrer Tasche“, sagte Onkel, „gehört die zu dem Scherz?“
Lafitte zog einen kleinen grauen Kasten heraus. „Richtig. Möchten Sie sie haben?“
„Legen Sie sie auf den Boden. Der Spaß wäre erst vollkommen, wenn Sie hierblieben, während der Navarro einen Ihrer wunderbaren Gleiter flußaufwärts fährt. Wie weit müßte er fahren, um den Rest des Scherzes zu finden?“
„Ungefähr zwölf Kilometer. Auf einer Insel mitten im Fluß.“ Onkel wandte sich mir zu und entblößte kurz seine Arme. „Würden Sie uns helfen, damit wir unseren Spaß bekommen?“
Die Luft draußen war süß und rein. Ich beschloß, einige Stunden lang zu warten, bis es hell wurde.
Das war vor einigen Jahren, aber ich erinnere mich noch deutlich daran, wie ich am nächsten Tag in das Rathaus ging. Onkel hatte bemerkt, daß Peter Rabbit hungrig wurde, und sie hatten ihn mit !Tang-Brot vollgestopft. Als ich hereinkam, belustigte er sie mit Imitationen verschiedener Gemüsesorten von der Erde. Die Wirkung auf seinen Stoffwechsel war nicht permanent, aber als er von Alberio III abreiste, litt er noch immer unter milden Kohl-Anfällen.
Als ich mich von Hartford verabschiedete und in die Pension zurückzog, waren das Hotel und die Sportanlage am Strand von Sternenheim fertiggestellt. Ich war die natürliche Wahl, als es um den Managerposten ging, und obwohl ich reich genug war, um nicht arbeiten zu müssen, nahm ich den Job voller Enthusiasmus an.
Ich versuchte sogar, Lafitte als Assistenten zu gewinnen – Leute, die !Tangisch beherrschen, sind selten –, aber er war in der Versenkung verschwunden. Statt dessen fand ich ein junges Team, bestehend aus einem Ehepaar, das soviel Energie besitzt, daß ich selbst kaum Arbeit zu tun habe.
Ich bin nicht so verrückt, daß ich zur Jagd hinaus in die Wälder gehe, aber ich verbringe recht viel Zeit damit, am Dock zu angeln. Gewöhnlich begleitet mich Onkel, der sich ebenfalls zurückgezogen hat. Wir schreiben zusammen ein Buch, von dem ich glaube, daß es unsere beiden Kulturen dabei unterstützen wird, einander zu verstehen. Die Version für die Menschen heißt Zähes Handeln.
A TANGLED WEB
by Joe Haldeman
Copyright © 1981 by Davis Publications Inc.
aus ANALOG, September 14, 1981.
Übersetzung: Wolfgang Crass