15. Kapitel

 

Katharina schloss die Tür hinter sich und drehte sich dann zu Johanna um.

„Ich muss mit dir reden, Süße.“ Johanna schien schon an ihrem Tonfall das Thema des Gesprächs erraten zu haben.

„Ich rede nicht darüber.“ Sie schüttelte dabei abwehrend den Kopf.

„Das solltest du aber. Es macht dich kaputt.“ Johanna schüttelte immer noch den Kopf und wirkte sehr gestresst. Es konnte aber auch Angst sein. So genau konnte sie das nicht unterscheiden.

„John war bei mir im Laden.“ Sie konnte hören, wie Johanna scharf Luft einzog. Außerdem wurde sie bedenklich blass.

„Was...“ Ihre Stimme brach. „Was wollte er?“ Katharina zuckte mit den Schultern und reichte ihr das Kuvert.

„Geld.“ Sie rührte sich nicht und machte auch keine Anstalten, den Briefumschlag zu öffnen.

„Das sind Fotos. Er hat sie...“ Johanna liefen Tränen über die Wangen.

„Hör bitte auf.“ Katharina kniete sich neben sie.

„Johanna! Das darfst du nicht verdrängen. Wenn du schon nicht mit mir reden willst, dann rede mit einer Psychologin. Was ich auf den Fotos gesehen habe... Ich könnte nicht damit leben. Bitte tu mir diesen Gefallen. Ich habe Angst um dich.“

"Es... es war damals nicht nur John, der..." Johanna raufte sich die Haare. Katharina konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie schwer ihr das eben fiel. Wie schwer die Erinnerung auf ihr lastete. Sie legte ihre Hand auf die Schulter ihrer Freundin und riss sie dann in eine enge Umarmung.

"Ich hätte dich damals zwingen sollen, mit mir zur Polizei zu gehen." Johanna schüttelte abwehrend den Kopf.

„Das hätte ich nicht ertragen. John hätte die Tatsachen verdreht und mich als... als Hure hingestellt. Nein! Das hätte mich umgebracht.“ Katharina ließ es auf sich beruhen und wiegte ihre Freundin sanft hin und her. Wie ein Baby. Nach einer Weile klopfte es leise an der Tür.

„Alles in Ordnung bei euch beiden?“ Als Katharina aufstehen wollte, hielt Johanna sie zurück.

„Bitte erzähl es ihm nicht.“ Sie wusste nicht, wie lange sich Dominic noch mit Erklärungen wie: Das muss sie dir selbst erzählen oder ich erzähl es dir bald abspeisen lassen würde. Trotzdem nickte sie.

„Wir kommen gleich.“ Sie zog Johanna auf die Beine und strich ihr die Haare zurecht, die sie sich zuvor gerauft hatte.

„Wegen der Fotos ist alles geklärt. Du musst dir deswegen keine Sorgen mehr machen.“

„Danke. Ohne dich wäre ich wahrscheinlich ein seelischen Frack.“

Als die beiden ins Wohnzimmer kamen, hatte Dominic den Tisch bereits gedeckt und den Kuchen angeschnitten. Er sah die beiden Frauen erwartungsvoll an, doch keine von beiden sagte etwas. Seufzend ließ er die Schultern hängen und nahm ein Paket vom Sofa. Katharina legte Johanna einen Arm um die Taille und führte sie zum Sofa.

"Das ist von Dominic und mir." Die Erinnerung daran, dass sie heute Geburtstag hatte, schien ihre Laune wieder etwas zu bessern. Wie ein kleines Kind riss sie die Verpackung auf und hielt schließlich einen schwarzen Karton und einen Briefumschlag in der Hand.

„Ein Ebookreader und ein Büchergutschein. Danke!“ Und Katharina wusste, dass sie sich wirklich darüber freute. Der Ebook-Reader bedeutete, dass Johanna dem Paketboten nicht mehr die Tür öffnen musste, der immer die Büchersendungen brachte. Außerdem waren die Ebooks im Normalfall günstiger als die Printausgaben. Und der Reader war nicht so schwer.

Als Johanna damals eingezogen war, hatte sie ihren vielen Büchern nach getrauert, die immer noch bei John standen. Sie waren einfach zu schwer und unhandlich gewesen, um sie in der kurzen Zeit, die sie sich für die Flucht genommen hatte, einzupacken. Andere Sachen waren wichtiger gewesen. Klamotten, Papiere, Geld. Johanna umarmte Katharina und Dominic stürmisch und setzte sich dann mit ihnen an den Tisch.  Sie saßen noch keine fünf Minuten, da klingelte es an der Tür und Johanna sprang auf.

„Das ist bestimmt Susanna und ihre Familie. Ich geh schon.“ Sie tänzelte regelrecht aus dem Raum und Katharina war froh, dass sie das „Gespräch“ über die Vergewaltigung einigermaßen gut verkraftet hatte.

 

Im Glauben, dass ihre Schwester vor der Tür stand, riss Johanna diese freudig erregt auf. Sie hatte Susanna schon viel zu lange nicht mehr gesehen. Genau wie ihren kleinen Neffen. Doch es war weder Susanna noch ihre Familie, die vor der Tür standen. Selbst der Teufel wäre ihr lieber gewesen, als dieser Mann. Ihr Herz begann zu rasen und es fühlte sich an, als würde sie keine Luft mehr bekommen. Johanna bekam Panik, als sie Dean im Haus stehen sah. Dean! Nein! Nein!

"Alles gute zum Geburtstag, Johanna." Er reichte ihr einen Blumenstrauß und wollte sie umarmen. In ihrem Kopf setzte etwas aus und ihr Blickfeld verengte sich. Sie würde doch jetzt hoffentlich nicht in Ohnmacht fallen. Plötzlich trat Dominic neben sie und legte ihr beruhigend eine Hand auf den Rücken.

"Gibt es hier ein Problem?" Seine warme Hand auf ihrem Rücken schien die Situation auf irgend eine Weise zu entschärfen und sie nahm allen Mut zusammen, um Dean in die Augen zu sehen und das zu sagen, was sie ihm schon lange hätte sagen sollen.

"Wie kannst du es wagen hier aufzutauchen und so zu tun, als wäre nichts passiert? Du kannst vom Glück reden, dass ich damals nicht zur Polizei gegangen bin." Es war raus. Ihre Stimme hatte zwar gezittert, aber endlich war es raus.

"Wovon redest du?" Er ließ den Blumenstrauß sinken und sah sie ehrlich verwirrt an.

"Du und John... Ihr habt mich..." Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie konnte es nicht vor Dominic sagen. Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. In dem Moment, als Dean einen Schritt auf sie zu kam, löste sich Dominic von ihr und drängte Dean zurück.

"Wage es ja nicht, ihr zu nahe zu kommen."

"Johanna. Was spielst du hier für ein Theater? John und ich haben nichts gemacht, was du nicht auch wolltest." Ihr wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht und Tränen sammelten sich in ihren Augen. Genau deswegen war sie damals nicht zur Polizei gegangen. Die beiden Männer hätten sich mit irgendwelchen Lügen heraus geredet und sie hätte zum Schluss als die Hure dagestanden, die mit zwei Männern geschlafen hatte. Ohne dass sie es wollte, oder in irgendeiner Weise kontrollieren konnte, kamen ihr schließlich die Worte über die Lippen, die sie nie hatte aussprechen wollen.

"Ihr habt mich vergewaltigt!" Die Stille, die nun folgte war unheimlich. Dominic brach sie als erster, als er Dean einen rechten Hacken verpasste, ihn gegen die Wand drückte und als Schwein und Arschloch betitelte. Dean erholte sich relativ schnell wieder von dem Schlag und der Starre, die ihre Aussage ausgelöst hatte.

"Johanna! John hat mir damals gesagt, dass du die Fantasie hättest, von zwei Männern vergewaltigt zu werden. Sonst hätte ich das doch nie getan." Ihr wurde plötzlich schwindelig und ihr Magen rebellierte. Noch bevor einer der Männer reagieren konnte, ging sie auf die Knie, legte sich ihre Hand vor den Mund und übergab sich auf den Boden des Hausflures. Dominic ließ Dean sofort los und strich ihr behutsam über den Rücken.

"Johanna..." Sie schüttelte den Kopf und wich vor ihm zurück.

"Nicht anfassen. Bitte." Das konnte sie jetzt einfach nicht ertragen. Das war alles zu viel.

 

Wut stieg in ihm hoch. Jetzt verstand er endlich alles. Ihre Angst vor Männern, die Zurückhaltung gegenüber seinen Berührungen und dieses ständige zusammen zucken, wenn jemand die Stimme erhob. Er drehte sich zu Dean um, der immer noch auf dem Boden saß und Johanna anstarrte.

"Wie kann man glauben, dass es einer Frau gefällt, vergewaltigt zu werden? Von zwei Männern?" Dean ignorierte ihn völlig und wandte sich an Johanna.

"Es tut mir wirklich Leid. Aber er hat mir versichert, dass du es willst. Das Sicherheitswort war Heidelbeere. Es klang alles so logisch." Er hätte diesen Mistkerl am liebsten umgebracht. Und diesen John ebenfalls. Plötzlich stand Katharina in der Tür und sah Dean zwischen zusammengekniffenen Augen an.

"Ich hab mich nach eurer kleinen Party um sie gekümmert und auch die Fotos gesehen. Ihr habt sie nicht nur vergewaltigt, sondern auch verprügelt." Dean wurde blass.

"Das war alles so abgesprochen gewesen. Sonst würde ich doch nie eine Frau schlagen. Schon gar nicht Johanna." Er wirkte ehrlich verzweifelt.

„Hast du ihr in der Stadt aufgelauert?“ Dean schien sofort zu wissen, welches Ereignis er meinte.

„Nein. Da hab ich sie nur zufällig gesehen.“

„Warum hast du damals nichts davon gesagt? Du musst doch gesehen haben, dass sie Angst vor dir hatte.“ Dean wandte sich an Johanna, die zitternd auf dem Boden kniete und vor sich hin starrte.

"Als ich dich mit ihm zusammen in der Stadt gesehen habe, dachte ich, dir wäre diese Fantasie peinlich und du hättest dich deshalb so komisch verhalten. Du weißt schon, damit ich es ihm nicht sage oder mich verplapper." Johanna reagierte nicht. Ob sie wohl einen Schock hatte? Auch Katharina sah besorgt zu der jungen Frau.

„Warum bist du hier?“ Ein kalter Schauer zog sich über Dominics Rücken.

„Ich wollte ihr zum Geburtstag gratulieren.“ Er klang reumütig und ernsthaft geschockt. Auch wenn es unverzeihlich war, was sie Johanna angetan hatten, traf ihn nicht die ganze Schuld allein. Dieser John war der Anstifter gewesen. Und er würde ihn sich auf jeden Fall mal zur Brust nehmen.