10. Kapitel
Er erwachte, als Katharinas Handy klingelte und sah auf seine Uhr. Es war noch vor sechs Uhr! Wer zum Teufel rief um diese Zeit schon an? Katharina klang ebenfalls sehr müde und grummelte etwas ins Telefon, dass ihr Gesprächspartner wohl nicht verstehen würde.
"Was? Sind sie sicher? Ich bin gleich da." Sie sprang regelrecht aus dem Bett und er zwang seine Augen auf. Sie tänzelte nackt durchs Zimmer und nahm sich Kleider aus dem Schrank, während sie ihre Handtasche zusammen packte.
"Was ist denn los?" Sie kam zum Bett zurück und beugte sich über ihn.
"Ich muss schnell in den Laden. Der Vermieter hat grad angerufen und gemeint, die Wohnung über uns hätte einen Rohrbruch und das Wasser läuft in die Boutique." Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn und ging dann Richtung Tür.
"Schlaf noch etwas. Ich komm so schnell wie möglich wieder her." Und dann war sie weg und er döste wieder ein.
Als er das nächste Mal auf die Uhr sah, war es halb neun. Eine gute Zeit zum aufstehen. Er zog seine Jeans an und stülpte sich sein T-Shirt über den Kopf. Da Katharina bis jetzt noch nicht wieder hier war, würde er wohl erst in seine Wohnung fahren, duschen und sie dann anrufen. Der Wasserrohrbruch schien doch schwerwiegender zu sein als gedacht. Während er das Zimmer verließ, sah er auf sein Handy. Es war keine Mitteilung eingegangen. Sie war wohl sehr beschäftigt. Im gleichen Moment, als er den Flur betrat, kam Johanna aus dem Bad. In Unterwäsche und mit nassen Haaren. Bisher hatte er sie noch nie als Frau wahrgenommen. Sie war mehr der Typ Schwester.
Aber jetzt... Obwohl sie reizlose Wäsche trug, einen weißen Slip und einen dazu passenden formlosen BH, war dieser Anblick sehr erotisch. Wie ein erschrockenes Reh blieb sie in der Tür stehen und sah ihn mit großen Augen an. Die Sekunden vergingen, in denen keiner von beiden eine Bewegung wagte. Schließlich sagte er mit heiserer Stimme "guten morgen" und nahm seine Jacke von der Garderobe. Dann wandte er sich mit aller Kraft von ihrem Anblick ab und ging zur Wohnungstür.
"Sagst du Katharina bitte Bescheid, dass ich mich später bei ihr melde?" Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er die Wohnung. Heilige Scheiße. Er war scharf auf die beste Freundin seiner Freundin. Das war nicht gut. Das war überhaupt nicht gut.
Als er Tage später wieder bei Katharina war, beachtete Johanna ihn nicht. Gut. Sie erwähnte es nicht. Es war wie immer. Als wäre nie etwas passiert. Gut. Sehr gut. Scheiße. Warum fühlte es sich nicht so gut an, wie es sich anfühlen sollte? Er würde keine Probleme mit Katharina bekommen und die Freundschaft der beiden Frauen blieb intakt. Trotzdem störte ihn etwas an dieser Sache.
Als Johanna in die Küche kam, wo er und Katharina Mensch-ärgere-dich-nicht spielten, sah er ihr direkt in die Augen. Unter seinem Blick wurde sie sofort rot und drehte sich wieder weg.
"Willst du mitspielen? Wir haben eben erst angefangen." Sie hob die Hände und schüttelte den Kopf.
"Sorry. Aber ich hab noch eine ganze Menge zu tun. Ich wollte mir nur eben ein Glas holen." Katharina schnalzte missbilligend mit der Zunge und stand auf.
"Du kannst doch nicht nur arbeiten. Gönn dir eine Pause und spiel mit uns. Bitte." Ja genau. Spiel mit uns. Verrate mir deine Geheimnisse. Es marterte ihn mehr als er zugeben wollte, dass er nicht wusste, was mit Johanna los war. Sie sah aus wie ein Reh in der Falle. Und komischer weise tat sie ihm Leid. Er hatte das dringende Bedürfnis sie zu beschützen. Wo Katharina selbstbewusst und eine Kämpfernatur war, traute sich Johanna nicht einmal hoch zu sehen.
"Lass mich nicht anfangen zu quängeln." Und dann gab sie ein ergebenes seufzen von sich.
"Nach schön. Aber nur eine Runde." Sie platzierte sich so, dass Katharina zwischen den beiden saß und eine menschliche Mauer bildete. Gut, dass war nichts neues. Dann begann Katharina zu plaudern.
"Hast du gewusst, dass Dominic eine riesige Sammlung von Krimis besitzt? Als ich das erste mal sein Wohnzimmer betrat, dachte ich, ich wäre in einer Bücherei gelandet." Er zog die Augenbrauen hoch. Sicher, Johanna wirkte wie der Intellektuelle Typ, der Bücher verschlang. Aber Krimis? Er hätte eher auf Fantasy- oder Liebesromane getippt. Aber Krimis?
"Du liest Krimis?" Johanna nickte nur und stellte ihre Spielfiguren auf. Wollte sie nicht mit ihm reden oder bildete er sich das nur ein?
"Wer sind deine Lieblingsautoren? Ich mag Lubitsch besonders gern." Johanna sah kurz auf und erwiderte: "Ja, der ist talentiert. Seine Beschreibungen sind sehr detailliert. Wobei mir Nele Neuhaus besser gefällt. Ihre Protagonisten wirken so real, als würden sie wirklich existieren." Das war der längste Satz, den er bis jetzt aus Johannas Mund gehört hatte. Sie schien sich wirklich dafür zu begeistern. Als er Katharina ansah, bemerkte er die pure Freude darüber, dass ihre Freundin den Mund aufmachte und mit ihm redete. Was war hier los?
Es blieb natürlich nicht bei einer Runde und sie verbrachten fast den ganzen Abend in der Küche. Das Spiel wurde irgendwann nebensächlich und Johanna und Dominic unterhielten sich angeregt über die aktuellen Bestseller, aktuelle Wirtschaftsnachrichten und Technikneuheiten. Und Katharina grinste die ganze Zeit.
Jede andere Frau wäre eifersüchtig geworden und hätte Zeter und Mordio geschrien, aber Katharina schien zufrieden damit zu sein, dass die beiden sich unterhielten. Er würde sie später darauf ansprechen.
Johanna ließ sich an diesen Abend verwirrt ins Bett fallen. Obwohl der Abend recht verklemmt begonnen hatte und sie nicht recht gewusst hatte, wie sie sich Dominic gegenüber verhalten sollte, war er sehr angenehm ausgeklungen. Das erste Mal seit langer Zeit fühlte sie sich in der Gegenwart eines Mannes wohl. Sie hatte mit ihm über Themen geredet, die sie interessierten und er hatte sie nicht nach wenigen Minuten abgewürgt und gesagt, dass sie eine verklemmte Besserwisserin war. Ein komisches Gefühl machte sich in ihrer Brust breit und sie wusste es nicht zu deuten.
Die folgenden Tage nahm sie Dominic bewusster wahr und beobachtete ihn im Umgang mit Katharina. Er war liebevoll, zärtlich und um ihr Wohl besorgt. Er hatte sich auch schon ein paar mal bei Johanna erkundigt, ob im Geschäft alles gut ging, oder ob sie Probleme mit Kunden oder Lieferanten hatten. Aber sie konnte ihn beruhigen.
Ihr waren auch die komischen Blicke aufgefallen, die er ihr in letzter Zeit zugeworfen hatte. Und die zufälligen Berührungen, wenn beide gleichzeitig nach etwas griffen oder versehentlich zusammen stießen. Dieses Gefühl in ihrer Brust wurde immer drängender und als sie Dominic und Katharina eines Abends beobachtete, wie sie küssend und lachend in ihrem Zimmer verschwanden, wusste sie, dass sie sich in Dominic verliebt hatte.
Scheiße!