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Da ließ mich sogar der gute alte Makki-Grodno im Stich.
Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, und er hob gebieterisch die Hand.
»Ich sehe, welche Schultern du hast. Ich sehe, welche Beine und Waden du hast. Du wirst genausogut ein Gespann lenken können, wie du Leute schlägst.«
»Fünf ...?«
Er exerzierte es durch. Die fünf Zorca waren nach den Zugtieren des mythischen Larghos Kraneyzendo benannt, die seinen Streitwagen durch Gewitterwolken und Blitzschläge zogen. Die Mythologie Kregens ist sehr umfangreich und kennt die lächerlichsten Geschichten. Doch Larghos' fliegender Streitwagen wurde nur von vier Zorca gezogen. Sie hießen von Backbord nach Steuerbord: Stolz, Kraft, Leidenschaft und Ausdauer.
»Das sind Larghos' vier«, sagte ich. »Was ist mit der fünften?«
Vando legte die Hand auf den Nacken der fünften Zorca und streichelte sie voller Zuneigung. »Er ist der Anführer. Sein Name ist Baldur.«
Ich zuckte zusammen.
»Der Name meines Vaters«, stieß er fast grollend hervor. »Ein stolzer Name, Drajak, auch wenn du ihn noch nie zuvor gehört haben wirst!«
Nun hatten die Herren der Sterne mir befohlen, auf dieses Gespann zu setzen, also mußten sie etwas über seine Siegeschancen gewußt haben – zumindest war das meine Meinung gewesen. Nun machte sich ein ganz anderer Gedanke in meinem alten Voskschädel breit.
Vando fuhr fort, mir alles zu erklären, also hörte ich zu und lernte. Hin und wieder stellte ich eine Frage. Ich erfuhr, daß sein Großvater Seegfreed ein gewaltiges Vermögen angehäuft und dann die einzige Tochter eines der Neun Autarchen kennengelernt, sich in sie verliebt und sie geheiratet hatte. Es war einiger Hokuspokus nötig gewesen – einschließlich des Sieges beim Preis des Autarchen –, damit Seegfreed zu einem der Neun wurde.
»Er war ein vollkommener Geschichtenerzähler, der uns zum Lachen bringen konnte.«
»Ich nehme an, ihm geht es gut? Es wäre mir eine Ehre, ihn kennenzulernen.«
Das Gesicht des Autarchen verdüsterte sich. »Leider ist das unmöglich, mein Freund. Er ist schon vor einiger Zeit durch die Nebel in die Eiswüsten von Sicce gegangen.«
»Ich bin davon überzeugt, daß er es in die dahinterliegenden sonnigen Hochländer geschafft hat.«
»Aye. Er mußte oft wegen geschäftlicher Dinge reisen, und die Tragödie geschah in einem fernen Land – Chobishaw.«
Ich nickte. Der König und die Königin von Chobishaw waren gute Freunde von mir.
Seine Miene hellte sich wieder auf. »Du wirst meine Farben tragen, und du wirst deine Waffen zurücklassen müssen. Sie werden gut aufgehoben sein. Hier.«
Einer der jungen Stallburschen reichte mir ein bösartig aussehendes Messer, dessen Klinge die Form einer Sichel hatte. Ich konnte mir denken, wofür das gut war. Sollte der Wagen zertrümmert werden, mußte man sich von den Zügeln freischneiden, bevor einen die galoppierenden Zorcas zu Tode schleiften.
Die fünf prächtigen Zorcas wurden angeschirrt, Baldur in der Mitte und ein Stück weiter vorn, die Flügeltür wurde aufgestoßen, und ich fuhr den Wagen auf die Trainingsrennbahn, die von hohen Mauern umgeben war. Vando gab mir Instruktionen. Sein Gespann kam langsam in Schwung und reagierte auf Berührungen mit der Peitsche.
Ich sah ihn schief an. »Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine Zorca gepeitscht!«
»Gut so.« Er erklärte mir, daß Baldur bei der Berührung mit der Peitsche in den raumgreifenden Rennschritt verfiel. Ich sollte das bis zur achten der neun Runden sein lassen.
Das Gespann war erst vor kurzem eingekauft worden, und seine Qualität war der Bevölkerung unbekannt. Man hatte die Tiere gesehen und sie auf den ersten Blick abqualifiziert.
Dann nahmen wir ein herzhaftes Mahl zu uns. Ich verzichtete darauf, dies als die letzte Mahlzeit eines Verurteilten zu betrachten. Vorsichtig brachte ich Vando dazu, mehr von seinem Großvater zu erzählen, was allerdings nicht schwerfiel, da er den alten Mann geliebt hatte. »Hat er je von lächerlichen ... äh ... irgendwie anderen Welten erzählt, die es außer Kregen geben soll?«
»Und ob! Eine Welt, von der er uns viele Geschichten erzählt hat, war so komisch, daß wir immer lachen mußten. Kannst du dir das vorstellen? Nur eine winzige gelbe Sonne, einen winzigen silbernen Mond und – jetzt kommt's – überhaupt keine Diffs. Nur Apim wie wir! Ha, wir lachten, bis uns die Tränen kamen.«
Das also war die Erklärung. Kein Wunder, daß die Everoinye ein Auge auf Nath Seegfreedhan alias Vando hatten.
Der nächste Gedanke traf mich wie die Kugel eines Zweiunddreißigpfünders mittschiffs. Angenommen, nur einmal angenommen, dieser Vando war wie sein Großvater ein Kregoinye?
Die Zeit für das letzte Rennen nahte heran, und die Vorbereitungen traten in die letzte Phase. Man steckte mich in ein protziges rotes, blaues und gelbes Kostüm, zu dem ein runder Lederhelm gehörte, dessen Spitze von einem Büschel gelber Federn geschmückt wurde.
Die Prozession zur Rennbahn erwies sich als ziemlich pompöse und umständliche Angelegenheit. Eine laute Kapelle marschierte voraus. Die Stallburschen beruhigten die Zorcas, und der Wagen wurde auf einen von Quoffas gezogenen Karren geladen. In silbernen Tüll gehüllte Tanzmädchen warfen Blumen. Die ganze Szenerie verkündete Vergnügen, Glanz und sich steigernde Aufregung. Wein floß in Strömen. Alles lachte und strahlte im strömenden, vermengten Licht der Sonnen von Scorpio.
Ich dachte an die teuflische Rennstrecke – und verdrängte die Vorstellung.
Die neun weißgetünchten Ställe im Startgebäude boten jeweils Platz für einen Wagen, ein Gespann sowie die vielen Zorcaknechte und Helfer. Der aus ihnen dringende Lärm verschmolz mit dem Jubel der Menge und gewann an Lautstärke. Er würde die Welt zum Erbeben bringen, wenn das Rennen anfing. Das Gespann wurde angeschirrt, und Sie können sicher sein, daß ich um jede Zorca herumging, ihr ins Ohr flüsterte und sie beruhigte. Mittlerweile kannten mich die Tiere. Ich stieg in den Wagen, eine schmale Plattform auf zwei Rädern, band mir die Zügel um die Taille, vergewisserte mich, daß das Sichelmesser in Reichweite war, und wandte mich entschlossen dem hellblauen Portal zu, das auf die Bahn führte.
Das Rennen fing nicht sofort an. Die neun Wagen mußten draußen auf einem Platz warten, der die Gebäude und das erste Säulentor verband; es führte auf die eigentliche Rennstrecke. Ich musterte meine Mitstreiter, während die religiöse Zeremonie zu Ehren Midopsort, des Gottes, der über das Glück der heutigen Wettstreiter wachte, sich ihrem gesungenen Abschluß näherte.
Andere Götter wurden nicht geehrt, was offensichtlich politisch begründet und eine große Erleichterung war.
Die rennbegeisterten Zuschauer benutzten einen kregischen Ausdruck für Wagen – Mutrowfer. Auf typisch kregische Art beschrieb dieses Wort eine Vielzahl unvollständiger Bedeutungen. Eigentlich heißt es Staubzermalmer. Allerdings deutet es auch an, daß der Wagen im Staub landet und zermalmt wird. Als Wagenlenker war ich deshalb ein Mutrowferim. Dieser besagte Mutrowferim machte sich zugegebenermaßen Sorgen, welche Bedeutung dieses Wortes auf ihn zutreffen würde, und wie, bei Krun!
Natürlich hieß es abgekürzt Mutfer. Und natürlich hat dieses Wort andere und weitaus unangenehmere Nebenbedeutungen, die damit zu tun haben, sich im Schlamm zu suhlen.
Trompeten schmetterten. Die neun Flaggen wurden in die Höhe gezogen und entfalteten sich klatschend in der Brise. Ein eigentümlicher scharfer Geruch nach Staub stieg mir in die Nase. Ich wischte mir übers Gesicht. Auf das Signal hin fuhren die neun Mutrowfer langsam auf die Startlinie zu.
Neun Trommelschläge würden ertönen. Der letzte Schlag war das Signal zum Start.
Die Lilien nahmen von rechts gesehen die dritte Position ein. Zur Linken zerrten fünf strahlend weiße Zorcas an einem prächtig ausstaffierten Wagen – Larts Chavonths, der Favorit.
Warum dieser Lart als Favorit galt, zeigte sich beim achten Trommelschlag. Der Wagen setzte sich kaum merklich in Bewegung, so daß er beim neunten Schlag bereits leicht rollte und einen phantastischen Start hinlegte. Der Rest von uns schloß sich ihm an. Bereits jetzt hoben und senkten sich Peitschen.
Ein wüstes Gedränge entstand, als jeder versuchte, das Tor zur Rennbahn als erster zu passieren.
Es gab keinen Zweifel: diese Fahrer waren ein Haufen Verrückter!
Die Wagen donnerten los; Hufe trommelten, Räder blitzten, Peitschen knallten, Staub wurde emporgeschleudert.
Ich rief mir Vandos Instruktionen ins Gedächtnis zurück, hielt die Zügel fest und steuerte mein Gespann auf die Mitte zu, ohne um eine Führungsposition zu kämpfen. Der erste, der das Tor durchfuhr, konnte in die erste Kurve der Innenbahn einbiegen und einen Vorsprung erringen. Und schon geschah es: die ganz außen laufende Zorca eines Gespanns kam mit der Steinsäule in Berührung und scheute zur Seite. Der Wagen wirbelte herum. Der Fahrer schwang wild die Peitsche; ein nachfolgender Wagen konnte nicht mehr ausweichen und fuhr direkt in ihn hinein. Beide Wagen zerbarsten. Trümmer sausten durch die Luft. Die Zorcas galoppierten weiter und schleiften die Fahrer hinter sich her, wobei diese verzweifelt versuchten, sich mit den Messern von den Zügeln freizuschneiden. Dem ersten gelang es, der zweite verwandelte sich in ein blutiges Bündel, als entfesselte Zorcahufe in ihn den Boden trampelten.
Und das war erst der Start!
Ich schluckte schwer und überließ es den Lilien, sich selbst einen Weg an den Wracks vorbeizubahnen. Staub aufwirbelnd bogen wir sauber auf die Rennbahn. Vor uns raste das Feld weiter.
Sieben Gespanne donnerten die erste Gerade entlang, die Lilien waren an sechster Stelle. Ich fragte mich, ob ich einen Fehler begangen hatte, der nicht mehr wiedergutzumachen war. Der einzuholende Abstand war beträchtlich. Ein starkes Unbehagen befiel mich.
Dann – wie hätte es auch anders sein können – fing es an zu regnen.
Die Räder drehten sich unablässig, bald spritzten sie zu beiden Seiten Wasserfontänen in die Höhe. Ich hielt die Zügel fest in der Hand und wurde wild durchgeschüttelt. Da wurde mir die Blutpfütze zu meinen Füßen bewußt.
Ich verspürte keinen Schmerz. Sicher, mein Rückgrat fühlte sich an, als würde ein Riese es ständig am Boden zusammenstauchen, mein Schädel wurde geschüttelt wie ein Würfelbecher. Aber die Schmerzen waren nirgends groß genug, um das Blut zu erklären. Die Pfütze wurde größer, als ich schnell einen Blick nach unten warf, während ich damit beschäftigt war, den Wagen zwischen zwei Säulen durchzusteuern, die mit erschreckender Geschwindigkeit vorbeirasten. Blut?
Dicke rote Tropfen lösten sich aus den hellen Streifen, mit denen der Wagen verziert war. Welch billigen Schrott hatte Vando sich da aufschwatzen lassen? In Vallia wird eine Beerenart gezüchtet, die zerstampft und mit den richtigen Chemikalien versehen eine rote Farbe ergibt, die schnell trocknet. Die meisten Länder verfügen über ähnliche Schnellfarben. Diese rote Tünche gehörte nicht dazu – und hatte mir einen gehörigen Schrecken eingejagt. Und so donnerte ich in leuchtendes Rot getaucht, durch die silbrig schimmernden Regenschwaden die Rennbahn entlang.
Die Verfolgungsjagd ging weiter. Ein häßlicher Gedanke hatte sich bei mir festgesetzt. Wie auf der Erde wohlbekannt ist, treten Pferde nicht auf Gegenstände, die sich in ihrem Weg befinden, es sei denn, sie können ihnen absolut nicht ausweichen. Die Zorcas waren einfach über den unglückseligen Wagenlenker drübergetrampelt. Also unterschieden sich diese Tiere, die man speziell für das Wagenrennen gezüchtet hatte, in beträchtlicher Weise von den normalerweise so geduldigen und friedfertigen Geschöpfen, die ich bis jetzt auf Kregen geritten hatte.
Die Manifestation Whetti Orbiums passierte das Land, und der Regen hörte auf. Bedrohlich aussehende graue Wolken verhüllten das Antlitz der Sonnen von Scorpio. Doch während die Wagen die gefährliche Bahn umrundeten, trieben die Wolken langsam weiter, und rubinrotes und smaragdgrünes Licht überflutete alles und brachte den Boden zum Dampfen.
Der Wagen unter mir ruckte fürchterlich. Mehr als einmal wurden meine Füße glatt vom Boden geschleudert, und ich klammerte mich an den Zügeln und der niedrigen Brüstung fest, in der Erwartung, jede Sekunde hinausgeschleudert zu werden. Meine Position veränderte sich nicht. Der Bursche hinter mir machte einen halbherzigen Versuch, mich zu überholen, gab es aber auf und konzentrierte sich auf die Verfolgung. Der begeisterte Lärm der Menge stieg tosend gen Himmel. Ich raste weiter, mit Lehm bespritzt, in rote Farbe getaucht und durchgeschüttelt wie Erbsen in einem Sieb.
Meine Knie fühlten sich wie zermatschte Bananen an. Aus meinen Fußgelenken, die bis jetzt den Eindruck erweckt hatten, als seien sie in geschmolzenes Blei getaucht, floh jedes Gefühl, und ich fragte mich, wie meine Füße mit den Beinen verbunden waren. Bei jeder Furche wurde der Wagen bösartig in die Höhe geschleudert. Der Aufprall war genauso heftig. Sprungfedern? Ha! Zweifellos waren den Erbauern dieser Rennwagen solch unmännliche Mechanismen als viel zu dekadent für den schlammbespritzten Mutrowferim erschienen.
Die tiefen Furchen, die die vorangegangenen Rennen in den Boden gegraben hatten, sorgten meistens dafür, daß die Wagen in der Spur blieben, so daß es sehr schwierig wurde, für ein Überholmanöver auszuscheren. Die zwischen den Säulen befindlichen Furchen steuerten einen durch das Tor, aber nicht unbedingt auf der Position, die man einnehmen wollte. Dieses ganze Rennen war einfach verrückt.
In der vierten Runde hatten sich die Positionen nicht verändert. Ein vor mir fahrendes Gespann unternahm den Versuch, den Anführer des Feldes zu überholen, scheiterte, als dieser absichtlich herumschwenkte, und schaffte es gerade eben, seinen alten Platz wiedereinzunehmen, um nicht an den nächsten Säulen zu zerschellen.
Auf einer so teuflischen Rennbahn zu überholen erwies sich als beinahe unlösbare Aufgabe.
Dennoch – ich mußte vorbei. Die Herren der Sterne hatten den Befehl gegeben.
Wir bogen auf die Gerade ein, wo Start und Ziel von den flatternden Flaggen markiert wurden, und ich ergriff eine winzige Chance. Ich riß an den Zügeln und feuerte Baldur an. Ich gab ihm nicht die Peitsche. Er vernahm es über dem Gebrüll der Menge und reagierte.
Der Wagen machte einen Satz, und einen Augenblick lang kam es mir vor, als würde ich wie Larghos Kraneyzendo durch die Luft fliegen.
Mit wehenden Mähnen und funkelnden, spiralförmig gewundenen Hörnern zogen die galoppierenden Zorcas den Wagen zur Seite und setzten sich neben das vor uns rennende Gespann. Wir donnerten weiter, der gegnerische Wagen blieb Meter um Meter zurück. Ich setzte mich gerade noch rechtzeitig vor ihn, um die herannahenden Säulen passieren zu können.
Erst jetzt konnte ich tief Luft holen. Mein Val! Das war knapp gewesen! Und während ich mich weiter in dem Feld nach vorn kämpfte, vergaß ich keinen Augenblick, daß jedes der vor mir liegenden Gespanne besser als sein Vorgänger sein würde.
In der fünften Runde zog Baldur an derselben Stelle an, und wir überholten den nächsten Wagen.
Nun lagen wir auf der vierten Position.
Als wir aus der Kurve kamen, stieben Funken von den eisenbeschlagenen Rädern in die Höhe, und emporgeschleuderte Steine sausten mit tödlicher Geschwindigkeit durch die Luft. Meine Arme schmerzten, mein ganzer Körper schmerzte, was von meinen Beinen noch übrig war schmerzte – und mein Kopf schmerzte.
Keine Zeit, um sich über solche kleinen Unbehaglichkeiten zu sorgen; es galt, ein Rennen zu gewinnen, bei Krun!
Hier handelte es sich in der Tat um ein Rennen, das ich gewinnen mußte. Ich konnte mir keine Niederlage leisten. Also zur Herrelldrinischen Hölle mit den ganzen Mißhandlungen, denen mein Körper ausgesetzt war!
Die Säulen waren auf raffinierte, um nicht zu sagen sadistische Weise über die Strecke verteilt. Es gab nur eine beschränkte Zahl von Geraden, auf denen ein Überholmanöver durchführbar war. Larts Chavonths führten das Feld an. Dicht dahinter galoppierten Naths Hämmer, also war der geschickte Polsim mit dem Finger in der Nase gar nicht so dumm gewesen, wie seine Zuhörer gedacht hatten. Rolicos Strigicaws verteidigten ihre dritte Position. Ihr Wagenlenker unternahm keinen ernsthaften Versuch zu überholen, und kurz darauf hatten sich meine prächtigen fünf Tiere an seine Fersen geheftet. Naghans Droombs hatten ihren Wagen in jenem ersten selbstmörderischen Ansturm auf die Startsäulen zu Kleinholz verarbeitet.
Die Positionen hatten sich nicht verändert, als wir die Kurve zur sechsten Runde nahmen. In der achten, hatte Vando gesagt. Gib Baldur in der achten Runde einen Stoß – und halt dich fest, als ginge es um dein Leben!
Der Mutrowfer von Miriams Zhantils, die ich überholt hatte, galoppierte hinter mir. Der schlammige Untergrund war in der Hitze der Sonnen noch nicht genug getrocknet, um wieder zermahlen zu werden, deshalb spuckte der Lenker der Autarchin noch nicht meinen Staub aus. Gegen Ende des Rennens – vorausgesetzt, bis dahin war noch ein Wagen im Spiel – würden die Räder dichte Staubwolken aufwirbeln. Nun, Regen, Schlamm, rote Farbe – ein bißchen Staub würde das alles wie ein Schleier überdecken.
Die Zuschauer jubelten weiter. Die Sonnen von Scorpio strahlten ihr strömendes, vermengtes Licht aus. Die Luft roch nach trocknendem Schlamm. Die Gespanne jagten weiter die Rennbahn entlang.
Eine ernsthafte Sorge beschäftigte mich. Larts Chavonths hielten die Spitze. Wieviel Vorsprung durften Baldur und sein prächtiges Gespann ihnen lassen? War dieser Abstand einzuholen?
In der siebten Runde spürte ich, wie Vandos Zorcas den Schritt verlangsamten. Ich konnte es nicht über mich bringen, ihnen die Peitsche zu geben, und Vandos Instruktionen zufolge war es zu früh, sie mit dem Endspurt beginnen zu lassen. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich auf Baldurs treues Zorcahirn zu verlassen und darauf zu vertrauen, daß er wußte, was er tat.
In genau diesem Augenblick preschten Miriams Zhantils lärmend in ihrer ganzen golden und silbern geschmückten Pracht an mir vorbei und setzten sich vor mich.
Bei den baumelnden, entzündeten Augäpfeln und den verstopften haarigen Nasenlöchern Makki-Grodnos! Was zum Teufel hatte Baldur vor? Wir gerieten in eine Reihe von Furchen, die auf die nächsten Säulen zuführten, und ich wurde durchgeschüttelt wie eine Marionette an ihren Fäden. Nach der nächsten Kurve begann die achte Runde. Also gut! Baldur – tu, was du für richtig hältst!
Miriams Zhantils überholten Rolicos Strigicaws und näherten sich im Galopp Naths Hämmern. Der Mutrowferim unternahm zweimal den Versuch, an ihnen vorbeizuziehen, und zweimal wurde er abgeblockt. Beim dritten Versuch kam er vorbei und jagte Larts Chavonths hinterher.
Die Kurve nahte heran. Naths Hämmer scherten aus, und die Peitsche schlug zu. Das Gespann machte einen Satz nach vorn. Die Säulen wurden immer größer. Naths Hämmer rasten stur weiter voran. Ich sah wie gebannt zu. Die eisenbeschlagenen Räder wirbelten mittlerweile Staub auf. Miriams Gespann hielt seine Position. Naths Wagen hielt sein Überholmanöver für den Bruchteil einer Sekunde zu lang aufrecht. Der Fahrer versuchte noch verzweifelt, sein Gespann wieder in die Linie zu lenken, aber er schaffte es nicht. Fünf Zorcas, der Wagen und der Wagenlenker rasten in abscheulicher Weise direkt gegen den Stein.
Der Aufschrei der Zuschauer hallte ohrenbetäubend in den Himmel. Nur mit einem Ruck zur Seite, der uns quer über die Furchen holpern ließ, gelang es Baldur in letzter Sekunde, dem Trümmerhaufen auszuweichen. Die Steinsäulen rasten so schnell an uns vorbei, daß ich sie nur aus den Augenwinkeln wahrnehmen konnte.
Bei Krun! Das war eine schweißtreibende Tätigkeit!
Vor mir lagen Rolicos Strigicaws, Miriams Zhantils und Larts Chavonths; diese Gespanne galt es zu schlagen.
Das war die vorletzte Runde.
Ich tippte vorsichtig mit der Peitsche auf Baldurs Hinterteil.
Wir rasten los wie eine Rakete – das sind die einzigen Worte, die mir einfallen, um es annähernd zu beschreiben. Wir flogen. Die Räder surrten. Eine alles verhüllende Staubwolke stieg hinter uns in die Höhe. Baldur und sein Gespann jagten einfach los.
Mir blieben nur zwei Dinge übrig: mich festzuhalten und Vertrauen zu haben.
Angeführt von dem prächtigen Baldur am Bug, galoppierten Stolz und Kraft an Backbord und Leidenschaft und Ausdauer an Steuerbord, und wir passierten Rolicos Strigicaws und Miriams Zhantils, als würden sie auf der Stelle treten. Wir donnerten die Bahn entlang. Als Larts Chavonths in die letzte Runde einbogen, näherten wir uns ihnen. Baldur streckte sich, und sein Gespann reagierte mit vollendetem Einsatz und Können. Hochgeschleuderter Staub hüllte Larts Wagenlenker ein, als wir überholten. Die Menge raste vor Begeisterung. Die Zielflagge fuhr herunter. Vandos Lilien liefen nach Hause, prächtig, wunderschön, majestätisch.
Danach wurde alles irgendwie verschwommen. Es fand eine Art Siegerzeremonie statt. Man legte den Zorcas Blumengewinde um den Hals, und ich war gerade noch geistesgegenwärtig genug und verlangte, daß man ihnen Decken überwarf. Vandos Stallburschen kamen. Ein teuer gekleideter, großer, schmalgesichtiger Kerl mit einer breiten goldenen Schärpe um die Brust und Federn im Hut kam uns entgegen, als wir unseren Stall betraten. Ich stieg vom Wagen, und meine Beine waren so wackelig, als wäre ich ein ganzes Jahr auf See gewesen.
»Hier, Mutrowferim«, sagte der Mann und hielt mir eine Ledertasche hin. Darin klimperte es. »Silber und auch etwas Gold.«
»Vielen Dank. Wo ist Vando? Wer bist du?«
»Ich bin Nath L'Llonge. Der Autarch Vando wurde fortgerufen.« Er sah mich finster an. »Und du sprichst mich als Notor an, Tikshim, möge Dokerty dir deine Unverschämtheit austreiben!«
Ich schlug ihn nicht; die wahre Welt hatte mich noch immer nicht richtig wieder.
»Notor – wo sind meine Kleidung, meine Waffen?«
Er zeigte beiläufig auf ein paar Kleidungsstücke auf dem Tisch. Sie waren hellgrün.
»Da sind neue Sachen für dich. Ich weiß nicht, wo die alten hingekommen sind.«
Ich holte tief Luft.
Meine Glieder fühlten sich noch immer so an, als hätte man sie durch den Fleischwolf gedreht. Die Everoinye hatten jegliche Gewalt ausdrücklich verboten. Hier war ein vernünftiges Gespräch gefordert, kein Faustkampf.
»Vielen Dank für die Kleidung, Notor. Aber – meine Waffen?«
»Ich habe keine Ahnung, wo deine Waffen sind, Blintz. Jetzt nimm dein Geld und verschwinde!«