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Die Tür führte auf einen Innenhof. Die schräg einfallenden Strahlen der Zwillingssonnen fielen rubinrot und smaragdgrün auf die nördliche Wand. Der Rest des nicht übermäßig großen Hofes wurde in Schatten getaucht; die Mauern ragten drei Stockwerke in die Höhe und wurden von kleinen Fenstern durchbrochen, die in ihrer Form an Schlafsaalfenster erinnerten. Vermutlich befand ich mich in einem Seitenflügel des Hauptgebäudes; zumindest hatte ich durch Vedas Grundriß und das, was ich bis jetzt zu Gesicht bekommen hatte, diesen Eindruck gewonnen.
Die Gruppe trat gerade durch eine Tür auf der gegenüberliegenden Seite, und eine entgegenkommende junge Frau wich zurück. Sie war eine Fristle und trug eine saubere gelbe Schürze über ihrem einfachen Kleid. Ich folgte.
Die Audo bestand aus acht Mann und wurde von einem Dwa-Deldar befehligt. Sie betraten das Gebäude. Die Fristle-Dienerin neigte leicht den Kopf und machte einen Knicks, als wir aneinander vorbeigingen. Da ich ungefähr wußte, wie es an solchen Orten zuging und die Disziplin aufrechterhalten wurde, hielt ich es für vernünftig, den Gruß nicht freundlich zu erwidern.
Hinter der Tür führte eine Schwarzholztreppe nach oben. Die Wände bestanden aus Putz, auf dem hier und da ein Spritzer ockergelbe Farbe verteilt worden war. Es roch nach Staub und Putzmitteln, aber darüber hinaus lag noch ein durchdringender Geruch nach billigem Parfüm in der Luft.
Hier also befanden sich die Quartiere der Dienerinnen des Dokerty-Tempels.
Was hätte ein Unterpriester hier zu suchen gehabt?
Hyslops Kleidung verriet seinen Rang. Ein Bluff – ja, so könnte es gelingen. Ein paar Andeutungen und hochmütiges Benehmen, damit würde ich durchkommen. Falls nicht, nun, dann würde ich mich der acht Wächter, von denen keiner einer der berühmten Diff-Kriegerrassen angehörte, entledigen müssen – und zwar schnell, bei Krun, äußerst schnell!
Am nächsten Treppenabsatz spähte ich vorsichtig um die Ecke und sah, wie der Dwa-Deldar eine Tür auf der mir zugewandten Seite des Korridors öffnete. Seine Männer brachten das Mädchen herein und kamen kurze Zeit später wieder hinaus. Die Tür wurde geschlossen, ein Mann als Wache eingeteilt, und die Audo marschierte auf mich zu. Ich merkte mir die Tür. Dann lief ich lautlos die Treppe hinunter und hinaus auf den Hof.
Dort fuhr ich herum, blieb kurz stehen und ging langsam auf die offenstehende Tür zu. Der Deldar trat als erster heraus, erblickte mich, und für den Bruchteil einer Sekunde verzogen sich seine Lippen zu einem winzigen Lächeln. Also würde es – Zair sei Dank – keine Schwierigkeiten geben!
»Notor!« brüllte er in echter Deldar-Art. So, so, diese hochnäsigen Dokerty-Priester ließen sich als Herr ansprechen! Ich hob die Hand ein wenig.
»Deldar!«
Er zog mit seinen Männern weiter, und ich lief, ohne mich einmal umzusehen, die Schwarzholztreppe hinauf.
Zu diesem Zeitpunkt war ich fest entschlossen, mein närrisches Verhalten beizubehalten. Ich würde die vom Schicksal ausgeteilten Karten bis zum bitteren Ende ausspielen.
Wissen Sie, ich wußte ganz genau, wie lächerlich die ganze Angelegenheit war. Für den Zustand des Mädchens gab es jede Menge Erklärungen. Möglicherweise war es bei der Arbeit ohnmächtig geworden. Ja, aber warum hatten die Soldaten es dann auf so brutale Weise mitgezerrt? Außerdem war es eine Hytak gewesen, und Hytak-Frauen sind dafür bekannt, daß sie nicht nur zäh, sondern auch hübsch sind.
Ich weiß, daß ich in meinen Erzählungen oftmals zu beschreiben vergesse, zu welcher der prächtigen Diff-Rassen Kregens die betreffende Person gehört. Aber ein Mensch ist ein Mensch, also gehen Sie nicht davon aus, daß jede von mir erwähnte Person wie ich ein Apim, ein Homo sapiens, ist.
Der Wächter schaute auf, als ich näher kam. Wieder war dieses verstohlene, kaum merkliche Lächeln zu sehen. Ich machte Anstalten, einfach an ihm vorbeizugehen, und tat so, als nähme ich ihn nicht wahr. Er sah mich unverwandt an und stieß in der Swod-Imitation eines Deldar-Brüllens »Notor!« hervor.
Das erschwerte den Versuch, die entscheidende Stelle genau unter seinem Ohr zu drücken. Er riß vor meiner zupackenden Hand den Kopf zurück. Sein Gesicht verriet entsetzten Unglauben, trotzdem griff er nach dem Schwert. Also war ich gezwungen, ihm einen Hieb zu versetzen.
Er brach zusammen. Ich fing ihn auf und setzte ihn behutsam auf dem Boden ab. Er würde hoffentlich lange genug im Land der Träume verweilen, damit ich diese riskante, dumme, völlig absurde Mission, die ich mir auferlegt hatte, zum Abschluß bringen konnte.
Die Tür öffnete sich mühelos. Dahinter befand sich ein billig eingerichtetes Wohn- und Schlafzimmer. Die Frau lag auf dem Bett. Man hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, eine Decke über ihren nackten Körper zu werfen.
Sie schlug die Augen auf, als ich mich näherte.
»Wer ...? Was ...?«
»Alles in Ordnung«, sagte ich in einem bemüht vernünftigen und ruhigen Tonfall. Sie erhob sich halb, krümmte sich zusammen und bedeckte die Brüste mit den Händen. »Ich werde dir nichts tun! Wie ich sehe, steckst du in Schwierigkeiten.«
»Geh weg!« stieß sie heiser hervor und fing an zu zittern.
Weiß Opaz, was ihr in diesem Augenblick durch den Kopf ging. Mit Sicherheit etwas Schreckliches. Ich versuchte zu lächeln. »Ich bin gekommen, um dir zu helfen.«
In der Hoffnung, daß normales Benehmen sie vielleicht beruhigte, sah ich mich in dem schäbigen Zimmer um. Eine Tunika hing über dem Rücken des einzigen Stuhls, und ein Rock lag sorgsam gefaltet auf der Sitzfläche. Ich reichte ihr die Kleidungsstücke, und nach kurzem Zögern zog sie sie an. Was die Unterwäsche anging, so mußte sie sich darum selbst kümmern. »Ich will dir helfen. Wie werden sie dich bestrafen?«
Sie vergoß nur ein paar Tränen. Während sie ihre Geschichte hervorschluchzte, zerrte ich den ohnmächtigen Wächter ins Zimmer und fesselte ihn mit Streifen der Bettlaken. Sie sah entsetzt zu. Allerdings kam mir der – vermutlich eher mitleidlose – Gedanke, daß die entschlossene Art, in der ich mit dem Wächter verfuhr, sie zu der Erkenntnis zwang, daß ihr kein anderer Ausweg mehr blieb. Auf jeden Fall hatte sie nicht um Hilfe gerufen, soviel stand fest.
Als ich ihr zuhörte, erkannte ich mit einem flauen, zu gleichen Teilen aus Entsetzen und Verzweiflung bestehenden Gefühl im Magen, daß ich aus dem Ganzen ein richtiges Leem-Nest gemacht hatte.
O ja, bei Vox! Ich hatte einen Riesenfehler begangen! Trotzdem war ich jetzt für Renata verantwortlich. Ich mußte sie aus dem Tempel schaffen, ungeachtet dessen, was sie war.
»Und Sando, meinen Schatz, werden sie nach Winlan schicken.« Ihre Stimme brach vor Verzweiflung. »Und mich wollen sie nach Tolindrin schicken. Oh, was kann ich nur tun? Sie werden mir Prügel verabreichen, sie werden mir furchtbare Prügel verabreichen.«
Was war dieser Dray Prescot doch für ein verdammter Narr! Hier stand er nun, hatte sich aus inneren Beweggründen dazu verpflichtet, eine junge Frau zu retten, die sich nach dem durch das Prisma der Macht erfolgten Befehl Seiner Erhabenheit in einen tobenden Ibmanzy verwandeln würde!
Dann löste sie das Problem für mich auf einen Streich, wie man in Clishdrin sagt. Nun, um ehrlich zu sein, sie löste es nicht ganz, aber es war zumindest ein Anfang. Sie legte es auf Eis, damit ich es später – natürlich so bald wie möglich – für alle Zeiten lösen konnte.
»Wenn du mir wirklich helfen willst«, sagte Renata in ihrem atemlosen, furchtsamen Tonfall, »bring mich zu meinem Schatz Sando.«
Zu meiner Erleichterung stellte sich heraus, daß sich Sando im Augenblick nicht im Tempel aufhielt, sondern seine Eltern in der Stadt besuchte. Renata vermutete, daß er noch gar nichts von der zwangsweisen Trennung wußte. Die Priester hatten sie für ihre Weigerung, nach Tolindrin zu gehen, noch nicht körperlich bestraft. Sie hatten sie eingeschüchtert und mit ständigen Befehlen, geistigen Manipulationen und Drohungen in die Erschöpfung getrieben.
Nun hatte sie neue Kraft geschöpft. Es war offensichtlich, daß sie sich keine richtigen Gedanken gemacht hatte, wie diese ganzen Verwicklungen möglicherweise enden würden. Sie hatte nur ihren Schatz Sando im Kopf. In seinen schützenden Armen würde alles wieder gut werden.
Der am Boden liegende Wächter stöhnte leise. Also wurde es Zeit, etwas zu unternehmen.
»Zieh das hier an.« Der Umhang wies ein dunkelrotes, dunkelblaues und hellgrünes Muster auf. Er gefiel mir nicht, und ich fand, daß er sehr auffällig war. Renata hatte jedoch keinen anderen Umhang. Sie besaß aber ein braunes Cape. Und das befahl ich ihr anzuziehen.
Wie viele Frauen, die Schlimmes durchgemacht haben und feststellen, daß ihr Leben nach einem Verrat, Ruin oder Verlust weitergeht, wollte Renata nicht verstummen. Sie plapperte unaufhörlich. Die Schleusen waren geöffnet, und es ergoß sich ein Wortschwall an Vorwürfen und Beschimpfungen aus ihrem Mund. Wir eilten die Treppe hinunter, verließen das Gebäude, überquerten den Hof – sie hatte das Nötigste in einem Beutel verstaut –, traten durch ein in der Mauer eingelassenes Holztor in einen weiteren kleineren Hof – und während der ganzen Zeit war sie nicht einen Augenblick lang zur Ruhe gekommen. In der dem Durchgang gegenüberliegenden Ziegelsteinmauer gab es einen steinernen Torbogen.
Renata unterbrach ihren Monolog gerade lange genug, um mir zu erklären, daß es sich hier um ein Händlertor handelte. Ein gelangweilt aussehender Fristle, der eine schlecht sitzende Uniform trug und einen Speer hielt, lehnte träge an der Mauer und stocherte mit einem schwarzen Fingernagel zwischen den Zähnen herum.
Da mir die innere soziale Rangordnung dieses Höllentempels unbekannt war, ging ich vorsichtshalber von der Annahme aus, daß ein Priester für gewöhnlich nicht diesen Hintereingang benutzte, um mit einer Dienerin loszuziehen. Die Entscheidung, dem Wächter als anmaßender, herrschsüchtiger und allgemein widerwärtiger Bursche gegenüberzutreten, kam von selbst. Bestimmt verhielten sich an diesem erbärmlichen Ort alle so.
Renatas brauner Umhang hatte keine Kapuze. Aus dem Regen war ein beständiges Nieseln geworden, also konnte sie sich unauffällig ihren Schal um den Kopf binden und ihn so weit hinunterziehen, daß ihr Gesicht fast völlig im Schatten lag.
Der Wächter versuchte Haltung anzunehmen, als wir näher kamen.
Ich widmete ihm einen Blick voller Strenge und gewohnter Autorität. »Nun?« stieß ich hervor.
Renata blickte mit abgewandtem Kopf nach unten. Der Fristle beeilte sich, die in dem Haupttor befindliche kleine Pforte zu öffnen. Ich schritt als erster hindurch, und Renata folgte mir. Ein von einem Mytzer gezogener Wagen hatte gerade angehalten, und der Fahrer, ein Relt, stieg wieder zurück auf den Kutschbock, als er den Wächter sah. Er winkte, und der Fristle öffnete mit einem Schulterzucken das Tor. Renata und ich verschwanden im beständigen Nieselregen.
Sie schwieg nun, und wir schritten über die regennasse Straße und versuchten, den Pfützen auszuweichen. Dann überließ ich ihr die Führung, und wir eilten so schnell, wie ich es für unverdächtig hielt, zum Elternhaus ihres Schatzes Sando. Arme Renata! Durch diese Tat konnte ich sie aus den unmittelbaren Schwierigkeiten ausklammern, die mich von allen Seiten bedrängten. Doch sie würde ein Teil des größeren und wesentlich schwerwiegenderen Problems der verdammten Ibmanzys bleiben. Wie ich bereits gesagt habe, arme Renata!
Da kam mir ein Gedanke, der in letzter Konsequenz furchtbar war.
Mein Val! Die schreckliche Bedrohung durch diese Dämonen aus der Hölle war so ernst, daß ich Renata eigentlich auf der Stelle hätte töten müssen. Das heißt, am besten wartete ich, bis wir bei ihrem Sando waren, dann konnte ich beide töten. Sie mußten so bald wie möglich sterben, damit ihnen keine Gelegenheit blieb, sich in tollwütige Ungeheuer zu verwandeln.
Das einfältige Gesicht, das ich der Welt zeigte, verhärtete sich zu einer Henkersmaske. Natürlich war ich zu einer solchen Tat nicht fähig. Oder etwa doch?
Die Nähe dieser Begegnung mit einem potentiellen Ibmanzy verdeutlichte mir erneut und mit erschütterndem Nachdruck die lebenswichtige Notwendigkeit, dieses opazverfluchte Prisma der Macht zu finden und zu beseitigen. Auf diese Weise konnte man die Bedrohung ausschalten, die Renata und ihr Sando darstellten. Das war die einzig richtige Handlungsweise.
Sollte die Angelegenheit jedoch einen anderen und häßlicheren Verlauf nehmen, würde die Pflicht mich dazu zwingen, dementsprechend zu handeln. Da gab es keinen Zweifel, absolut nicht, bei Krun!
Als wir die regenglänzenden Straßen entlanggingen, sandte die Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln ihr strömendes rosafarbenes Licht aus und schuf rosige Schatten. Mir kam ein verlockender, bösartiger Einfall. Eine verführerische Idee, eine faszinierende Möglichkeit, diese Dokerty-Kultisten mit ihrer eigenen Varter abzuschießen. Beim Schwarzen Chunkrah! Welch wunderbarer Geistesblitz!
Sobald das Prisma der Macht in unserer Hand war, warum es nicht dazu benutzen, alle mit dem Keim des Bösen versehenen Opfer Prebayas und Caneldrins in Ibmanzys zu verwandeln?
Diese Idee hatte einen bösartigen Reiz. Trotzdem kam das natürlich überhaupt nicht in Frage. Damit würde man das bis jetzt schwelende Feuer der Zerstörung, das bald auf dem Subkontinent ausbrechen würde, nur noch weiter anfachen.
Veda hatte nicht sagen können, wie viele Leute mit dem Ibmanzy-Keim versehen worden waren. Sie war allerdings davon überzeugt, daß es sich um eine ordentliche Anzahl handelte. Sie hatte auch nicht gewußt, welches Datum für ihren Einsatz festgelegt worden war. Überrascht hatte mich das nicht, bei Krun! Der Hohepriester Dokertys, der spitznasige und schmallippige Cramph, der sich Seine Erhabenheit nennen ließ, wußte es vermutlich selbst nicht. Nur eine Person mochte das genaue Datum wissen, und zwar diejenige, die es festsetzte. O ja, die mächtige Regentin C'Chermina wußte sicherlich, wann ihre Pläne ausreichend herangereift waren, damit sie eine Entscheidung treffen konnte.
Die Regentin wollte sowohl Tolindrin im Süden als auch Winlan im Nordwesten erobern. Die Entfernungen, die zurückgelegt werden mußten, waren beträchtlich. Zweifellos würden einige der potentiellen Ibmanzys mit Schwebern transportiert werden; die Flugboote waren dazu in der Lage, die Strecken in kürzester Zeit zu überbrücken. Aber ich ging jede Wette ein, daß die Mehrzahl von ihnen den Landweg benutze. Einige würden vielleicht per Schiff reisen. Das Ergebnis blieb sich jedoch gleich, es würde einige Zeit verstreichen, bevor C'Cherminas Vorbereitungen abgeschlossen waren.
In dieser Atempause mußten wir zuschlagen.
Kurz bevor wir unser Ziel erreichten, kam ich zu dem Schluß, daß es technisch gesehen nicht richtig war, die bedauernswerten Menschen, die die durch Qualen herbeigeführte Initiation durchgemacht hatten, als Ibmanzys zu bezeichnen. Sie würden Ibmanzys werden, wenn sich die Dämonen ihrer Körper bemächtigten. Sie waren mit einem dämonischen Keim versehen worden, der sie zu Besessenen machte. Besessene – das war wirklich ein passender Name für sie. Als man uns in das Haus ließ und Renata dankbar schluchzend ihrem Sando in die Arme fiel, mußte ich daran denken, daß dieses Paar wie alle anderen Besessene auch Verdammte waren. Sie waren Verdammte, es sei denn, mir gelang es irgendwie, das Prisma der Macht in meinen Besitz zu bringen.
Sandos Eltern waren ausgegangen. Er war überrascht, daß sich ein Priester so offensichtlich gegen die Gebote des Tempels stellte, und sah entschieden ängstlich aus. Renata zeigte, daß sie, auch wenn sie keine zweite Veda war, durchaus über einen eigenen Willen verfügte. »Ich glaube nicht, daß er tatsächlich ein Priester ist, Sando. Aber er hat uns geholfen. Wir wissen nicht, in wessen Schuld wir stehen.«
Daraufhin stellte ich mich ihnen als Larghos Nath H'Harmen vor, die Kurzform eines Namens, dem ein kometenähnlicher Schwanz an Silben anhing und der mit einem Sturboin endete. Ich behauptete, gewöhnlich die Doppelinitiale zu benutzen, und ja, ich sei ein Priester Dokertys, der den Glauben an Seine Erhabenheit verloren habe.
Auch Sando hatte keine Erinnerung an die Qualen seiner Initiation. Genau wie Renata war ihm die Erfahrung als heilige Offenbarung im Gedächtnis haften geblieben. Keiner von ihnen wußte, daß Seine Erhabenheit und C'Chermina ihre Vernichtung planten.
Ich konnte ihnen nur alles Gute wünschen, Remberee sagen und gehen.
Zurück im Harland-Schweber, schlüpfte ich wieder in meine Sachen, die ich aus ihrem Versteck im Stuhl zog, dann zerrte ich den armen alten Hyslop aus dem engen Geschirrschrank. Er schlief tief und fest. Trotzdem versetzte ich der besagten Stelle unter seinem Ohr noch einen zusätzlichen Druck, damit er in der Zeit, die es dauerte, ihn von seinen Fesseln zu befreien und ihn wieder anzuziehen, nicht erwachte. Tischdecke und Vorhangkordel kamen zurück dahin, wo sie hingehörten. Dann schüttete ich ihm etwas herben Wein ins Gesicht, legte seinen Oberkörper auf den Tisch, nahm ebenfalls die Pose eines Betrunkenen ein und wartete.
Schließlich rührte er sich. »Was ...? Wo ...!« murmelte er.
Ich setzte mich leicht schwankend auf. »Du bist ein guter Freund, Hyslop. Aber als du gegangen bist ...«
»Gegangen? Ich?«
»Oh, aye. Du bist zurückgekommen und hast nicht gesagt, was passiert ist. Ich glaube, da steckt ein Mädchen dahinter. Dann bist du eingeschlafen. Ich war die ganze Zeit hier allein.«
Es war eine wahre Freude, sein Erstaunen zu sehen. Verdammter Dokerty-Säufer!
Am Ende überzeugte er sich selbst. Sie dürfen nicht glauben, daß ich mir große Gedanken machte, was er nun für die Wahrheit hielt oder nicht, bei Krun. Er verabschiedete sich und schwor, sich wunderbar amüsiert zu haben, auch wenn er sich nicht an alle Einzelheiten erinnern konnte. Wir sagten einander Remberee und gingen im rosig-goldenen Licht der Frau der Schleier, das die noch immer regennassen Straßen Prebayas zum Funkeln brachte, in entgegengesetzte Richtungen davon.
Was also hatte ich erreicht? Nichts! Eine große runde, dicke Null. Äußerst niedergeschlagen schlug ich den Weg zur Botschaft ein. Es mußte für einen mutigen Abenteurer doch einen Weg geben, in den Tempel einbrechen und das Prisma der Macht stehlen zu können. Es mußte möglich sein. Ich brauchte lediglich wieder von vorn anzufangen. Und was den Teil mit dem mutigen Abenteurer betraf: Im Augenblick hatte ich, Dray Prescot, wirklich nicht den Eindruck, einer von ihnen zu sein, bei Krun!