Der Baulöwe sah nicht gerade aus wie Donald Trump. Zum einen war er älter – mindestens Mitte fünfzig – und korpulent, und außerdem wurde er kahl. Er war einer der größten Bauherren auf Long Island, wie er immer wieder betonte. Reich, aber nicht so reich wie Trump.
Und er schwitzte. Jack überlegte, ob Donald Trump schwitzte. Vielleicht transpirierte der, aber er würde niemals schwitzen.
Der Name des Typen war Oscar Schaffer und ihm gefiel der Treffpunkt nicht.
»Ich hatte erwartet, wir würden dieses Gespräch in privaterer Umgebung führen«, sagte er.
Jack sah zu, wie er ein weißes Taschentuch hervorholte und sich den Schweiß von der Stirn wischte. Es hieß, Schaffer habe als Bauarbeiter angefangen, sei ins Immobiliengeschäft gewechselt und habe dann ein Vermögen mit Fertighäusern gemacht. Auch wenn Formulierungen wie ›privatere Umgebung‹ zu seinem Wortschatz gehörten, klang in seiner Sprache doch immer noch die Gosse mit. Und er trug ein Taschentuch bei sich. Jack fiel niemand aus seinem Umfeld ein, der ein Stofftaschentuch benutzen würde – wahrscheinlich kannte er nicht einmal jemanden, der überhaupt eines besaß.
»Privater als hier bekommen Sie es nirgends«, erwiderte Jack und blickte vielsagend auf die leeren Tische um sie herum. »Julios ist kein Laden, in den man zum Frühstücken geht.« Stimmen drangen von der Bar auf der anderen Seite des riesigen Raumteilers herüber, auf dem lauter vertrocknete Topfpflanzen standen. »Außer man nimmt sein Frühstück in flüssiger Form zu sich.«
Julio stolzierte mit einer Kaffeekanne um den Raumteiler. Der gedrungene Vierzigjährige wirkte in seinem engen ärmellosen Hemd grotesk muskulös. Er war rasiert, mit frisch gestutztem Schnurrbart, und das wellige Haar war glatt nach hinten geölt. Er roch nach einem neuen Rasierwasser, noch süßlicher als üblich.
Jack räusperte sich, als Julio seine Tasse nachfüllte und Schaffer ohne zu fragen eingoss.
»Mein Gott, Julio, wie riecht das?«
»Das Parfüm? Brandneu – nennt sich Midnight.«
»Vielleicht sollte man es auch nur dann benutzen.«
Julio grinste. »Denkste. Die Hasen stehen drauf, Mann.«
Nur wenn sie den Tag im Hasenstall verbracht haben, dachte Jack, behielt das aber für sich.
»Ist der Kaffee entkoffeiniert?«, fragte Schaffer. »Ich trinke nur entkoffeinierten Kaffee.«
»Gibt’s hier nicht«, sagte Julio, als er die Tasse vollgegossen hatte. Er stolzierte zur Bar zurück.
»Langsam wird mir klar, warum es hier so leer ist«, sagte Schaffer und sah hinter Julio her. »Der Kerl ist ausgesprochen unverschämt.«
»Das ist sonst nicht seine Art. Aber er hat in letzter Zeit sehr daran gearbeitet.«
»Ach ja? Nun, dann sollte jemand mal den Besitzer darüber informieren, wie der sich benimmt.«
»Er ist der Besitzer.«
»Wirklich?« Schaffer wischte sich wieder über die Stirn. »Ich sag Ihnen, wenn dieser Laden mir gehören würde, dann …«
»Das tut er aber nicht. Und wir sind auch nicht hier, um übers Kneipengeschäft zu reden, oder doch?«
»Nein« Schaffer wirkte plötzlich nervös. »Ich bin mir nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee war.«
»Kein Problem. Sie haben es sich anders überlegt. Kein Thema.«
Ein kleiner Prozentsatz der Klienten, die so weit gekommen waren, bekam kalte Füße, wenn es darum ging, Handyman Jack zu erklären, was er für sie in Ordnung bringen sollte. Jack ging aber nicht davon aus, dass Schaffer jetzt einen Rückzieher machen würde. Dazu war er nicht der Typ. Aber er würde vermutlich erst mal um den heißen Brei herumreden.
»Sie sind eigentlich nicht das, was ich erwartet hatte«, meinte Schaffer.
»Das bin ich nie.«
Meistens erwarteten seine Klienten entweder eine Art strahlenden Charles Bronson oder einen wirklich schmierigen Typen. Auf jeden Fall aber jemanden, der größer war. Niemand empfand Jacks drahtige, mittelgroße Gestalt, das schulterlange braune Haar und die sanften braunen Augen als besonders bedrohlich. Es war schon deprimierend.
»Aber Sie sehen aus wie … wie ein Yuppie.«
Jack sah an sich runter auf das dunkelblaue Hilfiger-Polohemd, die beigefarbene Hose und die bloßen Füße in den braunen Slippern.
»Wir sind hier an der Upper West Side, Mr Schaffer. Dem Mekka der Yuppies. Und man sollte sich immer den lokalen Gebräuchen anpassen.«
Schaffer nickte grimmig.
»Es geht um meinen Schwager. Er prügelt meine Schwester.«
»So etwas kommt immer wieder vor.«
Die Leute kamen nur selten wegen familiärer Probleme zu Jack, aber es war auch nicht der erste prügelnde Ehemann, mit dem er fertig werden sollte. Er dachte an Julios Schwester. Deren Ehemann hatte sie auch geprügelt. So hatte Jack Julio kennengelernt. Und seitdem waren sie Freunde.
»Mag sein. Aber ich hätte nie gedacht, dass Celia so etwas passieren könnte. Sie ist so …« Seine Stimme verebbte.
Jack sagte nichts. In einem solchen Moment schwieg er und hörte nur zu. Auf diese Weise konnte er den Klienten besser einschätzen.
»Ich versteh das einfach nicht. Gus schien ein wirklich feiner Kerl zu sein, als sie noch miteinander ausgingen und verlobt waren. Ich mochte ihn. Er war ein Angestellter, festes Gehalt, er musste sich nicht die Hände schmutzig machen, eben alles, was ich für Celia wollte. Ich hab ihm seinen Job verschafft. Er hat Karriere gemacht. Und trotzdem schlägt er sie.« Schaffers Lippen wurden zu einem dünnen Strich, als sie sich über seinen Zähnen spannten. »Verdammt, er prügelt sie grün und blau. Und wissen Sie, was das Schlimmste dabei ist? Sie lässt es sich gefallen! Sie erträgt es seit zehn Jahren!«
»Es gibt Gesetze«, erwiderte Jack.
»Ja. Sicher gibt es die. Aber dazu muss man Anzeige erstatten. Celia weigert sich, das zu tun. Sie nimmt ihn in Schutz, argumentiert, dass er unter Druck steht und manchmal die Kontrolle verliert. Sie sagt, meistens sei es ihre Schuld, weil sie ihn wütend macht, und das sollte sie nicht tun. Können Sie sich so eine Scheiße vorstellen? Eines Abends kam sie in meine Wohnung mit zwei blauen Augen, einem geschwollenen Kiefer und Würgemalen am Hals. Da hab ich die Nerven verloren. Ich bin zu ihrer Wohnung gefahren und wollte ihn eigenhändig umbringen. Er ist ein kräftiger Kerl, aber ich bin zäh. Und ich bin mir sicher, er hat es noch nie mit jemandem zu tun gehabt, der zurückschlägt. Als ich tobend wie ein Wilder bei ihm ankam, wartete er bereits auf mich. Er hatte einige seiner Nachbarn dabei und stand mit einem Baseballschläger hinter dem Gartenzaun. Er sagte, falls ich ihn angreife, würde er sich wehren, dann die Bullen rufen und mich wegen Nötigung und Körperverletzung anzeigen.
Ich hab ihm gesagt, wenn er meiner Schwester noch einmal zu nahe kommen sollte, gäbe es in seinem ganzen Körper nicht einen heilen Knochen mehr, mit dem er das Telefon bedienen könnte.«
»Das klingt, als hätte er gewusst, dass Sie kommen.«
»So war es auch! Das ist ja das Irre! Er wusste es, weil Ceil ihn von meiner Wohnung aus angerufen hat, um ihn zu warnen! Und am nächsten Tag schickt er ihr Rosen, erzählt ihr, wie sehr er sie liebt, schwört ihr, dass es nie wieder vorkommt, und sie rennt zu ihm zurück, als hätte er ihr einen großen Gefallen getan. Können Sie das verstehen?«
»Aber es spricht doch nichts dagegen, dass Sie sich selbst einen Baseballschläger besorgen und ihn in einer dunklen Seitenstraße oder auf einem Parkplatz abpassen.«
»Als hätte ich das nicht schon überlegt. Aber ich habe ihn bereits bedroht – vor Zeugen. Sollte ihm etwas passieren, bin ich der Hauptverdächtige. Und ich kann es mir nicht leisten, dass man wegen einer Straftat gegen mich ermittelt. Ich meine, ich muss auch an meine Familie und mein Geschäft denken. Ich will meinen Kindern etwas hinterlassen. Wenn ich Gus eine Abreibung verpasse, lande ich im Knast, Gus verklagt mich auf Schmerzensgeld, bis ich keinen roten Heller mehr habe, meine Frau und meine Kinder landen auf der Straße und Gus macht sich dann in meinem Haus breit. Ein tolles Rechtssystem haben wir da!«
Es gab eine lange Pause. Jack wartete geduldig. Es war ein immer wiederkehrender Teufelskreis – der sein Geschäft am Laufen hielt.
Schließlich sagte Schaffer: »Ich schätze, an dieser Stelle kommen Sie ins Spiel.«
Jack trank einen Schluck Kaffee.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen kann. Ihn windelweich zu prügeln wird nichts ändern. Scheint so, als hätte Ihre Schwester ein mindestens ebenso großes Problem wie er selbst.«
»Bestimmt. Ich habe mit mehreren Therapeuten darüber geredet. Man nennt das Co-Abhängigkeit oder so ähnlich. Ich will gar nicht so tun, als würde ich das verstehen. Ich schätze, für Ceil wäre es das Beste, wenn Gus plötzlich einen tödlichen Unfall hätte.«
»Sie haben wahrscheinlich recht«, meinte Jack.
Schaffer starrte ihn an. »Soll das heißen, Sie …?«
Jack schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Aber ich dachte …«
»Passen Sie auf. Manchmal mache ich einen Fehler. Wenn das passiert, möchte ich in der Lage sein, das wieder geradezubiegen.«
Schaffers Gesichtsausdruck schwankte zwischen Enttäuschung und Erleichterung und entschloss sich schließlich doch für Erleichterung.
»Wissen Sie«, sagte er mit einem knappen Lächeln, »auch wenn ich Gus wirklich gern tot sehen würde, bin ich doch froh, dass Sie das gesagt haben. Ich meine, wenn Sie gesagt hätten, dass Sie es tun würden, dann hätte ich Ihnen wahrscheinlich den Auftrag dazu gegeben.« Er schüttelte den Kopf und blickte zur Seite. »Es ist schon ziemlich erschreckend, wozu man getrieben werden kann.«
»Es geht um Ihre Schwester. Jemand tut ihr weh. Sie wollen, dass das aufhört, aber Sie können es nicht selbst tun. Man kann sich leicht vorstellen, wie Sie sich fühlen.«
»Können Sie mir helfen?«
Jack leerte seine Kaffeetasse und ließ sich nach hinten sinken. Durch das schmutzige Fenster zur Straße hinaus sah er zwischen den Blumenkübeln mit den vertrockneten Pflanzen hindurch elegant gekleidete Frauen, die Kinderwagen schoben, und Kindermädchen, die die Kinder anderer Leute durch das strahlende Morgenlicht kutschierten.
»Ich glaube, nein. Häusliche Gewalt ist an sich schon ein heikles Pflaster und die Situation ist Ihrer Beschreibung nach nicht nur heikel, sondern ziemlich bizarr. Das ist nicht mein Metier. Nicht die Art von Situation, in der meine Dienste hilfreich wären.«
»Ich verstehe, was Sie meinen. Ich weiß, dass beide eine Therapie brauchen – zumindest Ceil. Bei Gus bin ich mir nicht so sicher. Ich glaube, da kann auch kein Therapeut mehr helfen. Ich hab das Gefühl, Gus gefällt es, Ceil zu verprügeln. Es gefällt ihm zu sehr, um damit aufzuhören, egal, was passiert. Aber ich werde es trotzdem weiter versuchen.«
»Ich hatte nicht den Eindruck, als ob er zu einem Psychiater gehen würde, nur weil Sie oder jemand anderes ihm dazu raten.«
»Wohl nicht. Aber falls er sowieso im Krankenhaus wäre …« Schaffer hob eine Augenbraue und hoffte offensichtlich darauf, dass Jack den Satz beenden würde.
Jack überlegte, dass das eine ziemlich idiotische Idee war, als Julio mit der Kaffeekanne zurückkam. Julio füllte Jacks Tasse auf, aber Schaffer hielt die Hand über seine Tasse.
»Sagen Sie mal«, meinte Schaffer und deutete auf die vertrockneten Pflanzen im ganzen Raum, »kommen Sie jemals auf die Idee, die Pflanzen zu gießen?«
»Wieso denn?«, fragte Julio. »Die sind doch alle hinüber.«
Der Baulöwe riss übertrieben überrascht die Augen auf. »Oh. Ja. Natürlich.« Als Julio wieder ging, beugte er sich über den Tisch zu Jack hinüber. »Haben diese ganzen toten Pflanzen irgendeine Bedeutung?«
»Nicht in religiöser Hinsicht, wenn Sie das meinen. Es ist nur so, dass es Julio nicht gefällt, was für Leute immer häufiger seine Kneipe frequentieren.«
»Nun, mit all diesen toten Pflanzen wird das Niveau hier nicht besser.«
»Nein. Sie verstehen nicht. Er will es unten halten. Die Yuppies finden den Laden hier schick und breiten sich immer mehr aus. Er versucht, die wieder loszuwerden. Das hier war immer eine Kneipe und ein Imbiss für einfache Arbeiter. Diese ganzen Jungschnösel vergraulen ihm die alten Kunden. Julio und seine Aushilfe behandeln sie wie den letzten Dreck, aber die finden das einfach toll. Er lässt die Pflanzen eingehen und die halten das für eine tolle Atmosphäre. Das macht den armen Kerl wahnsinnig.«
»Gegen Sie scheint er aber nichts zu haben.«
»Wir kennen uns schon lange, lange Zeit.«
»Wirklich? Wie …?«
»Kommen wir zurück auf Ihren Schwager. Glauben Sie wirklich, falls er selbst zum Opfer von physischer Gewalt würde und eine Weile an ein Krankenhausbett gefesselt wäre, hätte er plötzlich ein Einsehen und würde versuchen, therapeutische Hilfe zu bekommen?«
»Es wäre einen Versuch wert.«
»Nein, wäre es nicht. Sparen Sie sich Ihr Geld.«
»Na ja, wenn er nicht selbst auf den Gedanken kommt, könnte ich ja einem der Arzte einen Tipp geben und vielleicht dafür sorgen, dass einer der Krankenhaustherapeuten ihn sich mal ansieht, solange er dort ist.«
»Und Sie glauben wirklich, das würde irgendwas ändern?«
»Ich weiß es nicht. Ich muss etwas versuchen, ohne ihn sofort umzubringen.«
»Und was, wenn dieses ›etwas‹ nicht hilft?«
Schaffers Gesicht wurde ausdruckslos, der Blick düster.
»Dann muss ich einen Weg finden, ihn aus Ceils Leben zu schaffen. Endgültig. Auch wenn ich es selbst tun muss.«
»Ich dachte, Sie machen sich Gedanken um Ihre Frau und Ihre Karriere.«
»Verdammt, sie ist meine Schwester!«
Jack dachte an seine eigene Schwester, die Kinderärztin. Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand sie zusammenschlug. Er würde es nicht mehr als einmal probieren. Sie hatte einen braunen Gürtel in Karate und ließ sich von niemandem etwas vorschreiben. Wenn einer das versuchen sollte, dann würde sie ihn entweder selbst windelweich prügeln, oder ihren anderen Bruder, den Richter anrufen, der einen in endlosen juristischen Querelen ersaufen ließ. Vielleicht auch beides.
Aber wenn sie ein anderer Typ wäre, und wenn jemand sie regelmäßig schlagen würde …
»Na gut«, sagte Jack. »Ich weiß, ich werd’s bereuen, aber ich werde mir die Sache ansehen. Ich verspreche nichts, aber ich werde zusehen, ob es etwas gibt, was ich tun kann.«
»Danke. Vielen …«
»Eine Hälfte jetzt, die andere Hälfte, wenn ich den Auftrag ausgeführt habe.«
Schaffer hielt mit irritierter Miene inne.
»Aber Sie haben ja noch nicht einmal zugesagt, dass Sie den Job annehmen.«
»Es kann Wochen dauern, die Dinge in Erfahrung zu bringen, die ich wissen muss, um diese Entscheidung zu treffen.«
»Was müssen Sie denn wissen? Wie wäre es …?«
»Wir verhandeln hier nicht. So sind die Regeln. Akzeptieren Sie oder lassen Sie es sein.«
Jack hoffte, er würde sich für Letzteres entscheiden. Und einen Augenblick lang sah es auch so aus.
»Sie verlangen von mir, mit verbundenen Augen zu würfeln. Und Sie haben alle Asse.«
»Sie bringen zwar Ihre Metaphern durcheinander, aber Sie haben das Prinzip begriffen.«
Schaffer atmete seufzend aus. »Was soll’s!« Er griff in seine Brusttasche und warf einen Umschlag auf den Tisch. »Da!«
Jack verbarg seinen Widerwillen keineswegs, als er den Umschlag ungeöffnet in sein Hemd steckte. Er zog einen Notizblock und einen Stift aus seiner Tasche.
»Na gut. Dann kommen wir zum Wer und Wie.«
Jack rieb sich die Augen, während er auf seinem Campingstuhl saß und darauf wartete, dass die Castlemans nach Hause zurückkehrten. Das war jetzt seine dritte Nacht hier und bisher hatte er nicht das Geringste gesehen, das auch nur entfernt auf häusliche Gewalt hindeutete. Oder überhaupt von Interesse wäre. Das waren keine interessanten Leute. Von Vorteil war, dass sie weder Kinder noch Hunde hatten, und einen Garten, der von Bäumen und hohen Sträuchern umgeben war. Ideale Voraussetzungen für eine Überwachung.
Am Montag war Ceil nach der Schule nach Hause gekommen. Sie unterrichtete die vierte Klasse in einer örtlichen Grundschule. Sie betrat das doppelstöckige Haus, ging in das riesige Wohnzimmer, um das sich alle anderen Räume gruppierten, schaltete den Fernseher an und goss sich einen Wodka ein. Sie war eine kleine, zerbrechlich aussehende Frau, mit Haaren, die ein paar Schattierungen zu blond waren, um als natürliche Haarfarbe durchzugehen. Sie sah sich eine Stunde lang irgendwelche Seifenopern an, rauchte in dieser Zeit drei Zigaretten und trank einen weiteren Wodka. Dann begann sie, die Zutaten für das Abendessen vorzubereiten. Ungefähr um halb sechs kam Gus Castleman nach einem anstrengenden Bürotag bei Borland Industries nach Hause. Er war ein Hüne, sicher über einsneunzig groß, sicher über hundertzwanzig Kilo schwer, mit kurz geschnittenem rötlichem Haar, rundem Gesicht und eng beieinander stehenden Augen. Sein Bauch wölbte sich deutlich über die Gürtelschnalle. Er zog seinen Mantel aus, grunzte Ceil ein Hallo entgegen und ging direkt zum Kühlschrank, nahm zwei Budweiser Light heraus und setzte sich vor die Nachrichten. Als das Essen fertig war, kam er zum Tisch herüber und sie aßen und sahen gleichzeitig weiter fern. Nach dem Essen wurde ebenfalls weiter ferngesehen. Gus schlief kurz nach zehn ein. Ceil weckte ihn nach den Spätnachrichten und sie gingen gemeinsam zu Bett.
Dienstag war es genauso.
Mittwoch trank Ceil wieder ihre Wodkas vor dem Fernseher, aber sie bereitete nichts für das Abendessen vor. Stattdessen zog sie ein schickes Kleid an und fuhr weg. Als Gus nicht nach Hause kam, ging Jack davon aus, dass sie zum Essen aus waren. Mittlerweile war es beinahe elf Uhr und sie waren noch nicht zurück. Jack blieb, wo er war, und wartete.
Warten. Das war immer der unangenehme Teil. Aber Jack hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, dass er sich über alles Gewissheit verschaffen musste, bevor er etwas unternahm. Schließlich logen die Menschen. Jack belog fast alle Leute tagtäglich. Schaffer konnte auch über Gus Lügen erzählt haben. Vielleicht wollte er ihn für etwas drankriegen, was gar nichts mit seiner Schwester zu tun hatte.
Oder vielleicht belog Ceil auch ihren Bruder, vielleicht erzählte sie ihm ja, dass Gus sie so zugerichtet hatte, obwohl es tatsächlich jemand ganz anderes gewesen war, mit dem sie nebenbei eine Affäre hatte. Jack musste sicher sein, dass Gus wirklich der Böse in dieser Sache war, bevor er etwas gegen ihn unternahm.
Bislang war Gus nur ein Langweiler. Das rechtfertigte noch nicht, ihn krankenhausreif zu schlagen.
Beim Geräusch eines Wagens in der Auffahrt glitt Jack aus seinem Campingstuhl und schob sich in die Büsche, die rund um die Garage gepflanzt waren. Der Wagen stand in der Auffahrt. Er erkannte die Stimme von Gus, als das Paar aus dem Wagen stieg.
„… es wäre mir lieber gewesen, du hättest das nicht gesagt, Ceil. Ich habe mich vor Dave und Nancy wirklich blamiert gefühlt.«
»Aber niemand außer dir hat es so aufgefasst«, sagte Ceil.
Jack vermeinte ein leichtes Zittern in ihrer Stimme zu hören. Zu viel Wodka? Oder Angst?
»Sei dir da nicht so sicher. Die sind nur zu höflich, etwas zu sagen, aber ich habe Nancys schockierten Blick gesehen. Hast du nicht darauf geachtet, wie sie mich angesehen hat, als du das gesagt hast?«
»Nein. Ich habe nichts dergleichen gesehen. Du bildest dir nur wieder etwas ein.«
»So, tue ich das?«
„… ja. Und außerdem, seit wir da weggefahren sind, habe ich mich schon ein Dutzend Mal entschuldigt. Was soll ich denn noch tun?«
Jack hörte, wie sich die Haustür öffnete.
»Was ich will, Ceil, ist nur, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Ist das zu viel verlangt?«
Ceils Antwort wurde abgeschnitten, als sich die Tür hinter ihnen schloss. Jack kehrte zur Rückseite des Hauses zurück, wo er den größten Teil des Erdgeschosses überblicken konnte. Die Stimmen schallten durch eine offene Lüftungsklappe über der Spüle, als Gus die Küche betrat.
„… ich weiß wirklich nicht, warum du mir das immer wieder antust, Ceil. Ich versuche, freundlich zu sein, ruhig zu bleiben, aber du stichelst immer herum, provozierst mich und treibst mich immer wieder zur Weißglut.«
Ceils Stimme kam aus dem Flur und klang jetzt unverkennbar nervös.
»Aber ich habe es dir doch gesagt, Gus. Du bist der Einzige, der das so aufgefasst hat.«
Jack beobachtete, wie Gus einen Teflonhandschuh über die linke Hand streifte und sich dann ein Handtuch um die rechte Hand wickelte.
»Schön, Geil. Wenn es das ist, was du glauben willst, dann kann ich daran wohl nichts ändern. Aber bedauerlicherweise ändert das nichts an dem, was heute passiert ist.«
Geil kam in die Küche.
»Aber Gus …«
Sie verstummte, als er sich zu ihr umdrehte und sie seine Hände sah.
»Warum hast du das getan, Ceil?«
»Oh Gott, nein. Gus, bitte nicht! Ich habe es nicht so gemeint!«
Sie wandte sich ab, um wegzulaufen, aber er packte sie am Oberarm und zerrte sie zu sich.
»Du hättest den Mund halten sollen, Ceil. Ich gebe mir solche Mühe und dann kommst du und machst mich wütend.«
Jack sah, wie Gus Ceils Handgelenk mit der behandschuhten Hand ergriff und es ihr auf den Rücken drehte und hart und heftig nach oben drückte. Sie schrie vor Schmerzen auf.
»Gus, bitte tu das nicht!«
Jack wollte das nicht mit ansehen, aber er fühlte sich dazu verpflichtet. Er musste sichergehen. Gus presste ihre flache Brust gegen den Kühlschrank. Ihr Gesicht war Jack zugewandt. Er sah darin Angst, Furcht, Schrecken, aber über allem lag eine dumpfe Akzeptanz des Unvermeidlichen, die Jack im Innersten berührte und aufwühlte.
Gus begann, seine gepolsterte Faust in Ceils Rücken zu rammen, direkt unter den untersten Rippen, links, rechts, immer auf die Nieren. Sie hatte die Augen fest geschlossen und stöhnte bei jedem Schlag auf.
»Ich hasse dich dafür, dass du mich zwingst, das zu tun«, sagte Gus.
Das glaubt dir auch jeder, du mieses Arschloch.
Jack klammerte sich an das Fensterbrett und schloss die Augen. Er hörte Ceils wiederkehrendes Wimmern und spürte ihre Schmerzen. Ihm war auch schon in die Nieren geboxt worden. Er wusste, was das für Höllenqualen sind. Das musste ein Ende haben. Gus’ Wut würde verrauchen, und dann war es vorbei. In den nächsten Tagen würde Ceil stechende Rückenschmerzen haben, sobald sie tief Luft holte oder hustete, und sie würde hellrotes Blut im Urin haben, aber aufgrund des Handschuhs und der umwickelten Faust würde sie keinerlei äußerliche Blessuren davontragen.
Das durfte so nicht weitergehen.
Was es aber tat. Jack öffnete wieder die Augen und sah, dass Ceil keine Kraft mehr in den Beinen hatte, um sich aufrecht zu halten, aber Gus stützte sie und prügelte weiter methodisch auf sie ein.
Jack knurrte verhalten. Es war ihm nur darauf angekommen, einen Beweis für Schaffers Geschichte zu finden. Sobald ihm das gelungen war, hatte er sich den netten Gus irgendwo außerhalb seines Hauses vorknöpfen wollen. Vielleicht auf einem dunklen Parkplatz, während Schaffer sich vorher ein wasserdichtes Alibi besorgt hatte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es zu einer solchen Szene kommen könnte, aber er hatte gewusst, dass zumindest die Möglichkeit bestand. In so einem Fall wäre es bestimmt das Beste, einfach wegzugehen, aber er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass er das nicht könnte. Er hatte sich also vorbereitet.
Jack hastete über die Terrasse und griff nach seiner Segeltuchtasche. Während er zur gegenüberliegenden Hausecke lief, zog er einen Nylonstrumpf und ein paar Latexhandschuhe heraus, Ersteren streifte er sich über den Kopf, Letztere über die Hände. Dann bewaffnete er sich mit einer.45er Automatik, einem Seitenschneider und einem großen Schraubenzieher. Die Pistole schob er in den Gürtel, mit dem Seitenschneider durchtrennte er die Telefonleitung und mit dem Schraubenzieher stemmte er eines der Wohnzimmerfenster auf.
Kaum war er in dem abgedunkelten Raum, als er sich auch schon nach etwas umsah, das er zerbrechen konnte. Das Erste, was ihm ins Auge fiel, war eine Garnitur Kaminwerkzeug neben dem gemauerten Kamin. Er stieß den Ständer um. Das Scheppern hallte durchs ganze Haus.
Die Stimme von Gus erklang aus der Küche.
»Verdammt, was war das?«
Als Gus ins Zimmer kam und das Licht anschaltete, wartete Jack am Fenster auf ihn. Er hätte beinahe gelächelt, so erschreckt wirkte Gus.
»Reg dich nicht auf, Kumpel«, sagte Jack. Er wusste, durch den Strumpf war es sinnlos, Nervosität im Mienenspiel zu zeigen, daher legte er alles in seine Stimme. »War nur ein Versehen.«
»Wer zum Teufel sind Sie? Und was machen Sie in meinem Haus?«
»Ganz ruhig, Mann. Hab nicht erwartet, dass jemand zu Hause ist. Lass uns einfach vergessen, dass ich je hier gewesen bin.«
Gus bückte sich und hob einen Schürhaken aus den umgestürzten Kaminutensilien. Er deutete damit auf Jacks Segeltuchtasche.
»Was ist da drin? Was haben Sie mitgehen lassen?«
»Nichts, Mann. Bin grad erst gekommen. Und schon wieder weg.«
»Oh mein Gott!« Celias gedämpfte Stimme. Sie stand im Türrahmen zum Wohnzimmer und hatte beide Hände vor den Mund geschlagen.
»Ruf die Polizei, Ceil. Aber sag ihnen, sie brauchen sich nicht zu beeilen. Ich will diesem Penner hier noch eine Lektion erteilen, bevor die ankommen.«
Als Ceil in die Küche zurückhumpelte, schüttelte Gus das Handtuch und den Handschuh ab und hob den Schürhaken in einem beidhändigen Griff. Seine Augen glänzten vor Vorfreude. Sein verkniffenes hartes Grinsen sagte alles. Seine Frau zu verprügeln hatte ihn aufgeputscht, aber bei ihr musste er sich immer in Acht nehmen. Jetzt hatte er einen Einbrecher, der ihm ausgeliefert war. Er konnte ihn nach Strich und Faden zusammenschlagen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Stattdessen würde er sich sogar als Held feiern lassen.
Und ein Gespräch mit einem Psychiater sollte diesen Kerl in einen liebevollen Ehemann verwandeln. Wer’s glaubt, wird selig.
Gus ging zwei schnelle Schritte auf Jack zu und holte aus. Keinerlei Raffinesse, nicht mal ein Antäuschen. Jack duckte sich und der Schlag ging über seinen Kopf hinweg. Er hätte Gus einen fiesen Schlag in die ungedeckte Flanke versetzen können, aber so weit war er noch nicht. Gus schlug jetzt mit dem Schürhaken in die andere Richtung und zielte diesmal tiefer. Jack sprang zurück und widerstand dem Impuls, dem großen Kerl einen Tritt in das rot anlaufende Gesicht zu verpassen. Der dritte Schlag von Gus zielte senkrecht von oben nach unten. Jack war lange abgetaucht, als er landete.
Gus fletschte mittlerweile die Zähne und fauchte. Seine Augen funkelten vor Wut und Enttäuschung. Jack beschloss, diese Wut noch ein wenig weiter anzufachen. Er grinste.
»Du haust zu wie ‘ne Memme, Kumpel.«
Mit einem kehligen Schrei stürmte Gus los und schwenkte den Schürhaken wie eine Sense. Jack duckte sich unter dem ersten Schwung hindurch, dann griff er den Schürhaken und rammte seinen Ellbogen mit einem erfreulichen Knirschen in das Gesicht von Gus. Der stolperte zurück. Er hatte vor Schmerz die Augenlider zusammengepresst und hielt sich die Nase. Zwischen seinen Fingern tropfte Blut hervor.
Das funktionierte immer. Egal wie groß der Gegner war, eine gebrochene Nase bremste jeden aus.
Geil kam zur Tür zurückgehumpelt. Ihre Stimme befand sich am Rand der Hysterie.
»Das Telefon ist tot!«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Lady«, sagte Jack. »Ich bin nicht hergekommen, um jemanden zu verletzen. Und ich werde Ihnen nichts tun. Aber dieser Kerl hier – das ist eine andere Sache. Er hat versucht, mich umzubringen.«
Jack ließ den Schürhaken fallen und ging auf Gus zu, dessen Augen vor Angst aus den Höhlen traten. Gus streckte eine blutige Hand aus, um ihn abzuwehren. Jack griff nach seinem Handgelenk und verdrehte es. Gus jaulte auf, als ihm die Hand auf den Rücken gedreht und er gegen die Wand gedrückt wurde, wo Jack mit einem barfäustigen Trainingsprogramm gegen seine Nieren begann. Jack fragte sich dabei, ob der Verstand des Hünen die Verbindung herstellen würde zwischen dem, was er seiner Frau in der Küche verabreicht hatte, und dem, was ihm jetzt im Wohnzimmer geschah. Jack schonte ihn nicht. Er legte eine Menge Kraft in die Schläge und Gus heulte bei jedem einzelnen auf.
Na, wie fühlt sich das an, Bursche. Schmeckt dir die Lektion?
Jack schlug zu, bis er spürte, wie seine eigene Wut langsam verrauchte. Er wollte ihn gerade loslassen und zur zweiten Stufe seines Plans übergehen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung hinter sich bemerkte. Als er den Kopf drehte, sah er Ceil. Sie hatte den Schürhaken in den Händen und zielte damit auf seinen Kopf. Er versuchte sich zu ducken, aber es war zu spät. Das Zimmer um ihn herum flammte in hellem Licht auf und wurde dann dunkel.
Ein kurzer Augenblick Schwärze und Jack fand sich auf dem Boden wieder. Schmerz explodierte in seinen Eingeweiden. Er konzentrierte sich auf das, was über ihm war und erkannte Gus, der gerade zu einem neuen Tritt in seinen Bauch ansetzte. Er rollte sich davon, der Zimmerecke entgegen. Etwas Schweres fiel auf den Teppich, als er sich umdrehte.
»Mist, er hat eine Waffe!«, rief Gus.
Jack hatte sich währenddessen wieder aufgerappelt. Er tastete viel zu langsam nach der heruntergefallenen.45 er, und so war Gus schneller und klaubte sie vom Fußboden, bevor Jack sie fassen konnte. Gus trat einen Schritt zurück, spannte den Schlitten, bis eine Patrone im Lauf lag, und richtete die Waffe dann auf Jacks Gesicht.
»Bleib, wo du bist, du Saukerl! Keinen Mucks!«
Jack setzte sich schwerfällig auf den Boden in die Ecke und sah zu dem Hünen auf.
»Na also!«, sagte Gus mit einem blutigen Grinsen. »Na also!«
»Ich hab dir doch gut geholfen, nicht wahr? Das hab ich doch, Gus?«, fragte Ceil, die immer noch den Schürhaken in der Hand hielt. Sie krümmte sich vor Schmerz. Der Schlag hatte sie stark mitgenommen. »Ich hab ihn dir vom Hals gehalten. Ich hab dich gerettet, stimmt’s nicht?«
»Halt’s Maul, Ceil.«
»Aber er hat dir wehgetan. Ich hab dafür gesorgt, dass er aufhört. Ich …«
»Ich sagte: Halt ‘s Maul!«
Ihre Unterlippe zitterte. »Ich … ich hab gedacht, du wärst froh.«
»Weswegen sollte ich froh sein? Wenn du mich vorher nicht so wütend gemacht hättest, hätte ich vielleicht bemerkt, dass er im Haus ist. Dann hätte er mich nicht überrascht.« Er deutete auf seine anschwellende Nase. »Das ist deine Schuld, Ceil.«
Ceils Schultern sackten nach unten, sie starrte wie betäubt auf den Fußboden.
Jack wusste nicht, was er von ihr halten sollte. Er hatte ihren brutalen Ehemann dabei unterbrochen, sie auf gemeinste Art zu verprügeln, und doch war sie diesem Ehemann zu Hilfe gekommen. Und hatte dabei viel Mut bewiesen. Die mutige kleine Furie, die ihn mit dem Schürhaken traktiert hatte, schien weit entfernt von der ängstlichen, geprügelten Kreatur, die jetzt mitten im Zimmer stand.
Ich verstehe das nicht.
Das war der Grund, warum es zu seinen Regeln gehörte, Heimarbeiten immer abzulehnen. Bis auf dieses eine Mal.
»Ich lauf rüber zu den Ferris«, sagte sie.
»Weshalb?«
»Um die Polizei zu rufen.«
»Warte noch eine Minute.«
»Warum?«
Jack sah zu Gus und bemerkte, wie dessen Blick von Celia zu ihm und wieder zurück wanderte.
»Weil ich nachdenke. Darum!«
»Ja«, brummelte Jack. »Ich rieche schon, wie die Holzwolle anfängt zu qualmen.«
»Hey!« Gus kam einen Schritt näher und hob die Pistole, als wolle er ihn damit schlagen. »Noch ein Wort und ich …«
»So nah wollten Sie doch gar nicht an mich herankommen, oder doch?«, fragte Jack sanft.
Gus wich zurück.
»Gus. Ich muss die Polizei rufen!«, sagte Ceil, als sie den Schürhaken zurückstellte, weit außerhalb von Jacks Reichweite.
»Du gehst nirgendwohin«, sagte Gus. »Hier rüber!«
Ceil stellte sich fügsam neben ihn.
»Nicht hierhin!«, fauchte er, griff nach ihrer Schulter und stieß sie zu Jack hinüber. »Da hin!«
Sie schrie auf wegen dem Schmerz in ihrem Rücken, als er sie vorwärts stieß.
»Gus, was tust du?«
Jack beschloss, das Spiel mitzuspielen. Er ergriff sie und drehte sie herum. Sie wehrte sich, aber er hielt sie so, dass sie sich zwischen ihm und Gus befand.
Gus lachte. »Du solltest dir echt was Besseres überlegen, Kumpel. Die magere kleine Schnalle wird dir auch nicht gegen eine.45er-Kugel nützen.«
»Gus!«
»Schnauze! Gott, was hab ich deine Stimme satt! Ich habe dein Gesicht satt, ich … ach was soll’s: Ich hab alles an dir satt!« Jack spürte durch seine Hände, mit denen er sie festhielt, dass diese Worte Ceil trafen wie Faustschläge. Wahrscheinlich hätte eine Faust ihr weniger wehgetan.
»Aber Gus, ich dachte, du liebst mich …«
Er schnaubte abschätzig. »Soll das ein Witz sein? Ich hasse dich, Ceil! Es macht mich wahnsinnig, mit dir in einem Zimmer zu sein! Warum wohl prügele ich jedes Mal die Scheiße aus dir heraus, sobald ich eine Gelegenheit dazu habe? Das ist die einzige Möglichkeit, mich davon abzuhalten, dich sofort umzubringen!«
»Aber all die Male, als du mir gesagt hast …«
»Das waren Lügen, Ceil! Nichts als Lügen. Und du jämmerliche, armselige Heulsuse bist immer wieder darauf hereingefallen.«
»Aber warum?« Sie schluchzte jetzt. »Warum?«
»Warum ich dich nicht verlassen und mir eine richtige Frau gesucht habe? Eine, die Titten hat und Kinder kriegen kann? Die Antwort liegt doch auf der Hand: Dein Bruder. Er hat mir den Job bei Borland verschafft, weil er einer der besten Kunden der Firma ist. Und wenn es zwischen uns aus sein sollte, dann wird er dafür sorgen, dass ich auf der Straße stehe, noch bevor die Tinte auf den Scheidungspapieren getrocknet ist. Ich habe zu viele Jahre in diesen Job investiert, als dass ich ihn für einen Haufen Scheiße wie dich einfach aufgeben würde.«
Ceil schien unter Jacks Händen wegzubrechen. Er funkelte Gus grimmig an: »Ein echter Teufelskerl.«
»Exakt. Ich habe die Waffe. Und ich will dir dafür danken, Kumpel, wer du auch sein magst. Denn sie wird alle meine Probleme lösen.«
»Meine Waffe?«
»Ja. Ich habe einen Haufen Versicherungen auf meine liebe Frau abgeschlossen. Ich habe sie vor Jahren wirklich gut versichert und die ganze Zeit gehofft, sie würde einen tödlichen Unfall haben. Ich war nie so dumm zu versuchen, dem irgendwie nachzuhelfen – ich weiß, was diesem Marshall da in Jersey passiert ist –, aber ich habe mir gedacht, bei all den Verkehrsunfällen hier in der Gegend dürften die Chancen, dass ich mit meiner ollen Ceil den Jackpot ziehe, besser als beim Lotto sein.«
»Oh Gus«, schluchzte sie. Es klang entsetzlich enttäuscht.
Sie hatte den Kopf so weit sinken lassen, dass ihr Kinn auf der Brust auflag. Sie wäre einfach zusammengebrochen, wenn Jack sie nicht aufrecht gehalten hätte. Er wusste, wie grausam das für sie sein musste, aber sie sollte es mit anhören. Vielleicht war es das Signal, das sie brauchte, um endlich aufzuwachen.
Gus äffte sie nach: »Oh, Gus! Hast du eigentlich eine Ahnung, in wie vielen verregneten Nächten ich dagesessen habe, wenn du mit Verspätung von einem Kartenabend nach Hause gekommen bist? Wie ich gebetet – wirklich gebetet – habe, dass du von der Straße abgekommen bist und den Wagen vor einen Strommasten gesetzt hast, oder dass ein Laster bei Rot über eine Kreuzung gefahren sein könnte und dich überrollt hat? Hast du überhaupt eine Ahnung? Aber nein. Du kommst nach Hause, glücklich und zufrieden, und ich bin so frustriert, dass ich heulen könnte. Das waren Zeiten, wo ich dir wirklich gern den dürren Hals umgedreht hätte.«
»Das reicht jetzt, meinen Sie nicht?«, schaltete sich Jack ein.
Gus seufzte. »Ja. Ich glaube, es reicht. Aber wenigstens waren diese ganzen Versicherungsprämien nicht umsonst. Jetzt kann ich kassieren.«
Ceil hob den Kopf.
»Was?«
»Ist doch ganz einfach. Ein bewaffneter Einbrecher hat sich Zutritt verschafft. Während des Kampfes mit ihm ist es mir zwar gelungen, ihm die Waffe zu entreißen, aber er hat dich zwischen uns gezogen, als ich abgedrückt habe. Du hast die erste Kugel abgekriegt – direkt ins Herz. In meiner wahnwitzigen Wut habe ich ihm dann den Rest des Magazins in den Schädel gefeuert. Was für eine Tragödie.« Er hob die Waffe und richtete sie auf Ceils Brust. »Au revoir, mein geliebtes Eheweib.«
Das metallische Klicken des Schlagbolzens wurde durch Ceils Schreckenschrei fast vollkommen übertönt.
Sie verstummte schlagartig, während sowohl sie als auch Gus die Waffe anstarrten.
»Das war vielleicht ein Blindgänger«, sagte Jack. »Mann, wie ich das hasse.« Er deutete oben auf die Pistole. »Ziehen Sie den Schlitten zurück, damit eine neue Patrone ins Patronenlager kommt.«
Gus starrte ihn einen Moment an, denn betätigte er den Schlitten. Eine unbenutzte Patrone wurde ausgeworfen.
»Na also«, sagte Jack. »Jetzt noch mal.«
Gus richtete die Mündung wieder auf Ceil, aber Jack bemerkte ein deutliches Zittern des Laufs. Gus betätigte den Abzug, aber diesmal stieß Ceil keinen Schrei aus. Sie zuckte nur zusammen, als der Schlagbolzen wieder einen Blindgänger traf.
»Baaah«, sagte Jack und zog den Laut in die Länge, um seiner Verachtung Ausdruck zu geben. »Da glaubt man gute Munition zu kaufen, und man wird beschissen! Heutzutage kann man niemandem mehr trauen!«
Gus betätigte hastig den Schlitten und drückte erneut ab. Jack gestattete ihm zwei weitere Versuche, dann ging er um Ceil herum auf den Hünen zu.
Hektisch betätigte Gus wieder den Schlitten und drückte erneut ab, wobei er auf Jacks Gesicht zielte. Wieder passierte nichts. Er wich langsam zurück, als er Jacks Lächeln sah.
»Das ist eine Attrappe, Gus. Eigentlich ist es eine ganz reguläre Mark IV, aber die Patronen sind nur Pappkameraden – so wie die Männer, die ich damit spielen lasse.«
Jack benutzte diese Waffe, wenn er sehen wollte, aus welchem Holz jemand geschnitzt war. Sie versagte selten dabei, das Schlechteste in einem Menschen zum Vorschein zu bringen.
Er bückte sich und hob die ausgeworfenen Patronen auf. Er hielt eine davon hoch, damit Gus sie sehen konnte.
»Die Hülle ist echt, aber sie enthält kein Pulver. Es gibt da eine alte Regel: Lass nie ein Arschloch in die Nähe einer geladenen Pistole.«
Gus schlug plötzlich mit der.45er nach Jacks Kopf. Jack fing sein Handgelenk ab und entwand ihm die Waffe. Dann schlug er damit hart gegen den Schädel des Hünen und versetzte ihm eine Platzwunde. Gus versuchte, sich umzudrehen und wegzulaufen, aber Jack hielt immer noch seinen Arm fest. Er traf ihn erneut, diesmal auf den Hinterhopf. Gus sank auf die Knie und Jack legte sein ganzes Gewicht in den Schlag, als er noch einmal zuschlug, diesmal mitten auf den Schädel. Gus erstarrte, dann fiel er mit dem Gesicht voran auf den Boden.
Es waren nur Sekunden vergangen. Jack wirbelte herum, um zu sehen, was Ceil tat. Sie würde ihn nicht ein zweites Mal überraschen. Aber zu der Befürchtung gab es keinen Anlass. Sie stand genau da, wo er sie zurückgelassen hatte; in der Ecke mit geschlossenen Augen und Tränen rannen unter den Lidern hervor. Arme Frau.
Jack wollte nichts mehr, als aus diesem Irrenhaus zu verschwinden. Er war bereits viel zu lange hier, aber jetzt musste er den Auftrag beenden, ein für alle Mal.
Er nahm Ceils Arm und führte sie sanft aus dem Wohnzimmer.
»Das ist nicht persönlich gemeint, Lady, aber ich muss Sie irgendwo sicher verwahren, okay? Irgendwo, wo Sie nicht an einen Schürhaken kommen können. Verstehen Sie mich?«
»Er hat mich nicht geliebt«, murmelte sie verwirrt. »Er ist bei mir geblieben, wegen seines Jobs. Er hat jedes Mal gelogen, wenn er gesagt hat, dass er mich liebt.«
»Ich fürchte, ja.«
»Gelogen …«
Er führte sie zu einem Einbauschrank im Flur und schob sie zwischen die Wintermäntel.
»Ich werde Sie hier nur ein paar Minuten einschließen, okay?«
Sie sah starr geradeaus. »Gelogen … all die Jahre …«
Jack schloss die Tür und verkantete einen Holzstuhl zwischen ihr und der gegenüberliegenden Wand. Die Frau konnte nicht herauskommen, solange er den Stuhl nicht entfernte. Gus lag immer noch bewusstlos im Wohnzimmer. Jack drehte ihn auf den Rücken und fesselte seine Handgelenke an die Beine des Couchtischs. Er nahm zwei dicke Holzklötze aus seiner Segeltuchtasche und legte sie unter Gus linken Unterschenkel, einen direkt unter das Knie, einen unter den Knöchel. Dann zog er einen kurzstieligen Fäustel aus der Tasche. Er zögerte, als er den Hammer hob, dann erinnerte er sich an Ceils Augen, während Gus methodisch ihre Nieren malträtierte – der Schmerz, die Resignation, die Verzweiflung. Jack brach Gus das linke Schienbein mit einem heftigen Schlag. Gus stöhnte und wand sich, kam aber nicht wieder zu Bewusstsein. Jack wiederholte seine Vorgehensweise mit dem rechten Bein. Dann packte er seine Sachen zusammen und kehrte in den Flur zurück.
Er zerrte den Stuhl vor der Schranktür weg und öffnete die Tür einen Spalt.
»Ich gehe jetzt, Lady. Wenn ich weg bin, können Sie zu ihren Nachbarn gehen und die Polizei rufen. Am besten rufen Sie auch gleich einen Krankenwagen.«
Statt einer Antwort erhielt er nur ein vereinzeltes Schluchzen.
Jack verließ das Haus durch die Hintertür. Er war froh, als er den Strumpf vom Kopf ziehen konnte.
Als Jack am nächsten Morgen seinen Anrufbeantworter abrief, gab es nur eine Nachricht. Die kam von Oscar Schaffer. Er klang atemlos. Und aufgebracht.
»Sie Scheißkerl! Sie kranker, gestörter Scheißkerl! Ich gebe den Rest ihres Honorars heute Morgen in dieser Bar ab und dann will ich Sie nie wieder sehen oder hören oder auch nur an Sie denken!«
Jack saß gerade bei seiner zweiten Tasse Kaffee in Julios Kneipe, als er Schaffer durch das Fenster sah. Der Mann bewegte sich hastig, so schnell wie es seine Statur ihm erlaubte und umklammerte einen weißen Umschlag. Schweiß glänzte auf seiner bleichen Stirn. Sein Gesichtsausdruck war angespannt. Er wirkte ängstlich.
Jack hatte Julio gesagt, dass er kommen würde, daher fing der ihn an der Tür ab wie alle Klienten Jacks. Aber statt ihn an Jacks Tisch zu führen, kam Julio allein. Jack sah, wie Schaffer den Weg zurückeilte, den er gekommen war.
Julio lächelte, als er Jack den Umschlag reichte.
»Wie hast du denn den so verschreckt?«
Jack schnappte sich den Umschlag und lief hinter Schaffer her. Er erwischte den Bauunternehmer, als der gerade die Tür eines dunkelgrünen Jaguars öffnete.
»Was ist los?«
Schaffer zuckte beim Klang von Jacks Stimme zusammen. Sein bereits bleiches Gesicht wurde um zwei Schattierungen blasser.
»Gehen Sie weg!«
Er sprang in den Wagen, aber Jack hielt die Tür fest, bevor er sie zuschlagen konnte. Er zog Schaffer die Wagenschlüssel aus den zitternden Fingern.
»Ich glaube, wir sollten uns unterhalten. Machen Sie die Tür auf.«
Jack ging zur gegenüberliegenden Tür und ließ sich in den Beifahrersitz fallen. Er warf die Schlüssel zu Schaffer zurück.
»Also? Was soll das? Der Job ist erledigt. Der Kerl hat seine Lektion bekommen. Sie brauchten kein Alibi, weil es die Tat eines Einbrechers war. Wo liegt das Problem?«
Schaffer starrte direkt voraus durch die Windschutzscheibe.
»Wie konnten Sie nur? Sie hatten mich so sehr beeindruckt bei unserem ersten Gespräch. Der harte Kerl mit seinem Ehrencodex: ›Manchmal mache ich einen Fehler. Wenn das passiert, will ich in der Lage sein, dass in Ordnung bringen zu können.‹ Ich hatte Sie wirklich für jemand anderen gehalten. Ich habe Sie sogar beneidet. Ich hätte nie gedacht, dass Sie zu so etwas fähig sein würden. Gus war ein mieser Scheißkerl, aber Sie mussten ihn doch nicht …« Seine Stimme verebbte.
Jack war wie vom Donner gerührt.
»Sie waren derjenige, der ihn tot sehen wollte. Ich habe ihm nur die Beine gebrochen.«
Schaffer drehte sich zu ihm um und die Angst in seinen Augen machte der Wut Platz.
»Erzählen Sie mir nicht diesen Bockmist! Was glauben Sie, mit wem Sie reden? Ich habe diese Stadt praktisch gebaut! Ich habe Beziehungen!« Er zog ein Bündel Dokumente aus der Tasche und warf sie Jack in den Schoß. »Ich habe den Bericht des Gerichtsmediziners gelesen.«
»Gerichtsmediziner? Er ist tot?« Scheiße. Jack hatte schon davon gehört, dass Menschen mit gebrochenen Beinen manchmal an einer Embolie starben. »Wie?«
»Tun Sie nicht so! Gus war ein Stück Scheiße, und ja, ich wollte ihn tot sehen, aber ich wollte nicht, dass er gefoltert wird! Ich hatte nie vor, ihn zu … verstümmeln!«
Jetzt fühlte sich Jack ein wenig zittrig, als er den Bericht des Leichenbeschauers überflog. Dieser beschrieb einen Mann, der mit einer Schusswaffe geschlagen und an den Händen gefesselt worden war, dann hatte man ihm beide Schienbeine gebrochen; danach wurde er mit einem gewöhnlichen Küchenmesser kastriert, seine Hoden als Knebel benutzt. Danach war er mindestens zwei Stunden lang schwer gefoltert worden, bis er infolge des Blutverlustes aufgrund einer verletzten Halsschlagader gestorben war.
»Das wird heute Nachmittag in allen Zeitungen stehen«, sagte Schaffer. »Sie können die Ausschnitte ja zu ihren Referenzen hinzufügen. Ich schätze, Sie haben schon viele davon.«
»Wo war Ceil angeblich während der ganzen Zeit?«
»Eingesperrt im Wandschrank im Flur. Sie konnte sich befreien, nachdem Sie das Haus verlassen haben. Und dann musste sie Gus in diesem Zustand vorfinden. Niemand sollte so etwas zu sehen bekommen. Wenn ich Sie irgendwie dafür drankriegen könnte …«
»Wann hat sie die Polizei angerufen?«
»Kurz bevor sie mich angerufen hat. So gegen drei heute Morgen.«
Jack schüttelte den Kopf. »Wow. Drei Stunden … sie hat sich drei Stunden an ihm ausgetobt.«
»Sie? Wer?«
»Ceil.«
»Wovon zum Teufel reden Sie da?«
»Gus lag gefesselt und bewusstlos mit zwei gebrochenen Beinen, aber ansonsten bei guter Gesundheit, auf dem Boden des Wohnzimmers, als ich das Haus verlassen habe. Ich habe die Tür zu dem Wandschrank geöffnet, in den ich Ihre Schwester eingesperrt hatte und habe die Fliege gemacht. Das war so um Mitternacht.«
»Nein. Sie lügen. Wollen Sie sagen, dass Ceil …« Er schluckte. »Das würde sie niemals tun. Das könnte sie gar nicht. Und außerdem hat sie mich gegen drei angerufen, von den Nachbarn aus. Sie hatte sich gerade befreit …«
»Drei Stunden. Drei Stunden, von dem Zeitpunkt, als ich die Schranktür geöffnet habe, bis zu ihrem Anruf bei Ihnen.«
»Nein! Nicht Ceil! Sie …« Schaffer starrte Jack an und Jack erwiderte den Blick ungerührt. Langsam, wie eine dunkle Flüssigkeit, die sich in schweren Stoff saugt, sackte die Wahrheit bei ihm ein. »Oh mein Gott!«
Er fiel in seinem Sitz zurück und schloss die Augen. Er sah aus, als könne er sich jeden Moment übergeben. Jack gab ihm ein paar Minuten. »Bei unserem ersten Gespräch sagten Sie, dass sie Hilfe braucht. Jetzt braucht sie die bestimmt!«
»Die arme Ceil!«
»Ja. Ich will gar nicht so tun, als würde ich das verstehen, aber ich schätze, sie hatte sich von einem Mann, der ihr schwört, dass er sie liebt, alles gefallen lassen. Aber als sie dann herausfand, dass das nicht stimmte … Und glauben Sie mir, er hat ihr das deutlich klargemacht, bevor er versucht hat, sie zu erschießen.«
»Erschießen? Was? Wieso …?«
»Das ist eine lange Geschichte. Lassen Sie sich die von Ceil erzählen. Aber ich schätze, nachdem sie herausfand, wie sehr er sie all diese Jahre gehasst hat, als sie sah, dass er sie umbringen wollte, hat sich bei ihr ein Hebel umgelegt. Als sie sich aus dem Schrank traute und ihn da hilflos auf dem Fußboden vorfand, ist sie wohl ein wenig durchgedreht.«
»Ein wenig durchgedreht? Sie nennen das, was sie da getan hat, ein wenig durchgedreht?«
Jack zuckte die Achseln. Er gab den Bericht zurück und öffnete die Wagentür.
»Ihre Schwester hat die Revanche für zehn Jahre Quälerei in drei Stunden zusammengefasst. Sie wird eine Menge Hilfe brauchen, um sich von diesen zehn Jahren zu erholen. Und diesen drei Stunden.«
Schaffer schlug hilflos auf das Mahagoni-Lenkrad.
»Scheiße! So war das nicht geplant!« Dann seufzte er und wandte sich an Jack. »Aber ich glaube, bei Ihrer Art Job entwickeln sich die Dinge nur selten nach Plan.«
»So gut wie nie.«
Jack stieg aus dem Wagen, schloss die Tür und lauschte, wie der Motor des Jaguars zum Leben erwachte. Als er mit quietschenden Reifen um die Ecke bog, drehte er sich um und ging zu Julios Kneipe zurück. Um zwölf wartete der nächste Klient.