6. Kapitel
Außer der Aufklärung, dass Gilbert Signefeu in Linda Scholz ihre Vorfahrin Roxane sehe und verfolge, konnte der Benefiziat nichts Neues berichten. Die unvollständigen Aufzeichnungen, die sich mit dem Hexenprozess im 16. Jahrhundert beschäftigten, enthielten keine Angaben, wie man die Zauberkräfte Gilbert Signefeus brechen konnte.
Es war zwar erwähnt, dass der Mörtel der Wand, die den Hexer jahrhundertelang in der Gruft gefangen gehalten hatte, mit einem bestimmten Wasser angerichtet worden war, doch Näheres über dieses Wasser berichtete die Chronik nicht. In verschiedenen der alten Folianten waren Beschwörungen verzeichnet, die im Galgenwirtshaus angewendet worden waren, doch keine hatte ein Resultat erzielt.
Der alte Benefiziat hatte alle Akten, die mit Gilbert Signefeu und seinem Wirken zu tun hatten, in sein Arbeitszimmer geholt. Er zeigte und erläuterte Thorn und Linda ein paar markante Stellen.
Nicht einmal die Flucht konnte Linda Scholz vor ihrem Schicksal retten, denn Gilbert Signefeu würde ihr rund um die Erde folgen, davon war der Benefiziat überzeugt.
»Verzweifeln Sie nicht«, sagte der alte Benefiziat. »Jede Kraft hat eine Gegenkraft, jeder Pol einen Gegenpol. Auch Gilbert Signefeus Macht ist nicht unbegrenzt. Sie müssen mutig und stark sein, Fräulein Scholz, und Sie ebenfalls, Herr Thorn. Signefeu wird sein Ende finden, davon bin ich überzeugt.«
»Hoffentlich findet er dieses Ende schnell und nicht erst in tausend Jahren«, antwortete Thorn. »Mir droht der Tod, und Linda ein Los, das schlimmer als Sterben ist.«
»Ich kann Ihnen keine bestimmte Hilfe bieten. Ich will für Sie beten.«
Thorn und Linda verließen den alten Mann. Niemand in der Stadt hielt sie auf, als sie zu ihrem Wagen gingen. Der Marktplatz war wie leergefegt, Türen und Fenster der Häuser verschlossen. Wenige Minuten später verließen Thorn und Linda die Stadt.
Sie fuhren direkt zum Hotel. Einer der Kriminalbeamten trat ihnen im Foyer entgegen. Es war schon gegen 23.00 Uhr.
»Es ist zwar reiner Unsinn nach meiner Ansicht«, sagte der Beamte. »doch wir halten trotzdem diese Nacht im Hotel Wache. Sollte irgend etwas vorfallen, dann rufen Sie nur.«
Thorn begleitete Linda Scholz in ihr Zimmer. In dieser Nacht wollte die Schauspielerin nicht allein sein. Sie verschloss die Zimmertür, ließ die Fensterläden herab, obwohl es sehr warm war.
Thorn zog das schöne, blonde Mädchen an sich. Linda küsste ihn leidenschaftlich, als wolle sie in der Liebe Vergessen suchen. Sie fielen aufs Bett.
Thorn streifte Linda die Kleider ab. Seine Hände glitten über ihren Körper.
»Sollen wir es wagen? Du kennst Signefeus Eifersucht, Thorsten.«
»Ich liebe dich, Linda, und du gehörst mir. Kein Mann, sei er lebend oder tot, soll zwischen uns treten. Ich will dich haben, und wenn es das letzte Mal in diesem Leben ist.«
Thorsten und Linda liebten sich leidenschaftlich, vergaßen für Augenblicke alle Schrecken, die sie durchgemacht hatten.
Dann lagen sie nebeneinander im Bett, wie schon so oft. Linda schmiegte sich eng an ihren Geliebten.
»Wie lange sind wir jetzt schon zusammen, Thorsten?« Er runzelte die Stirn, überlegte.
»Ungefähr acht Monate, drei Wochen, vier Tage und drei Stunden.«
»Wie kommst du gerade darauf?«
»Nun, ich weiß schließlich, wann der Presseball war, auf dem wir uns zum ersten Mal trafen. Genau einen Tag vor meinem siebenundzwanzigsten Geburtstag.«
Linda lachte. Sie erschien Thorsten Thorn verführerischer denn je. Ihr herrliches Haar war über das Kissen ausgebreitet, ihr schlanker Körper wirkte wie eine von Meisterhand geschaffene Statue.
»Du bist so schön«, sagte Thorn. »Es ist vielleicht falsch, jetzt davon zu reden, doch wenn wir heil aus der Sache herauskommen, dann ... nun, ja...«
»Was hast du denn, Thorsten? Du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen.«
»Sonst mache ich auch keine Heiratsanträge.«
Linda sah den schwarzhaarigen Mann mit dem sympathisch-hässlichen Gesicht an.
»Ach, Thorsten«, rief sie dann und schloss ihn in die Arme.
Thorn erwiderte Lindas stürmische Zärtlichkeiten. Nach einer leidenschaftlichen halben Stunde lösten sie sich voneinander. Es war schon nach zwölf Uhr, und noch kein Spuk hatte sich gezeigt.
Thorn wollte Linda darauf aufmerksam machen, doch eine bleierne Müdigkeit überkam ihn. Seine Zunge gehorchte ihm nicht mehr. Die Augen fielen ihm zu. Fast im selben Augenblick sank auch Linda in tiefen Schlaf.
Und mit dem Schlaf kam der Traum. Diesmal träumte nicht nur Linda Scholz. Auch Thorsten Thorn und Schultz-Breitenberg hatten das gleiche Traumerlebnis.
*
»Bist du wahnsinnig, Roxane? Gilbert Signefeu hält um deine Hand an. Ein Schankwirt will mein Schwiegersohn werden? Das sagst du mir so einfach ins Gesicht?«
Graf Bodos Gesicht war vor Zorn gerötet. Er stand im großen Ahnensaal der Burg und schrie, dass die Scheiben klirrten.
»Genug andere Fürsten und Edle haben schon Bürgerliche geheiratet, Vater. Es wird eine Zeit kommen, da die Schranken zwischen dem Adelsstand und dem Bürgerstand fallen.«
»Solange ich lebe, nicht. Sag Signefeu, er soll sich von der Burg scheren, sonst ist er ein toter Mann.«
»So hör ihn doch wenigstens an, Vater.«
»Genug. Genug. Am ersten Tag, als ich ihn sah, hätte ich den Kerl erschlagen lassen sollen. Du hast dich ins Gerede gebracht, hast mich zum Gespött der Leute gemacht, hast dich diesem Signefeu an den Hals geworfen. Jetzt wagst du es sogar noch, eine Ehe vorzuschlagen!«
Graf Bodo riß die Tür auf. Gilbert Signefeu saß am Tisch, schwarz gekleidet wie immer. Er hielt einen Weinbecher in der Hand, hatte die langen Beine ausgestreckt. Hinter ihm krachte und prasselte das Feuer im Kamin.
Ein Bediensteter verließ den Raum, eine wohnlich eingerichtete Kemenate, in der die Frauen abends vor dem Kamin saßen, Handarbeiten machten und plauderten.
»Hinaus!«, brüllte Graf Bodo in höchstem Zorn, als er Signefeu sah. »Eher gebe ich dem Teufel selber meine Tochter zur Frau als dir. Laß dich nie wieder hier blicken, sonst bist du ein toter Mann.«
Signefeu sah den Grafen seltsam an.
»Ich hoffe, Ihr wißt, was Ihr da redet. Es könnte Euch leicht gereuen.«
Graf Bodo riß den Dolch aus dem Gürtel. Gilbert Signefeu erhob sich, warf den schwarzen Umhang über die Schultern. Ohne Eile ging er hinaus, schritt über den Hof zum Burgtor. Dort drehte er sich noch einmal um, wandte sich an den Grafen, der aus einem Fenster sah.
»Ich gehe, Graf Bodo, aber ich komme wieder.«
»Die Hunde!«, schrie der Graf. »Hetzt die Meute auf ihn!«
Er rannte hinunter in den Burghof, tobte und fluchte. Die Diener holten die Meute der Jagdhunde herbei. Graf Bodo stieg auf den Söller. Roxane folgte ihm, beschwor ihn, die Hunde nicht auf Signefeu zu hetzen.
Doch Graf Bodo ließ nicht mit sich reden.
»Los, lasst sie frei!«
Heulend und kläffend hetzte die Meute hinter dem großen, schwarzgekleideten Mann her, der auf den nahen Wald zuschritt. Wenige Meter vor dem Waldrand erreichten sie ihn.
Gilbert Signefeu konnte sich losreißen, wenn auch sein Umhang dabei in Fetzen ging und er tiefe Bisswunden davontrug. Er rannte in den Wald hinein, verschwand zwischen den Bäumen.
»Das nutzt ihm nichts. Die Hunde reißen ihn in Fetzen.«
Graf Bodo von Falkenfels irrte. Plötzlich stoben die Hunde aus dem Wald hervor, winselnd und mit eingezogenen Schwänzen; Dreißig hatten Gilbert Signefeu in den Wald verfolgt, nur fünfundzwanzig kamen zurück. Viele von ihnen hatten tiefe, blutende Wunden.
»Da will ich doch verdammt sein«, rief Graf Bodo. »Sollte doch etwas an dem Gemunkel der alten Weiber sein, dass der Kerl ein Hexer ist?«
Nachdenklich verließ der Graf den Söller. Er befahl einen seiner Bediensteten herbei, trug ihm auf, zum Galgenwirtshaus zu gehen und Gilbert Signefeu die Pacht aufzukündigen.
»Er hat Zeit bis zum Tagesanbruch morgen früh, mein Gebiet zu verlassen, sag ihm das. Treffe ich ihn dann noch hier an, kann er mit seinem Leben abschließen.«
Der Knecht des Grafen verließ das Schloss. Graf Bodo ging ins Hauptgebäude. Er fand seine Tochter in ihrer Kammer. Sie packte Kleider und Wäsche zusammen. Der graubärtige, stämmige Graf sah ihr eine Weile unbemerkt von der Tür her zu. Dann räusperte er sich.
Seine schöne Tochter, bis vor kurzem sein ganzer Stolz und seine ganze Freude, drehte sich um, bleich im Gesicht. Graf Bodo erriet, was sie beabsichtigte.
»Du willst zu ihm!«, grollte er. »Hast du denn gar keinen Stolz und keine Ehre im Leib? Wie eine Trosshure wirfst du dich ihm an den Hals.«
»Lass mich gehen, Vater. Bitte, lass mich gehen, bevor ein Unglück geschieht. Du kennst ihn nicht. Er ist furchtbar in seinem Zorn.«
»Das klingt ja, als hättest du Angst vor ihm. Roxane, Kind, ich bin dein Vater. Mir kannst du vertrauen.«
Als er seinem Liebling in die Augen sah, Roxanes Kummer und ihre Sorgen erkannte, schwand der Zorn des Grafen.
»Erzähle mir alles, und fürchte dich nicht. Ich will dir helfen.«
Einen Augenblick wollte Roxane sich an die breite Brust des Grafen werfen, ihm alles gestehen. Doch ihre Zunge gehorchte ihr nicht, weigerte sich, Silben und Worte zu formen.
So blieb Roxane mit hängenden Armen vor dem Grafen stehen. Die Minute, in der sie sich ihm hätte anvertrauen können, verging ungenutzt.
»Du willst nicht reden? Auch gut. Du bleibst hier, Roxane, in deinem Zimmer. Ich werde dich bewachen lassen. Ich weiß, dass du manchmal nachts heimlich die Burg verlassen hast, doch das ist jetzt vorbei. Morgen schreibe ich deiner Tante, der Äbtissin. Du kannst dich auf ein halbes Jahr im Kloster einrichten, Roxane.«
Graf Bodo drehte sich um, schlug die Tür hinter sich zu. Schluchzend warf sich Roxane auf ihr Lager. Schreckliche Vorahnungen quälten sie. Gilbert Signefeu war nicht der Mann, Demütigungen hinzunehmen.
Am Abend dieses kalten Novembertages klopfte ein Spielmann an das Tor der Burg. Graf Bodo ließ ihm ausrichten, er solle sich zur Hölle scheren.
Der Spielmann lachte. Ungerührt nahm er die Fiedel vom Rücken, spielte eine wilde, aufpeitschende Melodie. Die Soldaten, die Knechte und das ganze Gesinde liefen im Burghof zusammen, lauschten den Klängen. Es waren Töne, wie sie hoch keiner auf Burg Falkenfels gehört hatte.
Der Verwalter, der mit Graf Bodo am Tisch beim Wein saß, schlug ihm vor, den Fiedler hereinkommen zu lassen.
»Ihr braucht eine Ablenkung, Graf Bodo. Die Musik wird Euch aufheitern. Vielleicht können diese Klänge sogar Fräulein Roxane auf andere Gedanken bringen, damit sie an etwas anderes denkt als an diesen Schankwirt.«
Der Graf wollte zuerst nicht, doch dann stimmte er zu. Der Burghauptmann selbst führte den Fiedler in den großen Saal.
Der Fiedler war ein großer, hagerer Mann in einem oft geflickten Anzug. Er zog den Hut mit der langen Feder, verneigte sich tief vor dem Grafen. Er hatte rotes Haar, verschiedenfarbige, helle Augen, und er hinkte.
»Meine Verehrung, Graf Bodo von Falkenfels. Darf ich Euch mit meinen Melodien unterhalten?«
Der Graf bedeutete dem hinkenden Fiedler, zu beginnen. Dieser setzte den Bogen an, und zauberhafte Klänge drangen durch den Raum. Bald versammelten sich vor den Fenstern im Hof alle Burgbewohner, vom Stallknecht bis zum adligen Burghauptmann, von der Magd bis zur Gesellschafterin Roxanes. Roxanes Bruder Gottfried trat in den Saal.
»Der fiedelt ja wie der Teufel selbst«, rief er aus.
Ein Blick aus den tückisch glitzernden Augen des Fiedlers traf ihn.
»Lass uns hereinkommen, Vater«, sagte der Grafensohn. »Wir stehen uns draußen in der Kälte die Beine in den Bauch. Vergiss deinen Ärger über Roxanes Leichtsinn und sei vergnügt.«
Der Graf überlegte kurz, dann stimmte er zu. Er ließ sogar Roxane in den Saal holen, an dessen langer Tafel links und rechts die Burgbewohner saßen, Ritter, die dem Grafen dienten, der Verwalter, Knechte, Mägde, Diener und Dienerinnen, Knappen, die Frauen der Ritter, Roxanes Gesellschafterin, die Burgsoldaten und ihr Hauptmann. Gottfried und Roxane von Falkenfels saßen zu beiden Seiten ihres Vaters. Es war eine bunt zusammengewürfelte, ausgelassene, fröhliche Gesellschaft.
Schon tanzten Männer und Frauen zu den Klängen der Fiedel. Der Kerzenschein erhellte den Saal. Das Kaminfeuer prasselte. Vor den Fenster rieselten Schneeflocken vom Himmel.
»Aufgepasst jetzt«, rief der Fiedler. »Jetzt werde ich eine ganz besondere Melodie spielen. Doch dafür verlange ich auch eine besondere Belohnung.«
»Die sollst du haben«, rief Graf Bodo, warf die wohlgefüllte Geldbörse auf den Tisch. »Spiel, Spielmann.«
Und der Fiedler spielte. Es war kaum zu glauben, welche Töne er seinem Instrument entlockte. Herrliche, schmeichelnde Töne, die aber trotzdem etwas Hinterhältiges, Böses auszudrücken schienen. So manchem der Anwesenden rann ein Schauer über den Rücken.
Als der Fiedler geendet hatte, brach ein wilder Beifall los. Graf Bodo öffnete die Geldbörse.
»Welche Belohnung willst du, Fiedler?«
Der Blick des Spielmanns richtete sich auf Roxane.
»Ich fordere kein Geld, Graf, ich fordere deine Tochter.«
»Was?« Die Faust des Grafen krachte auf den Tisch, dass die Weinbecher sprangen. »Für solche Scherze habe ich keinen Sinn, Fiedler. Nenne deinen Preis und reize mich nicht.«
»Ich habe meinen Preis genannt, Graf. Ich verlange deine Tochter.« Der Blick des Spielmannes bohrte sich in den des Grafen. »Du selbst wolltest deine Tochter lieber mir zur Frau geben als meinem Diener Signefeu, der dir zu gering war. Wohlan, löse dein Versprechen ein.«
Der Graf erblasste. Es wurde totenstill im Saal.
»Packt ihn!«, schrie der Graf.
Der Fiedler lachte. Er setzte den Bogen an die Fiedel.
»Jetzt spiele ich dir einen Tanz, Graf, den du in alle Ewigkeit nicht vergessen sollst.«
Der hinkende Fiedler zog den Bogen über die Saiten, dass ein schriller Misston erklang. Alle saßen wie gebannt, konnten sich nicht von der Stelle rühren. Bis auf den Grafen. Abrupt sprang er auf.
Er wollte sich auf den Fiedler stürzen, doch hohnlachend spielte dieser eine wilde, dämonische Melodie. Der Graf begann zu tanzen. Entsetzen stand in seinem Gesicht, als seine Beine zu springen anfingen, sein Körper zuckte, ganz gegen seinen Willen. Immer wilder, immer toller spielte der Fiedler, und immer wilder und toller tanzte der Graf.
Längst schon strömte Bodo von Falkenfels der Schweiß in Bächen über das Gesicht, doch der Fiedler hielt nicht inne. Die Füße des Grafen tanzten. Blut strömte dem Grafen aus Mund und Nase, es wurde ihm schwarz vor Augen.
Doch seine Füße trugen ihn weiter durch den Saal. Bodo von Falkenfels' Puls raste, sein Herz hämmerte gegen die Rippen. Er bekam kaum noch Luft, röchelte. Sein Gesicht verfärbte sich. Und immer noch gehorchten seine Füße den dämonischen Klängen.
Plötzlich flog mit einem Krach die Tür auf. Gilbert Signefeu trat ein, gefolgt von sechs Frauen. Drei waren alt und hässlich, drei jung und schön. Eine fast körperlich spürbare Aura des Bösen ging von der Gruppe aus.
Höhnisch lächelnd betrachtete Gilbert Signefeu den taumelnden, blutenden Grafen. Sein Blick glitt über die stumm und regungslos an der Tafel sitzenden Menschen.
Graf Bodo griff sich an die Brust, brach zusammen. Sofort, mitten in der Melodie, hielt der Fiedler inne, entlockte seinem Instrument einen schrillen, kreischenden Ton.
»Danke, Meister«, rief Gilbert Signefeu. Er lachte laut. »Was glotzt ihr so? Ist noch einer unter euch, der etwas gegen meine Vermählung mit Roxane einzuwenden hat?«
Gottfried, Roxanes Bruder, sprang auf, dass der Stuhl hinter ihm krachend umstürzte.
»Nie wirst du meine Schwester bekommen.«
»Warts nur ab. In drei Tagen ist es soweit, dann ziehe ich auf der Burg ein, heirate Roxane und übernehme den ganzen Besitz derer von Falkenfels. Für dich ist dann kein Platz mehr hier, Jüngelchen.«
Der Mann mit dem Feuermal und der hinkende Fiedler wandten sich um, verließen den Saal. Die sechs Frauen folgten ihnen. Die entsetzte Gesellschaft sah ihnen nach. Noch einmal hörten sie die Fiedel in der Ferne. Dann war es ruhig.
Jetzt erst rannten Männer zu dem am Boden liegenden Grafen. Doch Bodo von Falkenfels brauchte keine Hilfe mehr. Sein Herz hatte die Überanstrengung nicht verkraftet, es hatte zu schlagen aufgehört.
*
Drei Tage später zog Gilbert Signefeu auf Burg Falkenfels ein. Zwölf Frauen waren sein Gefolge, bösartige, grausame Weiber. Gottfried von Falkenfels wollte Signefeu von der Burg weisen.
»Ergreift ihn und werft ihn ins Gefängnis!«, rief der Hexer den Burgsoldaten zu. Seine schwarzen Augen blitzten dämonisch. So groß war die Kraft, die von ihm ausging, dass die Soldaten ohne Widerspruch gehorchten. Sie packten den jungen Grafen, Roxanes Bruder, und schleiften ihn ins unterste, finsterste Verlies.
»Ich bin jetzt der Herr auf Burg Falkenfels. Wer nicht für mich ist und mir und meinem obersten Herrn den Treueid schwört, der soll gehen, solange er noch kann. Sonst werden der Beerdigung des Grafen Bodo weitere folgen.«
Noch in der gleichen Stunde begann ein allgemeiner Auszug von der Burg. Nur sieben Soldaten und Knechte, schlimme, verkommene Kerle, die sich längst einen Ehrenplatz in der Hölle verdient hatten, und eine alte, hässliche Dienerin, die selber eine Hexe war, blieben auf der Burg. Die ändern flohen, nachdem es ihnen unter größten Mühen gelungen war, den jungen Grafen Gottfried von Falkenfels heimlich zu befreien. Am Grabe seines Vaters schwor Roxanes Bruder Rache.
»Zauber und Schwarzer Magie bist du zum Opfer gefallen. Wie einen Hund haben sie dich hastig verscharrt, voller Furcht vor ihm, den Roxane auf die Burg geholt hat. Doch ich werde dich rächen, das schwöre ich.«
Bei Nacht und Nebel verließ der junge Graf die Burg.
Eine Zeit des Grauens begann. Gilbert Signefeu, der Mann mit dem Feuermal, und sein Hexengefolge, die Soldaten und Knechte, die sich gleichfalls dem Bösen verschrieben hatten, feierten grausige Orgien und Rituale auf der Burg. In den umliegenden Dörfern und Städten wurden Männer, junge Mädchen und sogar Kinder entführt. Sie fanden ein schreckliches Ende unter den Händen von Signefeus Höllenbrut.
Gilbert Signefeu machte sich einen teuflischen Spaß daraus, Roxane alle grausigen Einzelheiten der Schwarzen Messen, Hexensabbate, dämonischen Rituale und Blutorgien miterleben zu lassen.
Hexen ritten nachts auf Besen um die Burg, brachten neue Opfer herbei. Grässliche Kreaturen der Finsternis wurden von Signefeu beschworen.
»Ich will die Herrschaft der finsteren Mächte wieder errichten«, sagte er zu Roxane.
Doch immer noch widerstand sie Signefeu, weigerte sich, eine Hexe zu werden.
»Du hinderst mich daran, meine Pläne zu verwirklichen«, schrie der Hexer Roxane an. »Wenn du mir nicht mehr widerstehst, dann werden auch die Geister der Finsternis mir Untertan sein. Wie sollen sie mir gehorchen, wenn ich nicht einmal einem Menschenweib meinen Willen aufzwingen kann? Nun, wenn du es nicht anders willst, dann muss die Folter deine Widerspenstigkeit brechen. Du hast drei Tage Zeit, deine Meinung zu ändern. Nach Ablauf dieser Frist gehörst du den Folterknechten.«
Gottfried von Falkenfels hatte den Herzog um Hilfe gebeten. Dieser glaubte die wilden Gerüchte nicht, die ihm von den Geschehnissen auf Burg Falkenfels zu Ohren kamen. Doch er willigte ein, mit seinem Gefolge und einem Landsknechtsregiment nach Burg Falkenfels zu reiten und dort nach dem Rechten zu sehen.
Es dauerte allerdings mehrere Wochen, bis der Herzog die Zeit dazu fand. An einem kalten Januartag endlich, zwei Tage vor Ablauf der Frist, die der Hexer Roxane gesetzt hatte, erreichten Herzog Albrecht und seine Leute die Burg.
Auf dem Weg hatte der Herzog schreckliche Dinge über das Treiben des Hexers Signefeu gehört. Der Name des Mannes mit dem Feuermal wurde wie ein Fluch ausgesprochen.
Signefeu öffnete das Burgtor nicht. Er sprach vom Söller aus mit dem Herzog, der auf seinem herrlichen Apfelschimmel, prächtig in Samt, Seide und Hermelinumhang gekleidet, vor der Burg hielt. Das Regiment der Landsknechte hatte hinter dem
Herzog Stellung bezogen. Gottfried von Falkenfels stand an Herzog Albrechts Seite.
»Ich fordere Euch auf, mich in die Burg einzulassen und Euch zu rechtfertigen für all das, was Euch vorgeworfen wird«, rief der Herzog.
»Du hast mir nichts zu befehlen. Verschwinde mitsamt deinen Männern und deinen Hofschranzen, alter Narr!«
»Signefeu, wenn Ihr nicht gehorcht, werde ich Euch meine Macht und meinen Zorn spüren lassen.«
Der Hexer lachte gellend. Roxane stand neben ihm. Ein Schleier verbarg ihr weißes Haar.
»Spürt ihr zuerst meine Macht!«, schrie der Mann mit dem Feuermal.
Er breitete die Arme aus, spreizte den schwarzen Umhang. Im Nu zogen sich dunkle Wolken am Himmel zusammen. Ein eiskalter Sturm brauste über den Herzog, die Landsknechte und die Höflinge hinter ihnen. Plötzlich tanzten bläuliche Flammen auf den Helmen der Landsknechte, auf den Klingen ihrer Säbel, den Rohren der Arkebusen.
Hexen auf Besen ritten über den Himmel, zogen Kometenschweife hinter sich her. Krachend flog das Burgtor auf. Eine schreckliche Erscheinung trat aus dem Torbogen.
Der Dämon füllte den Torbogen aus. Seine Haut war grau und rissig, seine Beine wie knorrige Baumstämme. Haarbüschel, in denen Schlangen und Skorpione nisteten, wucherten auf seiner Haut. Seine Hände waren Klauen mit langen Krallen, und fußlange, spitze Zähne ragten aus seinem Maul. Er schnaubte Rauch und Feuer. Sein Gesicht war eine scheußliche verzerrte Fratze, und seine Stimme grollte wie Donner.
»Wo ... sind ... sie? Ich will sie zerreißen, ihre Herzen fressen.«
Der Dämon war blind. Gilbert Signefeu rief eine Beschwörung. Ein Schwärm schwarzer Vögel und riesiger Fledermäuse stieg aus den Haaren des Dämons auf, flatterte auf den Herzog und sein Gefolge zu. Die Tiere wiesen dem Dämon den Weg, waren seine Augen.
In respektvoller Entfernung schloss der Herzog einen Belagerungsring um die Burg. Einen Angriff wagte er nicht.
Gilbert Signefeu aber zerrte Roxane in seine Gemächer, riss ihr die Kleider vom Leib und warf sie auf das Lager. Voller Ekel, Abscheu und Entsetzen musste sie dem Schrecklichen mit dem Feuermal zu Willen sein.
Nach Einbruch der Dunkelheit ging Roxane zum Grab ihres Vaters. Der Friedhof war der einzige Platz, wo sie Ruhe fand vor dem Hexer und seinem Gefolge. Roxane setzte sich vor die Gruft und weinte.
Da berührte etwas ihre Schulter, leicht wie eine Spinnwebe. Sie sah auf. Eine bleiche, geisterhafte Gestalt stand vor ihr. Durch sie hindurch konnte sie die Steine der Gruft sehen. Sie erkannte die zerquälten Züge ihres Vaters, des Grafen Bodo von Falkenfels.
»Ich finde keine Ruhe im Grab«, sagte er mit hohler Stimme. »Du bist ein Opfer des Hexers, Roxane, ich weiß es jetzt. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, wie man dem Treiben Gilbert Signefeus ein Ende bereiten kann.«
»Gibt es einen Weg? Welchen? Ich will alles tun, um Signefeu in die Hölle zu schicken, wo er hingehört.«
»Du musst bei Vollmond um Mitternacht Wasser aus einer Quelle schöpfen, auf die der Schatten eines Kreuzes im Mondlicht fällt. Wenn Signefeu mit diesem Wasser besprengt wird, verliert er für vierzehn Tage seine Zauberkräfte.«
Die Geistergestalt verblasste.
»Wo finde ich eine solche Quelle?«, fragte Roxane noch.
Wie ein Hauch kam die Antwort:
»Am Wegkreuz eine Meile hinter dem Galgenwirtshaus.«
Dann war die Erscheinung verschwunden. Roxane wusste nicht, ob sie das alles erlebt oder nur geträumt hatte.
Sie holte ein metallenes Gefäß aus der Burg, schlüpfte durch eine kleine Mauerpforte und lief durch die helle Vollmondnacht zu der bezeichneten Stelle. Kurz vor Mitternacht erreichte sie die Quelle hinter dem Wegkreuz.
Von der Stadt her hallten die Schläge der Turmuhr. Zwölfmal. Der Schatten des Kreuzes lag im Mondlicht auf dem silbrig glänzenden Wasser. Wie dunkle Schemen hoben sich Bäume und Sträucher vom fahlen Nachthimmel ab.
Roxane schöpfte das Wasser aus der Quelle.
Sie machte sich auf den Rückweg zur Burg, riss unterwegs einen Zweig ab, den sie zum Versprengen des Wassers benutzen konnte. Gegen vier Uhr morgens erreichte sie die Burg.
Gilbert Signefeu trat ihr entgegen, als sie durch die Mauerpforte kam.
»Wo warst du? Und was hast du da?«
Roxane tauchte den Zweig ins Wasser, besprengte den Hexer.
»Verflucht sollst du sein, Gilbert Signefeu, für alles, was du mir und den Menschen angetan hast. Ich hasse und verachte dich, du Scheusal.«
Der Hexer stieß einen heiseren Schrei aus. Er wollte auf Roxane stürzen, doch als sie den vom Wasser benetzten Zweig nach ihm ausstreckte, wich er zurück.
Signefeu schrie Beschwörungen, Verdammungen und Zaubersprüche, doch es geschah nichts. Als die Hexen und Knechte auf seine Rufe herbeikamen, besprengte Roxane auch sie mit dem Wasser. Aufschreiend wich die dämonische Meute zurück.
Elf Hexen flohen auf ihren Besen, nahmen drei der Soldaten mit. Die anderen und der Mann mit dem Feuermal umlauerten Roxane, wagten sich jedoch nicht an sie heran, weil das Wasser sie brannte wie höllisches Feuer.
Roxane befreite einen jungen Mann, den die Höllenbrut als nächstes Opfer vorgesehen hatte. Gemeinsam öffneten sie das Burgtor, entrollten eine weiße Fahne.
Signefeu wusste, dass sein Spiel verloren war. Er, der sich immer auf seine Zauberkräfte verlassen hatte, verspürte zum ersten Mal seit seiner Kindheit Angst. Während die Soldaten und Knechte Arkebusen holten, um Roxane und den jungen Mann zu erschießen, floh der Hexer von der Burg. Er wollte bei den Spessarträubern Zuflucht suchen, mit denen er paktierte.
Daraufhin gaben auch die ändern auf und suchten ihr Heil in der Flucht. Gilbert Signefeu, die beiden Hexen und vier der Anhänger des Hexenmeisters wurden von den Belagerern gefasst. Drei Männer und die alte Dienerin entkamen.
Am Nachmittag des gleichen Tages fand die Gerichtsverhandlung statt. Sie war kurz. Herzog Albrecht und die Richter verurteilten die männlichen Gefolgsleute des Hexers zum Tod durch das Schwert, die weiblichen zum Tod durch das Feuer. Gilbert Signefeu sollte lebendig in der Gruft unter dem Galgenwirtshaus eingemauert werden.
Der Herzog verbot, von dem Hexengericht und den Schreckenstaten des Hexers und seiner Anhänger der Nachwelt zu berichten. Natürlich wurden trotzdem heimlich Aufzeichnungen gemacht, aber sie waren von vornherein unvollständig.
Gottfried von Falkenfels, Roxanes eigener Bruder, sagte, vom Hass verblendet, gegen sie aus. Auch Roxane sollte auf dem Scheiterhaufen sterben, wie die beiden Hexen. Da sie jedoch gegen Gilbert Signefeu gekämpft hatte, gewährte der Herzog ihr die Gnade, erdrosselt zu werden, ehe der Scheiterhaufen entzündet wurde. Auf Roxanes eindringliche Bitten hin wurde der Mörtel, der für das Zumauern von Signefeus Gruft verwendet werden sollte, mit jenem Wasser versetzt, das Signefeus Zauberkraft gebrochen hatte. Roxane sah zu, wie der Hexer eingemauert wurde. Seine Flüche und Verwünschungen schallten aus der Gruft. Als nur noch eine kleine Öffnung übrig war, in die der letzte Stein eingefügt werden sollte, reckte Gilbert Signefeu noch einmal die Hand aus der Gruft.
»Ich werde wiederkommen«, schrie er. »Ihr könnt mich nicht töten. Ich werde mich schrecklich rächen.«
Ein Schauer überlief das weißhaarige junge Mädchen.
»Verflucht sollst du sein, Signefeu! Für alle Zeit soll Feindschaft sein zwischen dir und mir.«
Der letzte Mauerstein wurde in die Öffnung gefügt, verschloss die Gruft des Hexers.
*
Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten. Thorsten Thorn erwachte neben Linda. Es klopfte an der Tür.
»Linda! Linda! Der Regisseur will Sie und Thorsten sprechen.«
Auch Linda öffnete die Augen, wusste im ersten Moment nicht, wo sie sich befand.
»Ich komme gleich«, rief sie dann.
Thorn zog den Rolladen hoch. Helles Sonnenlicht flutete ins Zimmer.
»Heute Nacht habe ich ebenfalls geträumt«, sagte Thorn. »Von der unglücklichen Roxane und ihrem teuflischen Liebhaber.«
»Merkwürdig, ich träumte ebenfalls, wie Roxane die Zauberkraft Signefeus brach und wie er dann eingemauert wurde.«
Sie erzählten einander ihre Träume. Sie stimmten genau überein. Weit größer war die Überraschung aber, als Thorsten Thorn und Linda Scholz von dem Regisseur erfuhren, dass er genau denselben Traum gehabt hatte.
»Das heißt, dass das Wasser aus dieser Quelle Signefeus Zaubermacht aufhebt«, sagte Schultz-Breitenberg. »Ich habe nie an solche Sachen geglaubt, doch die Ereignisse der letzten Tage und dieser Traum lassen mich zweifeln. Wir müssen das Wasser haben und Signefeu den Garaus machen.«
»Das geht nicht«, antwortete Thorn mutlos. »Der Mond nimmt schon wieder ab. Das Wasser muss bei Vollmond um Mitternacht geschöpft werden, sonst ist es wirkungslos. Der Hexer hat drei Wochen Zeit, seine dämonischen Kräfte auszuspielen. Er wird diese Zeitspanne nutzen. Ich fürchte, wir sind verloren.«
»Es ist alles umsonst«, seufzte Linda Scholz. »Wir sind diesem Ungeheuer ausgeliefert.«
Da klopfte es an der Tür. Der alte Pfarrer aus der Stadt trat ein. Er hielt ein metallenes Wassergefäß in der Hand, stellte es auf den Tisch.
»Sie hier, Fräulein Scholz?«, sagte er erstaunt. »Ich dachte. Sie seien weit weg?«
»Warum sollte ich das?«
»Nun, Sie waren doch gestern noch einmal bei mir, kurz nach Mitternacht. Sie gaben mir dieses Gefäß und sagten, ich solle es ins Hotel bringen, denn Sie müssten eine weite Reise machen. Es sei sehr wichtig, dass Herr Thorn dieses Wasser bekäme, sagten Sie, und dann gingen Sie, ohne auf meine Fragen zu antworten.«
Schultz-Breitenberg, Thorsten Thorn und Linda Scholz sahen einander an. Der Regisseur ging aus dem Zimmer, fragte die beiden Kripobeamten, ob jemand das Hotel verlassen habe.
»Alle Ausgänge waren verschlossen«, sagte er als er zurückkam. »Niemand konnte nach 23.00 Uhr das Hotel verlassen. Alles wurde bewacht.«
Thorn sprach den Verdacht aus, den alle hatten.
»Sollte Roxane von Falkenfels Ihnen das Gefäß gegeben haben, Benefiziat? Dann muss das Wasser aus der Quelle am Wegkreuz stammen, geschöpft bei Vollmond um Mitternacht, wenn der Schatten des Kreuzes aufs Wasser fällt.«
»Welches Wasser? Welches Kreuz?«
Thorn informierte den Benefiziat von dem Traum, den sie alle drei in der vergangenen Nacht gehabt hatten.
»Wir müssen handeln«, sagte der Benefiziat. »Heute Nacht muss auf Burg Falkenfels ein Hexensabbat stattgefunden haben. Hexen ritten durch die Luft zu der Burg. Ein Bauer sah schreckliche Gestalten auf dem Söller und den Mauern, Menschen mit Tierköpfen und Dämonen, schlimmer als jeder Alptraum. Gilbert Signefeu sammelt die höllischen Mächte. Wir müssen ihn sofort vernichten, sonst ist es zu spät.«
»Wie können wir ihn fassen?«
»Er wird Linda Scholz holen wollen. Das soll sein erster Triumph sein. Das Galgenwirtshaus ist nach wie vor das Hauptquartier des Hexers. Dort werden wir ihn erwarten.«
An Dreharbeiten war an diesem Tag nicht zu denken. Vor der Burg war die grässlich entstellte Leiche eines jungen Mädchens gefunden worden. Thorsten Thorn, Linda Scholz, Schultz-Breitenberg und der Benefiziat warteten ungeduldig auf den Einbruch der Dunkelheit.
Dann gingen sie zum Galgenwirtshaus. Ihre Kleider waren mit dem Wasser besprengt.
Der Höllenspuk begann gegen elf Uhr. Es stöhnte und ächzte in den alten Mauern. Schauriges Gelächter gellte. Hexen ritten über den Nachthimmel. Ein schwarzer Wolf mit glühenden Augen strich um die Gruppe. Vom Galgen her kamen drei Skelette, tanzten zu den Klängen einer Geistermelodie einen Reigen.
»Mein Gott«, ächzte der Regisseur immer wieder. »Mein Gott!«
Der Benefiziat betete. Thorn und Linda hielten sich an den Händen. Vom Wald her stapfte eine dunkle Gestalt, wurde größer, ragte wie ein Berg auf. Im Sternenlicht erkannten die vier entsetzten Menschen jenen Dämon, der vor 390 Jahren Herzog Albrecht und seine Männer in die Flucht geschlagen hatte.
Er tappte heran, riesig, grau, mit schwarzen Haarbüscheln bedeckt, in denen Schlangen züngelten, Skorpione herumhuschten.
Ein Donnerschlag krachte. Aus der Tür des Galgenwirtshauses trat ein Mann, groß, hager, schwarz gekleidet, das Gesicht von einem Feuermal entstellt. Gilbert Signefeu, der Hexer.
»Das Wasser«, rief der Benefiziat, »das Wasser!«
Thorsten Thorn wollte den vor ihm stehenden Hexer mit dem magischen Wasser besprengen, doch seine Glieder gehorchten ihm nicht. Er stand reglos, wie gebannt. Auch die andern konnten sich nicht rühren.
»Ihr Narren«, rief Signefeu. »Ich kenne euer Zaubermittel, aber es wird euch nichts helfen. Pack sie, Archayimos, und töte sie. Alle, außer der Frau.«
Der Dämon streckte die Klauen aus. Modergeruch schlug aus seinem Maul, streifte die zitternden Menschen.
Da leuchtete ein helles Licht auf. Der Dämon wich zurück. Vor ihm stand eine bleiche, strahlende, durchscheinende Gestalt. Ein Ebenbild von Linda Scholz.
»Weiche, Höllenspuk«, rief die Erscheinung mit heller Stimme. »Und du, Hexenmeister, sieh mich an, damit du erkennst, durch wen du dein Ende findest.«
Signefeus Gesicht verzerrte sich.
»Roxane von Falkenfels«, knirschte er. »Also sind sie doch kein Trug, die Kräfte des Guten. Die ganze Zeit schon, während ich dachte, meine Kräfte schlummerten noch und erwachten erst langsam, hemmtest du mich!«
»Stirb, Signefeu, und sei verflucht! In die Hölle mit dir.«
Thorsten Thorn spürte, wie der Bann von ihm wich. Er besprengte den Hexer mit dem Wasser.
Es krachte. Thorn taumelte zurück. Der Hexer stand hochaufgerichtet da, wie erstarrt, in eine helle Flamme gehüllt. Die Flamme verzehrte ihn, bis nur noch das Skelett dastand. Dann brachen die Knochen zusammen. Das Häufchen am Boden brannte und glimmte weiter, bis kein Stäubchen mehr von Signefeu übrig war.
Mit einem Ausdruck überirdischer Glückseligkeit auf den Zügen blickte die Erscheinung Roxane von Falkenfels' auf die Stelle, an der Gilbert Signefeu, der Hexer mit dem Feuermal, endlich vernichtet worden war.
«Ich bin erlöst«, säuselte sie.
Dann verblasste das helle, strahlende Bild des Mädchens.
Von dem ganzen Spuk war nichts mehr zu sehen. Es war eine stille Sternennacht, ruhig und friedlich.
Schultz-Breitenberg bewies wieder einmal, dass er mit Leib und Seele ein Filmmensch war.
»Jetzt können wir >Das Galgenwirtshaus< endlich abdrehen«, sagte er. »Doch an das, was sich wirklich abgespielt hat, kann der Film nie heranreichen.«
* ENDE *