2. Kapitel
»Okay, Kinder, feiert nicht zu lange heute. Morgen ist ein langer Tag. Wir steigen gleich voll ein.«
Viktor Schultz-Breitenberg stand inmitten des Durcheinanders, das das Filmteam bei seiner Ankunft im Hotel verursacht hatte. Alle wohnten in dem modernen Hotel, Regisseur, Regieassistent, Schauspieler, Statisten, die Kameraleute, der Tonmeister, die Cutter, Scriptgirls, Beleuchter und Helfer. Zweiundfünfzig Personen waren gekommen mit zwei Aufnahmewagen, dem Tonwagen und allen technischen Geräten. Die Filmgesellschaft hatte das ganze Hotel für die Dauer der Dreharbeiten gemietet.
Schultz-Breitenberg schob seine zwei Zentner die Treppe hoch. Schauspieler, Statisten und einige andere folgten ihm. Die übrigen hatten noch zu tun. Es war acht Uhr abends, und es wurde schon dunkel. Pünktlich um acht Uhr am anderen Morgen sollte die Arbeit beginnen.
Linda Scholz und Thorsten Thorn, zwei der drei Hauptdarsteller, hatten Zimmer nebeneinander. Ihr Verhältnis war für niemanden ein Geheimnis. Linda packte nur oberflächlich aus, dann verließ sie ihr Zimmer, klopfte nebenan.
Thorsten Thorn öffnete.
»Hallo, mein Schatz, schon fertig?«
»Ich habe einen Riesenhunger, Thorsten. Komm, gehen wir essen. Hoffentlich ist die Küche hier in Ordnung. Das Hotel macht ja einen guten Eindruck.«
»Augenblick, ich komme gleich.«
Sie gingen in den Speiseraum im Erdgeschoß. Der Raum war geschmackvoll eingerichtet. Holzdielen, getäfelte Wände, offener Kamin, alte Ölgemälde.
Linda und Thorsten Thorn setzten sich zu einer Dreiergruppe.
»Sehen Sie doch, Linda«, sagte Thomas Leupolt, »der Hotelbesitzer scheint zu Ihren Fans zu gehören. Dort über dem Kamin hängt ein Bild von Ihnen.«
Tatsächlich hing dort ein Ölgemälde, alt und von vielen kleinen Rissen durchzogen, das eine bildschöne blonde Frau zeigte. Sie trug eine Perlenkette um den Hals. Ihre Augen schienen dem Betrachter überall im Raum zu folgen.
Thorsten Thorn erhob sich, trat zu dem Bild.
Roxane von Falkenfels, las er. Anno Domini 1560 -1583. Gott sei ihrer Seele gnädig. Thorsten Thorn runzelte die Stirn. Was zuerst wie eine nette Geste oder ein Ulk ausgesehen hatte, entpuppte sich als ziemlich makabrer Scherz. Das Bild schien sehr alt zu sein, doch es gab ja auch künstliche Mittel, ein Gemälde nachzualtern.
Thorsten Thorn sprach die Kellnerin darauf an.
»Wer hatte denn die glorreiche Idee, hier ein nachgemachtes Bild von Fräulein Scholz aufzuhängen?«
Die dickliche Kellnerin sah das Bild an, sah Linda Scholz an. Dann stieß sie einen Schrei aus, ließ das Tablett mit Gläsern fallen, das sie in der Hand hielt, und rannte aus dem Raum. Thorsten Thorn schüttelte den Kopf.
»So etwas Verrücktes!«
Zwei Minuten später kam der Hotelbesitzer. Auch er schien über die Ähnlichkeit Lindas mit dem Bild sehr bestürzt.
»Merkwürdig!«, sagte er. »Dieses Bild ist uralt. Es wurde von einem bedeutenden Künstler zu Lebzeiten der schönen Roxane gemalt.«
»So ein Unsinn!«, mischte Thomas Leupolt sich ein. »Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, dass unsere Hauptdarstellerin genauso aussieht wie jene Roxane von Falkenfels, die vor fast vierhundert Jahren als Hexe verbrannt wurde und die sie im Film spielen soll? Das muss ein dummer Scherz sein.«
»Für dieses Bild habe ich elftausend Mark bezahlt«, antwortete der Hotelbesitzer. »Es stammt aus dem 16. Jahrhundert. Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend.«
Viktor Schultz-Breitenberg, der Regisseur, kam herein. Er sah den Auflauf, der um die Hauptdarstellerin und das Bild entstanden war, und lachte, als er hörte, um was es ging.
»Na und? Einen besseren Werbegag könnten wir doch gar nicht kriegen.«
»Dann stecken Sie also dahinter?«
»Kinder, ihr könnt mir ja viel zutrauen, aber darauf wäre ich nicht gekommen. Es sieht wirklich so aus, als hätten Sie im 16. Jahrhundert eine Doppelgängerin gehabt, Linda.«
Der Regisseur, der Regieassistent und zwei Kameraleute nahmen am Nebentisch Platz. An dem Tisch, an dem Linda Scholz und Thorsten Thorn saßen, wurde jetzt über das gesprochen, was sie alle beschäftigte: den Film.
»Wird gar nicht so einfach sein, den Hammer-Productions Konkurrenz zu machen«, sagte einer der Schauspieler. »In Deutschland wird sich der Streifen sicher gut verkaufen, aber im Ausland...«
»Es kann nichts schiefgehen«, sagte eine üppige, dunkelhaarige Frau voller Überzeugung. Sie spielte eine kleinere Rolle. »Linda Scholz, Thorsten Thorn und Thomas Leupolt in einem Film sind Kassenknüller. Dazu führt noch Viktor Schultz-Breitenberg Regie. Der Streifen selbst enthält von allem etwas: Horror, Hexenverfolgungen, Heimatfilmromantik, mittelalterliche Actionszenen, gute Massenszenen, Liebe, Sex, alles, was das Publikum will. Es wird ein Erfolg, das sage ich.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr, Marga«, sagte Thorsten Thorn und steckte sich eine Zigarette an.
Zwei Kellnerinnen brachten laufend Essen und Getränke. Viktor Schultz-Breitenberg machte sich über eine umfangreiche Kalbshaxe her. Linda Scholz schnitt lustlos an ihrem Schnitzel herum. Sie hatte keinen Appetit mehr.
»Gehen wir ein wenig an die frische Luft, Thorsten«, sagte sie, als er den Teller zurückschob.
Sie verließen den großen Raum.
Viktor Schultz-Breitenberg sah ihnen nach. Sie waren ein schönes Paar. Linda Scholz mittelgroß, zierlich, blond. Sie strahlte eine mädchenhafte Erotik aus, genau richtig für die Rolle der Roxane. Thorsten Thorn dagegen war Einsneunzig groß, hatte dunkles Haar und ein ungleichmäßiges, hässliches, aber äußerst sympathisches Gesicht. Er würde etwas Schminke brauchen, um den dämonischen Hexenmeister Gilbert Signefeu verkörpern zu können, doch das rote Feuermal, das ihm der Maskenbildner verpassen musste, würde Wunder wirken.
Linda Scholz und Thorsten Thorn spazierten zum Waldrand. Hinter dem Wald lag auf einem Hügel Burg Falkenfels. Zu ihrer Rechten war das alte Wirtshaus, das Galgenwirtshaus. Es hatte seinen Namen von dem verwitterten Galgen, der ganz in seiner Nähe bei einer großen Eiche stand.
»Warum bist du so still, Linda?«, fragte Thorn.
»Ach, dieses Bild geht mir nicht aus dem Kopf. Sicher glaube ich, dass es Doppelgänger gibt. Doch dass ausgerechnet eine junge Frau, die im 16. Jahrhundert als Hexe verbrannt wurde, meine Doppelgängerin sein soll, das bedrückt mich.«
Thorn lachte. Er legte den Arm um Lindas schlanke Taille.
»Dummerchen. Roxane war laut Drehbuch ein gutes Mädchen, das von einem Hexer in seine Netze gezogen wurde. Sie fand ein schlimmes Ende, doch das braucht dich nicht zu kümmern. Ein dummer Zufall, diese Ähnlichkeit, mehr nicht.«
Der Weg war kaum zu erkennen, denn Wolken verdeckten den Mond und die Sterne. Thorn und Linda gingen auf das alte Gemäuer, auf das Galgenwirtshaus zu. Ein Mann kam ihnen entgegen.
Zuerst sahen sie nur die hin und wieder aufglimmende Glut seiner Zigarre. Dann erkannten sie, dass er einen großen Hund an der Leine führte. Das Tier zerrte ihn vorwärts, winselte leise.
Sie grüßten freundlich. Der Mann erwiderte ihren Gruß, blieb stehen.
»Gehören Sie zu den Filmleuten?«
»Ja.«
Der Mond kam zwischen ein paar Wolkenfetzen hervor. In seinem Licht konnten sie einen älteren, kräftigen Mann erkennen. Der Schäferhund zerrte an der Leine.
»Dummes Vieh!«, sagte der Mann. »Fast jeden Tag gehen wir diesen Weg, am Galgenwirtshaus vorbei. Heute plötzlich stellt der Hund sich an, als wollte ihm etwas ans Leben. Er ist wie toll.«
»Vielleicht wittert er ein Kaninchen«, sagte Thorn.
»Nein, er will nicht wildern, er hat Angst. Sehen Sie denn nicht, wie er den Schwanz einzieht? Na, es hat mich gefreut, mal zwei richtige Schauspieler kennenzulernen. Habe ich Sie vielleicht schon mal auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm gesehen?«
»Wir gehören zum Kamerateam«, log Thorn, denn er hatte keine Lust, womöglich noch ein Autogramm zu schreiben.
»Im Vertrauen gesagt, vielen in der Stadt war es gar nicht recht, dass dieser Film gedreht wird über den Hexer und das Galgenwirtshaus, das er bewohnte. Es gibt da viele alte Gerüchte. Man will bei Nacht im alten Galgenwirtshaus Stöhnen, Schreie und wilde Musik gehört haben. Niemand geht gern hier vorbei, außer mir und Hasso.«
In diesem Augenblick gellte ein irrer Schrei durch die Nacht. Alle drei zuckten zusammen. Durch ein Kornfeld, etwa einen halben Kilometer entfernt, rannte ein Mann.
»Signefeu!«, brüllte er. »Signefeu! Mich kriegst du nicht, Signefeu!«
»Mein Gott, was ist denn das?«, fragte Linda.
Eine Wolke zog vor den Mond, und es war wieder stockfinster.
»Das muss der Verrückte sein«, antwortete der Spaziergänger mit dem Hund. »Gestern Nacht schon sah ihn ein Ehepaar, das spät nach Hause fuhr. Den ganzen Tag suchte ihn die Polizei, mit Hubschraubern und Hunden. Aber sie konnten ihn nicht stellen.«
»Eine reizende Gegend.«
Der Mann verabschiedete sich, ging weiter. Linda blieb stehen.
»Schlimm genug, dass wir etliche Szenen in diesem Galgenwirtshaus drehen müssen«, sagte sie. »Bei Nacht bringt mich keiner dorthin. Noch dazu, wo ein Irrer hier frei umherläuft.«
*
Thomas Leupolt klopfte. Eine Stimme aus dem Zimmer fragte:
»Wer ist da?«
»Der Spessarträuber Jörn Freydag«, antwortete Thomas.
Die Tür wurde geöffnet. Leonora Rycka stand im Rahmen. Das Licht hinter ihr ließ ihren hauchdünnen Baby Doll durchsichtig erscheinen. Sie ging auf das Spiel ein.
»Wenn du dich zu einer Hexe traust, Räuber.«
Thomas drängte sie ins Zimmer, schloss die Tür hinter sich.
»Ich konnte nicht schlafen«, sagte er. »Wenn du in der Nähe bist, kann ich nie schlafen.«
»Ach, du!«
Leonora setzte sich auf die Bettkante, lächelte Thomas an. Sie spielte eine Nebenrolle im Film, eine sexbesessene, schwarzhaarige Hexe, die an keinem Mann vorübergehen konnte. Genauso war sie auch im Leben. Unter dem hauchdünnen Baby Doll waren deutlich ihre üppigen Brüste zu sehen.
Thomas Leupolt, Darsteller des biederen, großmäulig-tapferen Spessarträubers Jörn Freydag, setzte sich neben sie und schloss sie in die Arme. Leonora drängte sich an ihn.
Er spürte den Druck ihrer Brüste, ihren Körper, und merkte, wie groß ihr Verlangen war.
Sie zerrte an seinen Kleidern. Thomas' geübte Finger hatten ihr den Baby Doll innerhalb weniger Sekunden abgestreift. Sein Blick glitt über ihren Körper, die festen Brüste, die verführerischen Schenkel. Er warf die letzten Kleidungsstücke in die Ecke. Leonora zog ihn an sich.
Sie war leidenschaftlich, wand sich unter ihm. Als sie den Höhepunkt erreichte, hielt er ihr die Hand vor den Mund, denn er wollte nicht, dass sie das halbe Hotel weckte.
Dann lagen sie nackt nebeneinander auf dem Bett, rauchten Zigaretten und sahen zu, wie der Rauch sich zur Zimmerdecke empor kräuselte.
»Du bist kein übler Kerl, Thomas«, sagte sie und kraulte die Haare auf seiner Brust. »Ich habe bessere gehabt, aber du bist nicht übel. Wie spät ist es?«
Es war Viertel nach zwölf, aber Thomas, der genau wusste, dass Leonora um Punkt zwölf Uhr alle männlichen Besucher aus dem Zimmer verbannte, wenn sie am nächsten Tag Aufnahme hatte, sagte unbekümmert: »Kurz vor halb zwölf, Liebling. Wir haben noch etwas Zeit.«
Leonora drehte sich auf den Bauch. Sie nahm ihre Uhr aus der Schublade, sah die richtige Zeit.
»Allez hopp, mein Süßer. Glaubst du, ich will morgen unausgeschlafen, zerrupft und zerzaust vor die Kamera treten? Okay, ich bin für Liebe und Sex immer zu haben, aber meine Karriere geht vor.«
Seufzend drückte Thomas Leupolt die Zigarette aus, küsste Leonora. Er wusste, dass sie sich nicht umstimmen ließ. Also zog er sich an.
»Was war das?«
Thomas lauschte.
Vom Flur her drang ein unterdrücktes Stöhnen.
»Da ist jemand verletzt«, sagte Thomas Leupolt leise.
Wieder ertönte das schaurige Stöhnen. Dann klirrten Ketten. Schritte schlurften den Gang entlang.
Thomas Leupolt riss die Tür auf. Es war dunkel im Gang. Etwas tappte an Leupolt vorbei, stöhnend, kettenrasselnd.
Dem Schauspieler stockte der Atem, und er hörte die Angst in seiner Stimme, als er sagte: »Was ... was soll das?«
Etwas Kaltes streifte ihn. Leonora Rycka drängte sich hinter Thomas. Stöhnend und kettenrasselnd schlurfte der Unbekannte weiter. So grausig waren die Laute, die er ausstieß, dass Thomas Leupolt wie gelähmt stehen blieb. Nichts in der Welt hätte ihn in diesem Augenblick bewegen können, den Unbekannten zu packen.
Ein anderer hatte mehr Mut. Das Licht flammte plötzlich auf. Aus fast allen Türen schauten Leute. Thorsten Thorn stand am Ende des Flurs, die Hand am Lichtschalter. Linda Scholz steckte den Kopf aus ihrem Zimmer, die Hand vor den Mund gepresst.
Am anderen Ende des Flurs aber ging eine makabre Erscheinung. Ein großer Mann in schwarzem Umhang, mit Ketten an Händen und Füßen. Er stöhnte grässlich, rasselte mit den Ketten. Am Ende des Korridors drehte er sich um.
Leonora Rycka schrie auf. Aus der Kapuze über dem schwarzen Umhang grinste ein Totenschädel. Alle standen wie erstarrt.
Die schwarzen Augen der grauenhaften Gestalt schienen sich in die Lindas zu bohren.
Eine Grabesstimme rief: »Roxane! Roxane! Du, Roxane?«
Thorn sprang vor.
Mit dem Ruf:
»Das soll dir leidtun, du Halunke! Das ist kein Scherz mehr!«, stürzte er sich auf die gespenstische Erscheinung.
Der Unbekannte im schwarzen Umhang verschwand im Seitengang. Gleich darauf stand Thorn im Seitengang. Niemand war zu sehen. Der Schauspieler wollte die Tür des Abstellraums aufreißen, aber sie war verschlossen.
Der Hotelier und der Regisseur kamen kurze Zeit später. Viktor Schultz-Breitenberg blinzelte verschlafen.
»Wenn ich einen bei dem Blödsinn erwische, dann fliegt er«, sagte er, als man ihm erzählt hatte, was geschehen war. »Drehen wir hier einen Film oder spielen wir Gespenster? Da muss doch der Maskenbildner die Hand im Spiel haben. Na warte!«
»Öffnen Sie die Tür da«, sagte Thorn zu dem Hotelbesitzer. »Der Kerl muss noch in dem Raum sein.«
»Es gibt nur den Hauptschlüssel«, sagte der Hotelbesitzer. »Der andere ging verloren, und wir konnten noch keinen neuen anfertigen lassen. Der
Hauptschlüssel war die ganze Zeit bei mir. Es kann niemand in den Raum gelangt sein.«
»Wo soll er denn sonst sein? Schließen Sie die Tür auf!«
Der Hotelbesitzer öffnete. Die Abstellkammer war leer bis auf ein paar ausrangierte Möbel, Staubsauger, Putzeimer, Schrubber und Wischlappen.
In dem kleinen fensterlosen Raum war niemand.
»Das gibt es doch nicht«, sagte Thorsten Thorn. »Er muss hier sein. Er ging um die Ecke und verschwand. Und der Gang endet hier.«
»Wenn es ein richtiger Geist war, dann kann er durch Wände gehen«, sagte eine Frauenstimme.
Einen Moment sahen sie sich schweigend an.
Selbst Viktor Schultz-Breitenberg musste sich erst räuspern, ehe er sprechen konnte: »Unsinn! Wir machen hier zwar einen Horror-Film, aber so was glaubt doch kein Mensch. Wir werden schon noch merken, was es war. Ein Geist auf keinen Fall. Es gibt keine Geister.«
Von irgendwo gellte Gelächter, so schaurig und höhnisch, dass alle ein kalter Schauer überlief.
*
Bei Drehbeginn am nächsten Morgen waren einige unausgeschlafen. Leonora Rycka, weil sie nach dem Spuk in der Nacht doch nicht allein bleiben wollte, Thomas Leupolt aus demselben Grund. Die erste Szene sollte vor dem Galgenwirtshaus spielen. Thorsten Thorn als Hexenmeister Gilbert Signefeu traf hier eine Gruppe von Hexen, die er herbeschworen hatte. Leonora Rycka führte die Hexen an.
Thorsten Thorn trug schwarze Kleider, die Hexen Röcke und Blusen. Auf Leonora Ryckas Schulter saß eine schwarze Katze. Der Ausschnitt der schwarzhaarigen Leonora war mehr als gewagt.
Das Galgenwirtshaus hatte ein Wirtshausschild bekommen, die Fenster waren geputzt und zerschlagene Scheiben erneuert worden. Im Innern des Wirtshauses arbeiteten Männer an der Renovierung für später folgende Szenen. Der Kamerawagen fuhr der Hexengruppe entgegen. Viktor Schultz-Breitenberg arbeitete konzentriert. Gleich sollte eine Reitergruppe auf dem Hügel erscheinen und mit gezogenen Schwertern auf die Hexen losgaloppieren.
Schon erschienen die Reiter, gerieten in den Bereich der Kameras. Thomas Leupolt als Anführer Jörn Freydag hob die Hand mit dem Schwert, deutete auf die sieben Hexen. Thorn vor dem Haus sah jetzt die Reiter, breitete die Arme aus. Der. Schimmel des Räuberhauptmanns bäumte sich wiehernd auf.
Einer der Arbeiter kam aus dem Haus, zupfte Viktor Schultz-Breitenberg am Ärmel.
»Was gibt es denn? Ich habe jetzt keine Zeit.«
Es war eine der Szenen aus dem letzten Teil des Films, der Kampf des Hexers mit dem Spessarträuber. Der Hexer und sein Gefolge sollten die Angreifer laut Drehbuch in die Flucht schlagen.
»Unten im Keller, Herr Schultz-Breitenberg.«
»Interessiert mich nicht.«
»Da liegt aber ein Toter.«
Mit einer Behändigkeit, die bei seiner Körperfülle niemand vermutet hätte, sprang Schultz-Breitenberg von seinem Klappstuhl hoch. Thorn sah irritiert zu ihm hin, die Hexen und die Kameraleute auf dem einen Wagen ebenfalls. Leupolt mit seinen acht Männern preschte den Hügel herunter am Galgen vorbei. Doch als sie sahen, dass die Aufnahmen unterbrochen waren, zügelten sie die Pferde und schoben die Schwerter in die Scheiden.
»Wo liegt der Mann, verdammt?«
Schultz-Breitenberg, Thorsten Thorn und die andern folgten dem aufgeregten Arbeiter in die düsteren Kellergewölbe. Zwei Männer mit Lampen erwarteten sie. Vor einer niedergestürzten Mauer, die einen kleinen Zellenraum abgeschlossen hatte, lag ein untersetzter, dunkelhaariger Mann, das Gesicht grässlich verzerrt.
»Mein Gott«, sagte einer hinter Schultz-Breitenberg leise. »Der sieht ja aus, als hätte er den Leibhaftigen gesehen.«
Der Regisseur beugte sich über den Toten, ergriff sein Handgelenk.
»Die Leichenstarre hat bereits eingesetzt. Der Mann kann schon ein oder zwei Tage hier liegen. Es ist feucht und kühl, da setzt die Verwesung nicht so schnell ein. Verletzungen kann ich auf den ersten Blick keine erkennen. Jemand soll einen Arzt holen.«
Der Arzt, ein grauhaariger, rotnasiger Mann, kam eine halbe Stunde später. Die Dreharbeiten waren inzwischen unterbrochen. Schultz-Breitenberg addierte bereits die Kosten, die diese Verzögerung verursache würde. Er fluchte leise
Der Arzt untersuchte den Toten.
»Achtundzwanzig bis sechsunddreißig Stunden tot. Keine Verletzungen feststellbar. Bleibt die Frage, was er hier zu suchen hatte.«
»Woran ist er gestorben, Doktor?«
Der Arzt zuckte mit den Schultern.
»Herzschlag. Wenn man sein verzerrtes Gesicht sieht, dann möchte man sagen, das Herz ist ihm vor Schreck stehengeblieben.«
*
Zwei Stunden später wurde der Tote abtransportiert. Auch die Polizei war zur Stelle, denn es handelte sich nicht um einen alltäglichen Todesfall. Der Polizeihauptmeister aus der nahen Kleinstadt sprach mit den Arbeitern, die den Toten gefunden hatten, und mit dem Regisseur.
»Was sollten denn die Arbeiter hier? Wollen Sie hier unten auch drehen?«
»Natürlich«, antwortete Schultz-Breitenberg. »Eine so echte Staffage finden wir nicht wieder. Ein paar Hexen-und Folterszenen spielen hier, da die Gewölbe der Burg nicht zugänglich sind.«
Der Polizeihauptmeister überlegte. Er schien dem Regisseur etwas sagen zu wollen, schwieg dann aber. Als er die eingestürzte Mauer sah, die enge Zelle, schrak er zusammen. Er leuchtete mit der Taschenlampe den Raum ab. Dann hatte er es eilig, hinaus ins Freie zu kommen.
»Viel lässt sich im Augenblick nicht sagen«, sagte er zu Schultz-Breitenberg und Thorsten Thorn. »Ein natürlicher Tod. Die Frage ist nur, was der Tote in den unterirdischen Ge
wölben des verrufenen Galgenwirtshauses zu suchen hatte. Die Angelegenheit wird weiterverfolgt.«
Der Polizeihauptmeister war schon im Begriff, in den Streifenwagen einzusteigen.
Da fragte ihn der Regisseur: »Warum ist das Galgenwirtshaus verrufen?«
Unwillkürlich senkte der Polizist die Stimme, als er sagte: »Manche behaupten, es spukt hier.«
»Schöne Gegend«, sagte Schultz-Breitenberg sarkastisch. Er erwähnte das Zwischenspiel in der vergangenen Nacht im Hotel mit keinem Wort. »Es spukt, Tote werden gefunden, Verrückte laufen frei herum.«
Der Streifenwagen fuhr ab. Schultz-Breitenberg scheuchte die in Gruppen umherstehenden Darsteller und Mitglieder des Drehstabes an die Arbeit. Die Unterbrechung hatte die Laune des Regisseurs nicht verbessert. Am frühen Morgen schon hatte er versucht herauszubekommen, wer für den makabren Spuk in der Nacht verantwortlich war, doch ohne Erfolg. Heute würde er sie alle herumhetzen, dass ihnen nachts die Lust zu spuken verging.
»An die Arbeit, Herrschaften, Zeit ist Geld. Wir könnten schon wieder drei Szenen im Kasten haben.«
In einem für sie hergerichteten Zimmer des alten Wirtshauses traf Linda Scholz die letzten Vorbereitungen für ihren Auftritt. Der Maskenbildner war gerade gegangen. Linda versuchte, sich auf ihre Rolle zu konzentrieren, doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab.
Kein Wunder bei den Geschehnissen der letzten vierundzwanzig Stunden!
Es klopfte an der Tür.
»Ihr Auftritt, Linda«, hörte sie die heisere Stimme von Max, dem Mädchen für alles.
Linda wollte aufstehen, doch sie konnte nicht. Ihr war, als verschwimme ihr Bild im Spiegel. Ein kalter Hauch streifte ihren Nacken, und eine Stimme sagte: »Roxane, du bist zurückgekommen.«
Linda zwang sich, den Kopf zu wenden. Sie sah sich im Raum um. Es war niemand da. Ihr Blick schweifte über die Wände, an die ein paar Fotos und Filmplakate geheftet worden waren, ihre Kostüme auf der Kleiderstange, einige Utensilien des Maskenbildners, des Friseurs und der Kostümgestalterin. Daneben lag das Drehbuch mit dem Titel: ,Das Galgenwirtshaus'.
Energisch schüttelte Linda den Kopf. Sie erhob sich, wollte zur Tür gehen.
Da hörte sie wieder dieselbe Stimme: »Roxane!«
Sehnsucht und Verlangen klangen in dem Wort. Linda Scholz rannte aus dem Zimmer, aus dem alten Wirtshaus. Sie lief in den Regisseur hinein. Er hielt sie an den Schultern fest.
»Na, na, Sie sind ja ganz bleich, Linda. Was ist denn?«
»Irgend etwas... irgend jemand ist da drin, Viktor.«
»Was denn? Haben Sie jemanden gesehen?«
»Nein, aber ich hörte eine Stimme. Sie nannte mich >Roxane<.«
Ein paar Statisten und Mitglieder des Drehstabes, die in der Nähe standen, sahen einander an. Viktor Schultz-Breitenberg runzelte die Stirn.
»Sie haben das deutlich gehört, Linda?«
»Ja, und ich spürte einen kalten Hauch im Nacken.«
»Wohl wieder der Witzbold von gestern Nacht. Der Vogel kann sich auf etwas gefasst machen, wenn ich ihn erwische. Bringt mir den ganzen Drehplan durcheinander mit seinen dummen Scherzen. Beruhigen Sie sich, Linda. Ich sehe schnell im Haus nach, dann drehen wir die Szene ab, okay?«
Linda nickte. Schultz-Breitenberg verschwand im Haus. Kurz danach kam er zurück, zuckte mit den Schultern. Wie erwartet, hatte er niemanden angetroffen.
Linda und der Regisseur gingen hinter das alte Wirtshaus. Von hier aus hatte man einen schönen Blick auf das Tal, den kleinen Fluss und die Stadt, deren Kern aus einem Marktplatz, einem sehr alten Rathaus und einigen Fachwerkhäusern bestand. Linda setzte sich auf eine Bank, die in einer Laube aus wild wuchernden Rosen stand.
Rechts von ihr stand eine Kamera auf einer fahrbaren Bühne, die gehoben und gesenkt werden konnte. Eine zweite Kamera nahm Linda von vorn auf.
Die Szene stammte aus dem Mittelteil des Filmes. Linda - oder Roxane von Falkenfels - wartete auf ihren Geliebten, den Hexenmeister. Eine ernste Aussprache stand bevor. Linda sollte den Mann bitten, von seinem bösen Treiben abzulassen.
Die Kamera surrte. Linda blickte sorgenvoll über das Tal, wie die Rolle es vorschrieb. Plötzlich spürte sie eine Berührung auf der nackten Schulter. Eine kalte Hand lag dort, ganz leicht. Linda wandte den Kopf. Sie spürte die Berührung, aber sie sah nichts.
Eine leise Stimme flüsterte: »Roxane, Geliebte.«
Mit einem Schrei sprang Linda auf. Thorsten Thorn trat hinzu, im schwarzen Umhang und mit bleichem, dämonischem Gesicht.
»Aus, aus«, schrie Schultz-Breitenberg. »Die Einstellung müssen wir wiederholen. Linda, was war denn los?«
»Es war ... wieder diese Stimme«, flüsterte Linda.
Ihr Gesicht war leichenblass. Das hielt Schultz-Breitenberg davon ab, sie heftig anzufahren. Die Kameraleute sahen Linda Scholz merkwürdig an. Würde sie durchdrehen, vielleicht sogar einen Nervenzusammenbruch bekommen?
Schultz-Breitenberg nahm Linda auf die Seite und sprach väterlich auf sie ein.
»Also, Linda, was ist los mit Ihnen? Wir haben schon zwei Filme zusammen gemacht. Ich kenne und schätze Sie wegen Ihrer fachlichen Qualitäten, Ihrer Ruhe und Zuverlässigkeit. Sie sind ein Star ohne Allüren. Aber heute kenne ich Sie nicht wieder.«
»Wie soll ich es Ihnen erklären, Viktor? Ich höre eine Stimme. Sie nennt mich >Roxane<, wie jenes Mädchen, das ich zu spielen habe. Und etwas Kaltes berührt mich. Ach, Viktor, was ist das nur?«
Schultz-Breitenberg atmete tief durch.
»Versuchen Sie es noch einmal, Linda. Max wird sich ganz in Ihrer Nähe aufhalten. Das ist doch alles nur Einbildung.«
Gehorsam setzte sich Linda Scholz wieder auf die Bank unter den wilden Rosen. 'Einstellung 203. Außen. Tag. Zweite.' schrieb der Klappenmann auf die Tafel.
»Ruhe, wir drehen«, rief der Regisseur. Eine laute, elektrische Hupe gab das Signal, dass die Aufnahme begann.
Das Surren der Kamera war das einzige Geräusch. Das Mikrophon war zwischen den wuchernden Rosen verborgen. Linda Scholz schaute über das Tal.
Thorsten Thorn in seinem schwarzen Umhang kam um die Ecke des Wirtshauses. Die zweite Kamera erfasste ihn, begann jetzt gleichfalls zu surren. Thorn setzte sich neben Linda auf die Bank. Linda rückte ein wenig von ihm ab. Er ergriff ihre Hand.
»Roxane, wie lange haben wir uns nicht gesehen!«, sagte Thorn. »Ich hatte solche Sehnsucht nach dir.«
Er versuchte, Linda zu küssen, doch sie drehte den Kopf zur Seite.
»Ich muss mit dir reden, Gilbert, In der Stadt wird allerlei gemunkelt, von Hexensabbaten und dunklem Zauber im Galgenwirtshaus.«
»Altweibergeschwätz!«
»Du solltest es ernst nehmen. Mein Vater, Bodo von Falkenfels, wird dich verhaften lassen, wenn die Bauern und Bürger ihn weiter bedrängen. Auch der Abt des Klosters ist gegen dich.«
Thorn rückte an Linda heran, zog sie an sich. Die Kamera fuhr näher.
»Glaubst du ihnen etwa, Roxane? Gibst du etwas auf die Stimmen der Verleumder?«
»Manchmal weiß ich nicht, was ich denken und glauben soll. Sie alle sagen, du seist ein Hexenmeister, Gilbert. Wenn ich an den Tod meines Bräutigams denke, an viele Ereignisse, dann kommt es mir vor, als seien böse, übernatürliche Mächte im Spiel. Und deine Augen blicken mich manchmal so seltsam an, so drohend.«
»Es sind nicht meine Augen. Es ist mein Gesicht, Roxane, und meine Herkunft. Mein Feuermal stört dich, und dass ich nur ein einfacher Mann bin, während du die Tochter eines Grafen bist.«
»Nein, Gilbert, das darfst du nicht glauben.«
Thorn küsste Linda. Die Kamera fuhr noch näher heran und machte eine Großaufnahme von den Köpfen des Mannes und der Frau. Plötzlich stieß Thorsten Thorn einen Schrei aus, presste die Hände auf die rechte Niere. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz.
»Aus, aus. Was ist denn jetzt schon wieder?«
Schultz-Breitenberg kam herbei, beugte sich über Thorn, der stöhnend und zusammengekrümmt auf der Bank saß.
»Jemand hat mich in die Niere geboxt«, sagte Thorn gepresst. »Zum Teufel, Linda, was soll denn das?«
Linda Scholz war völlig verblüfft.
»Du glaubst doch nicht etwa, dass ich ...?« Sie sah sich um, sah den Regisseur an. »Was hat er denn nur?«
Thorn erhob sich, ging ein paar Schritte. Er massierte die schmerzende Stelle.
Linda sah den Kameramann und den Kameraschwenker an, die auf der fahrbaren Bühne hinter der Kamera standen. Die zweite Kamera war bei diesem Teil der Einstellung nicht gelaufen.
»Linda hat Ihnen nichts getan, Herr Thorn«, sagte der Kameramann. »Vielleicht sind Ihre Nieren nicht in Ordnung.«
»Das wäre mir neu. Teufel, Teufel, das war ein Schmerz.«
Schultz-Breitenberg schäumte vor Wut. Er hatte geglaubt, alle Schwierigkeiten zu kennen, die einen Regisseur behindern konnten, aber so etwas war ihm noch nicht vorgekommen. Es hatte sich herumgesprochen, dass bei den Dreharbeiten etwas Merkwürdiges vorging. Dreiundvierzig Personen bildeten einen Halbkreis um die Kameras und die Gruppe vor der Rosenlaube.
»Alle auf Ihre Plätze«, rief Schultz-Breitenberg. »Wer hier nichts zu tun hat, soll verschwinden. Wir drehen die Einstellung noch einmal.«
Thorsten Thorn biß die Zähne zusammen. Er war ein sehr disziplinierter Mensch und nickte dem Regisseur zu, als dieser ihn fragend ansah. Wieder saß Linda Scholz allein da, schaute sorgenvoll über das Tal. Thorn kam. Der bereits bekannte Dialog begann. Diesmal passierte nichts. Aber Schultz-Breitenberg war nicht recht zufrieden.
»Roxane ist Ihre Geliebte, Signefeu«, erklärte der Regisseur. Er hatte die Angewohnheit, die Darsteller mit dem Namen der Person anzureden, die sie im Film verkörperten. »Sie will Sie küssen, nicht beißen. Also verkrampfen Sie sich nicht so. Sie ist ein hübsches, reizvolles Mädchen, kein Boxer, der Ihnen einen Schlag versetzen will.«
Erst mit der vierten Aufnahme war Schultz-Breitenberg zufrieden.
»12.35 Uhr - 13.20 Uhr: Einstellung 203. Okay. Vier Aufnahmen, l, 2 und 3 ÜB (unbrauchbar). 4 kopieren. Einstellung und Szene: Dialog Roxane von Falkenfels (Linda Scholz) und Gilbert Signefeu (Thorsten Thorn); Liebesszene. Verbrauchter Film: 88 Meter«, diktierte der rotblonde Regieassistent dem Script-Girl.
Nun wurden die Vorbereitungen getroffen, die Szene zu wiederholen, die durch das Auffinden des Toten unterbrochen worden war.
Die Aufnahmewagen mit der ersten Kamera fuhr auf den Hügel, hielt gegenüber dem Galgen. Thorsten Thorn postierte sich vor dem Haus. Hinter dem Hügel warteten Leonora Rycka und ihre »Hexen« sowie Thomas Leupolt und die 'Räuber'. Vor dem Haus war die zweite Kamera auf dem Aufnahmewagen drehbereit. Wieder wurde die Szene ohne Ton gedreht.
In dem alten Haus machten sich mehrere Darstellerinnen für ihren Auftritt fertig. Wenn die >Räuber< die >Hexen< angriffen, sollten sie herbeieilen und ihrem Herrn und Meister helfen.
Schultz-Breitenberg kontrollierte den Stand der Vorbereitungen.
»Kamera eins?«
»Okay.«
»Thorsten?«
»Okay.«
»Wie sieht's da drin im Haus aus? Alles fertig?«
Ein schriller Schrei antwortete dem Regisseur. Die fünf Darstellerinnen kamen aus der Haustür gerannt, rafften ihre langen Röcke.
»Was ist denn los?«
»Kröten! In unserer Garderobe wimmelt es von Kröten. Niemand kann mir zumuten, dass ich mich in einem Zimmer aufhalte, in dem hässliche Kröten umherhüpfen. Wie die aussehen, igitt, igitt.«
Schultz-Breitenberg und Thorsten Thorn liefen ins Haus. Ein Raum war als Garderobe für die Nebendarsteller und Statisten eingerichtet worden. Der Regisseur und Thorsten Thorn sahen den Maskenbildner und den Friseur an der Tür stehen.
»Sehen Sie sich das an«, sagte der Maskenbildner.
>Das< waren etwa zwei Dutzend faustgroßer, warziger, hässlicher Kröten. Sie waren überall. Auf dem Boden, auf der Liege, auf Stühlen und Schminktischen. Sogar auf dem Schrank saß eine.
»Wo kommen die denn her?«, fragte Thorn.
Der Maskenbildner und der Friseur begannen gleichzeitig zu reden.
Auf einen Wink Schultz-Breitenbergs sagte der Maskenbildner: »Von dort, unter dem Schrank.«
Schultz-Breitenberg rief nach einer Taschenlampe. Er und Thorsten Thorn schauten unter den Schrank. Hinten an der Wand waren ein paar morsche, vermoderte Dielen eingebrochen. Aus der dunklen Öffnung mussten die Kröten gekommen sein.
»Wahrscheinlich aus dem Keller«, meinte der Regisseur. »Dieses alte Gemäuer ist so verwinkelt und verzweigt, dass niemand sich richtig auskennt.«
Es dauerte eine ganze Weile, bis ein paar Männer die Kröten eingefangen, in einen. Sack gesteckt und hinausgebracht hatten. Bretter wurden über das Loch im Boden gelegt. Doch auch dann weigerten sich die Darstellerinnen noch, das Zimmer wieder zu betreten.
»Wir wollen eine ordentliche Garderobe, in der wir uns schminken und umziehen können«, sagte die Sprecherin, eine schwarzhaarige, sehr hübsche und sehr energische Person. »Es ist eine Zumutung, dass wir in ein finsteres, feuchtes Loch gepfercht werden, in dem es von Ungeziefer wimmelt.«
Das Zimmer war weder finster noch feucht, doch das spielte für die Schwarzhaarige keine Rolle. Auch die männlichen Darsteller schickten einen Sprecher zu Schultz-Breitenberg und forderten Räume außerhalb des alten Gemäuers. Als Linda Scholz sich diesen Forderungen anschloss, musste der Regisseur wohl oder übel nachgeben.
»Also gut«, stimmte er zu. »Morgen werden wir anfangen, Baracken außerhalb des Galgenwirtshauses zu errichten. Aber heute müsst ihr eben noch einmal mit diesen Räumen hier vorliebnehmen. Wir müssen endlich weiterkommen. Es ist schon fast 15.00 Uhr, und wir haben erst eine Szeneneinstellung im Kasten.«
Als knapp vor 16.00 Uhr endlich alles für die Aufnahmen vorbereitet war, hatten sich dunkle Wolken am Himmel zusammengezogen. Das Licht war so schlecht, dass nicht gedreht werden konnte.
»Aus!«, schrie Schultz-Breitenberg wütend. »Verdammtes Gewitter! Das hat mir gerade noch gefehlt. Nicht einmal auf den verdammten Wetterbericht ist Verlass. Und morgen ist wieder alles verregnet und matschig.«
Wütend stapfte er zum Hotel, denn für diesen Tag waren die Dreharbeiten beendet. Doch etwas wollte Schultz-Breitenberg noch erledigen.
»Ich will die Scholz und den Thorn im Hotel sprechen«, sagte er zu seinem Regieassistenten. »Später dann die ändern auch. Mir scheint, jemand will aus irgendwelchen Gründen die Dreharbeiten sabotieren. Aber bei mir nicht. Bei mir nicht!«