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Sie fanden Squick flach unter dem zu Boden gestürzten Graham liegend vor. Fiona besaß jetzt ausreichend magische Kräfte, um auch das Leittier des Rudels heilen zu können. Sowie der Alpha wieder auf den Beinen und Squick ächzend unter ihm hervorgekrochen war, spuckte der Kobold ein paar Wolfshaare und begann dann augenblicklich loszuplappern. Alle Anwesenden waren viel zu erleichtert, um ihn zu korrigieren, während er die ganze Geschichte für Tess und Missy noch einmal zusammenfasste, nicht einmal, als er zu der Stelle kam, an der er Dionnu in den Nacken gesprungen war, um ihn festzuhalten, damit »die Prinzessin ihn mit dem großen Liebeszauber umhauen tun konnte«.

Darüber mussten sie alle herzlich lachen.

»Ohne Walker und euch alle wäre ich verloren gewesen«, sagte Fiona. Sie thronte auf dem Schoß ihres Zukünftigen auf der Couch in der Bibliothek des Vircolac-Clubs.

»Und ohne Squick ebenfalls«, fügte sie mit einem Augenzwinkern in Richtung auf ihren kleinen Freund hinzu.

»Aber ehrlich gesagt bin ich heilfroh, dass das alles vorüber ist.«

»Das sind wir alle.« Rafael sah Rule an.

«Und du magst noch so sehr behaupten, dass du zum Schluss nutzlos gewesen bist – ich bin nach wie vor überzeugt, dass wir dir zutiefst zu Dank verpflichtet sind. Und uns bei dir entschuldigen müssen.«

Tess sah ihren Gatten ein wenig von oben herab an.

»Einige von uns haben nichts, wofür wir uns entschuldigen müssten, weil wir nicht wie selbstverständlich davon ausgegangen sind, dass jemand, der aus Untererde kommt, automatisch ein schlechter Kerl sein muss.«

Rule lachte nur.

»Niemand braucht sich bei mir zu entschuldigen. Ich habe bei den Ereignissen des heutigen Abends nur eine geringe Rolle gespielt. Und ich fürchte, dass es für mich immer noch allerhand zu tun gibt. Ich habe nämlich keinerlei Indizien dafür entdecken können, dass die übrigen Dämonen, die Dionnu beschworen hatte, in ihr Reich zurückgekehrt sind. Falls sie sich immer noch in Obererde aufhalten, muss ich sie finden.«

»Falls dir das Rudel dabei in irgendeiner Weise behilflich sein kann, brauchst du es nur zu sagen«, bot Graham ihm an.

»Das versteht sich doch von selbst«, sagte Walker. Dann fügte er grinsend hinzu:

»Habe ich bereits erwähnt, dass ich mir in allernächster Zukunft einen kleinen Urlaub gönnen werde?«

Graham sah seinen Rudelzweiten an und zog eine Augenbraue in die Höhe.

»Und dabei wollte ich dir gerade anbieten, meinen Platz als Chef des Sicherheitsdienstes bei den Verhandlungen zu übernehmen.«

»Genau, weil ich nämlich nur auf diese Chance gewartet habe, um sofort zuzugreifen. Tut mir leid, lieber Vetter, aber ich kann mit meiner Zeit etwas Besseres anfangen, als diesen Quatschköpfen zuzuhören.«

»Ich nämlich auch«, murmelte Graham.

»Oh, da würde ich mir keine Gedanken machen, alter Knabe«, sagte Rafael. Er streckte seine langen Beine aus und lächelte selbstzufrieden.

»Ich denke, dass du dir noch vor Jahresfrist selbst ein paar Urlaubstage wirst nehmen können.«

Fiona sah ihn überrascht an.

»Ehrlich? Läuft denn alles so zufriedenstellend?«

»So gut wie. Die erste Vereinbarung ist unterschrieben und ratifiziert. Damit hätten wir die erste Hürde überwunden, und wie ihr euch denken könnt, ist die erste Hürde auch immer die schwierigste.«

»Gratulation«, sagte Fiona und meinte es auch vollkommen ehrlich.

»Das ist wahrlich etwas, worauf ihr stolz sein könnt. Etwas, was in die Geschichtsbücher eingehen wird. Im wahrsten Sinne des Wortes.«

Tess grinste.

»Hör auf mit deinem Lobgesang, ehe er ihm noch zu Kopf steigt. Dies ist das Ergebnis von intensiven Bemühungen seitens vieler Beteiligter, nicht bloß der alleinige Verdienst meines ach-so-verhandlungsgeschickten Ehemannes.« Sie kniff besagten Ehemann ins Knie und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Walker und Fiona zu.

»So, und wohin soll eure Ferienreise nun gehen?«

»Es ist uns gelungen, von Dionnus Apartment aus eine Nachricht an Queen Mab zu schicken«, antwortete Fiona.

»Er hatte da nämlich auch seine eigene Kristallkugel, wie sich herausgestellt hat. Er mag zwar die Kommunikation zwischen hier und der Anderwelt unterbrochen haben, aber er wollte doch darüber im Bilde bleiben, was sich da drüben tat. Lange Rede, kurzer Sinn – sie hat uns eingeladen, also nehme ich Walker mit zu mir nach Hause, um ihn meiner Familie vorzustellen.«

Missy sah sie neugierig an.

»Und? Habt ihr vor, lange zu bleiben?«

Fiona lachte.

»Nicht ums Verrecken! Meine Tante schien zu glauben, ich käme nach Hause, um nun, nach seinem Tod, Dionnus Platz auf dem Thron des Reiches der Winterelfen einzunehmen. «

»Aber wir haben festgestellt, dass ich gegen Paläste allergisch bin«, fügte Walker grinsend hinzu.

»Ich habe nie Teil des politischen Lebens am Hofe sein wollen. Wenn sie uns dafür danken wolle, dass wir ihr Dionnu vom Hals geschafft haben, habe ich meiner Tante gesagt, könnte sie uns bis an den Rest unseres Lebens mit Elfenwein versorgen, damit wir diese unerfreuliche Diskrepanz zwischen meiner Lebenserwartung und der seinen besser überbrücken. Feen und Elfen bekommen ja nur einen kleinen Schwips, wenn sie davon trinken, aber Sterblichen verleiht er ein längeres Leben. Dionnu hatte schließlich noch genügend Nichten und Neffen; die können nun unter sich ausmachen, wer seinen Thron kriegt.«

Fiona sah Rule an.

»Dir lässt Tante Mab übrigens ausrichten, dass du jederzeit zu ihr kommen kannst, falls du Hilfe benötigst.«

»Die einzige Unterstützung, um die ich gerne bitten würde, wäre, dass ihr meine Gegenwart und die der Berserker vor den Menschen weiterhin geheim haltet. Es würde mir meine Arbeit wie auch mein Leben wesentlich erleichtern, wenn sie nichts von uns wissen.«

Rafael seufzte.

»Ich werde tun, was ich kann, aber ich fürchte, eines hat der Rat der Anderen nie bedacht – was es nämlich für Konsequenzen für die Bewohner von Untererde hätte, wenn wir uns den Menschen offenbaren. Auch dafür muss ich mich bei dir entschuldigen. Ich habe das ungute Gefühl, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis den Menschen aufgeht, dass sie es mit noch ganz anderen Wesen zu tun haben als bloß mit Gestaltverwandlern und Vampiren.«

»Man kann die Dinge eben nicht aufhalten«, sagte Rule mit einem Achselzucken.

»Ich nehme gerne jede Hilfe an, die ihr mir zuteilwerden lassen könnt, und wenn es soweit ist, dass die Menschen von unserer Existenz erfahren, werden wir schon damit fertig. Zumindest kann ich meinem Volk nach meiner Rückkehr nach Untererde schon einmal sagen, worauf wir uns vorbereiten müssen.«

»Glaub mir bitte«, sagte Graham mit ernster Miene. Seine Meinung über die menschlichen Verhandlungspartner war allen nur zu gut bekannt.

»Es gibt ein paar Dinge, auf die man nie vorbereitet sein kann.«

Fiona lachte und sah Walker an, der ihr Lachen mit einem Grinsen erwiderte.

»Das kann ich nur bestätigen«, sagte er.

»Manche Dinge treffen einen wie aus heiterem Himmel.«

»Und das«, sagte Fiona und streckte sich, um ihn zu küssen, »sind manchmal die allerbesten Dinge überhaupt.«