25

Fiona konnte gar nicht so schnell reagieren und auch das Moment ihres Schwunges nicht mehr abfangen, also krachte sie mit voller Wucht in den zweiten Dämon hinein. Es war, als wäre sie gegen eine Mauer gelaufen – und selbst die hätte noch ein wenig mehr nachgegeben.

Und dann kam Walker dem Dämon in letzter Sekunde zuvor, indem er sein Weibchen um die Taille packte und sie seiner Reichweite entzog. Er war ziemlich angeschlagen und blutete, aber er stand immer noch aufrecht auf seinen Wolfshinterbeinen und hielt seinen Gegner mit einem drohenden Knurren in Schach. Durch seine nach der Gestaltverwandlung veränderten Stimmbänder klang alles, was er an Worten von sich gab, verzerrt, aber er achtete dennoch darauf, sich klar und unmissverständlich auszudrücken:

»Wenn du an sie heranwillst, dann nur über meine Leiche. «

Der Dämon sah ihn von oben bis unten an.

»So, wie’s im Moment ausschaut, wäre mir das ein Leichtes. « Mit bedächtigen Bewegungen schob er sein Schwert in eine lange Degenscheide, die er auf seinem Rücken trug. Zu ihren Füßen stiegen nur noch kleine Rauchwölkchen von einem glimmenden Häufchen verkohlten Fleisches auf, das an der Stelle lag, an der der Dämon mit dem Stierkopf zuletzt gestanden hatte.

»Außerdem bin ich gar nicht euretwegen hier. Ich war hinter Morgagch her, und den habe ich auch getötet. Für euch bedeute ich keine Gefahr.«

»Sollen wir etwa einem Dämon trauen?«, fauchte Walker.

Der Dämon zuckte die Achseln.

»Ihr könnt mit eurem Vertrauen anfangen, was ihr wollt. Das ist nicht meine Angelegenheit.«

»Und was ist dann deine Angelegenheit

»Wie ich gesagt habe – Morgagch, hinter dem ich her war.«

»War das der Name des anderen Dämons?«

»Der des Berserkers, jawohl. Aber ich glaube nicht, dass du und ich von ein und derselben Sache reden, wenn wir Dämon sagen.« Sein Gegenüber warf einen Blick auf die Verletzung an Walkers Flanke.

»Seine Klauen waren vergiftet, und du hast eine ganz schöne Dosis abbekommen.«

Fiona hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Wie konnte sie das vergessen haben? Sie nahm die schartige Wunde näher in Augenschein. Der Geruch, der ihr entströmte, bestätigte die Aussage des zweiten Dämons: Sie war infiziert, denn sie stank nach schwefeligen, fauligen Dämonenabsonderungen. Fiona legte ihre Hand darauf und versuchte, all ihren heilenden Zauber aufzubieten, aber sie hatte ihre gesamten Kräfte bereits verbraucht.

Walker blickte hinunter auf ihre sorgenvoll gerunzelte Stirn und hob eine seiner riesigen, klauenbewehrten Tatzen, um sie ihr an die Wange zu schmiegen.

»Ich werd schon wieder«, sagte er so bestimmt, wie sein Zustand es ihm gestattete.

»Wenn ich mich wieder zurückverwandele, zwingt das das Gift heraus.«

»Könnte sein«, sagte der Dämon und griff in einen kleinen Beutel, der an seinem Gürtel hing.

»Aber ich bezweifle, dass das eine sehr angenehme Erfahrung sein wird. Morgagchs Gift verteilt sich schnell und in alle Richtungen. Es aus der einen Erscheinungsform herauszuzwingen, hieße, die andere auf gefährliche Weise zu strapazieren. « Aus seinem Beutel holte er ein Glasröhrchen von etwa der Länge und Dicke seines Daumens hervor.

»Das ist ein Gegenmittel. Wenn du es trinkst, neutralisiert es das Gift in deinem Körper, und wenn du dich dann verwandelst, kann dein Körper sich auf die Heilung deiner Wunde konzentrieren anstatt darauf, dein Blut von dem Gift des Berserkers zu reinigen.«

Walker sah das Fläschchen an und schnaubte verächtlich.

»Da haben wir wieder die Frage des Vertrauens.«

Fiona war mehr als nur verunsichert. Sie wusste, dass eine Gestaltverwandlung bei Werwesen bewirkte, dass ihre Wunden mit atemberaubender Schnelligkeit heilten, aber es war nicht zu übersehen, wie geschwächt Walker schon war. Falls der Dämon recht behielt, lief er Gefahr, sich bei der Gestaltverwandlung noch weiteren Schaden zuzufügen, und das wollte sie um jeden Preis verhindern. Einen Moment lang stand sie nur da und wusste nicht, wie sie sich entscheiden sollte.

Da zupfte etwas kräftig an ihr, um ihre Aufmerksamkeit zu erwecken.

»Wenn du willst, dass der behaarte Sterbliche schnell wieder gesund wird, soll er ja die Medizin nehmen tun, Miss Fiona«, ließ Squick sich geflüstert, aber dennoch unüberhörbar vernehmen. Der Blick aus seinen ehrfurchtsvoll weit aufgerissenen Augen schoss zwischen ihr und dem Dämon hin und her.

»Der da ist einer von denen, die’s wissen.«

Fiona war immer noch skeptisch.

»Aber das ist doch ein Dämon, Squick.«

»Klar, aber keiner, wie der andere war. Und du musst dich beeilen, Prinzessin. Dein fellbesetzter sterblicher Freund tut gar nich so gut aussehen.«

Ein rascher Seitenblick auf Walkers Gesicht bestätigte die Einschätzung des Kobolds. Walkers Augen wirkten stumpf und fiebrig, waren rot gerändert, und ihr entging auch nicht der Schweißgeruch, den sein Fell verströmte. Da es ihr unerträglich war, ihn so leiden zu sehen, riss sie dem Dämon das Medizinfläschchen aus der Hand und entkorkte es, ehe ihr noch die Nerven durchgingen.

»Falls ihm das in irgendeiner Weise Schaden zufügt, werde ich eine Möglichkeit finden, es dir heimzuzahlen«, fauchte sie und führte das kleine Glasröhrchen an Walkers Lippen.

Er versuchte, sich von ihr abzuwenden, aber sie folgte der Bewegung seines Kopfes.

»Bitte, mo fáell«, redete sie ihm gut zu.

»Bitte nimm das. Squick hat gesagt, dass es wichtig für dich ist, und ihm vertraue ich. Und du wirst doch auch mir vertrauen?«

Ihre Blicke trafen sich; der warme, goldene Glanz in seinen Augen war etwas matt geworden, und seine Atemstöße klangen bemüht, doch dann öffnete er den Mund und schluckte wie selbstverständlich das Gegengift hinunter, als hätte nie ein Zweifel darüber bestanden, dass er ihr vertrauen konnte.

Fiona hielt den Atem an und wartete. Ein rascher Blick auf den Dämon verriet weder Arglist noch Schadenfreude. Er schaute so unbeteiligt drein wie ein Fels, aber sie war sich nicht ganz schlüssig, ob sie das als beruhigend empfinden sollte oder nicht.

Bevor sie zu einer Entscheidung kommen konnte, hörte sie, wie Walker nach Luft schnappte. Erschrocken streckte sie den Arm nach ihm aus. Liebe Göttin, bitte mach, dass es ihm gut geht! Sie nahm Walker fest in die Arme, und das, was sie an ihm sah und fühlte, ließ sie ganz große Augen bekommen. Das Fieber, das noch vor wenigen Augenblicken in ihm gewütet hatte, schien wie weggeblasen. Er fühlte sich warm an, aber keineswegs heißer als sonst. Sie hob den Kopf, schaute ihm in die Augen und konnte förmlich zusehen, wie die Trübung verschwand. Und sie fühlte auch, wie Saft und Kraft in seine Muskeln zurückkehrten, fühlte, wie sie spielten und sich spannten, als er seine menschliche Erscheinungsform wieder annahm. Und dann warf sie auch noch rasch einen Blick auf die Stelle, an der seine Verwundung gewesen war: Lediglich eine blassrote Narbe erinnerte noch an den Hieb des Dämons.

»Oh, meine Göttin«, hauchte sie, und streckte zögernd den Finger aus, um die Stelle zu berühren.

»Du … du bist ja wieder ganz gesund!«

Er zog sie fest zu sich heran.

»Mir geht’s bestens.« Dann hob er den Blick zu dem Dämon, der immer noch vor ihnen stand, und nickte ihm anerkennend zu.

»Ich stehe in deiner Schuld.«

Der Dämon schüttelte nur den Kopf.

»Nein. Niemand steht in meiner Schuld, nur, weil ich meinen Auftrag erfüllt habe.«

»Deinen Auftrag?«, fragte Fiona.

»Du willst sagen, du bist tatsächlich hergekommen, um diesen … Morgagch zu töten?«

»In der Tat. Und nun, da es vollbracht ist, fürchte ich, dass es noch mehr für mich zu tun gibt.«

Der Dämon wollte sich zum Gehen wenden, aber Fiona stellte sich ihm in den Weg, und auch Walker wollte es nicht zulassen.

»Wir wären dir sehr dankbar, wenn du uns ein paar Fragen beantworten könntest«, sagte er.

»Es sieht so aus, als hätten wir in letzter Zeit allerhand Mühe darauf verwendet, ebendieses Ziel zu erreichen, nur, dass wir nicht geglaubt hatten, es bloß mit einem einzigen Dämon zu tun zu haben.«

Der Dämon sah ihn aufmerksam an.

»Ihr habt die anderen gesehen? Ihr wisst, wo sie zu finden sind?«

»Nicht so recht, aber wir haben ihre Spur der Verwüstung gesehen. Wir wissen, dass mindestens einer oder zwei weitere Dämonen mordend durch die Stadt gezogen sind. Wir haben versucht, ihren Aufenthaltsort zu ermitteln, bevor sie noch mehr Unheil anrichten konnten.«

»Ihr hättet euch da nicht einmischen sollen. Sie lassen sich nicht so einfach überrumpeln. Lasst mich das erledigen. Es ist meine Pflicht und Schuldigkeit.«

Fiona sah ihn erstaunt an.

»Es ist deine Pflicht, anderen Dämonen nachzustellen und sie zu töten?«

»Berserker«, korrigierte sie der Dämon, »wir nennen diese Sorte ›Berserker‹.«

»Diese Sorte? Es gibt da verschiedene Sorten?«

Der Dämon verzog keine Miene, aber Fiona beschlich das Gefühl, dass er angesichts von Walkers dämlicher Frage am liebsten die Augen verdreht hätte. Außerdem war ihr mit einem Schlage aufgegangen, dass sie aufgehört hatte, von diesem Dämon als einem »Scheusal« zu denken. Man konnte ganz gewiss nicht behaupten, dass es sich bei ihm um einen Menschen handelte, aber er besaß auf jeden Fall gewisse ethische Grundsätze, und wenn sie nicht gewusst hätte, dass er ein Dämon war, hätte sie sogar geglaubt, er hätte eine Seele.

»Es gibt von allem verschiedene Sorten«, erklärte der Dämon.

»Nur sehr wenige Dinge auf der Welt sind auf ihre Art einzigartig.«

»Aber bei dir muss das der Fall sein«, sagte sie. Die Bemerkung war ihr entschlüpft, ehe sie sich ihrer so recht besonnen hatte.

»Mein Sonnenzauber hat dich nicht einmal mit der Wimper zucken lassen, obwohl du ein Dämon bist, und ich weiß, dass du einer bist. Deswegen hätte er dich zumindest blenden, wenn nicht gar voll und ganz umhauen müssen.«

In den Zügen des Dämons deutete sich der Anflug eines Lächelns an.

»Ja, und ich sollte mich bei dir dafür bedanken. Deine Hilfe hat es mir sehr erleichtert, Morgagch zu besiegen.«

»Aber wieso hat der Zauber dir nichts anhaben können? Du hast dir nichts anmerken lassen, obwohl doch alle Dämonen das Sonnenlicht hassen.«

»Berserker hassen Sonnenlicht. Ich bin kein Berserker.«

»Und das ist genau der Kern unseres Problems«, sagte Walker.

»Sooft du den Mund aufmachst, stellen sich uns neue Fragen, anstatt dass wir Antworten bekämen. Ich glaube, wir werden dich bitten müssen, uns ein wenig ins Bild zu setzen. Im Gegenzug können wir dir erzählen, was wir über die anderen Dä- äh, die anderen Berserker wissen, nach denen du suchst.«

»Wenn ihr möchtet.« Die Mundwinkel des Dämons zuckten ein wenig amüsiert, und er warf einen bezeichnenden Blick auf Walkers splitternackten Körper.

»Aber bist du dir sicher, dass du diese Unterredung nicht irgendwo führen möchtest, wo wir es ein bisschen wärmer haben?«

 

Es stellte sich heraus, dass der Dämon sich Rule nannte, obwohl das nicht sein richtiger Name war.

»Für uns bedeuten Namen Kraft«, erklärte er, »deswegen hüten wir sie sorgsam.«

»Schon, aber ich möchte einen anderen Mann, der mich splitternackt gesehen hat, gerne mit seinem richtigen Namen anreden«, sagte Walker.

Nach einer kurzen Diskussion beschlossen sie, sich in den Vircolac-Club zu begeben. Es würde Zeit sparen, wenn Graham und Rafael die Geschichte gleichzeitig hören konnten, und nachdem Fiona und Walker ihm die Position erklärt hatten, die die beiden in der Gesellschaft der Anderen und bei den Verhandlungen mit den Menschen einnahmen, hatte Rule auch keine Einwände mehr gehabt.

Fiona nahm Walker bei der Hand.

»Gib mir einen Kuss.«

Er sah sie an.

»Wie bitte?«

»Gib mir einen Kuss«, wiederholte sie, »du kannst nicht so mir nichts, dir nichts nackt aus dem Park spaziert kommen, denn aus irgendeinem Grunde haben die Menschen etwas dagegen. Und ich habe meine gesamte Zauberkraft damit verbraucht, dass ich versucht habe, unseren neuen Freund zu töten. Ich benötige einen Kuss, wenn du von mir neue Klamotten haben willst.«

»Der haarige Sterbliche kann seine alten Klamotten wieder anziehen tun«, quietschte Squick, »die tun gleich da drüben liegen.«

»Ja, über und über mit Dämonenblut besudelt.« Fiona rümpfte die Nase.

»Das würde ich mal lieber lassen.« Sie streckte Walker ihr Gesicht entgegen.

»Küss mich.«

Sie sah, wie Walkers Augen etwas peinlich berührt die von Rule suchten, aber der verzog wieder keine Miene. Fiona zupfte Walker an der Schulter, murmelte etwas davon, wie prüde die Sterblichen doch wären und presste ihre Lippen auf die seinen. Wie üblich dauerte es keine zwei Nanosekunden, bis er nicht nur die Einladung zu dem Kuss annahm, sondern es sich auch nicht nehmen ließ, ihren Kuss zu dem seinen zu machen. Fiona vergaß völlig, dass sie ja nicht unter sich waren, vergaß den Sinn und Zweck dieser Übung, vergaß sogar ihren eigenen Namen, als die vertraute Woge des magischen Wohlgefühls über ihr zusammenschlug.

Als Walker den Kopf hob, blinzelte sie ihn ein paar Sekunden lang nur erstaunt an, ehe ihr Gehirn sich wieder einschaltete. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, ein letztes Mal mit den Händen über seine nackte Haut zu streichen, ehe diese unter bequemen, abgetragenen Jeans und einem dunklen Wollhemd verschwand.

»Danke«, knurrte er und platzierte rasch einen Schmatzer auf ihre Nasenspitze.

Sie drehten sich nach Rule um, der ihnen besorgt zugesehen hatte.

»Du bist keine einfache Elfe«, stellte er fest, »du bist eine Sidhe. Von edlem Geblüt.«

Es wunderte Fiona nicht, dass er die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Die Sidhe waren weithin bekannt dafür, dass sie aus Leidenschaft ihre Energie schöpften – und sie hatte auch noch nie einen leidenschaftslosen Kuss mit Walker ausgetauscht.

»Ja. Wieso?«

Rule schüttelte bloß den Kopf, doch sein Mund verriet, dass ihm etwas auf der Seele lag.

»Wir sollten mit euren Freunden darüber reden. Das könnte die Situation in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.«

Sie mochten ihn noch so sehr mit Fragen bestürmen – er weigerte sich, weiter darauf einzugehen, sondern verharrte den ganzen restlichen Weg bis in den Vircolac-Club in Schweigen und reagierte nicht einmal auf die gebrabbelten Fragen des vollkommen faszinierten Squick, der alles über Rules Alter, seine Vorfahren und seine Abenteuer bei der Suche nach seinesgleichen in mindestens zwei Welten erfahren wollte. Erst, als sie an der Tür des Clubs von Rafael und Tess in Empfang genommen wurden, sagte Rule wieder etwas.

»Ich bin mir nicht ganz im Klaren, was du damit bezweckst, einen Dämon hier anzuschleppen, Walker«, sagte der Ratsvorsitzende mit vorwurfsvoll gesenkter Stimme, »aber ich habe Vorbehalte, ihn in den Club hereinzulassen.«

»Sollten wir das nicht Grahams Entscheidung überlassen? «, schlug Walker vor.

»Es ist schließlich sein Club.«

»Und seine Familie ist da drin. Er denkt genauso darüber wie ich.«

Nun trat Fiona vor.

»Rule hat uns beiden heute Abend das Leben gerettet. Wenn er uns etwas Böses wollte, hätte er inzwischen bestimmt längst etwas in der Richtung unternommen.«

»Oh, vielen Dank, Fiona«, sagte der Dämon und klang dabei amüsiert.

»Ich weiß dein Vertrauen in mich zu schätzen.«

»Ich denke nicht, dass wir schon von Vertrauen sprechen sollten«, sagte Walker.

»Es geht uns nur darum, dass wir dringend gewisser Informationen bedürfen. Aber sobald wir dich erst einmal da drin haben und du von meinem Rudel, dem gesamten Personal des Clubs, dem Ratsvorsitzenden und seiner Hexe von einer Frau umgeben bist, denke ich, darauf vertrauen zu können, dass es uns notfalls gelingen wird, dich niederzuringen, falls es sein muss.«

Tess war diejenige, die dafür sorgte, dass diese Debatte ein Ende hatte. Sie versetzte ihrem Mann einen Stoß in die Seite, schob sich unter seinem Arm hindurch und stellte sich vor ihn hin.

»Du hast doch schließlich von mir verlangt, dass ich vor die Tür komme und mir dieses Ding mal ansehe, aber du musst mir schon gestatten, ihn etwas näher in Augenschein zu nehmen, bevor ich dir sagen kann, was ich von ihm halte.« Sie wandte ihre erstaunlich wachen blauen Augen der versammelten Mannschaft auf der Türschwelle zu.

Sie sah zunächst Walker und Fiona an, ließ den Blick über sie streifen und auf dem abgekämpften Ausdruck auf ihren Gesichtern verweilen. Sie stutzte einen Moment, als sie den Kobold aus Fionas Schultertasche lugen sah, sagte aber nichts. Dann wandte sie ihr Augenmerk Rule zu, vor allem seinem todernsten Gesicht und seinen tiefschwarzen Augen.

»Alles in Ordnung«, sagte sie und wandte sich um, um wieder in den Club zu gehen.

»Sie sind sauber.«

Rafaels Hand schoss vor, um sie aufzuhalten.

»Das war alles?«, verlangte er zu wissen.

»Mehr willst du nicht tun? Was ist, wenn da nun ein Fluch im Spiel ist? Das ist keine Entscheidung, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte.«

»Ich nehme sie auch nicht auf die leichte Schulter, aber was hast du denn von mir erwartet? Dass ich sie alle einzeln einem Test mit dem Lügendetektor unterziehe? Das brauche ich nicht. Sie sind in Ordnung.«

»Ich habe nie von einem Lügendetektortest gesprochen, aber da muss es doch irgendeine Form von Hexerei geben, die du anwenden musst, um festzustellen, ob alles in Ordnung ist.«

Tess seufzte enerviert.

»Ich brauche keine Hexerei, um das zu wissen. Mit denen ist alles in Ordnung. Niemand steht unter irgendeinem Zwang, den Anweisungen des Dämons zu folgen, und Rule selbst hegt keinerlei böse Absichten gegen irgendjemanden in diesem Haus, das kann man ihnen praktisch an den Gesichtern ablesen. Können wir nun endlich wieder hineingehen? Ich habe keine Jacke an.«

Ihr Mann sah aus, als wolle er gleich noch einmal Einwände erheben, aber Tess versetzte ihm einen Knuff in den Magen und schob ihn rücklings zurück in die Eingangshalle.

»Kommt herein«, rief sie den anderen über die Schulter zu, »ich werde dem alten Knurrhahn einen Teller Milch hinstellen, und dann sehen wir, ob sich seine Stimmung bessert. «

Fiona hatte ihre Zweifel.

Sie ging Walker und Rule voraus ins Foyer des Vircolac, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Es war erst eine Woche her, dass sie diese Räume zum ersten Mal betreten hatte, aber sie fühlte sich hier schon so sehr zu Hause wie in Walkers Apartment. Vielleicht lag das daran, dass sie hier schon so viele Stunden verbracht hatte, aber wahrscheinlich hatte es eher damit zu tun, dass die Leute hier zu Walkers Rudel gehörten, seine Familie waren. Und nun war seine Familie ja auch ihre.

»Graham und Missy sind in der Bibliothek«, verkündete Tess und ging voraus.

»Ich glaube, er hat irgendwas davon gesagt, dass er in der Nähe seines Whiskys sein möchte.«

»Ein weiser Mann«, bemerkte Walker und folgte den anderen.