11
»Was sollte das nun eigentlich, am Sonntag?« Theresa funkelte mich kalt an, die personifizierte Herablassung.
»Dasselbe wollte ich dich fragen.« Ich hatte kein Problem damit, zurückzufunkein. Um sie zu ärgern, war ich zehn Minuten zu spät gekommen. Leider war sie noch wesentlich später gekommen. Nun standen wir uns in der kleinen Wohnung ihrer Freundin gegenüber, wo wir uns zu treffen pflegten. »Du hast dich unmöglich aufgeführt!«
»Ich?«, zischte sie. »Du warst es doch, der auf einmal nur noch herumgemotzt hat!«
»Wer hatte denn die falschen Schuhe an? Du oder ich?«
»Woher sollte ich ahnen, dass du eine Wanderung planst? Von einem luxuriösen Hotel war die Rede, nicht von einem Überlebenstraining. Und da nehme ich eben in der Regel kein schweres Schuhwerk mit, entschuldige bitte!«
»Ich entschuldige überhaupt nichts. Du warst einverstanden mit dem Spaziergang. Und unter einer Wanderung verstehe ich etwas ganz anderes, nebenbei bemerkt. Du hast ja schon nach zwei Kilometern schlappgemacht!«
»Dann empfehle ich dir, deine nächste Geliebte beim Schwarzwaldverein zu akquirieren. Da soll es Prachtexemplare geben, die am Tag klaglos vierzig Kilometer marschieren. Manche sogar mit Gepäck!«
»Heinsheim liegt aber nicht im Schwarzwald.«
»Nicht?«, fragte sie verdutzt. »Wie heißt die Gegend denn?«
»Odenwald?« Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher. »Glaub ich zumindest.« Ich kratzte mich am Kopf und musste gegen meinen Willen grinsen. »Vielleicht gehört die Ecke auch zum Kraichgau?«
Auch Theresa schien jetzt Mühe zu haben, ernst zu bleiben. »Wenn ich nur wüsste, was ich an dir finde«, seufzte sie.
»Wollen wir nicht Platz nehmen? Es streitet sich angenehmer im Sitzen.«
»Du bist so ein Knallkopf.« Sie zog sich ein Sesselchen heran. »Aber leider bist du der süßeste Knallkopf, den ich kenne.«
Ich setzte mich aufs Bett. »Wie lautet die weibliche Form von Knallkopf? Knallköpfin oder Knällkopfin?«
»Weder von Knall noch von Kopf gibt es eine feminine Form. Deshalb kann es logischerweise nur männliche Knallköpfe geben.« Sie beugte sich vor und wurde ernst. »Hör zu, Alexander, es gibt ein Problem.«
»Weißt du, wie ich dieses Wort hasse? Vor allem nach Feierabend?«
»Egonchen hat angerufen.«
Egonchen, das war Polizeidirektor Doktor Liebekind, mein Chef. Ein fast zwei Meter großer Zweizentnermann. »Er will dich samt Töchtern zum Abendessen einladen, wenn er zurück ist. Offenbar hat er einen Narren an dir gefressen. Er hat noch niemals irgendjemanden aus dem Amt nach Hause eingeladen.«
»Er will was?« Ich starrte sie mit offenem Mund an. »Das geht nicht! Hör mal, das geht absolut nicht!«
Sie musterte mich spöttisch. »Soll ich ihm sagen, dass wir miteinander schlafen und du Angst hast, rot zu werden?«
»Theresa, das kannst du nicht machen. Und auch noch mit den Kindern!«
»Liefere mir eine brauchbare Begründung, und ich gebe sie weiter.«
Ich ließ mich rückwärts aufs Bett fallen. Nicht nur Liebekind würde merken, dass ich seine Frau nicht ansehen konnte, ohne an die geheimsten Stellen ihres Körpers zu denken. Auch meine Zwillinge würden den Braten nach spätestens fünf Minuten riechen.
»Okay«, murmelte ich schließlich. »Aber bitte nicht am kommenden Wochenende. Ich werde mich vorher voll laufen lassen. Oder vielleicht den Job hinschmeißen. Ich weiß noch nicht.«
Sie gluckste. Auf einmal lag sie neben mir, und ihre Stimme hatte einen anderen, viel, viel weicheren Klang. »Meinst du nicht, es wirkt ein bisschen komisch, wenn wir beide sturzbetrunken sind, bevor es überhaupt losgeht?«
»Und du musst unbedingt was ganz Keusches anziehen. Ich will kein Stückchen Haut an dir sehen.« Natürlich konnte ich meine Hände nicht bei mir halten. »Und bitte wirklich nicht gleich, okay? Ich brauche ein, zwei Wochen, um mich mental auf diese Herausforderung einzustellen.«
Auch ihre Hände waren längst auf Abwegen. Das war es, was ich an dieser Frau so genoss: Nie gab es Unklarheiten, wie unsere kurzen Abende verlaufen würden. Wenn Theresa Lust hatte, mich zu treffen, dann hatte sie Lust auf Sex. Da gab es keine heimlichen Erwartungen, kein vorsichtiges Tasten, keine verzagten Annäherungen, kein Beleidigtsein, wenn der andere einmal nicht wollte oder nicht konnte. Wenn wir uns trafen, dann wollten wir. Beide.
Wir führten eine Beziehung ohne Alltag, wenn auch neuerdings mit der Möglichkeit des Streits.
»Wie schön, dass es dich gibt, du Hund!«, hauchte sie in mein Ohr und biss zu.
»Fein, dass wir uns wieder vertragen, alte Hexe«, keuchte ich, rollte mich auf sie und begann, sie zu entkleiden.
Natürlich hatte sie den Verlauf des Abends vorhergesehen. Sogar an den Versöhnungssekt hatte sie gedacht. Ich stellte wieder einmal fest, dass Sex nach einem Streit seine ganz besonderen Qualitäten hat. Ein bisschen ist es dann wieder wie beim ersten Mal.
Später lagen wir schweigend Arm in Arm, träumten nebeneinander her, genossen die Wärme des geliebten Körpers, die Gerüche der Liebe, das Wissen, dass das, was wir eben getan hatten, sich jederzeit wiederholen konnte, wieder und wieder, noch viele Jahre. Für einen langen Augenblick fühlte ich mich unsterblich.
»Weißt du, was ich schön finde an Egonchens Idee?«, flüsterte sie, während ihr Zeigefinger langsam von meinem Kinn über Brust und Bauch strich, hier ein paar Haare verzwirbelte, dort welche glatt strich. »Ich werde endlich deine Töchter kennen lernen. Ich wollte sie so lange schon einmal sehen. Sie müssen die süßesten Mädchen der Welt sein, wenn man dir zuhört.«
»Was erwartest du anderes bei einem so wunderbaren Vater wie mir?«
Mit einer ruhigen Bewegung schüttete sie mir den Inhalt ihres Glases ins Gesicht. Aber es war zum Glück nicht mehr viel.
»Ich weiß nicht«, fuhr ich fort, nachdem ich mir das Gesicht abgewischt und meine Hände an ihrem Körper getrocknet hatte. »Gerade wegen der Mädchen möchte ich das nicht. Mit deinem Mann komme ich noch irgendwie klar. Den belüge ich sowieso jeden Tag. Aber den Mädchen will ich nicht wehtun.«
»Warum sollte es ihnen wehtun, wenn ihr Vater glücklich ist?«
Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf das, was ihre linke Hand anstellte und mir so kolossal gut tat.
»Wie ist das eigentlich mit Egonchen? Liebst du ihn?«
»Natürlich.«
»Liebst du ihn – aua! – mehr als mich?«
Ihre Hand erstarrte. »Sei nicht albern, bitte.«
Verwundert über ihren Ton setzte ich mich auf. Sie wich meinem Blick aus und rollte sich auf die andere Seite, um ihre Zigaretten zu suchen.
»Erstens: Ich möchte nicht, dass du ihn so nennst.« Die Zigaretten waren gefunden. Ein Feuerzeug flammte auf. »Und zweitens: ja, ihn liebe ich. Nach dir bin ich süchtig. Das ist ein Unterschied.«
»Okay, Süße, das war’s.« Ich legte die Hände um ihren Hals und drückte zu. »Morgen werden wir zwei der Aufmacher der Rhein-Neckar-Zeitung sein!«
Sie wusste sich zu wehren, und aus unserem Ringkampf entwickelte sich das, was zu erwarten war.
»Gibt’s in Heidelberg eigentlich ein Hallenbad, das abends bis elf geöffnet hat?«, fragte ich, als ihre zweite Zigarette brannte.
»Wie kommst du darauf? Nein, ich denke nicht.«
»Meine Töchter haben plötzlich ihre Leidenschaft fürs Schwimmen entdeckt. Fast jeden Abend gehen sie ins Schwimmbad.«
Theresa lachte so, dass sie die Zigarette verlor und um ein Haar das Bett in Brand gesteckt hätte.
»Das Schwimmbad, du süßester aller Ahnungslosen«, prustete sie, als sie endlich wieder zu Atem kam, »das Schwimmbad ist eine weithin bekannte Heidelberger Diskothek. Hin und wieder finden dort auch Konzerte statt. Der Schuppen heißt so, weil er sich in einem ehemaligen Hallenbad befindet. Aber schwimmen kann man dort seit vielen Jahren nicht mehr.«
Ich verspürte große Lust, nach Hause zu fahren und meinen missratenen Gören eine Standpauke zu halten, das Taschengeld für acht Wochen zu streichen und außerdem bis zu den Sommerferien Hausarrest zu verordnen. Aber sie würden vermutlich gar nicht da sein. So schluckte ich meinen Zorn herunter und ließ mich von Theresa trösten.
Als wir uns endlich trennten, war es bereits nach neun. Ich machte mich auf den Weg nach Wieblingen, um mich davon zu überzeugen, dass Balke nicht inzwischen desertiert war. Er war mir heute Nachmittag eine Spur zu widerspenstig gewesen.
Zum Glück hatte der Regen sich verzogen. Die Bewölkung war aufgerissen, und es war kalt geworden. Der ungewöhnlich helle Mond stand hoch am Himmel. Gut für uns, schlecht für jemanden, der ungesehen ein Haus erreichen will.
Der Kastenwagen des LKA, voll gestopft mit Technik, parkte neben der katholischen Kirche, nur knapp dreihundert Meter von Anne Hörrles Anwesen entfernt. Äußerlich war er getarnt als Gerätewagen einer Ludwigsburger Spezialfirma für Kanalinspektionen. Im Inneren der fensterlosen Kiste herrschte diese Mischung aus drückender Langeweile und fiebriger Anspannung, die einen schon nach kurzer Zeit zwanghaft gähnen lässt. Es roch nach abgestandenem Kaffee, Hightech und zu vielen Menschen auf zu engem Raum. Außer Balke waren Rolf Runkel und ein junger Techniker vom LKA anwesend.
Irgendwer hatte sogar einen Rauhaardackel organisiert, der bei Erkundungsgängen als Tarnung dienen konnte und in der kommenden Nacht vermutlich oft Gassi gehen würde. Glücklicherweise war das Tier gut erzogen und bellte nicht wegen jeder Kleinigkeit. Ich ließ mir von Balke Bericht erstatten, während der Hund aufgeregt an meinen Schuhen schnupperte. Er schien mich zu mögen.
»Irgendwo muss er über den Neckar«, erklärte mir Balke anhand einer Karte mit großem Maßstab. »Er hat genau zwei Möglichkeiten. Durch die Stadt kann er nicht, da sind auch spät in der Nacht zu viele Leute unterwegs. Hier im Nordwesten haben wir die Autobahnbrücke, da kann er problemlos rüber. Und dann ist da im Süden der Wehrsteg. Schwimmen wird er nicht wollen bei dieser Kälte.«
Ich betrachtete die Karte genauer. Das Haus von Hörrles Tante war mit Kugelschreiber markiert, auch die Standorte unserer Fahrzeuge waren eingezeichnet.
»Ist es nicht vollkommen gleichgültig, wie er das Haus erreicht? Wir warten einfach, bis er drin ist. Er muss todmüde sein und wird vermutlich nicht einmal aufwachen, wenn wir eine Wand raussprengen.«
Balke sah mir neugierig ins Gesicht. »Also, ich finde, die Brille steht Ihnen. Macht Sie irgendwie seriöser. Sie müssen wirklich Schlag bei Frauen haben damit.«
»Ich kann prima darauf verzichten.« Wütend nahm ich das Ding ab und steckte es weg. Eine Bö ließ den Wagen träge schwanken. Der Dackel rannte aufgekratzt von einem zum anderen. Ich sah wieder auf die Karte. Leider konnte ich ohne Brille nicht viel erkennen und musste die verhasste Prothese gleich wieder aufsetzen.
Östlich des Neckars lagen Wiesen und Felder. Hörrle würde aus Nordosten kommen, aus irgendeinem Tal des Odenwalds, vermutlich zwischen Schriesheim und Handschuhsheim die B 3 überqueren, noch ein knapper Kilometer offenes Gelände, und dann musste er nur noch über den Neckar.
»Die Telefonüberwachung steht?«
»Sie hat aber bisher nicht telefoniert«, brummte Balke.
Der Techniker war inzwischen eingeschlafen. Runkel beobachtete uns aus schmalen Augen und schwieg die ganze Zeit. Er war ungefähr in meinem Alter, ein stiller Kollege, der erst vor wenigen Jahren eine Philippinin geheiratet hatte, nach Balkes Überzeugung die definitiv hässlichste Frau der Welt. Nun war Runkel zusammen mit seiner Angetrauten dabei, eine Großfamilie zu gründen. Pünktlich alle achtzehn Monate gab es Nachwuchs. Erst vor wenigen Wochen war wieder ein Sohn zur Welt gekommen, Nummer fünf, wenn ich richtig gezählt hatte. Vielleicht sah Runkel deshalb so müde aus. Kleine Kinder kosten eine Menge Kraft und Schlaf.
»Okay.« Ich erhob mich und klopfte Balke auf die Schulter. »Ich drehe mal eine Runde und sehe mich ein bisschen um.«
»Nehmen Sie Pumuckl mit.« Runkel drückte mir das Ende der Hundeleine in die Hand. »Dann schläft er nachher besser.«
»Das ist Ihr Hund?«
Runkel nickte traurig. Der Dackel fiepte aufgeregt und zerrte schwanzwedelnd zur Tür.
Die Schaufenster der kleinen Buchhandlung am Ende des Platzes waren noch erleuchtet. Die Straße war menschenleer. Ich wandte mich in Richtung Süden. Nach wenigen Metern bog ich links ab und ließ mich von Pumuckl in Richtung Neckar ziehen. Ein kräftiger kalter Wind blies die Atemwölkchen von meinem Mund. Ich fröstelte. Irgendwo klapperte ein loses Blechschild. Bald hatten wir den Neckar erreicht. Das Ufersträßchen war schmal, tückisch uneben und miserabel beleuchtet. Pumuckl flitzte herum, so weit die Leine es zuließ, und fand alles ungeheuer interessant. In der Ferne, jenseits des Neckars, schimmerten die Lichter der großen Kliniken im Neuenheimer Feld.
Wieblingen, ein vor Jahrzehnten eingemeindeter Ort, der noch immer ein Dorf war, wirkte unbewohnt. In vielen Häusern war bereits jetzt, kurz nach zehn, das Licht aus. Hier ging man offenbar zeitig zu Bett. Nur wenige Meter neben mir rauschte und schäumte der Neckar in der Dunkelheit. Manchmal blitzte ein Lichtreflex auf, wenn sich das Mondlicht spiegelte. Mir wurde rasch kälter.
Unter einem kahlen Baum musste ich wieder stehen bleiben. Pumuckl schnüffelte nach neuen, sensationellen Gerüchen. Das gegenüberliegende Ufer konnte ich im Mondlicht nur schemenhaft erkennen. Dort drüben musste Hörrle stecken. Irgendwo in dieser mit schwarz drohenden Bäumen und Büschen bewachsenen Ebene. In einer zugigen Gartenhütte vielleicht, einer sumpfigen Mulde, unter einem nur schlecht gegen Regen und Wind Schutz bietenden Gebüsch. Und irgendwann in dieser Nacht würde er vielleicht hier auftauchen. Da er schlau war, zwischen zwei und vier Uhr, wenn alle Welt im Tiefschlaf liegt und selbst der aufmerksamste Beobachter schläfrig wird. Andererseits musste Hörrle nach seiner mehrtägigen Flucht zu Fuß so erschöpft sein, dass er zu einem klaren Gedanken längst nicht mehr fähig war. Vor Müdigkeit würde er nur noch einfache Ziele vor Augen sehen: ein warmes Haus, ein heißes Bad, ein weiches Bett und Schlaf, einen Ozean voller Schlaf.
Ein Streifenwagen überholte mich im Schritttempo. Beamte des hiesigen Reviers, die von unserer Operation keine Ahnung hatten, beäugten mich misstrauisch. Was sie nicht wissen, das können sie nicht vermasseln, hatte Balke gebrummt, und ich hatte ihm zugestimmt. Die hiesigen Kollegen würden wir erst dann informieren, wenn der Zugriff unmittelbar bevorstand.
Pumuckl hatte inzwischen alles gerochen, was es zu riechen gab. Wir konnten weiter. Bald tauchte links ein unbeleuchtetes freistehendes Haus auf. Das musste es sein. Schon im Lauf des Nachmittags hatten meine Leute mehrfach erfolglos versucht, Hörrles Tante telefonisch zu erreichen. Später hatte Balke sogar Runkel als Paketboten verkleidet zu ihr geschickt, aber sie hatte nicht geöffnet. Wir nahmen an, dass sie unterwegs war, aber auch von den Bewohnern der umliegenden Häuser wusste niemand, wo sie stecken konnte. Das Verhältnis zwischen den Nachbarn und der alten Frau schien ohnehin nicht das beste zu sein.
Der Umstand, dass wir keinen Kontakt zu Anne Hörrle bekamen, machte mir ein wenig Sorgen. Was würde geschehen, wenn Hörrle nachts auftauchte und das Haus verschlossen fand? Was würde er tun, wenn seine Tante ihn nicht hereinließ? Aber wir hatten keine Wahl. Hörrle schlafend zu überraschen, war tausend Mal sicherer, als ihn auf der Straße zu stellen.
Der Neckar gurgelte ganz in der Nähe. Die Luft schien von Minute zu Minute kälter zu werden. Es roch nach modriger Erde und kommendem Schnee.
Ich schlenderte an einem schon ziemlich rostigen R4-Kastenwagen vorbei, der laut Aufdruck einer Mannheimer Wäscherei gehörte. Einer der Leute des LKA hatte ihn am frühen Abend hier abgestellt. Die kleinen Löcher in der Karosserie, durch die eine Infrarot-Kamera sowie ein leistungsfähiges Richtmikrofon auf Anne Hörrles Haus zielten, waren für Unwissende kaum zu entdecken.
Der Streifenwagen hatte weiter vorne kehrt gemacht. Immer noch im Schritttempo kam er zurück, bremste leise quietschend, hielt. Die beiden Beamten stiegen aus, setzten würdevoll ihre Mützen auf und kamen mit schweren Schritten auf mich zu. Pumuckl war begeistert von der unerwarteten Abwechslung.
»Ihre Papiere bitte«, knarrte der Ranghöhere, ein Polizeiobermeister. Die zwei schienen ihr Amt ernst zu nehmen.
»Wieso denn das?«
»Das werden Sie dann schon sehen.«
Er machte sich breit und versperrte mir den Weg. Der andere trat einen Schritt zurück und ein wenig zur Seite und beobachtete mich. Die Eigensicherung nicht vergessen, wie oft hört man das im Lauf eines Polizistenlebens? Einer spricht, einer passt auf. Vermutlich fürchteten sie, ich könnte den Hund auf sie hetzen. Pumuckl merkte, dass etwas nicht stimmte und suchte Deckung hinter meinen Beinen.
»Und warum, bitte schön?«
»Weil Sie hier rumlungern und wir Sie nicht kennen, darum.«
»Und außerdem hat Ihr Hund da hinten auf die Straße geschissen«, fügte der Jüngere eine Spur freundlicher hinzu. »Das ist verboten, das sollten Sie doch wissen.«
»Erstens ist das nicht mein Hund. Und zweitens lungere ich hier nicht herum und drittens …« Ich dämpfte meine Stimme. »Mein Name ist Gerlach, Kripo Heidelberg. Sie haben bestimmt schon von mir gehört. Wir führen hier eine Observation durch, und ich kann kein Aufsehen brauchen. Fahren Sie unauffällig weiter und lassen Sie sich diese Nacht nicht mehr hier sehen!«
Die beiden wechselten amüsierte Blicke. »So, so. Von der Kripo ist er also. Und eine Observation macht er«, grunzte der eine.
»Dann ist das da bestimmt sein Suchhund«, ergänzte der andere heiter.
Pumuckl fasste wieder Mut und schnupperte an den klobigen schwarzen Schuhen dieser spannenden Unbekannten. Ich hatte schon die Hand erhoben, um den Blödmännern meinen Dienstausweis unter die Nase zu halten und sie niederzubrüllen. Aber je länger wir hier auf der Straße herumzankten, desto größer wurde die Gefahr, Aufsehen zu erregen, Nachbarn neugierig zu machen. Wer wusste, ob Hörrle nicht schon am anderen Ufer lag und das Haus beobachtete? Seufzend ergab ich mich der Staatsgewalt.
Augenblicke später saß ich im Fond eines silber-grünen Mercedes Kombi, dessen Türen die Aufschrift »Polizei – der Beruf so interessant wie das Leben« zierte, auf meinem Schoß ein aufgekratzter Dackel. Nachdem wir ein Stück gefahren waren, zückte ich mein Ausweiskärtchen. Der Fahrer bremste so abrupt, dass Pumuckl um ein Haar zu Boden gefallen wäre.
»Ahm«, brachte er endlich heraus. »Also …«
»Tut uns Leid«, murmelte der andere. »Ehrlich. Aber wir wussten doch nicht …«
Nun blieb mir nichts anderes übrig, als die beiden einzuweihen und zu hoffen, dass nicht eine Stunde später der halbe Ort Bescheid wusste. Es war ihren Blicken anzusehen, wie gerne sie mitgemischt hätten, wie sehr sie darauf brannten, ihren öden Streifendienst in einem Ort, wo nie etwas passierte, durch ein wenig Action zu beleben. Aber sie versprachen tapfer, dass vom hiesigen Revier ohne meinen ausdrücklichen Befehl in dieser Nacht kein Fahrzeug auf der Straße sein würde.
»Sie kennen doch vermutlich diese Frau Hörrle?«, fragte ich.
Die beiden grinsten sich an. »Aber klar doch«, antwortete der Fahrer mit verlegenem Hüsteln. »Klar kennen wir die.«
»Was ist daran so lustig?«
»Na ja. Sie …« Wieder gluckste er. »Die betreibt in ihrem Haus so eine Art Privatpuff. Früher, da ist sie ja eine Weile richtig auf den Strich gegangen. Aber jetzt macht sie’s nur noch daheim. Im Nebenerwerb sozusagen.«
»Augenblick mal, das Haus da hinten ist ein Bordell?«
»Das nun auch wieder nicht. Da ist ja nur sie allein. Und es ist auch nicht so viel Betrieb da. Drum können wir nichts dagegen unternehmen, obwohl uns die Nachbarn ständig in den Ohren liegen. Und deshalb …«
»Was, deshalb?«
»Drum haben wir Sie doch angesprochen. Weil wir gedacht haben …«
»Na ja«, brummte der Beifahrer verlegen. »Wir haben uns schon ein bisschen gewundert. Sonst sind ihre Freier ein paar Jährchen älter. Und sie haben normalerweise auch keinen Hund dabei.«
»Sie wollen also sagen, dieses Haus ist so etwas wie ein Seniorenpuff?«
»Sie ist ja nicht mehr die Jüngste«, meinte der Ältere der beiden. »Und auch Nutten haben ihre Probleme mit der Globalisierung. All die Russinnen und Ukrainerinnen, die’s für ’nen Zwanziger ohne Gummi machen. Dann muss man eben nehmen, was der Markt hergibt.«