Kapitel 9

Bei der Ankunft hatte die Vermieterin ihnen einen gemütlichen Aufenthaltsraum gezeigt. Kate beschloss, sich noch einige Minuten dort hinzusetzen, ehe sie zu Bett ging. Sie brauchte noch eine Weile für sich allein, bevor sie an Schlaf denken konnte. Im Kamin knisterte ein Feuer. Auf einem der bequemen Sofas in dem heimelig beleuchteten Zimmer fand sie Aisling Furnavent-Lawne vor.

»Wie hat Ihnen das Abendessen geschmeckt?«, fragte Kate und ließ sich auf einer ehrwürdigen grünen Couch nieder. »Ich finde, für ein Lokal so weit ab vom Schuss war das Essen erstaunlich gut.«

»Eigentlich bin ich jedes Mal überrascht, wenn ich außerhalb Londons ein einigermaßen passables Menü serviert bekomme.« Aisling griff nach einer Flasche auf dem Tisch. »Der Wein hier geht auf Fergusson, und ich finde, wir haben ihn uns redlich verdient. Wenn Devlin jeden Tag auf eine Flasche Whisky besteht, dürfen wir uns sicher eine Flasche anständigen Wein leisten. Oder auch zwei.«

»Wie haben Sie es geschafft, den Wein vor ihm geheim zu halten?«

»Ich habe ihn mit Bushmills bestochen. Er hat die Flasche mit auf sein Zimmer genommen.«

»Haben Sie keine Angst vor einer Alkoholvergiftung?«

»Ich habe vor gar nichts Angst, außer vielleicht davor, die nächsten zehn Tage nicht ohne Nervenzusammenbruch zu überleben. Kommen Sie, trinken Sie ein Glas mit.«

»Gute Idee«, sagte Kate und reichte einen der auf dem Sideboard bereitstehenden Trinkbecher über den Tisch. »Ich finde diese Pension ausgesprochen angenehm.«

»Versuchen Sie einmal, das Devlin beizubringen«, sagte Aisling. »Seit wir hier sind, hat er nicht aufgehört zu meckern.«

»So ist er nun mal«, meinte Kate resigniert. »Apropos Devlin: Was halten Sie von der Geschichte, die er uns da aufgetischt hat?«

»Für eine Improvisation nicht übel. Hätten wir ihm mehr Zeit gegeben, hätte er sich über die politischen und geographischen Umstände informiert und nicht so viele offensichtliche Fehler gemacht. Aber die Darbietung war wirklich gut, finden Sie nicht?«

»Zumindest waren die Russells und die Brents zeitweise hin und weg. Glauben Sie, dass er alles erfunden hat?«

»Sie etwa nicht? Sie werden mir doch nicht erzählen wollen, dass Sie auch nur ein einziges Wort dieses Märchens für bare Münze genommen haben?«

»Na ja, immerhin wird er von zwei Schlägertypen in schwarzen Trainingsanzügen und weißen Joggingschuhen verfolgt.«

»Mir fallen auf Anhieb ein Dutzend Erklärungen dafür ein, die alle plausibler sind als die, die er uns hat weismachen wollen.«

»Je mehr ich darüber nachdenke, desto unwirklicher erscheint mir der ganze Vorfall«, sagte Kate und trank ihren Wein aus.

»Möchten Sie noch ein Glas?«, fragte Aisling. »Fergusson kann es sich leisten.«

»Danke sehr. Er ist wirklich gut.« Jedenfalls deutlich besser als der Fusel, den sie im heimischen Supermarkt erstehen konnte. »Überlegen Sie mal: Wir sitzen da geradezu eingewickelt in rot karierte Baumwolle, umringt von Krustentieren aus Plastik, trinken uns halb bewusstlos und stopfen uns mit Pudding voll, und Devlin versucht uns zu überzeugen, dass wir uns mitten in einem James-Bond-Film befinden.«

»Wir sind so durchdrungen von unseren Abenteuergeschichten, dass wir uns selbst in eine hineinschreiben mussten. Vielleicht waren die beiden Gestalten in der Buchhandlung tatsächlich nur Kunden, und der ganze Rest war eines von Devlins Fantasieprodukten«, sagte Aisling langsam. »Wieso war sich Devlin überhaupt so sicher, dass die beiden hinter ihm her waren? Immerhin sind sie uns nicht bis zum Restaurant nachgefahren, oder?«

»Na ja, wenn sie nicht gerade einen Hubschrauber zur Hand hatten, dürfte es ihnen auch schwergefallen sein, Ihnen zu folgen«, entgegnete Kate.

»Also ich bin der Ansicht, dass nichts anderes geschehen ist, als dass wir in einer Buchhandlung signiert haben und anschließend von vier Fans in ein nettes italienisches Restaurant eingeladen wurden. Devlin hat sich betrunken und die ganze Gesellschaft mit einer Geschichte über Waffenschmuggel in Mittelamerika amüsiert, die niemand ernst nehmen sollte.«

»Es macht Spaß, unseren Lesern zu begegnen, nicht wahr?«, sinnierte Kate. »Ihnen einmal in Fleisch und Blut gegenüberzustehen und nicht nur bissige Briefe zu bekommen. Es ist schön zu erfahren, dass es da draußen echte Menschen gibt, die meine Bücher kaufen und lesen.«

»Genau darum geht es bei diesen Lesereisen. Alles andere findet lediglich in Devlins überhitzter Einbildung statt.«

»Mit dem kleinen Unterschied, dass genau diese beiden Typen auftauchten, als wir Swindon verlassen wollten. Sie sprangen aus ihrem Wagen und versuchten, mein Auto zu entern. Und das nicht mit den edelsten Absichten, das dürfen Sie mir glauben.«

»Genau die gleichen?«

»Ich bin mir ziemlich sicher. Zumindest bei einem der beiden. Er hatte sein Gesicht an mein Seitenfenster gepresst, und ich konnte es mir ziemlich genau ansehen. Lippenpiercing und rasierte Augenbrauen. Gibt es das öfter?«

»Auf diesen Kuhdörfern vielleicht schon. Hier auf dem Land gibt es sicher massenhaft junge Männer mit rasierten Augenbrauen und Piercings an allen möglichen und unmöglichen Stellen. Bestimmt sind Nasenringe hier der letzte Schrei.«

Kate musste an Harley denken. »Wahrscheinlich haben Sie Recht.«

»Wahrscheinlich haben Sie sich von der bedrohlichen Atmosphäre in der Buchhandlung beeinflussen lassen. Schließlich ist es eine allgemein bekannte Tatsache, dass wir unsere Erinnerungen an die Vergangenheit so modifizieren, dass sie mit den Ereignissen der Gegenwart übereinstimmen.«

»Ehrlich gesagt ist mir das neu. Außerdem haben Sie nicht dieses an das Glas gepresste Gesicht gesehen und gehört, wie die Fäuste der Kerls auf die Karosserie trommelten.«

»Es gibt immer noch eine andere Erklärung. Nehmen Sie einfach einmal an, die beiden wollten Ihre Windschutzscheibe säubern. Manche dieser Typen können ganz schön aggressiv werden, wissen Sie!«

»Und dann hat Devlin von mir verlangt, dass ich so schnell wie möglich verschwinde. Ich habe einen derartigen Kavalierstart hingelegt, dass meine halben Reifen jetzt in Swindon auf der Straße kleben. Als ein Auto hinter uns herfuhr, musste ich sofort die Richtung wechseln und mich auf den unmöglichsten Nebenstraßen in die Cotswolds durchschlängeln.«

»Wahrscheinlich ist er lediglich ein miserabler Kartenleser.«

»Das ist er obendrein. Aber da war noch mehr.«

»Vielleicht war es eine Art Forschung für sein nächstes Projekt.«

»Ich wüsste nicht, wie so etwas in eine schwülstige Geschichte passen sollte, die im achtzehnten Jahrhundert spielt.«

»Sie wissen doch, wie Autoren arbeiten. Manchmal tun sie die verrücktesten Dinge. Noch etwas Wein?«

»Danke.« Kate fühlte sich so entspannt, dass sie am liebsten gleich eingeschlafen wäre. Sie streifte die Schuhe ab und streckte sich auf dem Sofa aus.

»Vielleicht waren es ja Polizisten. Heutzutage kann man Polizisten oft nicht mehr von Kriminellen unterscheiden.«

»Da bin ich ganz anderer Meinung«, sagte Kate. Sie dachte an ihren Freund Paul Taylor, bei dem nie jemand auf die Idee gekommen wäre, er könne etwas anderes sein als ein aufrechter Bürger und Hüter des Gesetzes.

»Vielleicht nicht alle. Aber einige schon.« Auch Aisling hatte die Schuhe ausgezogen und die Füße auf die Armlehne ihrer Couch gelegt. »Oder es waren zwei einfache Polizisten, die ein Knöllchen eintreiben wollten.«

Nachdem Kate ihr drittes Glas Wein geleert hatte und sich ein viertes einschenkte, war sie fast geneigt zu glauben, was Aisling sagte.

»Oder es war ein eifersüchtiger Ehemann, der mit Devlin ein Hühnchen zu rupfen hatte.«

»Zu Devlins Charakter würde das passen.«

»Zwei eifersüchtige Ehemänner«, fuhr Aisling fort. Sie war inzwischen so beschwipst, dass sie einfach darauflosplapperte. »Oder ein Ehemann mit Freund. Oder …«

»Oder jemand, der sich für Devlins Frau stark macht.«

»Auch eine Möglichkeit! Jackos treue, starke Brüder, die sich an dem Mann rächen wollen, der ihrer Schwester Unrecht tut.«

»Ich habe seine Frau kennen gelernt«, sagte Kate.

»Jacko«, sagte Aisling. »Eigentlich heißt sie Jacqueline, aber Devlin nennt sie Jacko.«

»Richtig, Jacko. Sie war mittelgroß, rothaarig und ziemlich dünn und ähnelte diesen beiden Gorillas nicht mal ansatzweise.«

»Ich sehe meinen Brüdern auch nicht ähnlich. Das beweist noch lange nichts.«

»Sehen Ihre Brüder denn wie Gorillas aus?«

»Nein, eher wie Buchhalter. Kleine, mickrige Kerle mit Hühnerbrüstchen. Es ist eine Schande!«

»Tut mir leid.« Wurde Aisling jetzt etwa rührselig?

»Sie können doch nichts dafür.« Aisling tupfte sich die Augen mit einem Taschentuch ab. »Nehmen Sie sich noch ein Glas Wein.«

»Gern. Wenn es tatsächlich mit Frauengeschichten zu tun hat, dann können wir nur hoffen, dass sie nicht herausfinden, wo er sich aufhält. Sie könnten sonst versuchen herauszufinden, ob er die Nacht allein verbringt oder nicht.«

»Stimmt«, bestätigte Aisling. »Und bei dieser Gelegenheit könnten sie das Haus in Schutt und Asche legen.«

»Vielleicht sollten wir zu Bett gehen und versuchen, noch eine Mütze voll Schlaf zu bekommen, ehe das geschieht.«

»Ich denke, wir sollten zunächst unseren Wein austrinken.«

»Gute Idee.«