Alexander

Seine Augen waren grau, sein Haar war dunkelblond.

»Ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen, Frau Bansa. Wie Sie gehört haben, hat mein Vater mir den Film gezeigt. Sie sind ganz wunderbar. Und nicht nur im Film, wie ich sehe.«

Nun lächelte Geraldine, ließ den Hundekopf los und reichte ihm die Hand.

Warum nur war sie so erschrocken, diesen jungen Mann zu sehen? Wie er da in der Tür stand, den hellen Himmel im Rücken, woran hatte sie das erinnert?

Thomas war aufgestanden, er und Alexander Frobenius gaben sich die Hand, sprachen ein paar Worte, Loske mischte sich ein.

Er sagte: »Es ist für mich eine höchst erfreuliche Überraschung, dich endlich einmal wiederzusehen, Alexander. Ich glaube, als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du zehn Jahre alt.«

»Das stimmt nicht ganz, Will. Ich war zwölf und hatte gerade eine schwere Grippe, die sich zu einer Lungenentzündung auswuchs. Vermutlich sah ich deshalb etwas vermickert aus.«

Er ging zu dem kleinen Tisch, auf dem das Bier stand, und goss sich ein Glas ein.

»Stimmt genau«, sagte Loske. »Deine Mutter war sehr besorgt um dich. Es war im Februar, und es war noch sehr kalt. Ständig wickelte sie dir einen Schal um den Hals, was dich ärgerte, du hast ihn jedes Mal beiseite geworfen.«

»Du hast ein gutes Gedächtnis, Will. Ich weiß noch, was du mir mitgebracht hast: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums.«

»Du hast auch ein gutes Gedächtnis. Du hattest mal erzählt, da warst du dann wohl zehn, dass dich diese Geschichten sehr interessierten.«

»Das Buch gibt es heute noch, ich kann es dir zeigen, es steht in Vaters Bibliothek. Ich habe immer wieder mit Begeisterung darin gelesen. Vor allem der Trojanische Krieg und die Irrfahrten des Odysseus hatten es mir angetan. Der Gedanke, wie es weitergegangen wäre, wenn Odysseus die Straße von Gibraltar entdeckt hätte, fasziniert mich immer noch.«

»Weiß man denn, ob er nicht doch hat?«, sagte Frobenius.

»Wenn er in den Atlantik geraten wäre, hätte er wohl nie den Heimweg gefunden. Es macht Spaß, in dieser Hinsicht weiterzudichten.«

»Fragt sich nur, was Homer dazu sagen würde«, sagte Loske trocken. Sie lachten, Geraldine war befangen. Sie wusste nicht viel von Troja und Odysseus. So ein Buch wollte sie auch lesen. Sofort morgen würde sie in Dorotheas Bibliothek nachschauen.

Alexander setzte sich mit seinem Bier auf einen der Stühle.

»Alkmene und Amphitryon allerdings kommen in diesem Buch nur kurz vor. Es geht eigentlich nur um Herakles, den Sohn des Zeus, den Alkmene zur Welt bringt. Und wie Hera versucht, das Kind umzubringen.« Er sah Geraldine an. »In dem Film kommt Herakles überhaupt nicht vor. Das finde ich nicht gut. Wenn ich mal eine Kritik anbringen darf.«

Herbert Frobenius nickte.

»Ich kenne Alexanders Meinung schon. Er sagt, dass wir einen Fehler gemacht haben. Ich habe ihn gemacht, Klose hat ihn gemacht. Der Hinweis auf das Kind, das Alkmene zur Welt bringen wird. Wer das sein wird, das hätte unbedingt in den Film hineingemusst.«

Ich habe ihn wohl auch gemacht, dachte Geraldine. Was wusste ich schon von griechischer Mythologie? So gut wie gar nichts.

In der Schule haben wir das nicht gelernt, jedenfalls nicht in der Schule, in der ich war. Und sehr lange bin ich ja nicht in die Schule gegangen. Ich habe kein Abitur, weil ich Schauspielerin werden sollte.

»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte sie. »Es ist der Schluss des Filmes. Er ist ja von vielen Kritikern sehr negativ beurteilt worden.«

»Ich finde, man hat unnötigerweise die große Bedeutung verschenkt, die in der Begegnung von Alkmene und Zeus liegt. Und es ist ein Unrecht gegen Alkmene, dass sie nicht begreifen darf, was mit ihr geschehen ist.«

Eine Weile blieb es still.

»Na ja«, sagte dann Will Loske. »Du hast ja recht. Dieses ›Vergiss es‹, das Zeus sagt, hat viel Kritik geerntet. Und das Kind hat sie ja schließlich bekommen, und sie weiß gar nicht, was für einen Helden sie geboren hat. Und sie weiß auch nicht, warum das Kind bedroht wird, dass Hera eifersüchtig ist und dass …«

»Also jetzt hört auf«, sagte Herbert energisch. »Wir werden keine Fortsetzung drehen. Klose wollte es nun mal partout anders haben als bei Kleist. Was mich betrifft, so würde ich die alten Griechen jetzt gern zu den Akten legen.«

Alexander lachte. »Schade. Da gibt es jede Menge Stoff, du könntest hundert Filme produzieren.«

»Dieser Meinung scheint Klose auch zu sein. Wissen Sie eigentlich, Geraldine, dass er sich wieder in Griechenland aufhält?«

»Nein, weiß ich nicht. Ich habe ihn lange nicht gesehen.«

»Das ist nicht seine Schuld, wie er mir erzählt hat. Sie wollten ihn nicht sehen, Geraldine.«

Geraldine hob unbehaglich die Schultern.

»Stimmt schon. Ich hatte für eine Weile genug von ihm.« Es klang hochmütig.

Alexander, der ihr jetzt gegenübersaß, betrachtete sie eingehend.

»War die Zusammenarbeit mit ihm so strapaziös?«

Geraldine erwiderte seinen Blick.

»Das ist nicht der Grund.«

Herbert Frobenius hörte sehr wohl den Ärger in ihrer Stimme. Alexander mit seiner Fragerei, er kannte das schon. Der Junge konnte verdammt hartnäckig sein. Und sicher kannte er die ganze Geschichte von Geraldine und Klose, Jana würde sie ihm erzählt haben.

Wo blieb Jana eigentlich? Der Spargel musste doch endlich fertig sein.

Da erschien sie und öffnete die Tür zum Esszimmer.

»Darf ich bitten? Es ist angerichtet.«

Man sah Evi, die gerade die Suppentässchen verteilte.

Frobenius bot Geraldine ganz altmodisch den Arm.

»Mein Sohn studiert Geschichte, Literatur und was sonst noch dazugehört. Er hat bis jetzt in England studiert, und Shakespeare ist sein Hauptthema. Darüber will er später Bücher schreiben.«

Thomas, der neben ihnen ging, sagte: »Das ist mindestens ein so endloses Thema wie die griechische Mythologie.«

»Nur ist alles, was man wissen muss, schon zu Papier gebracht worden.«

»Das ist ein Irrtum, Vater. Es gibt nichts auf der Welt, was bis in die letzten Ecken erforscht ist. Es gibt noch unendlich viel zu entdecken und zu beschreiben.«

»Ja, vor allem, wenn man endlich erforscht hat, wer dieser Shakespeare wirklich war.«

»Nun esst erst mal«, sagte Jana, »sonst wird die Suppe kalt. Es gibt heute eine aufgeschlagene Kressesuppe.«

»Aha«, sagte Loske. »Erstes Vorzeichen von Ostern. Wisst ihr noch, als wir Ostern in Bad Reichenhall waren und Klose mit seinem komischen Skript da ankam?«

Geraldine saß rechts neben Frobenius. Thomas war der Tischnachbar von Jana. Alexander saß ihr gegenüber. Sie vermied seinen Blick. Kein Wunder, dass sie erschrocken war, als er ins Zimmer kam. Er war ein besonders gut aussehender junger Mann. Und er hatte etwas – wie sollte man es nennen? –, etwas Zwingendes im Blick. Etwas, das einen festhielt. Doch das war Unsinn. Als er ins Zimmer kam, von draußen aus dem Garten, hatte er sie noch gar nicht angesehen. Also was war es dann?

In diesem Augenblick bedauerte sie, dass Sebastian nicht da war. Er hätte eine Hilfe sein können. Hilfe? Wozu, wofür? Sie unterbrach das Gespräch, das sich noch um Reichenhall drehte.

»Ist Sebastian wirklich in Griechenland?«

»Ja«, sagte Frobenius. »Das hat er mir erzählt. Dir doch auch, Alexander?«

»Er war ja hier, als ich vor zwei Wochen ankam. Er hat ununterbrochen von Griechenland geredet. Er ist einfach noch nicht fertig damit.«

»Das gibt es«, sagte Frobenius. »Manchmal können sich Regisseure in eine Idee verrennen, ich habe das schon erlebt.«

»Na, da wird er wohl bei der schönen Helena landen«, feixte Loske.

»Oder er entdeckt, dass Odysseus doch bei den Affen durchgefahren ist.« Alexander lachte. »Das reicht für einen neuen Film.«

»Bei den Affen? Was für Affen?«, fragte Geraldine.

»Bei den Affen, die auf dem Felsen von Gibraltar leben.«

»Fragt sich nur, ob die damals schon dort gelebt haben«, meinte Frobenius und lachte auch. »Jetzt fangen wir auch schon an zu spinnen.«

Was das mit den Affen auf sich hat, weiß ich auch nicht, dachte Geraldine. Ich bin schrecklich ungebildet. Ab morgen werde ich nur noch Bücher lesen. Nie mehr einen Blick ins Fernsehen, nie mehr vor mich hin grübeln. Und mit Vater muss ich morgen über das alles sprechen. Ausführlich.

Zunächst beschäftigte sie das Essen, ausführlich. Und es wurde darüber geredet.

»Früher«, erzählte Thomas, »durfte man Spargel nicht mit dem Messer schneiden. Das hat mir jedenfalls meine Mutter beigebracht.«

»Das haben wir alle so gelernt. Aber inzwischen sind die Sitten bei Tisch etwas gelockerter«, sagte Frobenius.

»In ganz feinen Lokalen gab es früher längliche Gabeln, oder man könnte sagen, spezielle Klammern«, ergänzte Loske, »damit konnte man den Spargel aufspießen und einfach davon abbeißen. Ein besonders feines Lokal fällt mir ein, das ist der Erbprinz in Ettlingen, da wurde Spargel so serviert. Es hatte nur den Nachteil, dass man die Spargelspitzen zuerst essen musste. Und ich hebe sie mir gern als letzten Bissen auf.«

Es ist wie damals, dachte Geraldine, als ich das erste Mal hier war. Da wurde auch über das Essen geredet, über die Ente. Und Sebastian fand es albern.

Sie musste lachen.

Loske sah sie fragend an. »Finden Sie es nicht besser, Geraldine, die Spargelspitze am Schluss zu essen?«

Sie erzählte, was sie eben gedacht hatte.

»Ja, das stimmt schon«, gab Jana zu. »Wir reden beim Essen über das Essen. Es beweist, dass es gut schmeckt. Angenommen, es schmeckte nicht, würde man den Mund halten.«

»Oder meckern«, sagte Loske.

»In einem Restaurant vielleicht. Aber nicht, wenn man privat eingeladen ist.«

»Mein Vater kocht sehr gut«, sagte nun Geraldine.

Alle blickten Thomas an, der lächelte und sagte: »Na ja, so einigermaßen. Allzu sehr wirst du nicht verwöhnt, Geraldine. Sülze mit Bratkartoffeln. Und mal Buletten. Aber Spargel könnte ich auch.«

»Ich kann überhaupt nicht kochen«, sagte Geraldine. »Aber ich werde jetzt genau aufpassen, wie Papa es macht.«

»Sie werden jetzt einen Film drehen. Und danach kochen lernen«, sagte Frobenius.

Später, als sie wieder im Gartenzimmer saßen, berichtete er noch von den anderen Stoffen, die man Geraldine anbieten wollte.

»Es ist sehr wichtig, Geraldine, dass Sie bald wieder drehen. Zu lang darf die Pause nach einem ersten Erfolg nicht sein.«

»Das hat mir Herr Bronski auch schon erklärt. Aber ich habe natürlich ein wenig Angst, wie es diesmal gehen wird.«

»Ich werde Sie in den nächsten Tagen mit dem Drehbuchautor und dem Regisseur zusammenbringen, mit denen ich gern arbeiten würde. Außer dem Stoff, den ich vorhin erwähnte, liegt noch ein anderes Buch vor, eine heitere, ein wenig überdrehte Liebes- und Sommergeschichte. Die würde auf einer Insel spielen.«

»Auf einer Insel?«, fragte Loske. »Auf was für einer Insel?«

»Das eben ist das Problem. Der Autor will Sylt. Der Regisseur und die Bavaria Mallorca. Ist nun mal Mode.«

»Ich bin für Sylt«, sagte Loske.

»Es gibt noch ein paar andere Inseln«, mischte sich Alexander ein. »Ich halte beides nicht für gute Ideen.«

»Na, erlaube mal«, sagte Jana. »Du bist doch immer gern auf Sylt.«

»Ich halte die Stoffe nicht für gut«, sagte Alexander bestimmt.

»Weder die Wiedervereinigungsgeschichte noch die Inselsommerliebe.«

Frobenius nickte anerkennend. »Zwei prachtvolle Wörter. Ein Glück, dass du keine Drehbücher schreibst, kein Mensch könnte das aussprechen.«

»Man muss bloßüben«, sagte Alexander ungerührt. »Und ob ich nicht doch eines Tages Drehbücher schreiben werde, kannst du gar nicht wissen.«

Frobenius seufzte bloß.

»Wir können einen Familienbetrieb daraus machen«, sagte Alexander, nun direkt an Thomas gewandt. »Mein Vater ist der Produzent, ich schreibe die Drehbücher, mein Bruder wird Schauspieler. Ich verspreche auch, für Sie immer gute Rollen zu schreiben, Herr Bantzer.«

»Oh, danke«, sagte Thomas.

»Für Geraldine Bansa sowieso.«

»Die Bavaria gibt das Geld«, warf Loske ein.

»Sie wird es mit Begeisterung tun, wenn sie erfährt, was wir machen und wie wir es machen«, kam es von Alexander.

»Und was sollen das für Rollen sein, wenn es die Wiedervereinigungsgeschichte und die Inselsommerliebe nicht sein dürfen?«

Geraldine sprach die beiden Wörter fehlerlos aus.

Loske sagte: »Bravo!«

Alexander sah ihr in die Augen, und sie erwiderte den Blick. Sie fühlte sich erleichtert. Nicht zu verstehen, warum sie Angst vor diesem jungen Mann gehabt hatte.

Er sagte, und er sprach langsam, eindringlich: »Ich finde, Ihre nächste Rolle müsste eine ganz besondere sein. Eine Frau von Bedeutung.«

»Womit wir bei George Bernard Shaw gelandet wären«, warf Frobenius ein.

»Genau. Keine schlechte Adresse, wie wir wissen. Nehmen wir mal die Heilige Johanna, das Beste, was über die Jungfrau von Orleans geschrieben wurde. Nichts gegen Schiller, seine Sprache ist wunderbar, aber Shaws Drama trifft es besser.«

»Das ist eine Rolle, die ich mir immer gewünscht habe«, seufzte Geraldine. Und als alle sie ansahen, errötete sie, und ihre Hand legte sich wieder um den Hundekopf. »Ich meine, früher, als ich noch an Theater dachte.«

»Und heute?«, fragte Alexander. »Möchten Sie nicht wieder auf einer Bühne stehen?«

»Ich wüsste nicht, was ich lieber täte. Aber ich würde sterben vor Angst. Die Kamera mag ja in mancherlei Hinsicht unbarmherzig sein, aber man ist dem Publikum nicht ausgeliefert. Was die Leute, die später den Film sehen werden, dazu sagen, kann einem während der Dreharbeiten egal sein. Wenn man auf der Bühne steht, ist man sehr allein.«

»Aber Sie haben doch früher Theater gespielt.«

»Das ist lange her. Und schon gar nicht die heilige Johanna. Geschweige denn die Jungfrau von Orleans. Ich kann sie zwar auswendig, beide Rollen kann ich, das habe ich bei meinem Vater gelernt. Aber spielen durfte ich sie nie.«

Will Loske beobachtete die beiden genau, diesen selbstbewussten jungen Mann und diese schöne junge Frau, und er erkannte sofort, dass hier ein Band geknüpft wurde. Er sah dann in Janas Gesicht, in dem ebenfalls ein Staunen stand, und dann betrachtete er seinen Freund Herbert.

Der runzelte gerade die Stirn.

»Also bitte! Geraldine hat bereits in mehreren Interviews erklärt, dass sie gern wieder Theater spielen würde. Dagegen ist ja nichts zu sagen. Nur drehen wir zunächst einen Film. Je bekannter sie durch den Film wird, vorausgesetzt, es wird wieder ein guter Film, umso leichter wird für sie der Weg zum Theater sein.«

Sein Sohn widersprach. »Das bezweifle ich. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Ein guter und anerkannter Schauspieler auf der Bühne zu sein, und dann meinetwegen ab und zu einen Film zu drehen. Oder mal im Fernsehen aufzutreten.«

»Du bist nicht im Bilde. Theater ist heutzutage meist eine Katastrophe. Das wird dir Herr Bantzer bestätigen. Wir haben keinen Reinhardt mehr, keinen Gründgens und keinen Hilpert. Was heute geboten wird, ist entweder überdreht oder langweilig.«

»Das kann sich ja wieder ändern. Aber bleiben wir bei deinem Film. Ihr müsst doch verstehen, du und die Bavaria, man kann nach der Alkmene nicht irgendeine belanglose Liebesgeschichte mit einer hübschen Frau machen, die in ihrer ersten großen Rolle immerhin eine historische Figur dargestellt hat. Die heilige Johanna wäre wirklich keine schlechte Wahl.«

»Über die hat es schon mehrere Filme gegeben.«

»Nun ja, Amphitryon war auch nicht eure Entdeckung.«

»Ich verstehe schon, was Alexander meint«, sagte Loske. »Der Film muss in einer bedeutenden Zeit spielen, und das muss nicht unbedingt der hundertjährige Krieg sein. Es gibt genügend Kriege und Revolutionen auf dieser Erde, gibt es und gab es, sodass man schon eine Epoche finden kann, in der eine Frau eine große und auch gefährliche Rolle spielt.«

»Es ist aber unser Ziel, Geraldine diesmal in einer modernen und nicht allzu dramatischen Rolle herauszubringen«, sagte Frobenius.

»Warum?«, fragte Alexander.

»Um ihr vielseitiges Talent zu beweisen. Darum.«

Jana stand auf und seufzte leise.

»Wie wär’s denn jetzt mit Kaffee? Einen kleinen Espresso, Will?«

»Gern. Und ich sehe schon, wir werden uns die Köpfe zerbrechen, wo wir den richtigen Stoff für Geraldines zweiten Film herbekommen.«

»Das brauchen wir nicht, das macht mein Sohn schon, wie du hörst. Aber mir kommt es vor allem darauf an, dass wir möglichst bald zu einer Entscheidung kommen. Wir dürfen die Pause nicht zu lang werden lassen. Verstehst du wenigstens das, Alexander?«

»Das verstehe ich. Die heilige Johanna war ja nur als Beispiel gedacht. Aber wenn du in Deutschland bleiben willst, Vater, dann halte ich die Zeit vor der Wiedervereinigung für weitaus geeigneter. Wie war das mit dir, Evi? Du bist doch ein echter Flüchtling.«

Evi, die gerade den Kaffee servierte, nickte stumm. Sie hatte noch nie erzählt, auf welche Weise sie die Freiheit gekauft und bezahlt hatte.

Alle blickten sie erwartungsvoll an, doch sie schwieg.

»Was darf es denn sein?«, fragte sie dann. »Cognac? Marille? Oder Vieille Prune?«

Jana und Frobenius blickten sich an.

Die Geschichte ihrer Flucht aus der DDR hütete Evi wie ein Geheimnis. So heiter und gesprächig sie Evi erlebten, davon hatte sie nie erzählt.

»Sicher hast du doch auch eine Menge erlebt, Evi …«, beharrte Alexander, doch Jana unterbrach ihn.

»Ich schlage vor, wir beenden dieses Thema für heute. Herbert wird Geraldine mit dem Autor und dem Regisseur bekannt machen, sie wird die Stoffe prüfen, und auf jeden Fall sollte noch in diesem Sommer mit dem Dreh begonnen werden. In aller Interesse. Gib mir einen Cognac, Evi. Bitte.«

Frobenius verstand.

»Wir haben in den nächsten zwei, drei Wochen viel zu tun, Geraldine. Und Sie ebenso, Herr Bantzer. Sie bekommen die Drehbücher für die ersten fünf Folgen, die sind geschrieben. Wir möchten mit dieser Serie im Oktober starten.«

Es wurde spät an diesem Abend, in dieser Nacht.

Es war zwölf, als sie aufbrachen. Will, der mit dem Wagen da war, bot an, Geraldine und Thomas nach Hause zu fahren. Aber Alexander entschied: »Das übernehme ich.«

Jana machte den Mund auf, um ihm zu erklären, es sei Unsinn, mitten in der Nacht von Dahlem bis in die Stadt zu fahren.

Aber sie sprach es nicht aus. Erst vor einigen Tagen, als sie ihrem Sohn beratend zur Seite stehen wollte, hatte sie einen freundlichen Verweis einstecken müssen.

»Jana, du bist das Beste, was ich auf Erden habe. Weißt du sowieso. Aber bedenke, dass ich jetzt zwei Jahre in England gelebt und studiert habe und ganz ohne deine Ratschläge ausgekommen bin.«

Daraufhin hatte sie einen Kuss bekommen. Aber sie hatte es sich gemerkt.

Genauso wie sie an diesem Abend bemerkt hatte, dass Alexander an den beiden, an Vater und Tochter, Gefallen gefunden hatte. Und wenn er sie fahren wollte, dann tat er es. So gut kannte sie ihren mittlerweile erwachsenen Sohn.

Alexander hielt Thomas die Beifahrertür auf, dann die hintere Tür für Geraldine. Einen eigenen Wagen hatte er hier nicht, er musste Vaters Wagen aus der Garage holen. Frobenius verstand und schwieg.

Sie unterhielten sich auch während der Fahrt noch ganz gut.

»Ihr Bruder ist Schauspieler?«, fragte Thomas.

»Er will es werden. Er hat das Abitur geschmissen, und nun habe ich ihn nach England verfrachtet. Nicht um zu studieren, daran hat er kein Interesse. Aber damit er ordentlich Englisch lernt. Oxford-Englisch. Er hat hier einen amerikanischen Freund und spricht einen furchtbaren Slang. Und ich habe sehr gute Freunde in Oxford. Bei ihnen soll er für ein paar Wochen bleiben. Die haben Pferde und Hunde, ein schönes Haus und ein noch schöneres Sommerhaus in Wales. Das soll er jetzt mal kennen lernen.«

»Und dann?«

»Ich nehme an, Jörg geht dann auf eine Schauspielschule. Reinhardt natürlich. Obwohl Frau Gadomsky, die kennen Sie ja auch, Herr Bantzer, ihn gern an die Falckenberg Schule nach München holen möchte.«

Thomas hatte wirklich auf einer Premierenfeier Charlotte Gadomsky kennen gelernt. Er kannte ihren Lebenslauf recht gut. Als er im Westen anfing, war sie noch die große Produzentin. Die er natürlich nur vom Hörensagen kannte.

»Ist er denn begabt?«

Alexander glitt leicht mit der Hand über das Steuerrad.

»Wer kann das wissen. Und wie wir ja vorhin schon gehört haben, ist Theater heute eine reichlich zweifelhafte Sache.«

»Ja, leider.«

Eine Weile später fragte Thomas: »Aber die griechischen Tragödien, die interessieren Sie doch?«

Alexander lachte leise. »Ja, sicher, aber so besessen wie Herr Klose bin ich nicht.«

Geraldine, die während der Fahrt schwieg, empfand Ärger. Sicher wusste dieser Alexander von ihr und Sebastian. Was früher einmal gewesen war. Es war vorbei. Erledigt, wie sie das nannte.

Bis sie die Schumannstraße erreichten, blieb es still im Wagen.

Als sie angekommen waren, öffnete Alexander wieder beide Türen.

Brachte sie zur Haustür.

Und sagte: »Ich würde Sie gern wiedersehen, Geraldine.«

»Ja, natürlich, warum nicht«, erwiderte Geraldine verwirrt.

»Darf ich Sie morgen abholen?«

»Morgen?«

»Es ist sehr schönes Wetter. Wir könnten im Grunewald spazieren gehen. Jetzt gehört er uns ja wieder ganz.«

Geraldine blickte Hilfe suchend ihren Vater an. Doch Thomas schwieg.

»So gegen elf Uhr. Wäre Ihnen das recht?«

»Ja, doch.«

Als sie oben in der Wohnung waren, fragte Geraldine: »Wie findste das?«

Thomas musste lachen.

»Weiß ich auch nicht. Ein sympathischer junger Mann. Wohl nicht der Typ, der Umwege geht. Außerdem sind wir ja jetzt, du und ich, mit der Familie Frobenius ziemlich eng verbandelt.«

»Verbandelt?«

»So sagt man in Österreich. Ich mit der Fernsehserie, du mit einem neuen Film. Können wir aussteigen?«

Ein jäher Trotz stieg in Geraldine hoch.

»Das wird sich zeigen«, konterte sie arrogant.

Und sie nahm sich vor, am nächsten Tag Walter Burckhardt anzurufen.