Die Zeit danach
»Du warst also in Italien«, sagte Thomas, als seine Tochter wieder in Berlin gelandet war.
»Ja. In Venedig, in Florenz und in Verona. Ich habe dir nicht geschrieben, entschuldige. Aber die Reise sollte geheim bleiben. Und woher weißt du es?«
»Sebastian Klose war hier, und er war sehr empört darüber.«
Geraldine lachte. »Der hat es nötig.«
Thomas zögerte, dann sagte er: »Ich dachte, du hättest dich mit ihm versöhnt.«
»Wieso versöhnt? Wir hatten keinen Streit. Er hat mich verlassen, hat mir ab und zu eine kleine Rolle verschafft, und sonst ist das erledigt.«
»Erledigt, so. Und jetzt liebst du Walter Burckhardt.«
»Das hat er dir also auch erzählt. Ich war mit Burckhardt auf dieser Reise zusammen, und es war sehr nett, und jetzt ist auch das erledigt.«
Thomas betrachtete seine Tochter mit Staunen. Sie war verändert. Nicht so glamourös wie auf den Fotos in Zeitungen und Illustrierten, sie sah fast aus wie früher. Oder besser gesagt wie ganz früher, ehe das Desaster mit Sebastian sie so verstört hatte.
Nach Ende der Dreharbeiten war viel in den Zeitungen geschrieben worden, Bilder waren erschienen, Berichte über den Film, von Frobenius und der Bavaria entsprechend platziert. Interviews hatte es gegeben, sogar mit Susanne Conradi, die aus Amerika zurückgekehrt, in aller Gelassenheit erklärt hatte, dass die Rolle der Alkmene ihr nicht gelegen habe und dass sie sehr froh darüber gewesen sei, eine so erfolgreiche Ablösung in ihrer Freundin Geraldine gefunden zu haben.
Burckhardt hatte die Zeitung mit dem Interview in Florenz gekauft, und er wäre bald vor Lachen in den Arno gefallen, als er Geraldine den Absatz vorlas.
»Es ist ein Wunder geschehen auf diesem Delos«, sagte er. »Da hat Klose wohl wirklich den richtigen Riecher gehabt.«
Geraldine lächelte und schwieg. Sie würde die leichtsinnige Bemerkung von jenem Abend auf Naxos nicht wiederholen. Sie selbst hatte auch noch ein Interview geben müssen. Sie würde wieder nach Griechenland fahren, hatte sie gesagt, es gebe da noch vieles, was sie gern sehen wolle, der Aufenthalt sei kurz gewesen, und während der Dreharbeiten blieb keine Gelegenheit, das Land und seine Geschichte näher kennen zu lernen.
Sie drückte sich so geschickt aus, wie sie es jetzt immer tat, gewandt und flüssig, als sei sie seit eh und je gewohnt, mit der Presse umzugehen.
Walter Burckhardt war bei diesem Interview nicht dabei, die Reporter erfuhren nur, dass er zur Kur nach Abano gereist sei. Anfang Dezember habe er Proben in den Münchener Kammerspielen.
Natürlich hätte es geschehen können, dass dem Liebespaar in Venedig oder Florenz ein Reporter über den Weg gelaufen wäre, aber es war November, die Saison war längst zu Ende. Und dann hatte ausgerechnet Sebastian ihrem Vater erzählt, dass sie mit Burckhardt in Italien gewesen war.
»Er hat größten Wert darauf gelegt, dass niemand davon erfährt«, sagte Geraldine. »Und dann erzählt er es dir. Wenn du es nun weitererzählt hättest?«
»Er hat mich darum gebeten, es nicht zu tun. Wie gesagt, er war empört, er war wütend; ich würde sagen, er war enorm eifersüchtig.«
Geraldine lachte kurz. »Das fällt ihm reichlich spät ein. Wer behauptet denn, dass ich in den vergangenen acht Jahren keinen Liebhaber hatte? Er jedenfalls hat mehrmals die Frauen an seiner Seite gewechselt.«
»Du und Walter Burckardt. Ist es nun …« Thomas scheute vor dem Wort Liebe zurück.
»Wir haben zusammen sehr gut gearbeitet. Er ist ein großartiger Schauspieler.«
»Das weiß ich. Und nun also …« Er wusste auch diesmal nicht, wie er es nennen sollte.
»Wir hatten wunderbare Liebesszenen in diesem Film. Wir sind uns sehr nahe gekommen, mehr als der Film verlangte. Es war eigentlich ganz selbstverständlich, das nun auch privat zu erleben. Er hat sich in mich verliebt, und ich habe seine Gefühle erwidert.«
»Eben hast du gesagt, es sei erledigt.«
»Das Wort gefällt dir nicht. Er hat Frau und Kinder. Was erwartest du von mir? Eine endlose Affäre mit einem verheirateten Mann? Wir haben beschlossen, es mit dieser Reise zu beenden.«
»Und wollte er das auch?«
»Nein. Er wollte es nicht. Aber er musste einsehen, dass ich es wollte. Wir haben uns in Freundschaft getrennt, außerdem hat er jetzt sowieso Proben in München. Mich hat einmal ein Mann verlassen, das wird nicht wieder geschehen. Ich bestimme, wann es vorbei ist.«
Sie saß in dem hellgrünen Samtsessel, die Beine hingen über die Lehne, sie trug einen schwarzen Hausanzug, ihr Haar war etwas kürzer und hatte eine rotbraune Tönung. Sie sah sehr hübsch aus und war völlig gelassen.
Der hellgrüne Samtsessel gehört zu der neuen Einrichtung, von der Dorothea vor Jahren gesprochen hatte, als sie sich zum ersten Mal nach dem Mauerbau in der Pension getroffen hatten.
Sie hatte die Öffnung der Grenze noch erlebt, doch es hatte ihr nichts mehr bedeutet. Sie war sehr krank und starb schon im Dezember 1989. Zuletzt war sie sehr allein gewesen, denn ihr Freund lebte bereits seit fünf Jahren nicht mehr.
Damals, im November 1989, hatte sie zu Thomas gesagt: »Du kommst jetzt zu mir. Wir gehören wieder zusammen. Hätten wir nie gedacht, dass dies einmal geschieht. Du? Ich nicht.«
Thomas hatte zunächst gezögert, denn Geraldine wohnte bei ihm und war wie er ohne Engagement.
Die alte Wohnung in der Schumannstraße, in der er aufgewachsen war, hatte sich wirklich verändert, sie war zwar etwas kitschig, aber auch ziemlich kuschelig geworden.
Vor allem freute er sich über die vielen Bücher, die Dorothea im Laufe der Jahre gesammelt hatte. Bücher aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren, die er mit Vergnügen las. Alles, was Thomas Mann je geschrieben hatte, war vorhanden. Ihm verdankte er seinen Namen, denn Dorothea hatte am liebsten die Bücher von Thomas Mann gelesen. Alle Klassiker waren da, Goethe, Schiller, Lessing, Kleist, und Thomas konnte sich daran erinnern, wie er als Junge alles verschlungen hatte, was die großen Dichter geschrieben hatten. Auch von den Nazis verbotene und verbrannte Autoren waren dabei; Tucholsky, Remarque, Feuchtwanger. Dorothea hatte kein Buch hergegeben; die Ideologie der Nazis hatte ihr nie etwas bedeutet. Bert Brecht gab es in jeder Fassung, schließlich hatte sie ja am Berliner Ensemble gearbeitet.
Den größten Spaß jedoch hatte Thomas an der Küche. Seine Mutter war eine gute Köchin gewesen, er hatte das Kochen von ihr gelernt und tat es für sein Leben gern. Dank Geraldines Gage musste er nicht mehr sparen, er hatte ein paar neue Geräte angeschafft, und gleich am Tag nach ihrer Rückkehr, fragte er: »Was willst du heute essen?«
Geraldine sagte: »Also keine Pasta, die habe ich jetzt genug gehabt. Wie wär’s denn ganz einfach mit Buletten?«
»Du bist sehr bescheiden. Aber mit Gemüse. Bei mir gibt es immer Gemüse oder Salat dazu.«
»Artischocken esse ich besonders gern.«
»Gut, die gibt es als Vorspeise. Und zu den Buletten mache ich Rosenkohl. Einverstanden?«
»Wunderbar.«
»Und Sonntag mache ich Fasan mit Kartoffelpüree und Weinkraut. Kannst du dich daran erinnern, dass du das als Kind mal gegessen hast?«
Sie zögerte. »Nein, eigentlich nicht. Haben wir das gegessen?«
»Haben wir eben nicht. Wir konnten uns das gar nicht leisten. Aber ich habe es als Kind besonders gern gegessen. Mit dir war ich manchmal Spaghetti essen, das war dein Leibgericht.«
»Daran erinnere ich mich sehr gut.«
Thomas Bantzer war jetzt sechsundsechzig. Er hatte graues Haar, Falten, die ihn interessant machten, und große ausdrucksstarke Augen. Er sah immer noch sehr gut aus, und sein Typ war gefragt. Öfter bekam er jetzt ansehnliche Rollen im Fernsehen. Und dass er der Vater jener Geraldine Bansa war, deren Bild man viel in den Zeitschriften gesehen hatte und die eine herausragende Rolle in diesem seltsamen Amphitryon-Film gespielt hatte, von dem ebenfalls viel die Rede war, wusste man nun auch.
So friedlich, wie ihr Wiedersehen in Berlin anfangs aussah, blieb es nicht.
Bereits am nächsten Tag tauchte Sebastian Klose auf.
»So, du bist also wieder da. Eine Hochzeitsreise nach Venedig, sehr sinnig.«
»Eine Hochzeitsreise würde ich es nicht nennen.«
»Denk ja nicht, dass man nicht weiß, wo du warst und mit wem. Linda Dingsda, von diesem Käseblatt, hat euch gesehen. Sie fährt mit Vorliebe im November nach Venedig, dann sei es am Canal Grande richtig gemütlich, sagt sie. Ich habe ihr ein Exklusiv-Interview mit dir versprochen, damit sie nichts darüber schreibt.«
»Worüber?«
»Dass du mit deinem Liebhaber auf Reisen warst.«
»Und du meinst, sie würde nichts darüber schreiben, wenn ich ihr das Interview wirklich gäbe?«
»Sie hat es versprochen. Geheim bleiben wird es trotzdem nicht, auch wenn sie nicht schreibt, wird sie davon reden. Das kann dieser Person niemand verbieten. Außerdem weiß man, dass Burckhardt nicht in Abano war. Ein Reporter der Münchener Abendzeitung hat ihn dort gesucht. Er wollte auch ein Interview, wohl wegen der bevorstehenden Arbeit an den Kammerspielen. Aber er konnte den großen Mimen nirgends entdecken.«
»Wenn er eine Kur gemacht hat, wird er wohl nicht den ganzen Tag auf der Straße herumgelaufen sein.«
»Ein Reporter ist imstande, in den Hotels nachzufragen.«
»Vielleicht hat der große Mime ja privat gewohnt.«
»Kinder«, sagte Thomas, »lasst doch den albernen Streit.«
»Wer streitet denn?«, fragte Geraldine. »Wir unterhalten uns nur über die Presse.«
»Ich meine, ihr solltet euch vertragen, weil ihr so einen tollen Film zusammen gemacht habt.«
»Kann sein, dass es ein toller Film ist. Ob es ein guter Film ist, wird man sehen«, sagte Sebastian immer noch giftig. »Ich sitze nämlich gerade im Schnitt. Und ich werde eine Menge Material nicht verwenden. Die Szene zum Beispiel, in der du nackt aus dem Haus läufst und zwischen den Säulen herumtanzt und Burckhardt dir nachkommt und dich wieder zurück in sein Bett trägt.«
»Erstens ist es Alkmenes Bett, und zweitens hat nicht Burckhardt mich getragen, sondern Zeus. Kannst du ruhig schneiden, es sollte ja kein Porno sein.«
»Und wann wird Premiere sein?«, fragte Thomas.
»Wenn es nach Frobenius geht, noch im Januar.«
»Und wo?«
»In Berlin natürlich. Aber die Bavaria möchte lieber München. Also vermutlich machen wir es hier und in München. Wahrscheinlich an aufeinander folgenden Tagen, damit Geri sich in beiden Städten verbeugen kann.«
Dann fragte Sebastian, ob sie mit ihm essen gehen wolle, doch Geraldine lehnte ab. Sie sei müde und froh, wieder bei ihrem Vater zu sein.
»Ich bekomme bei ihm besseres Essen als in jedem Restaurant.«
»Vielleicht besuchst du mich morgen mal«, schlug Sebastian vor.
»Bei deiner Freundin?«
»Ich habe jetzt eine eigene Wohnung.«
»Nicht möglich. Seit ich dich kenne, hast du immer bei einer deiner Freundinnen gewohnt.«
»Wir haben auch schon einmal zusammengewohnt«, sagte er, und nun klang es traurig.
»Wir hatten beide keine Wohnung, jeder nur ein möbliertes Zimmer.«
»Aber deins war größer, und darum war ich meist bei dir.«
Geraldine legte den Kopf zurück und blickte zur Zimmerdecke.
»Wirklich? Daran kann ich mich gar nicht erinnern.«
Doch dann lächelte sie und sagte: »Doch, es fällt mir wieder ein. Es war eine schöne Zeit, jedenfalls anfangs.«
Er stand auf, trat hinter sie und legte die Hände auf ihre Schultern, sie trug wieder den schwarzen Hosenanzug und saß in dem grünen Sessel.
»Sollten wir nicht doch einen neuen Anfang versuchen?« Er sprach leise, und Thomas spürte, dass seine Gegenwart störend war.
Er stand auf.
»Wie wär’s mit einem kleinen Whisky? Ich gehe eben in die Küche und hole etwas Eis.«
»Ich trinke ihn pur«, sagte Geraldine.
Thomas ging trotzdem hinaus, er würde eine Weile mit den Eiswürfeln herumhantieren, damit die beiden Gelegenheit hatten, allein zu sein. Aber er war sich ziemlich sicher, dass Geraldine das Verhältnis von einst nicht erneuern würde. Es würde bei »erledigt« bleiben.
Es sei denn, überlegte er, während er die Eiswürfel in eine Schale plumpsen ließ, der Film würde ein Erfolg. Dann gäbe es vielleicht eine Basis für eine alte und wieder neue Liebe.
Er wurde ein Erfolg. Für einen deutschen Film ein geradezu sensationeller Erfolg. Das lag vor allem an der Beachtung, die der Film in den Medien fand. Die Filmkritiker äußerten sich sehr ausführlich. Es ging vor allem um die moderne Darstellung des Stoffes, um die einfache Sprache, für die man sich entschieden hatte. Manche fanden das gut, eben zeitgemäß, wodurch die alte Geschichte auch bei dem Publikum Zustimmung fand, das wenig oder gar keine Ahnung vom Amphitryon-Stoff hatte.
»Das Wunder dieser Begegnung, der Zauber dieser ungewöhnlichen Liebe bleibt erhalten. Es wird nicht auf flapsige Weise gespielt und gesprochen, wie man es in diesen Tagen oft erlebt. Es ist ein moderner Ton, und er wird doch der Zeit gerecht, in der diese Sage erdacht wurde.«
So lautete das Lob eines Kritikers.
Ein anderer dagegen schrieb: »Es ist ein Verrat an dieser alten, geheimnisvollen Geschichte, die immer noch unser Herz bewegt. Man weiß, dass diese Begegnung zwischen einem Gott und einer Menschenfrau nicht geschehen sein kann. Der moderne aufgeklärte Mensch weiß es nun mal, aber er liebt es wie ein Märchen. Und ein entzaubertes Märchen ist es nun leider geworden.«
Ein anderer Kritiker ärgerte sich vor allem über den Schluss.
»Die albern modische Bemerkung des Zeus, mit der er Abschied nimmt von Alkmene, dieses lächerliche ›Vergiss es‹, das man heute überall bei den alltäglichsten Begegnungen hören kann, ist mehr als unpassend. ›Vergiss es‹, sagt der Gott und haut einfach ab. Keine Rede von Herakles, kein Begreifen von Alkmene, keine Erschütterung, sie hat es schon vergessen und geht duschen. So wie es heutzutage alltäglich geworden ist.«
Es wurden alle bekannten und weniger bekannten Versionen des Amphitryon-Stoffes bemüht und zitiert, wobei sich die meisten darin einig waren, dass es wirklich kein Stoff für ein Lustspiel sei, schon gar nicht für eine Burleske auf Kosten der Götter. Auch eine Abenteuergeschichte vergangener Zeiten dürfe man in dem Stoff nicht sehen.
Das Wort Abenteuergeschichte ärgerte nun wieder einen anderen Kritiker, der sich heftig für die Dichtung des alten Griechenlands ins Zeug legte: »Was gibt uns das Recht, überheblich zu sein? Von den alten Griechen stammt schließlich unsere Kultur.«
Das ging sehr temperamentvoll hin und her, sogar für erstaunlich lange Zeit.
Genau genommen war dieser Streit die beste Werbung für den Film. Auch wer noch nie etwas von Amphitryon gehört hatte, interessierte sich für den Film und wollte ihn sehen. Dazu kam, dass viele Leute, an Auslandsreisen gewöhnt, schon in Griechenland gewesen waren, teils um Ferien zu machen, teils um etwas über die große Vergangenheit dieses Landes zu erfahren, und die wollten sich jetzt eine eigene Meinung bilden.
Sebastian Klose wurde über Nacht berühmt. Er musste Lob und Tadel einstecken, und er stand den Medien mit Perfektion und Souveränität Rede und Antwort. Da er ein gut aussehender Mann war, steigerte das seinen Erfolg. Er bekam Angebote von vielen Seiten, doch eine Entscheidung fällen wollte er noch nicht. Weil es schwierig sei, wie er meinte, sich von den alten Griechen wieder zurück in die Gegenwart zu bewegen.
Er machte das sehr geschickt, er wurde umworben, nicht nur von Film- und Fernsehproduktionen, sondern auch von Frauen, und mit der Zeit stieg ihm der Ruhm ein wenig zu Kopf.
»Was wäre aus dem Film geworden, wenn du nicht Regie geführt hättest«, sagte hingegen Karel Bronski, als er Geraldine Anfang März besuchte.
»Vergiss es«, sagte Geraldine, »um bei unserer umstrittenen Aussage zu bleiben.«
Karel nickte. »Du hast recht. Dieser Schluss hat den meisten Aufruhr verursacht. Neulich habe ich gelesen, es sei eine geradezu ›rotzige Bemerkung‹, um diesen Film zu beenden.«
Karel war in die Schumannstraße gekommen, er wollte Geraldines Vater kennen lernen. Eine neue große Fernsehrolle war Thomas soeben angeboten worden, er war inzwischen auch in einer Talkshow zu Gast gewesen. Für den Vater der berühmten Geraldine Bansa interessierte sich das Publikum.
Geraldine hatte es bisher abgelehnt, in einer Fernsehshow aufzutreten. Sie ging überhaupt nicht gern aus dem Haus, sie lebte sehr zurückgezogen, nachdem sie geduldig alle Interviews über sich hatte ergehen lassen.
Man wolle sie jetzt in einer modernen Rolle sehen, eine Frau von heute, und das möglichst mit einem dramatischen Hintergrund. Die Bavaria und Dr. Frobenius hielten schützend die Hand über sie: Selbstverständlich würde es einen neuen Film mit ihr geben, darin war man sich einig, doch es musste sehr gründlich überlegt werden, was für ein Stoff es sein sollte.
Karel Bronski kam gerade aus Amerika, er würde seine nächste Kameraarbeit in Hollywood machen, nicht zum ersten Mal, er hatte schon öfter dort gearbeitet. Er schlug Geraldine vor, ihn zu begleiten.
»Man ist sehr interessiert an dir. Ich bin gebeten worden, dich mitzubringen. Es heißt, du bist die schönste Frau, die in den letzten zwanzig Jahren auf einer europäischen Leinwand zu sehen war.«
Geraldine lachte und sah ihren Vater an.
»Ich bin überhaupt nicht schön. Das hast du mit deiner Kamera fertiggebracht. Frag meinen Vater, er kennt mich länger. Frag ihn, ob ich jemals schön war.«
»Was heißt das schon, schön«, sagte Karel. »Es gibt jede Menge hübscher Frauen, schöner Frauen, du bist mehr, du bist begabt, und das ist mehr wert. Ich war dabei, als wir den Film drehten, und all den Ruhm, den Klose jetzt erntet, hat er dir zu verdanken.«
»Ich hoffe, du wirst das niemals irgendwo laut aussprechen.«
»Es wird davon geredet. Ich war schließlich nicht der Einzige am Set. Was wirst du als nächsten Film machen? Wieder mit Klose?«
Geraldine hob unbehaglich die Schultern.
»Ich weiß es nicht. Es sind ein paar Anfragen da.«
»Nun untertreibe nicht so albern. Ich weiß Bescheid.«
Geraldine sah wieder ihren Vater an, der sich an dem Gespräch kaum beteiligte.
»Am liebsten«, sagte sie, »am liebsten möchte ich wieder Theater spielen.«
»Theater heute! Es ist schrecklich, was die da machen, da geht es beim Film noch vernünftiger zu. Theater ist eine Katastrophe, und das Fernsehen sowieso. Man weiß, dass du Theater gespielt hast, es ist berichtet worden, wo und welch klägliche Rollen. Das ist schon lange her. Was hast du in den vergangenen Jahren getan?«
Geraldine stand verärgert auf.
»Willst du mich ausfragen?«
»Ich stelle nur die Fragen, die die Presse auch schon gestellt hat.«
Jetzt sah er Thomas an.
»Stimmt es nicht, was ich sage?«
»Doch, es stimmt, was Sie sagen, Herr Bronski«, antwortete Thomas in ruhigem Ton. »Und es ist wirklich genug darüber geschrieben worden. Man hat sich gefragt, wie man eine Frau von diesem Talent und dieser Schönheit übersehen konnte. Doch Geraldine hat einfach kein Engagement bekommen.«
»Aha. Und warum hast du keins bekommen?«
»Weil ich eben nicht begabt und nicht schön bin.«
Bronski sah sie prüfend an. Im Moment war sie wirklich nicht schön, sie sah missmutig aus, hatte die Lider über die Augen gesenkt, diese großen, graugrünen Augen, die ihn so entzückt hatten, als er die Kamera auf sie richtete. Und die plötzlich ganz dunkel werden konnten, fast schwarz.
Das überraschte ihn nicht weiter. Er wusste, dass eine Schauspielerin ganz anders aussah, wenn sie arbeitete. Und ganz anders noch, wenn sie schlecht gelaunt war. Und das war Geraldine zweifellos trotz ihres Erfolges. Er hätte den Grund gern gewusst. Wegen Burckhardt, wegen Klose? Oder ging es gar nicht um einen Mann, sondern um die Last der erfolglosen Jahre? So etwas gab es, Bronski kannte sich aus mit Schauspielern, er arbeitete seit vierzig Jahren in diesem Geschäft. Fehlte es ihr einfach an Mut zu beweisen, wie es weitergehen sollte? Fehlte es ihr an Kraft? Trank sie darum so viel?
Sie ging hinüber zu dem Eckschrank, in dem die Flaschen aufbewahrt wurden, und goss sich den vierten Whisky ein.
»Willst du auch noch?«
»Nein, danke, ich bin mit dem Wagen da.«
Ihren Vater fragte sie nicht, er machte sich nicht viel aus Whisky, er hatte ein Glas Rotwein vor sich stehen, aus dem er schon seit einer halben Stunde trank.
Und dann sprach Karel Bronski aus, was er dachte.
»Du hast vorher nicht gewusst, dass du die Hauptrolle in diesem Film spielen wirst. Und dass sie dich berühmt machen wird. Aber merke dir: Einmal ist keinmal. Ob Theater oder Film, wenn aus dir etwas werden soll, dann musst du weitermachen. Und es ist nicht gesagt, dass es jedes Mal ein Erfolg sein wird. Das weißt du, und darum zauderst du. Am liebsten würdest du dich auf längere Zeit, vielleicht für immer, bei deinem Vater verstecken. Aber das geht nicht. Man muss seine Chancen nutzen, gerade in diesem erbarmungslosen Geschäft. Habe ich recht?« Er sah Thomas an.
»Sicher«, sagte Thomas. »Und sie wird schon neuen Mut fassen. Ich versuche ja, ihr gut zuzureden. Und ich bin nicht dafür …« Thomas sprach nun lauter, »dass sie den nächsten Film, wann immer das sein wird, mit Sebastian Klose dreht.«
»Der Meinung bin ich auch. Ich nehme an, es liegen andere Angebote vor.«
»Reichlich.«
»Ich verstehe Klose gut. Diesen Erfolg, den er jetzt hat, verdankt er der Zusammenarbeit mit Geraldine. Das weiß er ganz genau. Und es ist für ihn eine Art Selbstbestätigung, dass er sie wiederbekommt. Möglichst nicht nur als Schauspielerin.«
Geraldine stand immer noch, das halb geleerte Glas in der Hand.
Und sie hatte Lust, das Glas an die Wand zu werfen.
»Habt ihr kein anderes Thema?«, fragte sie gereizt.
»Doch. Mehrere. Aber ich muss jetzt gehen, ich habe noch eine Verabredung.«
»Man hat uns sogar einen Fernsehfilm angeboten«, sagte Thomas, »in dem wir beide auftreten könnten, als Vater und Tochter. Der Produzent war ganz begeistert von dieser Idee.«
»Eine Schnulze«, sagte Geraldine und leerte ihr Glas.
»Es wird noch daran gearbeitet. Ich werde durch meine Tochter noch berühmt.«
»Wie wäre es, wenn wir morgen Abend zusammen essen gingen?«, fragte Bronski. »Wir könnten noch einmal über Hollywood sprechen. Morgen Mittag treffe ich Dr. Frobenius, der hat auch verschiedene Pläne, die dich betreffen, er meinte, du verhieltest dich sehr ablehnend.«
»Er hat doch nun diesen Film, damit kann er für den Moment zufrieden sein. Außerdem hat er anfangs gar nichts von mir gehalten, und er war entsetzt, als er erfuhr, dass ich die Alkmene spiele und nicht Frau Conradi.«
»Das waren wir alle. Oder nicht? Stell dich nicht dümmer, als du bist. Auf Delos, das war doch eine wirklich absurde Situation.«
»Eben«, sagte Geraldine spöttisch. »Keiner hat verstanden, was da vor sich ging.«
»Du vielleicht?«
»Nein«, sagte Geraldine und lächelte. »Ich auch nicht.«
»Also, wie ist es mit morgen Abend?«
»Ich gehe nicht gern ins Restaurant.«
»Doch, mit mir gehst du. So berühmt bist du nun auch wieder nicht, dass dich jeder erkennt. Ich kenne ein hübsches kleines Lokal in der Grolmannstraße, ganz einfach, aber sehr gemütlich, und man isst dort ausgezeichnet. Ich hole euch um sieben Uhr ab.« Er blickte zu Thomas. »Einverstanden?«
Thomas nickte. »Von mir aus gern. Ich werde versuchen, Geraldine zu überreden.«
»Ansonsten gehen wir eben ohne sie.«
Er stand auf, reichte Thomas die Hand, ging dann zu Geraldine und küsste sie auf die Wange.
»Du warst wirklich schon mal schöner. Und feige bist du auch.«
Thomas brachte Bronski hinaus, sie sprachen noch ein paar Worte an der Tür. Thomas begriff sehr gut, dass Geraldine hier nicht nur Freundschaft, sondern auch Hilfe angeboten wurde.
Als er ins Wohnzimmer zurückkam, hatte sie schon wieder die Flasche in der Hand.
Er nahm sie ihr mit einer heftigen Bewegung weg, stellte sie in den Schrank zurück und schloss die Tür ab.
»Ich mache uns jetzt was zu essen. Bratkartoffeln und Sülze, die habe ich heute mitgebracht.«
»Ich habe keinen Hunger«, kam es trotzig.
»Dann siehst du mir eben beim Essen zu. Und ich möchte, dass du morgen mit mir und Bronski zum Essen gehst. In dieses hübsche kleine Lokal. Mich ärgert dein Benehmen. Und ich verstehe es nicht. Es ist wie damals, als du dich von Klose getrennt hattest und wie eine lahme Ente bei mir untergekrochen bist.«
»Und jetzt bin ich wieder eine lahme Ente. Siehst du, es wird einfach nichts aus mir.«
»Es hat sich einiges geändert, nicht wahr? Ein Erfolg ist keine Garantie für die Ewigkeit. Du hast Angst, wie es weitergeht. Bist du wieder unglücklich verliebt? Ist es diesmal Burckhardt? Oder immer noch Klose?«
»Verdammt noch mal, ich bin überhaupt nicht verliebt.«
»Vielleicht fehlt dir das. Als du aus Italien kamst, warst du besser gelaunt.«
»Wenn ich dir auf die Nerven gehe, kann ich ja ausziehen.«
»Das wäre eine Möglichkeit. Eine eigene Wohnung kannst du dir ja jetzt leisten.«
Sie sank in den Sessel, in dem sie zuvor gesessen hatte, legte Arme und Kopf auf die Lehne und fing an zu weinen, leise, wie ein unglückliches Kind.
Thomas betrachtete sie eine Weile stumm, dann ging er in die Küche und machte die Bratkartoffeln.
Dabei dachte er nach. Was würde sie allein in einer Wohnung machen? Sie würde erst recht unglücklich sein, noch mehr trinken, wieder in die bekannte Schwermut versinken. Es war schon besser, sie bliebe bei ihm.
Es war wie damals, als sie nach diesem ersten und einzigen Engagement bei ihm landete. Nur warum war es diesmal so? Damals ging es ihm auch nicht besonders gut. Und er hatte keine Wohnung, nur ein bescheidenes Zimmer zur Untermiete.
Jetzt lebten sie in der Wohnung, in der er aufgewachsen war. Drei Zimmer waren es nur. Ein Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer. Und eine schöne, geräumige Küche, die seine Mutter modern eingerichtet hatte.
Meist nahmen sie die Mahlzeiten dort ein, an einem großen Tisch, den er immer sorgfältig deckte. Um den Haushalt kümmerte sich Geraldine überhaupt nicht. Sie konnte nicht kochen, wollte es auch nicht lernen. Manchmal spülte sie das Geschirr ab.
»Wir könnten uns ja eine Geschirrspülmaschine anschaffen«, hatte er einmal vorgeschlagen.
Und sie darauf: »Wozu? Wegen der zwei Teller?«
Kurz darauf kam sie in die Küche, aß auch artig die Sülze mit den Bratkartoffeln.
Und trank auch das Glas Bier, das er ihr anbot.
Dann gingen sie zurück ins Wohnzimmer, er stellte den Fernseher an. Sie sprachen an diesem Abend nicht mehr viel, ein paar Worte über die Sendung, die sie sahen, dann wünschte sie eine Gute Nacht und ging schlafen.