2. KAPITEL

Der Adler war ausgesprochen friedlich, nachdem Deryn ihm zwei Hauben über die streitenden Köpfe gezogen hatte.

Er saß schwer auf ihrem behandschuhten Arm, gute zehn Pfund aus Muskeln und Sehnen. Während sie mit Alek zum Heck ging, war sie schon bald dafür dankbar, dass Vögel hohle Knochen hatten.

Der Schlag war von der Hauptgondel abgetrennt und befand sich auf halbem Weg zur Bauchflosse. Der Laufgang dorthin wurde von der Hitze im gastrischen Kanal erwärmt, doch der eiskalte Wind drückte an beiden Seiten gegen die Haut des Luftschiffs, die sich dadurch riffelte. Wenn man die Tatsache bedachte, dass sie sich in einem tausend Fuß langen Luftschiff befanden, welches aus den Lebensfäden eines Wals und hundert anderer Spezies erschaffen worden war, stank es eigentlich so gut wie gar nicht. Der Geruch erinnerte höchstens an die Mischung aus Tierschweiß und Schiet, wie man sie in jedem Stall im Sommer erleben konnte.

Alek ging neben ihr und ließ den kaiserlichen Adler nicht aus den Augen.

»Glaubst du, er hat zwei Gehirne?«

»Natürlich«, meinte Deryn. »Wozu ist ein Kopf ohne Gehirn gut?«

Bovril gluckste darüber, so als hätte er begriffen, dass Deryn beinahe einen Witz über Mechanisten gemacht hätte. Alek war allerdings den ganzen Morgen über ziemlich empfindlich gewesen, deshalb verzichtete sie auf den Witz.

»Wenn sie sich nun darüber streiten, in welche Richtung wir fliegen sollen?«

Deryn lachte. »Dann werden sie die Sache mit einem Kampf entscheiden, denke ich, so wie andere auch. Aber ich glaube, sie werden nicht besonders viel streiten. Das Oberstübchen eines Vogels besteht vor allem aus Sehnerven – diese Tiere können besser sehen als denken.«

»Wenigstens weiß er nicht, wie schrecklich er aussieht.«

Unter einer der Hauben kreischte es, und Bovril ahmte den Laut nach.

Deryn runzelte die Stirn. »Wenn zweiköpfige Tierchen so schrecklich sind, wieso hattest du dann einen auf deinen Sturmläufer gemalt?«

»Das war das Wappen der Habsburger. Das Symbol meiner Familie.«

»Und was soll es symbolisieren? Zimperlichkeit?«

Alek verdrehte die Augen und setzte zu einer ausführlichen Erklärung an.

»Der zweiköpfige Adler wurde zuerst von den Byzantinern benutzt, um zu versinnbildlichen, dass ihr Reich sowohl den Osten als auch den Westen umfasst. Aber wenn ein modernes Königshaus dieses Symbol verwendet, verkörpert der eine Kopf irdische Macht und der andere göttliches Recht.«

»Göttliches Recht?«

»Das Prinzip, demzufolge die Macht eines Königs von Gott gegeben ist.«

Deryn schnaubte. »Darf ich raten, wer auf diese Idee gekommen ist? Vielleicht zufällig ein König

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»Es ist ein bisschen altmodisch, könnte ich mir vorstellen«, sagte Alek, doch Deryn fragte sich, ob er es trotzdem glaubte. Er hatte allen möglichen Killefit im Oberstübchen, und er redete dauernd davon, die Vorsehung bestimme sein Leben, seit er von zu Hause aufgebrochen war. Und dass es sein Schicksal sei, diesen Krieg zu beenden.

Soweit sie sagen konnte, war dieser Krieg viel zu groß, um von einer einzigen Person beendet zu werden, ob es nun ein Prinz oder ein Bürgerlicher wäre, und das Schicksal kümmerte sich einen Micker darum, wofür irgendwer bestimmt wäre. Deryns Schicksal war es schließlich, ein Mädchen zu sein, Röcke zu tragen und sich mit quengelnden Bälgern abzumühen. Aber sie hatte ihr Schicksal mit Hilfe ihrer Nähkünste recht gut ausgetrickst.

Natürlich gab es andere Schicksale, denen sie nicht entwischt war, zum Beispiel dem, sich in einen blöden Prinzen zu verlieben, und zwar so erbarmungslos, dass ihr Kopf jetzt voller unsoldatischem Unfug steckte: nämlich, sein bester Freund zu sein und sein Verbündeter, während an ihrem Herzen eine stete hoffnungslose Sehnsucht nagte.

Glücklicherweise war Alek zu sehr mit seinen eigenen Problemen und mit den Problemen der ganzen brüllenden Welt beschäftigt, um es zu bemerken. Natürlich war es ein bisschen leichter, ihre Gefühle zu verbergen, weil er ja nicht wusste, dass sie ein Mädchen war. Niemand an Bord außer Graf Volger hatte davon eine Ahnung, und mochte dieser österreichische Adelige auch ein Oberpenner sein, so hatte er immerhin Spaß daran, Geheimnisse zu bewahren.

Sie erreichten die Luke zum Schlag, und Deryn langte nach dem Druckverschluss. Doch mit einer Hand war der Mechanismus im Dunkeln nicht leicht zu öffnen.

»Wie wäre es mit ein wenig Licht, Euer göttliche Prinzlichkeit?«

»Aber mit Vergnügen, Mr. Sharp«, sagte Alek und zog seine Kommandopfeife heraus. Er sah sie wissend an und pfiff die entsprechenden Töne.

Die Glühwürmchen hinter der Luftschiffhaut begannen zu flackern, und ein sanftes grünes Licht erfüllte den Gang. Schließlich fiel Bovril ins Pfeifen mit ein, wobei seine Stimme so hell klang wie Silberglöckchen. Das Licht wurde greller.

»Gut gemacht, Tierchen«, sagte Deryn. »Aus dir machen wir auch noch einen Kadetten.«

Alek seufzte. »Was man von mir wohl nicht sagen kann.«

Deryn beachtete sein Jammern nicht und öffnete die Tür zum Schlag. Als das Kreischen und Schreien von innen lauter wurde, packte der Zarenadler ihren Arm fester, und die scharfen Krallen drückten sich sogar durch das Leder der Falknerhandschuhe.

Sie führte Alek einen erhöhten Laufsteg entlang und suchte nach einem leeren Platz. Es waren insgesamt neun Käfige, drei unter ihr und drei zu den Seiten, jeder davon doppelt so hoch wie ein Mann. Die kleineren Raubvögel und Boten flatterten wild durcheinander, während die Kampffalken würdevoll auf ihren Plätzen saßen und die weniger wichtigen Vögel um sie herum überhaupt nicht beachteten.

»Bei den Wunden des Allmächtigen!«, sagte Alek hinter ihr. »Das ist ja das reinste Tollhaus.«

»Tollhaus«, wiederholte Bovril und sprang von Aleks Schulter auf das Geländer.

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»Geheimnisse im Vogelschlag.«

Deryn schüttelte den Kopf. Alek und seine Männer fanden oft, dass im Luftschiff zu großes Durcheinander herrschte. Das Leben war wild und wirr, verglichen mit den schnurrenden Uhrwerken der Mechanistenapparate. Das Ökosystem der Leviathan mit seinen hundert verzahnten Spezies war weitaus komplexer als eine leblose Maschine und deswegen eben auch eine Winzigkeit weniger ordentlich. Aber dadurch blieb die Welt ja interessant, fand Deryn; die Wirklichkeit hatte keine Zahnräder, und man wusste nie, welche Überraschungen das Chaos bereithielt.

Ganz gewiss hatte sie niemals erwartet, eines Tages dabei zu helfen, eine Mechanistenrevolution durchzuführen, von einem Mädchen geküsst zu werden oder sich in einen Prinzen zu verlieben. Und doch war das alles im letzten Monat geschehen, und dabei hatte der Krieg gerade erst angefangen.

Deryn entdeckte den Käfig, den die Vogelhüter frei gemacht hatten, und zog den Ladeschacht vor den Platz darüber. Es wäre nicht gut, den Zarenadler mit anderen Vögeln zusammenzustecken, nicht solange er Hunger hatte.

Mit einer flinken Bewegung zog sie die Hauben ab und schob das Tierchen in den Schacht. Er flatterte hinunter in den Käfig und drehte sich für einen Moment wie ein vom Wind getriebenes Blatt in der Luft, ehe er auf der größten Stange landete.

Von dort aus beäugte der Zarenadler seine Mitgeschöpfe durch die Stangen und bewegte sich dabei unbehaglich von einer Kralle auf die andere. Deryn fragte sich, was für einen Käfig der Vogel wohl im Zarenpalast bewohnte. Vermutlich einen mit glänzenden Stäben, wo ihm fette Mäuse auf silbernen Tellern serviert wurden, in dem es nicht so schrecklich nach dem Schiet anderer Vögel stank.

»Dylan«, sagte Alek, »wo wir mal einen Moment für uns sind …«

Sie wandte sich zu ihm um. Er stand dicht bei ihr, seine grünen Augen glitzerten in der Dunkelheit. Es war immer am schwierigsten, seinen Blick zu halten, wenn er so totenernst war wie jetzt, aber es gelang ihr.

»Tut mir leid, weil ich eben die Sache mit deinem Vater angesprochen habe«, sagte er. »Ich weiß, es setzt dir immer noch zu.«

Deryn seufzte und fragte sich, ob sie nicht einfach sagen sollte, er brauche sich keine Gedanken zu machen. Aber es war schon ein wenig verzwickt, nachdem Newkirk dann von ihrem Onkel gesprochen hatte. Es wäre sicherer, Alek die Wahrheit zu sagen, zumindest den Teil, den sie wagen durfte.

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte sie, »aber eins solltest du wohl wissen. In der Nacht, in der ich dir vom Unfall meines Vaters erzählt habe, habe ich dir nicht alles erklärt.«

»Wie meinst du das?«

»Na ja, Artemis Sharp war zwar mein Vater, so wie ich es gesagt habe.« Deryn holte tief Luft. »Aber beim Air Service denken alle, es wäre mein Onkel gewesen.«

Sie konnte Alek am Gesicht ablesen, dass dies für ihn keinerlei Sinn ergab, und ohne große Mühe kamen ihr die Lügen über die Lippen.

»Als ich eingetreten bin, war mein älterer Bruder schon beim Service. Daher konnten wir nicht sagen, dass wir Brüder sind.«

Das war natürlich hohles Geschwafel. Der eigentliche Grund war, dass Jaspert all seinen Kameraden erzählt hatte, außer einer jüngeren Schwester habe er keine weiteren Geschwister. Ein Bruder, der aus dem Nichts auftauchte, hätte dann vielleicht doch einen Micker verwirrt.

»Wir tun so, als wären wir Cousins. Verstehst du?«

Alek runzelte die Stirn. »Brüder dienen bei euch nicht zusammen im Militär?«

»Nicht, wenn der Vater tot ist. Verstehst du, wir sind die einzigen Kinder. Und wenn wir beide …« Sie zuckte mit den Schultern und hoffte, er würde ihr die Geschichte abnehmen.

»Ach, damit der Familienname weiter besteht. Sehr vernünftig. Aus dem Grund wollte deine Mutter nicht, dass du zum Militär gehst?«

Deryn nickte verdrießlich und fragte sich, warum es immer so brüllend kompliziert werden musste, wenn sie sich ein einziges Mal zu einer Lüge hinreißen ließ. »Ich wollte dich nicht in meine Täuscherei hineinziehen. Doch in jener Nacht habe ich gedacht, du würdest das Schiff sowieso verlassen. Daher habe ich dir die Wahrheit gesagt und nicht das, was ich sonst allen erzähle.«

»Die Wahrheit«, wiederholte Bovril. »Mr. Sharp.«

Alek hob die Hand und legte sie auf die Tasche seiner Jacke. Dort bewahrte er, wie Deryn wusste, den Brief vom Papst auf, mit dessen Hilfe er vielleicht eines Tages Kaiser werden würde. »Keine Sorge, Dylan. Ich werde all deine Geheimnisse für mich bewahren, so wie du meine.«

Deryn stöhnte. Sie hasste es, wenn Alek solche Dinge sagte. Denn schließlich konnte er nicht alle ihre Geheimnisse bewahren, oder? Das allergrößte kannte er nicht einmal.

Plötzlich wollte sie nicht mehr lügen. Nicht mehr so viel, jedenfalls.

»Warte«, sagte sie. »Ich habe dir gerade einen Haufen Killefit erzählt. Brüder können zusammen dienen. Es geht um etwas anderes.«

»Killefit«, wiederholte Bovril. Alek stand einfach mit sorgenvollem Gesicht da.

»Aber ich kann dir den wahren Grund nicht sagen«, fügte Deryn hinzu.

»Warum nicht?«

»Weil …« Weil sie eine Bürgerliche war und er ein Prinz. Weil er eine Meile weit laufen würde, wenn er es erfuhr. »Du würdest nicht mehr so viel von mir halten.«

Er starrte Deryn einen Augenblick lang an und legte ihr dann eine Hand auf die Schulter. »Du bist der beste Soldat, den ich je kennengelernt habe, Dylan. Der Junge, der ich immer sein wollte, wenn ich nicht als nutzloser Prinz geboren worden wäre. Ich könnte niemals etwas Schlechtes von dir denken.«

Sie stöhnte, drehte sich um und wünschte, es würde Alarm gegeben, Zeppeline würden angreifen oder ein Gewitter würde über sie hereinbrechen. Damit sie von diesem Gespräch erlöst wäre.

»Pass mal auf«, sagte Alek und zog die Hand zurück. »Selbst wenn es in deiner Familie ein dunkles Geheimnis gibt, wer bin ich, darüber den Stab zu brechen? Mein Großonkel hat sich mit den Männern verschworen, die meine Eltern umgebracht haben, Herr Gott noch mal!«

Deryn wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Alek hatte natürlich alles falsch verstanden. Es ging nicht um ein verstaubtes Familiengeheimnis, es ging allein um sie. Er würde es sicherlich immer falsch verstehen, bis sie ihm die Wahrheit gesagt hätte.

Und das würde sie niemals tun.

»Bitte, Alek. Ich kann nicht. Und … ich habe eine Fechtstunde.«

Alek lächelte, ganz wie der perfekte geduldige Freund. »Du kannst es mir erzählen, wann immer du möchtest, Dylan. Bis dahin werde ich nicht wieder fragen.«

Schweigend nickte sie und ging auf dem Rückweg die ganze Zeit vor ihm.

»Ziemlich spät für mein Frühstück, nicht?«

»Tut mir leid, Euer Grafschaft«, sagte Deryn und knallte das Tablett auf Graf Volgers Schreibtisch. Kaffee spritzte aus der Kanne auf den Toast. »Aber hier ist es ja.«

Der Wildgraf zog eine Augenbraue hoch.

»Und die Zeitung natürlich auch«, sagte sie und zog sie unter dem Arm hervor. »Dr. Barlow hat sie extra für Sie aufgehoben. Ich weiß gar nicht, warum sie sich die Mühe macht.«

Volger schnappte sich die Zeitung, nahm das kaffeegetränkte Stück Toast und schüttelte es. »Sie scheinen heute Morgen ja ziemlich angeregter Stimmung zu sein, Mr. Sharp.«

»Aye, na ja, ich habe schon einiges erledigt.« Deryn runzelte den Mann an. Natürlich war sie verärgert, weil sie Alek angelogen hatte, doch am liebsten hätte sie Graf Volger die Schuld dafür gegeben. »Ich habe wohl keine Zeit für die Fechtstunde.«

»Schade. Sie machen sehr gute Fortschritte«, erwiderte er. »Für ein Mädchen.«

Deryn sah den Mann böse an. Vor den Kabinen der Mechanisten wurden keine Wachen mehr postiert, aber trotzdem hätte jemand im Korridor zufällig mithören können. Sie ging zur Tür, schloss sie und wandte sich wieder dem Wildgrafen zu.

Er war die einzige Person auf dem Luftschiff, die wusste, was sie war, und für gewöhnlich sprach er nicht darüber.

»Was wollen Sie?«, fragte sie leise.

Er sah sie nicht an, sondern beschäftigte sich mit seinem Frühstück, als würden sie nur freundschaftlich plaudern. »Mir ist aufgefallen, dass die Mannschaft gewisse Vorbereitungen trifft.«

»Aye, wir haben heute Morgen eine Nachricht bekommen. Vom Zaren.«

Volger sah auf. »Vom Zaren? Ändern wir den Kurs?«

»Das ist ein Militärgeheimnis, fürchte ich. Außer den Offizieren weiß darüber niemand Bescheid.« Deryn runzelte die Stirn. »Und Miss Eierkopf, schätze ich. Alek hat sie gefragt, doch sie wollte nichts verraten.«

Der Wildgraf verteilte Butter auf seinem halb eingeweichten Toast und dachte nach.

Während des Monats, in dem sich Deryn in Istanbul versteckt hatte, hatten der Wildgraf und Dr. Barlow eine Art Bündnis geschlossen. Dr. Barlow versorgte Volger mit Nachrichten über den Krieg, und Volger verriet ihr seine Meinung über die Politik und die Strategie der Mechanisten. Aber Deryn bezweifelte, ob Miss Eierkopf ihm diese Frage beantworten würde. Zeitungen und Gerüchte waren eine Sache, geheime Befehle eine ganz andere.

»Vielleicht könnten Sie es für mich herausfinden.«

»Nein, könnte ich nicht«, erwiderte Deryn. »Militärgeheimnis.«

Volger schenkte sich Kaffee ein. »Aber manchmal ist es so schwierig, Geheimnisse zu bewahren. Meinen Sie nicht?«

Deryn spürte, wie in ihr eine kalte Benommenheit aufstieg, was jedes Mal geschah, wenn Graf Volger sie bedrohte. Es war einfach undenkbar, dass jemand erfuhr, was sie war. Sie könnte nicht mehr bei den Fliegern bleiben, und Alek würde kein Wort mehr mit ihr reden.

Aber heute Morgen war sie nicht in der Stimmung, sich erpressen zu lassen.

»Ich kann Ihnen nicht helfen, Graf. Nur die ranghöheren Offiziere wissen darüber Bescheid.«

»Ach, sicherlich kann ein so erfinderisches und gerissenes Mädchen es herausfinden. Wenn ein Geheimnis aufgedeckt wird, bleibt das andere gewahrt?«

Jetzt brannte die Angst kalt in Deryns Bauch, und beinahe hätte sie nachgegeben. Aber dann fiel ihr etwas ein, das Alek gesagt hatte.

»Sie dürfen Alek nichts über mich verraten.«

»Und warum nicht?«, fragte Volger und schenkte sich Kaffee nach.

»Er und ich waren gerade im Vogelschlag, und ich hätte es ihm beinahe selbst gesagt. Manchmal passiert das.«

»Gewiss. Aber sie haben es nicht verraten, oder?« Volger schnalzte mit der Zunge. »Weil Sie wissen, wie er reagieren würde. Auch wenn Sie beide sich noch so gern haben, Sie sind eine Bürgerliche.«

»Aye, das weiß ich. Trotzdem bin ich auch ein Soldat, und zwar ein brüllend guter.« Sie trat einen Schritt vor und riss sich zusammen, damit ihre Stimme nicht zitterte. »Ich bin der Soldat, der vielleicht aus Alek geworden wäre, wenn er nicht von einer Horde Schlaustiefel aufgezogen worden wäre. Ich habe das Leben, das er nicht leben konnte, weil er der Sohn eines Erzherzogs ist.«

Volger runzelte die Stirn und verstand noch nicht ganz, doch in Deryns Kopf wurde das Bild klarer.

»Ich bin der Junge, der Alek sein möchte, lieber als alles andere. Und Sie wollen ihm verraten, dass ich in Wirklichkeit ein Mädchen bin? Nachdem er seine Eltern und sein Zuhause verloren hat, wie wird er wohl auf diese Neuigkeit reagieren, Euer Grafschaft?«

Der Mann starrte sie noch einen Moment lang an, dann rührte er seinen Kaffee um. »Es würde ihn vermutlich … verstören.«

»Aye, würde es wohl. Guten Appetit, Graf.«

Deryn erwischte sich dabei, wie sie unwillkürlich grinste, als sie die Kabine verließ.