9. KAPITEL

»Natürlich ist er verrückt«, sagte Alek.

Graf Volger trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch und fixierte Bovril mit den Augen. Dr. Barlow hatte Alek das Tierchen nach dem Ende der Versammlung übergeben, und Alek war sofort zu Volgers Kabine aufgebrochen. Die Nachricht war zu ungewöhnlich, um lange warten zu dürfen. Aber jetzt starrten sich Volger und das Tierchen unentwegt an, ein Wettstreit, an dem sich Bovril offensichtlich mit großem Vergnügen beteiligte.

Alek zog das Wesen von der Schulter und setzte es auf den Boden, ehe er näher an das Kabinenfenster trat. »Mr. Tesla sagt, er habe das alles von Amerika aus mit einer Art Maschine angerichtet. Vor sechs Jahren.«

»1908?«, fragte Volger und wandte den Blick nicht vom Tierchen ab. »Und er hat bis jetzt gewartet, um es der Welt mitzuteilen?«

»Die Russen wollten einem Mechanistenwissenschaftler keinen Zutritt zu ihrem Gebiet gewähren«, sagte Alek. »Nicht, ehe er nicht auf ihre Seite gewechselt war. Daher konnte er die Wirkungen nicht aus erster Hand erforschen. Aber nachdem er jetzt herausgefunden hat, wozu diese Waffe gut ist, wird er mit der Erfindung an die Öffentlichkeit gehen.«

Volger löste sich endlich von Bovril. »Warum sollte er die Waffe an einem Ort ausprobieren, den er gar nicht aufsuchen durfte.«

»Er sagt, es sei ein Unfall gewesen, ein Fehlschuss. Er wollte eigentlich nur ›ein wenig Feuerwerk‹ veranstalten und hat dabei nicht erkannt, wie mächtig Goliath war.« Alek runzelte die Stirn. »Sicherlich glauben Sie kein Wort davon.«

Volger drehte sich um und sah aus dem Fenster. Die Leviathan näherte sich dem Rand der zerstörten Zone, wo nur die jungen Bäume abgeknickt waren. Aber die enorme Wirkung der Explosion war weiterhin erkennbar.

»Haben Sie eine andere Erklärung für das, was sich hier ereignet hat?«

Alek seufzte leise, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. »Natürlich nicht.«

»Goliath«, sagte Bovril leise.

Graf Volger warf dem Tier einen unfreundlichen Blick zu. »Was glauben die Darwinisten?«

»Die stellen Mr. Teslas Behauptung nicht in Frage.« Alek zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls sagt ihm niemand so etwas ins Gesicht. Sie scheinen ganz zufrieden damit zu sein, dass er auf ihre Seite gewechselt ist.«

»Natürlich sind sie das. Auch wenn der Mann den Verstand verloren hat, kann er noch das eine oder andere Kunststück aus dem Zylinder ziehen. Und wenn er die Wahrheit sagt, könnte er den Krieg beenden, indem er ein einziges Mal einen Schalter umlegt.«

Alek sah nach draußen. Die riesenhaften Ausdehnungen des umgeknickten Waldes und die Tatsache, dass Volger nicht laut über Teslas absurde Behauptung lachte, bereiteten ihm Unbehagen. »Ich schätze, das stimmt. Stellen Sie sich Berlin nach einer solchen Explosion vor.«

»Nicht Berlin«, meinte Volger.

»Was meinen Sie damit?«

»Tesla ist Serbe«, erklärte Volger langsam. »Unser Land hat seine Heimat angegriffen, nicht Deutschland.«

Wieder spürte Alek das Gewicht des Krieges auf seinen Schultern lasten. »Meine Familie trägt die Schuld, meinen Sie.«

»Tesla könnte immerhin dieser Auffassung sein. Wenn diese Waffe tatsächlich funktioniert und er sie nochmals einsetzt, wird er damit Wien in Trümmer legen.«

Alek spürte, wie das Entsetzen in ihm aufstieg, so wie das Gefühl der Leere nach der Ermordung seiner Eltern, nur stärker. »Sicherlich würde er diese Waffe niemals gegen eine Stadt einsetzen.«

»Im Krieg gibt es keine Grenzen«, sagte Volger und starrte weiter aus dem Fenster.

Dann erinnerte sich Alek an das tote Flugtier, das Tesla den Kampfbären geopfert hatte, damit er seine Mission durchführen konnte. Dem Mann mangelte er nicht an Entschlossenheit, schien es.

Bovril hockte auf dem Boden und sagte: »Trümmer.«

Volger warf dem Tierchen abermals einen vernichtenden Blick zu und wandte sich wieder an Alek. »Daraus könnte sich eine Möglichkeit ergeben, Ihrem Volk zu dienen, Prinz, und zwar auf eine Weise, wie es nur wenigen Herrschern möglich ist.«

»Natürlich.« Alek richtete sich auf. »Wir müssen ihn überzeugen, dass Österreich nicht sein wahrer Feind ist. Er hat die Berichte über mich in den Zeitungen gelesen. Daher weiß er, dass auch ich den Frieden will.«

»Das wäre sicherlich die beste Lösung«, sagte Volger. »Aber wir müssen seine Absichten erfahren, ehe wir ihn von Bord dieses Schiffes gehen lassen.«

»Ihn gehen lassen? Ich glaube, wir können den Kapitän wohl kaum überzeugen, ihn unter Arrest zu stellen.«

»Ich habe nicht an Arrest gedacht.« Graf Volger beugte sich vor und spreizte die Hand über der Karte von Sibirien auf dem Schreibtisch. »Wie nahe haben Sie ihm bei diesem Treffen gestanden? Wie nahe kann jemand von uns diesem Mann in den nächsten Tagen kommen?«

Alek blinzelte. »Sicherlich wollen Sie nicht andeuten, dass Sie Gewalt in Erwägung ziehen, Graf.«

»Ich deute an, junger Prinz, dass dieser Mann eine Gefahr für Ihr Volk darstellt. Wenn er nun Rache nehmen will für das, was Österreich seiner Heimat angetan hat.«

»Ach, schon wieder Rache«, murmelte Alek.

»Zwei Millionen Ihrer Untertanen leben in Wien. Wollen Sie nicht die Hand erheben, um sie zu retten?«

Alek saß da und wusste nicht, was er sagen sollte. Es stimmte – vor einer halben Stunde hatte er neben dem berühmten Erfinder gestanden, und zwar nahe genug, um ihm ein Messer in den Leib zu rammen. Aber diese Vorstellung war barbarisch.

»Er glaubt, Goliath kann den Krieg beenden«, gelang es Alek hervorzustoßen. »Der Mann will Frieden!«

»Wie wir alle«, sagte Graf Volger. »Aber es gibt viele Wege, einen Krieg zu beenden. Manche sind friedlicher als andere.«

Es klopfte an der Tür.

»Mr. Sharp«, sagte Bovril und gluckste.

»Komm herein, Dylan«, rief Alek. Die Loris hatten hervorragende Ohren und konnten Menschen am Gang oder am Klopfen unterscheiden, sogar an dem einzigartigen Sirren, mit dem sie ihr Schwert zogen.

Die Tür schwang auf, und Dylan trat einen Schritt herein.

Er und Volger wechselten einen kalten Blick.

»Ich hab mir schon gedacht, dich hier zu finden, Alek. Wie war das Treffen?«

»Recht erhellend.« Alek blickte von Dylan zu Volger. »Ich werde dir alles erzählen, aber …«

»Ich muss zuerst ein wenig schlafen«, erwiderte Dylan. »Ich war die ganze Nacht auf den Beinen und noch dazu draußen bei den Bären, während du dein Nickerchen gehalten hast.«

Alek nickte. »Dann kann Bovril bei mir bleiben.«

»Aye, aber du solltest dich auch noch einen Micker hinlegen«, meinte Dylan. »Miss Eierkopf möchte, dass wir heute Nacht ein wenig auf Schleichtour gehen und herausfinden, was Mr. Tesla vorhat.«

»Schleichtour«, sagte Bovril und freute sich sehr über das Wort.

»Eine exzellente Idee«, sagte Alek. »Bis jetzt habe ich keine Ahnung, was er an Bord gebracht hat.«

»Dann sehe ich dich, wenn es dunkel ist.« Dylan verneigte sich knapp vor Volger. »Grafschaft.«

Volger nickte zur Antwort. Nachdem die Tür geschlossen war, ging ein Schauder durch Bovril.

»Haben Sie sich mit Dylan verkracht?«, erkundigte sich Alek.

»Verkracht?« Volger schnaubte. »Wir waren ja noch nicht einmal Freunde.«

»Noch nicht einmal? Sie liegen also tatsächlich im Streit miteinander.« Alek lachte trocken. »Was ist passiert? Hat Dylan während der Fechtstunde freche Widerworte gegeben?«

Der Wildgraf antwortete nicht, sondern erhob sich und schritt im Raum auf und ab. Alek verging das Grinsen, als er sich daran erinnerte, worüber sie gerade gesprochen hatten.

Aber dann fragte der Wildgraf plötzlich: »Wie wichtig ist Ihnen der Junge?«

»Vor einer Minute haben Sie mir einen kaltblütigen Mord vorgeschlagen, Graf. Und jetzt befragen Sie mich zu Dylan?«

»Wollen Sie der Antwort ausweichen?«

»Nein.« Alek zuckte mit den Schultern. »Ich halte Dylan für einen herausragenden Soldaten und für einen guten Freund. Für einen guten Verbündeten, könnte ich hinzufügen. Er hat mir heute geholfen, an dem Treffen teilzunehmen. Ohne ihn würden wir hier immer noch ohne die leiseste Ahnung sitzen.«

»Ein Verbündeter.« Volger setzte sich wieder und richtete den Blick auf die Karte. »Sehr richtig. Hat Tesla gesagt, er könnte seine Waffe auf jeden Punkt der Erde abfeuern?«

»Es fällt mir heute schwer, Ihren Gedankensprüngen zu folgen, Volger. Aber ja, er sagte, er könne jetzt damit zielen.«

»Wie kann er sich dessen sicher sein, nachdem es beim ersten Mal nur ein Versehen war?«

Alek seufzte und dachte an das Treffen zurück. Tesla hatte sich lang und breit über diese Sache ausgelassen. Obwohl er behauptete, seine Geheimnisse nicht preisgeben zu wollen, hatte der Erfinder einen Hang dazu, ausführliche Abhandlungen zu halten.

»Er hat sechs Jahre an dem Problem gearbeitet, seit er versehentlich geschossen hat. Aus den Zeitungen hatte er erfahren, dass in Sibirien etwas passiert ist, etwas Außergewöhnliches. Jetzt, nachdem er das exakte Zentrum der Explosion vermessen hat, kann er seine Waffe entsprechend ausrichten.«

Volger nickte. »Die Apparatur, die Sie und Klopp zusammengebaut haben, sollte also das Zentrum der Explosion aufspüren?«

»Nun … das ergibt keinen Sinn. Klopp sagt, es sei ein Metalldetektor.«

»Nun, wo eine Bombe explodiert, bleiben Rückstände von Metall, oder?«

»Aber es ist nicht so eine Waffe.« Alek versuchte sich zu erinnern, wie der große Erfinder sie beschrieben hatte. »Goliath ist eine Art Tesla-Kanone, eine, die mit dem Magnetfeld der Erde verschmilzt. Sie schießt die Energie des Planeten durch die Atmosphäre rund um die Welt. Wie die Nordlichter, hat er gesagt, nur eine Million Mal stärker. So wie er es beschrieben hat, muss hier sogar die Luft gebrannt haben!«

»Ich verstehe.« Volger seufzte leise. »Oder eigentlich verstehe ich gar nichts. Vielleicht ist es nur ein Fall von Wahnsinn.«

»Gewiss«, meinte Alek und spürte, wie er ruhiger wurde. Der Gedanke, Tesla zu ermorden, um ein solches vorgestelltes Ereignis zu verhindern, war einfach zu absurd. »Ich werde Klopp fragen, was er davon hält. Und Dr. Barlow wird ohne Zweifel ebenfalls eine Meinung dazu haben.«

»Ohne Zweifel«, sagte Bovril nachdenklich.

Graf Volger deutete mit der Hand auf das Tierchen. »Ist das alles, was diese Abscheulichkeit macht? Nach dem Zufallsprinzip Wörter wiederholen?«

»Zufallsprinzip«, wiederholte Bovril und gluckste leise.

Alek bückte sich und kraulte dem Tier das Fell. »Das habe ich zunächst auch gedacht. Aber Dr. Barlow behauptet, das Tierchen sei« – er benutzte das englische Wort – »perspikuitiv. Und tatsächlich macht es dann und wann einen guten Vorschlag.«

»Selbst eine Uhr, die stehen geblieben ist, zeigt zweimal am Tag die richtige Zeit«, murmelte Volger. »Sicherlich waren diese Wesen nur ein Vorwand, um in Istanbul herumzuschnüffeln. Die Darwinisten hatten von vornherein den Plan, den Behemoth in den Bosporus zu bringen.«

Alek nahm das Tierchen wieder auf die Schultern. In Istanbul hatte er ganz ähnlich gedacht. Doch heute Morgen im Frachtraum hatte das Tier sich Dr. Barlows Halskette geliehen und ihnen gezeigt, wie die geheimnisvolle Apparatur funktionierte.

Damit war es auf gar keinen Fall dem Zufallsprinzip gefolgt.

Allerdings erwähnte Alek dies nicht. Es hatte keinen Zweck, den Wildgrafen wegen des Tierchens noch nervöser zu machen.

»Vielleicht habe ich Goliath nicht verstanden«, sagte er einfach. »Aber die Schöpfungen der Darwinisten verstehe ich noch weniger.«

»Am besten belassen Sie es dabei«, meinte Volger. »Sie sind der Erbe des österreichischen Throns, nicht irgendein Zoowärter. Ich rede mit Klopp über die Angelegenheit. In der Zwischenzeit befolgen Sie Dylans Rat und schlafen ein wenig.«

Alek zog eine Augenbraue hoch. »Sie wollen doch nicht, dass ich auf Schleichtour gehe wie ein Bürgerlicher?«

»Wenn Tesla die Wahrheit sagt, droht Ihrem Land eine große Gefahr. Es ist Ihre Pflicht, so viel wie möglich darüber in Erfahrung zu bringen.« Graf Volger starrte ihn einen Moment an, und sein Gesicht drückte eine gewisse Niedergeschlagenheit aus. »Außerdem, Hoheit, kann eine Schleichtour im Dunkeln höchst erhellend sein.«

Auf dem Weg zu seiner Kabine spürte Alek erneut, dass er die ganze Nacht nicht geschlafen hatte. Der Perspikuitive Loris fühlte sich schwer auf seiner Schulter an, und in seinem Kopf polterten zu viele Gedanken durcheinander – Bilder von dem zerstörten Wald unter dem Schiff; der Wahnsinnige, der das Österreichisch-Ungarische Reich zerstören konnte, und die entsetzliche Möglichkeit, dass Alek dies vielleicht mit einem Messer verhindern musste.

Aber als er auf sein Bett sank, entdeckte er dort Volgers Zeitung und schlug die Geschichte über Dylan auf.

Volger hatte sich heute eigenartig benommen, als seine Fragen zwischen Teslas Waffe und Dylan hin und her gesprungen waren. Sie müssen sich gestritten haben, doch worüber?

Alek nahm die Zeitung und starrte auf die Fotografie, auf der sich Dylan am Rüssel des Unerschrockenen nach unten schwang. Natürlich hatte der Wildgraf diese Geschichte ebenfalls gesehen. Er hatte jede Zeitung, die Barlow ihm zukommen ließ, von Anfang bis Ende durchgelesen.

»Wissen Sie etwas, dass Sie nicht wissen sollten, Volger?«, fragte Alek leise. »Streiten Sie sich deswegen immer mit Dylan?«

»Streiten«, wiederholte Bovril nachdenklich. Dann krabbelte er von Aleks Schulter aufs Bett.

Alek starrte das Tierchen an und rief sich in Erinnerung, was im Laderaum passiert war. Das Tier hatte die ganze Nacht auf Klopps Schulter gesessen, gelauscht und mit Wörtern wie »Magnetismus« und »elektrisch« gespielt. Und dann hatte er Dr. Barlow die Halskette abgenommen und den Zweck der eigenartigen Apparatur demonstriert.

So funktionierte die Perspikuität des Tierchens. Es hörte zu und schlang anschließend alle Einzelfäden zu einem festen Knoten zusammen.

Alek blätterte in der Zeitung zur ersten Seite zurück und begann laut zu lesen.

… Gewiss fließt Tapferkeit in seinen Adern, denn er ist der Neffe eines kühnen Fliegers, eines gewissen Artemis Sharp, der vor einigen Jahren bei einer Brandkatastrophe auf einem Ballon ums Leben kam. Der ältere Sharp wurde posthum mit dem Fliegerkreuz für Tapferkeit ausgezeichnet, denn mit seinem Tod hat er seine Tochter Deryn vor den gierigen Flammen gerettet.

Alek lehnte sich zurück. Er blinzelte verschlafen und starrte auf die Worte. Seine Tochter Deryn?

»Reporter.« Alek holte tief Luft. Es war erstaunlich, wie sie die einfachsten Tatsachen durcheinanderbringen konnten. Er hatte es Malone mehrmals erklärt, dass Ferdinand der Mittelname seines Vaters war. Und trotzdem hatte der Mann Alek immer wieder als »Aleksandar Ferdinand« bezeichnet, als wäre Ferdinand ein Familienname!

»Seine Tochter Deryn«, wiederholte Bovril.

Aber wozu sollte er einen Jungen in ein Mädchen verwandeln? Und woher hatte er diesen ungewöhnlichen Namen Deryn? Vielleicht hatte sich Malone von jemandem aus Dylans Familie in die Irre führen lassen, der die Tatsache verbergen wollte, dass zwei Brüder gemeinsam beim Air Service dienten. Dylan hatte das jedoch als Lüge bezeichnet, oder?

Also musste diese Deryn mit dem wahren Familiengeheimnis zu tun haben, über das Dylan nicht reden wollte.

Einen Augenblick wurde Alek schwindelig, und er fragte sich, ob er die Zeitung nicht weglegen und die Sache auf sich beruhen lassen sollte, einfach nur aus Respekt vor Dylans Wünschen. Außerdem brauchte er Schlaf.

Stattdessen las er weiter.

Damals schrieb der Daily Telegraph in London über das tragische Unglück: »Und als es oben zur Explosion kam, warf der Vater seine Tochter aus der kleinen Gondel. Damit rettete er ihr das Leben und besiegelte sein eigenes Schicksal.« Gewiss dürfen sich unsere Brüder auf der anderen Seite des Atlantiks glücklich schätzen, in diesem schrecklichen Krieg so tapfere Männer wie die Sharps zu ihren Fliegern zu zählen.

»Besiegelte sein eigenes Schicksal«, sagte Bovril ernst.

Alek nickte langsam. Der Fehler war also schon vor zwei Jahren in einer britischen Zeitung passiert und von Malone einfach nur abgeschrieben worden. Das musste es sein. Aber warum kam es beim Telegraph zu einem derartig seltsamen Irrtum?

In diesem Augenblick durchfuhr es Alek kalt. Wenn es nun tatsächlich eine Deryn gab, und Dylan in dieser Hinsicht gelogen hatte? Wenn der Junge den Unfall lediglich beobachtet und sich hinterher an Stelle seiner Schwester in die Geschichte gemogelt hatte?

Alek schüttelte den Kopf über diesen absurden Gedanken. Niemand würde die Geschichte über den Tod des eigenen Vaters auf eine solche Weise verdrehen. Es musste sich schlicht um einen Irrtum handeln.

Denn warum sollte Dylan sonst beim Air Service wegen seines Vaters lügen?

Ihn beschlich ein eigenartiges Gefühl, fast eine Art Panik. Das musste von der Erschöpfung herrühren und durch den komischen Fehler des Reporters verstärkt worden sein. Wie sollte man alles glauben, was man las, wenn Zeitungen die Wirklichkeit so vollkommen falsch darstellten? Manchmal erschien es ihm, als wäre die ganze Welt auf Lügen aufgebaut.

Er legte sich hin, zwang sich, die Augen zu schließen und bemühte sich, sein Herzklopfen zu beruhigen. Die Einzelheiten der vor Jahren geschehenen Tragödie spielten keine Rolle mehr. Dylan hatte zugesehen, wie sein Vater sterben musste, und er litt immer noch darunter, das war eindeutig für Alek. Vielleicht wusste der Junge nicht mehr genau, was an jenem schrecklichen Tag eigentlich passiert war.

Alek lag lange Minuten da, doch der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Schließlich schlug er die Augen auf und sah Bovril an. »Nun, jetzt kennst du alle Fakten.«

Das Geschöpf starrte ihn einfach nur an.

Alek wartete einen Moment lang und seufzte. »Du willst mir bei diesem Geheimnis nicht helfen, ja? Natürlich nicht.«

Er streifte sich mit den Füßen die Stiefel ab und schloss die Augen wieder. Sein Kopf dröhnte jedoch weiter. Alek wollte unbedingt ein wenig schlafen, ehe sie heute Nacht auf Schleichtour gingen. Aber er spürte, wie sich die Schlaflosigkeit bei ihm im Bett einnistete wie ein unerwünschter Besucher.

Schließlich krabbelte Bovril zu seinem Kopf hoch und suchte nach Wärme, weil durch die Fensterscheiben des Schiffes die Kälte eindrang.

»Mr. Deryn Sharp«, flüsterte ihm das Geschöpf ins Ohr.

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