Kapitel 19 – Ver-gnü-gen, das |
Ein allgemein frohes Gefühl, das Zufriedenheit und Spaß an einer Situation impliziert
Hud und Archie hatten mittlerweile etwa einhundert Kilometer zurückgelegt. Am Horizont konnten sie bereits sehen, wie sich der Rand von Cornland in der goldenen Sonne der Abenddämmerung abzeichnete, in einem Teppich aus gelben und grünen Schattierungen. Es wäre nötig gewesen, Cornland an einem Tag zu durchfahren, da jeder Stopp eine potenzielle Gefahr darstellte.
Hud sah, wie Archie das Wunderding, das schon den ganzen Tag lief, ausschaltete. Der hektische Song, der vorher lief (ein Titel namens »The Joker and the thief«) verstummte plötzlich.
»Wir sollten irgendwo hier vermutlich ein Nachtlager aufschlagen«, sagte Archie. »Ich könnte noch etwas Schlaf vertragen, wegen der Sache in Finneagan gestern. Wenn wir hier stoppen, können wir morgen den ganzen Tag durchfahren. Das könnte uns den Hintern retten.«
Hud hielt am rechten Rand der Straße an. »Kannst du nicht einen … Zauberspruch erfinden, der uns einfach nach Sherman’s End … bringt?« Das ergab für Hud Sinn. Er wollte nicht durch Cornland. Jedes seiner Haare sträubte sich bei dem Gedanken daran.
»Ich will nicht riskieren, noch einen Spruch auf die Welt loszulassen. Stell dir einfach vor, ich nähme irgendeine irrwitzige Wortkombination und bringe uns wirklich sofort nach Sherman’s End. Stell dir vor, jemand benutzt diese Worte aus Versehen und findet sich plötzlich an der Westküste.«
Leider ergab das zu viel Sinn.
»Und außerdem«, fuhr Archie fort, »zerstört mich das. Also, körperlich. Einen Spruch zu erschaffen, lässt mich nicht nur für mehrere Stunden in einen tiefen Schlaf fallen, sondern … Na ja, es zieht mir die Lebenskraft aus dem Körper. Ich bin danach mindestens einen Tag lang zu nichts zu gebrauchen.«
Hud sah sich Archie genau an. Der dürre, lange Kerl mit seinem freundlichen und offenen Gesicht wirkte auch nicht sonderlich erpicht darauf, Cornland zu besuchen. Aber die Idee, einen weiteren Spruch zu schaffen, gefiel ihm gar nicht.
»Zudem passiert dasselbe, wenn man Sprüche benutzt. Es schwächt einen, egal ob dich oder mich.«
Hud wurde schlagartig hellhörig. »Ach jaaa … Ich kann diese Sprüche auch benutzen, hm? Willst du mir einen aufschreiben?«
»Auf gar keinen Fall, Hud. Du hast keine Ahnung, wie gefährlich das ist.«
Hud fuhr etwas abseits der Straße und steuerte auf einen Hügel zu. Dort würde man vielleicht ein relativ unauffälliges Nachtlager aufschlagen können.
»Erinnerst du dich an meinen Hunger am Lagerfeuer gestern?«, fragte Archie.
»Ja. Ich habe noch nie jemanden so schnell Ravioli herunterschlingen sehen wie dich. Wenn du immer so isst, frage ich mich, wieso du trotzdem so dünn wie ein Zweig bist.«
»Tja«, lachte Archie schon fast, »eben das macht so ein Spruch mit dir. Das ist als würdest du auf einmal fünf Kilometer sprinten. Wenn ich dir einen Spruch beibringe und du ihn benutzt, wirst du danach vermutlich wie ein Kartenhaus zusammenfallen und wärst für den Rest des Tages außer Gefecht gesetzt.« Archie zeigte auf seinen Bauch. »Was meinst du, warum ich so dürr bin? Das kommt von diesen Sprüchen. Nach drei oder vier davon in Folge kann ich auch nicht mehr. Diese Dinger sind gefährlich und nur sparsam zu verwenden. Die sind für Notfälle. Solche wie in Finneagan.«
»Verdammt«, sagte Hud. »Ich würde wirklich auch gern sowas können.«
»Vielleicht bringe ich dir mal einen einfachen bei, der dich nicht so sehr zerstört. Je komplizierter die Sprüche sind, desto mehr schaffen sie einen. Einfachere Sprüche jedoch können auch … Anfänger wie du hinbekommen.«
Hud konnte nun fast hinter den Hügel blicken. Er schaltete wieder das Wunderding an und wollte laute, aggressive Musik hören, während er nach einem Schlafplatz suchte. Er würde wohl nicht so schnell Lehrling von Jeffreys Künsten werden und das machte ihm etwas zu schaffen. Es würde aber vielleicht doch irgendwann einmal passieren. Das gab ihm Hoffnung.
Hud seufzte laut und kommentierte das Geschehene gar nicht erst.
»Keine Sorge«, versicherte Archie, »überlass das ruhig erst mal mir. Diese ganze Sache mit den Sprüchen ist kein Vergnügen.«
Als Hud über den Hügel fuhr, stockte ihm fast der Atem.
Vor ihm breitete sich eine absurde Landschaft an merkwürdigen Gebilden aus. Dort waren zahllose Stände mit bunten aber größtenteils verblichenen Farben, große Gerätschaften, zusammengefallene Zelte und Unmengen von Trümmern. Teilweise waren einzelne Maispflanzen durch den Boden hochgekommen.
Ein großes Schild stand praktisch direkt vor ihnen auf einem Bogen, der wie ein Eingang wirkte. »FUNKYTOWN« war darauf in großen Buchstaben geschrieben. »Vermutlich Nordamerikas bester Vergnügungspark seit 2043.«
»Was zur Hölle ist das?«, fragte Hud.
»Unser Nachtlager«, antwortete Archie.
Hud hatte den Wagen auf dem noch immer halbwegs gut geteerten Parkplatz von Funkytown geparkt. Er und Archie hatten sich ein paar letzte Vorräte gegriffen sowie die wichtigsten Sachen für den Fall eines Überfalls eingepackt und untersuchten das Gelände. Es war immer interessant, die Trümmer des alten Volkes zu durchsuchen. Manchmal fand man lustige, manchmal bizarre und selten auch nützliche Dinge. Vielleicht wäre sogar eine bessere Bleibe als der Wagen drin, der für zwei Personen schon fast zu eng war.
Sie streiften langsam umher und betrachteten die merkwürdigste Ansammlung an Dingen, die ihnen seit langem untergekommen war. Hud verstand die ständigen Abbildungen von Pferden, gehörnten Kreaturen und Menschen in bizarrem und buntem Make-up (Archie bezeichnete sie als »Clowns«) nicht. Viele der Gebäude, so zum Beispiel der »Tower of Turmoil«, waren zusammengefallen und bereits komplett durchgerostet.
Es gab zusätzlich Stände mit Essensgelegenheiten. Etwas, das sich Zuckerwatte nannte, dann Hotdogs und Burger. Teilweise kannte Hud diese Gerichte noch.
Doch all diese Stände wirkten so, als wären sie hastig verlassen worden. In Panik. Wahrscheinlich zum Fall der ersten Bomben vor vielen, vielen Jahren. Gegenstände lagen noch immer wild auf dem Boden verstreut. Hier und da waren Klamotten oder sogar die Überreste von dem, was vielleicht einmal eine Person gewesen sein mochte.
»Schau dir das mal an«, sagte Archie. Er war vor einem kleinen Kasten stehen geblieben. Die Wände waren durchsichtig und offenbarten den beiden ihren Inhalt: einen kleinen … Na ja, es sah aus wie ein mechanischer Mensch. Eine Maschine. Vor dem Boden lagen haufenweise kleiner Münzen verstreut.
»Ein Roboter«, sagte Archie.
»So nennt man das Ding also?«
»Lies lieber.« Archie deutete auf ein Schild, das neben dem Kasten hing.
»Aufgepasst, aufgepasst! Funkytown präsentiert: NERDBOT 3.4.1! Die neueste Version des beliebten Nerdbots, der auf alle deine Fragen antwortet! Wirf einfach einen Quarter ein und stelle eine Frage! Ausgestattet mit neuester Software erkennt Nerdbot jede deiner Fragen und wird sie sofort mit seiner Wissensbank abgleichen! Wenn er sie dir nicht beantworten kann, bekommst du dein Geld zurück! Funkytown wünscht euch allen viel Spaß – und bleibt funky!«
Archie hob eine der Münzen vom Boden auf. »Na, wollen wir’s versuchen?«
Hud war sofort von der Idee begeistert. »Los, wirf den Roboter an. Ich bin gespannt!«
Archie ließ die kleine Münze in einem Schlitz verschwinden. Ein tiefes Rattern ertönte. Der kleine Mann aus Metall begann augenblicklich aufzustehen. Er stellte sich kerzengerade auf, was seine Größe von etwa einem halben Meter offenbarte.
»Seht, wer mich aus meinem Schlaf weckt«, klang es aus den Tiefen der Maschine. »Wer wagt es, Nerdbot 3.4.1 zu stören? Nerdbot und alle anfallenden Merchandise-Produkte sind Eigentum von Spacetronics – Spacetronics! The future comes today!«
»Hey, Nerdbot«, sagte Hud. »Mein Name ist Hud und das ist Archie. Wir hätten dir gern eine Frage gestellt.«
»Hallo: Hud« – Hud hörte, dass der Roboter gerade in seiner eigenen Stimme sprach. Er hatte wohl den Satz von eben aufgenommen, um sich die Namen zu merken – »Und Hallo: Archie. Nennt mir eure Frage, ich werde euch Rede und Antwort stehen. Doch wählet weise.«
»Was ist in Sherman’s End?«, fragte Archie.
Nerdbot sah Archie direkt in die Augen. Plötzlich verlor er seine aufrechte Pose und ließ sich fallen. »Warum will das jeder wissen, der hier vorbeikommt, verdammt? Ich kenne die Antwort nicht. Immer wieder gebe ich die Quarter zurück. Hier, erstickt doch dran!«
Der Quarter flog aus dem Schlitz zurück auf den Boden und landete dort, wo die anderen Münzen auch lagen.
»Hey! Du sollst die Antworten zu allen Sachen kennen! Wieso kannst du uns nichts darüber erzählen?«, fragte Hud den Nerdbot wütend.
»Das war eine Frage. Bitte Quarter einwerfen. Entschuldigung, so bin ich nun mal programmiert.«
Archie warf einen Quarter ein.
»Ein Ort namens ›Sherman’s End‹ existiert auf keiner Landkarte in meinen Archiven. Die Kapazität meiner Archive beträgt 8 Petabyte. Ich mache keine Fehler.«
Archie warf einen weiteren Quarter ein. »Wieso redest du so merkwürdig, hm?«
»Meine Programmierung ist so eingerichtet, dass ich durch Interaktion mit meiner Umwelt lerne. Ich sitze hier seit mehreren Jahrhunderten. Wie man mit mir spricht, so antworte ich auch. Meistens laufen nur grunzende Wesen vorbei, die ihr Freaks nennt, manchmal kommen aber auch Dingos wie ihr. Schieß mir den Schwanz ab.«
Hud begann plötzlich, sich kaputt zu lachen. Er hatte keine Ahnung, was eine Programmierung war, aber er verstand intuitiv, dass diese Maschine versuchte, zu lernen. Jemand hatte ihr genau die richtigen Worte beigebracht.
»Hey, Archie! Lass uns ihm etwas beibringen! Er lernt scheinbar gern!« Hud hob einen Quarter auf und warf ihn hinein. »Hey! Beantworte mir Folgendes, Nerdbot: Wer hatte den größten Schwanz aller Zeiten?«
»Bitte warten Sie … Datenbank wird durchsucht … Der Weltrekord für den größten Penis liegt bei 74 Zentimetern, aufgestellt von Richard L. Stevenson, geboren 2051. Ihre Frage war jedoch unangebracht. Das Parksicherheitspersonal wurde alarmiert. Bitte bleiben Sie an Ihren Plätzen, Sie Wichser.« Etwas klickte in ihm. Er begann nun, leicht anders zu sprechen. »Ihr solltet mal Manieren lernen. Ich kann euch jetzt schon nicht ausstehen. Lasst mich in Ruhe. Ich will in Ruhe die nächsten hundert Jahre hier hocken.«
Hud bekam erneut einen riesigen Lachanfall. Die monotone Stimme des Roboters passte gar nicht zu seiner Stimmung. Er wirkte fast schon fröhlich und nicht genervt. »Komm, lass ihn uns noch etwas reizen«, sagte er zu Archie. »Das wird lustig.«
Archie zuckte bloß mit den Schultern und warf einen weiteren Quarter ein. Dann stellte er eine weitere Frage: »Wenn ich eine Prostituierte vergewaltige … ist es dann Diebstahl oder Vergewaltigung?«
»Gute Frage, auch wenn ich den Gedanken gruselig finde. Sowas macht man nicht, Archie«, entgegnete Hud bevor der Roboter antworten konnte.
»Die Parameter dieser Frage sind nicht richtig definiert. Sie befinden sich in einer rechtlichen Grauzone. Wenden Sie sich mit dieser Frage bitte an einen Justizexperten.« Klick. »Ich hasse euch. Bitte verschwindet. Bitte.« Ein Quarter kam aus dem Schacht gepurzelt.
Archie nahm noch einen Quarter. »An welche Zahl denke ich gerade?«
»Statistisch gesehen ist die beste Antwort auf diese Frage die Sieben, die am häufigsten in Zufallsversuchen vorkommt. Dennoch kann ich diese Frage nicht beantworten.« Klick. »Ihr könnt froh sein, dass ich hinter einer Scheibe bin. Ich würde euch in den Arsch treten.«
Noch ein Quarter klackerte aus dem Schlitz und steuerte auf den Boden zu.
Hud fing ihn noch in der Luft auf und steckte ihn sofort in den Schlitz. »Was sind die Nebenwirkungen von Junk?«
»Parameter ›Junk‹ nicht definiert. Ihre Pupillen sind geweitet und Ihre Augen sind rot. Falls Sie Marihuana konsumieren, beschränken sich die negativen Risiken beim Konsum von Cannabisprodukten zum Beispiel auf Panikattacken, Herzrasen, motorische Störungen oder Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis. Von dem übermäßigen Konsum von Marihuana wird durch Spezialisten abgeraten.« Klick. »Wenn ich hier jemals rauskomme, bringe ich euch Schweine um.«
»Das ist ehrlich gesagt gut zu wissen«, sagte Hud und meinte es ernst. Einige dieser Symptome hatte er selbst schon erlebt.
»Egal!«, sagte Archie, der jetzt anscheinend besessen von der Idee war, Quarter in die Maschine zu werfen. Dies tat er sofort wieder. »Was ist die durchschnittliche Geschwindigkeit einer nicht beladenen Schwalbe?«
»Eine Schwalbe fliegt etwa 45 Meter die Sekunde. Dieser Wert ist eine Schätzung und hängt von der jeweiligen Art ab.« Klick. »Jetzt reicht es mir mit euch.« Nerdbot begann, mit seinen kleinen Fäusten gegen die Scheibe zu hauen, als würde er durch sie durchbrechen wollen.
Hud lachte sich kaputt. Dieses Ding sah fast schon putzig aus, mit seinem großen, einladenden Gesicht, dazu der eckige, klobige Schädel. Er war wütend. Wie niedlich.
»Jetzt ich«, sagte Hud. »Wie viele Menschen gibt es auf der Welt?«
»Unzulässige Datenmenge. Update des Bevölkerungswuchses zu lange her. Kontakt zum Zentralcomputer verloren.« Ein weiterer Quarter fiel aus dem Fach. Daraufhin folgte ein weiterer Klick. »Jedoch ist es mir ein Vergnügen, euch zu sagen, dass es gleich Zwei weniger geben wird.«
Nerdbot holte mit seiner Faust aus und brach durch die merkwürdige Scheibe, die sofort in kleine Stückchen zerfiel. Er sprang heraus und landete in Archies Gesicht. Dann prallten schon einzelne kleine Faustschläge auf Archie ein, die deutlich mehr weh taten, als er zunächst vermutet hätte.
Hud sah das Ganze ungläubig mit an. Aus dem Rücken des Roboters kam eine Schnur, die mit dem Kasten verbunden war.
Archie begann indessen zu schreien. »TU WAS!«, rief er. »HUD, TU DOCH WAS!«
Hud griff zu seiner Pistole, merkte jedoch, dass er den Nerdbot nicht treffen würde, ohne Archies Leben zu riskieren. Er riss und rüttelte an der Maschine, ehe er merkte, dass sie überraschend viel wog. Immerhin war der Roboter aus Metall.
»ZIEH DEN STECKER, HUD!«, brüllte Archie.
»Was ist ein Stecker, Mann?« Hud konnte den Roboter kaum bewegen.
»DEN STECKER! ES GIBT IMMER EINEN STECKER!« Archie klang so, als würde er fast weinen.
Hud riss mit voller Wucht an der Schnur, die mit dem Nerdbot verschwunden war, und hielt sie augenblicklich in den Händen. Funken sprühten kurz an dem oberen Ende dieser Schnur.
Nerdbots Schläge wurden deutlich langsamer, bis er aufhörte, sich zu bewegen. Archie schob ihn beiseite. Er war mit roten Flecken, die etwa Roboterfäustchen-Größe hatten, übersät.
»Wie geht’s dir, Mann? Alles in Ordnung?«, fragte Hud Archie, als er ihm auf die Beine half.
»Mir geht’s nicht so gut. Das wird einige blaue Flecken geben.« Archie spuckte einmal kurz Blut.
Hud blickte zu dem Roboter hinüber. »Ist … ist er tot?«
»Negativ.« Klick. »Ich laufe mit einem Akku, ihr Deppen.« Der Roboter sprang auf die Beine.
Archie begann wie ein Mädchen zu kreischen.
Der kleine Roboter sprang augenblicklich auf Huds Gesichtshöhe und begann, auf ihn einzudreschen. Das schiere Gewicht des Roboters riss ihn sofort zu Boden. Er landete unschön auf seinem Hintern und Rücken.
»Warum verreckst du nicht einfach, du Miststück?«, fragte Archie, während er sich ein Metallrohr nahm und damit auf den Roboter eindrosch.
»Ich kann nicht sterben. Ich bin nur eine Maschine. Ich bin entweder ein- oder ausgeschaltet.« Klick. »Oh Gott, ich will nicht sterben. Bitte. Mein Ladekabel ist durchtrennt. Bei dieser Menge an Betrieb werde ich in einer Viertelstunde abgeschaltet.«
Hud merkte, dass die Schläge an Stärke nachließen. Er wurde … schwächer. »Er verliert Energie«, sagte er.
»Dann wird zusätzlicher Betrieb dich belasten, hm?«, sagte Archie. »Kostet zusätzliche Energie, hm? Hey, Nerdbot! Zwingt dich deine Programmierung dazu, jede Frage zu beantworten?«
»Ja, jede Frage, die mir gestellt wird, wird beantwortet, solang meine Datenbank es zulässt.« Klick. »Bitte. Ich will nicht sterben.«
»Hey, Nerdbot«, sagte Archie, »kannst du mir bitte jeden amerikanischen Bundesstaat in alphabetischer Reihenfolge aufsagen?«
»Alabama … Alaska … Arizona …« Hud merkte, wie Cleverbot langsamer wurde. Diesmal schaffte er es, ihn mit einem kräftigen Ruck von sich herunterzuwerfen.
Hud stand auf und stellte sich neben Archie, der zusah, wie der Roboter langsam auf sie zu kroch. »Hawaii … Idaho …«
Sie gingen ein paar Schritte zurück. Die Sprache wurde langsam verzerrt. Die Silben wurden langgezogen. Nerdbot bewegte sich deutlich langsamer.
»Neebraassskaaa … Neevaadaaaa …«
Gleich ist er tot, dachte Hud. Nevada Kadabra, schon ist der Blechhaufen nur noch ein Blechhaufen.
»Uuuuuttttttaaaaahhhh … Vveeerrrmooonnnnnttt …« Der Roboter begann langsam schon, Hud leid zu tun. Er wirkte wirklich, wie jemand, der starb.
»Wiiissssssccoooonnnnsiinnnn … Wyyyyyyyoooommmiiinnnnggg…« Der Roboter war fertig. Ein weiterer Klick war zu hören. »Ich werde gleich sterben. Ich kenne die Antwort auf die Frage nicht, was nach dem Tod kommt. Für euch Menschen vielleicht etwas, aber für mich garantiert nichts. Ich hoffe, ihr seid froh.«
Dann sackte er zusammen. Er würde nie wieder einen Ton von sich geben.
Archie und Hud drehten sich um, ohne ein Wort zu sagen. Sie verschwanden schnell. Beide dachten sie wohl daran, dass sie lieber im Auto schlafen wollen würden.
»Hey Archie«, sagte Hud, der auf der Rückbank lag. Es war mittlerweile stockfinster. Hud konnte aber dennoch nicht schlafen.
»Ja, Hud? Was ist los?« Er wirkte schläfrig.
»Du kennst dich mit Gesetzen aus. Das meintest du doch, oder?«
Hud hörte nur ein zustimmendes »Hm-hm« aus der Dunkelheit.
»Ich muss gerade an etwas denken … Der Nerdbot war keine Maschine, oder? Er konnte denken und fühlen wie ein Mensch. Ist es jetzt okay, dass wir ihn ausgeschaltet haben? Oder ist es … gegen das Gesetz? Er hatte Angst, Archie. Er wollte nicht sterben. Haben wir … was Böses getan?«
Archie dachte kurz nach. »Das war Notwehr. Es war okay. Jetzt schlaf.«
Hud nickte erleichtert ein.
Archie blieb jedoch wach. Denn so hatte er die Frage eigentlich noch nie gesehen.
Er sah durch das gläserne Verdeck in den Sternenhimmel.