Kapitel 5 – Deal, der |

1 Abmachung, Pakt

2 ugs.: Drogenhandel

 

 

Dewey schlug Hud mit dem Griff der Pistole, die er gezückt hatte, mit nicht zu unterschätzender Kraft ins Gesicht. »Nicht abdriften, Dingo«, sagte er, während er näher an Huds Gesicht rückte, »du wolltest mir gerade sagen, wo du das her hast.«

Hud sagte einfach gar nichts. Das war wohl besser unter diesen Umständen.

Dewey warf einen kleinen Blick in die Fahrerkabine und sah Huds Hand darin. Er war so sehr in sich gekehrt, dass sich die Hand noch immer in der Nähe des Schalters befand, nachdem er ihn betätigt hatte. Das Auto würde in ein paar Minuten in die Luft fliegen. Er musste hier weg.

»Dingo, was macht deine Hand da am Lenkrad?«

Hud bemühte sich absichtlich, schlecht zu schauspielern. Das war sein Ticket in die Freiheit.

»N-nichts …« Er zitterte absichtlich. Hätte er von selbst seinen Schweißfluss steuern können, wäre dieser jetzt auf volle Stärke gestellt.

Dewey zeigte auf einen seiner Schergen. »Such nach Waffen im Fahrerbereich. Wir können hier sicherlich noch was abgreifen. Und du …« Er packte Hud am Hals. »Du kommst jetzt erst mal mit mir.« Er riss Hud mit vorgehaltener Waffe mit sich, entfernte sich einige Meter vom Auto und stieß ihn zu Boden. »Du hast noch die Dreistigkeit, mich verarschen zu wollen, Dingo?«

»Was bedeutet Dreistigkeit?«, fragte Hud scheinheilig. Er musste Zeit gewinnen.

»Komm mir nicht so. Sag mir lieber, was du noch Brauchbares in diesem rollenden Schrotthaufen hast.«

Hud schaute hinüber. In dem Wagen wühlten drei der vier Kerle herum – zwei luden Dinge aus dem Kofferraum aus, einer kroch unter die Sitze und das Armaturenbrett, um nach Waffen zu suchen, die er vermutlich auch finden würde. Etwas zum Zeitvertreib. Du musst lügen, Hud. Nutze die Lügen, sagte er sich. Nutze die Lügen.

»Ich hab ’nen Goldbarren in dem Wagen. In eine der Kopflehnen eingenäht.«

»Jetzt versuch dir nicht, unnötig Zeit zu verschaffen. Du weißt, wie absurd das klingt, Kumpel.« Hud verstand lediglich nicht, was das Wort »absurd« bedeutete.

Plötzlich drang ein Geräusch aus der Ferne. Ein ungutes Geräusch. Es klang wie ein röchelnder Schrei, nicht sonderlich laut, aber deutlich hörbar. Es klang wie jemand, der Blut hochwürgte. Und Hud kannte das Geräusch nur zu gut.

Dewey begann, seine Taschenlampe hin und her zu schwenken und mit der Waffe um sich zu zielen. Er wusste scheinbar auch, was dieses Geräusch bedeutete.

Absolut nichts Gutes.

Hektor, der Größte der Truppe, streckte seinen dicken Hals aus dem Wagen. »Knarre gefunden«, sagte er vollkommen ausdruckslos und hob einen kleinen Revolver hervor.

Dewey sah Hud an. »War das alles?«

»J-ja …«

»Du bist ein schlechter Lügner, Mann.«

»Sucht weiter!«, fuhr er seine Kumpane an, »Aber beeilt euch. Wir müssen verschwinden.«

Ein Hoch auf schlechte Lügner, dachte sich Hud. Und ein Hoch auf Gier. Sie war manchmal doch zu etwas nützlich.

Die beiden Brüder, die den Kofferraum ausräumten, schlossen nun die Klappe. Er war vermutlich endgültig leer. »Wir sind fertig, Dewey«, sagte der Größere von beiden.

Hud drehte sich zu Dewey um.

Eine gigantische Gestalt türmte sich hinter ihm auf, vermutlich über zwei Meter hoch und etwa halb so breit. Die Kleidung, die dieses Ding trug – wenn man überhaupt von Kleidung sprechen konnte – hing nur noch in Fetzen an seinem grotesken Torso. Aus seiner linken Achselhöhle wuchs ein dritter, unfassbar muskulöser Arm. Und es hob gerade eine stumpfe, rostige Axt in den Himmel. Mit einem ekelhaft schmatzenden Geräusch bohrte sich die Klinge tief in Deweys Oberarm. Blut spritzte umher und traf Hud an seinem Ärmel. Dewey stieß einen gellenden, fast animalischen Schrei aus und drehte sich um. Die Taschenlampe richtete er auf das Gesicht des Biestes. Ein dicker Faden Rotz drang aus dem linken Mundwinkel, der so weit von seinem Ursprungspunkt abgewichen war, das der Mund dieses Dings etwa bis zu dem Ansatz seiner Koteletten gehen musste.

»FREAKS!«, schrie Dewey und schoss dem dreiarmigen Riesen ins Gesicht.

Der große Kerl setzte sich augenblicklich in Huds Wagen und schloss die Türen, auf die zerbrochene Scheibe vergessend. Die beiden anderen Schergen Deweys versuchten, sich in den Kofferraum einzuschließen. Jedoch sprang dem einen der beiden bereits ein Wesen ohne Beine, nur mit Einsatz seiner kräftigen Arme, auf den Rücken, und biss mit riesigen, scharfen Zähnen in seinen Hinterkopf.

Ein weiterer Freak, dessen Beine so lang wie ein ausgewachsener Mann waren, der aber keine Arme besaß, kam mit unfassbarer Geschwindigkeit aus dem Wald gelaufen und stieß dabei aus voller Kehle einen lauten, heiseren Schrei aus. Und er fixierte nur Hud.

Der Langbein-Freak machte einen gewaltigen Satz aufs Dach von Huds Wagen, sah sich kurz um und hielt sofort auf Hud zu. Hud griff in seine Socke und holte endlich seinen zweiten Revolver hervor. Diese Kerle waren ja dumm genug gewesen, nicht direkt an seinem Körper zu suchen.

Hud verfehlte den Freak zwar bei seinem ersten Versuch, beim zweiten Mal traf er ihn jedoch direkt in eines seiner abnorm großen Knie und brachte ihn sofort zu Fall. Der Freak versuchte japsend weiterhin, auf Hud zuzukriechen. Erst jetzt sah Hud, dass der Langbein-Freak zwei Münder aufwies, beide mit Reihen von scharfen Zähnen gefüllt, die er fletschte und welche vor eitrigem Sabber überquollen. Er blinzelte nicht und robbte noch immer ohne anzuhalten auf seine Beute zu, als wäre Hud das Einzige, was für ihn auf der Welt existierte. Hud pinkelte sich fast in die Hosen. Er stand auf und entfernte sich vom Wagen.

Dewey, der seinen verletzten Arm hielt, rief ihm zu: »Na, Dingo, hast du einen Plan?«

»Allerdings, den h…« In diesem Moment flog sein Wagen mit unvorstellbarer Wucht in die Luft. Ein Druck, so wie der stärkste Orkanwind, prallte gegen Huds Brustkorb und schleuderte ihn zurück. Er krachte gegen einen morschen Baum und sank zu Boden.

Hud war immer noch bei Bewusstsein, hatte aber starke Schmerzen in der Brust. Ein greller Quietschton hallte durch seinen Kopf. Er konnte sehen, wie ein halbes Dutzend Freaks in den merkwürdigsten Farben und Formen kreischend und brennend umherlief. Er konnte nicht sagen, welche der Kreaturen als Resultat der Explosion Gliedmaßen verloren hatten, und welche einfach nur wie seltsame Kinderzeichnungen aussahen, die zum Leben erwacht waren. Eine Kreatur besaß einen Kopf so groß wie ein Autoreifen, aus dem groteske, tentakelartige Gliedmaßen wuchsen. Ein anderer hatte vier Beine und anstelle von Armen hing an seinen Schultern ein weiteres Paar Beine.

Sie fielen alle nacheinander zu Boden und zuckten und jammerten, bis sie allmählich aufhörten sich zu bewegen.

Hud versuchte aufzustehen. Dies erwies sich als deutlich schwieriger als gedacht. Die vielen Tritte in die Magengrube sowie die Explosion verursachten einen stechenden Schmerz in seinem Brustkorb, der alle anderen Gefühle und Gedanken ausblendete. Ein Glück, dass er auf Junk war. Es wäre sonst deutlich schlimmer gekommen. Er hörte jedoch ein weiteres Winseln – ein quietschendes, raues Jammern. Hud blickte ein Stück weiter zu seiner Linken auf den Boden.

Es war Dewey, dem noch immer ein rostiges Beil aus seiner Schulter ragte und das ihm starke Schmerzen bereitete. Er bewegte sich langsam hin und her und rollte sich, so gut er konnte, über den Boden, auf Hud zu.

Hud stand auf und taumelte behutsam zu Dewey. Dann trat er ihm mit voller Wucht mit seinem neuen Paar Stiefel in den Bauch.

Dewey schnappte nach Luft und stieß noch einen Schrei aus.

»So fühlt sich das an, du dämlicher Hoodlum«, sagte Hud, während er sich mit einer Hand an die schmerzende Brust griff. »So und nicht anders, Kumpel.«

»Du …« Dewey versuchte etwas zu sagen. »Du kannst mich nicht … hierlassen. Die Freaks kommen zurück. Die zerfleischen mich. Das hier …« Er zeigte auf den noch immer brennenden Trümmerhaufen, der einmal Huds Wagen gewesen war. »Das hier wird sie anlocken.«

»Tja, nicht mein Problem, oder?« Hud hob die Pistole auf, die Dewey hatte fallen lassen, und steckte sie sich in seinen Hosenbund. Dann kehrte er um und lief zu dem Geländewagen der Hoodlums. Er drehte sich noch einmal um. »Ich hoffe es macht eurem Bertrand Simmons nichts aus, wenn ich eines eurer Autos mitnehme? Irgendjemand hat meins in die Luft gejagt, ich könnte ein Neues gebrauchen.«

»Warte!«, keuchte Dewey. Er klang mittlerweile wie ein kaputter Motor.

Hud blieb stehen. »Was denn, hm?«

»Du magst Deals, oder? Du bist ein Dealer. Deals sind dein Leben, Dingo.«

»Willst du mir etwa was anbieten?«

Dewey richtete sich auf, so gut er nur konnte und spuckte etwas Blut. Sein Gesicht war erhellt durch die Flammen, die noch immer brannten. Der Geruch von sengendem Fleisch stand in der Luft und erinnerte Hud an frisch gebratenes Schwein.

»Ich möchte etwas gegen mein Leben tauschen. Du hast die Chance, es zu retten. Ich will hier nicht sterben, Mann. Nicht hier, nicht jetzt, nicht so.«

»Ich höre. Mal sehen, ob du mich überzeugen kannst. Aber beeil dich.«

»In dem Wagen ist etwas.« Dewey wurde schlagartig ernst und konzentrierte sich, um halbwegs flüssig zu reden. Es ging immerhin um sein Leben. Seine Augen weiteten sich. »Etwas unsagbar Wertvolles. Etwas so unfassbar Schönes, dass du dir nicht in deinen kühnsten Träumen ausmalen könntest, wie kostbar es ist.« Es sah fast aus, als würde er beginnen zu weinen. »Mir fehlen die Worte, mit denen ich dir beschreiben könnte, wie wunderschön dieser Gegenstand ist.«

»Lass mich raten? Er gehört mir, wenn ich dir helfe?«

Dewey nickte. »Im Handschuhfach ist eine Karte. In der Nähe ist ein Stützpunkt von Simmons. Wirf mich vor der Tür raus, man kennt mich dort und wird mich verarzten. Dann kannst du wegfahren.«

Hud rieb sich sein Kinn. Das klang interessant. »Warum kann ich es mir nicht selbst nehmen, Dewey? Wieso sollte ich mir die Arbeit machen, dich zu tragen?«

»Ich weiß, wie man es bedient. Ich weiß, wo es ist. Ich zeige es dir.«

Hud dachte nach. Das könnte eine Falle sein. »Was, wenn du mich verarschst?«

Dewey hielt kurz inne. Sein langer grauer Mantel war mittlerweile blutdurchtränkt. Das Beil ragte noch immer aus seiner Schulter.

»Weil«, begann er, »du eigentlich nichts zu verlieren hast.« Dewey zeigte mit seinem unverletzten Arm in ein Gebüsch. »Dort steht der Wagen. Schwarzer Geländetruck. Es liegt im Handschuhfach, etwa so groß wie eine Handfläche. Du wirst ohne mich nicht herausfinden, wie es funktioniert. Also find es doch für dich selbst heraus – aber bitte, mach es schnell. Es werden bald mehr kommen, Dingo.«

Hud fand, dass das kein schlechter Deal war. Falls Dewey log, würde er ihn noch immer umlegen können. Er musste ihn nur zu diesem Wagen schaffen.

»Dann komm mit, Arschloch«, stürzte es in befehlendem Ton aus Hud heraus, »wir bringen dich zu deinen Leuten.« Hud ging zügig auf Dewey zu, legte ihm seinen Revolver an den Rücken und befahl ihm zu gehen.

»Eine Sache noch«, sagte Dewey.

»Willst du jetzt noch Forderungen stellen, hm?«

»Kannst du die Axt …«

Hud schlug gegen die Axt. Und es bereitete ihm große Freude. Dewey schrie und fiel augenblicklich wieder um. Hud packte ihn an seinem verletzten Arm und zog einmal kräftig. Dewey schrie wieder, diesmal aber lauter.

»Wenn du dich nicht beeilst«, sagte Hud, »zerr ich dich an diesem Arm zum Wagen. Und wenn er abreißt, nehm ich halt den anderen.«

Dewey stand sofort und war gehbereit.