Fünfzehntes Kapitel

Die Redcoat Tavern lag an der Ecke York und King Street und gehörte zu den etwas respektableren Schenken von Sydney, allein schon deshalb, weil sie nicht in den Rocks lag und Richard Webster, der Wirt, keine Prostituierten in seinem Lokal duldete.

Die Schankstube war an diesem Abend wieder gut besucht, und wie üblich bestand die Mehrzahl der Gäste aus Männern, die den roten Rock des Königs trugen oder einmal getragen hatten. Und nach zweiundzwanzig Jahren starker militärischer Präsenz in der Sträflingskolonie gab es längst mehr ehemalige Rotröcke als aktive.

Die vier Männer, die in der Ecke links von der Theke saßen, sich die Zeit mit einem Würfelspiel vertrieben und bauchige Zinnbecher mit passablem Branntwein vor sich stehen hatten, gehörten zu den Stammgästen.

Ihren Mienen war unschwer zu entnehmen, dass sie an diesem Abend nicht gerade bester Stimmung waren, was jedoch nichts mit dem Würfelspiel zu tun hatte. Denn dann hätte zumindest derjenige, der den größten Gewinn eingestrichen hatte, halbwegs vergnügt aussehen müssen.

Aber der niedergedrückte Ausdruck fand sich auf allen vier Gesichtern, als hätten sie alle gleich viel Grund, mit der Welt im Allgemeinen und ihrem Leben im Besonderen unzufrieden zu sein. Und genau so verhielt es sich auch. Sie haderten mit dem ungnädigen Schicksal, das sie ihrer Privilegien als Offiziere beraubt und in die Masse der vergleichsweise Unbedeutenden zurückgestoßen hatte.

»Hey, Rich!«, rief Edward Grenville über die breite Schulter und das Stimmengewirr hinweg in Richtung Theke. »Bring uns noch eine Kanne!«

Er war von den vier Männern am Tisch mit seinen dreiundvierzig Jahren der Älteste und als Captain einst auch der Ranghöchste von ihnen gewesen. Er war korpulent und besaß ein ausgesprochen grobschlächtiges Gesicht. Es erinnerte an einen Boxer, der zu viele Treffer und Niederlagen hatte hinnehmen müssen. Der breite, buschige Backenbart betonte die groben Züge noch.

»Kommt sofort, Ed!«, rief der Wirt Richard Webster.

Edward Grenville gegenüber saß Alan Danesfield, eine hoch aufgeschossene, schwarzhaarige Gestalt mit einem scharf geschnittenen Gesicht und einer aufrecht steifen Haltung, als hätte er einen Ladestock verschluckt. Er war fast zwanzig Jahre jünger als sein früherer Vorgesetzter, was auch auf die beiden anderen Männer zutraf: Jack Coburn, ein schlaksiger Mann mit schütterem Haar und dem schmalen, spitz zulaufenden Gesicht einer halb verhungerten Maus, hatte ebenso den Rang eines Lieutenants bekleidet wie Pete Dewy, der vierte in der Runde, ein gedrungener Mann mit dem ovalen und hakennasigen Gesicht einer Eule und den kalten Augen eines Fisches.

»Rich hat es goldrichtig gemacht, dass er damals, als Colonel Johnston noch am Ruder war, ausgestiegen ist, all sein Geld zusammengekratzt und diesen Laden hier eröffnet hat«, sagte Jack Coburn mit verdrossenem Neid. »Der Laden hat sich in den letzten Jahren zu einer echten Goldgrube entwickelt.«

»Kein Wunder, dass sein Spitzname Rich ist«, knurrte Pete Dewy missgünstig. »Der müsste selbst dann so heißen, wenn seine Eltern ihn auf Samuel, Charles oder weiß der Teufel welchen Namen getauft hätten!«

Die Unterhaltung verstummte kurz, und Danesfield rappelte lustlos mit den Würfeln im Lederbecher, als der halbwüchsige Wirtsjunge Jamie ihnen eine neue Kanne Branntwein an den Tisch brachte.

»Ja, Rich hat die Zeichen der Zeit früh erkannt und den verdammten Rock des Königs genau im richtigen Moment an den Nagel gehängt«, bekräftigte Jack Coburn noch einmal, voller Groll auf sich selbst wegen der verpassten Gelegenheiten. »Damals hatte unsereins in dieser Scheißkolonie noch was zu sagen, sodass er sich diesen Eckladen billig unter den Nagel reißen konnte.«

Pete Dewy nickte mit grimmiger Miene. »Ja, die goldenen Zeiten sind vorbei, seit unsere Clique abserviert und dieser verfluchte Macquarie mit seinem Arsch im Government House residiert. Und als ob das nicht schon beschissen genug ist, krempelt der Hundesohn hier alles um und serviert unsere alte Garde eiskalt ab, die hier so lange die wahre Herrschaft über dieses verfluchte New South Wales ausgeübt hat!«

Grimmig knallte Danesfield den Würfelbecher auf den Tisch. »Das reicht, Pete! Und das gilt auch für dich, Jack! Ich kann den Namen von diesem verfluchten Scheißkerl von Gouverneur nicht mehr hören! Also versaut mir nicht noch mehr den Abend! Es reicht mir schon, dass wir nur um ein paar lausige Shilling spielen und nicht um anständige Summen so wie früher, als wir noch fest im Sattel saßen und unsere Rumgeschäfte wie geschmiert liefen!«

Erschrocken vom jähen Ausbruch seines Zechgenossen hob Jack Coburn die Hände. »Ist ja gut, Mann! Ging mir doch nur mal so durch den Kopf!«

»Nächstens lässt du es da auch!«

»Kommt, Leute, spielen wir noch ’ne Runde!«, warf das Eulengesicht Pete Dewy begütigend ein, griff zur Kanne und füllte ihre Becher auf. »Na los, leg du was vor, Captain.« Grenville war der Einzige, den die drei Männer weiterhin mit seinem alten Rang ansprachen.

»Rich macht einen guten Schnitt, aber das ist auch alles«, sagte Grenville abfällig, während er den Würfelbecher nahm. »Wollt ihr vielleicht so einen Schuppen betreiben, Tag für Tag und Nacht für Nacht hinter dem Tresen stehen und euch das Geschwafel der Besoffenen anhören?« Er beantwortete seine Frage gleich selbst, indem er energisch den Kopf schüttelte. »Nein, ich nicht! Wisst ihr, was wirklich unser Fehler gewesen ist?«

»Komm, verrat es uns!«

»Dass wir uns hier nicht so viel fruchtbares Land wie nur möglich unter den Nagel gerissen haben, als wir noch die Chance dazu hatten, das ist unser Kardinalfehler gewesen, Freunde!«, teilte Grenville ihnen mit. »Land ist das Einzige, was am Ende zählt, wenn man hier auf Dauer jemand sein will. Ein Mann ohne Land ist kein Gentleman! Das ist in unserer Heimat so und hier nicht anders!«

»Ein wahres Wort!«, pflichtete Danesfield ihm bei. In England zählte es wenig, wie reich jemand war, sofern er nicht in erster Linie reich an Grund und Boden, an Landgütern war und auf einen vornehmen Stammbaum verweisen konnte. Wer wie seine Vorfahren von seinem Land lebte, der galt als nobel und als wahrer Gentleman. Kaufleute unter den Emporkömmlingen waren und blieben, egal welche Geschäfte sie betrieben und wie viel Geld sie damit machten, letztlich Krämer, auf die man geringschätzig hinuntersah und die man nicht als gesellschaftlich gleichrangig akzeptierte.

»Also wenn jemand es richtig gemacht hat, dann sind es Leute wie Macarthur und Johnston gewesen, die sich vor ihrem Abschied von der Armee große Ländereien gesichert haben und den neuen Adel von New South Wales bilden!«, fuhr Grenville fort. »Und da hätten wir mitmischen sollen, Freunde!«

»Einer von unseren Kumpeln sitzt doch noch immer im Amt für Landzuteilung«, warf Jack Coburn ein.

Grenville winkte mürrisch ab. »Was nutzt das denn, wo doch schon längst alles Land vergeben ist? Zumindest das, was sich zu besitzen lohnt!«

Pete Dewy verzog das Gesicht. »Es heißt, Macarthur soll mittlerweile schon mehr als fünftausend Acres und eine riesige Schafherde bei Camden besitzen, die in die Tausende geht, und Johnston sitzt auch auf einem riesigen Stück Land mit ähnlich vielen Merinos und anderem Vieh. Und was haben wir? Nichts, was sich aufzuzählen lohnt!« Er spülte seinen Frust mit einem kräftigen Schluck Branntwein hinunter.

Jack Coburn nickte und ballte in ohnmächtigem Zorn die Faust. »Und dabei waren auch wir so nahe dran, uns ein dickes Stück von dem Kuchen hier zu sichern! Dreimal verflucht soll dieser Hundesohn von Bounty-Bligh sein, dass er uns diese Chance vermasselt hat!«

Der Name William Bligh verwandelte den verdrossenen Ausdruck der Männer schlagartig in ausgesprochen finstere Mienen. Denn mit ihm hatte ihr Unglück begonnen.

Als Lieutenant des Meutererschiffes Bounty war William Bligh 1789 zu zweifelhaftem Ruhm gelangt. In England galt er als Held, weil er eine fast einzigartige seemännische Leistung vollbracht hatte. Von den Meuterern in der Südsee mit achtzehn weiteren Getreuen und nur wenig Proviant und Trinkwasser in einem kleinen Beiboot ausgesetzt, hatte er es fertiggebracht, das offene Boot und die Mehrzahl der Insassen in einer über sechswöchigen Reise lebend nach Timor zu navigieren. Dass die Krone ihn Jahre später als Gouverneur nach New South Wales geschickt hatte, damit er das Rumkorps entmachtete, war wohl als Belohnung gedacht gewesen, hatte sich jedoch als böser Missgriff des Kolonialamtes erwiesen.

Am 26. Januar 1808, auf den Tag genau am zwanzigsten Jahrestag der Gründung der Kolonie, hatten die Offiziere des New South Wales Corps gegen ihren neuen Gouverneur offen rebelliert, weil er, anders als seine Vorgänger, tatsächlich entschlossen versucht hatte, ihren einträglichen Geschäften im Rumhandel ein Ende zu setzen.

Sie waren ihm durch ihren Umsturz zuvorgekommen, indem sie ihn verhaftet und unter Hausarrest gestellt hatten. So hatten sie ihre Macht und ihre Geschäfte noch gute zwei weitere Jahre gesichert. Bis dann Lachlan Macquarie mit den kampferprobten Highlandern vor wenigen Monaten in Sydney eingetroffen war und der Herrschaft der alten Clique ein jähes Ende bereitet hatte.

Pete Dewy lachte freudlos auf. »Na ja, vielleicht waren wir es ja selbst, die das vermasselt haben. Gut möglich, dass wir auf lange Sicht besser abgeschnitten hätten, wenn wir Bligh etwas mehr entgegengekommen wären und Colonel Johnston und Macarthur nicht die Meuterei gegen ihn angezettelt hätten!«

»Was heißt hier Meuterei? Wir haben seiner unerträglichen Tyrannei ein dringend notwendiges Ende gemacht, als wir ihn verhaftet und abgesetzt haben!«, verteidigte Danesfield das Rumkorps und dessen einstige Führer erregt und funkelte ihn an. »Der selbstgerechte Schweinehund hat seine Absetzung als Gouverneur hier in der Kolonie doch herausgefordert … ach was, er hat sie geradezu erzwungen, so wie er damals als Lieutenant der Bounty seine Crew bis aufs Blut tyrannisiert und zur Meuterei getrieben hat! Wir hatten gegen diesen scharfen Hund doch gar keine andere Wahl!«

Grenville nickte mit finsterer Miene.

Pete Dewy zuckte die Achseln. »Was aber nichts daran ändert, dass wir durch die Meuterei letztlich den Ast abgesägt haben, auf dem wir es uns so hübsch bequem gemacht hatten.«

»Meuterei?« Grenville warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Ich weiß wirklich nicht, wovon du redest, Pete. Mit Meuterern macht die Krone kurzen Prozess, falls dir das entgangen sein sollte. Also, wenn es Meuterei gewesen wäre, hätten Colonel Johnston und wir schon längst eine Verabredung mit dem Henker gehabt, hier oder in London, oder etwa nicht?«

Danesfield nickte nachdrücklich. »Du sagst es, Captain! Das Kolonialamt hat uns recht gegeben, sonst wären wir doch alle längst am Galgen gelandet!«

Pete Dewy lachte freudlos auf und winkte ab. »Dass es nicht so gekommen ist, verdanken wir doch nur Johnstons raffiniertem Schachzug und seinen einflussreichen Gönnern in London – und nicht, weil wir im Recht waren!«, erinnerte er sie nüchtern. Denn Colonel Johnston war so clever gewesen, schon bald nach dem Umsturz nach England zu segeln und sich dort für Blighs Amtsenthebung zu rechtfertigen, bevor man überhaupt Anklage erhoben hatte. Und mit der Hilfe seiner hochrangigen Freunde im Kolonialamt und am Hofe hatte er dann auch erfolgreich Stimmung gegen den Tyrannen Bligh gemacht. Am Schluss war Bligh völlig diskreditiert gewesen, bevor er auch nur eine Chance gehabt hatte, seinerseits nach England zu segeln und seine Version der Vorkommnisse zu präsentieren.

Jack Coburn grinste. »Na und? Ich beklag mich nicht, dass Johnston seine Karten geschickt gespielt und den Mistkerl Bligh ausgestochen hat!«

»Ich auch nicht«, erwiderte Pete Dewy. »Ich sage nur: Wenn alles rechtens gewesen wäre, hätten Johnston und wir ja wohl nicht schnellstens unseren Abschied nehmen müssen – und dann hätte man uns auch kaum Macquarie mit seinen Highlandern geschickt!«

Sichtlich genervt verdrehte Danesfield die Augen. »Wie wär’s, wenn wir dieses verdammte Thema endlich fallen lassen, Pete?«, fuhr er ihn gereizt an. »Deine Unart, ewig auf diesen Dingen herumzureiten, geht mir schwer auf die Nerven!«

Sowohl Dewey als auch Grenville wollten darauf etwas erwidern, aber in dem Moment trat eine seltsame Gestalt in einem verschlissenen, knielangen Rock, der einst einem Seeoffizier gehört hatte, und mit einem ähnlich ramponierten Dreispitz auf dem Kopf zu ihnen an den Tisch und sagte mit kratzig kehliger Stimme an Grenville gewandt: »Auf ein Wort, Captain, wenn Sie erlauben!«