Elftes Kapitel
Leise fluchend wuchtete Cleo einen weiteren Batzen feuchten Pferdemists aus der Box. Mit einem schmatzenden Geräusch klatschte er in die schon gut gefüllte Schubkarre. Wieder eine Fuhre voll, die sie nun ein gutes Stück hinter das große Anwesen von Jeremy Brandon’s Tavern & Roadhouse schieben und dort abladen musste! Und so groß wie der Mietstall der Brandons war, warteten noch mindestens fünf, sechs weitere Schubkarren voll Mist darauf, aus den Verschlägen geschaufelt und abtransportiert zu werden.
»Aber wenn du denkst, ich breche mir für die lausigen paar Shilling, die du Geizhals mir für die Drecksarbeit bezahlst, den Rücken, dann hast du dich geschnitten, Deborah Brandon!«, schimpfte Cleo leise und nur für sich.
Missmutig rammte sie die Mistgabel schräg in das Gemisch aus Stroh, Sägespänen, Pferdekot und Urin. Zeit für eine Atempause! Und die hatte sie sich bei diesem verdammten Knochenjob ja wohl wahrlich verdient! Und es sollte ihr bloß keiner dumm kommen, schon gar nicht Deborah Brandon oder ihr Mann Jeremy! Dann würde sie aber aus der Haut fahren und ihnen ihren Mist vor die Füße kippen!
Sie sank auf die Haferkiste im Gang, schob sich den arg ramponierten Strohhut mit der großen, ausgefransten Krempe in den Nacken und verscheuchte ein paar lästige Fliegen, die sie umschwirrten und sich auf ihrem schweißnassen Gesicht niederzulassen versuchten. Dann griff sie zu ihrer verbeulten Wasserflasche, die neben der Kiste von einem Nagel in einem Stützbalken hing. Den ersten Schluck spie sie gleich wieder aus, weil sie meinte, das abgestandene Wasser schmecke nach Pferdemist.
Wieder fluchte sie leise vor sich hin. Etwas, das sie früher nie getan hatte, das leise Fluchen wohlgemerkt. Aber die Not hatte es sie nun gelehrt. Denn Deborah Brandon, die Haare auf den Zähnen hatte und es fast mit ihr aufnehmen konnte, hatte ihr gleich am ersten Tag unmissverständlich klargemacht, dass sie gotteslästerliche Flüche und obszöne Reden auf ihrem Anwesen nicht duldete.
Und bei der gab es keine zweite Chance. Nur eine einzige Zuwiderhandlung und sie war ihre Arbeit und ihre Bettstelle los. Dieses bissige Luder ließ einem nichts durchgehen und bluffte auch nicht. Das hatte sie bewiesen, als sie gestern den Stallknecht auf der Stelle gefeuert hatte, als ihm auf dem Hof eine vernehmliche Verwünschung über die Lippen gekommen war. Es kümmerte sie nicht, dass sie sich nun einen neuen Stallknecht suchen musste.
Jeremy, ihr triefäugiger Schlappschwanz von Mann, hatte halbherzigen Protest dagegen erhoben, doch sie war ihm barsch über den Mund gefahren.
»Dann müssen sich unsere Gäste eben selber um ihre Pferde kümmern, bis ich Ersatz gefunden habe! Wir sind ja nicht die königliche Herberge von London! Unsere Gäste wissen schon noch, was zu tun ist. Und wenn nicht, soll es uns auch nicht kümmern. So, und jetzt sieh zu, dass du heute Abend in der Schankstube nicht wieder ein leeres Fass auf dem Bock hast, wenn das Geschäft gerade brummt!«
Hol sie doch der Teufel!, fluchte Cleo im Stillen und wurde sofort wütend auf sich selbst. Noch nie hatte sie sich den Mund verbieten lassen, schon gar nicht von einer Wirtsfrau. Und jetzt kuschte sie vor dieser keifenden, kratzbürstigen Matrone schon fast so wie Jeremy, dieser Jammerlappen von einem Ehemann!
Wie hatte sie es nur dazu kommen lassen?
Und wieso hatte es sie ausgerechnet in dieses elende Nest Camden verschlagen, das so fern von Sydney im südwestlichen Grenzland lag?
Eine verdammt gute Frage.
Dabei hatte sich doch alles so gut angelassen!
Die Abrechnung mit Boone hatte sie perfekt durchgezogen. Das war ein richtiges Glanzstück gewesen. Nicht ein Fehler war ihr dabei unterlaufen. So wie sie ihn in der Brandgasse überrumpelt, ihm ihren Stahl zwischen die Rippen gejagt und ihn zur Hölle geschickt hatte, hätte das keiner besser machen können. Aber danach war es dann nicht mehr ganz so gut für sie gelaufen.
Na ja, vielleicht hätte sie ihr Geld ein wenig cleverer zusammenhalten und es nicht so schnell versaufen sollen. Das hätte vielleicht über die Zeit hinweggeholfen, in der sich ihr keine günstige Gelegenheit geboten hatte, jemanden zu bestehlen oder auszurauben. Außerhalb von Sydney hatte sich das als schwerer erwiesen, als sie gedacht hatte.
Aber wieder in die Stadt zurückzukehren, verbot sich ja wohl von selbst, wenn man nicht gerade verdammtes Stroh im Schädel hatte! Sie musste erst einige Zeit lang Gras über den Mord wachsen lassen, bevor sie es wagen konnte, sich in Sydney wieder sehen zu lassen. Und wenn man in diesem dreimal verfluchten Australien auf den staubigen Landstraßen so von Siedlung zu Siedlung zog, dann bekam man einfach eine höllisch trockene Kehle, und das Einzige, was gegen die Art von Durst half, die ihr am ärgsten zusetzte, waren nun mal Branntwein und Rum!
Dass es sie in den vergangenen Wochen dann ausgerechnet nach Camden verschlagen hatte, war eine Laune des Schicksals gewesen. Möglich, dass es nicht ganz so zufällig dazu gekommen war. Immerhin war diese Siedlung mit ihren zweieinhalb Dutzend schäbigen Hütten und den Farmen in der Umgebung die letzte richtige Ortschaft im südwestlichen Grenzland der Kolonie – und damit dem derzeitigen Aufenthaltsort von Abby Lynn und ihrer Sippschaft am nächsten gelegen.
Warum sie in diesem dreckigen Kaff ausharrte, sich unter Deborahs Fuchtel beugte und was ihr das konkret für einen Vorteil bringen sollte, wusste sie selbst nicht zu sagen. Seit Wochen hatte sie sich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie Abby Lynn vernichten konnte. Aber ihr wollte einfach nichts einfallen, was sich auch ausführen ließ, ohne dass sie ihren Hals dabei riskierte.
Sie hoffte, dass ihr irgendwann doch noch die geniale Idee kam, wie sie es anstellen und es Abby endgültig heimzahlen konnte. Und dann konnte es sich vielleicht als nützlich erweisen, ihr schon so nahe auf den Pelz gerückt zu sein.
Wenn es ihr doch nur gelungen wäre, hier in Camden eine bessere Arbeit zu finden! Aber Deborah Brandon war die einzige Person in diesem elenden Nest gewesen, die Verwendung für sie gehabt und ihr Kost und Logis sowie ein paar Shilling auf die Hand angeboten hatte. Und sie hatte angenommen, alle Drecksarbeiten zu übernehmen, die in Jeremy Brandon’s Tavern & Roadhouse anfielen. Sie hatte gar keine andere Wahl gehabt, weil sie völlig abgebrannt gewesen war.
Pest und Krätze, in der Not fraß selbst der Teufel Fliegen! Seitdem fegte sie die Kammern, leerte und wusch die Nachttöpfe aus. Und das Ausmisten der Pferdeboxen hatte sie jetzt auch noch am Hals.
Cleo hörte drüben auf der anderen Hofseite eine Tür schlagen. Wenn das nicht Deborah war, die nachgucken kam, ob sie auch nicht faulenzte!
Schnell rutschte sie von der Haferkiste, hängte die blecherne Wasserflasche an den Nagel, packte die Holme der Schubkarre und stemmte sich gegen die schwere Ladung.
Sie hatte sich nicht getäuscht. Es war wirklich die bigotte und bärbeißige Matrone Deborah, die aus dem Haus gekommen war. Aber zu Cleos Erleichterung watschelte sie nicht zu ihr herüber, um sie zur Arbeit anzutreiben, sondern begab sich in das Hühnergehege, das an die Schmalseite des Gebäudes angebaut war.
Cleo rief ihr eine stumme Verwünschung zu und brachte den Mist hinter das Haus.
Als sie in den Hof zurückkehrte, galoppierte eine vierköpfige Reitergruppe aus Südwesten kommend die Straße herauf. Es waren vier Männer und sie zügelten ihre Pferde vor dem Hofeingang.
»Bist du sicher, dass du gleich weiterreiten willst, Hugh?«, fragte einer der Männer enttäuscht. »Ich dachte, wir verbringen hier in der Taverne noch eine fröhliche Nacht zusammen und würfeln die Runden aus?«
»Die Runden werdet ihr ohne mich auswürfeln müssen. Ich war jetzt lange genug weg, Freunde.«
»Genau, und deshalb wird es jetzt auf eine Nacht mehr oder weniger auch nicht mehr ankommen. Deine Mary wird dir schon nicht davonlaufen!«, spottete ein anderer. »Also komm, steig ab und lass uns zusammen noch einen Abschiedsumtrunk nehmen und uns einen schönen Abend machen. Ich denke, das haben wir uns nach der langen Reise doch wohl redlich verdient. Tu uns den Gefallen, Hugh!«
Als Cleo die kräftige, selbstbewusste Stimme hörte, stutzte sie. Sie kam ihr bekannt vor, jedoch wusste sie nicht, wem sie gehörte. Und da ihr der Reiter den Rücken zukehrte, konnte sie sein Gesicht nicht sehen.
Der Mann namens Hugh lachte. »Geht leider nicht. Ich möchte jetzt wirklich nach Hause. Ich habe Mary versprochen, dass ich sie nicht länger als nötig warten lasse, und ein Birdsell hält Wort.«
»Das tun wir Isherwoods auch, alter Knabe. Aber für einen kleinen Umtrunk wirst du doch …!«
»Nein, tut mir leid, Freunde!«, fiel Hugh dem Mann mit einem Auflachen ins Wort. »Diesmal nicht! In den zwei Stunden Tageslicht, die mir noch bleiben, kann ich es gut bis nach Loughlin schaffen. Aber vergiss nicht, mir Bescheid zu geben, wenn du mit dem Gouverneur gesprochen hast. Wenn er wirklich das Gebiet zur Besiedlung freigibt, will ich gleich zu Anfang mit dabei sein, Melvin.«
Melvin?
Der Name traf Cleo wie ein unerwarteter Schlag und half ihrer Erinnerung auf die Sprünge.
Natürlich, Tod und Teufel! Dieser Reiter dort war kein anderer als der ältere der beiden Chandler-Brüder und ihr damit fast so verhasst wie Abby! Er und seine Begleiter mussten gerade aus dem fernen Tal zurückgekommen sein, wo sich Abby mit den anderen wilden Siedlern vor einem Jahr heimlich niedergelassen hatte.
»Jane!«, brüllte Deborah Brandon mit einer Stimme über den Hof, um die selbst ein erfahrener Drill-Sergeant auf dem Kasernenhof sie noch beneidet hätte. »Jane! Hast du Tomaten auf den Ohren?«
Cleo brauchte einen Moment, um sich bewusst zu werden, dass der Ruf ihr galt. Sie hatte sich den Namen Jane Crowley schon in den ersten Tagen nach ihrer Abrechnung mit Boone zugelegt. Wie gut sie daran getan hatte! Auf den gellenden Ruf »Cleo!« hätte der Chandler sicherlich nicht mit derselben Gleichgültigkeit reagiert.
»Was stehst du da herum und starrst Löcher in die Luft?«, keifte Deborah Brandon, die fleischigen Arme in die ausladenden Hüften gestemmt. »Ich bezahl dich nicht fürs Gaffen und Tagträumen! Also beweg dich gefälligst und sieh zu, dass du vor der Dunkelheit noch alles schaffst, was man dir aufgetragen hat!«
Cleo schoss ihr einen bösen Blick zu, verkniff sich jedoch eine wütende Erwiderung. Einen Streit mit ihr konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Viel wichtiger war es, sich Gedanken darüber zu machen, ob dieses überraschende Auftauchen des Chandlers ihr eine günstige Möglichkeit bot, Vergeltung zu üben.
Sie hatte nicht vergessen, dass Melvin Chandler es gewesen war, der mit den Soldaten gekommen war und für ihre Verhaftung gesorgt hatte. Ihn dafür büßen zu lassen, war ihr fast so wichtig, wie Abby sterben zu sehen.
Abby war weit weg, doch dieser Melvin war hier vor ihrer Nase wie auf einem Präsentierteller. Der Teufel sollte sie holen, wenn sie sich diese Gelegenheit entgehen lassen würde!