Australien und »Frühstück um Sechs«

 

Wenn man einige Jahre lang schreibt, wie unbedeutend es auch immer sein mag, sammelt sich früher oder später eine ansehnliche Anzahl von Zuschriften an. Meine Artikel im Dunedin Star brachten mir, wie ich schon erwähnte, viele Freunde unter den Lesern. Gleichzeitig aber waren sie die Ursache zu einer Reihe von recht absonderlichen Kontakten. Ich habe Briefe von Leuten mit den kuriosesten Einfällen erhalten, welche ich in meiner Spalte der Öffentlichkeit unterbreiten sollte. Einige meiner Bewunderer waren Insassen von Nervenheilanstalten, was vielleicht ein Kommentar über meine Arbeit ist.

Ich habe diese Briefe immer beantwortet, mindestens einmal, und ich führte in der Tat eine höchst lebhafte Korrespondenz mit einem Mann, der — mit seinen bloßen Händen, wie er betonte — einen Tunnel von der einen zur anderen Seite der Insel grub. Ein anderer, ebenso enthusiastisch, wenn auch irregeleitet, beschwor mich, für die weiblichen Katzen einzutreten und die Kastrierung aller Kater durchzusetzen — , >und stellen Sie sich bloß vor, wie glücklich die lieben Kätzchen sein würden!< Ein dritter war ein bißchen verletzt, weil ich mich außerstande sah, der Regierung nahezulegen, eine Verordnung herauszugeben, daß jeder Zug an jeder Stelle zu halten habe, wo der Lokomotivführer >ältere Leute neben den Eisenbahnschienen mit der erkennbaren Absicht warten sieht, den Zug zu besteigen<.

Einmal griff der Herausgeber der Zeitschrift freundlicherweise ein, indem er es übernahm, einen großen Briefumschlag, mit übergroßer Schrift an >Die Eine und Einzige Mary Scott< adressiert, zu öffnen, weil er, wie er mir erklärte, fürchtete, er könne Beschimpfungen enthalten! Das war ein Irrtum, denn er enthielt nur einen Brief über gefangene Vögel. Der Herausgeber steckte ihn fürsorglich in einen neutralen Umschlag, bevor er ihn an mich weiterschickte.

Von diesen schrulligen Brieffreunden abgesehen, gab es jedoch viele andere, welche diese wöchentlichen Artikel durch ihre Anerkennung und Freundlichkeit zu einem Vergnügen machten. Es machte mich manchmal fast verlegen, denn ich wußte nie so recht, womit ich eigentlich ihr Lob und ihr Interesse verdiente, besonders den anregenden Briefwechsel, welchen ich mit einer Reihe von Verlegern unterhielt.

Mr. Alexander war der erste, welcher mir schrieb und mir in seiner Eigenschaft als Verleger den Vorschlag machte, einen wöchentlichen Artikel beizutragen. Von da ab erhielt ich viele von mir hochgeschätzte Briefe von ihm. Wir sahen uns nur ein einziges Mal, als Frederick de la Mare ihn für einen Tag mit auf die Farm brachte; aber es war charakteristisch für seine Herzensgüte, daß er sogar vorher noch angeboten hatte, meine jüngste Tochter abzuholen, als sie in Dunedin eintraf, um dort Physiotherapie zu studieren. Als die nervöse, heimwehkranke Achtzehnjährige aus dem Zug stieg, verkündete der Lautsprecher: >Mr. Alexander wartet auf Miss Heather Scott unter der Uhr.< Das war typisch für ihn, einen sehr beschäftigten Verleger, dennoch Zeit zu finden, ein ihm unbekanntes Mädchen vom Bahnhof abzuholen.

Ich bewahre immer noch einige von den Briefen auf, die ich während des Krieges von ihm erhielt, und ich war stolz auf das, was er in einem von ihnen schrieb: >Diese humorvollen Artikel sind genau das, was wir möchten. Bleiben Sie dabei! Sie haben eine besondere Gabe, mit der Sie anderen Menschen helfen können.< Es tut mir sehr leid, daß er nicht mehr lesen konnte, was ich über ihn in The Unwritten Book schrieb. Er starb, ehe es veröffentlicht wurde.

Seine Nachfolger waren ebenso freundlich mit mir und manchmal erfrischend humorvoll. Ich glaube, es war der gegenwärtige Verleger, über dessen Brief ich herzlich lachen mußte. Ich war damals bei meinem Bruder in Australien. Da ich wußte, daß meine Abwesenheit mehrere Monate dauern würde, hatte ich für diese Zeit meine Artikel im voraus geschrieben, um sie pünktlich zum Termin abschicken zu können. Irgend etwas ging schief, und ich erhielt ein Telegramm: >Kein Artikel für Samstag.< Aus dieser Entfernung war nun nichts dagegen zu machen, außer mich in einem Brief zu entschuldigen, auf den ich zur gegebenen Zeit folgende Antwort erhielt: >Machen Sie sich keine Sorgen mehr wegen des fehlenden Artikels. Wir fanden einen im Archiv, den Sie vor achtzehn Jahren schrieben, und veröffentlichten ihn. Niemand scheint einen Unterschied in Ihrem Stil entdeckt zu haben.<

Wenn ich auch einige merkwürdige Begegnungen hatte und manch vertracktes Ansinnen an mich gestellt wurde — wie zum Beispiel: >Könnten Sie mir einen Rat geben, wohin ich einen pornographischen Roman schicken soll?< — so habe ich andererseits meiner Tätigkeit einige Freundschaften zu verdanken, die für immer bestehen werden. Eine der besten davon ist die mit Airini Woodhouse von Blue Cliffs in South Canterbury. Unser erster Kontakt kam bald nachdem die erste Sammlung meiner Kurzgeschichten veröffentlicht worden war. Sie schrieb mir, um mir von einem Kompliment zu berichten, das Mr. Guthrie-Smith meiner kleinen Geschichte »Elizabeth geht zur Schule« gemacht hatte. Ich antwortete, wie sehr mich ein Lob von dieser Seite freute; dennoch sah ich damals nicht die Freundschaft voraus, welche aus diesem Briefwechsel entstehen sollte.

Ich glaube, auch Airini sah nichts dergleichen voraus, und ich bin sicher, sie war ein ganz klein wenig nervös, als sie mir den Vorschlag eines Zusammentreffens anläßlich ihrer Reise nach dem Norden machte. Es ist immer eine vertrackte Sache, den Verfasser von Büchern, die einem gefallen haben, persönlich kennenzulernen. Bücher, wie Airini sich sagte, waren so oft viel netter als ihre Autoren. Ich dachte ebenso, denn auch Briefe sind häufig ganz anders als ihre Schreiber. Klugerweise hatte sie es so arrangiert, daß ihr mehrere Möglichkeiten eines Rückzuges offenblieben, falls sie ihn wünschte. Aber sie machte keinen Gebrauch davon. Im Gegenteil, sie blieb noch einen Tag länger, und seit damals haben wir immer versucht, uns einmal im Jahr zu treffen, wenn sie mit dem Flugzeug nach dem Norden kommt. Auf diese Weise verbrachten wir wirklich erfreuliche Tage miteinander. Manchmal machten wir mit meinem Wagen eine Tour, übernachteten hin und wieder in möglichen und unmöglichen Hotels, plauderten, lachten und kritisierten gegenseitig unsere Arbeiten. Sie liest jeden meiner Romane, bevor er veröffentlicht wird, und nimmt sich stets die Zeit, ihn sorgfältig durchzusehen und mich auf Fehler aufmerksam zu machen. Wir haben manchen Scherz geteilt, vieles einander anvertraut, waren an den kuriosesten Plätzen gewesen und haben die komischsten Dinge miteinander erlebt. All das sind Gaben gewesen, die ich meinen Büchern verdanke.

1949 traf meinen Bruder ein großes Unglück, das einen starken Einfluß auf unser Leben ausüben sollte. Seine Frau starb ganz unerwartet, und nun lebte er allein in seinem großen, leeren Haus in Perth. Er hatte sich vor einigen Jahren von seinem Lehrstuhl der Geologie an der Universität zurückgezogen und gehofft, sich mit seiner Frau eines glücklichen Lebensabends zu erfreuen. Doch ein zweites Mal hatte das Schicksal zugeschlagen. Es traf ihn um so härter, weil er ein alter Mann war.

Seine Söhne lebten an den verschiedensten Ecken der Welt; ihm war wirklich nichts geblieben außer seinen Freunden und den Gewohnheiten vieler Jahre, die ihn an Perth banden. Ich bat ihn herzlich in meinem Brief, zu uns zu kommen und uns hier für eine Weile zu besuchen, doch er war nicht leicht zu überreden. Er hatte so lange in Australien gelebt, daß es seine Heimat geworden war. Zudem lag ihm nichts daran, die Erinnerungen an sein erstes Unglück, das ihm in Neuseeland widerfahren war, aufleben zu lassen. Bindungen, die einmal so eng gewesen waren, hatten sich im Laufe der Jahre gelockert. Es würde eine große Anstrengung für ihn bedeuten, die er nicht gewillt war, auf sich zu nehmen.

Daß ich ihn schließlich doch noch überreden konnte, gelang mir nur, weil ich ihm versprach, mit ihm für einen langen Besuch nach Australien zurückzukehren, wenn er zuerst zu uns kommen würde. Ich holte ihn in Auckland ab. Während ich zusah, wie die Passagiere aus dem Flugzeug stiegen, wunderte ich mich, ob ich ihn wiedererkennen würde. Was sollte ich zu diesem Fremden sagen, der einst einmal ein so vertrauter Freund gewesen war? Sehr bald wußten wir beide, daß alles gut war. Das alte Band bestand noch; wir mochten die gleichen Leute, lachten über dieselben Dinge. Aber ob ihm wohl das Leben in unserer Einsamkeit gefallen würde? Ihm, einem Professor, der sich so viele Jahre, wie ich ihm zu seinem Ärger sagte, in solch erhabenen intellektuellen Kreisen bewegt hatte?

Wieder hatte ich mich getäuscht. Wir verbrachten ideale vier Monate zusammen. Er und Walter hatten schon damals, bei seinem ersten Besuch, eine feste Freundschaft begründet, die nun erneuert und noch enger geschlossen wurde. Er besuchte unsere Schwester in Ohope, meine verheirateten Kinder und die Mulgans in Wellington. Als er in den Busch und zu uns zurückkam, sagte er plötzlich: »Wißt ihr, das ist eigentlich die Art Leben, wie sie mir paßt. Hier könnte ich mich wohl fühlen.« Es war keine Frage, daß auch wir nur zu froh gewesen wären, wenn er sich dazu hätte entschließen können, für immer bei uns zu bleiben; aber wir wagten nicht, ihn zu drängen. Es war eine viel zu schwerwiegende Veränderung, ein völlig anderes Leben. Wir beratschlagten darüber, und er bestand darauf, daß ich mein Versprechen, ihn zurück nach Australien zu begleiten, einlösen sollte. Dann wollte er an Ort und Stelle seinen Entschluß fassen.

Wir flogen nach Melbourne und verbrachten dort mit gastfreundlichen Freunden meines ältesten Neffen, Stuart Clarke, eine Woche. Dann unternahm Stuart mit uns eine interessante Fahrt in das Hinterland Victorias, wo wir in einem zauberhaften kleinen Gasthof — man konnte es kein Hotel nennen — abstiegen, in der Mitte von nirgendwo. Wir trafen dort spät in der Nacht ein und waren nicht wenig verblüfft, von Feldmarschall Montgomery empfangen zu werden. Nie zuvor und nie später sah ich eine derart unglaubliche Ähnlichkeit! Kein Wunder, daß wir uns ein wenig überwältigt fühlten, als der große Mann sich herabließ, uns einen Sherry einzuschenken.

Die Woche in Melbourne bleibt mir unvergeßlich, schon allein in der Erinnerung an diese großzügige Gastfreundschaft von Menschen, die ich nie zuvor gesehen hatte. Danach flogen wir nach Perth weiter, ein langer, ermüdender Flug, der durch die Aussicht auf das, was uns dort erwarten sollte, noch anstrengender wurde.

Eine Anzahl von Freunden meines Bruders holten uns am Flughafen ab, in der Hoffnung, daß ein so herzlicher Empfang die Heimkehr in ein leeres Haus weniger schmerzlich machen würde. Trotz ihres guten Willens war es ein recht anstrengendes Erlebnis für uns beide, und ich war kaum überrascht, als mein Bruder schon nach drei Tagen erklärte: »Komm mit in die Stadt; ich will meine Angelegenheiten hier ordnen. Ich gehe hier weg und kehre mit dir nach Neuseeland zurück.« Ich fühlte mich verpflichtet ihn zu bitten, noch ein paar Wochen abzuwarten, bevor er seine endgültige Entscheidung traf. »Alle deine Freunde sind hier. Du wirst sie sehr vermissen. Sie und alles, woran du gewöhnt bist — eure Gespräche über wissenschaftliche Themen, das ganze intellektuelle Leben...«, gab ich zu bedenken.

Mein Bruder, dessen Sprache keineswegs immer die eines Professors war, brachte deutlich und unmißverständlich zum Ausdruck, was er von einem intellektuellen Leben hielt.

Er blieb bei seinem Entschluß. Nun begannen die Vorbereitungen zu seiner Umsiedlung. Dennoch blieb uns Zeit, noch ziemlich viel von Australien zu sehen. Wir fuhren nach Kalgoorlie und blieben einige Tage dort, um mit einem anderen Neffen von mir eine Weile zusammenzusein. Auf mich wirkte alles sehr neu und fremdartig: diese langen, geraden Landstraßen, ohne eine einzige Kurve oder Biegung, soweit das Auge blicken konnte; die behelfsmäßigen Häuser, in denen selbst die Wohlhabenden wohnen müssen; die elenden Hütten, in denen immer noch Arbeitsscheue hausen und darauf warten, daß sie eines Tages irgendwie ihr Glück machen werden; die Geisterstädte, welche aus ein paar Häusern und einem großen Friedhof bestehen, die aus einer Zeit dort übriggeblieben waren, da man hier Gold gefunden hatte.

Für jemanden, der aus einem wasserreichen Land kam, war es überaus seltsam, fast die ganze Strecke an riesigen Wasserleitungsrohren entlangzufahren. Das Problem wurde mir so richtig klar, als ich das Schildchen im Hotelbadezimmer las: >Dieses Wasser wird über dreihundert Meilen für Ihren Gebrauch hierhergeleitet. Verschwenden Sie es nicht!< Von da ab gestattete ich mir nur noch sehr sparsame Bäder.

Wir reisten auch nach dem Süden, in das Land der hohen Baumstämme. Das war eine besonders schöne Fahrt, auf der ich eine ganz andere Seite Australiens kennenlernte. Wir wohnten bei Freunden, die eine große Apfelplantage besaßen, und erfuhren alles über die Schwierigkeit, Arbeitskräfte zu finden, über die unaufhörliche harte Plackerei, welche der Mangel an Arbeitskräften zur Folge hat. Endlich fuhren wir wieder nach Perth zurück und machten uns nun ernsthaft daran, die Vorbereitungen für die Auswanderung zu treffen.

Mein Bruder hatte noch zwei wissenschaftliche Schriften für die Royal Society abzuschließen, ehe er wegging; während er daran arbeitete, sah ich mich plötzlich unbeschäftigt. Ich bekam ein bißchen Heimweh nach meiner Familie, nach meinen zwei kleinen Enkelkindern und nach der Tochter, die nun bald wieder ein Kind bekommen sollte. Ich weiß noch, wie ich am Ufer des reizvollen Swan-Flusses in der Frühlingssonne saß und mir vorzustellen versuchte, was sie nun gerade alle treiben mochten. Dann stand ich abrupt auf und sagte zu mir selbst: »Sitz nicht herum und laß den Kopf hängen. Tu etwas! Schreib endlich das Buch, das du schon dauernd schreiben wolltest. Jetzt kannst du dich nicht darauf hinausreden, du hättest keine Zeit dazu.«

Ich ging nach Hause und begann noch am selben Abend >Frühstück um Sechs<.

Das Manuskript war noch vor meiner Abreise aus Perth beendet, denn ich pflege schnell zu arbeiten — wieder >diese fatale Leichtigkeit< — , aber erst nach meiner Heimkehr tippte ich es ins reine. Ich machte die Reise getrennt von meinem Bruder, weil dieser mit seinem Sohn über Land fuhr, während ich nach Sydney flog, dort eine angenehme Woche im Hotel wohnte und meine Tage gemeinsam mit einer Freundin verbrachte, die ich in Neuseeland kennengelernt hatte und die mir das Leben in Sydney von so unglaublich vielen Seiten zeigte, wie es nur jemand tun kann, der viele Jahre in dieser Stadt gelebt hat.

Meine Heimkehr war genauso, wie ich sie mir erträumt hatte, sogar noch schöner, weil nun kein schwerer Abschied von meinem Bruder, der bald folgen würde, auf mir lastete. Ich hatte vor meiner Abreise meinen Wagen verkauft, und nun erwartete mich ein neuer in Hamilton. Walter konnte Autos nicht leiden und hatte sich immer geweigert, fahren zu lernen. Inzwischen war sein Gehör zu schlecht, um es nachzuholen, doch während meiner Abwesenheit war Jenny, die einen Wagen besaß, die meiste Zeit bei ihm geblieben.

Ich holte also meinen brandneuen Wagen in Hamilton ab und kam mir geradezu großartig vor. Die Zeiten, wo wir uns mühsam die Pekanui hinaufgewürgt hatten, immer in Sorge, Jezebel könnte jeden Moment ihren Geist aufgeben, waren nun endgültig vorbei.

Ich hatte es mir ausgebeten, auf diese Weise heimzukehren, nicht abgeholt zu werden, sondern meine ganze Familie in unserem Haus im Busch vorzufinden. Es macht mir Spaß, sie von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, daß es keineswegs ein Mitglied der liebenden Familie war, welches mich zuerst begrüßte, sondern ein zwölfjähriges Schaf, das wir als Haustier hielten. Es war das reizendste Schaf, das ich je kannte, und auch das häßlichste. Ich hatte es mit der Flasche großgezogen; seither hing es zärtlich an mir. Es muß einen Rekord aufgestellt haben, zumindest für ein Hausschaf, denn es lebte fünfzehn Jahre und bekam jedes Jahr Zwillinge, ausgenommen einmal, als es den Kopf verlor und Drillinge warf. Walter, der es heimlich liebte, tat immer fürchterlich beschämt über sein Aussehen. Er behauptete, es sähe aus wie eine altmodische Wäschemangel und sei nur darauf aus, gerade dann sich in den Vordergrund zu drängen, wenn jemand kam, um sich seine Zucht anzusehen. In dieser dunklen Nacht hörte es wohl meinen Signalruf, als ich mich dem Gatter näherte, und kam mit einem begeisterten >Mäh-mäh-mäh< zum Zaun gelaufen.

Mein Bruder traf etwa einen Monat später ein. Wieder begann damit für uns ein neuer Lebensabschnitt. Trotz unserer heftigen Proteste bestand er darauf, einen großen Raum eigenhändig zu bauen. Es sollte ein Anbau — ich beleidigte ihn, indem ich es einen Auswuchs nannte — an sein Schlafzimmer sein, in dem er alle seine Bücher unterzubringen gedachte und das er als Studio gebrauchen wollte. Es hatte den Vorteil eines eigenen Einganges, der vor allem als Ausgang dienen sollte und diente, wenn er vor Besuchern zu flüchten wünschte. Der Vorschlag dazu stammte von Walter, der von der gleichen Annehmlichkeit unseres Schlafzimmers nur zu gern Gebrauch machte.

Wir versuchten meinen Bruder zu überreden, einen richtigen Handwerker für diese Arbeit zu engagieren, aber er bestand darauf, daß dies etwas war, was man selbst machen mußte. Nebenbei war er auch noch ziemlich stolz auf seine Fähigkeiten als Zimmermann. Es war offensichtlich, daß ihm nach all den Jahren wissenschaftlicher Arbeiten gerade die Beschäftigung mit simplen, materiellen Dingen Freude machte. Er kaufte ein Stück Land und legte einen großartigen Gemüsegarten an, auf den er enorm stolz war. Er erlaubte mir nie, mich irgendwie mit diesem Garten zu beschäftigen, sondern verkündete kurz angebunden: »Sag mir, was für ein Gemüse du willst, dann wirst du es zur rechten Zeit auf deinem Küchentisch finden.« Nach all den Jahren der Mühe im Gemüsegarten war das für mich ein nie geahnter Luxus.

Wir waren ein glückliches Trio. Nun herrschte wieder Lachen und Fröhlichkeit im Haus, wie in früheren Tagen. Beide, Walter und mein Bruder, besaßen einen sich blendend ergänzenden Humor, dessen Opfer meistens ich war. So, wie die zwei wie Pech und Schwefel gegen mich zusammenhielten, verteidigten sie mich auch gegen den Rest unserer kleinen Welt.

Sobald der Alltag wieder eingekehrt war, machte ich mich daran, mein Manuskript von >Frühstück um Sechs< ins reine zu schreiben. Dann schickte ich es nach England an einen Freund, der damals in London lebte. Weil es sich auf eine bescheidene Weise als Bestseller erwies, mußte ich später oft hören: »Für Sie war es natürlich leicht.« Man darf mir glauben, daß es das nicht war! Es stimmt, daß ich eine Anzahl von Kurzgeschichten geschrieben habe, die in fünf Sammelbänden veröffentlicht worden waren, ebenso drei kleine Sammelbände mit Einaktern, die ursprünglich auf die Bitte von Miss Jerome Spencer für die >Women’s Institutes< verfaßt worden waren. Doch all das machte es keineswegs einfacher, einen Roman in London verlegt zu bekommen. Mein einziger Vorteil war, daß ich dort Freunde hatte, die das Manuskript herumschickten, so daß es nicht nach jeder Ablehnung wie ein Bumerang zu mir zurückkam.

Ich hatte mich an keine Agentur gewandt, obwohl das auf eine solche Entfernung eigentlich das Klügste ist, was man tun kann. Statt dessen übergaben meine hilfsbereiten Freunde das Manuskript einem Verlag und warteten das Resultat ab. Der erste Verlag lehnte es schlicht ab. Der zweite erklärte, es sich bis Weihnachten überlegen zu müssen. Aber zu diesem Zeitpunkt war das Buch bereits durch Hurst and Blackett, eine Tochtergesellschaft von Hutchinson’s, veröffentlicht und sofort neu aufgelegt worden.

Der Verlag hatte nur eine Bedingung gestellt — das Buch sollte unter meinem richtigen Namen erscheinen, der, wie sie erfahren hatten, in Neuseeland nicht mehr ganz unbekannt war. Mir sagte das nicht besonders zu. Ich hätte eine komfortable Anonymität vorgezogen und würde das immer noch. Doch da die Verleger es zur Bedingung machten, blieb mir keine andere Wahl.

Über den Titel des Buches wurde viel hin und her diskutiert. Ich weiß nicht mehr, welchen ich ursprünglich dafür vorgesehen hatte; doch welchen auch immer, der Verlag war nicht damit einverstanden. Schließlich erhielt ich ein Telegramm: »Titelvorschlag >Laughter in the Hills<«. Gelächter in den Bergen... Augenblicklich packte mich die blöde Vorstellung von kichernden Zwergen und Elfen. Voller Entrüstung und mit der Sparsamkeit, die meine Schwäche ist, was Telegramme betrifft, telegrafierte ich zurück: »Gefällt mir nicht«, worauf eine Stockung entstand. Man bat mich einen anderen Titel zur Wahl vorzuschlagen, doch meine Inspiration versagte restlos. Dann, eines Morgens, als wir alle ein hastiges Frühstück zu einer entsetzlich frühen Stunde zu uns nahmen, meinte Jenny, die zufällig bei uns war: »Warum gibst du deinem Buch nicht den Titel Frühstück um Sechs

Das schien die Lösung zu sein! Schon am nächsten Tag kabelte ich diesen Titel an meinen Verleger, der ihn akzeptierte. Das Buch war bereits im Druck, so daß keine Möglichkeit mehr bestand, irgendeinen meiner Helden ein Frühstück um Sechs einnehmen zu lassen. Das war ein Grund für Airini Woodhouse, die den exakten und peinlich genauen Standpunkt der Geschichtsschreiber einnimmt, sich öfter als einmal darüber zu beklagen, daß nirgendwo im Buch ein Frühstück um diese spezielle Stunde stattfindet.

Nun, ich hatte wieder einmal Glück. Frühstück um Sechs sprach einen breiten Leserkreis an. Es wurde schnell hintereinander mehrmals neu aufgelegt. Den Leuten schien es zu gefallen.

Dann passierte etwas wirklich Überraschendes: Es wurde von Goldmann, einem Münchner Verlag, angekauft. Ich kann es bis heute nicht verstehen oder fassen, warum meine Bücher den deutschen Leser ansprechen sollten. Doch daß es so war, ist ein glücklicher Umstand für mich, denn die Autoren-Tantiemen, so glaube ich, waren aus dieser Quelle reichlicher als anderswo.

Ich erhielt einige reizende Briefe aus Deutschland — ein junger Mann unterschrieb mit >Your great Fan from old Germany<. Zu meinem Glück waren die meisten in Englisch geschrieben. Zuerst traute mir der Goldmann Verlag eine Fähigkeit zu, die ich nicht besaß, und verfaßte seine Briefe in Deutsch. Ich habe tatsächlich einmal eine kurze und äußerst hektische Zeitlang Deutsch in der Schule gelernt. In sechs Monaten brachte ich es immerhin so weit, daß es zur Aufnahmeprüfung gereicht hätte; doch dann, nicht allzu verwunderlich, wurde es mir zuviel und ich gab es auf. Danach hatte ich alles, was ich eingepaukt hatte, fast ebenso schnell wieder vergessen, weshalb es mir nicht gelang, Goldmanns Briefe zu entziffern.

Es war peinigend. Ich konnte die Worte Breakfast at Six lesen — ohne viel Schwierigkeiten, weil sie in Englisch waren — , aber sonst kaum etwas. Nun, wir besaßen ein deutsches Lexikon, und damit machte ich mich an die Arbeit. Doch irgend etwas ging schief. Als ich so weit war, daß ich >Taufwein< entziffert hatte, mußte ich meine Niederlage eingestehen und schickte den Brief zu einer deutschen Freundin, die ihn mir übersetzte. Überflüssig zu erwähnen, daß weder von Wein noch von Taufe oder etwas dieser Art die Rede war. Er enthielt die erfreuliche Nachricht, daß mein Buch vom Verlag angekauft worden war und daß man davon 15 000 Exemplare für die erste Auflage in Druck gegeben hatte.

Seither hat der Goldmann Verlag die Fortsetzung Mittagessen Nebensache erworben und in der Folge die beiden Bücher in einem Band verlegt. Der gleiche Verlag veröffentlichte noch mehrere meiner anderen Bücher, und aus meiner Sicht gesehen, hat sich die Verbindung als eine absolut erfreuliche erwiesen. Frühstück um Sechs wurde außerdem noch in Holland herausgegeben und erschien als Fortsetzungsroman in einem dänischen Magazin. Alles ungemein befriedigend und einträglich, aber bis heute habe ich meine Überraschung darüber nicht überwunden.

Wenn man erst einmal das Glück hatte, ein Buch zu schreiben, wie unbedeutend es auch sein mag, das sich gut verkauft, ist es nicht mehr schwierig, einen Verleger zu finden für das zweite. Ich war natürlich durch den üblichen Vertrag, die nächsten zwei Manuskripte, >Hurst and Blackett<, zu überlassen, gebunden, weshalb dort Yours to Oblige und Es tut sich was im Paradies veröffentlicht wurden. Das letztere wurde ebenfalls von Goldmann erworben. Die Verleger schärften mir ein: >Sie müssen einen Erfolg ausnützen<, weshalb das zweite Buch, Yours to Oblige, ein Jahr nach dem ersten folgte. Seit damals entstand eine lange — ich hoffe nicht ermüdende — Reihe dieser heiteren Romane, die meist vom Leben im Busch oder mindestens auf dem Lande handelten. Ich bin oft gefragt worden, warum ich nicht über die Großstadt schreibe, über das Universitätsleben, das einst auch meines war. Ich kann dazu nur so viel sagen, daß man über das schreiben soll, was man am besten kennt und am meisten liebt. So glücklich die vergangenen Zeiten damals waren, die Jahre im Busch waren noch glücklicher. Der Busch, die Farmen auf den Bergen, die Sandbuchten der Westküste, die krummen Landstraßen von King Country — all das liegt mir mehr am Herzen und wird es immer tun.

Mit einem Buch pro Jahr, einem wöchentlichen Artikel für den Dunedin Star und gelegentlichen, journalistischen Beiträgen war mein schriftstellerisches Dasein gut ausgefüllt. Es nahm immer noch den zweiten Platz gegenüber diesem anderen Leben ein, das ich mit meinem Mann und meinem Bruder teilte; das, in welchem >die Kinder< — nun alle verheiratet und mit eigenen Familien — eine so wichtige Rolle spielten. Schreiben war wichtig; aber nie so wichtig, wie ein angenehmes Haus zu führen und gute Mahlzeiten für meine beiden Männer zu kochen; nicht so wichtig, wie einer Tochter, die mich brauchte, beizustehen, oder Freunde zu Gast zu haben.

Sehr oft wurde es sogar weit in den Hintergrund geschoben, bis ich zufällig einen Blick auf den Kalender warf und einen lauten Schrei von mir gab: »Mein Artikel für den Dunedin Star ist fällig!« Oder noch schlimmer: »Ich muß nächste Woche mein neues Buch abschicken!« Dann kam es zu dem, was Walter immer >die übliche Krise< nannte. Ich stand früh auf und schrieb bis tief in die Nacht hinein, erklärte meinen Freunden, daß ich zu beschäftigt sei, um auszugehen, und einmal, der Aussage meiner Familie nach, soll ich sogar geschrieben haben: >Wenn einer von euch jetzt die Absicht hat, krank zu werden, muß er das in seinem eigenen Haus tun.< Aber das, dessen bin ich sicher, ist nichts weiter als üble Nachrede. Im allgemeinen schaffte ich es, das Manuskript pünktlich abzusenden, aber immer nur mit Hängen und Würgen und auf Kosten meiner Nerven.

Daß nun mein Bruder mit uns lebte, hatte alle möglichen angenehmen Folgen. Alle seine Söhne besuchten uns zu verschiedenen Zeiten: der Arzt aus Kalgoorlie, der Ingenieur aus Melbourne, der Graduierte aus Oxford. Wir freuten uns sehr darüber, sie alle kennenzulernen, und sie hinwiederum waren froh, ihren Vater so munter, so beschäftigt und so in sich gefestigt zu sehen. Für einige Jahre meinte es das Leben wirklich recht gut mit uns.

Dann traf uns ein Unglück, das schon seit einiger Zeit drohte. 1954 wurde meine Schwester sehr krank; zu krank, um so weit von uns entfernt zu sein. Sie und ihr Mann verließen ihr Haus in Ohope und kamen zu uns zurück. Doch nicht für lange. Die Herzschwäche, die sich schon seit einiger Zeit immer mehr verschlimmert hatte, wurde nun akut, und meine Schwester starb in unserem Haus, liebevoll gepflegt von meinen Töchtern. Sie hatte sehr an ihnen gehangen; da sie selbst keine Kinder besaß, hatten die meinen diese Lücke bei ihr ausgefüllt. Sie vergalten es ihr mit Liebe und teilten mit ihr alle Freuden und Kümmernisse. Ihr Tod war eine Tragödie für sie und ein bleibender Kummer für mich.