Die Amateurköchin
Was auch immer jemandes Job sein mag, es ist stets das gleiche — man muß sich daran gewöhnen. Das gilt natürlich auch für Hausarbeit und die Probleme der Lebensmittelbeschaffung im Busch. Ich stand diesen Anforderungen zuerst ratlos gegenüber, aber brauchte schließlich nicht allzu lange, um damit fertig zu werden. Jede Frau ist im Grunde durchaus fähig, mit all den Schwierigkeiten, die sich unter solchen Umständen ergeben können, zurechtzukommen, es sei denn, sie ist ein intellektuelles Genie oder eine Idiotin, in welchen Fällen man natürlich Nachsicht walten lassen muß. Heutzutage dürfte es einer jungen, unerfahrenen Frau kaum passieren, mit solchen Problemen konfrontiert zu werden, weil sich das Leben im Busch vor fünfzig Jahren gewaltig von dem heutigen Landleben unterscheidet. Ich bin ehrlich froh für diese jungen Frauen und nicht zuletzt auch für deren Ehemänner.
Ich war bestimmt ein strahlendes Beispiel dafür, wie es sich rächen kann, wenn ein junges Mädchen selbst die einfachsten Grundkenntnisse einer Haushaltführung ignoriert. Andererseits — selbst wenn ich gelernt hätte, wie man einen Stadthaushalt führt, hätte ich mit diesen Kenntnissen nicht viel anfangen können.
Im King Country dieser Jahre fing es schon damit an, daß man gezwungen war, die wenigen Lebensmittel, die man bekommen konnte, auf langen, abenteuerlichen Fahrten höchstselbst heranzuschaffen. Und wenn man sie dann schließlich zu Hause hatte, machten sie erst einmal einen vernichtenden Eindruck auf eine junge, unerfahrene Hausfrau. Ich jedenfalls hatte nie zuvor einen Sack mit einem Zentner Mehl gesehen, und der Gedanke, daß ich ihn eigenhändig zu Brotlaiben und Kuchen verarbeiten mußte, störte mich gewaltig. Nicht anders erging es mir mit den siebzig Pfund Zucker, die angeblich für Marmelade und Eingemachtes gebraucht würden, wovon man erwartete, daß ich es herstellte. Noch erschreckender wirkte der Anblick eines ganzen Hammels, der in einem Fliegenschrank im Schatten eines großen Baumes hing; denn von einem Kühlschrank konnte natürlich so wenig die Rede sein, wie von elektrischem Strom, welcher für die ersten dreißig Jahre meines Landlebens ein unerreichbarer Traum blieb. Es war abstoßend, sich vorzustellen, daß wir all das essen würden, und noch schlimmer, daß ich jedes einzelne Stück davon braten oder kochen müßte. Natürlich konnten wir manchmal einen Hammel oder ein Schaf mit einem Nachbarn teilen, und nachdem meine Schwester und ihr Mann die angrenzende Farm erworben hatten, machten wir es immer so. Aber selbst ein halber Hammel ist im Hochsommer für eine junge Frau, die bis dahin lediglich appetitlich vorbereitete Fleischkeulen gesehen hatte, die von einem freundlichen Metzgerlehrling an der Hintertür abgeliefert und dann von jemand anderem gebraten wurden, noch ein Alptraum.
Und dann war da noch dieser Herd. Wir heizten ihn selbstverständlich mit Holz, weil wir das massenhaft hatten und Kohle nicht nur bezahlt, sondern auch transportiert hätte werden müssen. Es war ausgezeichnetes Holz vom Ratabaum, und Walter sorgte, ganz im Gegensatz zu den meisten Farmern, gewissenhaft dafür, daß genug davon griffbereit war, sowohl für den Herd wie für den offenen Kamin. Ich scheine die einzige Frau in dem ganzen Bezirk gewesen zu sein, die nie mit der Axt zu arbeiten brauchte. Bei der einzigen Gelegenheit, wo ich mich damit versuchte, flog der ungespaltene Klotz über die Hecke und unserem Viehhändler an den Kopf, wodurch vorübergehend ein kleines Mißverständnis entstand.
Glücklicherweise hatte ich Mrs. Griffiths zur Nachbarin, und sie brachte mir bei, wie man mit diesem Herd umzugehen hatte. Selbstredend hatte man damals von einem Thermometer noch nicht einmal etwas gehört; man schichtete die Scheite aufeinander, zündete an und versuchte zu erraten, wann die Hitze richtig war. Als Mrs. Griffiths ihre Instruktionen, wieviel Hitze man für Fleisch, Brot oder Scones benötigt, beendet hatte, fügte sie noch nachdenklich hinzu: »Ja, diese Herde sind wirklich nicht schlecht, aber...« hier brach sie ab und fuhr dann ein wenig unklar fort, »wenn nur die Ofenrohre nicht wären.«
Aber die Ofenrohre waren, und wenn ich je einen Job in meinem neuen Leben von Herzen haßte, dann war es das Reinigen der Ofenrohre. Wie vorsichtig ich auch immer vorging, der Ruß schien einfach überall einzusickern: in meine Nase, in jeden Teil meiner Haare, der nicht bedeckt war, auf den Küchenboden und durch jeden Spalt im Wandschrank. Zu dieser Arbeit pflegte ich mich in der Küche einzuschließen — im Winter eingemummt wie zu einer Expedition auf den Nordpol, im Sommer nur mit einem Badeanzug bekleidet — , und wenn dieser miserable Job schließlich beendet war, schrubbte ich alles Erreichbare ab, zuletzt mich selbst.
»Wo bekommt man hier Brot?« erkundigte ich mich bei Mrs. Griffiths an jenem ersten Tag, da sie mich besuchte, und ihre Antwort jagte mir keinen geringen Schreck ein. »Oh, hier bekommt man keines. Sie müssen es selbst machen. Ich werde Ihnen etwas Hefe herüberschicken, damit Sie anfangen können.«
Damit ich anfangen konnte! Mir, die ich bisher niemals hausgebackenes Brot gesehen oder gegessen hatte, sagte das gar nichts. Ich gestand es ein bißchen beschämt ein, und sie meinte, ohne das geringste Erstaunen zu zeigen: »Natürlich nicht! Wie sollten Sie auch, wo Sie doch immer in der Stadt leben. Aber ich werde Ihnen zeigen, wie man es macht.« Und das tat sie.
Ich brauchte einige Zeit, bis ich es lernte, und ein oder zwei Mißerfolge blieben nicht aus. Selbstverständlich war gepreßte Hefe hier nirgendwo erhältlich; wir mußten unsere eigene aus einer Mischung von Hopfen und Kartoffeln und einem >Starter< herstellen — das heißt, mit geliehener Hefe. Mrs. Griffiths überließ mir welche von ihrer und sagte mir, wie ich meine eigene machen konnte. »Dann stellen Sie die Flaschen auf den Kaminsims, wo sie noch ein bißchen Wärme vom Herd abbekommen.«
Genau das tat ich. In der ersten Nacht wurden wir beide von einem Knall aus dem Schlaf gerissen. Einbrecher! Wahrscheinlich zwei, die sich nun gegenseitig beschossen, war mein erster Gedanke. Walter sprang mit einem unterdrückten Fluch aus dem Bett. Noch bevor er die Kerze anzünden konnte, hörten wir einen zweiten Schuß. Ich umklammerte angstbebend seinen Arm. »Geh nicht! Bitte, geh nicht! Sie haben sich sicher schon gegenseitig erschossen!« stammelte ich hysterisch.
Er ging in die Küche, doch ein Luftzug löschte die Kerze, bevor er dort eintrat. Als er sich im Dunkeln weitertastete, geriet er mit der Hand in eine klebrige, schmierige Masse, die über den ganzen Herd verteilt war. Er war ein bißchen gereizt, als er zurückkam, mußte aber trotzdem lachen. »Diese verdammte Hefe war es! Zwei Flaschen explodierten. Die ganze Küche klebt von dem Zeug.« Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich, anstatt ihn zu bedauern und ihm zu helfen, den Herd zu säubern, nur triumphierend sagte: »Dann hat es also funktioniert! Das ist ja prima!«
Ein andermal versuchte ich Brotteig zu kneten, ohne ausreichend Wasser dazuzugeben. Er war zu trocken, und der ganze Troginhalt bestand aus lauter Klumpen, die sich hartnäckig weigerten, sich miteinander zu verbinden. Ich vergoß eine heimliche Träne bei meinem vergeblichen Bemühen, bis Walter hereinkam, mir den Trog wegnahm und den gesamten Inhalt über die Hecke kippte. »Du bist erst einen Monat verheiratet und weinst wegen dem blöden Brot! Wir werden Scones essen«, erklärte er fest. Aber ich hörte ihm nur halb zu, weil mir ein fürchterlicher Gedanke kam. »Die Enten!« schrie ich, und wir rannten beide hinaus. Wir kamen gerade noch zurecht, unsere sechs wunderschönen Enten, die wir erst vor einer Woche gekauft hatten und die sich nun begeistert auf die teigige Masse stürzten, vor dem Erstickungstod zu bewahren.
Ohne Zweifel gab es vor fünfzig Jahren beim Brotbacken einige Fallen, in die man unversehens stolpern konnte. Das Wichtigste war, den >Starter< zu mixen, welcher aus einer Flasche Hefe, etwas Mehl und warmem Wasser bestand und den man als eine Art Ei mitten in das Mehl im Trog setzte. Dann ließ man den Trog die ganze Nacht in der Nähe des Herdes stehen, fügte am Morgen warmes Wasser hinzu und knetete die Zutaten zu einem Teig, den man so lange >gehen< ließ, bis er den ganzen Trog ausfüllte, knetete ihn wieder und gab ihn in die Brotformen. Wenn er ein letztes Mal >gegangen< war, wurde er gebacken und dann — wie eine Freundin, die mir einmal dabei zusah, bemerkte »brach die Hausfrau zusammen und verschied.«
Das muß alles einen recht umständlichen und überflüssigen Eindruck auf Leute machen, die fertige Hefe benützen und in ein paar Stunden Brot für eine Woche machen, >weil es viel besser schmeckt als das fertig gekaufte Zeug<. Aber in meiner Jugend war das die einzige Möglichkeit, im eigenen Haus Brot zu backen.
Eines Morgens, als unser Haus bis oben hin voll mit Besuchern war, stand ich früh auf, um den über Nacht angesetzten Brotteig zu kneten. Doch der verflixte >Starter< hatte nicht funktioniert. Das war ein ziemlicher Schlag, weil meine Brotvorräte aufgebraucht waren. Nun mußte ich auch noch vor dem Frühstück Scones backen! Unvorsichtigerweise hatte ich es mir nicht versagen können, ein bißchen mit den Vorzügen von hausgebackenem Brot vor meinen Gästen anzugeben! Außerdem war meine Karriere als Hausfrau noch so neu, daß ich mich durch den Mißerfolg gedemütigt fühlte. Ich beschloß also, meine >Schande< zu verheimlichen, weshalb ich in den Garten ging und das Zeug vergrub. Aber das Grab war flach und die Sonne heiß. Kurz vor Mittag kam einer meiner Gäste aufgeregt ins Haus gelaufen, um über ein Phänomen im Garten zu berichten. Irgendwelche geheimnisvollen Samen waren ganz plötzlich an einer freien Stelle aufgegangen! Der Brotteig hatte sich auf seine Pflicht besonnen und war nun doch noch >gegangen<, allerdings zu spät.
Ich brauchte wirklich nicht übermäßig lange, bis ich die Meisterschaft, Brot zu backen, beherrschte, und ich schmeichle mir, ganz besonders delikates Brot gemacht zu haben. Es war ein stolzer Augenblick für mich, als ich anderen meine Methode beibrachte. Später, als wir näher an der Stadt lebten und ich gepreßte Hefe kaufen konnte, war es natürlich viel einfacher. Trotzdem fand ich es nicht halb so befriedigend. Es gelang mir nie wieder, so delikates Brot zu machen wie damals mit der altmodischen Flaschenhefe.
Butter stellte eine weitere Hürde dar. Wir kauften gleich zu Beginn eine Kuh, und ich war erfüllt von ehrgeizigen Plänen. Ich sah mich schon einmalig schöne gelbe Bauernbutter herstellen, denn wir hatten bereits ein Butterfaß erstanden. Der erste Versuch mißlang hundertprozentig, das Ergebnis ließ sich nicht einmal zum Kochen verwenden. Erst als sich Mrs. Griffiths meiner erbarmte und mir zeigte, wie man die Flüssigkeit loswurde, gelang mir endlich die Butter, von der ich geträumt hatte. Sogar heute erröte ich noch, wenn ich daran denke, wie ich einmal in einem Anfall von Idiotie warmes statt kaltes Wasser in das Butterfaß goß, worauf natürlich der gesamte Inhalt des Butterfasses durch den Ausgußablauf verschwand. Walter kam gerade dazu, wie ich den Wasserhahn aufdrehte und den Rest hinunterspülte, und lachte: »Nun, jedenfalls wäre es gut gewaschene Butter gewesen«. Aber ich lachte diesmal nicht mit.
Ich glaube, während dieser ersten Monate unserer Ehe, wo ich mich so einsam fühlte und all diesen Haushaltsproblemen so ratlos gegenüberstand, mußte Walters Geduld manche Zerreißprobe bestehen. Eines Nachmittags, als ein Nachbar zum Tee kam — man stellte natürlich sofort den Kessel auf den Herd, sobald jemand am Horizont zu erblicken war fiel mir ein, daß es weder Brot noch Kuchen im Haus gab. Wir waren erst wenige Wochen verheiratet, und ich hatte mich noch nicht daran gewagt, Scones zuzubereiten; doch nun entschied ich, daß der richtige Augenblick dafür gekommen war. Walter widersprach. »Was hast du denn gegen Biskuits einzuwenden?« Aber ich entgegnete selbstherrlich, daß sich nur schlechte Hausfrauen mit Biskuits behelfen.
In meiner Eile oder Unwissenheit muß ich doppelte Menge Backsoda genommen haben, denn die Existenz von Backpulver war mir damals noch nicht bewußt geworden. Die Scones wurden safrangelb und so abscheulich wie nur möglich. Ich flüchtete, von Scham und Enttäuschung vernichtet, in mein Zimmer. Walter fand mich dort, und ich höre heute noch seine Stimme, als er mir Trost zusprach: »Nun, sag mal, was soll denn mit diesen Scones nicht stimmen? Sie sind ausgezeichnet. So komm schon! Old P. wartet darauf, dich kennenzulernen.« Das tat ich denn auch und ließ Old P. nicht aus den Augen, wie er sich mit offensichtlichem Appetit über die fürchterlichen Scones hermachte. Später erfuhr ich, daß er Junggeselle war und ausschließlich von gekochtem Sago lebte.
Nach den Fehlschlägen der ersten Monate wurde ich eine durchschnittlich tüchtige Hausfrau, obwohl ich natürlich niemals die von vielen meiner Nachbarinnen erstrebten Höhen, immer den Kuchenkasten gefüllt zu haben oder eine Torte im Nu >zusammenzuklatschen<, erreichte. Doch schmeichelte es mir nicht wenig, mich als >gute Wirtschaflsleiterin< beschrieben zu hören. Ich war nur ein bißchen enttäuscht, als ich erfuhr, daß dies nichts mit Finanzen zu tun hat, sondern sich lediglich auf meine bescheidene Fähigkeit, meine Familie mit gutem und nahrhaftem Essen zu versorgen, bezog.
Glücklicherweise waren die Nachbarn nicht kritisch. Damals, im Gegensatz zu heute, war es für eine Farmersfrau nichts Alltägliches, das M.-A.-Examen gemacht und bestanden zu haben. In Anbetracht dessen wurde mir viel verziehen. Wie fast immer in dünnbesiedelten Landstrichen wurden nachbarliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft mehr als anderswo gepflegt. Das ist nur zu verständlich. In der Stadt weiß man meist nicht einmal die Namen der Leute, die kaum drei Türen weiter wohnen, und vielleicht ist man sogar froh darüber. Man lebt sein eigenes Leben, und das ist völlig ausreichend.
Im Busch, vor allem in jenen Jahren, war das ganz anders. Selbst wenn man es gewollt hätte, wäre es nicht möglich gewesen. Jeder erfuhr bald, wie abhängig man voneinander war. Man gehörte zu einer Gemeinschaft, und damit wurde von jedem selbstverständlich erwartet, sich in Zeiten der Not gegenseitig beizustehen. Die Nachbarn waren die einzigen, an die man sich wenden konnte. Bei Krankheit, Tod, Unfall oder was sonst für Unglück über einen hereinbrechen mochte, standen sie einem getreulich zur Seite, und selbst tat man das gleiche. Das war ungeschriebenes Gesetz und eine vom Selbsterhaltungstrieb diktierte Notwendigkeit.
Während ich nun an meinen Erinnerungen schreibe, beeindruckt es mich zutiefst, welche unfehlbare Treue und Hilfsbereitschaft wir in Zeiten des Unglücks von allen unseren Nachbarn erfuhren. Selbst wenn sie nichts mit einem gemeinsam hatten, einen völlig anderen Hintergrund, eine andere Erziehung, vielleicht langweilten oder ärgerten sie einen sogar; doch wenn etwas schiefging, dann konnte man sich darauf verlassen, daß sie bedingungslos zu Hilfe eilten. Ich möchte es mit den Worten eines Siedlers, der noch tiefer im Busch lebte als wir, und schon vor uns dort war, ausdrücken: »Wenn wir vom Hochland nicht zusammenhalten, könnten wir nicht existieren. Es ist nicht nötig, daß man ununterbrochen zusammensteckt; man braucht sich noch nicht einmal besonders gut leiden zu können — aber wenn einer in Schwierigkeiten gerät, müssen sich alle um ihn kümmern.«
In all den Jahren meines Landlebens habe ich viele Nachbarn gekannt. Meine Erinnerungen daran wären zweifellos unvollständig, wenn ich Dermot nicht erwähnen würde. Andererseits bin ich mir im klaren darüber, daß viele seiner besten Storys verschwiegen werden müssen, weil einfach niemand sie glauben würde. Dabei fällt mir die Bemerkung eines Kritikers ein, die sich auf meine Bücher bezog: »Eine Sache fand ich aber doch ein bißchen stark übertrieben«, gestand er mir. Ich war inzwischen ziemlich erfahren in diesen Dingen und gab sofort zurück: »Sie meinen die Story von...« Er sah mich verblüfft; an. »Ja. Aber wie kommen Sie gerade darauf?« Ich mußte lachen. »Weil die Wort für Wort wahr ist. Ich hab sie selbst erlebt.« Wie es sich erweist, kann man einige der besten wahren Storys nicht erzählen, weil man sonst immer wieder zu hören bekommt: »Schade, daß sie so übertreibt.« Dermots Eskapaden waren so beschaffen, daß sie unfehlbar eine solche Reaktion hervorriefen.
Er war ein Irländer, von umwerfendem Charme, mit dem besten Herzen der Welt und absolut ohne Grundsätze. Man mußte ihn einfach gern haben — aber man konnte keinesfalls mit seiner Handlungsweise einverstanden sein, und nur ein Verrückter würde ihm getraut haben. Nicht nur, daß er vollkommen skrupellos war, er kannte auch keinerlei Schamgefühl. Die Geschichten seiner Missetaten brachten uns oft genug zum Erröten, ihn aber nie.
Er war ein großer, magerer Kerl, dunkelhäutig, mit wirrem Haarschopf, der ihm wie die Federn eines Truthahns vom Kopf abstand. Sein breites Grinsen entwaffnete jeden, und ich sehe ihn noch vor mir, wie er in Augenblicken der Ratlosigkeit seinen Haarschopf zauste und sich am Hinterkopf kratzte. Er liebte kleine Kinder und Tiere und verlor mit keinem von ihnen jemals die Geduld. Ich hielt immer an dem Glauben fest, daß er trotz allem bestimmte Ehrbegriffe anerkannte; aber erstens bin ich mir dessen doch nicht so sicher, und zweitens, wenn dem so war, dann mußten es absolut individuelle gewesen sein. Wir hofften immer, daß dennoch gewisse Grenzen für ihn existierten, die er nicht überschreiten würde. Aber es ist uns nie gelungen dahinterzukommen, wo diese Grenzen lagen.
Damals waren Autos in unserem Weltwinkel eine große Seltenheit. Dermot kaufte sich einen alten Ford. Ohne jemals am Steuer eines Wagens gesessen zu haben, fuhr er schnurstracks nach Auckland und dort mehrere Male durch die Innenstadt — und überlebte es. Und was noch erstaunlicher ist: ohne jemand totzufahren. Er hatte nicht die geringste Ahnung von Motoren und interessierte sich auch nicht dafür. Ich glaube, er lernte nie, wie man einen Reifen wechselt. So unglaublich es sich anhört, ist es doch wahr, daß er einmal mehr als eine Meile auf der Felge eines der Räder fuhr. Als diese ebenfalls auseinanderfiel, legte er den Rest des Weges auf dem, was von den Speichen übriggeblieben war zurück. Ich sehe Walter heute noch vor mir, wie er bei diesem Anblick nach Luft schnappte. »Dermot, schau dir bloß mal dein Hinterrad an! Wo ist der Reifen? Wo ist die Felge?« Er sah nach, kratzte sich am Hinterkopf, grinste und meinte: »Keine Ahnung. Wie ich losfuhr, war noch alles dran.«
Er lernte nie rückwärtszufahren; andererseits jedoch bewegte er sich mit seiner alten Karre voller Selbstvertrauen auf diesen miserablen, gefährlichen Straßen, ohne sich jemals auch nur um die grundsätzlichen Kenntnisse der Fahrkunst bemüht zu haben. Einmal, als ich mit ihm fuhr, kam uns auf einer ganz besonders engen Straße ein Lastwagen entgegen. Es war zweifellos Dermots Pflicht, Platz zu machen, doch er stieg aus und ging mit seinem einnehmenden Lächeln auf den Lastwagenfahrer zu: »Hör mal, alter Junge, macht es dir was aus, zurückzustoßen? Ich weiß, daß es eigentlich an mir ist, Platz zu machen; aber die Wahrheit ist, ich kann es nicht. Ich bin einmal mit meinem Wagen zurückgestoßen und fuhr dabei mein eigenes Kind tot. Der arme Kleine spielte hinter dem Wagen. Seither kann ich einfach nicht mehr rückwärtsfahren. Du verstehst doch, wie?«
Ich saß wie gelähmt auf meinem Sitz und beobachtete die Wirkung dieser haarsträubenden Lüge. Der Fahrer, welcher verärgert wegen des Aufenthaltes schon angefangen hatte, finster dreinzuschauen, zerschmolz vor Mitgefühl und begann augenblicklich mit dem schwierigen Manöver, sein schweres Fahrzeug zurückzusetzen, bis er eine Stelle erreichte, wo es möglich war, auszuweichen. Ich hoffte nur, daß er nie erfahren würde, daß Dermot keine Kinder hatte und niemals welche gehabt hatte.
An einen seiner Streiche erinnerte man sich noch lange in der ganzen Gegend, obwohl ihn glücklicherweise niemand mit seiner Person in Verbindung brachte. Als er einmal im Winter in Te Awamutu war, traf er dort einen Bekannten. Völlig grundlos begann er folgende Unterhaltung mit ihm: »So’n Pech, das mit dem armen alten Jim, was?« »Jim, was ist los mit ihm? Sag bloß nicht, der alte Junge ist krank?« »Wenn’s nur das wäre!« entgegnete Dermot, dem die Unterhaltung anfing Spaß zu machen. »Vergangene Nacht hat es ihn erwischt. Ganz plötzlich. Innerhalb einer Minute war er tot. Schlimm, was? Die Beerdigung ist morgen.«
Dann verließ er klugerweise die Stadt.
Natürlich erfuhr bald jedermann dort die Trauerkunde von Jims plötzlichem, unerwartetem Ableben, und die Folge davon war, daß am nächsten Tag zwei Kutschen, beladen mit Männern, siebenundzwanzig Meilen über fürchterlich schlechte Straßen fuhren, um an der Beerdigung teilzunehmen. Sie trafen am Tor des Trauerhauses ein, um dort von Jim persönlich empfangen zu werden. Vom Schreck verwirrt, platzten sie mit der ganzen Geschichte heraus. »Aber, wer, zum Teufel, hat solch einen Blödsinn verbreitet?« schrie Jim. Wieder einmal hatte Dermot Glück. Die Männer schauten sich gegenseitig verblüfft an. Wer hatte dieses Gerücht in Umlauf gebracht? Keiner konnte sich mit Sicherheit erinnern. »Nun gut, ich bin nicht tot«, stellte Jim wütend fest. Er war derart verärgert, daß er, normalerweise ein gastfreundlicher Mensch, die Tauergäste nicht einmal zu einer Tasse Tee in sein Haus bat.
Dermot erzählte uns, breit grinsend und sich mehrmals den Kopf kratzend, die Geschichte. Wir hörten entsetzt zu und mußten die ganze Zeit an diese lange Fahrt in Schnee und Regen über die abscheulichen Straßen denken. Man brauchte nicht unbedingt Phantasie dazu, um sich vorstellen zu können, wie wütend die Männer sein mußten. »Das Schönste an der Geschichte ist, daß sich keiner mehr an mich erinnert«, sagte Dermot befriedigt.
»Sag mir, warum du so etwas tust?« fragte ihn Walter, der ausnahmsweise einmal neugierig war, was das Motiv zu einem solch ausgefallenen Streich sein konnte.
Dermot starrte einen Moment vor sich hin, dann zuckte er die Achseln. »Wenn ich die Wahrheit sagen soll — ich habe keine Ahnung!«
Walter bemerkte später zu mir, dies beweise, daß er einfach >nicht alle Tassen im Schrank< habe.
Ich sah die Sache nicht so ernst, weil ich zumindest eine nebelhafte Ahnung von Dermots Art von Humor hatte. Doch ich behielt meinen Kopf oben und sagte einigermaßen streng zu diesem unverantwortlichen Spaßvogel: »Schön, Sie mögen es komisch finden, aber an Ihrer Stelle würde ich den Mund halten darüber. Weiß Gott, die sind bestimmt so wütend, daß sie größte Lust hätten, Sie zu lynchen. Und ich könnte es ihnen noch nicht einmal übelnehmen.« Dermot grinste nur zustimmend.
Er hielt sein Wort. Erst einige Jahre nach seinem Tod wagte ich es, diesen speziellen Streich unseres Nachbarn weiterzuerzählen.
So sehr er einen auch ärgern konnte, man mußte ihn trotzdem gern haben. Unsere Kinder liebten ihn sehr; zum Teil, vermute ich, deshalb, weil er eigentlich gleichaltrig mit ihnen zu sein schien. Immer war er freundlich und mitfühlend mit ihnen und stets bereit, bei ihren Spielen mitzumachen. Zugegeben, seine Vorstellung von Spaß ging manchmal ein bißchen weit; wie damals zum Beispiel, als er meinen vier Jahre alten Sohn einem einjährigen Kälbchen auf den Rücken setzte, welches natürlich mit ihm den Berg hinauf galoppierte und dabei seine Last sofort und ziemlich schmerzhaft abwarf.
Als ich ihm Vorstellungen machte, lachte er bloß und meinte: »Das ist nicht halb so schlimm wie das, was Omar passierte.« Omar war eine wunderschöne und ziemlich bösartige persische Katze, an der Dermot zärtlich hing. Doch seine unleugbare Liebe zu Tieren hielt ihn keineswegs davon ab, alle möglichen Streiche mit ihnen anzustellen. So hatte er damals einen jungen Bullen im Gehege eingesperrt. Omar strich schnurrend um Dermots Beine, der gerade dabei war, sich am Anblick seines Bullen zu erfreuen. Da kam ihm eine Idee, der er einfach nicht widerstehen konnte. Er hob plötzlich die Katze hoch und setzte sie dem Bullen auf den Rücken. Der, nicht faul, nahm den Zaun mit einem einzigen, mächtigen Sprung... »und Omar klammerte sich mit jeder einzelnen Kralle an ihm fest«, erzählte er mir lachend.
Mir blieb die Luft weg. »Wie ging es aus?« fragte ich entsetzt.
»Wenn ich das wüßte! Die beiden verschwanden über den Berg, Omar immer noch auf dem Bullen, und die beiden ließen sich so an. die zwei Tage nicht mehr blicken. Dann kamen sie schließlich zurück, ganz unbeschadet — aber, stellen Sie sich bloß vor, was die erzählen könnten!«
Einige von den anderen Nachbarn hatten nicht so viel Geduld mit Dermot wie Walter. Ganz besonders irritierte er einen überdurchschnittlich tüchtigen Farmer, dem aber leider jeder Funke Humor abging. »Man weiß nie, was der Kerl als nächstes anstellen wird«, beklagte er sich gereizt. »Ich habe ihn endgültig aufgegeben.«
Dann berichtete er uns Dermots neueste Missetat. In der Nacht der großen Feuerkatastrophe war Dermot in Te Awamutu. Da sich jedes Haus und jede Farm in Gefahr befand, hatte dieser Nachbar trotz aller Aufregung Zeit und Mühe geopfert, Dermot per Telefon im Hotel dort ausfindig zu machen, wo er sich offenbar in bester Laune einen hinter die Binde goß. »Dermot, hier ist die Hölle los! Der ganze Busch steht in Flammen.«
»Wunderbar!« kam es fröhlich über die Leitung. »Blas es bloß nicht aus, bevor ich heimkomme.«
Der ein bißchen engherzige Farmer vergab ihm nie.
Dermot war, meiner Meinung nach, unser originellster Nachbar. Aber wir hatten noch einen guten Freund, der unser Leben dort leichter und heiterer machte. Dieser war, wie sich herausstellte, ein sehr entfernter Verwandter meines Mannes, den wir auf unserem ersten Ritt nach Kawhia kennenlernten. Wir hatten mit unseren Pferden die Schlammbänke überquert und machten nun am Ufer des Te-Puti-Flusses, der recht unangenehm hoch aussah, halt. Während wir warteten, kam ein Reiter heran, der, wie wir bemerkten, ein paar Krücken vor seinem Sattel festgebunden hatte. Seine Begrüßung in einer bemerkenswert kultivierten Ausdrucksweise überraschte uns.
»Sollen wir hier den Fluß überqueren oder erst ein Stück weiter unten?« erkundigte ich mich, ein bißchen ängstlich.
»Versuchen Sie es besser ein Stück weiter unten«, schlug er vor.
»Obwohl es auch hier lächerlich einfach ist, hinüberzukommen«, fügte er nonchalant hinzu.
Schon in dieser Minute begann unsere Freundschaft. Erst viel später entdeckten wir, daß Walter und er eine gemeinsame Großmutter besaßen.
Keith Mackenzie war einer der tapfersten Menschen, die mir je begegnet sind. Trotz einer Behinderung, die er seiner Erkrankung an Kinderlähmung in frühester Jugend zu verdanken hatte, bebaute er an, die zwölfhundert Morgen schwieriges und bergiges Land, wobei er noch den Hauptteil der Betreuung seines Viehbestandes persönlich bewältigte. Er war ein erfahrener und ausgezeichneter Reiter, mit einem tiefen Verständnis für Pferde, die auf ihre Weise auch ihn verstanden und liebten. Sein Rappe Monty war ganz besonders gutherzig und gescheit. Einmal, als Keith am Rande einer Straße entlangritt, wurde er durch irgendetwas aus seinem stets gefährdeten Gleichgewicht gebracht, und er fiel so unglücklich, daß er mit dem Kopf zwischen zwei gefällte Baumstämme zu liegen kam, seine Füße aber immer noch fest in den Steigbügeln verankert blieben. Monty blieb stehen und rührte sich eine lange Weile nicht vom Fleck, so lange, bis ein Vorüberkommender den Reiter aus seiner mißlichen Lage befreit hatte.
Keith und Walter wurden gute Freunde und er verbrachte einen großen Teil seiner Zeit mit uns. Ich erinnere mich an ein Picknick im Hochsommer, das unten am Fuß der Pekanui Road geplant war. Keith und ich ritten; der Rest der Gesellschaft fuhr. Wir galoppierten ziemlich schnell die kurvige, steile Straße hinunter, denn ausnahmsweise war der Schlamm einmal eingetrocknet, als plötzlich das Kopfstück seines Zaums brach. Das eine Stück fiel aus Montys Maul, und der Zügel blieb in Keiths Hand.
»Anhalten und das Ding jetzt reparieren? Zeitverschwendung!« erklärte er in seiner heiteren, sorglosen Art. Wir ritten munter weiter, während Keith mit seinen Zaumzügeln versuchte, Monty wenigstens seine Wünsche anzudeuten: eine Berührung auf der rechten Seite und Monty folgte, ein Klaps auf die linke, und er wandte sich in diese Richtung. Dabei hielten wir es nicht für nötig, unser recht beachtliches Tempo im geringsten zu vermindern.
Später schrieb ich über diesen Zwischenfall in einem der kurzen Artikel, die damals im Sydney >Bulletin< veröffentlicht wurden. Das Resultat war, daß Keith zu seiner Überraschung und Freude ein schönes neues Zaumzeug geschickt bekam. Eine Verwandte von ihm war Abonnentin dieser Zeitung und war >entsetzt über das Risiko, das du einzugehen scheinst<.
Eines dieser Risikos, das die Siedler während der Kriegsjahre eingingen, war, daß sie mir erlaubten, ihre Wollballen nach Oparau zu transportieren, von wo aus dieselben mit dem Motorboot nach Kawhia und von dort mit dem Schiff nach Onehunga gebracht wurden. Meine einzige Verteidigung ist, daß es niemanden sonst gab, der Zeit dafür hatte und daß die Wolle unter allen Umständen weggebracht werden mußte. Es handelte sich dabei wahrlich um ein höchst riskantes Unternehmen sowohl für die Wolle, als auch für die Pferde und für mich. Unser Pferdegeschirr war nicht gerade in einem erstklassigen Zustand, und ich hatte verflixt wenig Übung darin, mit drei Pferden gleichzeitig zu kutschieren. Eine meiner resignierten und unerschrockenen Freundinnen weilte damals gerade bei uns, und ihr fiel es zu, auf der Bremse zu stehen — eine ziemlich ungemütliche Aufgabe, die eine ganze Menge Überredung verlangte.
Wie nicht anders zu erwarten, blieben einige recht gewagte Zwischenfälle nicht aus, doch glücklicherweise kamen wir ohne Unfall davon. Heute wundere ich mich viel mehr über den Mut meiner Freundin als über meine eigene Waghalsigkeit. Für mich war es Notwendigkeit. Für sie bestand keinerlei Veranlassung, Kopf und Kragen zu riskieren, was mehrere Male ernstlich der Fall war. Vor allem fürchtete ich mich immer vor dem Augenblick, wo ich das Fuhrwerk mit der Rückseite vor den Ladeschuppen am Kai stellen mußte, so daß die Wollballen abgeladen werden konnten, denn es war selten jemand da, der uns hätte helfen können. Es fällt mir schwer, ein Auto rückwärts zufahren; aber mit einem Pferdefuhrwerk bin ich völlig verloren. Was immer ich auch damals anstellte, das Fuhrwerk schien jedesmal genau in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, die ich anstrebte. Einmal brauchte ich eine halbe Stunde, um es im rechten Winkel zum Schuppen zu plazieren, und ich war schon fast dabei, aufzugeben, als meine Freundin trocken hinwarf: »Du hast eben keinerlei mathematischen Verstand! Ich wette, Professor Segar könnte dir genau darlegen, wie man das Problem löst.«
Irgendwie schaffte ich es dann doch. So war es immer: Wie abenteuerlich es auch manchmal zugehen mochte — am Ende lieferten wir die Wolle jedesmal heil ab.