Die dreißiger Jahre

 

Wir hatten großes Glück, daß wir von dieser Sorge befreit waren, denn die dreißiger Jahre waren für die meisten Farmer sehr schwer. Für uns, die wir praktisch kein Geld und eine heruntergekommene Farm hatten, bedeuteten sie wahrlich einen Kampf. Während der schlimmsten Zeit erhielten wir für unsere Wolle pro Pfund drei Pence, und wir verbrannten lieber unsere kostbare Lammwolle, bevor wir die Kosten für Transport und Verkauf riskierten. Unsere besten Lämmer — und Walters Zucht war immer ausgezeichnet — brachten uns fünf Schilling auf dem Viehmarkt, und ältere waren nicht mehr als zwei Schilling wert. Ein Farmer mit ausgesucht guten Tieren und einer einträglichen Farm mußte tatsächlich zwei Lastwagen voll Schafe, die er zum Verkauf geschickt hatte, zurücknehmen, weil ihr Preis nicht einmal die Transportkosten gedeckt hätte.

Von einer Wirtschaftskrise solchen Ausmaßes wurden die Schaffarmer noch stärker betroffen als die Milchfarmer. Trotz der unglaublich niedrigen Preise für Butter konnten sie doch wenigstens mit einem monatlichen Scheck rechnen. Wir aber mit unserer Wolle, die fast wertlos, und unseren Schafen, die praktisch nicht zu verkaufen waren, hatten buchstäblich nichts für neun Monate im Jahr, während unentwegt die Lebensmittelrechnungen kamen, die Steuern und Versicherungsprämien gezahlt werden mußten. Gewiß waren wir Schaffarmer immer noch besser daran als die Arbeitslosen in den Städten. Schließlich konnten wir unser eigenes Gemüse ziehen, unsere eigenen Schafe schlachten und unsere Butter machen, womit wir uns schon fast selbst versorgten. Aber es gab natürlich immer noch Dinge, die gekauft werden mußten. Obwohl wir unser Brot selbst buken, mußte Mehl gekauft: werden; obwohl wir uns abmühten, eine ziemlich scheußliche Seife selbst herzustellen, brauchten wir dazu Caustik-Soda und so weiter. Ein bißchen Bargeld mußten wir unbedingt haben, weshalb Walter und die meisten anderen Farmer zwei Tage in der Woche Straßenarbeit übernahmen. Sie bekamen dafür die stolze Summe von einem Pfund. Es war verdammt wenig, aber damit konnten wir schon fast die Rechnung beim Lebensmittelhändler begleichen.

Dermot und mehrere andere Freunde arbeiteten an der Pekanui Road. Der Kreisingenieur kam jede Woche aus der Stadt herauf und zahlte die Löhne aus. Er war ein netter Mann und kannte Walters Familie von Gisborne her. Es verstörte ihn geradezu, Walter für eine solch lächerliche Summe auf der Straße arbeiten zu sehen, und als er ihm zum ersten Mal seinen Lohn in Höhe von einem Pfund aushändigte, murmelte er: »Es ist mir schrecklich peinlich, Ihnen das zu geben.« Worauf Walter grinsend entgegnete: »Nicht halb so peinlich, wie es mir wäre, wenn Sie es nicht täten. Machen Sie sich nichts daraus. Bessere Männer als ich arbeiten heutzutage auf der Straße.« Tatsächlich gab es nur zwei Meilen von uns entfernt ein Arbeitslosenlager, das nur eine recht unzulängliche Unterkunft in einem strengen Winter bot. Die Männer dort arbeiteten für ein Pfund in der Woche plus Verpflegung und Unterkunft. Es waren verheiratete Männer, und unter ihnen befanden sich ein Dentist, ein Buchhalter und ein Rechtsanwalt. Dies waren wirklich schlimme Zeiten, und es war kaum zu verwundern, wenn man von Aufständen in den Städten hörte.

Es ist nur verständlich, daß ich mir ebenfalls den Kopf zerbrach, auf welche Weise ich etwas zu unserem Unterhalt beitragen könnte. Ich versuchte alle möglichen und unmöglichen Nebeneinkünfte. Warum sollte ich nicht mehr Gemüse ziehen, als wir brauchten, und es auf dem Markt verkaufen? Ich tat es, aber die Kaninchen und Vögel fraßen alles auf. Dann, warum keine Kaninchen züchten? Es gab mal eine kurze Zeit, in der eine Menge über Angorakaninchen und ihr begehrtes Fell geredet wurde. Ich konnte Dutzende davon halten, sie scheren und auf diese Weise Geld verdienen.

Wir kauften ein Pärchen trotz Walters Einwänden, der meinte, daß von diesen verflixten Viechern ohnehin genug auf der Farm herumliefen, denn Kaninchen gehörten damals zu unseren hauptsächlichsten Plagen. Trotzdem baute Walter geduldig einen geräumigen Zwinger mit Auslauf, haltbar und sicher, mit einem tief in der Erde versenkten Drahtnetz. Mit der Zeit fingen wir an, uns ziemlich über die zwei Kaninchen zu ärgern, denn sie dachten gar nicht daran, die Dutzende von Jungen zu werfen, auf die wir gehofft hatten. Obendrein entwickelten sie die seltsame Gewohnheit, kreuz und quer durch ihren Zwinger breite Gräben auszuwerfen, die ich geduldig immer wieder zuschüttete, sooft sie diese auch von neuem gruben. Doch eines Tages, als ich eben wieder dabei war, einen Graben zuzuschütten, sah ich zu meinem Schreck eine ganze Anzahl kleiner Häschen heraushoppeln. Selbstverständlich hatte unser Kaninchenpaar fleißig Junge produziert, und ich hatte ebenso fleißig die Jungen begraben.

Dieses Experiment endete mit dem Besuch des Kreisinspektors, den wir gut kannten. »Sie halten die Kaninchen doch gewiß zuverlässig eingesperrt, nicht wahr?« erkundigte er sich wohlmeinend. »Keine Möglichkeit für sie, auszureißen, wie?«

»Absolut keine«, entgegnete ich überzeugt. »Kommen Sie und sehen Sie es sich selbst an.«

Er tat es, und genau diesen einen Moment hatte sich eines dieser verflixten Kaninchen ausgesucht, um sich unter dem Drahtnetz einen Durchschlupf zu graben und auszureißen. Wie der Inspektor dort im Hof stand und sich umsah, hoppelte es munter über die Weide, machte Männchen zu seinen Füßen und begann, sich die Barthaare zu putzen. Glücklicherweise war er ein guter Freund von uns und hatte genug Humor, um zu lachen. Wir versprachen, die Kaninchen wieder abzuschaffen, worauf weiter kein Wort mehr darüber verloren wurde. In Wirklichkeit war ich froh, nichts mehr von diesen verflixten Viechern zu sehen und zu hören. Ich hatte die Nase gründlich voll von ihnen. Außerdem gab mir der Gedanke an diese Gräben immer das Gefühl, eine Mörderin zu sein. Wir verschenkten sie, und ich überlegte mir eine andere Verdienstmöglichkeit.

Damals fielen mir wieder eines Tages die Worte von Professor Egerton ein: »Sie sollten schreiben...« War sein Urteil wirklich richtig? War es möglich, daß ich etwas schreiben könnte, für das sich irgend jemand interessierte? Ich war nicht übermäßig optimistisch in dieser Hinsicht, doch da ich nun mehr Zeit zur Verfügung hatte, weil alle Kinder in die Schule gingen, beschloß ich wenigstens den Versuch zu unternehmen. Ich hatte oft gehört, daß Zeitungen und Zeitschriften immer auf der Suche nach humoristischen Storys waren; also würde ich versuchen, komisch zu sein. Ich setzte mich hin und brachte ein paar von meinen Kämpfen mit explodierenden Hefeflaschen und Brotteig, der nicht gehen wollte, zu Papier.

Aus keinerlei speziellem Grund, außer, daß ich einmal gehört hatte, Verleger liebten Alliteration, betitelte ich die Story >Barbara bäckt<. Das war der Anfang dieser langen Reihe von Storys über Barbara, die in der Beilage des Herald erschienen und später dann in Buchform. Es war einer der aufregendsten Tage meines Lebens, als ich wenige Wochen später den Herald aufschlug und dort meine Kurzgeschichte abgedruckt sah. Ich hatte wenig Hoffnung gehabt, daß eine Story, mit der Hand auf gewöhnliches Blockpapier geschrieben, die Aufmerksamkeit des Herausgebers erregen könnte. »Er wird die Story in den Papierkorb werfen, ohne sie überhaupt zu lesen«, prophezeite ich. Doch Walter reagierte mit Entrüstung auf die Idee, die Mühe seiner Frau könnte eine solche Nichtachtung erfahren!

Aber hier war meine Story schwarz auf weiß, und ich lief hinaus, um sie Walter zu zeigen. Es war ein wahrhaft triumphaler Moment! Ich gab mich sofort wundervollen Träumen hin, wie ich massenhaft Storys verfassen würde, eine witziger als die andere; wie ich Geld verdienen würde, wie nun alles leichter werden würde und wie ich schließlich den Neuseeland-Roman schreiben würde, von dem die Leute immer redeten.

Keiner dieser Träume hat sich je erfüllt, außer daß ich tatsächlich Geld damit verdiente und fortfuhr, zu schreiben. Ich war unglaublich stolz, als ich diesen ersten Scheck, ich glaube über dreißig Schilling, erhielt, und ich machte einen Spaziergang im Busch, um sofort ein weiteres Meisterstück zu entwerfen.

Es stellte sich heraus, daß ich einen äußerst glücklichen Zeitpunkt gewählt hatte mit meinen Geschichten, denn bis zu jenem Tag hatte noch keine einzige andere Frau über ihre Erlebnisse im Busch geschrieben. Die Tatsache, daß ich einen Universitätsgrad besaß und trotzdem Spaß an einem solchen Leben fand, imponierte den Lesern. Seither sind viele und bessere Bücher über all das geschrieben worden; aber ich gehörte zu den ersten, die sich mit diesem Thema befaßten. Bald schrieb ich für mehrere Zeitungen, arbeitete an Jahreszeitschriften mit, von denen es damals in Neuseeland eine ganze Menge gab und die sehr gut bezahlten. Es war alles wahnsinnig aufregend. Es hatte sich mir ein neues Interesse eröffnet, noch dazu eines, das half, die Lebensmittelrechnungen zu bezahlen, Kleider für die Kinder anzuschaffen und eben ganz allgemein die finanzielle Situation während des Tiefpunktes der Wirtschaftskrise zu erleichtern.

Letzteres ist stets der Grund für meine leichte Verlegenheit, wenn mich großäugige junge Enthusiasten fragen, was sie sehr oft tun: »Was erweckte in Ihnen zum ersten Mal den Wunsch zu schreiben?« Es hört sich immer so übel an, wenn ich antworte: »Ich wollte Geld.« Aber es ist die reine Wahrheit. Es war gewiß viel weniger eine Sache der Inspiration, als der Notwendigkeit. Doch sobald ich einmal damit angefangen hatte, machte es mir unendlich viel Freude. Ich begann eine Art Doppelleben zu führen. Auf einmal gab es eine Sache, die mich interessierte, aber nichts mit dem Haus, mit der Farm, ja nicht einmal mit der Familie zu tun hatte. Vielleicht hatte ich mir das unbewußt immer gewünscht, denn es befriedigte mich sehr. Aber dennoch betrachtete ich es immer als dem anderen, dem normalen Leben untergeordnet. Ich schrieb zu den verrücktesten Stunden: am Abend vor dem Kamin, auf dem Küchentisch, während am Herd das Abendessen brutzelte, und manchmal sogar nachts im Bett. Das Erstaunliche an all diesen Kurzgeschichten war, daß sie überhaupt angenommen wurden; denn sie waren alle mit der Hand geschrieben, und meine Schrift ist nicht gerade eine von den leserlichsten!

Schon nach den ersten paar Monaten, nachdem ich zu schreiben begonnen hatte, erstand ich eine Schreibmaschine. Es war ein plumpes, häßliches Möbel, natürlich gebraucht, und kostete sechs Pfund. Wir dachten dabei an J. M. Barries Einakter >The Twelve Pound Look<, und wir pflegten darüber unsere Witze zu machen. Walter sagte immer, er hielte die Augen offen nach >The Six Pound Look<. Barries Heldin zahlte zwölf Pfund für ihre Schreibmaschine; die meine hatte nur die Hälfte gekostet, aber ich hätte keinesfalls Lust verspürt, dieses riesige Ding mit mir herumzuschleppen, wie sie es getan hat.

Ich fuhr nach Cambridge, um dort für eine Woche bei Helen zu bleiben und Unterricht im Schreibmaschineschreiben zu nehmen. Da ich mir aber eine Grippe holte, brachte ich es nur zu einer einzigen Unterrichtsstunde. Das ist der Grund, weshalb ich es nie richtig lernte. Wahrscheinlich werden Leute, die es sich selbst beibringen, nie wirklich gut darin. Bei mir kommt dazu, daß ich sowohl ungeduldig wie hastig bin. Ich habe mich oft gewundert, warum meine Verleger soviel Nachsicht mit meinen Erzeugnissen aufbrachten.

Ich glaube, bei meinen Nachbarn büßte ich ein bißchen etwas von meinem guten Ruf ein, sobald es bekanntgeworden war, daß ich mich >dem Schreiben ergeben< hatte. Dunkle Verdächtigungen, daß ich womöglich über Personen, die ich kannte, schreiben würde, erhoben sich, und es war wirklich überraschend, wie ausgerechnet die am wenigsten interessanten oder originellen Leute ganz sicher waren, sie würden sich eines Samstagmorgens im Herald wiederfinden. Auch betrachtete man es als eine nicht sehr damenhafte Art, Geld zu verdienen. Es war ganz und gar nicht der Brauch, daß die Frauen von Farmern überhaupt für Geld arbeiteten, es sei denn in ihrem Melkschuppen, wo sie oft genug das Tagewerk eines Mannes übernahmen und damit beträchtliche Löhne sparten.

Ganz gewiß kam niemand auf den Gedanken, mir wegen meiner schriftstellerischen Tätigkeit irgendwelche Schmeicheleien zu sagen. Kam man überhaupt darauf zu reden, dann höchstens in einem entschuldigenden Ton, und wenn ich einmal glaubte, ganz besonders witzig gewesen zu sein, hörte ich Bemerkungen wie diese von meinen Nachbarinnen: »Ich konnte wirklich kaum ein Lächeln unterdrücken, als ich Ihre kleine Story las.« Ganz allgemein beurteilte man mein neues Interesse als etwas leicht Anrüchiges, ganz bestimmt aber maß man ihm keinerlei Wichtigkeit bei. Eine Nachbarin ließ mich das überdeutlich erkennen, als sie mich eines Vormittags anrief. Sie war eine unverbesserliche Klatschbase, sobald sie einen erst einmal an der Strippe hatte, und ich fürchtete ihre Anrufe. Zu dieser Zeit bezog ich bereits regelmäßige Zahlungen für meine Artikel, weshalb ich mit festen Terminen arbeitete und wie gewöhnlich in Eile war, als das Telefon klingelte. Mrs. M. erkundigte sich munter: »Ich störe Sie doch nicht? Arbeiten Sie? Ich habe gerade Lust auf einen netten kleinen Schwatz!« Nun, ich setzte ihr auseinander, daß ich an einem Artikel schreibe, der noch im Lauf des Tages mit der Post abgehen müßte, worauf sie völlig gelassen meinte: »Ah, gut! Ich dachte schon, ich halte Sie auf. Hätte ja sein können, daß Sie gerade beim Backen sind, nicht wahr? Also...« Und sie begann ihren netten kleinen Schwatz, der an die zwanzig Minuten dauerte.

Ich aber brachte den Mut nicht auf, ihr zu sagen, daß mein Artikel wirklich wichtig war. Oft habe ich mich gefragt, warum ich immer befangen werde, wenn ich meine schriftstellerische Arbeit als Grund für Zeitnot angebe, während ich ohne die geringste Verlegenheit erkläre, daß ich nun mein Geschirr spülen müsse.

So also gestaltete sich unser Leben während der berüchtigten dreißiger Jahre. Trotz Wirtschaftskrise und schwerer Zeiten fühlten wir uns recht froh. Wenn unsere zwei >Großen< in den Ferien zu Hause waren, erlebten wir alle glückliche Tage, Stuart half bereits seinem Vater, und Jenny nahm mir viel von meiner Arbeit im Haus ab. Sie brachten ihre Freunde mit, was gleichbedeutend mit vielen wilden Ritten und Abenteuern war. Ich kochte inmitten des ganzen Aufstandes riesige Mahlzeiten, quetschte mich um den Küchentisch herum, um an den Herd zu gelangen, und wich Ping-Pong-Bällen aus. Das Haus hallte wider von fröhlichem Gelächter, und ich war in späteren Jahren immer glücklich gewesen, wenn mir die >Kinder< versicherten, daß sie nie etwas von unseren Geldsorgen und vielen heimlichen Sparmaßnahmen bemerkt hätten.

Natürlich half es, daß wir alle mehr oder weniger im gleichen Boot saßen, wie man so sagt. Niemand hatte Geld, um es für kostspielige Vergnügungen auszugeben. Man machte sich seinen Spaß selbst und hatte dabei keineswegs das Gefühl, etwas zu entbehren. Damals waren die Ansprüche wesentlich bescheidener. Die meisten Frauen waren nicht imstande, ein Auto zu fahren. Obwohl ich es konnte, fuhren wir kaum öfter als einmal im Monat nach Te Awamutu oder Hamilton. Ohnehin war Jezebel äußerst schwer in Gang zu bringen, weil sie so selten benützt wurde. Wir pflegten vorsichtshalber die Zugpferde vorzuspannen, die wir meist brauchten, um Jezebel die steile Stelle auf der Weide hinaufzuziehen. Dann wurden die Pferde ausgespannt und Old Jezebel rollte munter den Busch hinunter, worauf dann der Motor widerwillig ansprang, wenigstens meistens.

Sehr oft meldeten wir den Wagen nicht einmal an, bis die Straße im Oktober wieder trocken war. Es war und blieb eine Schinderei, durch den Schlamm unserer Einfahrtsstraße auf die nun beschotterte Pekanui Road zu gelangen. Ich haßte es, spät in der Nacht nach Hause zu kommen, an unserer Abzweigung auszusteigen und die Ketten an den Reifen zu befestigen. Da fand ich es immer noch einfacher, schlicht zu Hause zu bleiben. Es ging mir nicht schlechter als meinen Nachbarinnen, wahrscheinlich kam ich sogar noch öfter weg, weil ich fahren konnte. Heute würde eine Frau mittleren Alters weder mit einem solchen Dasein zufrieden sein noch wäre es richtig, das von ihr zu erwarten.

Aber wir hatten Freunde und Nachbarn, mit denen wir unsere bescheidenen Vergnügungen teilten. Von diesen blieb Dermot immer noch unsere unfehlbarste Quelle des Amüsements, obwohl seine Streiche wahrlich oft zu weit gingen. Es war während des schlimmsten Jahres der Wirtschaftskrise, als Dermot eines Tages zu den Pferderennen ging, gewann und beschloß, sich Ferien zu gönnen. Das überraschte niemanden, weil er seit einiger Zeit an der Straße gearbeitet hatte und sein Naturell so beschaffen war, daß er es nirgends zu lange aushielt. Worüber wir uns aber wirklich Gedanken machten, war, ob er das Geld haben würde, wieder heimzufahren. Wie Walter meinte, würde all das Geld in einer Woche weg sein, und da Dermot es haßte, zu Fuß zu gehen, fragten wir uns, wie er die hundertfünfzig Meilen von der Stadt wohl zurücklegen würde.

Entgegen, allen Befürchtungen kehrte er frischfröhlich zurück. Ein paar Tage später berichtete er uns, wie er es fertiggebracht hatte. Es war zweifellos eine abscheuliche Geschichte, um so abscheulicher, da er sie ohne die kleinsten Gewissensbisse erzählte.

»Ja, ich war pleite und wollte nach Hause, aber so, daß ich nicht dafür zahlen mußte. Und da treffe ich doch George! Wir waren immer dicke Freunde, müssen Sie wissen, und ich freute mich ehrlich, seine olle, häßliche Visage wieder einmal zu sehen; obwohl er ja immer todernst wie eine Eule ist. Wirklich, in dem Burschen steckt nicht ein Fünkchen Spaß! Ja nu, da nahm er doch meine Hand und schüttelte sie, und in seinen Augen standen fast Tränen. >Dermot< sagte er, >willst du etwas für mich tun? Du bist mein ältester Freund und es ist ein großes Glück, daß ich ausgerechnet dich heute treffe.< Dann kam die Geschichte heraus. Er sollte am nächsten Tag heiraten, aber sein Trauzeuge lag mit Masern im Bett. Ob ich für ihn einspringen wollte?«

»Haben Sie es denn getan?« fragte ich, nicht ganz begreifend, was das mit seinem Fahrgeld zu tun haben konnte.

»Na, klar. Das ist doch der Witz! Sie wissen, wie wild der alte Bursche immer darauf ist, die Kirche zu unterstützen und all so was? Er hat genug Geld, um sich seine Hobbys leisten zu können. Nun, er gab mir fünf Pfund und bat mich, den Pfarrer zu bezahlen, der den Job übernommen hatte.«

Ein fürchterlicher Verdacht stieg in mir auf, und ich flüsterte: »Oh, Dermot, Sie haben doch nicht etwa...?«

Er lachte aus tiefstem Herzen. »Na, so schauen Sie doch nicht so erschrocken drein! Freilich zahlte ich den Pfarrer. Aber wofür sollte der wohl fünf Pfund haben sollen? Zwei Pfund sind reichlich für den Job — und die anderen drei waren wirklich und wahrhaftig ein Geschenk des Himmels für mich.«

»Nur zwei Pfund, und das für George, der als Säule der Kirchengemeinde gilt? Oh, das ist aber doch wirklich abscheulich von Ihnen!«

»Nu mal langsam mit den jungen Pferden! Schön, ich geb ja zu, daß der Pfarrer ein bißchen überrascht dreinsah, weil er halt weiß, daß George in Geld schwimmt. Es hat mir wirklich leid getan, daß er so enttäuscht war. Aber ich machte es wieder gut. >Tut mir leid, Sir<, sagte ich zu ihm, >daß der alte Bursche ein bißchen geizig ist. Doch ich bin sicher, er wird es schon auf eine andere Weise in Ordnung bringen. Mit der Wirtschaftskrise und so, muß er schon dauernd in die Taschen greifen, um seinen Freunden zu helfen.« Das ist in gewisser Hinsicht auch die Wahrheit, wenn George auch nicht wußte, daß er mir mal gerade aushalf!« Dermot schüttelte sich vor unterdrücktem Gelächter. »So habe ich also meine Heimfahrt bezahlt und hier bin ich«, verkündete er strahlend.

Am anderen Tag schon arbeitete er wieder mit Pickel und Schaufel an der Straße und amüsierte alle mit seiner Geschichte von dem betrügerischen Trauzeugen.

Zugegeben, Dermot wußte nicht, was Skrupel sind; aber er hatte dennoch seine guten Seiten. Er war einer der weichherzigsten Menschen. Ein Fremder in Schwierigkeiten, ein Freund im Unglück, ein Kind, das Trost brauchte — keiner davon würde sich jemals vergeblich an ihn gewandt haben, und seine Hilfe nahm immer eine praktische Form an. Schon möglich, daß das Geld, welches er verschenkte, nicht weniger unehrlich erworben war wie die Heiratsgebühr des armen George; aber Dermot gab es jedenfalls von Herzen, wenn er damit helfen konnte. So hatte er immerhin seine gute Seite, vom Standpunkt eines Freundes aus gesehen. Trotzdem taten mir alle leid, die sich auf irgendwelche Geschäfte mit ihm einließen.

In der Kunst, über sich selbst zu lachen, war er wirklich groß. Schon sehr bald nach der schändlichen Episode mit George besuchte er uns wieder, um uns eine neue Geschichte zu erzählen. Aus irgendeinem uns unerklärlichen Grund, weil Dermot normalerweise viel zu faul war, einen richtigen Garten anzulegen, packte ihn plötzlich der Ehrgeiz, einige Büsche vor seinem Haus anzupflanzen. Da ihm beim Pferderennen wieder einmal das Glück geneigt gewesen war, schickte er also zwei Pfund an eine Gärtnerei und ließ sich ein Dutzend Buschpflanzen mit dem apart klingenden lateinischen Namen >Aristotelia serrata< schicken. Er hatte im Katalog Bilder davon gesehen, und sie gefielen ihm ausnehmend gut. Doch als die Sendung eintraf, mußte er feststellen, daß er um teures Geld zwölf Wineberg-Setzlinge, den Fluch unserer Farmen, erstanden hatte. Es war dies der nicht nur wertlose, sondern für jede Weide gefährliche zweite Nachwuchs nach einer Rodung durch Abbrennen, den Dermot, wenn er genügend Energie dazu aufbrachte, mit viel Mühe und Schweiß heftig bekämpfte.

»Da sieht man, was ich für ein Narr bin! Das schöne Geld, ehrlich beim Pferderennen erworben, für dieses verdammte Unkraut, das ich seit Jahr und Tag herausreiße, hinausgeworfen! Diese verflixten lateinischen Namen...« Er brach ab und blickte mich nachdenklich an. »So ist es. wenn einem Bildung fehlt! Hätten Sie gewußt, daß diese >Aristotelia< weiter nichts als Waldreben sind?« fragte er hoffnungsvoll.

Ich sagte ihm, daß ich das für höchst unwahrscheinlich halte, und sein Ausdruck zeigte deutlich, wie wenig er von klassischer Bildung hielt.

Nicht viel später trieben Walter und er eine Herde junger Ochsen zum Verkauf. Es war wildes Buschvieh, das sich nur mit Mühe auf der Pekanui mit ihren vielen Abzweigungen zusammenhalten ließ. Dermot, der eine ganze Menge Hunde hatte, die aber alle seine verwöhnten Lieblinge und ansonsten zu nichts nütze waren, ritt an der Spitze, um die Herde zurückzuhalten und anzuführen; Walter, der ein ausgezeichneter Treiber war, folgte am Ende der Herde, die sich ziemlich weit auseinandergezogen hatte.

Am Fuß der Pekanui wurde Dermot von einem Mann aufgehalten, der ihn festhielt und ihm ein Bündel von Traktaten anbot. Es war einer von diesen reisenden Wanderpredigern, die damals eine rechte Landplage waren und mit allen Mitteln darauf bestanden, angehört zu werden. Er eröffnete die Konversation, indem er Dermot mit tiefernster Stimme fragte: »Bruder, bist du gerettet?«

Dermot, welcher, wie ich vermute, nur einmal in der Kirche war, nämlich als er getauft wurde, entgegnete inbrünstig: »Das bin ich! Gerettet? Bruder, das bin ich! Schon seit Jahren. Tiefreligiös, ja, das bin ich.« Und dann, teilweise aus schierer Teufelei, teilweise, weil es ihm leid tat, daß der arme, alte Kerl so enttäuscht aussah, daß es niemanden zu retten gab, fügte er noch schnell in vertraulichem Ton hinzu: »Aber ich will dir sagen, Bruder, wer noch nicht gerettet ist — ein Bursche, der dringend deine Hilfe braucht... Es ist mein Freund, der da am Ende der Herde reitet. Er ist furchtbar verstockt. Ein wirklich hartnäckiger Fall!« Der Leitochse bog in diesem Moment um die Kurve und Dermot ritt vergnügt weiter.

Walter wurde von einem Mann angehalten, der sein Pferd am Zaumzügel festhielt und eine donnernde Predigt auf ihn losließ, während die Wildochsen sich in einem Seitenpfad im Farn verliefen. Es kostete ihn zwei Stunden, sie wieder zusammenzutreiben, und verständlicherweise drückte er sich sehr kräftig aus, als er nach Hause kam. »Dieser Dermot! Er hat wirklich kein Jota Vernunft! Mir diesen Narren auf den Hals zu hetzen... Ich war doch nicht imstande, ihn abzuschütteln. Und er sagte, mein Freund machte sich solche Sorgen um meine Seele!«

Etwa um diese Zeit, in der Mitte der dreißiger Jahre, wurde für uns wieder das Problem der Schulbildung akut, dieses Mal für meine beiden Jüngeren. Die Großen befanden sich noch in ihren Internaten, doch inzwischen hatten auch Sylvia und Heather ein Stadium erreicht, in dem es unerläßlich war, sie in eine Schule zu schicken, wo sie nicht durch den Umstand behindert wurden, daß der bedauernswerte Lehrer für sämtliche Klassen gleichzeitig zuständig war. Wir fingen an, uns über ihre frischfröhliche Unwissenheit Sorgen zu machen, und sahen es bereits kommen, daß unsere Töchter erwachsen wurden, ohne lesen zu können oder eine einfache Addition zustande zu bringen. Es war eine schwierige Situation, weil das Geld, welches wir für die Ausbildung unserer Kinder geerbt hatten, nicht ausreichte, alle vier gleichzeitig in ein Internat zu schicken. Wir redeten hin und her, konnten aber keine Lösung finden.

Und dann, völlig unerwartet, ergab sich eine Möglichkeit. Die Stadtverwaltung von Te Awamutu hatte beschlossen, eine Stadtbibliothek einzurichten und suchte nun eine Bibliothekarin. Dem erfolgreichen Bewerber wurde zusammen mit dem Posten auch Wohngelegenheit zugesagt, denn die Bibliothek war in einem großen, alten Haus, direkt neben der Hauptstraße, untergebracht, wo sie auch heute noch ist. In der Suchanzeige wurden die Bewerber gebeten, ihre Gehaltsansprüche bekanntzugeben.

Wir entschieden, daß ich mich bewerben sollte. Auf diese Weise konnten die Kinder in die Elementarschule in Te Awamutu gehen, und ich konnte mit ihnen zusammen übers Wochenende nach Hause kommen, um so noch das Nötigste für das Wohlbefinden meines Mannes zu tun. Es sollte ja nicht für lange sein, da die Schulzeit für die beiden Großen bald zu Ende sein würde. Für die Übergangszeit mußten wir eben dieses Opfer bringen. Ich bewarb mich ohne die leiseste Ahnung, was für ein Gehalt dieser Stellung angemessen gewesen wäre, aber ich war jedenfalls entschlossen, weniger zu verlangen als jeder andere. Uns kam es vor allem auf die Wohnung an.

Ich erbot mich, den Posten für ein Pfund in der Woche zu übernehmen. Der Stadtrat war sicherlich nicht wenig erstaunt, glaube ich, jemanden mit einem M.A.-Universitätsgrad, obendrein einigermaßen bekannt als Schriftstellerin, zu finden, der sich mit einer solch bescheidenen Summe zufriedengab. Ich erhielt den Posten und führte nun für zwei Jahre ein interessantes, wenn auch zeitweise etwas hektisches Dasein zwischen Farm und Bibliothek. Jeden Samstagmorgen ging es eilig nach Hause, um zu waschen, zu kochen und zu backen, und am Montagmorgen in aller Frühe wieder zurück, damit die Kinder rechtzeitig um neun Uhr in der Schule waren.