Zum erstenmal kam ich mit dem Wirken des Meisters Oh auf Europien in Berührung. Auf diesem Planeten brodelte es seit eh und je, unter den Einwohnern gab es oft Streit, es herrschten Haß und Böswilligkeit. Der Bruder beneidete den Bruder, der Schüler haßte seinen Lehrer, der Untergebene den Vorgesetzten. Aber als ich dort eintraf, fielen mir die allgemeine Sanftmut und die zärtliche Liebe auf, die ausnahmslos alle Mitglieder der planetaren Gesellschaft einander angedeihen ließen. Ich versuchte natürlich zu ergründen, welches die Ursache dieser so erbaulichen Veränderung gewesen sein mochte.
  Als ich einmal in Begleitung eines guten Bekannten, eines Einheimischen, durch die Straßen der Hauptstadt schlenderte, entdeckte ich in zahlreichen Schaufenstern Köpfe von natürlicher Größe, die wie Hüte auf Ständern ausgestellt waren, sowie große Puppen, die vortrefflich die Europier darstellten. Mein Begleiter, den ich darüber befragte, erklärte mir, es seien Ableiter für unfreundliche Gefühle. Sobald jemand gegenüber einer Person Abneigung oder gewisse Vorurteile hege, suche er einen solchen Laden auf und bestelle ein getreues Abbild des Betreffenden, um sich mit ihm in den eigenen vier Wänden einzuschließen und mit ihm nach Herzenslust zu verfahren. Begüterte Personen könnten sich eine ganze Puppe leisten, bedürftigere müßten sich mit der Mißhandlung bloßer Köpfe begnügen.
  Diese mir bislang unbekannte Errungenschaft sozialer Technik, die als Prothese des Freien Handelns bezeichnet wurde, veranlaßte mich, genauere Erkundigungen über ihren Schöpfer einzuholen, der sich dann als Meister Oh herausstellte.
  Später, wenn ich mich auf anderen Himmelskörpern aufhielt, hatte ich immer wieder Gelegenheit, Spuren seines wohltuenden Wirkens kennenzulernen. So lebte auf dem Planeten Ardelurien ein berühmter Astronom, der behauptete, der Planet drehe sich um seine eigene Achse. Diese These widersprach jedoch dem Glauben der Ardeluren, demzufolge der Planet der unbewegliche Mittelpunkt des Universums sei. Das Priesterkollegium zitierte den Astronomen vor ein Gericht und verlangte, daß er seine ketzerische Lehre widerrufe. Als er sich weigerte, verurteilte man ihn zum Tode auf dem Scheiterhaufen, damit er von seinen Sünden gereinigt werde. Als Meister Oh davon erfuhr, reiste er nach Ardelurien und führte dort Gespräche mit den Priestern und mit dem Gelehrten, aber beide Seiten beharrten fest auf ihrem Standpunkt. Nachdem der weise Mann eine ganze Nacht überlegt hatte, kam er auf die richtige Idee, die er sogleich in die Tat umsetzte. Er erfand die Planetenbremse. Mit ihrer Hilfe wurde die Rotationsbewegung des Planeten aufgehalten. Der Astronom, der im Gefängnis saß, überzeugte sich nach einer erneuten Beobachtung des Himmels von der eingetretenen Veränderung, er widerrief seine bisherigen Behauptungen und akzeptierte bereitwillig das Dogma von der Unbeweglichkeit Ardeluriens. Auf diese Weise wurde die Prothese der Objektiven Wahrheit geschaffen.
  Übte Meister Oh nicht gerade eine gesellschaftliche Tätigkeit aus, dann befaßte er sich mit Forschungsarbeiten anderer Art. So schuf er zum Beispiel ein Verfahren zur Entdeckung von Planeten, die von vernunftbegabten Wesen bevölkert sind – die Methode des »Schlüssels a posteriori«, ein, wie jeder geniale Einfall, unerhört einfaches Verfahren. Leuchtet an einer Stelle des Firmaments, an der es bislang keine Sterne gab, ein neues Sternchen auf, so zeugt das davon, daß gerade ein Planet zerfällt, dessen Bewohner eine hohe Zivilisationsstufe erreicht und Methoden zur Freisetzung der Atomenergie ersonnen haben. Meister Oh bemühte sich, derartige Vorkommnisse nach Möglichkeit zu verhüten, und zwar dadurch, daß er den Bewohnern der Planeten, auf denen die Vorräte an natürlichen Brennstoffen, wie Kohle oder Erdöl, zur Neige gingen, die Aufzucht elektrischer Aale empfahl. Diese Methode bürgerte sich auf mehreren Himmelskörpern als Prothese des Fortschritts ein. Welcher Kosmonaut ist nicht angetan von den Abendspaziergängen auf der Enteroptose, wenn ihn bei einer Wanderung im Dunkeln ein dressierter Aal mit einer kleinen Glühbirne im Maul begleitet!
  Mit der Zeit wuchs in mir immer mehr das Verlangen, Meister Oh kennenzulernen. Mir war allerdings klar, daß ich mich, ehe ich seine Bekanntschaft suchte, noch tüchtig auf den Hosenboden setzen mußte, um mich auf den Höhen seines Intellekts bewegen zu können. Geleitet von diesem Gedanken, beschloß ich, die gesamte Flugdauer, die auf neun Jahre berechnet war, meiner Weiterbildung auf dem Gebiet der Philosophie zu widmen. So startete ich denn auf der Erde mit einer Rakete, in der von der Einstiegluke bis zum Bug Bücherregale aufgestellt waren, die sich unter der Last der trefflichsten Früchte menschlichen Geistes nur so bogen. Nachdem ich mich etwa sechshundert Millionen Kilometer vom heimatlichen Gestirn abgesetzt hatte und nichts mehr meine Ruhe stören konnte, begann ich mit der Lektüre. Angesichts des Umfangs legte ich mir einen besonderen Plan zurecht. Um zu vermeiden, daß ich Bücher irrtümlicherweise ein zweites Mal las, warf ich jedes Werk, das ich kennengelernt hatte, durch die Luke aus der Rakete, in der Absicht, die frei im Raum schwebenden Bücher auf dem Rückweg wieder einzusammeln.
  Ich studierte also zweihundertachtzig Tage lang Anaxagoras, Platon und Plotinos, Origenes und Tertullian, nahm den Scotus Eriugena durch, die Bischöfe Hrabanus aus Mainz und Hinkmar aus Reims, las den Ratramnus aus Corbie und den Servatus Lupus von A bis Z, ebenso Augustinus, namentlich sein De Vita Beata, De Civitate Dei und De Quantitate Anitnae. Darauf widmete ich mich Thomas von Aquin, den Bischöfen Sinesius und Nemesius sowie dem Pseudoareopagiten, dem heiligen Bernhard und Suárez. Beim heiligen Viktor mußte ich eine Pause einlegen; ich habe nämlich die Gewohnheit, beim Lesen Brotkügelchen zu formen, und die Rakete war schon voll davon. Nachdem ich alles in den Weltraum gefegt hatte, schloß ich die Klappe und ging wieder an mein Studium. Die nächsten Regale waren mit Werken der neueren Zeit ge füllt – etwa siebeneinhalb Tonnen im ganzen, und ich befürchtete schon, daß mir die Zeit nicht reichen würde, alles zu ergründen, doch bald kam ich dahinter, daß die Motive sich wiederholten und sich lediglich durch die Art des Herangehens voneinander unterschieden. Was bei den einen, bildlich gesprochen, auf den Füßen stand, stellten die anderen auf den Kopf, so daß ich mir manches schenken konnte.
  Also durchforschte ich die Mystiker und die Scholastiker, Hartmann, Gentile, Spinoza, Wundt, Malebranche, Herbart, ich machte mich mit dem Infinitismus vertraut, mit der Vollkommenheit des Schöpfers, mit der Prästabilierten Harmonie und mit den Monaden, dabei kam ich aus dem Staunen nicht heraus, wieviel doch jeder dieser Weisen über die menschliche Seele zu sagen hatte, und zwar immer genau das Gegenteil von dem, was die anderen behaupteten.
  Als ich gerade in die wahrhaft genußvolle Beschreibung der Prästabilierten Harmonie vertieft war, riß mich ein recht drastisches Erlebnis aus meiner Lektüre. Ich befand mich bereits in der Gegend der kosmischen Magnetwirbel, die alle eisernen Gegenstände mit unglaublicher Kraft magnetisieren. Das geschah auch mit den eisernen Beschlägen meiner Schuhe, und so konnte ich, festgesaugt am stählernen Fußboden, nicht einen einzigen Schritt tun, um zum Schränkchen mit den Lebensmitteln zu gelangen. Mir drohte bereits der Hungertod, aber zur rechten Zeit fiel mir ein, daß ich ja eine Taschenbuchausgabe des Ratgebers des Kosmonauten auf der Brust trug, in der ich den Hinweis fand, daß man in solchen Situationen am besten die Schuhe auszog. Hierauf kehrte ich zu meinen Büchern zurück.
  Als ich etwa sechstausend Bände durchgesehen hatte und mich darin auskannte wie in meiner Westentasche, trennten mich noch etwa acht Trillionen Kilometer vom Planeten Hinterschein. Ich nahm gerade das nächste Regal in Angriff, das mit der Kritik der reinen Vernunft ausgefüllt war, da drang heftiges Klopfen an mein Ohr! Überrascht hob ich den Kopf, da ich ja allein in der Rakete war und eigentlich keine Gäste aus dem Weltraum erwartete. Das Klopfen wurde hartnäckiger, und ich vernahm nun auch eine gedämpfte Stimme: »Aufmachen!«
  Eilends schraubte ich die Luke auf, und herein kamen drei Geschöpfe in Raumanzügen, die über und über mit Milchstaub bedeckt waren.
  »So! Da hätten wir einen Wassermann auf frischer Tat ertappt!« rief der erste Ankömmling, und der zweite fragte: »Wo ist Ihr Wasser?«
  Bevor ich, starr vor Staunen, antworten konnte, sagte der dritte etwas zu ihnen, was sie ein wenig sanfter stimmte.
  »Woher kommst du?« fragte mich der erste.
  »Von der Erde. Und wer seid ihr?«
  »Die freiheitliche Fipo von Pinta«, knurrte er und reichte mir einen Fragebogen, den ich ausfüllen sollte.
  Kaum hatte ich einen Blick auf die Spalten dieses Dokuments und sodann auf die Skaphander der Geschöpfe geworfen, die bei jeder Bewegung einen glucksenden Laut von sich gaben, da wurde mir klar, daß ich aus Unachtsamkeit in die Nähe der Zwillingsplaneten Pinta und Panta geraten war; dabei empfehlen sämtliche Ratgeber, einen möglichst großen Bogen um sie zu machen. Leider war es dazu zu spät. Während ich den Fragebogen ausfüllte, notierten die Wesen in den Raumanzügen systematisch sämtliche Gegenstände, die sich in der Rakete befanden. Plötzlich entdeckten sie eine Büchse Sprotten in Öl; sie stießen einen triumphierenden Schrei aus, versiegelten die Rakete und nahmen sie ins Schlepptau. Ich versuchte ein Gespräch mit ihnen anzuknüpfen, jedoch ohne Erfolg. Mir fiel auf, daß die Skaphander, die sie anhatten, in einen breiten, flachen Schößling ausliefen, so als hätten die Pinter Fischschwänze anstelle von Füßen. Bald setzten wir auf dem Planeten auf. Er war ganz mit Wasser bedeckt, allerdings nicht hoch, denn die Dächer der Gebäude ragten daraus hervor. Als die uniformierten Pinter auf dem Flugplatz ihre Raumanzüge ablegten, stellte ich fest, daß sie den Menschen sehr ähnlich waren und nur eigenartig verbogene, verrenkte Gliedmaßen hatten. Man setzte mich in ein bootähnliches Gefährt, das insofern seltsam anmutete, als es Löcher im Boden hatte und bis zur Bordkante mit Wasser gefüllt war. In halber Tauchfahrt näherten wir uns langsam dem Zentrum der Stadt. Ich fragte, ob man diese Löcher nicht zustopfen und das Wasser ausschöpfen könnte, dann erkundigte ich mich auch nach anderen Dingen, doch meine Gefährten antworteten nicht, sie notierten lediglich fieberhaft meine Worte.
  Durch die Straßen wateten die Einwohner; sie hielten die Köpfe unter Wasser, tauchten jedoch alle Augenblicke auf, um Atem zu holen. Durch die gläsernen Mauern konnte man in die Häuser blicken. Die Zimmer waren etwa bis zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Als unser Vehikel an einer Kreuzung neben der Hauptverwaltung für Bewässerung halten mußte, hörte ich durch die offenen Fenster das Glucksen der Beamten. Auf den Plätzen standen himmelragende Fischdenkmäler, geschmückt mit Kränzen aus Wasserpflanzen. Als unser Boot wieder einen Augenblick hielt (es herrschte sehr reger Verkehr), entnahm ich den Gesprächen der Passanten, daß kurz zuvor an der Ecke ein Spion entlarvt worden sei, als er Sengel triftete.
  Dann schwammen wir durch eine breite Allee, die mit prachtvollen Fischporträts und verschiedenfarbigen Transparenten geschmückt war, wie: »Hoch lebe die wäßrige Freiheit!« – »Flosse an Flosse bekämpfen wir Wassermänner die Dürre!«, und vielen anderen, die ich alle gar nicht lesen konnte. Schließlich legte das Boot bei einem gewaltigen Wolkenkratzer an. Seine Fassade war mit Girlanden verziert, und über dem großen Portal hing ein smaragdgrünes Schild: »Freiheitliche Fipo«. Mit einem Fahrstuhl, der Ähnlichkeit mit einem kleinen Aquarium besaß, fuhren wir ins 16. Stockwerk. Man führte mich in einen Raum, der bis über den Schreibtisch mit Wasser gefüllt war, und befahl mir zu warten. Der Raum war ganz mit herrlichen smaragdgrünen Schuppen ausgeschlagen.
  Ich legte mir in Gedanken genaue Antworten auf Fragen zurecht: Woher ich komme und wohin ich zu reisen gedenke, aber es fragte mich niemand danach. Der Untersuchungsbeamte, ein Pin ter von kleiner Statur, betrat das Zimmer, musterte mich mit strengem Blick, stellte sich dann auf die Zehenspitzen und fragte, den Mund aus dem Wasser haltend: »Wann hast du deine verbrecherische Tätigkeit begonnen? Hat man dir viel dafür gegeben? Wer sind deine Komplizen?«
  Ich erwiderte, daß ich durchaus kein Spion sei, und erläuterte auch die Umstände, die mich auf den Planeten geführt hätten. Als ich jedoch erklärte, ich hätte mich nur zufällig auf Pinta eingefunden, lachte der Vernehmende laut und sagte, ich solle mir etwas Besseres einfallen lassen. Dann widmete er sich dem Studium der Protokolle und überschüttete mich alle Augenblicke mit Fragen. Das bereitete ihm Mühe, denn er mußte jedesmal aufstehen, um Luft zu holen, einmal verschluckte er sich sogar und mußte lange husten. Später stellte ich fest, daß dies den Pintern sehr oft widerfuhr.
  Der Untersuchungsbeamte redete mir freundlich zu, alles zuzugeben, als ich aber immer wieder entgegnete, ich sei unschuldig, sprang er plötzlich auf, deutete auf die Büchse mit den Sprotten und fragte: »Und was bedeutet das?«
  »Nichts«, erwiderte ich verblüfft.
  »Wir werden ja sehen. Führt diesen Provokateur ab!« schrie er.
  Damit war das Verhör beendet.
  Der Raum, in dem man mich einschloß, war völlig trocken. Ich stellte das mit wahrer Freude fest, denn das lästige Naß hatte sich bei mir bereits bemerkbar gemacht. Außer mir befanden sich in der Zelle sieben Pinter, die mich sehr freundlich aufnahmen und mir, dem Ausländer, auf der Bank Platz machten. Von ihnen erfuhr ich, daß die Sprotten, die in der Rakete gefunden worden waren, im Sinne ihrer Gesetze eine furchtbare Beleidigung der höchsten pintischen Ideale bedeuteten, und zwar wegen der sogenannten »verbrecherischen Anspielung«. Ich wollte wissen, welcher Art diese Anspielung sei, aber sie konnten oder – so schien mir – sie wollten es mir nicht sagen. Da ich sah, daß ihnen derlei Fragen unangenehm waren, verstummte ich. Sie erzählten mir noch, daß die Räume hinter Schloß und Riegel die einzigen wasserfreien Örtlichkeiten auf dem Planeten seien. Ich wollte wissen, ob sie sich im Laufe ihrer Geschichte schon immer im Wasser aufgehalten hätten, und erfuhr, daß Pinta einst viele Kontinente und wenig Meere besaß und daß es eine Unmenge scheußlicher trockener Stellen gab.
  Derzeitiger Herrscher über den Planeten war der Große Wassermann Ermesineus der Hechter. Während meines dreimonatigen Aufenthalts in der Trockenzelle hatten mich achtzehn verschiedene Kommissionen untersucht. Sie konstatierten die Form, die der Schleier auf dem Spiegel annahm, den ich anzuhauchen hatte, zählten die Tropfen, die nach dem Untertauchen ins Wasser an mir herabliefen, und verpaßten mir einen Fischschwanz. Auch meine Träume mußte ich den Experten erzählen, die sie sogleich klassifizierten und nach den Paragraphen des Strafgesetzbuches ordneten. Im Spätsommer beliefen sich die Beweise meiner Schuld bereits auf achtzig dicke Bände, und die Sachbeweise füllten drei Schränke in dem mit Schuppen ausgeschlagenen Raum. Zu guter Letzt gestand ich alles, was mir vorgeworfen wurde, insbesondere das Perforieren der Chondriten und die mehrfache umfangreiche Destillation zugunsten Pantas. Bis auf den heutigen Tag weiß ich nicht, was das bedeutete. Unter Berücksichtigung mildernder Umstände, vor allem meiner sturen Unkenntnis der Segnungen des Unterwasserlebens, sowie im Hinblick auf den bevorstehenden Namenstag des Großen Hechters wurde gegen mich das milde Urteil von zwei Jahren ungehinderter Steinmetzarbeit mit Bewährung im Wasser auf sechs Monate gefällt, woraufhin ich auf freien Fuß gesetzt wurde.
  Ich beschloß, mich für meinen halbjährigen Aufenthalt auf Pinta möglichst bequem einzurichten, da ich jedoch in keinem Hotel Unterschlupf fand, quartierte ich mich bei einer Greisin ein, die sich mit dem Tremolieren von Schnecken befaßte, das heißt, sie dressierte sie so, daß sie sich an Nationalfeiertagen in bestimmte Muster legten.
  Gleich am ersten Abend nach dem Verlassen der Trockenzelle hörte ich mir die Darbietungen des hauptstädtischen Chores an, der mich stark enttäuschte, denn er sang glucksend unter Wasser.
  Plötzlich konnte ich beobachten, wie ein diensttuender Fipo eine Person herausführte, die beim Verlöschen des Lichts durch ein Schilfrohr geatmet hatte. Die Würdenträger, die ihre Plätze in den wassergefüllten Logen einnahmen, wurden unaufhörlich von Duschen berieselt. Ich konnte mich des eigenartigen Eindrucks nicht erwehren, daß sich dabei alle ziemlich unbehaglich fühlten. Ich versuchte auch in dieser Hinsicht bei meiner Hauswirtin Informationen einzuholen, aber sie geruhte mir nicht zu antworten; sie fragte nur, bis zu welcher Höhe ich in meinem Zimmer Wasser eingelassen haben möchte. Als ich erwiderte, daß ich am liebsten überhaupt kein Wasser außerhalb der Badewanne sähe, preßte sie nur den Mund zusammen, zuckte mit den Schultern und ließ mich mitten im Satz stehen.
  Da ich die Pinter allseitig kennenlernen wollte, bemühte ich mich, an ihrem Kulturleben teilzunehmen. Bei meinem Eintreffen auf dem Planeten wurde gerade eine lebhafte Diskussion in der Presse über das Glucksen geführt. Die Spezialisten sprachen sich für leises Glucksen aus, da es die größte Zukunft habe.
  Ein junger sympathischer Pinter, Redakteur der populären Zeitung »Die Stimme des Fisches«, hatte ebenfalls bei meiner Wirtin ein Zimmer gemietet. In den Zeitungen konnte ich oft Hinweise über Balduren und Badubiner finden. Aus dem Text war zu schließen, daß es sich dabei um Lebewesen handelte, aber ich kam nicht dahinter, was sie mit den Pintern zu schaffen hatten. Fragte ich jemanden danach, so pflegte er unterzutauchen und meine Worte durch lautes Glucksen zu übertönen. Ich wollte den Redakteur danach fragen, doch er war sehr beschäftigt. Beim Abendessen gestand er mir erregt, ihm sei eine fatale Geschichte passiert. Er habe aus Versehen in einem Leitartikel geschrieben, im Wasser sei es naß. Nun hege er diesbezüglich die schlimmsten Befürchtungen. Ich versuchte ihn zu trösten, erkundigte mich auch, ob es denn nach Ansicht der Pinter im Wasser trocken sei. Er schüttelte sich und meinte, ich verstünde rein gar nichts. Man habe alles vom Standpunkt der Fische zu betrachten. Für die Fische ist das Wasser nicht naß, folglich könne es darin nicht naß sein. Zwei Tage später war der Redakteur verschwunden.
  Auf besondere Schwierigkeiten stieß ich, wenn ich öffentliche Veranstaltungen besuchte. Als ich zum erstenmal ins Theater ging, störte mich ein unaufhörliches Flüstern und verdarb mir den Genuß an der Darbietung. In der Meinung, es seien meine Nachbarn, bemühte ich mich, nicht auf das Geräusch zu achten. Schließlich ging es mir jedoch auf die Nerven, und ich setzte mich auf einen anderen Platz, aber auch da war dieses Flüstern zu hören. Als auf der Bühne vom Großen Hechter die Rede war, flüsterte es leise: »Deine Glieder durchdringt beglückendes Beben.« Ich bemerkte, daß der ganze Saal leicht zu zittern begann. Dann stellte ich fest, daß an allen öffentlichen Stellen besondere Flüsteranlagen angebracht waren, die den Anwesenden die richtigen Empfindungen vorsagten. Da ich die Bräuche und Eigenschaften der Pinter besser kennenlernen wollte, erwarb ich eine größere Menge Bücher, Romane sowohl als auch Lesebücher und wissenschaftliche Werke. Einige davon befinden sich noch in meinem Besitz, zum Beispiel: »Der kleine Badubin«, »Von den Schrecken der Dürre«, »Wie fischig ist es im Wasser«, »Glucksen zu zweit« und ähnliches mehr. In der Universitätsbuchhandlung empfahl man mir ein Werk über die persuasive Evolution, doch außer sehr detaillierten Beschreibungen der Balduren und Badubiner konnte ich auch daraus nichts entnehmen.
  Wenn ich meine Wirtin auszufragen versuchte, schloß sie sich mit ihren Schnecken in der Küche ein, deshalb begab ich mich erneut in die Buchhandlung und fragte, wo ich denn wenigstens einen Badubiner zu sehen bekommen könnte. Auf diese Worte hin tauchten alle Verkäufer unter den Ladentisch, und junge Pinter, die zufällig anwesend waren, führten mich als Provokateur zur Fipo. Wieder in die Trockenzelle verbannt, traf ich dort drei meiner früheren Gefährten an. Erst von ihnen erfuhr ich, daß es auf Pinta keine Balduren oder Badubiner gebe. Dies seien edle, in ihrer Fischhaftigkeit vollendete Formen, in die sich die Pinter nach und nach gemäß der Lehre von der persuasiven Evolution verwandeln würden. Ich fragte, wann dies geschehen sollte. Hierauf begannen die Anwesenden zu zittern und versuchten unterzutauchen, was aus Mangel an Wasser offensichtlich unmöglich war, und der älteste an Jahren, dessen Gliedmaßen sich durch besondere Verrenkungen auszeichneten, sagte: »Höre, Wassermann, dergleichen Dinge kann man bei uns nicht straflos äußern. Wenn die Fipo von deinen Fragen erführe, würde sie das Urteil gegen dich gehörig verschärfen.«
  Niedergeschlagen und traurig hing ich meinen Gedanken nach, aus denen mich die Unterhaltung meiner Leidensgefährten riß. Sie sprachen von ihren Vergehen und erwogen deren Schwere. Der eine war in die Trockenzelle gekommen, weil er auf einem vom Wasser umspülten Sofa eingeschlafen war, sich verschluckt hatte und mit dem Ruf: »Krepieren kann man dabei!« aufgesprungen war. Der zweite hatte sein Kind Huckepack getragen, statt es von klein auf an ein Leben unter Wasser zu gewöhnen. Der dritte schließlich, der älteste, hatte das Pech, während eines Vortrags über dreihundert heldische Wassermänner, die bei einem Rekordversuch, möglichst lange unter Wasser zu bleiben, ums Leben gekommen waren, in einer Weise zu glucksen, die von kompetenten Personen als vieldeutig und lästerlich bezeichnet wurde.
  Bald schon wurde ich vor einen Fipo zitiert, der mir erklärte, mein neuerliches schändliches Verhalten zwinge ihn, mich zu einer Strafe von drei Jahren freier Steinmetzarbeit zu verurteilen. Am Tage darauf schwamm ich in Begleitung von siebenunddreißig Pintern mit einem Boot unter den bereits bekannten Umständen, das heißt bis zum Kinn im Wasser, in die Steinmetzgefilde. Sie lagen weit außerhalb der Stadt. Unsere Arbeit bestand darin, Bildsäulen von Fischen der Gattung Wels anzufertigen. Soweit ich mich erinnern kann, meißelten wir davon rund 140 000 Stück. Frühmorgens schwammen wir zur Arbeit, Lieder singend, von denen mir eines besonders gut in Erinnerung geblieben ist. Es begann mit den Worten: »Im Wasser, im Wasser, da ist es wunder schön…« Nach der Arbeit kehrten wir in unsere Räume zurück. Vor dem Abendessen, das man unter Wasser einzunehmen hatte, dozierte täglich ein Lektor über Unterwasserfreiheiten und gab uns auf, den »Taucher« auswendig zu lernen. Freiwillige konnten sich in den Klub der Verehrer der Flossenhaftigkeit eintragen lassen. Wenn der Lektor seinen Vortrag beendet hatte, fragte er stets, ob jemand von uns nicht die Lust zum Meißeln verloren habe. Da sich niemand meldete, tat ich es ebenfalls nicht. Übrigens erklärten die im Saal verteilten Flüsteranlagen, daß wir Lust hatten, noch lange zu meißeln, und dies möglichst unter Wasser.
  Eines Tages ließ unsere Leitung Anzeichen besonderer Erregung erkennen, und beim Mittagessen erfuhren wir, daß heute an unseren Werkstätten der Große Hechter vorbeikommen werde, der zur Inkarnation baldurenhafter Milte aufgebrochen sei. Wir schwammen also seit Mittag in Formationen herum in Erwartung des hohen Gastes. Es regnete, und es war entsetzlich kalt, so daß wir alle zitterten. Die auf Schwimmbojen befestigten Flüsteranlagen verkündeten, daß wir vor Begeisterung bebten. Die Vorbeifahrt des Gefolges des Großen Hechters in siebenhundert Booten währte fast bis zum Einbruch der Dunkelheit. Ich hatte Gelegenheit, den Hechter aus nächster Nähe zu sehen; er besaß zu meinem Erstaunen nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Fisch. Nach seinem Äußeren zu urteilen, war er ein ganz gewöhnlicher, hochbetagter Pinter mit schauderhaft verrenkten Gliedmaßen. Acht in scharlachrote und goldene Schuppen gekleidete Magnaten stützten die würdigen Schultern des Herrschers, als er mit seinem Kopf aus dem Wasser tauchte, um Atem zu holen. Dabei hustete er so entsetzlich, daß er mir leid tat. Zu Ehren dieses festlichen Ereignisses hämmerten wir achthundert Standbilder der Gattung Wels über den Plan.
  Eine Woche später spürte ich zum erstenmal ein scheußliches Reißen in den Armen. Meine Gefährten sagten, das seien einfach Anfänge von Rheumatismus, der größten Plage in Pinta. Man dürfe aber keinesfalls äußern, daß es sich um eine Krankheit handle, es seien vielmehr Anzeichen ideologisch falschen Widerstandes des Organismus gegen die Fischwerdung. Erst jetzt wurden mir die Verrenkungen der Pinter verständlich.
  Man führte uns jede Woche zu Vorstellungen, die die Perspektiven des Unterwasserlebens aufzeigten. Ich rettete mich damit, daß ich die Augen schloß, denn die bloße Erwähnung des Wassers erweckte in mir Übelkeit.
  Fünf Monate brachte ich auf diese Weise zu. Gegen Ende dieses Abschnitts freundete ich mich mit einem bejahrten Pinter an, einem Universitätsprofessor, der freiheitlich meißeln mußte, weil er in einer Vorlesung erklärt hatte, das Wasser sei zwar wirklich für das Leben unerläßlich, aber in anderem Sinne, als dies allgemein praktiziert werde. In den Gesprächen, die wir hauptsächlich nachts führten, schilderte mir der Professor die Geschichte Pintas. Einst hatten den Planeten heiße Winde geplagt, und die Gelehrten wiesen nach, daß ihm die Verwandlung in eine öde Wüste bevorstünde. Sie arbeiteten deshalb einen großen Bewässerungsplan aus. Damit er durchgeführt werden konnte, mußten entsprechende Institutionen und übergeordnete Büros eingerichtet werden. Später, als das Netz der Kanäle und Reservoirs angelegt war, wollten sich die Büros nicht auflösen, sie blieben weiter tätig und setzten die Bewässerung Pintas fort. So kam es dazu, daß das, was beherrscht werden sollte, uns beherrschte, erzählte der Professor. Niemand wollte sich das jedoch eingestehen, und der nächste Schritt, der sich mit zwingender Notwendigkeit daraus ergab, war die Feststellung, es sei eben alles so, wie es sein müsse.
  Eines Tages verbreitete sich eine Nachricht, die uns in höchste Erregung versetzte. Es wurde erzählt, eine außerordentliche Änderung stehe bevor; einige wagten sogar zu behaupten, der Große Hechter persönlich würde in absehbarer Zeit Wohnungstrockenheit – vielleicht gar allgemeine Trockenheit anordnen. Die Leitung ging unverzüglich daran, den Defätismus zu bekämpfen, indem sie neue Projekte für Fischdenkmäler ausarbeitete. Dennoch, das hartnäckige Gerücht kehrte in immer phantastischeren Versionen wieder. Ich hörte mit meinen eigenen Ohren, wie jemand erzählte, man habe den Großen Hechter mit einem Handtuch gesehen.
Eines Nachts tönte aus dem Gebäude der Direktion das lärmen
de Treiben einer Belustigung zu uns herüber. Ich schwamm auf den Hof und erblickte den Direktor und den Lektor, die mit großen Kübeln Wasser aus dem Fenster gossen und laut dazu sangen. Im Morgengrauen erschien der Lektor bei uns. Er saß in einem abgedichteten Boot und erklärte uns, alles, was bisher gewesen sei, hätte auf einem Mißverständnis beruht. Neue, wahrhaft freie Existenzbedingungen würden nun geschaffen, zunächst werde jedoch das Glucksen als quälend, gesundheitsschädlich und völlig überflüssig abgeschafft. Während seiner Ansprache tauchte er einen Fuß ins Wasser, zog ihn zurück und schüttelte sich voller Abscheu. Zum Schluß fügte er hinzu, er sei schon immer gegen das Wasser gewesen und habe wie kaum jemand begriffen, daß daraus nichts Gutes kommen könne. Zwei Tage lang gingen wir nicht arbeiten. Dann wurden wir an bereits fertige Bildsäulen abkommandiert. Wir mußten ihnen die Flossen abschlagen und an ihrer Statt Beine anbringen. Der Lektor ging daran, uns ein neues Liedchen zu lehren. »Vor Freude ach die Seele schreit, herrscht ringsherum nur Trockenheit«, und nun sprach man allgemein darüber, daß in den nächsten Tagen Pumpen herbeigeschafft würden, um das Wasser abzusaugen.
  Doch schon nach dem zweiten Vers wurde der Lektor in die Stadt geholt und kam nicht wieder. Am nächsten Morgen schwamm der Direktor zu uns heran, den Kopf im Wasser, und verteilte an alle wasserdichte Zeitungen. Darin wurde mitgeteilt, daß das Glucksen ein für allemal abgeschafft werde, da es gesundheitsschädigend und dem Baldurieren durchaus nicht förderlich sei. Das bedeute jedoch keineswegs die Rückkehr zur verderblichen Dürre. Im Gegenteil. Zur Akklimierung von Badubinern und zur Verklammung von Balduren werde auf dem ganzen Planeten ausschließlich Unterwasseratmung angeordnet, da sie im höchsten Maße fischhaft sei, wobei sie mit Rücksicht auf das öffentliche Wohl allmählich eingeführt werde, das heißt – jeden Tag sollten sich alle Bürger eine Weile länger als am Vortag unter Wasser auf halten. Zur Erleichterung werde der allgemeine Wasserpegel auf elf Stiele (Längenmaß) erhöht.
  In der Tat wurde vor Einbruch der Dunkelheit der Wasserstand erhöht, so daß wir im Stehen schlafen mußten. Da die Flüsteranlagen überflutet waren, wurden sie ein wenig höher befestigt, und der neue Lektor begann mit Übungen im Unterwasseratmen. Nach einigen Tagen wurde durch gnädigen Erlaß des Ermesineus der Bitte aller Bürger stattgegeben und der Wasserpegel um einen weiteren halben Stiel erhöht. Alle liefen nun auf Zehenspitzen, kleinere Personen verschwanden nach kurzer Zeit irgendwo. Da das Unterwasseratmen niemandem gelingen wollte, bildete sich die Praxis heraus, immer wieder an die Oberfläche zu hüpfen, um Luft zu schnappen. Nach einem Monat gelang das schon ganz gut, und alle gaben sich nun den Anschein, als täten sie es selber nicht und sähen auch nicht, wie andere dies taten. Die Presse berichtete von gewaltigen Fortschritten im Unterwasseratmen im ganzen Land, und am freiheitlichen Meißeln mußten sich jetzt viele Personen beteiligen, die weiter nach alter Manier glucksten.
  All das bereitete mir so viel Ungelegenheiten, daß ich mich schließlich dazu aufraffte, das Gelände der freiheitlichen Bildhauerei zu verlassen. Nach der Arbeit versteckte ich mich hinter dem Sockel eines neuen Denkmals (ich vergaß zu erwähnen, daß wir die den Fischen angeklebten Beine abschlugen und wieder Flossen anbrachten), und als alle verschwunden waren, schwamm ich zur Stadt. Ich hatte in dieser Beziehung den Pintern viel voraus, die – so seltsam das anmutet – gar nicht schwimmen konnten.
  Ich rackerte mich tüchtig ab, doch schließlich gelang es mir, den Flugplatz zu erreichen. Meine Rakete wurde von Fipos bewacht. Zum Glück fing in der Nähe jemand zu glucksen an, und die Fipos stürzten sich in diese Richtung. Rasch riß ich die Siegel von der Rakete, sprang hinein und startete mit Höchstgeschwindigkeit. Eine Viertelstunde später flimmerte der Planet bereits in der Ferne wie ein winziger Stern, und ich hatte doch auf ihm so viel erlebt. Ich legte mich schlafen und ergötzte mich an dem trockenen Bett. Leider währte diese angenehme Ruhe nur kurz. Heftiges Klopfen an der Luke riß mich plötzlich aus dem Schlaf. Noch halb im Schlaf rief ich: »Hoch leben die pintischen Freiheiten!« Dieser Ausruf sollte mich teuer zu stehen kommen, denn draußen war eine Patrouille pantischer Angelizei. Vergebens waren meine Worte, man habe sich verhört, ich hätte »pantische Freiheiten« und nicht »pintische« gerufen. Die Rakete wurde versiegelt und ins Schlepptau genommen. Zu allem Unglück hatte ich in der Speisekammer noch eine zweite Dose Sprotten, die ich geöffnet hatte, bevor ich mich zur Ruhe begab. Als die Angelizisten die offene Büchse sahen, erbebten sie und setzten unter Triumphgeschrei ein Protokoll auf. Kurz danach landeten wir auf dem Planeten. Als man mich in das wartende Vehikel steckte, atmete ich erleichtert auf, denn ich sah, daß der Planet, so weit das Auge reichte, ohne Wasser war. Als meine Eskorte die Skaphander ablegte, stellte ich fest, daß ich es mit Geschöpfen zu tun hatte, die mich sehr stark an Menschen erinnerten. Ihre Gesichter jedoch glichen einander so sehr, daß man sie alle für Zwillinge, obendrein für lächelnde Zwillinge halten mußte.
  Obgleich die Dunkelheit hereinbrach, war es von den vielen Lichtern in der Stadt taghell. Ich bemerkte, daß alle Passanten, die mich ansahen, vor Entsetzen oder voller Mitleid den Kopf schüttelten, und eine Pantin wurde bei meinem Anblick sogar ohnmächtig, was insofern bemerkenswert war, als sie auch dann noch lächelte.
  Nach einiger Zeit gewann ich den Eindruck, daß alle Bewohner des Planeten Masken trugen, doch war ich mir dessen nicht ganz sicher. Die Fahrt endete vor einem Gebäude, an dem zu lesen war: FREIE ANGELIZEI PANTAS. Die Nacht verbrachte ich einsam in einem kleinen Zimmer, dem Treiben des Großstadtlebens lauschend, das durch das Fenster zu hören war. Tags darauf wurde mir gegen Mittag im Vernehmungszimmer die Anklageschrift vorgelesen. Man klagte mich der Angelophagie an, betrieben auf Anstiften der Pinter, sowie des Verbrechens der persönlichen Differenziertheit. Beweisstücke, die gegen mich sprachen, gab es zwei: erstens die geöffnete Sprottendose, zweitens einen Spiegel, in den mich der Vernehmende hineinschauen ließ.
  Er war Angelist IV. Ranges und trug eine schneeweiße Uniform mit brillantenen Blitzen quer über der Brust. Für die Vergehen, die ich begangen hätte, erklärte er, drohe mir lebenslängliche Identifizierung, dann fügte er hinzu, daß mir das Gericht vier Tage Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung lasse. Meinen offiziellen Verteidiger könne ich jederzeit sprechen.
  Da ich bereits gewisse Erfahrungen auf dem Gebiet gerichtlicher Verfahren in dieser Gegend der Milchstraße besaß, wollte ich vor allem wissen, worin die mir angedrohte Strafe bestünde. Auf meinen Wunsch wurde ich in einen kleinen bernsteinfarbenen Saal geführt, in dem bereits mein Verteidiger, ein Angelist II. Ranges, auf mich wartete.
  Er zeigte sich sehr verständnisvoll und geizte nicht mit Erklärungen. »Wisse, fremder Ankömmling«, sagte er, »wir besitzen die höchste Einsicht in den Ursprung aller Sorgen, Leiden und Nöte, die zu einer Gesellschaft zusammengeschlossene Wesen erdulden. Er liegt im Individuum begründet, in der privaten Seite seiner Persönlichkeit. Die Gesellschaft, das Gemeinwesen sind ewig, sie unterliegen dauerhaften, unerschütterlichen Gesetzen, ebenso wie gewaltige Sonnen und Gestirne ihren Gesetzen unterliegen. Kennzeichen des Individuums hingegen sind Schwankungen, Unsicherheit der Entscheidungen, zufälliges Handeln, vor allem aber – Vergänglichkeit. Deshalb haben wir den Individualismus zugunsten des Gesellschaftlichen vollends liquidiert. Auf unserem Planeten existiert ausschließlich das Gemeinwesen – Individuen gibt es nicht mehr.«
  »Wieso?« fragte ich verdutzt. »Was du mir da erzählst, kann doch nur eine rhetorische Floskel sein, du bist doch auch ein Individuum…«
  »In einem sehr geringen Maße«, erwiderte er mit gleichbleibendem Lächeln. »Du hast sicherlich bemerkt, daß unsere Gesichter sich nicht voneinander unterscheiden. Ebenso haben wir die höchste gesellschaftliche Austauschbarkeit erreicht.«
  »Das verstehe ich nicht. Was soll das bedeuten?«
  »Ich erkläre es dir gleich. Es gibt in jedem Augenblick in der Gesellschaft eine bestimmte Anzahl von Funktionen oder – wie das bei uns heißt – Planstellen. So gibt es Berufsplanstellen für Herrscher, Gärtner, Techniker, Ärzte, aber es gibt auch Familienplanstellen – für Väter, Brüder, Schwestern und so weiter. Auf jedem dieser Posten ist ein Panter nur vierundzwanzig Stunden tätig. Um Mitternacht vollzieht sich in unserem ganzen Staat eine bestimmte Bewegung, als machten alle – bildlich gesprochen – den gleichen Schritt. Auf diese Weise wird eine Person, die gestern Gärtner war, heute Ingenieur, der gestrige Bauarbeiter wird Richter, der Herrscher Lehrer und so weiter. Ähnlich verhält es sich mit den Familien. Jede besteht aus Verwandten, also dem Vater, der Mutter, den Kindern; nur die Funktionen bleiben unverändert, die Personen, die sie ausüben, wechseln jeden Tag. Unveränderlich bleibt also das Gemeinwesen, begreifst du nun? Es gibt stets die gleiche Anzahl von Eltern und Kindern, Ärzten und Krankenschwestern, und so ist es auf allen Gebieten des Lebens. Der mächtige Organismus unseres Staates besteht seit Jahrhunderten unverändert fort und ist unveränderlich, fester als ein Fels. Seine Festigkeit verdankt er dem Umstand, daß wir ein für allemal mit der ephemerischen Natur der Einzelexistenz Schluß gemacht haben. Deshalb sagte ich auch, daß wir in vollendeter Weise auswechselbar sind. Du wirst dich bald davon überzeugen können, denn nach Mitternacht, wenn du nach mir verlangen wirst, komme ich zu dir in einer neuen Gestalt…«
  »Aber wozu das alles?« fragte ich. »Wie kann jeder von euch alle Berufe ausüben? Und wie kannst du nicht nur Gärtner, Richter oder Verteidiger, sondern beliebig auch Vater und Mutter sein?«
  »Viele Berufe«, erwiderte mein lächelnder Gesprächspartner, »führe ich nicht gut aus. Vergiß jedoch nicht, daß jeder Beruf nur einen Tag ausgeübt wird. Überdies führt in jeder Gesellschaft alten Typus eine gewaltige Anzahl von Personen ihre beruflichen Funktionen mangelhaft aus, trotzdem hört deshalb die gesellschaftliche Maschinerie nicht auf, weiter zu wirken. Jemand, der ein schlechter Gärtner ist, wird bei euch einen Garten herunterwirtschaften, ein schlechter Herrscher wird den ganzen Staat in den Ruin führen, denn beide haben dazu Zeit, die ihnen bei uns nicht gegeben ist. Überdies macht sich in einer gewöhnlichen Gesellschaft außer fachlichem Mangel auch ein negativer, sogar verderblicher Einfluß privater Bestrebungen von Individuen bemerkbar. Neid, Stolz, Egoismus, Eitelkeit, Machtgier üben eine zersetzende Wirkung auf das Leben der Allgemeinheit aus. Diesen schlechten Einfluß gibt es bei uns nicht. Vor allem gibt es bei uns nicht das Streben nach Karriere, es läßt sich auch niemand von persönlichen Interessen leiten, denn es gibt bei uns kein persönliches Interesse. Ich kann heute in meiner Planstelle keinen Schritt tun in der Hoffnung, daß sich dieser Schritt morgen auszahlen wird, denn morgen werde ich schon ein anderer sein, aber ich weiß heute noch nicht, wer ich morgen sein werde. Der Wechsel der Planstellen erfolgt um Mitternacht durch eine allgemeine Auslosung, auf die kein Lebender Einfluß nehmen kann. Beginnst du nun die tiefe Weisheit unserer Gesellschaftsordnung zu begreifen?«
  »Doch wie ist das mit den Gefühlen?« fragte ich. »Kann man jeden Tag einen anderen Menschen lieben? Und wie verhält es sich mit der Vaterschaft und der Mutterschaft?«
  »Eine gewisse Störung unseres Systems bedeutete früher der Umstand, daß eine Person auf der Planstelle des Vaters ein Kind gebar, denn es kann vorkommen, daß eine Frau gerade am Tage ihrer Niederkunft die Planstelle eines Vaters übernimmt. Jedoch ist diese Schwierigkeit verschwunden, seit gesetzlich bestimmt worden ist, daß ein Vater Kinder gebären kann. Was die Gefühle anlangt, so haben wir zwei, die scheinbar einander ausschließen, befriedigt: das Verlangen nach Dauer und das Verlangen nach Veränderung. Anhänglichkeit, Achtung, Liebe wurden einst durch ständige Unrast, durch die Befürchtung, die geliebte Person zu verlieren, ausgehöhlt. Diese Angst haben wir überwunden. Denn was immer auch für Erschütterungen, Krankheiten, Kataklismen unser Leben heimsuchen – jeder von uns hat stets einen Vater, eine Mutter, einen Gatten und Kinder. Doch damit nicht genug. Was unveränderlich ist, beginnt nach einer gewissen Zeit zu langweilen, ganz gleich, ob uns Gutes oder Böses widerfährt. Gleichzeitig jedoch verlangt es uns nach einem dauerhaften Schicksal, wir wollen es vor Störungen und Tragödien bewahren. Wir wollen existieren und nicht vergehen, uns verändern und doch von Bestand sein, alles sein, ohne etwas zu riskieren. Diese Widersprüche, scheinbar miteinander unvereinbar, sind bei uns Wirklichkeit. Wir haben sogar den Antagonismus der sozialen Höhen und Tiefen abgetragen, jeder kann nämlich an jedem Tag der höchste Herrscher sein, denn es gibt keine Lebensweise, keine Wirkungssphäre, die jemandem verschlossen wäre.
  Jetzt kann ich dir enthüllen, was das über dich verhängte Strafmaß bedeutet. Es bedeutet das größte Unglück, das einem Panter zustoßen kann: nämlich den Ausschluß aus der allgemeinen Auslosung und den Übergang zu einsamer individueller Existenz. Die Identifikation ist ein Akt der Zerschmetterung einer Person, indem man ihr die grausam unerbittliche Last lebenslänglicher Individualität aufbürdet. Du mußt dich beeilen, wenn du mir noch Fragen stellen willst, denn es wird Mitternacht; ich muß dich bald verlassen.«
  »Wie werdet ihr mit dem Tod fertig?« fragte ich.
  Der Verteidiger sah mich mit gefurchter Stirn und mit lächelndem Gesicht an, als versuchte er, diese Worte zu begreifen. Schließlich sagte er: »Tod? Das ist ein veralteter Begriff. Es gibt dort keinen Tod, wo es keine Individuen gibt. Bei uns stirbt niemand.«
  »Aber das ist doch Unsinn, an den du selbst nicht glaubst!« rief ich. »Jedes Lebewesen muß sterben, also auch du!«
  »Ich, das heißt wer?« unterbrach er mich lächelnd.
  Ein Augenblick des Schweigens folgte.
  »Du, du selbst!«
  »Wer bin ich denn, ich selbst, außer meiner heutigen Planstelle? Ein Name, ein Vorname? Ich habe keinen. Ein Gesicht? Dank den biologischen Eingriffen, die bei uns vor Jahrhunderten vorgenommen worden sind, ist mein Gesicht das gleiche wie bei allen. Eine Planstelle? Die ändert sich um Mitternacht. Was bleibt? Nichts. Überlege, was der Tod bedeutet. Er ist ein Verlust, tragisch durch seine Unabwendbarkeit. Wen verliert der, der stirbt? Sich selbst? Nein, denn ein Toter existiert nicht, und wer nicht existiert, kann nichts verlieren. Der Tod ist eine Angelegenheit der Lebenden – er ist der Verlust eines Nahestehenden. Wir verlieren nie unsere Nächsten. Das habe ich dir doch schon vorher gesagt. Jede Familie ist bei uns ewig. Tod – das würde bei uns die Aufhebung einer Planstelle bedeuten. Die Gesetze lassen das nicht zu. Ich muß nun gehen. Leb wohl, Fremdling.«
  »Warte!« rief ich, da ich sah, daß mein Verteidiger aufstand. »Es gibt bei euch dennoch Unterschiede, es muß welche geben, selbst wenn ihr einander wie Zwillinge gleicht. Ihr müßt Greise haben, die…«
  »Nein. Wir führen nicht Buch über die Anzahl der Planstellen, die jemand innehatte. Wir führen auch nicht Buch über die astronomischen Jahre. Niemand von uns weiß, wie lange er lebt. Die Planstellen sind zeitlos. Ich muß fort.«
  Mit diesen Worten entfernte er sich. Ich blieb allein. Nach einer Weile öffnete sich die Tür, und der Verteidiger erschien wieder. Er trug die gleiche lilienfarbene Uniform mit den goldenen Blitzen eines Angelisten II. Ranges, und er hatte das gleiche Lächeln.
  »Ich stehe dir zu Diensten, angeklagter Fremdling von einem anderen Gestirn«, sagte er, und mir schien, daß es eine neue Stimme war, die ich noch nicht gehört hatte.
  »Dennoch ist bei euch etwas unveränderlich: die Planstelle des Angeklagten!« rief ich.
  »Du irrst. Das gilt lediglich für die Fremden. Wir können es nicht zulassen, daß jemand unter dem Schutz einer Planstelle versucht, unseren Staat von innen zu zersetzen.«
»Bist du in der Rechtswissenschaft bewandert?« fragte ich.
  »Die Gesetzbücher kennen sich darin aus. Im übrigen findet dein Prozeß erst übermorgen statt. Die Planstelle wird dich verteidigen…«
  »Ich verzichte auf eine Verteidigung.«
  »Du willst dich selbst verteidigen?«
  »Nein. Ich will verurteilt werden.«
  »Du bist leichtsinnig«, sagte der Verteidiger lächelnd. »Denke daran, daß du nicht ein Individuum unter Individuen sein wirst, sondern in einer Leere existieren mußt, die größer ist als der planetare Raum…«
  »Hast du jemals von dem Meister Oh vernommen?« fragte ich. Ich weiß selbst nicht, wie ich auf diese Frage kam.
  »O ja. Er ist der Schöpfer unseres Staates. Mit ihm vollbrachte er sein größtes Werk – die Prothese der Ewigkeit.«
  So endete unser Gespräch. Nach drei Tagen wurde ich vor Gericht gestellt und zu lebenslänglicher Identifikation verurteilt. Man brachte mich zum Flugplatz, von dem ich unverzüglich startete. Ich weiß nicht, ob mich noch jemals die Lust anwandeln wird, dem Wohltäter des Kosmos zu begegnen.






VIERZEHNTE REISE




19. VIII.
  Rakete in Generalüberholung gegeben. Letztes Mal war ich zu dicht an die Sonne geraten; die ganze Lackierung ging drauf. Der Werkstattleiter schlägt vor, das Vehikel grün zu streichen. Kann mich noch nicht entscheiden. Vormittags Kollektion in Ordnung gebracht. Das Fell des prächtigsten Gargauns war voller Motten. Ich habe es mit Naphthalin bestreut. Am Nachmittag – bei Tarantoga. Sangen gemeinsam Marslieder. Habe mir von ihm Brizards Band »Zwei Jahre unter Kulupen und Okteseln« geliehen. Ungemein interessant – bin bis zum Morgen aufgeblieben.

20. VIII.
  Habe mich entschlossen, doch grünen Anstrich zu nehmen. Der Werkstattdirektor redet mir zu, ein Elektronenhirn zu kaufen. Er hat gerade ein passendes auf Lager, wenig gebraucht, mit einer Leistung von zwölf Dampfseelen. Er meint, ohne solch ein Hirn würde sich heutzutage keiner mehr auch nur hinter den Mond wagen. Ich zögere noch wegen der großen Ausgabe. Den ganzen Nachmittag Brizard gelesen – mitreißende Lektüre. Ich schäme mich fast, noch nie einen Kulupen gesehen zu haben.

21. VIII.
  Früh in der Werkstatt gewesen. Der Direktor zeigte mir das Hirn. In der Tat recht ansehnlich, mit einer Batterie Witze für fünf Jahre. Angeblich ist dadurch das Problem der kosmischen Langeweile gelöst. »Sie lachen sich durch die längste Reise hindurch«, sagte der Direktor. Ist die Batterie erschöpft, kann eine neue eingesetzt werden. Das Leitwerk habe ich orange anstreichen lassen.


Wegen des Elektronenhirns Bedenkzeit erbeten. Bis Mitternacht Brizard gelesen. Sollte ich nicht selbst auf Jagd gehen?


22. VIII.
  Habe das Hirn doch gekauft. Ließ es in die Wandung einbauen. Der Direktor gab mir ein Elektrokissen dazu. Er muß mich tüchtig übers Ohr gehauen haben! Er meint, ich würde eine Menge Geld einsparen. Die Sache ist die, daß man bei der Ankunft auf einem Planeten gewöhnlich Einreisezoll zahlen muß. Hat man nun ein solches Hirn, so kann man die Rakete im Vakuum zurücklassen; sie kreist dann ungehindert als künstlicher Mond um den Planeten. Das letzte Stück Weges legt man eben zu Fuß zurück und zahlt keinen Pfennig. Das Hirn berechnet die astronomischen Bewegungselemente und gibt an, wo nachher die Rakete zu suchen ist. Brizard ausgelesen. Bin nahe daran, nach Enteropien zu fahren.

23. VIII.
  Rakete abgeholt. Sieht sehr gut aus, nur das Leitwerk harmoniert in der Farbgebung nicht mit den anderen Teilen. Machte mich selbst an die Arbeit und tünchte es gelb. Nun bedeutend besser. Von Tarantoga einen Band Kosmische Enzyklopädie, Buchstabe E, ausgeliehen und den Artikel über Enteropien abgeschrieben. Hier ist er:
  Enteropia, 6. Planet der doppelten (roten und blauen) Sonne im Sternbild des Kalbes. 8 Kontinente, 2 Ozeane, 167 tätige Vulkane, 1 Torpe (s. d.). 1 Tag = 20 Stunden, warmes Klima, Lebensbedingungen mit Ausnahme der Strömperiode (s. d.) gut.
  Bewohner:
  a) vorherrschende Wesen – Ardriten, vernunftbegabt, vielflächigdurchsichtig, symmetrisch, unpaare Extremitäten (3), zum Typ Siliconoidea, Ordnung Polytheria, Klasse Luminifera gehörig. Wie alle Polytheria (s. d.) unterliegen die Ardriten einer beliebigen periodischen Spaltung. Sie bilden Familien kugeligen Typs: Regie rungssystem: Gradarchie II B, mit dem vor 340 Jahren eingeführten Pönitentiären Transmus (s. d.). Hochentwickelte Industrie, hauptsächlich der Konsumgüter. Charakteristische Exportartikel: phosphorisierte Manubrien, Herzflicken und Laupanien in mehreren Dutzend Sorten, geriefelt und langsam gebräunt. Hauptstadt: Tentotam, 1400000 Einwohner. Wichtigste Industriezentren: Haupr, Drur, Arbagellar. Kultur: luminös mit Anzeichen von Verschimmelung infolge Verfilzung mit Zivilisationsrelikten der durch die Ardriten ausgerotteten Phytoziden (siehe Schwaemmer). Eine wachsende Rolle spielen in letzter Zeit im kult. gesellschaftlichen Leben die Sepulken (s. d.). Kultformen: vorherrschende Religion Monodrumismus. Laut M. ist die Welt vom Großen Druma erschaffen worden, in Form der Urwirre, aus der die Sonnen und Planeten mit Enteropien an der Spitze entstanden sind. Die Ardriten bauen feste und zusammenlegbare plattierte Tempel. Neben dem Monodrumismus sind noch ein Dutzend Sekten tätig, die wichtigste ist die der Plakotralen. Die Plakotralen glauben an nichts, ausgenommen an die Emphesis (s. d.), und nicht einmal alle. Kunst: Tanz (Wälztanz), Radioakte, Sepulieren, Phantodrama. Architektur: im Zshang mit den Ströms – Preßblasen in Blockmasse. Trichterblöcke erreichen eine Höhe von 130 Stockwerken. Ovicellare (eiförmige) Bauten vorwiegend auf künstlichen Monden.
b) Tiere. Fauna von silikonoidalem Typ, wicht. Vertreter: Ekel
schleicher, autumale Dendrogen, Asmaniten, Kulupen und Heulokteseln. Zur Zeit der Ströms Jagdverbot für Kulupen und Okteseln. Die Tiere sind für Menschen ungenießbar, mit Ausnahme der Kulupen (nur in der Gegend des Zard, s. d.). Wasserfauna: liefert Rohstoffe für Lebensmittelindustrie. Wichtigste Vertreter: Infernalia (Höllenschaben), Wänzel, Fläuse und Filben. Zu den Besonderheiten Enteropiens gehört die Torpe mit ihrer schlickbestimmten Flora und Fauna. Ähnliches finden wir in unserem Milchstraßensystem nur in den Auen der stammlosen Jupiterwälder. Das Leben auf Enteropien hat sich, wie die Untersuchungen der Schule von Prof. Tarantoga ergeben, aus den Balbasilschichten im Bereich der Torpe entwickelt. Infolge fortschreitender Bebauung im Wasser und zu Lande ist damit zu rechnen, daß die Reste der Torpe bald verschwinden. Da sie unter § 6 des Statuts über den Schutz planetarischer Denkmäler (Codex Galacticus, T. MMDVII, vol. XXXII, pag. 4670) fällt, ist die Torpe Naturschutzgebiet; verboten ist vornehmlich, im Dunkeln daraufzutrampeln.
  In dem Artikel ist mir alles klar, ausgenommen die Sepulken, der Transmus und der Ström. Leider endet der bisher letzte Band der Enzyklopädie mit dem Stichwort »Soßen«, also sind Transmus und Ström noch nicht behandelt. Doch ich ging zu Tarantoga, um bei »Sepulken« nachzuschlagen. Ich fand einen kurzen Hinweis:
  Sepulken – wichtiges Element in der Zivilisation der Ardriten (s. d.) auf dem Planeten Enteropia (s. d.); s. Sepulkaria.
  Ich folgte dem Ratschlag und las:
  Sepulkaria – zum Sepulieren (s. d.) dienende Objekte.
  Ich suchte bei »Sepulieren« nach und fand:
  Sepulieren – Tätigkeit der Ardriten (s. d.) auf dem Planeten Enteropia (s. d.); s. a. Sepulken.
  Der Kreis war geschlossen, nichts blieb mehr zum Nachschlagen. Niemals würde ich vor dem Professor meine Unkenntnis der Dinge eingestehen, und einen anderen könnte ich ja gar nicht fragen. Also sind die Würfel gefallen – ich, habe beschlossen, nach Enteropien zu fliegen. In drei Tagen reise ich ab.

28. VIII.
  Bin gleich nach dem Mittagessen um zwei gestartet. Keine Bücher mit, da ich nun das neue Elektronenhirn habe. Bis zum Mond seine Witze angehört. Habe ich gelacht! Dann Abendbrot, und schlafen.

29. VIII.
  Ich scheine mich im Mondschatten erkältet zu haben, denn ich niese ununterbrochen. Aspirin eingenommen. Auf der Bahn drei Lastraketen vom Pluto getroffen; der Maschinist telegrafiert, ich solle Weg räumen. Ich erkundigte mich, was er geladen habe, und dachte schon, Gott weiß was, da war’s lauter Firlefanz. Gleich danach ein Eiltransport vom Mars, schrecklich überfüllt. Durch die Fenster war zu sehen, daß die Passagiere wie Heringe aufeinanderlagen. Mit Taschentüchern gewinkt, bis nichts mehr zu erkennen war. Dann Witze gehört bis zum Abendessen. Sind großartig, muß aber ständig niesen.

30. VIII.
  Geschwindigkeit erhöht. Hirn arbeitet tadellos. Es war schon so weit, daß mir das Trommelfell weh tat; daher schaltete ich den Apparat für zwei Stunden aus und knipste das Elektrokissen an. Hat mir gutgetan. Nach zwei Radiosignal aufgefangen, das Popow im Jahre 1896 von der Erde aufgelassen hat. Befinde mich bereits in beträchtlicher Entfernung von der Erde.

31. VIII.
  Sonne kaum noch sichtbar. Vor dem Mittagessen Spaziergang rund um die Rakete, um mir die Beine zu vertreten. Bis zum Abend – Witze. Die meisten haben einen langen Bart. Ich glaube beinahe, der Werkstattleiter hat dem Hirn alte humoristische Zeitschriften zu lesen gegeben und lediglich oben mehrere Handvoll neuer Witze hinzugetan. Vergaß gänzlich die Kartoffeln, die ich in die Atomsäule gestellt hatte, nun sind sie restlos verbrannt.

32. VIII.
  Infolge der Geschwindigkeit dehnt sich die Zeit – es müßte längst Oktober sein, hier aber noch immer August und weiter nichts. Im Fenster begann etwas zu flimmern. Ich dachte schon, die Milchstraße, aber es ist nur der Lack, der absplittert. Verdammter Schund! Auf meinem Kurs liegt eine Dienstleistungsstation. Ich überlege, ob es sich lohnt, anzuhalten.
33. VIII.
  Immer noch August. Nachmittags bei der Station gelandet. Sie steht auf einem kleinen kahlen Planeten. Das Stationsgebäude ist wie ausgestorben, keine lebende Seele weit und breit. Mit einer Blechbüchse in der Hand ging ich auskundschaften, ob die hier nicht irgendwelchen Lack haben. So trieb ich mich herum, bis ich ein Schnaufen vernahm. Ich schaue genauer hin: Da stehen hinter dem Stationsgebäude mehrere Dampfmaschinen in lebhafter Unterhaltung!
  Als ich näher trete, höre ich die eine sagen: »Es ist doch klar, die Wolken sind eine Lebensform der Dampfmaschinen im Jenseits. Die Grundfrage lautet doch: Was war zuerst – Dampfmaschine oder Wasserdampf? Ich behaupte – der Dampf!«
  »Schweig, ruchloser Idealist!« zischte eine andere.
  Ich versuchte, sie um Lackfarbe zu bitten, sie schnoben und pfiffen aber so laut, daß ich mein eigenes Wort nicht mehr verstehen konnte. Also trug ich mich in das Beschwerdebuch ein und flog weiter.
  Soll dieser August nie enden? Vormittags die Rakete geputzt. Entsetzliche Langeweile. Gleich wieder hinein, zum Elektronenhirn. Statt lachen zu können, wurde ich von einem solchen Gähnen befallen, daß ich mir schon wegen der Kiefer Sorgen machte. Steuerbords ein kleiner Planet. Im Vorbeifliegen bemerkte ich weiße Punkte. Durchs Fernrohr konnte ich erkennen, daß es Warnschilder waren mit der Aufschrift: »Nicht hinauslehnen!« Mit dem Gehirn ist etwas nicht in Ordnung – es verschluckt die Pointen.
1. X.
  Ich mußte auf dem Stroglon haltmachen, denn der Treibstoff war ausgegangen. Beim Bremsen hatte ich noch solchen Schwung, daß ich den ganzen September durch geflogen bin.
  Auf dem Flugplatz großer Betrieb. Habe die Rakete im Vakuum gelassen, um dem Zoll zu entgehen, und lediglich die Kanister mitgenommen. Zuvor berechnete ich mit Hilfe des Elektronenhirns die Bewegungskoordinaten der Ellipse. Eine Stunde später kehrte ich mit vollen Kannen zurück, von der Rakete aber keine Spur. Natürlich machte ich mich auf die Suche. Ich glaubte schon, den Geist aufgeben zu müssen, legte aber doch an die viertausend Kilometer zu Fuß zurück. Natürlich – das Hirn hatte sich geirrt. Ich werde mit dem Werkstattdirektor ein ernstes Wort reden müssen, wenn ich wieder zu Hause bin.

2. X.
  Die Geschwindigkeit ist so groß, daß sich die Sterne in feurige Streifen verwandelt haben, als schwenkte jemand in einem dunklen Zimmer eine Million angezündete Zigaretten. Das Hirn stottert. Zu meinem Unglück ist obendrein der Schalter abgebrochen, nun kann ich das Ding nicht abstellen. Es redet pausenlos.

3. X.
  Das Hirn scheint sich zu erschöpfen, es buchstabiert nämlich schon. Allmählich gewöhne ich mich daran. Soviel es geht, sitze ich draußen und lasse nur die Beine hineinhängen, oben ist es ordentlich kalt.

7. X.
  Gegen halb zwölf landete ich auf der Anreisestation in Enteropien. Die Rakete war durch das Bremsen stark erhitzt. Ich vertäute sie am Oberdeck des künstlichen Mondes, auf dem die Station liegt, und stieg ins Innere hinab, um die Formalitäten zu erledigen. In dem spiralförmigen Gang war ein unheimlicher Betrieb; Zugereiste aus den entferntesten Gegenden der Milchstraße wandelten, wogten und hüpften von Schalter zu Schalter. Ich stellte mich in eine Schlange, vor mir stand ein hellblauer Algolan, der mich mit höflicher Gebärde warnte, zu dicht an sein hinteres elektrisches Organ heranzutreten. Nach mir kam ein junger Saturnine in einer beigefarbenen Schlauchweste. Mit drei Saugarmen hielt er Koffer, mit dem vierten wischte er sich den Schweiß. Es herrschte in der Tat eine beträchtliche Hitze. Als ich an die Reihe kam, musterte mich der Beamte, der durchsichtig war wie Kristall, verfärbte sich grün (die Ardriten drücken Gefühle durch Veränderung ihrer Farbe aus; grün entspricht unserem Lächeln) und fragte: »Sie sind Säuger?«
  »Ja.«
  »Zweidüsig?«
  »Nein. Nur Luft…«
  »Danke, ausgezeichnet. Gemischte Kost?«
  »Ja.«
  »Von welchem Planeten, wenn ich fragen darf?«
  »Erde!«
  »Bitte an den nächsten Schalter.«
  Ich wandte mich dorthin, und als ich hineinschaute, konstatierte ich, daß ich genau denselben Beamten vor mir hatte, oder vielmehr seine Fortsetzung. Er blätterte in einem dicken Band.
  »So, da hätten wir’s«, sagte er, »Erde… Hm, sehr gut. Kommen Sie als Tourist oder geschäftlich?«
  »Als Tourist.«
  »Dann gestatten Sie…«
  Mit einem Taster füllte er einen Fragebogen aus, während er mit dem anderen einen zweiten zur Unterschrift reichte und sagte: »In einer Woche setzt der Ström ein. Würden Sie deshalb bitte die Freundlichkeit haben und sich nach Zimmer hundertsechzehn bemühen, dort befindet sich unsere Reservenfabrik, die sich Ihrer annehmen wird. Dann gehen Sie bitte in Zimmer siebenundsechzig, das ist die pharmazeutische Kabine. Sie erhalten dort Eufrugliumpillen, die Sie alle drei Stunden einnehmen müssen, um die radioaktive Wirkung unseres Planeten, die für Ihren Organismus schädlich ist, zu neutralisieren… Wünschen Sie während Ihres Aufenthaltes hier zu leuchten?«
  »Danke, nein.«
  »Wie Sie meinen. Bitte, das sind Ihre Papiere. Sie sind Säuger, nicht wahr?«
  »Ja.«
  »Also dann auf ein gutes Saugen!«
  Ich verabschiedete mich von dem freundlichen Beamten und ging, wie er mir aufgetragen hatte, zum Reservenlabor. Der eiförmige Raum schien auf den ersten Blick leer zu sein. Ein paar elektrische Apparate standen darin; an der Decke funkelte wie ein Brillant eine Kristallampe. Es war jedoch ein Ardrit, der diensthabende Techniker, der sich sogleich von der Decke herabließ. Ich setzte mich auf einen Sessel, er aber nahm mir Maß und unterhielt sich mit mir. Schließlich sagte er: »Danke, wir werden Ihre Knospe allen Brutstätten auf dem Planeten zuschicken. Sollte Ihnen während des Ströms etwas zustoßen, dann können Sie völlig beruhigt sein… wir liefern sofort die Reserve!«
  Ich begriff nicht ganz, was er meinte, aber ich hatte mir auf meinen langjährigen Wanderungen Diskretion angewöhnt und fragte nicht weiter, denn nichts ist den Bewohnern eines Planeten weniger angenehm, als einem Fremden die lokalen Sitten und Bräuche erläutern zu müssen. Vor der pharmazeutischen Kabine stellte ich mich wieder an. Die Schlange bewegte sich jedoch so rasch vorwärts, daß ich recht bald von der geschäftigen Ardritin im Fayencelampenschirm meine Portion Pillen in Empfang nehmen konnte. Noch eine kleine Formalität mit dem Zoll – ich wollte mich lieber nicht mehr auf das Elektronenhirn verlassen –, und ich begab mich mit dem Visum in der Hand wieder an Bord.
  Gleich hinter dem Mond beginnt die Kosmotrasse, die schön in Ordnung gehalten ist – zu beiden Seiten hängen große Reklameparolen. Die einzelnen Buchstaben sind mehrere tausend Kilometer voneinander entfernt, jedoch bei normaler Fluggeschwindigkeit bekommt man die Worte so rasch zusammen, als wären sie ein Zeitungstext. Eine Weile las ich mit Interesse, zum Beispiel: »Jäger! Benutzt nur die Jagdpaste Mlin!« oder: »Willst du großes Behagen – geh Oktesel jagen!« und ähnliche.
  Um sieben Uhr abends landete ich auf dem Flughafen von Tentotam. Die blaue Sonne war eben untergegangen. In den Strahlen der roten, die noch ziemlich hoch am Himmel stand, schien alles lichterloh zu brennen – ein einzigartiger Anblick. Neben meiner Rakete senkte sich majestätisch ein Milchstraßenkreuzer hernieder. Unter seinem Heck spielten sich herzbewegende Szenen ab. Ardriten, lange Monate voneinander getrennt, fielen sich mit Rufen des Entzückens in die Arme und eilten dann – Väter, Mütter und Kinder in zärtlicher Umarmung zu Kugeln vereint, die in den Sonnenstrahlen rötlich funkelten – dem Ausgang zu. Auch ich folgte den harmonisch rollenden Familien; dicht bei dem Flughafen liegt eine Glambushaltestelle. Ich stieg in dieses Fahrzeug; es war oben mit goldenen Lettern verziert, die den Satz bildeten: »Pasta raus – jagt allein!« Das Vehikel ähnelt in gewisser Hinsicht einem Schweizer Käse; in den großen Löchern nehmen die Erwachsenen Platz, in den kleinen die Kinder. Kaum saß ich drinnen, fuhr der Glambus ab. Umgeben von seinem kristallischen Mark, sah ich über, unter mir und ringsherum die sympathisch durchscheinenden verschiedenfarbigen Mitreisenden. Ich langte in die Tasche nach dem Baedeker, es war höchste Zeit, mich zu informieren. Doch welche Enttäuschung harrte meiner! Hatte ich doch aus Versehen den Band über den Planeten Enteuropien mitgenommen, der drei Millionen Lichtjahre von meinem jetzigen Standort entfernt lag. Vermaledeite Zerstreutheit.
  Mir blieb nichts übrig, als die Tentotamer Filiale des bekannten astronautischen Büros Galax aufzusuchen. Der Schaffner ließ auf meine Frage den Glambus unverzüglich halten, wies mit seinem Tastorgan auf ein riesiges Gebäude und verfärbte sich herzlich zum Abschied.
  Eine Weile stand ich still und berauschte mich an dem ungewohnten Bild, das die im Dämmer versinkende Innenstadt bot. Die rote Sonne war eben untergegangen. Die Ardriten brauchen keine künstliche Beleuchtung, weil sie selbst leuchten. Die Mrudrallee, auf der ich stand, funkelte nur so von Passanten. Eine junge Ardritin kam vorbei; sie strahlte unter ihrem Leuchtschirmchen kokett in goldenen Streifen, doch sogleich verlosch sie züchtig – offenbar hatte sie in mir den Ausländer erkannt.
  Die Häuser nah und fern sprühten und flammten von den heimkehrenden Bewohnern; in den Tempeln glühten inbrünstig ins Gebet versunkene Massen; die Kinder irisierten mit rasender Geschwindigkeit über die Treppenflure – das alles war so bezaubernd, so bunt, daß ich recht unlustig meinen Weg fortsetzte; doch ich fürchtete, die Galax würde schließen, wenn ich länger verweilte.
  Vom Vestibül des Reisebüros schickte man mich in die Provinzabteilung im dreiundzwanzigsten Stockwerk. Es ist nun einmal eine traurige, aber unumstößliche Tatsache: Die Erde liegt in einer wenig bekannten Gegend, sie liegt in der tiefsten Provinz des Kosmos.
  Die Angestellte, die mich in der Abteilung Touristenfürsorge empfing, sagte mir, ganz trüb vor Verlegenheit, die Galax habe leider keine Reiseführer oder Besichtigungspläne für Erdbewohner, da von diesen nur selten einer, vielleicht einmal in hundert Jahren, nach Enteropien komme. Sie bot mir daher einen Ratgeber für Jupiteraner an, im Hinblick auf die gemeinsame Sonnenabstammung von Jupiter und Erde. Mangels eines geeigneteren nahm ich ihn an und bat sie noch, im Hotel Kosmonia ein Zimmer für mich zu bestellen. Schließlich ließ ich mich für die Jagd vormerken, die von der Galax organisiert wird, und trat dann wieder auf die Straße hinaus. Meine Lage war insofern mißlich, als ich selber nicht leuchtete; als ich daher an der nächsten Kreuzung einen Ardriten den Verkehr regeln sah, stellte ich mich in seinen Lichtschein und blätterte den Reiseführer durch. Wie zu erwarten, brachte er lediglich Informationen, wo man sich mit Methanprodukten eindecken könne, wie bei offiziellen Empfängen die Fühler zu stellen seien und so weiter. Ich warf das Heft also in einen Papierkorb, hielt ein vorbeifahrendes Eborett an und ließ mich in den Bezirk der Trichterblöcke fahren. Diese prächtigen kelchähnlichen Bauten funkelten in der Ferne von den bunten Lichtern der Ardriten, die sich ihrem Familienleben widmeten; in den Verwaltungsgebäuden wogten wunderbar die Leuchthalsbänder der Beamten.
  Ich stieg ab und schlenderte weiter; als ich staunend den hochgetürmten Bau der Suppenverwaltung betrachtete, verließen ihn zwei höhere Beamte, die am intensiveren Leuchten und an den roten Kämmen um ihren Schirm zu erkennen sind. Sie blieben in meiner Nähe stehen, so daß ich folgendes Gespräch auffangen konnte:
  »Breitwischen der Ränder nicht mehr verbindlich?« fragte der eine, der von hoher Gestalt und über und über mit Orden behängt war.
  Der andere hellte sich auf und entgegnete: »Nein. Der Direktor meint, wir werden das Programm nicht schaffen, und das alles wegen Grudrufs. Es bleibt nichts übrig, sagt der Direktor, als ihn zu verwandeln.«
  »Wen, Grudrufs?«
  »Ja.«
  Der erste verlosch, nur die Orden leuchteten weiter in verschiedenfarbigen Kränzen; dann sagte er, die Stimme dämpfend: »Schrumpfen wird er, der Arme.«
  »Mag er schrumpfen, das hilft ihm auch nicht. Sonst wird niemals Ordnung herrschen. Man transmutiert doch Leute nicht jahrelang, damit es hinterher mehr Sepulken gibt!«
  Neugierig rückte ich an die beiden Ardriten heran, doch sie entfernten sich schweigend. Merkwürdig, daß mir erst nach diesem Erlebnis das Wort »Sepulken« häufiger begegnete. Bestrebt, das Nachtleben der Metropole kennenzulernen, durcheilte ich die Straßen, und aus der Menge der Passanten drang immer wieder jenes rätselhafte Wort an mein Ohr, teils im Flüsterton, teils laut mit Emphase gesprochen; man konnte es auf den Anschlagkugeln lesen, die Auktionen und Versteigerungen seltener Sepulken ankündigten, und in den flammenden Neonreklamen, die die modischen Sepulkarien anpriesen. Vergebens rätselte ich, was das sein mochte; um Mitternacht schließlich, als ich mich in einer Bar im achtzigsten Stock eines Warenhauses mit Kulupensahne erfrischte, indes eine ardritische Sängerin den Schlager »Sepulkchen, mein Kleines« vortrug, da wuchs meine Neugier ins Unerträgliche, so daß ich einfach einen vorbeieilenden Kellner fragte, wo ich eine Sepulke erwerben könnte.
  »Gegenüber«, antwortete der mechanisch, während er kassierte. Dann sah er mich aufmerksam an und verfinsterte sich ein wenig.
  »Sind Sie allein?« forschte er.
  »Ja. Warum fragen Sie?«
  »Ach, nichts. Ich habe leider kein Kleingeld.«
  Ich verzichtete auf den Rest und fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter. In der Tat, gegenüber erblickte ich eine riesige Sepulkenreklame; ich versetzte der Glastür einen Stoß und schritt in das zu dieser Stunde leere Magazin. Ich trat an den Ladentisch und verlangte mit geheucheltem Gleichmut eine Sepulke.
  »Für welches Sepulkarium?« fragte der Verkäufer, der von seinem Bügel zu Boden glitt.
  »Nun, für ein… ganz gewöhnliches«, entgegnete ich.
  »Wieso ein gewöhnliches?« fragte er verwundert. »Wir führen nur Sepulken mit Pfiff…«
  »Dann also geben Sie mir bitte eine…«
  »Und wo haben Sie Ihre Matrixbüchse?«
  »Hm, ich habe sie nicht bei mir…«
  »Wie wollen Sie dann die Sepulke ohne Ihre Frau nehmen?« fragte der Verkäufer und schaute mich dabei prüfend an. Er trübte sich allmählich.
  »Ich habe keine Frau«, entfuhr es mir unwillkürlich.
  »Sie… haben… keine… Frau?« stammelte der Verkäufer, nunmehr schwarz, und betrachtete mich entsetzt. »Und da wollen Sie eine Sepulke? Ohne Gattin?«
  Ich zitterte am ganzen Leibe. Wie ein begossener Pudel flüchtete ich auf die Straße, erwischte ein freies Eborett und ließ mich wütend zu einem Nachtlokal fahren. Es hieß Myrgindragg. Als ich eintrat, hörte das Orchester gerade zu spielen auf. Hier baumelten an die dreihundert Personen. Auf der Suche nach einem Platz arbeitete ich mich durchs Gedränge – da hörte ich plötzlich meinen Namen rufen; voller Freude entdeckte ich ein bekanntes Gesicht, es gehörte einem Geschäftsreisenden, den ich einst auf Antropien kennengelernt hatte. Er baumelte samt Frau und Tochter. Ich stellte mich den Damen vor und tat mein Bestes, die bereits recht angeheiterte Gesellschaft zu unterhalten, die sich hin und wieder aufschwang, um bei den Klängen einer Tanzmelodie über das Parkett zu rollen. Die Gattin meines Bekannten bat mich inständig, es doch auch einmal zu versuchen; schließlich faßte ich mir ein Herz, und zu viert fest umfangen, wälzten wir uns bei einem feurigen Mambrin auf dem Boden. Ehrlich gesagt, holte ich mir dabei etliche blaue Flecke, machte jedoch gute Miene zum bösen Spiel und heuchelte Begeisterung. Als wir an unseren Tisch zurückgingen, fragte ich meinen Bekannten leise nach den Sepulken.
  »Wie bitte?« Er hatte nicht richtig verstanden. Ich wiederholte die Frage und fügte hinzu, daß mir am Erwerb einer Sepulke gelegen sei. Offensichtlich hatte ich zu laut gesprochen, denn die in unserer Nähe hängenden Ardriten drehten sich herum und betrachteten mich mit trüben Gesichern, indes mein Bekannter vor Angst die Taster faltete.
  »Um Drumas willen, Herr Tichy – Sie sind doch ledig.«
  »Was macht das schon«, erwiderte ich, nun bereits leicht gereizt, »darf ich etwa keine Sepulke sehen?«
  Die Worte fielen in eine plötzlich entstandene Stille. Die Frau meines Bekannten fiel ohnmächtig zu Boden, er stürzte zu ihr, während die Ardriten ringsum auf mich zu wogten, durch ihre Farbe feindselige Absichten verratend. In diesem Augenblick erschienen drei Kellner; sie packten mich am Kragen und warfen mich auf die Straße.
  Wutschnaubend hielt ich ein Eborett an und ließ mich zum Hotel fahren. Die ganze Nacht tat ich kein Auge zu, so sehr drückte und zwickte mich etwas; erst im Morgengrauen kam ich dahinter, daß die Hotelbedienung mangels klarer Anweisungen von der Galax – auf Grund ihrer Erfahrungen mit Gästen, die die Matratzen bis zur Federung durchzubrennen pflegen – mein Lager mit Asbest ausgelegt hatte. Die unangenehmen Ereignisse des Vortages verloren im Lichte des neuen Morgens für mich ihre Schärfe. Freudig begrüßte ich den Galaxvertreter, der mich um zehn mit einem Eborett voll Schlingen, Kübeln mit Jagdpaste und einem ganzen Jagdwaffenarsenal abholte.
  »Sie hatten doch noch nie Kulupen gejagt?« vergewisserte sich mein Begleiter, als das Vehikel mit hoher Geschwindigkeit durch die Straßen von Tentotam sauste.
  »Nein. Vielleicht könnten Sie mich kurz informieren?« antwortete ich lächelnd.
  Meine langjährige Erfahrung, die ich bei Streifzügen nach den größten Dickhäutern der Milchstraße gesammelt hatte, berechtigte mich zu solcher Gemütsruhe.
  »Ich stehe Ihnen zu Diensten«, entgegnete der Reiseführer beflissen.
  Er war ein hagerer Ardrit von glasigem Teint, ohne Leuchtschirm, eingehüllt in ein dunkelblaues Gewebe – eine solche Kleidung hatte ich auf dem Planeten noch nicht gesehen. Als ich ihm das bedeutete, erklärte er, es sei die Jägerkluft, für das Heranpirschen an das Tier geradezu unentbehrlich; was ich für Stoff hielt, sei eine Spezialsubstanz, die auf den Körper aufgetragen werde. Kurz, ein Spritzanzug, bequem, praktisch und vornehmlich geeignet, das natürliche Leuchten der Ardriten, das den Kulupen verscheuchen könnte, gänzlich abzudunkeln.
  Mein Begleiter holte ein bedrucktes Blatt aus seiner Aktentasche und gab es mir zu lesen; ich habe es noch unter meinen Papieren:

Kulupenjagd
Anweisung für Ausländer
  Als Jagdwild stellt der Kulup höchste Anforderungen sowohl an die persönlichen Qualitäten des Jägers wie an seine Ausrüstung. Da sich dieses Wild im Zuge der Evolution den Meteoritenniederschlägen angepaßt hat, indem es einen undurchdringlichen Panzer herausbildete, werden die Kulupen von innen gejagt.
  Zur Kulupenjagd sind erforderlich:
  in der einleitenden Phase – Grundierpaste, Pilzsoße, Schnittlauch, Pfeffer und Salz; in der eigentlichen Jagdphase – Reisfeger, Zeitzünderbombe.
I. Vorbereitung auf dem Anstand.
  Die Kulupen müssen geködert werden. Der Jäger kauert sich, nachdem er sich mit Grundierpaste eingerieben hat, in eine Bodenrille, dann bestreuen ihn seine Gefährten mit feingehacktem Schnittlauch und würzen ihn.
  II. In dieser Lage erwartet er das Wild. Wenn sich das Tier genähert hat, ist die Höllenmaschine, die zwischen den Knien gehalten wird, mit beiden Händen fest zu umspannen; dabei Ruhe bewahren! Der hungrige Kulup schlingt den Bissen gewöhnlich sofort. Falls ein Kulup nicht zuschnappen will, kann man ihm zur Ermunterung sanft auf die Zunge klopfen. Wenn auch das nicht hilft, so raten einige Sachkundige, man solle sich zusätzlich salzen; das ist jedoch höchst riskant, weil der Kulup dadurch zum Niesen gereizt wird. Es sind nur wenige Fälle bekannt, in denen ein Jäger das Niesen eines Kulupen überlebt hat.
  III. Hat der Kulup den Köder genommen, so beleckt er sich und trottet von dannen. Wenn der Jäger merkt, daß er verschlungen ist, dann schreitet er unverzüglich zur aktiven Phase, das heißt, er stäubt mit dem Feger Schnittlauch und Würze von seinem Körper, damit die Paste ungehindert ihre purgierende Wirkung entfalten kann; danach stellt er die Zeitzünderbombe ein und entfernt sich möglichst rasch in entgegengesetzter Richtung.
  IV. Beim Verlassen des Kulupen ist darauf zu achten, daß man auf Hände und Füße fällt und keinen Schaden erleidet.
  Bemerkungen. Die Verwendung scharfer Gewürze ist verboten. Ebenfalls verboten ist das Ködern der Kulupen durch eingestellte und mit Schnittlauch bestreute Zeitzünderbomben. Ein solches Vorgehen wird als Wilddieberei geahndet.

An der Grenze des Jagdreservats erwartete uns bereits der Verwalter, Herr Wauwr, umringt von seiner Familie, die wie ein Kristall in der Sonne glitzerte. Dieser überaus herzliche und gastfreundliche Mann lud uns zu einem Imbiß ein; wir verbrachten mehrere Stunden in seiner angenehmen Gesellschaft und lauschten den Ge schichten aus dem Leben der Kulupen und den Jagderinnerungen Wauwrs und seiner Söhne. Plötzlich stürzte atemlos ein Bote herein und berichtete, die aufgespürten Kulupen seien von den Treibern in den Urwald gescheucht worden.

  »Die Kulupen müssen nämlich erst tüchtig gehetzt werden, damit sie Hunger bekommen!« erläuterte der Verwalter.
  Mit Paste eingerieben, bewehrt mit Bombe und Gewürzen, betrat ich in Begleitung Wauwrs und des Reiseführers die Gefilde der Torpe. Die Straße verlor sich bald in undurchdringlichem Dickicht. Wir kamen nur mit Mühe voran, oft behindert durch die Spuren der Kulupen, die Trichtern von fünf Meter Durchmesser glichen. Als wir ein großes Stück Wegs marschiert waren, erbebte auf einmal der Boden, der Reiseführer blieb stehen und gebot mir mit dem Taster Schweigen. Ein Donnern erhob sich, als tobte ein Gewitter hinter dem Horizont.
  »Hören Sie?« flüsterte der Reiseführer.
  »Ich höre. Ein Kulup?«
  »Ja. Er mistet.«
  Wir bewegten uns jetzt langsamer und vorsichtiger. Das Getöse hatte sich gelegt, und die Torpe versank wieder in Schweigen. Endlich schimmerte eine weite Lichtung durch das Dickicht. Meine Begleiter wählten an ihrem Rande einen guten Anstand, würzten mich, und nachdem sie sich überzeugt hatten, daß ich Feger und Bombe in Bereitschaft hielt, entfernten sie sich auf Zehenspitzen, wobei sie mir Geduld empfahlen. Eine Zeitlang herrschte Stille, unterbrochen nur durch die Klagelaute der Okteseln; die Beine waren mir schon erstarrt, da erzitterte der Boden. Ich gewahrte eine Bewegung in der Ferne – die Baumwipfel mir gegenüber neigten sich und stürzten um, die Bahn des Wildes zeichnend. Es mußte ein kapitaler Bursche sein. In der Tat ließ sich auch bald ein Kulup am Rande der Lichtung blicken, stampfte über die liegenden Stämme hinweg und schritt vor sich hin. Majestätisch pendelnd, kam er mit lautem Schnuppern auf mich zu. Ich packte mit beiden Händen die Bombengriffe und wartete kaltblütig. Der Ku lup blieb in einer Entfernung von etwa fünfzig Metern stehen und beleckte sich. In seinem durchsichtigen Innern konnte ich deutlich die Überreste vieler gescheiterter Jäger erkennen.
  Der Kulup überlegte recht lange; ich fürchtete schon, er würde umkehren, da trapste er heran und probierte mich. Ich hörte ein dumpfes Schmatzen und verlor den Boden unter den Füßen.
  Angebissen! Glück gehabt! dachte ich. Innen war es gar nicht so finster, wie ich im ersten Augenblick geglaubt hatte. Ich säuberte mich, hob sodann die schwere Zeitzünderbombe und wollte das Uhrwerk stellen, als mich ein Räuspern auffahren ließ. Ich blickte auf und sah einen mir fremden Ardriten, der sich ebenso wie ich über seine Bombe bückte.
  »Was tun Sie hier?« fragte ich, nachdem wir einander eine Weile gemustert hatten.
  »Ich jage den Kulupen«, erwiderte er.
  »Ich auch«, sagte ich, »doch lassen Sie sich bitte nicht stören. Sie waren ja als erster hier.«
  »Aber nicht doch«, entgegnete der andere. »Sie sind Ausländer.«
  »Was tut’s zur Sache«, antwortete ich, »ich behalte meine Bombe eben für ein andermal. Bitte nehmen Sie auf mich keine Rücksicht.«
  »Um nichts in der Welt!« rief er. »Sie sind unser Gast.«
  »In erster Linie bin ich Jäger.«
  »Und ich Gastgeber, darum erlaube ich nicht, daß Sie meinetwegen auf diesen Kulupen verzichten müssen! Bitte beeilen Sie sich, die Paste fängt bereits an zu wirken!«
  In der Tat wurde der Kulup unruhig; sogar bis hierher drang sein gewaltiges Schnaufen, etwa als ließen fünfzig Lokomotiven zugleich Dampf.
  Als ich sah, daß der Ardrit nicht nachgeben würde, stellte ich den Zeitzünder ein und wartete auf meinen Gefährten. Der jedoch wollte mir unbedingt den Vortritt lassen. Bald stiegen wir denn auch aus, das heißt wir fielen. Die Fallhöhe entsprach einem zwei stöckigen Haus, und ich verstauchte mir leicht einen Knöchel. Sichtlich erleichtert stampfte der Kulup ins Dickicht und knickte dort die Bäume mit lautem Gedröhn. Auf einmal ein fürchterliches Krachen, und alles wurde still.
  »Da liegt er! Meinen herzlichsten Glückwunsch!« schrie der Jäger und drückte mir innig die Rechte. In diesem Augenblick nahten mein Reiseführer und der Verwalter des Geheges.
  Es dämmerte bereits, die Zeit drängte; der Verwalter versprach, den erlegten Kulupen eigenhändig auszustopfen und mir mit dem nächsten Raketenfrachter auf die Erde nachzuschicken.

5. XI.
  Vier Tage keine Eintragung gemacht, bin sehr beschäftigt. Jeden Morgen Typen aus der Kommission für Kulturelle Zusammenarbeit mit dem Kosmos, Museen, Ausstellungen, Radioakte, und am Nachmittag Besuche, offizielle Empfänge, Aussprachen. Bin ziemlich erschöpft. Mein Betreuer von der KfKZK sagte mir gestern, demnächst würde der Ström hereinbrechen, aber ich vergaß, ihn zu fragen, was das bedeutet. Ich soll Professor Zazul, einem hervorragenden ardritischen Gelehrten, vorgestellt werden, weiß nur noch nicht, wann.

6. XI.
  Heute morgen riß mich ein entsetzlicher Donner aus dem Schlaf. Ich sprang aus dem Bett und erblickte über der Stadt hohe Rauch- und Feuersäulen. Sogleich rief ich die Hotelauskunft an und fragte, was denn los sei.
  »Nichts Besonderes«, erwiderte die Telefonistin. »Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, das ist nur der Ström.«
  »Der Ström?«
  »Ja doch, die Meteorenströmung, die uns alle zehn Monate heimsucht!«
  »Das ist ja furchtbar!« rief ich aus. »Muß man da nicht in den Schutzkeller?«
  »Oh, gegen Meteorentreffer gibt es keinen Schutz. Aber wie jeder einzelne Bürger besitzen Sie doch eine Reserve und haben daher nichts zu befürchten.«
  »Was für eine Reserve?« fragte ich, aber die Telefonistin hatte schon aufgelegt. Ich zog mich rasch an und trat ins Freie. Der Straßenverkehr war völlig normal; die Passanten gingen ihren Angelegenheiten nach, die Amtspersonen mit ihren bunt flammenden Orden auf der Brust fuhren in die Büroblöcke, und in den Grünanlagen leuchteten und sangen die Kinder im Spiel. Die Explosionen klangen nach einiger Zeit ab, und nur von fern drang ein ununterbrochenes Donnern. So wähnte ich, der Ström sei offenbar eine verhältnismäßig unschädliche Naturerscheinung, da sich hier niemand etwas daraus machte, und ließ mich, wie vorgesehen, zum zoologischen Garten befördern.
  Ich wurde vom Direktor selbst umhergeführt, einem hageren, nervösen Ardriten von schönem Glanz. Der Tentotamer Zoo ist sehr ordentlich gehalten; der Direktor erklärte mir stolz, daß er Tiersammlungen aus den entlegensten Gegenden der Milchstraße besitze, darunter auch etwas von der irdischen Fauna. Gerührt wollte ich es sehen.
  »Jetzt ist es leider unmöglich«, entgegnete der Direktor und fügte auf meinen fragenden Blick hinzu: »Schlafenszeit. Wissen Sie, wir hatten große Schwierigkeiten mit der Akklimatisierung, und ich fürchtete schon, daß wir ein Exemplar davon nicht am Leben erhalten könnten, doch zum Glück zeitigte die Vitamindiät, die unsere Gelehrten zusammenstellten, glänzende Resultate.«
  »Aha, aber was sind das eigentlich für Tiere?«
  »Fliegen. Haben Sie Kulupen gern?«
  Er musterte mich mit einem eigenartigen erwartungsvollen Blick, so daß ich in einem Ton antwortete, der ungeheuchelte Begeisterung verraten sollte: »O ja, sehr, es sind doch so reizende Geschöpfe!«
  Er hellte sich auf. »Das freut mich. Wir gehen gleich zu ihnen, zuvor aber müssen Sie mich ein Weilchen entschuldigen.«
  Er kam sofort wieder, ein Seil um den Leib, und führte mich in das Kulupengehege, das von einer neunzig Meter hohen Mauer umgeben war. Er öffnete die Pforte und ließ mir den Vortritt.
  »Sie können ruhig hineingehen«, sagte er, »meine Kulupen sind ganz zahm.«
  Ich sah mich auf einer künstlich angelegten Torpe, wo sechs oder sieben Kulupen weideten, lauter Prachtexemplare, jedes etwa drei Hektar groß. Als der Leitkulup die Stimme des Direktors hörte, trottete er heran und hielt den Schwanz hin. Mein Begleiter erklomm ihn und forderte mich auf, ihm zu folgen. Als es zu steil wurde, entrollte er das Seil und reichte mir ein Ende, damit ich es mir umgürtete. Aneinandergeseilt kletterten wir wohl an die zwei Stunden. Oben auf dem Gipfel angelangt, ließ sich der Direktor, stumm vor Rührung, nieder. Auch ich sprach kein Wort, um seine Gefühle nicht zu verletzen. Nach einer Weile fragte er: »Ist die Aussicht von hier nicht schön?«
  Wir hatten tatsächlich fast ganz Tentotam mit seinen Türmen, Tempeln und Trichterblöcken zu unseren Füßen, in den Straßen wimmelte es von Passanten, die klein waren wie Ameisen.
  »Hängen Sie sehr an den Kulupen?« fragte ich leise, als ich sah, wie zärtlich er dem Tier die Kruppe streichelte.
  »Ich liebe sie«, sagte er schlicht und blickte mich an. »Die Kulupen sind schließlich die Wiege unserer Zivilisation.« Nach einer besinnlichen Pause fuhr er fort: »Einst, es ist Tausende von Jahren her, hatten wir weder Städte noch Prachtbauten, weder Technik noch Reserven… Damals pflegten uns diese mächtigen und doch sanften Wesen, waren sie unsere Zuflucht in der Not der Strömperioden. Ohne die Kulupen hätte kein einziger Ardrit die herrlichen Zeiten von heute erlebt. Und da wird Jagd auf sie gemacht, man rottet sie aus – welche Ungeheuerlichkeit, welch ein Zynismus!«
  Ich wagte nicht, ihn zu unterbrechen. Als er seiner Gemütsbewegung Herr geworden war, fuhr er fort: »Wie ich diese Jäger has se, die Gutes mit Niedertracht vergelten! Sie haben gewiß die Reklame für Jagdpasta gesehen, nicht wahr?«
  »Allerdings.«
  Zutiefst beschämt, zitterte ich bei dem Gedanken, der Direktor könnte erfahren, daß ich eigenhändig einen Kulupen erledigt hatte. Um ihn von diesem heiklen Thema abzulenken, fragte ich: »Verdanken die Ardriten ihnen tatsächlich so viel? Das war mir ja gar nicht bekannt…«
  »Was – Sie wissen nichts davon? Zwanzigtausend Jahre lang trugen uns die Kulupen in ihrem Schoß! Geschützt durch die gewaltigen Panzer vor dem Hagel der todbringenden Meteore, vermochten wir das zu werden, was wir heute sind: vernunftbegabte, schöne Wesen, die im Dunkeln leuchten. Und Sie hätten nichts davon gewußt?«
  »Ich bin Ausländer…«, flüsterte ich, während ich mir im stillen gelobte, nie mehr die Hand gegen einen Kulupen zu erheben.
  »Nun ja, ja…«, erwiderte der Direktor abwesend und stand auf. »Leider müssen wir umkehren, die Pflicht ruft…«
  Vom zoologischen Garten fuhr ich im Eborett zur Galax, wo ich mir die Eintrittskarte für die Nachmittagsvorstellung abholen wollte.
  In der Innenstadt ließen sich von neuem dröhnende Einschläge vernehmen, sie wurden immer lauter und fielen immer dichter. Über den Dächern schossen feuerspeiende Rauchsäulen hoch. Da ich sah, daß keiner der Passanten darauf achtete, schwieg ich, bis das Eborett vor der Galax hielt. Der diensttuende Angestellte fragte, ob mir der Zoo gefallen habe.
  »Doch, doch, sehr hübsch«, antwortete ich, »aber… um Himmels willen, was ist das?«
  Der gesamte Galaxkomplex erbebte. Die beiden Büroblöcke gegenüber, die durchs Fenster wie auf dem Präsentierteller zu sehen waren, barsten unter einem Meteorentreffer. Ich taumelte an die Wand.
  »Das ist nicht schlimm«, meinte der Beamte. »Wenn Sie länger bei uns weilen, werden Sie sich daran gewöhnen. Bitte, hier ist die Kar…«
  Er sprach nicht zu Ende. Es blitzte und donnerte, Staub wirbelte auf, und als er sich setzte, erblickte ich an Stelle meines Gesprächspartners ein gewaltiges Loch im Fußboden. Ich stand wie erstarrt. Es war noch keine Minute vergangen, da hatten einige Ardriten in Monteurkleidung das Loch geflickt und einen niedrigen Handwagen mit einem großen Paket hereingeschoben. Ihm entstieg vor meinen Augen der Angestellte und hielt die Eintrittskarte in der Hand. Er schüttelte die Reste der Verpackung ab, machte es sich auf seinem Schwebehaken bequem und sagte:
  »Hier ist Ihre Karte. Ich sagte Ihnen bereits, das sei nichts Besonderes. Jeder wird bei uns im Bedarfsfall doubliert. Sie wundern sich über unseren Gleichmut? Dieser Zustand währt ja seit dreißigtausend Jahren, da hat man schon Zeit, sich daran zu gewöhnen… Falls Sie zu speisen wünschen, das Galaxrestaurant ist schon geöffnet. Unten, links vom Eingang.«
  »Danke, mir ist der Appetit vergangen«, erwiderte ich und verließ in dem unaufhörlichen Getöse leicht schwankend den Raum. Doch bald packte mich Zorn. Die sollen hier keinen Erdenmenschen zittern sehen! dachte ich, warf einen Blick auf die Uhr und ließ mich ins Theater fahren.
  Unterwegs zersplitterte ein Meteorit das Eborett, so daß ich umsteigen mußte. An der Stelle, an der gestern noch der Theaterbau gestanden hatte, türmte sich heute ein qualmender Trümmerhaufen.
  »Werden die Eintrittskarten rückvergütet?« erkundigte ich mich bei dem Kassierer, der auf der Straße stand.
  »Keineswegs. Die Vorstellung beginnt normal.«
  »Was heißt normal? Hat nicht ein Meteor…?«
  »Es sind noch zwanzig Minuten Zeit!« Er hielt mir seine Uhr hin.
  »Aber…«
  »Bitte blockieren Sie nicht die Kasse! Wir wollen auch Karten haben!« riefen mehrere Personen gleichzeitig aus der Schlange, die sich hinter mir gebildet hatte. Achselzuckend trat ich zur Seite. Indessen verluden zwei riesige Maschinen die Trümmer und schafften sie fort. Wenige Minuten später war der Platz geräumt.
  »Findet die Veranstaltung im Freien statt?« fragte ich einen von den Wartenden, der sich mit dem Programm Kühlung zufächelte.
  »Keinesfalls; ich nehme an, es wird wie üblich sein«, entgegnete er.
  Ich biß mir wütend auf die Lippen und erwiderte nichts, in der Meinung, er wolle mich zum Narren halten. Jetzt wurde eine große Zisterne auf den Platz gefahren, eine teerähnliche, rubinrot leuch tende Masse ergoß sich daraus und wurde zu einem ansehnlichen Kegel aufgeschichtet; sogleich steckte man Rohre in diese breiige, glühende Masse und begann Luft hineinzupressen. Der Brei verwandelte sich in eine Blase, die sich mit atemberaubender Geschwindigkeit ausdehnte. Eine Minute später bildete sie bereits eine täuschend ähnliche Kopie des ehemaligen Theatergebäudes, nur daß sie noch weich war und im Winde schlotterte. Nach weiteren fünf Minuten fand ich den neugeblasenen Bau erstarrt; in diesem Augenblick zertrümmerte ein Meteorit wieder einen Teil des Daches. Also wurde ein neues Dach dazugeblasen, die Flügeltüren öffneten sich, und die Zuschauermassen strömten hinein. Als ich mich setzte, merkte ich, daß mein Platz noch warm war, aber das war auch das einzige Zeugnis der Katastrophe. Ich fragte meinen Nachbarn, wie dieser Blasebrei heiße, und erfuhr, das sei die berühmte ardritische Blockmasse.
  Die Aufführung begann mit nur einer Minute Verspätung. Ein Gong ertönte, der Zuschauerraum wurde dunkel und glich jetzt einem Ofenrost voll verglimmender Kohlen, dafür erstrahlten die Künstler in herrlichem Glanze. Es wurde ein historischsymbolisches Stück gegeben; offen gesagt, begriff ich kaum etwas davon, um so weniger, als vieles durch Farbpantomime dargestellt wurde. Der erste Akt spielte in einem Tempel; junge Ardritinnen bekränzten eine Drumabildsäule und sangen von ihren Geliebten.
  Doch da erschien ein bernsteingelber Prälat, der die Mädchen verjagte, ausgenommen das schönste, das durchsichtig war wie Quellwasser. Der Prälat schloß es in die Bildsäule ein. Nun rief die Gefangene singend den Geliebten herbei, der auch prompt hereinstürmte und den Greis auslöschte. In diesem Augenblick zerschmetterte ein Meteor das Gewölbe, einen Teil der Dekoration und die Liebhaberin, aber schon wurde aus dem Souffleurkasten die Reserve herausgeschoben, und zwar so geschickt, daß man gar nichts merken konnte, wenn man sich gerade räusperte oder blinzelte.
  Im weiteren Spielverlauf kamen die Liebenden überein, eine Familie zu gründen. Zum Abschluß wurde der Prälat in den Abgrund gestürzt, und dann folgte die Pause.
  Als der Vorhang wieder hochging, erblickte ich eine mysteriöse Kugel, bestehend aus den beiden Gatten und ihrer Nachkommenschaft, die zur Musik auf und ab rollte. Da erschien ein Dienstbote und verkündete, ein unbekannter Gönner habe dem Ehepaar einen Armvoll Sepulken gesandt. In der Tat wurde ein gewaltiges Paket auf die Bühne geschleppt, dessen Enthüllung ich gespannt entgegensah. Als der Deckel angehoben wurde, erhielt ich einen heftigen Schlag auf den Schädel und verlor die Besinnung. Als ich auf demselben Platz wieder zu mir kam, wurde auf der Bühne nicht mehr von Sepulken gesprochen, indes tobte der ausgelöschte Prälat dort herum, stieß fürchterliche Verwünschungen aus, und um ihn standen tragisch leuchtend Kinder und Eltern. Ich griff mir an den Kopf, fand aber keine Beule.
  »Was ist mit mir geschehen?« fragte ich leise meine Nachbarin.
  »Wie bitte? Ach so, ein Meteor hatte Sie getötet, aber Sie haben von der Aufführung nichts verloren, das Duett war geradezu fatal. Andererseits ist es einfach skandalös: Ihre Reserve mußte erst aus der Galax geholt werden«, hauchte die nette Ardritin zur Antwort.
  »Was denn für eine Reserve?« fragte ich und spürte, wie mir schwarz vor den Augen wurde.
  »Na, Ihre eigene…«
  »Und wo bin ich?«
  »Wieso? Im Theater natürlich. Fühlen Sie sich nicht wohl?«
  »Ich bin also die Reserve?«
  »Ja.«
  »Und wo ist der Ich, der vorhin hier war?«
  Die Zuschauer vor uns begannen schon laut zu zischen, und meine Nachbarin verstummte.
  »Ein Wort noch, ich flehe Sie an!« flüsterte ich. »Wo befinden sich die… na… Sie wissen doch…«
  »Ruhe! Was ist denn da los? Hier wird nicht gestört!« tönte es immer lauter von allen Seiten. Mein Nachbar, orangerot vor Wut, rief bereits nach den Ordnern. Fast besinnungslos rannte ich aus dem Theater, jagte mit dem ersten Eborett ins Hotel zurück und betrachtete gewissenhaft mein Spiegelbild. Ich hatte schon wieder Mut gefaßt, denn ich sah aus wie früher – da machte ich jedoch bei genauerer Musterung eine furchtbare Entdeckung. Ich hatte das Hemd linksherum an, und die Knöpfe waren verkehrt geschlossen – ein klarer Beweis dafür, daß diejenigen, die mich angezogen hatten, keinen blassen Schimmer von irdischer Wäsche hatten. Obendrein schüttelte ich noch einen Fetzen Packpapier, der in der Eile übriggeblieben war, aus der Socke. Mir ging die Luft aus; da klingelte das Telefon.
  »Ich rufe schon zum viertenmal bei Ihnen an«, sagte das Fräulein aus der KfKZK, »Professor Zazul würde Sie heute gern sprechen.«
  »Wer? Professor?« wiederholte ich und suchte mühselig meine Gedanken zusammen. »Gut, und um welche Zeit?«
  »Wann Sie wünschen, auch jetzt, sofort.«
  »Dann fahre ich gleich zu ihm!« rief ich kurz entschlossen. »Und… und dann, bitte, machen Sie die Rechnung fertig!«
  »Sie wollen schon fahren?« fragte das Fräulein von der KfKZK.
  »Ja, ich muß. Ich fühle mich gar nicht wohl!« erklärte ich und legte den Hörer auf.
  Ich kleidete mich um und ging hinunter. Die letzten Ereignisse hatten mich so abgebrüht, daß ich nicht einmal mehr mit der Wimper zuckte, als das Hotel unter einem Meteor auseinanderbarst, sondern kaltblütig die Adresse des Professors nannte, als ich in das Eborett stieg. Der Professor wohnte in einer Vorstadt, zwischen silbrig glänzenden sanften Hügeln. Ich ließ das Eborett in einiger Entfernung halten, froh, mir nach der nervlichen Belastung der letzten Stunden die Beine vertreten zu können. Als ich so vor mich hin schritt, bemerkte ich einen betagten Ardriten, der langsam ein zugedecktes Wägelchen schob. Er grüßte mich höflich, ich erwiderte seinen Gruß. Ein Weilchen gingen wir zusammen. In einer Kurve tauchte eine Hecke auf, die um das Heim des Professors führte; Rauchschwaden flatterten dort gen Himmel. Der Ardrit neben mir stolperte, da ertönte unter dem Wagendeckel eine Stimme: »Ist es schon soweit?«
  »Noch nicht«, antwortete der Wagenlenker.
  Ich wunderte mich ein wenig, sagte aber nichts.
  Als wir die Umzäunung erreicht hatten, stutzte ich: Dort, wo es rauchte, mußte doch die Behausung des Professors sein! Ich machte den Mann darauf aufmerksam, der nickte. »Ja, da ist vor etwa einer Stunde ein Meteor niedergegangen.«
  »Was höre ich?« rief ich entsetzt aus. »Aber das ist doch furchtbar!«
  »Gleich kommt die Preßbläse«, entgegnete der Mann. »Nach den Außenbezirken haben die es nicht so eilig, wissen Sie. Da sind wir anders.«
  »Schon da?« quäkte von neuem die Stimme im Wagen.
  »Noch nicht ganz«, antwortete der Fahrer und wandte sich an mich: »Würden Sie bitte die Pforte öffnen?«
  Ich tat wie geheißen und fragte: »Wollen Sie auch zum Professor?«
  »Ja, ich bringe die Reserve«, erwiderte der Ardrit und schickte sich an, den Deckel zu heben. Ich hielt den Atem an: Ein sorgfältig verschnürtes großes Paket tauchte vor meinen Augen auf. Das Papier war an einer Stelle angerissen; ein lebendes Auge schaute hervor.
  »Sie wollen zu mir… äh… zu mir wollen Sie also…«, quäkte die Greisenstimme aus dem Paket, »Moment… äh… einen Moment… in die Laube, wenn ich bitten darf…«
  »Ja… ja… ich eile«, antwortete ich. Der Wagenlenker rollte seine Last weiter, da machte ich kehrt, übersprang die Hecke und rannte flugs zum Raketenhafen. Eine Stunde später sauste ich bereits durch gestirnte Weltenräume. Ich hoffe, daß mir Professor Zazul das nicht übelgenommen hat.


ACHTZEHNTE REISE




Die Reise, von der ich berichten möchte, war in ihren Folgen und in ihrem Ausmaß das größte Werk meines Lebens. Ich begreife sehr wohl, daß meinen Worten kaum jemand Glauben schenken wird, doch obschon das paradox klingt – gerade die Ungläubigkeit der Leser erleichtert mir meine Aufgabe. Ich kann nämlich nicht behaupten, daß mir das, was ich beabsichtigte, glänzend gelungen sei. Um die Wahrheit zu sagen, die Sache ist mir eigentlich mißraten, und obwohl ich sie nicht selbst verpfuscht habe, sondern gewisse Neider und Ignoranten, die meine Pläne zu durchkreuzen suchten, so ist mir davon nicht leichter ums Herz.
  So hatte denn die Expedition, die ich unternahm, zum Ziel, das Universum zu schaffen. Und zwar kein neues, besonderes, nie dagewesenes – keineswegs. Es ging um das Universum, in dem wir leben. Eine scheinbar sinnlose, ja verrückte Erklärung, denn wie kann man schaffen, was schon besteht, und obendrein schon so lange und so unwiderruflich wie der Kosmos? Sollte es sich – so wird vielleicht der Leser denken – um eine extravagante Hypothese handeln, die behauptet, daß es bis jetzt außer der Erde nichts gegeben habe und daß alle Galaxien, Sonnen, Wolken und Milchstraßen nur so etwas wie eine Fata Morgana gewesen seien? Nein, es ist auch nicht an dem. Ich habe nämlich wirklich alles geschaffen, absolut alles – also auch die Erde, den Rest des Sonnensystems und die Metagalaxis, was gewiß Anlaß genug wäre, sich etwas darauf einzubilden, wenn diese meine Schöpfung nicht so viele Fehler besäße. Zum Teil gilt das für den Baustoff, vor allem aber für die belebte Materie mit dem Menschen an der Spitze. Mit ihm, dem Menschen, ist mein ärgster Kummer verbunden. Gewiß, jene gewissen Leute, die ich noch beim Namen nennen werde, haben sich in meine Sache eingemischt und sie verdorben, aber ich selbst halte mich keinesfalls für unschuldig. Man hätte alles sorgfältiger planen, beaufsichtigen, berücksichtigen sollen, zumal nun von keinen Verbesserungen und Vervollkommnungen mehr die Rede sein kann. Seit dem zwanzigsten Oktober vergangenen Jahres gehen alle, aber auch wirklich alle Konstruktionsfehler des Universums und die Entstellungen der menschlichen Natur auf meine Rechnung. Es gibt keine Flucht vor dieser Erkenntnis.
  Das Ganze begann vor drei Jahren in Bombay, als ich durch Professor Tarantoga einen Physiker slawischer Herkunft kennenlernte, der dort als ein sogenannter »visiting professor« weilte. Jener Gelehrte, Solon Rasglas, befaßte sich schon seit über dreißig Jahren mit der Kosmogonie, das heißt mit jenem Zweig der Astronomie, der die Herkunft und die Umstände der Entstehung des Weltalls untersucht.
  Nach sorgfältiger Erforschung des Gegenstandes war er zu einer mathematisch exakten Schlußfolgerung gelangt, die ihn völlig berauschte. Bekanntlich zerfallen die Theorien der Kosmogonie in zwei Gruppen. Die eine vereint jene, die das Weltall für ewig während, das heißt für ohne Anfang halten. Die andere umfaßt die Theorien, denen zufolge das Weltall einst entstanden ist, und zwar auf explosive Weise, dank der Explosion des Uratoms. Beide Standpunkte stießen stets auf gewaltige Schwierigkeiten. Hinsichtlich der ersten besitzt die Wissenschaft eine wachsende Anzahl Beweise dafür, daß der sichtbare Kosmos mehr als ein Dutzend Milliarden Jahre existiert. Wenn sich etwas durch ein bestimmtes Alter auszeichnet, dann gibt es nichts Einfacheres, als bis zu jenem Augenblick Null zurückzurechnen, doch der ewige Kosmos kann eine solche »Null«, das heißt einen Anfang nicht haben. Unter dem Druck der neuen Erkenntnisse spricht sich die Mehrzahl der Gelehrten nun für ein Universum aus, das vor fünfzehn oder achtzehn Milliarden Jahren entstanden ist. Zuerst habe es ein Gebilde gegeben, genannt Ylem, Uratom oder noch anders. Dieses Gebilde explodierte, und daraus entstanden die Materie und die Energie, die Sternwolken, die wirbelnden Galaxien, die dunklen und hellen Nebelflecke, die in verdünntem Gas voller Strahlung schwimmen. All das läßt sich sehr genau und schön ausrechnen, solange es niemandem einfällt, die Frage zu stellen: »Und woher ist dieses Uratom gekommen?« Denn auf diese Frage gibt es keine Antwort. Es gibt gewisse Ausflüchte, gewiß, aber kein aufrichtiger Astronom kann sich mit ihnen zufriedengeben.
  Professor Rasglas hatte sich, ehe er sich an die Kosmogonie heranmachte, lange mit theoretischer Physik befaßt, vor allem mit den Erscheinungen der sogenannten Elementarteilchen. Als sich Rasglas dem neuen Gebiet zuwandte, gewann er bald das folgende Bild: Der Kosmos hatte zweifellos einen Anfang. Unverkennbar war er vor 18,5 Milliarden Jahren aus einem Uratom entstanden. Zugleich konnte es jedoch ein solches Uratom, aus dem er hätte schlüpfen können, nicht gegeben haben, denn wer hätte es an einer leeren Stelle unterschieben können? Am Anfang gab es nichts. Hätte es etwas gegeben, dann hätte sich jenes Etwas – klarer Fall – zu entwickeln begonnen, und der ganze Kosmos wäre viel früher entstanden, wenn man es genau nimmt – unendlich früher! Warum sollte denn dieses ursprüngliche Uratom währen und währen, in Totenstarre und Unbeweglichkeit ungeahnte Äonen hindurch währen, ohne sich zu rühren, und was um Gottes willen hätte in einem bestimmten Augenblick so an ihm zerren und reißen sollen, daß es sich zu etwas so Gewaltigem ausdehnen und ausbreiten konnte, wie es das Universum darstellt?
  Nachdem ich mich mit der Theorie von S. Rasglas vertraut gemacht hatte, befragte ich ihn unermüdlich nach den näheren Umständen seiner Entdeckung. Solche Probleme hatten mich immer leidenschaftlich bewegt, und es gibt wohl kaum eine bedeutsamere Enthüllung als die der kosmogonischen Theorie von Rasglas! Der Professor, ein stiller und unerhört bescheidener Mensch, erklärte mir, daß er in seinen Überlegungen, vom orthodoxen Standpunkt der Astronomie betrachtet, einfach auf »ungebührliche« Weise vorgegangen sei. Alle Astronomen wissen sehr genau, daß jenes Atomkernchen, aus dem der Kosmos gewachsen sein soll, außerordentliche Probleme aufwirft. Was tun sie also? Nun, sie gehen ihm einfach aus dem Weg, sie weichen dieser Frage aus, die so unbequem ist. Rasglas hingegen hatte es gewagt, ihr seine ganze Mühe zu widmen. In dem Maße, wie er die Fakten sammelte, wie er sich in den Bibliotheken vergrub, wie er die Modelle baute, umgeben von den schnellsten Komputern, sah er immer deutlicher, daß hier ein außergewöhnlicher Hund begraben war. Anfangs hoffte er, daß es ihm gelingen werde, den Widerspruch zu mindern, vielleicht sogar zu beseitigen.
  Doch er wurde immer größer. Alle Tatsachen sprachen nämlich dafür, daß der Kosmos wirklich aus einem Atom entstanden war, gleichzeitig aber auch dafür, daß ein solches Atom nicht existiert haben konnte. Hier drängte sich ein Faktum auf, die Hypothese vom Herrgott nämlich, aber die schob Rasglas als indiskutabel beiseite. Ich erinnere mich noch seines Lächelns, mit dem er zu mir sagte: »Man sollte nicht alles auf den Herrgott abwälzen, und ein Astrophysiker dürfte sich schon gar nicht dazu hergeben…« Während also Rasglas monatelang über dieses Dilemma nachdachte, erinnerte er sich seiner früheren Studien. Wer mir das folgende nicht glaubt, der mag den ersten besten Physiker fragen, und der wird ihm sagen, daß gewisse Erscheinungen im kleinsten Maßstab auf eine sozusagen kreditmäßige Art und Weise erfolgen. Die Mesonen, diese Elementarteilchen, verstoßen manchmal gegen die Verhaltensgesetze, aber sie tun das so unerhört schnell, daß sie fast gar nicht gegen sie verstoßen. Das, was durch die Gesetze der Physik verboten ist, tun sie blitzschnell, als ob gar nichts geschähe, und sogleich ordnen sie sich wieder diesen Gesetzen unter. Auf einem seiner morgendlichen Spaziergänge im Universitätspark stellte sich Rasglas die Frage: Was wäre, wenn der Kosmos im größten Maßstab das gleiche getan hat? Wenn die Mesonen sich in einem Sekundenbruchteil, der so winzig ist, daß eine ganze Sekunde dagegen wie eine Ewigkeit wirkt, so verhalten können, dann müßte sich der Kosmos – bei seinen Ausmaßen – entsprechend länger auf jene verbotene Weise verhalten. Zum Beispiel fünfzehn Milliarden Jahre…
  Er entstand somit, obwohl er im Grunde nicht entstehen konnte, weil er nichts hatte, woraus er hätte entstehen können. Der Kosmos ist dem nach eine verbotene Fluktuation. Er verkörpert eine Augenblickslaune, eine momentane Abweichung vom richtigen Verhalten, wobei man berücksichtigen muß, daß dieser Augenblick und dieser Moment monumentale Ausmaße besitzen. Das Weltall ist eine solche Abweichung von den Gesetzen der Physik, wie es im kleinsten Maßstab das Meson ist! Von der Vorahnung gepackt, sich auf der Spur des Geheimnisses zu bewegen, begab sich der Professor sogleich ins Labor und nahm verifizierende Berechnungen vor, die Schritt für Schritt bewiesen, daß er recht hatte. Aber noch bevor er sie beendete, schwante ihm, daß die Lösung des Rätsels der Kosmogonie die größte Gefahr in sich barg, die man sich denken konnte.
  Der Kosmos besteht nämlich auf Kredit. Er ist mit all seinen Sternansammlungen und Galaxien eine ungeheuerliche Verschuldung, gewissermaßen ein Pfandbrief, ein Obligo, das am Ende beglichen werden muß. Das Weltall ist eine illegale Anleihe, eine material-energetische Schuld, sein scheinbares Haben stellt eigentlich das nackte Soll dar. Somit wird der Kosmos, da er nichts als eine gesetzwidrige Laune ist, eines schönen Tages wie eine Seifenblase platzen. Als Anomalie wird er wieder in das gleiche Nichtsein zurückfallen, aus dem er hervorgetaucht ist. Erst dieser Augenblick wird die Wiederherstellung der Ordnung der Dinge sein.
  Der Umstand, daß er, der Kosmos, so groß ist und daß in seinen Weiten schon soviel geschehen konnte, resultiert einfach daraus, daß es sich um eine Laune im allergrößten aller möglichen Maßstäbe handelt. Rasglas machte sich unverzüglich an die Berechnungen, um festzustellen, wann dieses fatale Ende eintreten würde, das heißt, wann die Materie, die Sonne, die Sterne, die Planeten, also auch wir samt der Erde wie weggeblasen im Nichts umkommen werden. Er überzeugte sich jedoch, daß er dies nicht voraussehen könne. Natürlich nicht, da es sich doch um eine Laune, das heißt um eine Abweichung von der Ordnung der Gesetze handelt! Das Entsetzen, das diese Entdeckung auslöste, trieb ihm den Schlaf aus den Augen. Nach längerem inneren Kampf machte er, anstatt seine kosmogonischen Arbeiten zu veröffentlichen, viele der hervor ragendsten Astrophysiker damit bekannt, und die Gelehrten erkannten die Richtigkeit seiner Theorie und die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen an. Gleichzeitig jedoch äußerten sie in privaten Unterhaltungen die Ansicht, eine Veröffentlichung des Sachverhalts würde die Welt in ein geistiges Chaos, in Angst und Schrecken stürzen, deren Folgen die gesamte Zivilisation zerstören könnten. Wer würde noch etwas tun, würde auch nur den kleinen Finger rühren, wenn er wüßte, daß in jeder Sekunde alles mit ihm selbst verschwinden kann?
  Die Angelegenheit war auf einem toten Punkt angelangt. Rasglas, dieser größte Entdecker der nicht nur menschlichen Geschichte, teilte die Auffassung seiner gelehrten Kollegen. Schweren Herzens beschloß er, seine Theorie nicht zu veröffentlichen. Statt dessen begann er im gesamten Arsenal der Physik nach Mitteln zu suchen, die den Kosmos gewissermaßen stützen, seine Kreditexistenz stärken und aufrechterhalten könnten. Aber alle seine Bemühungen schlugen fehl. Kosmische Verschuldung läßt sich nicht abzahlen, ganz gleich, was man gegenwärtig täte, da sie nicht innerhalb des Universums, sondern in seinen Anfängen steckt – dort, wo das Weltall zum mächtigsten und zugleich wehrlosesten Schuldner des Nichts geworden ist.
  Eben zu jener Zeit lernte ich den Professor kennen und verbrachte lange Wochen in Gesprächen mit ihm, bei denen er mich zunächst in den Kern seiner Entdeckung einweihte und mir später ein Partner bei der Suche nach Rettung war.
  Ach, dachte ich, während ich mit flammendem Kopf und Verzweiflung im Herzen ins Hotel zurückkehrte, wenn es doch möglich wäre, für einen Sekundenbruchteil dort zu sein – dort, vor 20 Milliarden Jahren –, dann brauchte man nur ein einziges Atom im Vakuum unterzubringen, und daraus könnte, wie aus einem gesteckten Korn, der Kosmos schlüpfen, nunmehr völlig legal, den Gesetzen der Physik, dem Grundsatz der Erhaltung der Materie und der Energie entsprechend – doch wie könnte man dorthin gelangen?
  Als ich dem Professor von dieser Idee erzählte, lächelte er melancholisch und erklärte mir, das Weltall könne nicht aus einem gewöhnlichen Atom entstehen, denn der Keim des Kosmos müßte die ganze Energie all der Umgestaltungen und Wirkungen enthalten, die sich bis zu metagalaktischen Abgründen aufgebläht haben. Obwohl ich meinen Fehler begriff, erwog ich das Problem weiter, bis ich eines Nachmittags – ich rieb mir gerade die Beine mit Öl ein, die von Mückenstichen geschwollen waren – in der Erinnerung in die früheren Jahre zurückwanderte, da ich, durch den kugelförmigen Haufen der Jagdhunde fliegend, mangels besserer Beschäftigung Bücher über theoretische Physik gelesen hatte. Besonders eifrig studierte ich damals einen Band, der sich mit den Elementarteilchen befaßte, und ich erinnerte mich der Hypothese von Feynman, daß es Teilchen gäbe, die sich »gegen den Strich« des Zeitflusses bewegen. Wenn sich ein Elektron so bewegt, gewahren wir es als ein Teilchen mit positiver Ladung (Positron). Ich fragte mich, während ich die Füße in einer Schüssel wusch, was geschehen würde, wenn man ein Elektron nähme und beschleunigte, und zwar so beschleunigte, daß es rückwärts in der Zeit immer schneller und schneller raste – könnte man ihm da nicht einen so gewaltigen Impuls verleihen, daß es über den Anfang der kosmischen Zeit hinausschösse, bis zu jener Stelle im Kalender, an der es noch nichts gab? Könnte dann nicht aus diesem Positron das Weltall entstehen?!
  So wie ich war, barfuß, mit triefend nassen Beinen, rannte ich zum Professor. Er begriff sogleich die Größe meiner Idee und ging ohne ein überflüssiges Wort an die Berechnungen.
  Resultat: Die Sache war möglich. Das Elektron, das sich gegen den Strom der Zeit bewegte, würde, wie die Kalkulation bewies, immer größere Energien annehmen, und wenn es über den Anfang des Weltalls hinausflöge, würde die in ihm angesammelte Macht es sprengen, und bei dieser Explosion würde dieses Teilchen genau über den Vorrat verfügen, der die Schuld begleichen würde. Das Weltall wäre dann vor dem Bankrott gerettet, denn es würde nicht länger auf Kredit existieren.
  Jetzt brauchte man nur noch an die praktische Seite der Unternehmung zu denken, die unsere Welt legalisieren, also einfach erschaffen sollte! Als Mensch von lauterem Charakter unterstrich S. Rasglas mehrfach in Gesprächen mit Prof. Tarantoga und auch seinen Assistenten und Mitarbeitern gegenüber, daß die Konzeption der Schaffung des Universums mein Verdienst sei und daß eigentlich mir – nicht ihm – die Bezeichnung Schöpfer beziehungsweise Erlöser zukomme. Ich erwähne das nicht, um mich zu brüsten, sondern um die Prahlsucht zu dämpfen – denn alles Lob, alle Äußerungen der Anerkennung, der Begeisterung, die ich damals in Bombay bis zum Überdruß zu hören bekam, waren mir, so befürchte ich, ein wenig zu Kopf gestiegen, so daß ich die Arbeiten nicht so überwachte, wie es sich gehörte. Ich ruhte mich leider auf meinen Lorbeeren aus und dachte in meiner Naivität, mit dem Denken sei die Hauptsache schon getan und nun folge nur noch der rein ausführende Teil, mit dem sich die anderen befassen könnten.
  Ein fataler Irrtum! Gemeinsam mit Prof. Rasglas legte ich den ganzen Sommer über und einen erheblichen Teil des Herbstes hindurch die Parameter fest, das heißt die Merkmale und die Eigenschaften, die aus dem Elektron – dem kosmischen Kern – schlüpfen sollten. Vielleicht wäre es richtiger, ihn, diesen Kern, Schöpfungsladung zu nennen, denn die technische Seite der Erschaffung der Welt sah so aus, daß wir als Kanone, die den Anfang der Zeit aufs Korn nahm, das entsprechend umgearbeitete riesige Synchrophasotron der Universität wählten. Seine ganze Energie, in richtiger Weise konzentriert, die auf das eine, einzige Teilchen – eben auf jenes Schöpfungselektron – zielte, sollte am 20. Oktober freigesetzt werden; Professor Rasglas versteifte sich darauf, daß ich als der Urheber der Idee den einzigen welterzeugenden Schuß aus der Chronokanone abfeuern müßte. Da sich nun eine so unerhörte und in der Geschichte einzigartige Gelegenheit bot, sollte unsere Maschine, unseren Werfer nicht etwa das erste beste Elektron verlassen, sondern ein entsprechend umgestaltetes, beschnittenes und dermaßen umgearbeitetes Teilchen, daß daraus ein bedeutend or dentlicherer, erheblich soliderer Kosmos entstünde als der gegenwärtig existierende – und ganz besondere Aufmerksamkeit widmeten wir der mittelbaren und späten Folge der Kosmokreation, die ja die Menschheit sein sollte!
  Gewiß: In einem Elektron irgend etwas zu programmieren, eine so unbeschreibliche Menge von Steuer- und Aufsichtsinformationen in ein Elektron hineinzugeben – das ist nicht leicht. Ich gestehe auch, was der Wahrheit entspricht, daß ich keineswegs alles allein getan habe. Die Arbeitsteilung zwischen mir und Professor Rasglas sah so aus, daß ich die Vervollkommnungen und Verbesserungen formulierte, während er sie in die exakte Sprache der Parameter der Physik, der Raumtheorie, der Theorie der Elektronen, Positronen und der zahlreichen anderen Tronen übertrug; wir legten auch eine Art Brutstätte oder Zucht an, in der die Versuchsteilchen in gehöriger Isolierung ruhten, aus denen wir das gelungenste, eben jenes, aus dem, wie ich schon sagte, am 20. Oktober das Weltall geboren werden sollte, auszuwählen hatten!
  Was habe ich in jenen heißen Tagen nicht alles an Vollkommenheiten entworfen! Viele Nächte brütete ich über physikalischen, ethischen und zoologischen Wälzern, um die wertvollsten Informationen zu sammeln, sie in eins zu pressen, zu konzentrieren, mit denen dann der Professor vom Morgengrauen an das kosmische Brutelektron modellierte. Es ging unter anderem darum, daß sich der Kosmos harmonisch entwickeln sollte, daß ihn die Explosionen der Supernovae nicht so sehr erschütterten, daß die Energie der Quasare und der Pulsare nicht so sinnlos vergeudet wurde, daß die Sterne nicht so sprühten und blakten wie Lichtstümpfe, die feuchte Dochte haben, daß geringere interplanetare Entfernungen das Reisen von Ort zu Ort erleichterten und somit aus der Kosmonautik ein besseres Instrument für Kontakte und für die Einigung der vernünftigen Wesen machten. Was all die anderen Reformen betrifft, so hätten sie nicht auf einer Kuhhaut Platz gehabt, Verbesserungen, die ich in verhältnismäßig kurzer Zeit einzuplanen vermochte. Sie waren übrigens nicht unbedingt das Wichtigste, denn es bedarf meinerseits wohl keiner langen Ausführungen, um zu erklären, daß ich mich vor allem auf die Menschheit konzentrierte. Um sie zu bessern, änderte ich das Prinzip der natürlichen Evolution.
  Bekanntlich ist die Evolution entweder ein massenhaftes Auffressen der Schwächeren durch die Stärkeren, das heißt ein Zoozid, oder eine Absprache der Schwächeren, die Stärkeren von innen anzugreifen, das heißt das Parasitentum. Moralisch einwandfrei sind nur die grünen Pflanzen, weil sie auf eigene Kosten vom Sonnenkonto leben. Ich ersann daher eine Chlorophyllisierung alles Lebenden, und vor allem fixierte ich einen belaubten Menschen. Da ich dadurch den Bauch entleerte, brachte ich dort das entsprechend vergrößerte Nervensystem unter; natürlich tat ich das alles nicht direkt, denn ich hatte ja nur ein Elektron zur Verfügung. Ich legte nach einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Professor als grundlegendes Gesetz der Entwicklung, die im neuen, unverschuldeten Kosmos erfolgen sollte, die Regel vom anständigen Verhalten jedes einzelnen gegenüber den anderen fest. Ich ersann auch einen viel ästhetischeren Körper, eine subtilere Geschlechtlichkeit und noch viele andere Verbesserungen, die ich hier nicht aufzählen will, weil mir bei der Erwähnung all dieser Pläne das Herz blutet. Auf jeden Fall hatten wir in den letzten Septembertagen bereits das welterschaffende Geschütz und sein Elektronengeschoß fertig. Es waren noch gewisse, äußerst komplizierte Berechnungen vonnöten, mit denen sich der Professor samt seinen Assistenten befaßte, da das Einstellen auf ein Ziel in der Zeit (und eigentlich schon außerhalb der Zeit) eine Operation darstellte, die der höchsten Präzision bedurfte.
  Wäre es da nicht ratsam gewesen, wie festgebunden an Ort und Stelle zu bleiben und alles zu beaufsichtigen – angesichts der unheimlichen Verantwortung, die auf mir lastete? Aber es gelüstete mich nach Erholung… und ich verreiste an einen Badeort. Es ist blamabel, aber ich muß es gestehen: Die Mücken hatten mir sehr zu schaffen gemacht, ich war ganz verschwollen und träumte von kühlen Seebädern. Und eben wegen dieser verdammten Mücken… aber ich habe nicht das Recht, meine große Schuld auf irgendein Etwas oder auf irgend jemanden abzuwälzen. Kurz vor meiner Abreise kam es zwischen mir und einem der Mitarbeiter des Professors zu Reibereien. Eigentlich war es nicht einmal ein Mitarbeiter von Rasglas, sondern ein gewöhnlicher Laborant, ein gewisser Alois Hauffen. Dieser Mann, dem die Wartung der Laborgeräte oblag, verlangte aus heiterem Himmel, daß man ihn ebenfalls auf die Liste der Weltenschöpfer setzen solle, denn, so sagte er, gäbe es ihn nicht, so würde das Kryotron nicht ordnungsgemäß funktionieren, und wenn das Kryotron nicht funktionierte, würde sich das Elektron nicht richtig verhalten… und so weiter. Ich lachte ihn natürlich aus, und er schien auch schon auf seine unbegründeten Ansprüche zu verzichten, doch heimlich begann nun er eigene Pläne zu schmieden. Er selbst war zu nichts Vernünftigem imstande, doch er verbündete sich mit zwei zufälligen Bekannten, die sich in der Nähe des Instituts für Kernforschung in Bombay herumtrieben und die danach trachteten, sich dort ein warmes Pöstchen zu ergattern: der Deutsche Ast A. Roth sowie ein gewisser Boels E. Bubb, halb Engländer und halb Holländer.
  Wie eine leider zur Unzeit durchgeführte Untersuchung ergab, hatte Hauffen ihnen des Nachts Zutritt ins Labor gewährt, und das übrige bewirkte die Nachlässigkeit des jüngeren Assistenten von Prof. Rasglas, eines gewissen Magisters Serpentine. Er hatte die Schlüssel zum Panzerschrank auf dem Schreibtisch liegenlassen, was den Eindringlingen ihr Vorhaben erleicherte. Serpentine entschuldigte sich dann durch Krankheit, er legte ärztliche Atteste vor, aber das ganze Institut wußte, daß dieser unreife Grünschnabel eine Liebesaffäre mit einer verheirateten Frau hatte, einer gewissen Eva A. der er geradezu zu Füßen lag, wodurch er die Dienstpflichten aus den Augen verlor. Hauffen führte seine Komplizen in den Saal mit dem Kryotron; sie holten den DewarBehälter heraus und entnahmen ihm das Futteral, in dem das unschätzbar kostbare Geschoß enthalten war. Dann vollzogen sie an ihm ihre schändlichen »Parameterberichtigungen«, deren Folgen jeder zur Genüge besichtigen kann, wenn er sich nur ein wenig in dieser gräßlichen Welt umsieht, in der wir leben. Später wetteifer ten sie darum, nach Entschuldigungen zu suchen, indem sie behaupteten, daß sie nur die »besten Absichten« gehabt und sogar mit Ruhm gerechnet hätten (!), zumal sie ja zu dritt waren.
  Auch eine Dreieinigkeit! Wie sie unter dem Druck der Beweise und im Kreuzfeuer der Fragen gestehen mußten, hatten sie sich die Arbeit geteilt. Ast A. Roth, einst Student in Göttingen (aber Heisenberg selbst hatte ihn hinausgeworfen, weil er pornographische Bilder in den Astonschen Spektrographen gelegt hatte), »befaßte sich« mit der physikalischen Seite der Schöpfung und verpfuschte sie gehörig. Durch seine Schuld stimmen die sogenannten schwachen Einwirkungen nicht mit den starken überein, und die Symmetrie der Verhaltensgesetze ist fehlerhaft. Jeder Physiker wird im Fluge meine Worte verstehen. Demselben Roth unterlief ein Fehler beim einfachen Addieren, was dazu führte, daß die Elektronenladung, wenn man sie gegenwärtig berechnet, eine unendliche Größe erlangt. Wegen dieses Schafskopfes kann man auch nirgends die Quarden finden, obwohl aus der Theorie hervorgeht, daß sie vorhanden sein müßten! Als Ignorant, der er ist, vergaß er, eine Korrektur in der Dispersionsformel vorzunehmen! Auch der Umstand, daß interferierende Elektronen in krassem Widerspruch zur Logik stehen, ist sein »Verdienst«. Und wenn man bedenkt, daß das Dilemma, über das ein Heisenberg sich sein ganzes Leben lang den Kopf zerbrach, ausgerechnet dessen schlechtester und dümmster Schüler verursacht hat!
  Übrigens hat er sich ein noch schlimmeres Vergehen zuschulden kommen lassen. Mein Schöpfungsplan sah Kernreaktionen vor, denn ohne sie gäbe es ja keine Strahlungsenergie der Gestirne, aber ich hatte die Elemente der Urangruppe kassiert, damit die Menschheit nicht schon in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, das heißt vorzeitig, Atombomben erzeugen könnte. Sie sollte die Kernenergie nur als eine Synthese der Wasserstoffkerne im Helium beherrschen, und weil das schwieriger ist, wäre diese Entdeckung nicht vor dem einundzwanzigsten Jahrhundert zu erwarten gewesen. A. Roth führte die Uraniden jedoch wieder in das Projekt ein. Leider konnte man ihm nicht nachweisen, daß er auf Geheiß eines gewissen imperialen Nachrichtendienstes gehandelt habe, was mit den Plänen einer militärischen Vorherrschaft zusammenhing…. aber eigentlich verdiente er auch so einen Prozeß wegen Völkermordes, denn wäre er nicht gewesen, dann hätte man im zweiten Weltkrieg keine Atombomben auf japanische Städte abgeworfen.
  Der zweite »Spezialist« aus dieser famosen Dreieinigkeit, E. Bubb, hatte einst ein medizinisches Studium absolviert, doch wegen zahlreicher Vergehen hatte man ihm das Recht entzogen, eine Praxis zu unterhalten. Er nun »widmete sich« der biologischen Seite und »vervollkommnete« sie dementsprechend. Was mich betrifft, so hatte ich folgendermaßen überlegt: Die Welt ist so, wie sie ist, und die Menschheit verhält sich so, wie sie sich eben verhält, weil all das auf zufällige, also auf die erste beste Weise anläßlich eines Verstoßes gegen die grundlegenden Gesetze entstanden ist. Man braucht nur einen Augenblick zu überlegen, um zu der Schlußfolgerung zu gelangen, daß es unter solchen Bedingungen noch schlimmer hätte sein können! Es entschied ja so etwas wie eine Lotterie – wenn der »Schöpfer« eine fluktuierende Laune des Nichts war, das sich ungeheuerlich und scheußlich verschuldete, indem es die metagalaktische Blase ohne Sinn und ohne Plan aufblähte!
  Ich hatte erkannt, daß man gewisse Merkmale des Kosmos, wenn man sie richtig retuschierte und korrigierte, belassen konnte, wie sie waren, deshalb erarbeitete ich gewissenhaft nur das, was notwendig war. Hinsichtlich des Menschen verfuhr ich jedoch äußerst radikal. Die Pfuscherei, die ich vorfand, strich ich in einem Zuge aus. Die oben erwähnte Laubhaftigkeit, die die Behaarung des Körpers ersetzen sollte, hätte der Verwirklichung einer neuen Lebensethik gedient, aber der Herr Bubb hielt die Haare für wichtiger, denn sie waren ihm – man beachte! – »zu schade«! Aus den Haaren könne man doch so schöne Nackenfrisuren, Backenbärte und andere Schnörkel machen! Hier eine neue solidaristischhumanistische Moral und dort Werte, die sich nur mit dem Frisörkanon messen lassen! Ich versichere euch, ihr hättet euch nicht wiedererkannt, wäre nicht dieser Boels E. Bubb gewesen, der in das Elektron aus der Kassette erneut alle Scheußlichkeiten hineinkopierte, die ihr bei euch und bei anderen bemerken könnt.
  Was schließlich den Laboranten Hauffen betrifft, so konnte der zwar nichts von selbst tun, aber er verlangte von seinen Kumpanen, daß sie seine Beteiligung an der Weltschöpfung verewigten. So forderte er – mir zittern die Finger, während ich das schreibe –, sein Name möge an jeder Seite des Firmaments zu sehen sein, als ihm aber Roth erklärte, daß sich die Sterne nicht dauerhaft in Monogramme oder Buchstaben ordnen ließen, verlangte er, daß sie wenigstens zu großen Scharen gruppiert werden sollten, also zu Haufen. So geschah es denn auch.
  Am 20. Oktober, als ich den Finger auf die Tasten des Steuerpults legte, hatte ich natürlich keine Ahnung, was ich da eigentlich schuf. Das zeigte sich erst nach ein paar Tagen, als wir die Berechnungen überprüften und auf den Bändern den Inhalt entdeckten, den die unflätige Dreieinigkeit in unserem Positron fixiert hatte. Der Professor war gebrochen. Was mich betrifft, so gestehe ich, daß ich nicht wußte, ob ich mir selbst oder jemand anderem eine Kugel in den Kopf schießen sollte. Zu guter Letzt behielt jedoch die Vernunft die Oberhand über den Zorn und die Verzweiflung, da ich nun wußte, daß sich nichts mehr ändern ließ. Ich nahm nicht einmal am Verhör der Schurken teil, die die von mir geschaffene Welt verhunzt hatten. Professor Tarantoga sagte mir etwa ein halbes Jahr später, daß die drei Eindringlinge in der Schöpfung eine Rolle gespielt hätten, wie man sie in den Religionen dem Satan zuschreibt. Ich zuckte nur mit den Schultern. Diese drei Esel – was war das schon für ein Satan? Übrigens trage ich sowieso die größte Schuld, denn ich war nachlässig geworden und hatte meinen Posten verlassen. Wenn ich nach Rechtfertigungen suchen sollte, würde ich sagen, auch der Pharmazeut aus Bombay sei schuld daran, denn er hatte mir statt eines Mittels, das die Mücken vertreibt, ein Öl verkauft, das sie anlockte wie der Honig die Bienen. Aber wollte man so verfahren, so könnte man Gott weiß wen bezichtigen, er habe zur Entartung der Natur unseres Seins beigetragen. Ich beab sichtigte nicht, mich zu verteidigen, ich bin für die Welt verantwortlich, so wie sie ist, und für alle Mängel des Menschen, denn es lag in meiner Hand, das eine wie das andere besser zu machen.






ZWANZIGSTE REISE




Es begann knapp vierundzwanzig Stunden nach meiner Rückkehr von den Hyaden, einer kugelförmigen Gruppe, die so sternendicht war, daß sich die Zivilisationen darin wie Grütze in einem Topf ausnahmen. Ich hatte noch nicht einmal die Hälfte der Koffer mit den Erinnerungsstücken ausgepackt, und schon wollten mir die Hände den Dienst versagen. Zunächst wollte ich das ganze Gepäck in den Keller tragen und mich später damit befassen, wenn ich mich ein wenig verschnauft hatte, denn die Heimreise war mir sehr lang vorgekommen, und ich sehnte mich nur danach, mich in meinen geschnitzten Sessel neben dem Kamin zu setzen, die Beine auszustrecken, die Hände in die Taschen meiner speckigen Hausjacke zu stecken und mir zu sagen, daß mir außer dem Überkochen der Milch, die ich aufgesetzt hatte, nichts drohe. Denn nach vier Jahren einer solchen Fahrt kann man vom Kosmos genug haben, wenigstens für eine gewisse Zeit. Ich trete ans Fenster, dachte ich mir, und davor gibt es keine schwarze Uferlosigkeit, keine zischenden Protuberanzen, sondern eine Straße, Gärten, Büsche, ein Hündchen erledigt an einem Bäumchen sein Geschäft mit einer solchen Gleichgültigkeit gegenüber den Problemen der Milchstraße, daß einen Freude überkommt.
  Aber wie das mit den Träumen so ist, es wurde nichts daraus. Als ich entdeckte, daß bereits das erste Päckchen, das ich aus der Rakete holte, eine eingedrückte Seite hatte, machte ich mich voller Sorge ans Auspacken. Die Myrdangen waren gut erhalten, aber die Kaleeren waren unten zerdrückt – ich konnte das einfach nicht so lassen. Binnen mehrerer Stunden hatte ich die Deckel der größten Kisten aufgestemmt und die Koffer geöffnet; ich legte die Gransen auf die Zentralheizung, damit sie abtrockneten, denn sie waren vom Tee aus der Thermosflasche völlig durchnäßt, und beim An blick der Stoßer zuckte ich gar zusammen. Sie, die Stoßer, sollten die Zierde meiner Kollektion werden, unterwegs hatte ich mir schon einen Ehrenplatz für sie ausgesucht, denn diese Produkte der Militarisierung vom Regulus sind die größte Rarität, die es gibt (es ist eine Zivilisation, die ganz unter Waffen steht, man trifft dort keinen einzigen Zivilisten an). Das »Wegstoßen« ist kein Hobby der Regulaner, wie Tottenham schreibt, sondern ein Mittelding zwischen religiöser Praxis und Sport. Tottenham hatte einfach nicht begriffen, aus welchen Positionen man dort gestoßen wird. Das »Wegstoßen« ist auf dem Regulus eine symbolische Tätigkeit; daher sind auch die verblüffenden Bemerkungen samt den rhetorischen Fragen bei Tottenham nur ein Ausdruck völliger Ignoranz. Eine Sache ist das eheliche Wegstoßen, eine andere das in der Schule, auf Ausflügen, in der Liebe und so weiter. Aber ich kann jetzt nicht näher darauf eingehen. Es mag genügen, daß ich mir beim Tragen der regulanischen Trophäen vom Erdgeschoß ins erste Stockwerk den Handteller verstauchte, also sagte ich mir, obwohl noch ein Haufen Arbeit übrigblieb, daß ich mit solcher Feuerwehraktion nicht viel schaffen würde. Ich hängte im Keller nur noch die Matulken auf die Wäscheleine und ging dann in die Küche, um mir das Abendbrot zu bereiten. Jetzt nur noch Siesta, Idylle, dolce far niente – sagte ich mir mit Entschiedenheit. Zwar füllte mich der Ozean der Erinnerungen weiterhin aus, hartnäckig wie die tote Welle, wenn der Sturm nachgelassen hat. Während ich die Eier aufschlug, blickte ich auf die blaue Flamme des Gasherdes – scheinbar nichts Besonderes, und doch hatte die Nova des Perseus ganz ähnlich ausgesehen. Ich warf einen Blick auf die Gardine – sie war weiß wie die Asbestplatte, mit der ich die Atomsäule zuzudecken pflegte, wenn… Doch genug davon, sagte ich mir. Besser, ich überlege, was ich lieber esse, Rührei oder Spiegelei? Ich hatte mich gerade für das letztere entschieden, als das Haus erbebte. Die Eier, die noch nicht geronnen waren, klatschten auf den Fußboden, und gleichzeitig hörte ich, halb zur Treppe gewandt, einen durchdringenden Lärm, wie von einer Lawine. Ich warf die Pfanne hin und hastete nach oben. War das Dach eingestürzt? Ein Meteor? Unmöglich! Das gibt’s doch gar nicht!
  Der einzige Raum, den ich nicht mit Gepäckstücken vollgestellt hatte, war mein Arbeitszimmer, und eben von da kam das Gepolter. Das erste, was ich sah, war ein Bücherhaufen zu Füßen des schief stehenden Regals. Unter den dicken Bänden der kosmischen Enzyklopädie hervor kroch rückwärts ein Mann auf den Knien, wobei er die heruntergefallenen Bücher zertrampelte, als genügte ihm das bisherige Drunter und Drüber noch nicht. Bevor ich etwas sagen konnte, riß er eine lange Metallstange unter sich hervor, die er an einem Griff festhielt, der wie der Lenker eines Fahrrades aussah, das keine Räder hatte. Ich hüstelte, doch der Eindringling, immer noch auf allen vieren, beachtete das nicht im geringsten. Ich räusperte mich lauter, aber schon in diesem Augenblick kam mir seine Gestalt merkwürdig bekannt vor, und als er aufstand, erkannte ich ihn. Das war ich. Ganz als schaute ich in den Spiegel. Übrigens hatte ich schon eine ganze Serie solcher Begegnungen erlebt, aber im Dickicht von Gravitationsstrudeln und nicht in einer richtigen Wohnung!
  Er warf mir einen zerstreuten Blick zu und beugte sich über sein Gerät – sowohl der Umstand, daß er sich unbekümmert, zu schaffen machte, als auch die Tatsache, daß er nicht zu antworten geruhte, brachte mich aus dem Gleichgewicht.
  »Was soll das heißen?« fragte ich, ohne die Stimme zu heben.
  »Ich werd’s dir gleich erklären… warte…«, murmelte er. Er erhob sich, zog das Rohr zur Lampe, verschob den Schirm, damit er besseres Licht hatte, rückte das Papier zurecht, das den Haltearm stützte – er wußte, der Kerl, daß der Schirm dauernd abzurutschen pflegte, also war ich das wirklich! –, und befühlte, offensichtlich besorgt, mit dem Finger irgendwelche Kurbeln.
  »Es schickte sich wenigstens, mir eine Erklärung zu geben!« Ich verbarg meinen Ärger nicht mehr. Er lächelte, stellte seinen Apparat weg, das heißt, er lehnte ihn an die Wand. Dann setzte er sich in meinen Sessel, zog die zweite Schublade heraus, entnahm ihr meine geliebte Tabakspfeife und griff untrüglich nach dem Tabaksbeutel.
  Das war mir nun doch zuviel.
  »Unverschämtheit!« sagte ich.
  Er bat mich mit einer ausladenden Geste, mich zu setzen. Während ich unwillkürlich den angerichteten Schaden überschlug – die Einbände zweier schwerer Himmelsatlanten waren zerknickt –, rückte ich einen Stuhl heran und begann mit den Fingern eine Mühle zu drehen. Ich wollte ihm fünf Minuten zur Rechtfertigung und zur Entschuldigung zubilligen – sollte er mir dann keine Genugtuung geben, würde ich andere Seiten aufziehen.
  »Unsinn!« versetzte mein ungebetener Gast. »Verhalte dich wie ein intelligenter Mensch! Was für ›andere Seiten‹ willst du mit mir aufziehen? Jeder blaue Fleck, den ich habe, würde dann auch der deine sein!«
  Ich schwieg, und mir schwante etwas. In der Tat, wenn er ich war und mir eine solche (aber wie, zum Kuckuck?) Zeitschleife widerfuhr (warum muß gerade ich immer solche Abenteuer erleben?), dann konnte er gewisse Ansprüche auf meine Pfeife und sogar auf die Wohnung erheben. Aber warum mußte er die Bücher herunterwerfen?
  »Das war unabsichtlich«, sagte er durch die Wolken des aromatischen Rauches, während er die Spitze seines durchaus eleganten Schuhs anstarrte. Er schaukelte mit dem Bein, das er über das andere geschlagen hatte. »Das Chronozykel hat beim Bremsen geschleudert. Statt um acht Uhr dreißig bin ich um acht Uhr dreißig und eine hundertstel Sekunde ins Haus geflogen. Wenn sie die Zielvorrichtung besser eingestellt hätten, wäre ich mitten im Zimmer gelandet.«
  »Wieso denn?« (Ich begriff nichts.) »Erstens: Bist du ein Telepath? Wie kannst du auf Fragen antworten, die ich mir nur denke} Und zweitens: Wenn du wirklich ich bist und in der Zeit angekommen bist, was hat sie dann mit dem Ort zu tun? Warum hast du die Bücher beschädigt?«
  »Wenn du ein bißchen nachdächtest, würdest du alles verstehen. Ich bin später als du, also muß ich mich an alles erinnern, was du gedacht hast, das heißt was ich gedacht habe, denn ich bin du, nur eben in der Zukunft. Und was Zeit und Ort betrifft, so dreht sich doch die Erde! Ich bin um eine hundertstel Sekunde abgerutscht, vielleicht sogar um weniger, und in diesem Augenblick war sie mit dem Haus um diese vier Meter weitergerückt. Ich hatte dem Rosenbeißer ja klargemacht, daß es besser wäre, im Garten zu landen, aber er hat mir diese Zielvariante aufgeschwatzt.«
  »Nun gut. Nehmen wir an, daß es so ist, wie du sagst. Aber was soll das alles bedeuten?«
  »Das werde ich dir natürlich erklären. Aber es wäre besser, erst das Abendbrot anzurichten, denn das ist eine längere Geschichte von außerordentlicher Wichtigkeit. Ich bin zu dir als Gesandter in einer historischen Mission gekommen.«
  Ein Wort gab das andere, er überzeugte mich. Wir stiegen hinunter, das Abendbrot wurde zubereitet, das heißt, ich öffnete eine Sardinenbüchse (im Kühlschrank waren mir kaum ein paar Eier geblieben). Wir verweilten in der Küche, denn ich wollte mir nicht die Laune durch den Anblick der Bibliothek verderben. Er hatte wenig Lust, das Geschirr abzuwaschen, aber ich redete ihm ins Gewissen, also trocknete er wenigstens ab. Dann setzten wir uns an den Tisch, er sah mir ernst in die Augen und sagte:
  »Ich komme aus dem Jahr 2661, um dir einen Vorschlag zu unterbreiten, den noch nie ein Mensch gehört hat und den auch keiner hören wird. Der Wissenschaftliche Rat des Instituts für Temporistik verlangt, mich, das heißt dich zum Leitenden Direktor des Programms TEOPAGHIP zu machen. Diese Abkürzung bedeutet: ›Telechronische Optimalisierung der Allgemeinen Geschichte durch einen Hyperputer‹. Ich bin fest davon überzeugt, daß du diesen ehrenvollen Posten annehmen wirst, denn er bedeutet eine außerordentliche Verantwortung vor den Menschen und vor der Geschichte, und ich bin, das heißt, du bist ein tüchtiger Mensch voller Rechtschaffenheit.«
  »Zuerst hätte ich lieber etwas Konkreteres gehört. Vor allem begreife ich nicht, weshalb zu mir nicht einfach ein Abgesandter dieses Instituts gekommen ist, sondern du, also ich. Wie bist du, das heißt, wie bin ich dorthin gekommen?«
  »Das werde ich dir zum Schluß noch im einzelnen erklären. Was die Hauptsache betrifft, so erinnerst du dich sicherlich an jenen bedauernswerten Molteris, der die Maschine zum Reisen in der Zeit erfunden hatte und bei dem Versuch, sie dir zu demonstrieren, elend umkam, weil er gleich beim Start auf den Tod gealtert war.«
  Ich nickte.
  »Solche Versuche wird es immer wieder geben. Jede neue Technik hat in ihrer Anfangsphase Opfer im Gefolge. Molteris hatte ein Einmannzeitauto ohne jede Sicherung erfunden. Er hatte das gleiche getan wie jener mittelalterliche Bauer, der mit Flügeln vom Kirchturm sprang und zu Tode kam. Im 23. Jahrhundert entstanden Chronotrecker, Zeitflitzer und Tempobile – das heißt, von deinem Zeitpunkt aus werden sie entstehen –, die wahre Revolution in der Chronomotion wird aber erst dreihundert Jahre später erfolgen, dank einigen Menschen, die ich nicht nennen möchte – du wirst sie persönlich kennenlernen. Eine Wanderung in der Zeit über eine kleine Strecke ist mit Expeditionen in die Tiefe von Jahrmillionen nicht zu vergleichen. Die Proportionen sind mehr oder weniger dieselben wie zwischen einem Spaziergang in die Vorstadt und der Kosmonautik. Ich komme aus der Epoche der Chronotraktion, der Chronomotion und der Telechronie. Über das Reisen in der Zeit hat man schon ganze Berge von Ammenmärchen geschrieben, wie seinerzeit über die Astronautik – etwa, daß ein Erfinder mit Hilfe eines reichen Mannes in völliger Abgeschiedenheit ohne weiteres eine Rakete baut, mit der beide, obendrein in Gesellschaft bekannter Damen, zum anderen Ende der Galaxis fliegen. Die Technologie der Chronomotion bedarf ebenso wie die kosmonautische einer gewaltigen Industrie, sie benötigt kolossale Investitionen, Planungen… aber damit wirst du dich auch an Ort und Stelle, das heißt zur rechten Zeit vertraut machen können. Die technische Seite ist jetzt nicht so wichtig, es geht um das Hauptziel dieser Arbeit. Man pumpt nämlich nicht soviel in sie hinein, damit jemand Pharaone erschrecken oder den eigenen Ururgroßvater verprügeln kann. Die Gesellschaftsordnung ist inzwischen geregelt, auch das Klima der Erde – im 27. Jahrhundert, aus dem ich komme, ist es so gut, wie es besser nicht sein kann, aber wir haben noch immer keine Ruhe, wenn wir an die Geschichte denken. Du weißt, wie sie ausgesehen hat – es ist höchste Zeit, daß man damit ein Ende macht!«
  »Einen Moment…« Mir dröhnte der Kopf. »Die Geschichte gefällt euch nicht, na und? Sie muß trotzdem so bleiben, wie sie war, oder etwa nicht?«
  »Red kein dummes Zeug. Auf der Tagesordnung steht eben die Teopaghip, das heißt die Telechronische Optimalisierung der Allgemeinen Geschichte durch einen Hyperputer. Ich habe dir schon gesagt, daß wir die allgemeine Geschichte natürlich regulieren, verbessern, ausgleichen und vervollkommnen werden, entsprechend den Grundsätzen des Humanismus, des Rationalismus und der allgemeinen Ästhetik; du wirst doch wohl einsehen, daß man sich schämen muß, wenn man sich mit einer solchen Schlächterei im Stammbaum in die hohen kosmischen Zivilisationen einreihen will!«
  »Regulierung der Geschichte…?« wiederholte ich entgeistert.
  »Ja. Wenn nötig, werden wir sogar Korrekturen vor der Entstehung des Menschen vornehmen, damit er besser entstehen kann. Die Mittel und Geldfonds stehen schon zur Verfügung, nur der Posten des Leitenden Direktors dieses Projekts ist noch immer unbesetzt! Alle schrecken vor dem Risiko zurück, das mit dieser Funktion verbunden ist.«
  »Gibt es keine Anwärter?« Mein Erstaunen wurde immer größer.
  »Es ist nicht so wie in der Vergangenheit, da jeder Esel die Welt regieren wollte. Ohne entsprechende Qualifikation wird sich keiner nach dieser schwierigen Aufgabe reißen. So ist also diese Stellung nicht besetzt, und die Sache drängt!«
  »Aber ich kenne mich doch da nicht aus. Und warum ausgerechnet ich?«
  »Du wirst über ganze Stäbe von Fachleuten verfügen. Die technische Seite ist nicht dein Gebiet; es gibt viele verschiedene Aktionspläne, viele Projekte, Methoden, es sind verantwortliche, vernünftige Entscheidungen vonnöten. Ich muß, das heißt du mußt sie treffen. Unser Hyperputer hat durch Psychosonden alle Menschen untersucht, die irgendwann gelebt haben, und hat erkannt, daß ich, das heißt du – die einzige Hoffnung des Projekts bist.«
  Nach einer längeren Weile versetzte ich: »Es scheint eine wichtige Angelegenheit zu sein. Vielleicht werde ich diese Stellung annehmen, vielleicht auch nicht. Die allgemeine Geschichte, hoho! Das muß überlegt sein! Wie ist es denn überhaupt dazu gekommen, daß ich, das heißt, daß ausgerechnet du bei mir erschienen bist? Was mich betrifft, so habe ich mich nirgends in der Zeit bewegt. Ich bin erst gestern von den Hyaden zurückgekommen.«
  »Klar!« unterbrach er mich. »Du bist doch der frühere! Wenn du den Vorschlag annimmst, gebe ich dir mein Chronozykel, und du begibst dich dorthin, wohin du sollst.«
  »Das ist keine Antwort auf meine Frage. Sag mir, wie du in das
27. Jahrhundert geraten bist!«
  »Ich habe mich mit dem geeigneten Zeitvehikel dorthin begeben, das ist doch klar. Und dann bin ich von dort in dein Jetzt und dein Hier gekommen.«
  »Aber wenn ich nirgends mit einem Zeitvehikel gereist bin, dann bist auch du, der du ja ich bist…«
  »Schwafele nicht! Ich bin später als du, also kannst du ja noch gar nicht wissen, was dir zustoßen wird, wenn du ins 27. Jahrhundert reist.«
  »Ach was, du spinnst!« murmelte ich. »Wenn ich diesen Vorschlag annehme, gerate ich sofort ins 27. Jahrhundert. Ist es nicht so? Ich werde dort diesem TEOPAGHIP vorstehen und so weiter. Aber woher bist du dorthin ge…«
  »Auf diese Weise können wir die ganze Nacht durchschwatzen! Was soll das Geschwafel? Übrigens, weißt du was? Bitte doch Rosenbeißer, daß er dir das erklärt. Schließlich ist er ein Zeitspezialist und nicht ich. Im übrigen ist die Sache, obschon schwer zu begreifen, wie das bei einer Zeitschleife immer ist, gar nichts im Vergleich zu meiner, das heißt deiner Mission. Das ist doch eine historische Mission, oder? Also wie? Bist du einverstanden? Das Chronozykel funktioniert. Ihm ist nichts passiert, ich habe alles geprüft.«
  »Laß mich mit deinem Chronozykel zufrieden. Ich kann doch nicht gleich so auf der Stelle…«
  »Du solltest aber! Es ist deine Pflicht. Du mußt!«
  »Na, na! Nur nicht diese Töne. Kein ›du mußt‹! Du weißt, daß ich das nicht mag. Ich kann, wenn ich will, wenn ich erkenne, daß die Lage es erfordert. Wer ist denn dieser Rosenbeißer?«
  »Der Wissenschaftliche Direktor des INTs. Er wird dein nächster Untergebener sein.«
  »Des INTs?«
  »Des Instituts für Temporistik.«
  »Und was geschieht, wenn ich nicht einwillige?«
  »Du kannst nicht ablehnen… du wirst es nicht tun… Das würde ja bedeuten, daß du gekniffen hast…«
  Während er dies sagte, verzogen sich seine Lippen zu einem unterdrückten Lächeln. Das stimmte mich mißtrauisch.
  »Bitte. Und warum das?«
  »Weil… ach, weshalb soll ich dir das lange erklären. Das hängt mit der Struktur der Zeit selbst zusammen.«
  »Erzähl keinen Unsinn. Wenn ich nicht einwillige, dann rühre ich mich nicht von hier fort, dann wird mir also kein Rosenbeißer etwas erklären können, und ich werde keine Geschichte regulieren.«
  Ich sagte das einerseits, um Zeit zu gewinnen, denn man entscheidet solche Probleme nicht im Handumdrehen, andererseits aber – obschon ich nicht begriff, warum er, das heißt ich zu mir gekommen war –, weil ich verschwommen fühlte, daß darin eine Finte, ein Haken verborgen war.
  »In achtundvierzig Stunden gebe ich die Antwort!« sagte ich.
  Er bedrängte mich, ich solle mich auf der Stelle entscheiden, aber je mehr er drängte, desto weniger gefiel mir die Sache. Schließlich begann ich sogar an seiner Identität mit mir zu zweifeln, immerhin hätte er ja auch ein zurechtgestutzter Sendling sein können! Kaum hatte ich das gedacht, nahm ich ihn auch schon ins Verhör. Ich mußte ihm eine geheime Frage stellen, die außer mir niemand beantworten konnte.
  »Warum ist die Numerierung der Reisen in meinen ›Sterntagebüchern‹ lückenhaft?« versetzte ich unverhofft.
  »Haha«, lachte er, »du zweifelst also schon an mir? Deshalb, mein Lieber, weil die einen Expeditionen im Raum stattfanden und andere in der Zeit, es kann also gar keine erste geben. Man kann sich nämlich immer dorthin zurückziehen, wo es keine gegeben hat, und irgendwo hinfahren, dann wird jene, die die erste war, die zweite werden, und so weiter ohne Ende!«
  Das stimmte. Aber die Sache war immerhin doch ein paar Leuten bekannt. Zwar waren es meine vertrauten Bekannten aus dem tichologischen Institut des Professors Tarantoga. Ich verlangte nun den Identitätsbeweis. Seine Papiere waren in Ordnung, aber das wollte noch nichts besagen; so etwas läßt sich ja fälschen. Er zerstreute meine Zweifel mit der Behauptung, daß er alles singen könne, was ich nur dann singe, wenn ich auf Reisen und einsam bin; ich bemerkte jedoch, daß er bei dem Refrain »Meteoriten, Meteoriten!« scheußlich falsch sang. Ich sagte ihm das. Er war daraufhin beleidigt und erwiderte, daß ich immer falsch sänge, nicht er. Das Gespräch, bis dahin ziemlich ruhig, artete in Zank aus, dann in heftigen Streit, bis er mich dermaßen in Rage brachte, daß ich ihm sagte, er solle sich zum Teufel scheren. Das war so in der Wut dahingesagt, ich meinte es nicht wörtlich, aber er stand auf, ging nach oben, richtete sein Chronozykel, setzte sich wie auf ein Rad darauf, bewegte daran etwas, und im Nu hatte er sich in Nebel aufgelöst, eigentlich in Rauch wie von einer Zigarette. Nach einer Minute war auch der nicht mehr zu sehen – nur die wirr durcheinanderliegenden Bücher blieben zurück. Ich stand allein da, mit ziemlich dummer Miene, denn ich hatte das nicht erwartet, aber als er seine Vorbereitungen zur Abreise traf, wollte ich nicht mehr nachgeben. Nach einiger Überlegung stieg ich erneut in die Küche hinab, denn wir hatten beinahe drei Stunden durchgeschwatzt, und ich verspürte wieder Hunger. Ich hatte noch ein paar Eier im Kühlschrank, auch ein Stück durchwachsenen Speck, aber als ich das Gas angezündet hatte und die Eier in die Pfanne schlug, ertönte aus dem ersten Stock erneut ein lautes Poltern.
  Ich war so überrascht, daß ich das Rührei verdarb; es floß samt den Grieben in die Flamme, und ich rannte, wie ein Müllkutscher fluchend, nach oben, wobei ich drei Stufen auf einmal nahm.
  In den Regalen stand kein einziges Buch mehr an seinem Platz, sie bildeten einen großen Haufen, aus dem er, das Chronozykel hinter sich herziehend, denn er hatte es im Fallen an seinen Körper gedrückt, hervorkroch.
  »Was soll das heißen!« schrie ich wütend.
  »Ich werd’s dir gleich erzählen… warte…«, murmelte er und schleppte das Chronozykel zur Lampe. Er betrachtete es eingehend, ohne sich auch nur im geringsten zu rechtfertigen. Nun hatte ich es wirklich satt.
  »Es gehört sich, daß du mir wenigstens eine Erklärung gibst!« brüllte ich.
  Er lächelte. Stellte das Chronozykel beiseite, das heißt, er lehnte es an die Wand, suchte die Pfeife, stopfte sie aus meinem Tabaksbeutel, zündete sie an, schlug ein Bein übers andere, so daß ich nicht mehr an mich halten konnte.
  »Unverschämtheit!« rief ich. Obwohl ich mich nicht von der Stelle rührte, faßte ich dennoch den feierlichen Entschluß, ihn windelweich zu schlagen. Scherze wollte er mit mir treiben, in meinem eigenen Hause!
  »Unsinn«, versetzte er phlegmatisch. Er hatte offenbar nicht das geringste Schuldgefühl. Dabei hatte er mir sämtliche Bücher auf den Fußboden geschleudert!
  »Das war unabsichtlich«, sagte er, während er eine Rauchwolke ausstieß. »Das Chronozykel ist mir wieder ausgerutscht…«
  »Aber warum bist du erneut zurückgekehrt?«
  »Ich mußte.«
  »Wieso?«
  »Wir befinden uns, mein Lieber, in einem Zeitkreis«, sagte er ruhig. »Ich werde dich jetzt wieder von neuem überreden wollen, damit du dein Einverständnis gibst, Direktor zu werden. Wenn du ablehnst, fahre ich zurück, komme aber bald wieder, und alles fängt von vorn an…«
  »Nicht möglich! Wir sollten uns in einem geschlossenen Zeitumlauf befinden?«
  »Genau.«
  »Stimmt nicht! Wenn es so wäre, müßte sich alles, was wir sagen und was wir tun, vollkommen, das heißt Punkt für Punkt, wieder holen, aber das, was ich jetzt sage, und das, was du sagst, ist nicht mehr vollkommen dasselbe wie beim erstenmal!!«
  »Die Leute reden viel dummes Zeug über die Reisen in der Zeit«, entgegnete er, »und das, was du eben von dir gegeben hast, gehört zum Unsinnigsten. In der Kreiszeit muß alles ähnlich verlaufen, aber durchaus nicht genauso, denn ein Zeiteinschluß, analog einem räumlichen Einschluß, nimmt einem nicht jede Freiheit, sondern beschränkt sie nur sehr stark! Wenn du den Vorschlag annimmst, begibst du dich in das Jahr 2661, und damit verwandelt sich der Kreis in eine offene Schleife. Wenn du aber ablehnst und mich wieder wegjagst, kehre ich zurück… und du weißt, was dann sein wird!«
  »Ich habe also keinen anderen Ausweg?« brauste ich auf. »O ja, mir war gleich so, als ob ein Betrug hinter alledem steckt! Verschwinde, ich will dich nicht mehr sehen!«
  »Red kein albernes Zeug«, erwiderte er kühl. »Das, was geschieht, hängt ausschließlich von dir ab, nicht von mir – genauer gesagt, Rosenbeißers Leute haben hinter uns beiden eine Schleife geschlossen, das heißt zugeknallt, und wir werden so lange darin herumwandern, bis du Direktor wirst!«
  »Ein schöner ›Vorschlag‹!« schrie ich. »Und was wird, wenn ich dir sämtliche Knochen breche?«
  »Nur das, daß du dir dann später die Wunden verbinden mußt, zu gegebener Zeit. Du brauchst den Vorschlag nicht anzunehmen, in dem Sinne, daß wir uns auf diese Weise unterhalten können, solange unser Leben währt…«
  »Ach was! Ich kann dich im Keller einschließen und gehen, wohin es mir beliebt!«
  »Eher werde ich dich dort einschließen, ich bin nämlich stärker.«
  »Was du nicht sagst!«
  »Du sollst es wissen. Ich habe von der Kost des Jahres 2661 gelebt, und die ist viel nahrhafter als die jetzige, deshalb wirst du mir nicht einmal eine Minute gewachsen sein.«
  »Das wollen wir erst mal sehen…«, knurrte ich drohend und erhob mich vom Sessel. Er rührte sich nicht einmal.
  »Ich kann ›Jurjudo‹!« bemerkte er lässig.
  »Was ist das?«
  »Ein vervollkommnetes Judo aus dem Jahre 2661. Ich mach dich im Nu unschädlich.«
  Ich war wütend, aber die langjährigen Lebenserfahrungen hatten mich gelehrt, mich sogar im größten Zorn zu beherrschen. Deshalb kam ich nach dieser Unterhaltung mit ihm, das heißt mit mir, zu dem Schluß, daß es wirklich keinen anderen Ausweg gab. Im übrigen sagte die historische Mission, die meiner in der Zukunft harrte, sowohl meinen Ambitionen als auch meiner Natur zu. Mich empörte lediglich der Zwang, aber ich erkannte, daß ich nicht mit ihm, dem Werkzeug, sondern mit seinen Auftraggebern abrechnen mußte.
  Er zeigte mir, wie man das Chronozykel lenkt, und gab mir ein paar praktische Hinweise. Ich nahm also auf diesem kleinen Sattel Platz und wollte ihm noch sagen, daß er aufräumen und einen Tischler zur Reparatur der Bücherregale holen solle, aber auch das brachte ich nicht mehr hervor, denn er hatte schon auf den Starter gedrückt.
  Er, das Lampenlicht, das ganze Zimmer, alles war wie weggeblasen. Die Maschine unter mir, diese Metallstange mit dem sich trichterförmig verbreiternden Auspuff, begann zu zittern, mitunter hüpfte sie so stark, daß ich mit ganzer Kraft die Griffe drückte, um nicht aus dem Sattel zu fallen. Ich sah nichts, ich hatte nur den Eindruck, es reibe mir jemand Gesicht und Körper mit Drahtbürsten; wenn ich glaubte, daß die Geschwindigkeit in der Zeit allzusehr wuchs, zog ich die Bremse, und dann tauchten undeutliche Formen aus dem schwarzen wallenden Brausen um mich herum auf.
  Es waren riesige Gebäude, kugelförmig, dann wieder schlank, durch die ich wie der Wind durch einen Zaun hindurchfegte. Jedesmal schien es so, als müßte ich mit den Mauern zusammensto ßen, also schloß ich instinktiv die Augen und beschleunigte wieder die Geschwindigkeit, das heißt das Tempo. Einige Male wurde die Maschine so wild hin und her geworfen, daß mein Kopf nur so hüpfte und mir die Zähne klapperten. In einem bestimmten Augenblick verspürte ich eine schwer zu beschreibende Veränderung; mir schien, als befände ich mich in einer Umgebung, die dicht wie Sirup war, klebrig und erstarrend. Mir kam der Gedanke, daß ich mich durch ein Hindernis hindurchkämpfte, das letztlich mein Grab werden könnte, so daß ich, gefangen im Beton, samt dem Chronozykel wie ein sonderbares Insekt in Bernstein erstarren würde. Aber wieder zerrte es mich nach vorn, das Chronozykel erbebte, und ich stürzte auf etwas Elastisches, das zu schaukeln begann. Der Apparat glitt unter mir weg, weißer Glanz schlug mir in die Augen, ich mußte sie wie geblendet schließen.
  Als ich sie aufschlug, umgab mich Stimmengewirr. Ich lag mitten auf einem großen Schild aus Schaumstoff, der mit konzentrischen Kreisen bemalt war wie eine Zielscheibe auf einem Schießstand; das umgefallene Chronozykel ruhte einen Schritt daneben, und ringsherum standen an die siebzig Personen in funkelnden Kombinationen. Ein kleiner, zur Kahlköpfigkeit neigender blonder Mann trat auf die Matratze des Schildes, half mir beim Aufstehen und schüttelte mehrmals meine Hand, während er sagte: »Ich begrüße Sie aufs herzlichste! Rosenbeißer.«
  »Tichy«, antwortete ich mechanisch. Ich sah mich um. Wir standen in einer Halle ohne Fenster, die so groß war wie eine Stadt, hoch oben bedeckt von einem himmelfarbenen Gewölbe; in einer Reihe dicht nebeneinander standen die gleichen Platten wie die, auf der ich gelandet war; einige waren leer, an anderen wurde gearbeitet. Ich will nicht verhehlen, daß ich schon ein paar bissige Bemerkungen an die Adresse Rosenbeißers auf der Zunge hatte, auch an die Adresse der anderen Schöpfer des temporalen Sackes, mit dem sie mich von zu Hause weggeschleust hatten, aber ich schwieg, denn mir wurde plötzlich klar, woran mich diese gewaltige Halle erinnerte. Sie sah aus wie ein gigantisches Filmstudio! Drei Menschen in Rüstungen schritten an uns vorüber; der erste hatte einen Pfauenschwanz am Helm und einen vergoldeten Schild, die Helfer rückten seinen mit Edelsteinen besetzten Ringkragen zurecht; ein Arzt verabreichte ihm eine Injektion in den entblößten Unterarm, ein anderer knüpfte schnell die Riemen der Bleche zusammen, man reichte ihm ein zweihändiges Schwert und einen breiten Mantel, der mit Greifvögeln als Wappenzeichen verziert war; die beiden anderen, in einfachem Eisen, sicherlich die Knappen, setzten sich bereits auf die Sättelchen eines Chronozykels im Zentrum des Schildes, und aus dem Megaphon ertönte eine Stimme: »Achtung… zwanzig… neunzehn… achtzehn…«
  »Was ist das?« fragte ich verblüfft, denn gleichzeitig bewegte sich etwa achtzig Meter weiter eine Prozession von hageren Leuten mit riesigen Turbanen; auch ihnen wurden Injektionen verabreicht, mit einem von ihnen zankte sich ein Techniker, man hatte nämlich entdeckt, daß der Reisende eine kleine Pistole unter seinem Burnus versteckt hatte; ich sah Indianer in Kriegsbemalung, mit frisch geschärften Tomahawks, denen die Laboranten fieberhaft den Federschmuck aufsetzten, und auf einem kleinen Holzwagen schob ein Diener mit weißer Schürze einen entsetzlich schmutzigen, verwahrlosten Bettler ohne Beine, der wie ein Ei dem anderen den monströsen Invaliden Breughels glich, zu einem anderen Schild.
  »Null!« verkündete der Lautsprecher. Die drei Gepanzerten verschwanden mit dem Chronozykel in einem kleinen Lichtschein, der in der Luft in weißlichem Rauch zerfloß, welcher an den Rauch von verbrannter Magnesia erinnerte; ich kannte bereits diesen Effekt.
  »Das sind unsere Befrager«, erläuterte Rosenbeißer. »Sie untersuchen die öffentliche Meinung in den verschiedenen Jahrhunderten – statistische Materialien, wissen Sie, Informationsmaterial, nichts weiter. Wir haben noch keine Verbesserungsmaßnahmen getroffen, weil wir auf Sie gewartet haben!«
  Er wies mir mit der Hand den Weg und eilte mir nach; ich hörte zählende Stimmen, einmal hier, einmal dort, es blitzte, Streifen weißlichen Rauchs lösten sich auf, weitere Gruppen von Meinungsforschern verschwanden, unterdessen kamen bereits neue, es war wie in einem riesigen Atelier bei Aufnahmen zu einem superkitschigen historischen Schinken. Ich stellte fest, daß man keine anachronistischen Gegenstände in die Vergangenheit mitnehmen durfte, die Meinungsforscher bemühten sich jedoch, sie aus Trotz oder der Bequemlichkeit halber durchzuschmuggeln; mir kam der Gedanke, daß man hier mit eisernem Besen Ordnung schaffen mußte, aber ich fragte nur: »Und wie lange dauert ein solches Sammeln von Daten? Wann kehrt zum Beispiel dieser Ritter mit den Knappen zurück?«
  »Wir halten uns an den Plan«, sagte Rosenbeißer mit zufriedenem Lächeln. »Die drei sind schon gestern zurückgekehrt.«
  Ich sagte nichts und überlegte, daß es mir nicht leichtfallen würde, mich an die Lebensbedingungen in der chronomotionalen Zivilisation zu gewöhnen. Da das Elektromobil vom Labor, das uns zum Gebäude der Direktion bringen sollte, eine Panne hatte, befahl Rosenbeißer ein paar Meinungsforschern, die Beduinen verkörperten, von den Kamelen zu steigen, und mit diesem improvisierten Beförderungsmittel gelangten wir an Ort und Stelle.
  Mein Arbeitszimmer war ungeheuer groß, es war in modernem, das heißt durchsichtigem Stil eingerichtet, und das ist im Grunde noch milde ausgedrückt, denn man konnte die meisten Sessel gar nicht sehen, und wenn ich an meinem Schreibtisch saß, zeigten nur die Stöße von Papieren an, wo sich die Tischplatte befand. Da ich nun beim Arbeiten den Kopf gesenkt hielt, sah ich stets meine eigenen Beine in den gestreiften Hosen, und der Anblick dieser Streifen erschwerte mir die Konzentration; ich ordnete später an, alle Möbel mit Farbe nachzustreichen, damit sie für das Auge undurchsichtig wurden. Als das geschehen war, zeigte es sich, daß sie geradezu idiotische Formen hatten, weil sie nicht zum Betrachten entworfen worden waren. Schließlich tauschte man sie mir gegen eine Garnitur antiker Möbel aus der zweiten Hälfte des 23. Jahrhunderts aus, und nun erst fühlte ich mich heimisch. Wenn ich von diesen Lappalien spreche, greife ich nicht nur den Tatsachen vor, sondern ich charakterisiere zugleich die Mängel des Projekts. Freilich wäre mein Direktorenleben ein Paradies gewesen, wenn es sich auf dekorative Möbelangelegenheiten beschränkt hätte.
  Man brauchte eine Enzyklopädie, um all das darzustellen, was das Projekt unter meiner Leitung leistete, deshalb werde ich stark zusammenfassend die hauptsächlichen Etappen der Arbeiten schildern. Was die Struktur der Organisation betrifft, so war sie zweigleisig. Mir unterstanden das REFTEK (Referat für Technik und Kalenderangelegenheiten) mit den Abteilungen der Quantenstoßtemporistik und der dispersiven Temporistik sowie das historische Referat, unterteilt in das Menschliche und das Außermenschliche Ressort. Chef der Technologen war Dr. R. Boskovic, die »Geschichtsmacher« leitete Prof. P. Latton an. Außerdem standen die Abteilungen der Historanger und der Zeitschirmjäger (der Chronochutisten) mit der Brigade zur Notentthronisierung und dem Aufsichtsapparat zu meiner persönlichen Verfügung. Diese Rettungseinheit, eine Art Feuerwehr für unvorhergesehene und bedrohliche Angelegenheiten, nannte sich abgekürzt MOIRA (Mobile Rettungsinspektion). Als ich eintraf, waren die Zeittechnologen soweit, telechronische Operationen im großen Maßstab zu beginnen, während im Ressort für Menschliche Angelegenheiten (sein Leiter war Dozent Harry S. Totteles) die Fachleute Hunderte von HAREMS ausarbeiteten (Harmonogramm der Meliorativen Edukation). Parallel dazu projektierte das Ressort für Außermenschliche Angelegenheiten (Körper-Ing. O. Goodlay) Varianten zur Ausbesserung des Sonnensystems, d. h. der Planeten mit der Erde an der Spitze, ebenso der Lebensevolution, der Anthropogenese und so weiter. Alle hier erwähnten Untergebenen mußte ich nacheinander entlassen; mit jedem von ihnen verbinden mich in meiner Erinnerung Krisen im Schoße des Projekts; ich werde sie zu gegebener Zeit erwähnen, damit die Menschheit erfährt, wem sie ihre Nöte zu verdanken hat.
  Zunächst war ich voll der besten Hoffnungen. Nachdem ich einen verkürzten Lehrgang absolviert hatte, eine Einführung in die Elemente der Telechronie und der Chronomutation, und auch die organisatorischen Probleme (der Ressortkompetenz, der Arbeitsteilung und so weiter) beherrschte, wobei es schon damals zu einem Streit mit dem Hauptbuchhalter (Eug. Clydes) kam, konnte ich erst ermessen, wie titanenhaft meine Aufgabe war. Die Wissenschaft des 27. Jahrhunderts bot mir verschiedene Technologien zum Handeln in der Zeit, und als ob das noch nicht genügte, harrten Hunderte von Plänen zur historischen Ausbesserung meiner Entscheidung. Hinter jedem dieser Projekte stand das Wissen und die Autorität vortrefflicher Fachleute, und ich sollte in diesem embarras de richesse die Auswahl treffen! Es gab nämlich noch keine Einigung darüber, nach welcher Methode die Vergangenheit ausgebessert werden sollte und von welchem Zeitpunkt an das zu tun war, ja nicht einmal, wie weit wir in unseren Interventionen gehen würden.
  In der ersten, vom Optimismus geprägten Arbeitsphase hatten wir vor, die Geschichte der Menschheit noch nicht anzurühren, sondern das instand zu setzen, was ihr in Äonen vorausgegangen war; unser monumental zugeschnittenes Programm – ich zähle das nur als Beispiel auf – sah unter anderem folgendes vor: Entvulkanisierung der Planeten, Geradebiegen der Erdachse, Vorbereitung günstiger Bedingungen für eine künftige Kolonialisierung auf dem Mars und auf der Venus, wobei der Mond als eine Art Brücke oder Übergangsstation für die Auswandererkosmonautik dienen sollte, die in drei bis vier Milliarden Jahren entstehen würde. Das Bild von der besseren Vergangenheit beschwörend, ordnete ich die Ingangsetzung der Generatoren des Isochronischen Systems (GENESIS) an. Drei Typen standen schon bereit – BREKEKEK, KOAX und QUAK. Ich weiß nicht mehr genau, was diese Abkürzungen bedeuteten; KOAX arbeitete koaxial, der letzte bezeichnete die Quantenkorrektur.
  Die Ergebnisse der Ingangsetzung übertrafen die schlimmsten Erwartungen; Havarie folgte auf Havarie. Anstatt weich zu bremsen und sich mit dem normalen Zeitverlauf zu synchronisieren, glühte QUAK durch eine Explosion den Mars aus und verwandelte ihn in eine einzige Wüste; alle Ozeane verdunsteten und ver flüchtigten sich in den Weltraum, die geronnene Rinde des Planeten barst und bildete ein Netz eigenartiger Gräben, die Hunderte von Meilen breit waren. Das führte im 19. Jahrhundert zu der Hypothese von den Marskanälen. Da ich nicht wünschte, daß eine frühere Menschheit von unserer Aktion erfuhr, weil das bei ihr schädliche Komplexe auslösen konnte, befahl ich, alle Kanäle zuzuzementieren, was auch ein gewisser Ing. Lavache um das Jahr
1910 herum tat; spätere Astronomen wunderten sich über ihr Verschwinden nicht, sie hielten die Angelegenheit für eine optische Täuschung ihrer Vorgänger. KOAX, der die Venus fruchtbar machen sollte, war nun schon gegen QUAK-Havarien gesichert, und zwar durch AMOREK (Amortisator der kinechronischen Energie), aber dann versagten die POPOs (Potentielle Orbitale Programm-Oberprüfer), und die gesamte Venus wurde von einer giftigen Atmosphäre umgeben, die infolge des Chronoklasmus entstand. Ich berief den Ingenieur Wadenlecker, der für diese Operationen verantwortlich war, von seinem Posten ab, aber nach einer Fürsprache des Wissenschaftlichen Rates gestattete ich ihm, noch die letzte Phase der Experimente durchzuführen. Diesmal kam es nicht nur zu einer Havarie, sondern zu einer Katastrophe im kosmischen Maßstab. Der durch die Bewegung gegen den Zeitstrom angetriebene BREKEKEK raste dermaßen in die Gegenwart vor 6,5 Milliarden Jahren hinein, und zwar ganz dicht an der Sonne vorbei, daß er ein gewaltiges Stück Sternmaterie herausriß, das sich unter dem Einfluß der Schwerkraft zu drehen begann und zum Anfang aller Planeten wurde.
  Wadenlecker versuchte sich zu wehren, indem er behauptete, daß durch ihn das Sonnensystem entstanden sei, denn hätte es nicht die Havarie des Chronalkopfes gegeben, dann wäre die Chance der Entstehung der Planeten gleich Null gewesen. Spätere Astronomen wunderten sich darüber, daß ein Stern so dicht an der Sonne vorbeifliegen konnte, um daraus protoplanetare Materie herauszureißen, denn tatsächlich gehören solche nahen Passagen von Sternen zu den fast unmöglichen Erscheinungen; ich setzte also den frechen Kerl endgültig ab, denn ich sah den Sinn und die Ziele des Projekts nicht darin, daß solche Dinge unabsichtlich passierten, durch Nachlässigkeit und Unachtsamkeit. Wenn es soweit gewesen wäre, hätten wir die Anordnung der Planeten viel ordentlicher gestalten können. Im übrigen hatte das technische Referat in der Tat nichts aufzuweisen, dessen es sich rühmen konnte, nachdem Venus und Mars ruiniert waren.
  Auf der Tagesordnung blieb der Plan, die Umdrehungsachse der Erde zu begradigen; es ging darum, ihr Klima gleichmäßiger zu gestalten, ohne polare Fröste und ohne die Glut des Äquators. Das Ziel der Operation war humanitär; mehr Gattungen sollten im Kampf ums Dasein überdauern. Das Ergebnis war das Gegenteil: Die längste Eiszeit der Erde, die kambrische Periode, hatte Ingenieur Hansjakob Plötzlich durch den Abschuß einer schweren »Reguliereinheit« verursacht, die der Erdachse ein sogenanntes Double verlieh. Die erste Glazialzeit wurde, statt den eilfertigen Zeitingerenten zu warnen, mittelbar die Ursache einer zweiten – als Ing. Plötzlich nämlich sah, was er angerichtet hatte, schoß er ohne mein Wissen die nächste »Korrekturladung« ab. So kam es zu einem Chronoklasmus und zu einer neuen Eiszeit, diesmal im Pleistozän.
  Ehe ich diesen unverbesserlichen Menschen von seinem Posten absetzte, hatte er schon die dritte Chronokollision verursacht; seither deckt sich, durch seine Schuld, der magnetische Pol nicht mit der Umdrehungsachse, weil der Planet noch nicht aufgehört hat zu schwanken. Ein Zeitspritzer des »Korrektors« flog in ein Millionenjahr vor unserer Ära – an dieser Stelle befindet sich heute der große Krater von Arizona; zum Glück kam dabei niemand um, denn es gab damals noch keine Menschen; nur der Urwald verbrannte. Der zweite Splitter wurde erst um das Jahr 1908 gebremst – die Leute aus jener Zeit kennen ihn als den »tungusischen Meteoriten«. All das waren also keine Meteoriten, sondern in der Zeit zerfallende Stücke des unbeholfen angefertigten »Optimalisators«. Ich warf diesen Plötzlich hinaus, ohne mich nach jemandem zu richten, und als man ihn nachts im Chronoratorium ertappte (er hatte – man bedenke! – Gewissensbisse und wollte »korrigieren«, was er uns eingebrockt hatte), verlangte ich als Strafe für ihn eine Relegation in der Zeit.
  Aber dann gab ich doch nach, was ich heute bedauere, und besetzte auf Rosenbeißers Einflüsterungen hin den frei gewordenen Posten durch den Ingenieur Dyndall, ohne zu ahnen, daß er der Schwager des Professors war. Die Folgen der Vetternwirtschaft, in die ich nun unwissentlich geriet, ließen nicht lange auf sich warten. Dyndall war der Erfinder des FLÄZ (Fehlerfreier ÄonenZerstäuber), den der Zeitingenieur Bummeland vervollkommnete. Sie argumentierten folgendermaßen: Wenn die ungeheure gigachronische Energie beim Chronoklasmus schon frei wird, dann soll sie sich wenigstens, statt durch eine Explosionswelle zu wirken (wie jene, die den Mars ausgeglüht hat), in reine Strahlung verwandeln. Diese nicht voll ausgereifte Idee (Absichten zählen nicht!) bereitete mir viel Sorgen. FLÄZ hatte zwar die kinetische Energie in Strahlungsenergie umgewandelt, aber was nutzte das, wenn durch die Strahlung – in der Mitte des Mesozoikums – alle Echsen und Gott weiß wie viele andere Gattungen umgekommen sind.
  Bummeland versuchte sich mit der Behauptung zu verteidigen, daß ja nichts Schlimmes passiert sei, denn auf die verwaiste Szene des evolutiven Prozesses konnten eben durch seine Hilfe nun die Säugetiere treten, von denen schließlich auch der Mensch abstamme. Als wäre das schon entschieden gewesen! Durch den Saurozid wurden wir eines anthropogenetischen Manövers beraubt, und damit wollte man sich noch brüsten! Dyndall heuchelte Reue und legte sogar Selbstkritik ab, aber es ist nicht wahr, daß er freiwillig von seinem Posten zurückgetreten ist. Ich hatte Rosenbeißer gesagt, daß ich die Direktion nicht betreten würde, solange sein Schwager im Projekt verbleibe.
  Nach dieser fatalen Serie trommelte ich die gesamte Belegschaft zusammen und hielt eine Rede, in der ich warnte, daß ich mich gezwungen sehe, von nun an drakonische Maßnahmen gegen jene anzuwenden, die gegen die Sicherheit der Vergangenheit verstoßen. So etwas würde von nun an nicht nur mit Absetzung geahndet werden!
  Es gab Einwände. Havarien, so hieß es, seien verständlich, ja unvermeidlich, wenn man eine solche Technologie von nie dagewesenem Ausmaß in Gang setze; wie viele Raketen seien einst in der Morgendämmerung der kosmonautischen Ära auseinandergeflogen; und unsere Tätigkeit, die sich in der Zeit abspiele, berge ungleich größere Gefahren in sich. Der Wissenschaftliche Rat empfahl mir einen neuen Zeitexperten; einen gewissen Professor L. Nardeau de Vince. Ihn und Boskovic warnte ich vor dem nächsten Experiment; keine Macht der Welt könne mich zwingen, bei durch Gewissenlosigkeit verschuldeten Unfällen Nachsicht zu üben.
  Ich zeigte ihnen die Denkschriften, die Wadenlecker, Bummeland und Dyndall hinter meinem Rücken an den Wissenschaftlichen Rat gerichtet hatten – sie waren voller Widersprüche. Einmal beriefen sie sich auf objektive Schwierigkeiten, ein andermal münzten sie die Folgen ihrer Fehler in Verdienste um. Ich sagte ihnen, daß sich jene irrten, die mich für einen Analphabeten hielten. Es genügten die arithmetischen Kenntnisse im Bereich der vier Rechenarten, um festzustellen, wieviel Sonnenmaterie bereits unproduktiv vergeudet worden sei, denn alle Uranplaneten, wahre Abfallhalden, ach was, Kloaken voller Ammoniak, seien nicht mehr zu gebrauchen; beim Mars und bei der Venus hatte ich schon ein Kreuz gemacht und hatte nun grünes Licht für den letzten Versuch der Ausbesserung des Sonnensystems gegeben. Das Programm sah die Umarbeitung des Mondes in eine Oase für erschöpfte Kosmonauten der Zukunft vor und gleichzeitig in eine Umsteigestation auf dem Wege zur Athene.
  Ihr wißt nicht, was die Athene ist? Ich wundere mich gar nicht darüber. Diesen Planeten sollte die Gruppe Gestirner, Starshite und Astroianni vervollkommnen. Das Projekt war noch nie mit soviel Unbeholfenheit angepackt worden. Das Telechronische Trottoirsystem (TROTTEL) versagte, die LIEBKOSI (LiminalEntropisch Bremsende Kollisionssicherung) barst, und die Athene, die bisher auf einer Umlaufbahn zwischen Erde und dem Mars gekreist war, zersprang in neunundneunzigtausend Stücke – nur der sogenannte Asteroidengürtel blieb von ihr übrig. Was den Mond betrifft, so hatten die Herren Optimalisatoren seine Oberfläche förmlich massakriert; sonderbar, daß nicht auch er auseinandergeflogen ist. So ist das berühmte Rätsel der Astronomen des
19. und des 20. Jahrhunderts entstanden, denn damals konnte man nicht begreifen, wie die vielen Krater auf den Mond geraten waren. Sie dachten sich zu diesem Thema zwei Theorien aus – die vulkanische und die Meteoritentheorie.
  Einfach komisch. Urheber der sogenannten vulkanischen Krater war der Zeitingenieur Gestirner, der für die LIEBKOSI verantwortlich zeichnete, sowie der Autor der »Meteoritenkrater« Astroianni, der die Athene vor drei Milliarden Jahren anvisierte und sie in Staub zermalmte, während der Rückstoß des Chronoklasmus, nach allen Seiten ausschlagend, die Drehbewegung der Venus vollends abbremste und dem Mars zwei falsche Satelliten beifügte, die sich in einer verrückten Bewegung drehten, umgekehrt als vorgesehen, so daß es dagegen geradezu eine Lappalie war, daß dieser »Spezialist« die Mondoberfläche in einen wahren Artillerieschießplatz verwandelte, auf den im Verlaufe einer Milliarde von Jahren die Athenesplitter herunterfielen. Als ich erfuhr, daß ein Splitter des Chronotraktors, der von einer Explosion in die Zeit vor
2.950.000.000 Jahren geschleudert wurde und prähistorische Zeiten erreichte, in den Ozean geflogen war, seinen Boden durchbohrte und unterwegs die Atlantis versenkte, warf ich die Urheber der komplexen Katastrophe persönlich aus dem Projekt hinaus und wandte gegenüber den für die Gesamtheit der Operation Verantwortlichen jene Sanktionen an, die meinem vorher gefaßten Entschluß entsprachen. Ein Protest beim Rat half ihnen nichts.
Den Professor Nardeau de Vince verbannte ich ins 16. Jahrhun
dert und Boskovic ins 17. damit sie nicht zusammenkommen und gegen mich intrigieren konnten. Wie man weiß, hatte Leonardo da Vinci sein ganzes Leben lang versucht, ein Zeitauto zu bauen, aber es ist ihm nicht gelungen; die sogenannten »Hubschrauber« Leonardos und andere Maschinen, ebenso wunderlich wie unbegreiflich für seine Zeitgenossen, waren die mißratenen Früchte seiner Bemühungen, der Verbannung in die Zeit zu entfliehen.
  Boskovic verhielt sich, wenn man das so sagen darf, vernünftiger. Er war ein äußerst fähiger Mann, mit einem präzisen Geist, seiner Ausbildung nach ein Mathematiker; er wurde im 17. Jahrhundert zwar ein berühmter, aber allgemein verkannter Denker. Er versuchte Ideen der theoretischen Physik zu popularisieren, aber keiner seiner Zeitgenossen begriff auch nur ein Wort in seinen Traktaten. Um ihm die Verbannung zu versüßen, schickte ich ihn nach Ragusa (Dubrownik), weil ich privat mit ihm sympathisierte, mich aber gezwungen sah, die Verantwortlichen streng zu bestrafen, obwohl mir der Wissenschaftliche Rat das verübelte. So endete denn die erste Phase des Projekts mit einem kompletten Fiasko, weil ich mein Veto einlegte und jeden weiteren Versuch der Serie GENESIS unterband. Es waren schon genug Investitionen vergeudet worden. Die kolossale Brache der Jupitergloben, der restlos ausgeglühte Mars, die doppelt vergiftete Venus, der ruinierte Mond (die sogenannten Mascons, die Konzentrationen von Masse unter seiner Oberfläche, sind tief in den Boden gewühlte, in Lava erstarrte Spitzenüberreste von TROTTEL und LIEBKOSI), die verbogene Erdachse, das Loch im Boden des Ozeans, das durch diesen Sprung verursachte Auseinandergehen Eurasiens und der beiden Amerikas – all das war die traurige Bilanz der bisher unternommenen Operationen. Dennoch versagte ich es mir, in Resignation zu verfallen, und eröffnete den Mannschaften des historischen Referats das Feld zu schöpferischer Optimalisierung.
  Es bestanden, wie schon gesagt, zwei Ressorts; das für menschliche (Doz. Harry S. Totteles) und das für außermenschliche Angelegenheiten (Ing. Goodlay); an der Spitze des Referats stand der Professor P. Latton, der durch seinen Radikalismus und seine Kompromißlosigkeit von Anfang an ein gewisses Mißtrauen in mir hervorrief. Deshalb wollte ich immer noch nicht an die eigentliche Geschichte herangehen, denn immerhin war die Erzeugung solcher vernünftigen Individuen, die sich selbst gehörig zivilisiert hätten, richtiger. Ich mäßigte also Latton und Totteles (was mir nicht leichtfiel – dermaßen juckten ihnen die Finger, Geschichte zu machen) und empfahl Goodlay die Ingangsetzung der Evolution des Lebens auf der Erde. Damit man mir nicht die Knebelung des schöpferischen Schaffens nachsagte, stattete ich das HOPS-Projekt (Homo perfectus sapiens) mit einer erheblichen Autonomie aus. Ich appellierte lediglich an die Leiter (Z. Goodlay, H. Ohmer, H. Bosch, v. Eyck), aus den Fehlern der Natur zu lernen, die alles Lebende verunstaltet und sich selbst die vorteilhaftesten Wege, die zur Vernunft führten, versperrt habe, wofür man sie übrigens nicht schelten dürfe, weil sie blind gehandelt habe, von einem Tag zum anderen. Wir hingegen müßten zielgerecht arbeiten und das Resultat, das heißt HOPS, ständig im Auge behalten. Sie erklärten, daß sie sich nach diesen Leitlinien richten würden, verbürgten sich für den Erfolg und schritten zur Tat.
  Da sie nun ihre Autonomie hatten, mischte ich mich nicht ein und kontrollierte sie anderthalb Milliarden Jahre lang nicht, jedoch die Unmengen anonymer Zuschriften, die ich erhielt, veranlaßten mich schließlich doch dazu, eine Bestandsaufnahme zu machen. Man hätte graue Haare bekommen können von dem, was ich vorfand. Zuerst hatten sie wie Kinder gespielt, indem sie wohl vierhundert Millionen Jahre lang gepanzerte Fischchen und irgendwelche Trilobiten schwimmen ließen; als sie dann merkten, wie wenig Zeit ihnen bis zum Ende der Jahrmilliarde verblieben war, wollten sie alles im Sturm erledigen. Sie montierten Elemente ohne Sinn und Verstand, die einen wunderlicher als die anderen; einmal ließen sie Fleischberge auf allen vieren laufen, ein andermal lauter Schwänze, dann wieder irgendwelche Stäubchen; einige Exemplare legten sie mit groben Würfeln aus, anderen stopften sie Hörner, Hauer, Rohre, Trompeten, Fühler hinein, wo es gerade ging; häßlich war das, abstoßend, ohne Sinn, daß einem angst und bange wurde, wenn man hinsah: der reine Abstraktionismus und Formalismus unter dem Zeichen des Antiästhetischen.
  Ihre Selbstzufriedenheit brachte mich in Rage; sie behaupteten, jetzt sei nicht die Zeit für geleckte Schöpfungen, ich verstünde nichts davon, ich hätte kein »Formgefühl« und so weiter. Ich schwieg noch, doch wenn sie sich wenigstens nur darauf beschränkt hätten! Aber woher! In diesem auserlesenen Komitee bekämpfte einer den anderen. Niemand verschwendete auch nur einen Gedanken an den vernünftigen Menschen, jeder dachte nur daran, wie er die Projekte der Kollegen zu Fall bringen konnte. Kaum betrat also ein neues Exemplar die Natur, da bereitete man schon ein dergestalt ausgestattetes Monstrum vor, daß es das Produkt des Rivalen totschlug und somit dessen Minderwertigkeit bewies. Das, was man als »Kampf ums Dasein« bezeichnete, war aus Neid und Intrigantentum geboren worden. Die Hauer und die Krallen der Evolution sind nur die Folge der Verhältnisse, die in dem Ressort herrschten. Statt Zusammenarbeit gewahrte ich massenhafte Verschwendung und eine Praxis, die darauf hinauslief, daß man den Gattungen der Kollegen ein Bein stellte; jedem bereitete es die größte Genugtuung, die weitere Entwicklung auf einer Linie, die zum Bereich der Mitarbeiter gehörte, zu vernageln; das ist der Grund für die vielen Sackgassen im Reich des Lebens. Sagte ich »des Lebens«? Sie hatten eine Mischung zwischen einem Panoptikum und einem Friedhof errichtet. Ohne eine Investition zu beenden, warfen sie sich auf die nächste; der Reihe nach vergeudeten sie die Chancen der Doppelatmer und der Gliederfüßer, denn sie hatten sie mit den Tracheen fertiggemacht. Ohne mich wäre es überhaupt nicht zum Zeitalter der Dampfkraft und der Elektrizität gekommen, denn sie hatten das Karbon »vergessen«, das heißt, sie vergaßen jene Bäume zu pflanzen, aus denen die Kohle für die künftigen Dampfmaschinen entstehen sollte.
  Während der Besichtigung schlug ich immer wieder die Hände zusammen – der ganze Planet war mit Leichen und mit Wracks vollgestopft, und ganz besonders tobte sich Bosch aus. Als ich ihn fragte, wozu denn dieser Rhamphornychus mit dem Schwanz da wäre, der einem fliegenden Kinderdrachen nachgebildet sei, ob er sich nicht wegen der Probosziden schäme und wozu denn die Eidechsen auf dem Rücken Stachel wie ein Staketenzaun trügen, erwiderte er, ich hätte keinen Sinn für die schöpferische Leidenschaft. Ich verlangte, man möge mir zeigen, wo denn bei einem solchen Sachverhalt der Verstand keimen solle – natürlich war das eine rein rhetorische Frage, denn sie hatten sich gegenseitig alle Wege ver nagelt. Ich hatte ihnen keine fertigen Lösungen aufgezwungen, aber ich hatte zuvor etwas von Vögeln, von Adlern erwähnt; sie hatten indessen allem, was flog, bereits die Köpfe miniaturisiert, und was wie ein Strauß lief, war von ihnen bis zur vollständigen Verblödung geführt worden. Es blieben nur noch zwei Möglichkeiten offen: entweder den vernünftigen Menschen aus Abfällen am Rande zu erzeugen oder die sogenannte »Evolution mit Durchstich« zu betreiben, das heißt mit dem Durchschlagen der verspundeten Entwicklungslinien. Aber ein Durchstich mit Gewalt war unzulässig, weil solche ausgesprochenen Einmischungen von den Paläontologen später als Wunder erklärt worden wären; ich hatte indessen schon lange jede Art von Wundertätigkeit verboten, um künftige Generationen nicht irrezuführen.
  Die undisziplinierten Projektanten schickte ich in alle vier Winde, das heißt Zeiten; dann kam es zu Hekatomben ihrer mißratenen Schöpfungen, denn sie verendeten, da sie nicht vollkommen ausgereift waren, zu Millionen. Das, was man sich erzählte, daß nämlich ich diese Gattungen umbringen ließ, ist nur eine der vielen Verunglimpfungen, mit denen man nicht geizte, um mir eins auszuwischen. Nicht ich hatte das Leben wie einen Schrank aus einer Ecke des Evolutionsprozesses in die andere verschoben, nicht ich hatte dem Amöbododo den Rüssel verdoppelt, nicht ich hatte das Kamel (gigantocamelus) bis zu den Ausmaßen eines Elefanten aufgeblasen, nicht ich hatte meine Zeit mit Walen vertrödelt, nicht ich hatte die Mammute zur Selbstvernichtung geführt, denn ich lebte von der Idee des Projekts und nicht von ausschweifendem Spiel, in das die Gruppe Goodlay die Evolution verwandelt hatte. Eyck und Bosch verbannte ich ins Mittelalter, Ohmer hingegen, dafür, daß er das Leitbild des HOPS parodiert hatte (er verfertigte unter anderem einen Pferdemenschen und eine Frau als Fisch, obendrein ausgestattet mit einer hohen Sopranstimme), bis ins Altertum, nach Thrazien. Und wieder erfolgte das, was ich auch später noch so manches Mal erlebte. Die aus ihren Stellungen entlassenen Verbannten, die nun nicht mehr in der Lage waren, schöpferisch tätig zu sein, entluden ihre Frustration in einem Er satzschaffen. Wer so neugierig ist zu erfahren, was zum Beispiel ein Bosch noch in petto hatte, der mag sich seine Bilder ansehen. Natürlich war er ein großes Talent – das läßt sich schon daraus ersehen, wie sehr er sich dem Geist der Zeit anzupassen vermochte; daher auch die vordergründige religiöse Thematik seiner Gemälde, all die Jüngsten Gerichte und Höllen. Übrigens konnte sich Bosch gewisser Indiskretionen nicht enthalten. Im »Garten der irdischen Freuden«, in der »Hölle der Musik« (der rechte Flügel des Triptychons) steht in der Mitte ein Chronobus für zwölf Personen – was sollte ich damit anfangen?
  Was H. Ohmer betrifft, so hatte ich wohl richtig gehandelt, als ich ihn auf der Spur seiner Kreaturen in das alte Griechenland verbannte. Das, was er gemalt hat, ging verloren, aber seine Schriften sind erhalten geblieben. Ich verstehe nicht, weshalb niemand erkannt hat, daß sie anachronistisch sind. Sieht man denn nicht, daß er die Bewohner des Olymps nicht ernst nahm, die sich gegenseitig befehdeten und sich genauso verhielten wie seine Kollegen im Institut? Die »Ilias« und die »Odyssee« sind Erzählungen mit einem Schlüssel; was den Choleriker Zeus betrifft, so ist das ein Pasquill auf mich.
  Goodlay hatte ich nicht gleich abgesetzt, denn Rosenbeißer war für ihn eingetreten: Wenn dieser Mann enttäuscht, sagte er zu mir, dann könne ich ihn, den Direktor des wissenschaftlichen Projekts, sogar ins Archäozoikum verbannen. Goodlay hatte angeblich verborgene Produktionsreserven, und da ich mich der Konzeption der Ausnutzung von Affenresten widersetzte, nahm er die LUMP in Angriff (Lokale Unterwasser-Menschenporung). Ich glaubte an diese LUMP nicht, betrieb aber keine Opposition, denn es wurde schon davon geredet, daß ich alle Projekte zu Fall brächte. Die nächste Flugkontrolle ergab, daß er ein paar kleine Säugetiere ins Meer gezwungen, sie den Fischen angeglichen, ihnen ein Stirnradar eingebaut hatte und sich gerade in der Etappe der Delphine befand. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß zwei vernünftige Gattungen für das Eintreten einer Harmonie erforderlich seien: eine auf dem Lande und eine im Wasser. Was für eine Idiotie! Das hätte doch zu Konflikten führen müssen! Ich sagte ihm: »Es wird kein vernünftiges Wesen im Wasser geben!« Der Delphin blieb also nun, wie er war, mit diesem Hirn auf Zuwachs, und wir gerieten in eine Krise.
  Was sollten wir tun? Die Evolution noch einmal von vorn beginnen lassen? Dazu fehlten mir die Nerven. Ich sagte Goodlay, daß er nach eigenem Ermessen handeln möge, das heißt, ich akzeptierte den Affen als Halbprodukt, verpflichtete ihn jedoch, das Modell ästhetischer zu gestalten, und damit er sich später nicht herausreden konnte, schickte ich ihm die Richtlinien schriftlich, auf dem offiziellen Dienstweg, ohne mich jedoch auf alle Einzelheiten einzulassen. Ich betonte, wie geschmacklos ein kahles Gesäß sei, und empfahl ein kultiviertes Herangehen an die Fragen des Geschlechts, indem ich ihm etwas von Blumen, von Vergißmeinnicht, von Knospen suggerierte. Und da ich schon im Begriff war, abzureisen – ich mußte an einer Sitzung des Rats teilnehmen –, bat ich ihn persönlich, nicht zu pfuschen wie gewöhnlich, sondern sich ein paar schöne Modelle zu suchen. In seiner Werkstatt herrschte ein wildes Durcheinander, irgendwelche Blöcke, Bretter, Sägen lagen herum, und das im Zusammenhang mit der Liebe! »Sind Sie verrückt geworden«, sagte ich, »die Liebe nach dem Prinzip einer Kreissäge?« Er mußte mir sein Ehrenwort geben, den Gedanken mit der Säge fallenzulassen, er stimmte mir eifrig zu und lachte sich dabei ins Fäustchen, denn er hatte bereits erfahren, daß seine Entlassung in meinem Schreibtisch lag, also war ihm alles einerlei.
  Er beschloß, mir zuwiderzuhandeln. Er drohte, indem er überall erzählte, daß der Direktor (das heißt ich) noch Augen machen würde, wenn er wiederkomme; und ich war auch in der Tat schockiert. Du lieber Himmel! Ich zitierte ihn unverzüglich herbei, er aber täuschte Diensteifer vor: Er behauptete, er hätte sich an die Richtlinien gehalten! Anstatt hinten diese Kahlheit zu liquidieren, hatte er den ganzen Affen blankrasiert, das heißt, er hatte das Gegenteil getan. Na, und was die Liebe und das Geschlecht betrifft, so war das von seiner Seite geradezu Sabotage. Allein die Wahl der Stelle! Ich brauche mich übrigens über diese Diversion nicht lange zu ereifern. Welchen Effekt sie hatte, kann jeder ermessen. Der Herr Ingenieur hatte sich abgemüht! Wie immer diese Affen auch gewesen sein mochten, sie waren wenigstens Vegetarier. Er nun hatte ihnen die Fleischfresserei beigebracht!
  Ich berief zur Begutachtung des Homo sapiens eine außerordentliche Versammlung des Rates ein, auf der ich vernahm, daß sich das Geschehene nicht auf einen Schlag wiedergutmachen lasse; man müßte schon fünfundzwanzig bis dreißig Millionen Jahre zusammenrollen. Ich wurde überstimmt und machte von meinem Vetorecht keinen Gebrauch – vielleicht war das nicht richtig, aber ich blies schon auf dem letzten Loch. Übrigens hatte ich Signale aus dem 18. und 19. Jahrhundert erhalten: Um sich das Leben zu erleichtern, hatten sich die Funktionäre der Mobilen Rettungsinspektion MOIRA, die nicht immer in der Zeit hin- und herreisen wollten, in verschiedenen alten Schlössern, Palästen und Kellern einquartiert, ohne auch nur die geringsten Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten, so daß Sagen über »verdammte Seelen«, über »Kettenrasseln« (der Widerhall beim Anlassen eines Chronozykels) und über Gespenster aufkamen (weil sie weiße Kleidung trugen, als ob es keine bessere Farbe für Uniformen gab!). Sie trübten den Menschen den Verstand, schreckten sie mit ihrem Durchdringen von Wänden und Mauern (die Abfahrt in der Zeit sieht immer so aus, weil das Chronozykel steht, während sich die Erde weiterdreht) – mit einem Wort, sie hatten so viel angestellt, daß daraus die Romantik geboren wurde. Nachdem ich die Schuldigen bestraft hatte, nahm ich mir Goodlay und Rosenbeißer vor.
  Ich verbannte sie beide. Ich wußte, daß der Wissenschaftliche Rat mir das nicht vergessen würde: Rosenbeißer, der sich später mir gegenüber skandalös benahm, führte sich in der Verbannung verhältnismäßig anständig auf (als Julian Apostata). Er tat so manches, um in Byzanz das Dasein der Ärmsten zu bessern. Wie man daraus ersehen kann, hatte er auf seinem Posten enttäuscht, weil er ihm nicht gewachsen war. Kaiser zu sein ist einfacher, als die Verbesserung der gesamten Geschichte zu leiten.
  So ging die zweite Phase des Projekts zu Ende. Ich übertrug das Recht zu handeln dem Ressort für soziale Angelegenheiten, denn wir konnten nur noch die zivilisierte Geschichte vervollkommnen. Als Totteles und Latton ans Werk gingen, konnten sie sich kaum halten vor Freude, daß ihre Vorgänger gestrauchelt waren, und gleichzeitig verwahrten sie sich, diese Rückversicherer, von vornherein, daß man nun, angesichts eines solchen Homo sapiens, noch viel von TEOPAGHIP erwarten könne.
  Harry S. Totteles vertraute die Durchführung des ersten Experimentellen Ausbesserungsprogramms den Chronallergisten an. Es waren dies Khand el Abr, Canne de la Breux, Guirre Andaule und G. I. R. Andoll. Der Gruppe stand indirekt der Ing. Hemdreißer vor. Er und seine Kollegen planten eine Beschleunigung der Kultivierung durch urbanisierende Akzeleration. Im Unterägypten der
12. oder 13. Dynastie, ich entsinne mich nicht mehr so genau, häuften sie Berge von Baumaterial an, mit Hilfe zeitweiliger Sendlinge, die bei uns allgemein als »momentane Kontaktpersonen« bezeichnet werden; sie hoben das Niveau der Bautechnik, doch der Plan wurde infolge mangelnder Aufsicht entstellt. Kurz gesagt, statt eines großzügigen Wohnungsbaus kam es im Rahmen des Personenkults zur Errichtung von Grabmälern für verschiedene Pharaonen, die niemandem etwas nützten. Ich verbannte das gesamte Team nach Kreta; dies war der Ursprung des Minospalastes. Ich weiß nicht, ob es stimmt, was Betterpart mir erzählte, nämlich daß die Verbannten in Streit gerieten, ihren ehemaligen Chef überfielen und ihn im Labyrinth einschlossen. Ich hatte nicht in die Akten geschaut, also bin ich mir, wie bereits gesagt, dieser Sache nicht sicher, jedenfalls sieht mir Hemdreißer nicht wie Minotaurus aus.
  Ich beschloß, mit der Quertreiberei kurzen Prozeß zu machen, und befahl, mir die Projekte mit komplexem Charakter vorzulegen. Wir mußten uns entscheiden, ob wir offen oder im verborgenen handeln sollten, das heißt, ob die Menschen der verschiedenen Epochen überhaupt erfahren sollten, daß ihnen jemand in der Entwicklung ihrer Geschichte hilft. Totteles, eher ein Liberaler, sprach sich für die Kryptochronie aus, für die auch ich eintrat. Entsprechend der alternativen Strategie mußte man nämlich die Völker der Vergangenheit unter ein offenes Protektorat stellen, was in ihnen ein Gefühl der Entmündigung hätte aufkommen lassen. Wir mußten also hilfreich, zugleich aber geheim handeln. Latton widersetzte sich dem, er hatte nämlich den Plan eines idealen Staates im Kopf, an den er alle Gesellschaften heranführen wollte.
  Ich ließ die Waagschale zugunsten Totteles’ ausschlagen, der mir einen seiner jüngeren, aber wohl besten Mitarbeiter vorstellte; dieser Assistent, Magister A. Donnai, war der Erfinder des Monotheismus. Gott, so erklärte er mir, könne als reine Idee niemandem schaden, und wir, die Optimalisatoren, würden freie Hand haben, denn entsprechend dem Projekt seien Gottes Entscheidungen unerforschlich; die Menschen könnten sie nicht begreifen, also würden sie nichts auszusetzen haben, und zugleich würden sie nicht argwöhnen, daß sich jemand in ihre Geschichte – telechronisch – einmische. Diese Konzeption klang nicht schlecht, doch vorsichtshalber stellte ich dem jungen Magister nur einen kleinen Übungsplatz zur Verfügung, und den obendrein noch in einem entfernten Winkel der Welt, nämlich in Kleinasien. Auf diese Weise erlangte er Verfügungsgewalt über den Stamm Juda. Sein Gehilfe war Ing. Geschichtstäter H. Yobb. Die Kontrolle wies nach, daß sie sich schwere Ausschreitungen zuschulden kommen ließen. Es ist noch nebensächlich, daß Donnai sechzigtausend Tonnen Gerstengraupen während einer Wüstenwanderung der Juden abwerfen ließ; die »diskrete Hilfe«, die er ihnen zu gewähren vorgab, lief auf lauter Einmischungen hinaus (er öffnete und schloß das Rote Meer, schickte den Feinden Judas ferngesteuerte Heuschrecken), so daß er den Mündeln die Köpfe verwirrte – sie betrachteten sich als ein auserwähltes Volk.
  Es war typisch, daß der Autor, sobald sein Plan in der Praxis versagte, immer bedeutendere materielle Anreizmittel anwandte, statt die Taktik zu ändern. A. Donnai übertraf alle, denn er wandte Napalm an. Wie ich das erlauben konnte? Auch eine Frage! Ich wußte einfach nichts davon. Auf dem Übungsplatz des Instituts de monstrierte er nur das Anzünden eines Strauches aus der Entfernung und versicherte, er werde auf ähnliche Weise in der Vergangenheit handeln, es würden einfach nur ein paar Kakteen in der Wüste verbrennen; diese Schaustellungen sollten die Verinnerlichung der moralischen Normen festigen. Nachdem ich ihn auf die Halbinsel Sinai verbannt hatte, verbot ich allen Leitern der Kollektive aufs entschiedenste, Konzessionen für Handlungen mit der übernatürlichen Tarnkappe zu gewähren. Andererseits hatte das, was Donnai und Yobb vollbrachten, manche historischen Weiterungen.
  Aber so ist das immer. Jede telechronische Einmischung hat eine Lawine von Erscheinungen zur Folge, die man ohne Anwendung entsprechender Mittel nicht unterdrücken kann. A. Donnai verhielt sich in der Verbannung höchst unschicklich, denn er nutzte die Fama, die er in seiner Stellung als Geschichtstäter erlangt hatte. Zwar konnte er keine »Wunder« mehr vollbringen, aber die Erinnerung an ihn blieb erhalten. Was H. Yobb betrifft, so erzählte man auch, ich hätte Historanger auf ihn gehetzt, aber das ist Verleumdung. Ich kenne die Einzelheiten der Angelegenheit nicht, weil ich mich nicht mit solchen Detailfragen befassen konnte – jedenfalls soll er sich mit A. Donnai entzweit haben, und der setzte ihm dermaßen zu, daß daraus die Hiobslegende entstand. Am schlimmsten erging es den Juden bei diesem Experiment, weil sie an ihre Ausnahmestellung glaubten. Als nun das Projekt abgebrochen wurde, erfuhren sie so manche Bitternis, sowohl in ihrer Heimat als auch in der Diaspora. Was meine Widersacher im Projekt zu diesem Thema über mich verbreiteten, davon will ich gar nicht reden.
  Im übrigen trat das Projekt nun in die Phase seiner schwersten Krise. Mich trifft daran insofern eine Schuld, als ich Totteles und Latton nachgegeben und ihnen gestattet hatte, die Geschichte in breiter Front zu verbessern, das heißt nicht an isolierten Stellen und einzelnen Zeitpunkten, sondern auf der ganzen zeitlichen Länge. Die Strategie jener Melioration, die als die integrale bezeichnet wurde, führte zur Trübung des Aktionsbildes; um dem vorzubeu gen, brachte ich in jedem Jahrhundert eine Beobachtergruppe unter. Latton wiederum wurde von mir bevollmächtigt, eine geheime Chronizei zu organisieren, die den Vandalismus in der Zeit bekämpfen sollte.
  Dieses wilde Benehmen, an das ich nicht einmal im Traum gedacht hatte, hängt mit der sogenannten Besen-Affäre zusammen. Scharen zügelloser Halbwüchsiger, die sich zum Teil aus unserem Hilfspersonal rekrutierten, Laboranten, Sekretärinnen und so weiter, hatten sie verübt. Eine Unmenge mittelalterlicher Märchen über Pakte mit dem Teufel, über Inkuben und Sukkuben, über Sabbate, Hexenprozesse und über die Versuchung Heiliger rührten von der »wilden« Chronomotion her, die von Jugendlichen ohne moralischen Halt betrieben wurde. Ein individuelles Chronozykel besteht aus einem Rohr mit Sattel und einem Auspufftrichter, daher kann man es, zumal bei ungenügender Beleuchtung, durchaus für einen Besen halten. Schamlose Weibsbilder unternahmen Fahrten, am liebsten nachts, um die Dorfbewohner des frühen Mittelalters zu schrecken. Nicht genug, daß sie ihnen im Tiefflug über die Köpfe sausten, sie wagten es, in das 13. oder 12. Jahrhundert mit einer drastisch enthüllenden Kleidung (topless) zu reisen – was Wunder also, daß man sie mangels besserer Bezeichnungen für nackte Hexen hielt, die rittlings auf Besen daherflitzten. Durch einen merkwürdigen Zufall half mir H. Bosch bei der Untersuchung und Aufdeckung der Schuldigen, als er bereits in der Verbannung war; er verlor beim Anblick des ersten besten Zeitfahrers nämlich nicht die Geistesgegenwart und porträtierte in seinem »Höllenzyklus« keine Teufel, sondern Dutzende illegaler Chronozyklisten mit ihren Gefährtinnen, was ihm um so leichter fiel, als er viele von ihnen persönlich kannte.
  Ich erwog, zu wie vielen Opfern diese Ausschweifungen der wilden Chronofahrer geführt hatten, und schickte die Schuldigen siebenhundert Jahre zurück (»die Kontestatoren des 20. Jahrhunderts«). Unterdessen erklärte mir N. Betterpart, der oberste Chef der MOIRA, er sei nicht mehr Herr der Lage und verlange deshalb Unterstützung in Form von Havarieeinsatzbrigaden der Zeitsprin ger, weil die Front der Arbeiten sich auf über vierzig Jahrhunderte ausgedehnt habe. Wir engagierten also eine Menge neuer Mitarbeiter, die auf der Stelle dorthin geschickt wurden, von wo die Alarmzeichen kamen, obwohl es sich nicht um voll ausgebildete Leute handelte. Ihre Konzentration in mehreren Jahrhunderten führte zu ernsten Zwischenfällen, beispielsweise zur Völkerwanderung; und obschon wir versuchten, das Erscheinen dieser Landetrupps zu tarnen, verbreiteten sich im 20. Jahrhundert (etwa um die Mitte) Gerüchte über »fliegende Untertassen«, zumal die damals bereits gut entwickelte Technik der Massenmedien eine Zirkulation solcher Gerüchte begünstigte.
  Das war jedoch noch gar nichts im Vergleich zu einer neuen Affäre, als deren Urheber und Hauptfigur sich der Chef der MOIRA erwies. Ich erhielt Meldungen, daß seine Leute nicht so sehr die Fortschritte der Melioration beobachteten, als sich vielmehr aktiv in den historischen Prozeß einschalteten, und das nicht im Sinne Lattons und Totteles’, sondern in Anlehnung an eine eigene temporale Politik, wie Betterpart sie ungehindert betrieb. Bevor ich ihn seines Postens entheben konnte, verflüchtigte er sich, das heißt, er floh ins 18. Jahrhundert, weil er dort auf seine Chronizisten zählen konnte, und ehe ich mich’s versah, war er schon Kaiser von Frankreich. Dieser widerliche Frevel schrie geradezu nach einer strengen Bestrafung; Latton riet mir, eine Reservebrigade nach Versailles zu werfen, aber das waren unakzeptable Ideen, denn eine solche Invasion hätte eine unerhörte Störung in der ganzen späteren Geschichte hervorgerufen – der Menschheit wäre bewußt geworden, daß sie unter Kuratel stand. Totteles, der vernünftiger war, arbeitete Pläne für eine »natürliche«, das heißt kryptochronische Bestrafung Napoleons aus; die Einfädlung einer antibonapartistischen Koalition begann, Feldzüge fanden statt, doch was nutzte das, wenn der ehemalige Chef der MOIRA sogleich Lunte roch und, ohne zu warten, selbst zum Angriff überging, Nicht umsonst war er ein Berufsstratege, die Theorie hatte er im kleinen Finger, also schlug er der Reihe nach alle Feinde, die Totteles ihm auf den Hals schickte; es schien, als würde man ihn in Rußland in die Klemme nehmen können, aber auch von dieser Expedition erholte er sich einigermaßen, indes halb Europa in Trümmern und in Asche lag. Erst als ich meine Herren Geschichtstäter beiseite drängte, vermochte ich mit Napoleon bei Waterloo fertig zu werden. Viel Ursache, mich dessen zu rühmen, hatte ich indes nicht!
  Napoleon war von der Insel Elba geflohen, weil ich keine ordentlichere Verbannung überwachen konnte, denn ich hatte viele andere dringende Probleme zu lösen. Diejenigen, die sich Ausschreitungen zuschulden kommen ließen, blieben nun nicht mehr passiv auf ihren Stühlen sitzen, sondern flüchteten selbst in die tiefe Vergangenheit, wobei sie die Mittel mitnahmen, die es ihnen leicht machten, sich mit Ruhm zu bedecken oder einen Glorienschein nie gekannten Ausmaßes zu erlangen (daher die Alchimisten, Cagliostro, Simon Magus und Dutzende andere). Mir kamen Informationen zu Ohren, die ich überhaupt nicht überprüfen konnte: Atlantis zum Beispiel sei gar nicht durch einen Querschläger der Operation GENESIS versunken, sondern Dr. Boloney habe das mit Vorbedacht getan, damit ich nicht dahinterkam, was er dort angestellt hatte. Mit einem Wort, alles, womit ich zu tun hatte, brach zusammen. Ich verlor den Glauben an den Erfolg, und schlimmer noch, ich wurde mißtrauisch. Ich wußte nicht mehr, was eine Folge der Optimalisierung war, das Ergebnis ihrer Einstellung, ein Unterschleif oder eine Willkür der säkularen Chronizisten.
  Ich beschloß, vom anderen Ende an die Dinge heranzugehen. Ich begann die Große Allgemeine Geschichte in zwölf Bänden zu studieren, und wo mir nur etwas verdächtig erschien, dorthin schickte ich eine Flugkontrolle. So war es zum Beispiel mit Kardinal Richelieu; nachdem ich mich in der MOIRA erkundigt und mich vergewissert hatte, daß er nicht unser Agent sei, befahl ich Latton, einen intelligenten Kontrolleur dorthin zu senden. Er vertraute diese Mission einem gewissen Reichplatz an. Etwas machte mich stutzig – ich sah ins Wörterbuch und erstarrte, als ich mich davon überzeugte, daß Richelieu und Reichplatz dasselbe bedeuteten, aber es war schon zu spät, denn er war bereits in höhere ge sellschaftliche Sphären vorgedrungen und wurde die graue Eminenz Ludwigs XIII. Ich ließ ihn ungeschoren, denn ich wußte bereits aus den napoleonischen Kriegen, wonach solche Versuche rochen.
  Inzwischen reifte ein anderes Problem heran. In den einzelnen Jahrhunderten wimmelte es von Verbannten; die Chronizei konnte sie nicht alle im Auge behalten, wenn sie Gerüchte oder Aberglauben verbreiteten, um mir zuwiderzuhandeln, oder wenn sie versuchten, die Kontrolleure unverblümt zu kaufen. So begann ich damit, alle, die etwas auf dem Kerbholz hatten, an einen Ort und in eine Zeit, nämlich in die griechische Antike zu deportieren, und der Effekt war der, daß sich dort am raschesten eine hohe Kultur [{(entwikkelte)}] entwickelte; allein in Athen zum Beispiel gab es mehr Philosophen als im ganzen übrigen Europa. Das war bereits nach der Ausweisung Lattons und Totteles’, denn beide hatten mein Vertrauen mißbraucht. Latton, einer der hartnäckigsten Radikalen, sabotierte meine Empfehlungen und betrieb seine eigene Politik (ihre Darlegung kann man in seiner »Republik« finden), die extrem antidemokratisch war, ach was, die auf Unterdrückung beruhte; so ist zum Beispiel das Reich der Mitte sein Werk, aber auch die Kastenstruktur Indiens, das Römische Reich Deutscher Nation und sogar der Umstand, daß die Japaner seit dem Jahr 1868 an die Göttlichkeit des Mikado glauben. Ob er es war, der eine gewisse Schicklgruber verheiratete, damit das sattsam bekannte Kind geboren wurde, das halb Europa in Rauch aufgehen ließ – darüber habe ich keine vollkommene Gewißheit, denn davon hatte mir Totteles erzählt, und der lebte mit Latton wie Hund und Katze.
  Latton war der Projektant des Aztekenstaates, Totteles schickte ihm die Spanier auf den Hals. Im letzten Moment, als ich die Berichte der MOIRA bekam, befahl ich, die Expedition des Kolumbus zu verzögern und in Südamerika Pferde zu züchten, denn Cortez’ Kavallerie hätte der Reiterei der Indianer nicht standgehalten. Die Kooperateure versagten jedoch, die Pferde krepierten bereits im Quartär, als es noch keine Indianer gab, und so gab es nieman den, der die Kampfwagen ziehen konnte, obwohl das Rad rechtzeitig geliefert worden war. Was Kolumbus betrifft, so hatte er im Jahre 1492 Erfolg, weil er dort genügend geschmiert hatte. So sah diese Optimalisierung aus! Man warf mir sogar vor, daß mir das Gedränge der Philosophen in Griechenland noch zu gering sei, ich hatte ja H. S. Totteles und P. Latton dorthin verbannt. Eine Lüge! Eben um meine Menschlichkeit zu beweisen, gestattete ich ihnen, sich Zeit und Ort der Verbannung auszusuchen; zwar brachte ich Plato nicht vollends dort unter, wohin es ihn drängte, sondern in Syrakus; ich wußte nämlich, daß er in dieser Stadt wegen der dort herrschenden Kriege seine über alles geliebte Idee vom »Staat der Philosophen« nicht verwirklichen konnte.
  Harry S. Totteles war bekanntlich der Lehrer des jungen Alexander von Mazedonien. Er machte sich der Nachlässigkeit schuldig, was zu scheußlichen Folgen führte, denn er hatte immer die kleine Schwäche, große Enzyklopädien zusammenzustellen und sich mit dem Klassifizieren sowie mit der allgemeinen Methodologie der Theorie des Vollkommenen Projekts zu amüsieren, während sich hinter seinem Rücken die wildesten Dinge abspielten: Der Hauptbuchhalter flüchtete vor der Kontrolle, verabredete sich mit einem Froschmann und fischte mit ihm das Gold Montezumas aus dem Kanal, in den es während der Flucht von Cortez’ Leuten versenkt worden war. Schließlich begannen sie im Jahre 1922 an der Börse zu spielen – Gestohlenes macht nicht fett –, und so kam es zu dem berühmten Börsenkrach im Jahre 1929. Ich glaube nicht, daß ich Aristoteles unrecht getan habe, denn er verdankt mir den Ruhm, der ihm angesichts seiner Verstöße im Projekt gewiß nicht gebührte. Deshalb wurde nunmehr getuschelt, ich hätte unter dem Vorwand von Verbannungen und Rotationen ein Nepotenkarussell eingeführt und für alte Kumpel luxuriöse Sinekuren in allen Jahrhunderten eingerichtet. Aber man sagte mir schon so viel Böses nach, daß mir ohnehin alles verübelt wurde, was ich tat.
  Ich kann mich nicht auf Einzelheiten einlassen und werde mich deshalb nicht über die Anspielungen hinsichtlich meiner Person äußern, die in Platons und Aristoteles’ Schriften enthalten sind. Natürlich empfanden sie als Verbannte keine Dankbarkeit, aber ich scherte mich wenig um Ressentiments, wenn die Geschicke der Menschheit auf dem Spiele standen. Anders war es mit Griechenland, dessen Niedergang mir sehr naheging. Es ist nicht wahr, daß ich ihn durch Aufmärsche von Philosophen herbeigeführt hätte; Latton tat es mit Rücksicht auf Sparta, weil er es nach dem Ebenbild seiner geliebten Utopie gestalten wollte, und so unterstützte denn nach seiner Absetzung niemand mehr die Spartaner, und sie erlagen der persischen Übermacht. Was konnte ich dagegen tun? Ein lokaler Protektionismus war inakzeptabel, denn wir sollten ja unseren Schutz auf die gesamte Menschheit ausdehnen, und hier untergrub schon das Problem der Ausweisungen die größten Pläne. In die Zukunft konnte ich niemanden verbannen, weil sie sich in acht nahmen, und da jeder der Verurteilten an die Azurküste wollte, gab ich nach. Eine Vielzahl von Personen mit höherer Bildung konzentrierte sich also rings um das Mittelmeer, und daher nahmen eben dort der Aufstieg der Zivilisation und später auch die Kultur des Westens ihren Anfang.
  Was Spinoza betrifft, so muß ich durchaus einräumen, daß er ein grundanständiger Mensch war, aber er hat es zu den Kreuzzügen kommen lassen, das heißt, er selbst hat sie natürlich nicht ausgelöst. Mit Spinoza besetzte ich den freien Posten Lattons; er hatte einen lauteren Charakter, war aber zerstreut wie kaum einer; er unterschrieb, ohne hinzuschauen, was man ihm hinhielt, er gab Löwenherz eine unbeschränkte Vollmacht – jemand hatte dort im
13. Jahrhundert etwas ausgefressen –, und als die Suche begann, warf Löwenherz einen Chronobus mit Geheimpolizisten nach dem anderen dorthin, so daß der Gesuchte, ich weiß nicht mehr, wer es war, die Kreuzzüge auslöste, um sich in dem Durcheinander zu verstecken. Ich wußte nicht, was ich mit Spinoza machen sollte, das alte Griechenland strotzte nur so von Denkern, die ihm ähnlich waren, so schickte ich ihn zunächst kreuz und quer durch alle Jahrhunderte, damit er so in der Skala von vierzig Jahrhunderten pendelte, und daraus entstand die Legende vom »Ewigen Juden«. Nach jeder seiner Wanderungen durch unsere Zeit klagte er jedoch über die Mühen, so daß ich ihn schließlich nach Amsterdam lenkte, weil er das Basteln so liebte, und dort konnte er Diamanten schleifen.
  Man hat mich manchmal gefragt, warum denn keiner der Verbannten bekannte, woher er kam. Nun, das wäre ihm übel bekommen. Jeder, der die Wahrheit gesagt hätte, wäre ins Irrenhaus gewandert. Hätte man vor dem 20. Jahrhundert einen Menschen etwa nicht für verrückt erklärt, der erzählte, man könne aus gewöhnlichem Wasser eine Bombe machen, die imstande sei, den ganzen Globus in Stücke zu reißen? Und vor dem 23. Jahrhundert kannte man keine Chronomotion. Außerdem hätten solche Bekenntnisse das Plagiat von Arbeiten vieler Verbannter entblößt. Es war ihnen verboten, die Zukunft vorauszusagen, aber sie plapperten dennoch manches aus. Im Mittelalter beachtete man das zum Glück nicht (ich denke da an die Hinweise über die Düsenjäger und die Tiefseetauchboote bei Bacon und an jene über die Computer in Lulls ARS MAGNA); schlimmer war es jedoch mit denjenigen, die unvorsichtigerweise ins 20. Jahrhundert verbannt worden waren – sie nannten sich »Futurologen« und begannen Dienstgeheimnisse zu verraten.
  Zum Glück wandte A. Tylla, der neue Chef der MOIRA nach Napoleon, die sogenannte Taktik des Babelsystems an: Sechzehn Zeitingenieure, die zur Strafe nach Kleinasien verbannt worden waren, entschlossen sich, einen »Zeitzug« für die Flucht vorzubereiten, indem sie vorgaben, einen Turm errichten zu wollen; seine Bezeichnung war die kryptonyme Losung der Verschwörer (Bauunternehmen zur Beförderung der im Exil Lebenden). MOIRA, die diese Arbeiten schon in ziemlich vorgerücktem Stadium vorfand, schickte ihre eigenen Spezialisten als »neue Verbannte« aus, die in den Konstruktionsplan absichtlich solche Fehler einführten, daß das Werk beim ersten Probeversuch auseinanderbarst. Tylla wiederholte dieses Manöver der »Sprachenverwirrung«, indem er Diversionsgruppen ins 20. Jahrhundert warf; sie diskreditierten die Weissagerkandidaten, indem sie verschiedene Flunkereien – die sogenannte Science Fiction – verbreiteten und einen unserer Ge heimräte, einen gewissen McLuhan, in die Reihen der Futurologen einschleusten.
  Zwar faßte ich mich an den Kopf, als ich die von MOIRA fabrizierten Faseleien las, die McLuhan als »Prognosen« verbreiten sollte, denn mir erschien es unmöglich, daß jemand, der sein Hirn am rechten Fleck hatte, auch nur eine Sekunde lang das dumme Zeug von einem »globalen Dorf«, zu dem die Welt angeblich tendiere, ernst nehmen konnte, und auch den anderen Unsinn, der da aufgetischt wurde. Doch es erwies sich, daß McLuhan erheblich mehr Furore machte als all die Leute, die die reine Wahrheit verrieten; er erlangte einen solchen Ruf, daß er schließlich, wie es scheint, selbst an die Absurditäten zu glauben begann, die wir ihn verbreiten hießen. Wir ließen ihn übrigens in Ruhe, denn das schadete uns nicht. Was Swift und seine Schrift »Gullivers Reisen« betrifft, in der ein Hinweis auf zwei kleine Marsmonde mit all ihren Bewegungselementen enthalten ist, die in jener Zeit niemand kennen konnte, so war das die Folge eines idiotischen Mißverständnisses. Die Orbitaldaten der Marsmonde stellten damals die Erkennungslosung einer Gruppe unserer Kontrolleure in Südengland dar, und einer von ihnen, ein Kurzsichtiger, hielt Swift in einer Schenke für einen neuen Agenten, mit dem er sich dort treffen sollte; er meldete den Irrtum nicht, denn er glaubte, Swift habe nichts von seinen Worten verstanden, indes konnten wir ein paar Jahre später (1726) in der ersten Ausgabe von »Gullivers Reisen« Angaben über jene beiden Marsmonde lesen; die Erkennungslosung wurde sofort geändert, aber der Passus mußte nun schon im Druck bleiben.
  Derartige Lappalien fielen nicht sonderlich ins Gewicht, anders jedoch war es mit Plato bestellt. Stets packt mich Mitleid, wenn ich seine Erzählung von der Höhle lese, in der man mit dem Rücken zur Welt sitzt und an den Wänden kaum ihre Schatten erkennt. Ist es verwunderlich, daß er das 27. Jahrhundert für die einzige authentische Wirklichkeit ansah und daß ihm die primitive Zeit, in der ich ihn gefangenhielt, als eine »düstere Höhle« vorkam? Seine Doktrin über das Wissen, das nur ein »Sich-Erinnern« dessen dar stelle, was man einst, »vor dem Leben«, bedeutend besser gewußt habe, ist eine noch deutlichere Anspielung.
  Indessen brachen immer größere Sorgen über mich herein. Ich mußte Tylla verbannen, weil er Napoleon geholfen hatte, von der Insel Elba zu fliehen; ich wählte diesmal die Mongolei als Ort der Verbannung, denn er hatte in schrecklicher Wut gedroht, daß ich mich seiner noch erinnern werde. Ich konnte mir nicht vorstellen, was er inmitten dieser Einöden vollbringen könnte, und dennoch hielt er Wort. Als die Projektanten sahen, was geschah, überboten sie sich im Entwerfen immer absonderlicherer Pläne, sie wollten zum Beispiel mit ganzen Chronozügen den Völkern die notwendigen Warenmassen liefern – aber das hätte ja jeden Fortschritt gehemmt. Dann wieder wollten sie eine Million aufgeklärter Bürger aus unserer Gegenwart nehmen und sie im Paläolithikum landen lassen – ein vorzüglicher Gedanke, aber was sollte ich mit der Menschheit anfangen, die dort bereits in den Höhlen saß?
  Die Lektüre dieser Pläne weckte mein Mißtrauen bei der Besichtigung des 20. Jahrhunderts. Hatte man da nicht Massenvernichtungsmittel untergeschoben? Angeblich wollten ein paar Radikale unseres Instituts die Zeit in einen Kreis zwängen, damit die Neuzeit irgendwann nach dem 21. Jahrhundert mit der Vorgeschichte zusammenwachsen konnte. Auf diese Weise sollte sich alles noch einmal, aber besser bewegen. Eine krankhafte Idee, phantastisch, wahnwitzig, aber ich sah schon gewisse Anzeichen der Vorbereitung. Das Zusammenwachsen erforderte ein vorheriges Zerstören der bereits bestehenden Zivilisation, eine »Rückkehr zur Natur«. So nahm denn auch seit der Mitte des 20. Jahrhunderts die Verwilderung zu, das Rauben und das Sprengen; die Jugend wurde von Jahr zu Jahr zottiger, die Erotik wurde vertierter, Horden Zerlumpter tauchten auf, die mit Gebrüll nicht mehr die Sonne, sondern irgendwelche Sterne oder Stars ehrten, es ertönten Rufe nach der Zerstörung der Technik, der Wissenschaft, und sogar die zu Wissenschaftlern erklärten Futurologen verkündeten – auf wessen Betreiben eigentlich? – eine nahende Katastrophe, einen Nieder gang, das Ende; hier und da baute man sogar schon Höhlen, die man, wohl zur Tarnung, als Schutzräume bezeichnete.
  Ich beschloß also, mich auf die folgenden Jahrhunderte zu konzentrieren, weil mir das Ganze nach Umkehrarbeit roch, das heißt nach einer Arbeit, die die Zeit zur Umkehr zwingt, eben im Sinne der Kreistheorie. Gerade in dieser Phase erhielt ich eine Einladung zu einer außerordentlichen Sitzung des Wissenschaftlichen Rates. Freunde sagten mir im Vertrauen, daß dort über mich Gericht gehalten werden solle, doch das hielt mich von der Erfüllung meiner Pflichten nicht ab. Meine letzte Tätigkeit war die Entscheidung in der Sache eines gewissen Adel, der in seiner Tätigkeit als Kontrollfunktionär ein Mädchen aus dem 12. Jahrhundert mitnahm, das er auf freiem Felde geraubt hatte – er überfiel sie vor den Augen der Menge und zerrte sie am hellichten Tage auf sein Chronozykel. Man hielt sie für heilig und betrachtete die Entführung als »Himmelfahrt«. Ich hätte ihn schon längst entfernen sollen, denn er war ein durch und durch brutales Individuum, und auch sein Äußeres war abstoßend – er ähnelte mit seinen tiefsitzenden Äuglein und dem schweren Kiefer einem Gorilla –, aber ich befürchtete, man könnte mich einer persönlichen Abneigung bezichtigen. Nun aber verbannte ich ihn, und das für alle Fälle ziemlich weit zurück – um 65000 Jahre. Er wurde ein Höhlen-Casanova und zeugte die Neandertaler.
  Erhobenen Hauptes ging ich zur Sitzung, ich fühlte mich in keiner Weise schuldig. Die Sitzung dauerte zehn Stunden; ich bekam eine Unmenge Anklagen zu hören. Man warf mir Willkür vor, Gängelung der Gelehrten, Geringschätzung der Expertenmeinungen, das Favorisieren Griechenlands, den Untergang Roms, die Sache mit Caesar (auch das war eine Verleumdung: ich hatte nirgendwohin einen Brutus geschickt), die Affäre mit Reichplatz, das heißt mit dem Kardinal Richelieu, den Mißbrauch im Referat der MOIRA und der geheimen Chronizei, die Päpste und Antipäpste und so weiter. (Im Grunde hatte Betterpart die »Finsternis des Mittelalters« hervorgerufen, der nach seiner geliebten Regel von der »starken Hand« zwischen das 8. und 13. Jahrhundert so viele Vertrauensleute eingeschleust hatte, daß es zu einer Bevormundung und zum Untergang der Kultur kam.)
  Die Lektüre des in siebentausend Paragraphen formulierten Anklageaktes war im Grunde eine öffentliche Lesung in einem Geschichtsbuch. Was bekam ich nicht alles zu hören: wegen des A. Donnai, wegen des feurigen Strauches, wegen Sodom und Gomorra, wegen der Wikinger, wegen der Räder der kleinasiatischen Kampfwagen, wegen des Fehlens von Rädern und Wagen in Südamerika, wegen der Kreuzzüge, wegen der Niedermetzelung der Albigenser, wegen Berthold Schwarz und seines Pulvers (wohin sollte ich ihn verbannen, ins Altertum, damit man sich schon dort kartätschte?) – und so weiter, immer weiter, ohne Ende. Nichts wollte jetzt dem ehrenwerten Rat mehr gefallen, weder die Reformation noch die Gegenreformation, und diejenigen, die mich vorher mit eben diesen Projekten bestürmt und mich ihrer rettenden Wirkung versichert hatten (Rosenbeißer hatte mich fast auf Knien um die Erlaubnis für die Reformation gebeten), saßen jetzt da und taten, als verstünden sie kein Sterbenswörtlein von alledem.
  Als man mir das letzte Wort erteilte, erklärte ich, daß ich mich überhaupt nicht zu verteidigen gedenke, die künftige Geschichte würde ihr Urteil über uns fällen. Ich erlaubte mir allerdings, ich gebe es zu, gegen Ende meiner Rede eine spöttische Bemerkung. Ich sagte nämlich, der einzige Fortschritt, also das einzig Gute, das die Geschichte nach den Arbeiten des Projekts aufweise, sei ausschließlich mein Verdienst. Es handele sich da nämlich um die positiven Folgen der massenhaften Verbannungen, die ich verfügt hatte. Mir verdanke die Menschheit Homer, Plato, Aristoteles, Boskovic, Leonardo da Vinci, Bosch, Spinoza und ungezählte anonyme Persönlichkeiten, die ihr schöpferisches Bemühen in den Jahrhunderten unterstützt haben. Wie schlimm auch das Schicksal der Verbannten gewesen sein mag, sie hatten es verdient, und gleichzeitig sühnten sie durch mich ihre Schuld vor der Geschichte, denn sie unterstützten sie nach Kräften – aber erst nach der Entfernung aus ihren hohen Stellungen im Projekt! Wer dagegen nachprüfen wollte, was parallel dazu die Fachleute des Projekts ge tan haben, der mag auf den Mars, den Jupiter, die Venus, auf den massakrierten Mond schauen oder sich das Grab der Atlantis auf dem Grunde des Atlantischen Ozeans ansehen, er mag die Opfer der beiden großen Eiszeiten, der Plagen und Epidemien, der Pest, der Kriege, der religiösen Fanatismen zählen – mit einem Wort, er soll sich die allgemeine Geschichte einmal näher betrachten, die nach der »Verbesserung« ein einziges Schlachtfeld der Meliorationspläne sei, auf dem Chaos und Verwüstung herrsche. Die Geschichte ist das Opfer des Instituts, der darin herrschenden Atmosphäre des Intrigantentums, der Unordnung, des Improvisierens, des ständigen Ränkespiels und fortwährender Inkompetenzen, und wenn das von mir abhinge, hätte ich all die Herren Geschichtstäter dorthin geschickt, wo die Brontosaurier überwintern.
  Ich brauche wohl nicht zu erklären, daß meine Worte ziemlich sauer aufgenommen wurden. Obwohl dies das letzte Wort sein sollte, hatten sich noch ein paar würdige Zeitingerenten zu Wort gemeldet, so zum Beispiel I. G. Noranz, M. Tageule und Rosenbeißer selbst, der auf der Session zugegen war, denn seine ehrenwerten Kollegen hatten ihn schon aus Byzanz zurückgeholt. Da sie von vornherein das Ergebnis der Abstimmung kannten, die über meinen Direktorposten entscheiden sollte, hatten sie Julian Apostatas »Tod auf dem Schlachtfeld« (363) inszeniert, weil ihm soviel an der Anwesenheit bei diesem Schauspiel gelegen war. Bevor er sprach, bat ich in einer formalen Angelegenheit ums Wort, um zu fragen, seit wann denn byzantinische Kaiser das Recht besäßen, an den Beratungen des Instituts teilzunehmen, aber niemand geruhte mir darauf auch nur zu antworten.
  Rosenbeißer hatte sich besonders vorbereitet, er mußte bereits in Konstantinopel Material erhalten haben; niemand versuchte, diese grob eingefädelte Verschwörung auch nur vor mir zu verheimlichen. Rosenbeißer bezichtigte mich des Dilettantismus und der Vortäuschung von Kenntnissen auf dem Gebiet der Musik, die angesichts meines schlechten Gehörs zu erheblichen Entstellungen in der Entwicklung der theoretischen Physik geführt hätte. Das Ganze soll sich nach den Worten des Herrn Professors folgen dermaßen zugetragen haben: Nachdem unser Hyperputer durch Fernsondieren die Intelligenz aller Kinder um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert untersucht hatte, entdeckte er kleine Bürschchen, die trotz ihres jugendlichen Alters fähig waren, das Prinzip der Gleichwertigkeit von Materie und Energie zu formulieren, was entscheidend für die Freisetzung der Macht des Atoms ist. Das waren unter anderen Pierre Solitaire, T. Adnokamenjak, Stanislaw Rasglas, John Onestone, Trofim Odinzew-Bulyshnikow, Aristides Monolapides und Giovanni Unapietra – neben dem kleinen Albert Einstein. Ich wagte, den letzteren zu favorisieren, weil mir sein Geigenspiel so gefiel; nach Jahren kam es dadurch zum Bombenabwurf über Japan.
  Rosenbeißer verdrehte die Tatsachen so schamlos, daß mir die Luft wegblieb. Das Geigenspiel hatte damit nichts zu tun. Der Verleumder wälzte seine eigene Schuld auf mich ab. Der Hyperputer, der prognostisch den weiteren Verlauf der Ereignisse modellierte, sagte eine Atombombe in Mussolinis Italien für die Relativitätstheorie Unapietras und eine Serie noch schlimmerer Kataklysmen für die übrigen Bürschchen voraus. Ich hatte mich für Einstein entschieden, weil er ein artiges Kind war, und dafür, daß es später zu den Atombomben kam, können weder ich noch er die Verantwortung tragen. Ich handelte entgegen den Ratschlägen Rosenbeißers, der empfahl, die Erde »prophylaktisch« von Kindern im Vorschulalter zu entblößen, damit die Atomenergie im sicheren 21. Jahrhundert entdeckt werden konnte, und er präsentierte mir sogar einen Chronizisten, der bereit war, diese Aktion auf sich zu nehmen. Natürlich verbannte ich diesen gefährlichen Menschen namens H. Errod sogleich nach Kleinasien, wo er sich ungeheuerliche Taten zuschulden kommen ließ; übrigens figurierten sie in einem der Anklagepunkte. Und was hätte ich denn mit ihm tun sollen? In irgendeine Zeit mußte ich ihn ja verbannen. Aber ich hätte mich auf eine Polemik mit solcherart präparierten Verleumdungen gar nicht einlassen sollen.
  Als man durch Abstimmung über meine Entfernung aus dem Projekt entschieden hatte, befahl mir Rosenbeißer, unverzüglich in der Direktion zu erscheinen; ich fand ihn bereits in meinem Sessel sitzend vor – als den neuen Herrn Direktor. Was meint ihr, wen ich in seiner Umgebung erblickt habe? Aber natürlich: Goodlay, Gestirner, Astroianni, Starshite und die übrigen Pfuscher; Rosenbeißer hatte es bereits zuwege gebracht, sie aus all den Jahrhunderten, in denen sie saßen, zurückzuholen. Ihm selbst hatte der Aufenthalt in Byzanz sehr gut getan; während des Feldzuges gegen die Perser war er schlank geworden, sein Gesicht war sonnengebräunt, er hatte Münzen mitgebracht, auf denen sein eigenes Profil eingeprägt war, goldene Broschen, Siegelringe und eine Menge modischer Gegenstände, die er gerade seiner Clique zeigte, aber sogleich in der Schublade verschwinden ließ, als ich eintrat, und er blähte sich auf, thronte, redete durch die Zähne, ohne mich anzuschauen, jeder Zoll ein Kaiser. Das Triumphgefühl, das ihn erfüllte, mit Mühe unterdrückend, sagte er mir von oben herab, daß ich nach Hause zurückkehren könnte, wenn ich mich verpflichtete, gewisse Empfehlungen zu erfüllen. Ich sollte nämlich jenen Ijon Tichy, der die ganze Zeit über bei mir gewohnt hatte, dazu überreden, die Leitung des TEOPAGHIP zu übernehmen.
  Mich durchfuhr ein Gedankenblitz. Erst in diesem Augenblick wurde mir klar, weshalb man mich auserwählt hatte – ich sollte zu mir selbst den Boten spielen! Die Prognose des Hyperputers blieb ja in Kraft, also eignete sich niemand besser für die Stellung des Direktors der Geschichtsausbesserung. Sie handelten nicht aus Edelmut – davon hatten sie nicht für einen Sechser –, sondern aus reiner Berechnung. In der Tat, I. Tichy, der mich zu dieser Unternehmung überredet hatte, war ja in der Vergangenheit verblieben und bewohnte mein Haus. Ich begriff außerdem, daß sich der Zeitkreis erst dann schließen würde, wenn ich – nunmehr ich – in die Bibliothek stürzen und beim Bremsen des Chronozykels alle Bücher von den Regalen stoßen würde. Jenen Tichy würde ich in der Küche mit der Bratpfanne in der Hand vorfinden und ihn durch mein unerwartetes Erscheinen überraschen, denn jetzt trat ich in der Rolle eines Sendboten der Zukunft auf, während er, der Hausbewohner, derjenige sein würde, zu dem ich mit der Mission kam. Das scheinbar Paradoxe der Situation war eine Folge der unvermeidlichen Relativität der Zeiten, die die Beherrschung der chronomotionalen Technologie mit sich bringt. Die Niederträchtigkeit des Plans, den der Hyperputer ausgeheckt hatte, beruhte darauf, daß er einen doppelten Kreis in der Zeit geschaffen hatte: einen kleinen in einem großen. In dem kleinen Kreis hatte ich mich am Anfang mit meinem Doppelgänger gedreht, bis ich schließlich meine Zustimmung zu meiner Reise in die Zukunft gab. Aber dann blieb der große Kreis weiterhin offen; deshalb begriff ich damals nicht, woher er in diese zukünftige Epoche geraten war, aus der er, wie seinen Worten zu entnehmen war, ja kam.
  In dem kleinen Kreis war ich immer noch der frühere und er der spätere I. Tichy. Erst jetzt sollten sich die Rollen umkehren, denn die Zeiten hatten sich umgestellt: Ich kam jetzt zu ihm als ein Sendbote aus der Zukunft – er, gegenwärtig schon der frühere, sollte das Steuer des Projekts nun in seine Hände nehmen. Kurzum: Wir sollten endgültig unsere Orte in der Zeit austauschen. Ich begriff nur nicht, warum er mir das damals in der Küche nicht verraten hatte, aber auch das erkannte ich sehr bald, denn Rosenbeißer verlangte von mir mein Ehrenwort, tiefes Schweigen über alles zu bewahren, was im Projekt geschah.
  Wenn ich mich weigerte, das Geheimnis zu wahren, würde ich statt eines Chronozykels eine Pension erhalten und nirgendwohin verreisen. Was sollte ich also tun? Diese Betrüger wußten, daß ich mich nicht weigern würde. Ich hätte abgelehnt, wenn ein anderer Mensch für meinen Posten kandidiert hätte, aber wie konnte ich mir, als meinem Nachfolger, nicht vertrauen? Somit hatten sie in Gedanken an eine solche Möglichkeit ihren raffinierten Plan ausgeheckt!
  Ohne alle Ehrungen, ohne Pomp, ohne ein gutes Wort des Dankes, ohne jegliche Abschiedsfeierlichkeit, im tiefen Schweigen der einstigen Mitarbeiter, die mir von früh bis spät lauter Honig um den Bart geschmiert und sich in der Bewunderung meiner geistigen Horizonte geradezu überboten hatten, während sie mir jetzt den Rücken zukehrten – schritt ich zur Starthalle. Eine gemeine Bos heit veranlaßte die ehemaligen Untergebenen, mir das klapprigste Chronozykel zu geben, das sie auftreiben konnten. Ich wußte nun auch schon, warum ich bestimmt nicht imstande sein würde zu bremsen und weshalb ich daher alle Bücherregale umstoßen würde! Aber auch dieser letzte Affront focht mich nicht an. Obwohl das Chronozykel an den Jahrhundertwenden (das sind die sogenannten säkularen Durchbrüche) scheußlich hin und her schleuderte, weil die Dämpfer nicht funktionierten, verließ ich das 27. Jahrhundert ohne Zorn oder Bitterkeit, nur an das eine denkend, wie es wohl meinem Nachfolger bei der Telechronischen Optimalisierung der allgemeinen Geschichte ergehen würde.